Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Zweytes Buch.

Erster Abschnitt.

Sebaldus hatte seine Mobilien gröstentheils verkauft, und das daraus gelösete wenige Geld Marianen zur nöthigen Einrichtung mitgegeben. Er hatte sich in den Zustand jenes Philosophen versetzt, daß er alles das seinige bey sich tragen konnte. Nunmehr bestand er darauf, auf irgend eine Art, und wo möglich, ausser der Stadt, in der seine Feinde wohnten, selbst sein Auskommen zu verdienen. Nach einiger Ueberlegung, nahm ihn Hieronymus mit sich, als er nach Leipzig zur Messe reisete, wo er ihm bald bey einigen großen Druckereyen die Stelle eines Correctors verschaffe. Sebaldus miethete eine kleine Dachstube im sechsten Stockwerke, und war bey seinem obwohl dürftigen Auskommen überaus vergnügt mit seinem Zustande, weil er nur ein Drittel des Tages mit Correcturen zu thun hatte, und die übrige Zeit auf seine apocalyptische Erklärung wenden konnte, die ihm, wie ein alter Freund, in seinen Widerwärtigkeiten nur noch lieber geworden war.

Ob übrigens Sebaldus zuerst den Herrn D. Ernesti oder den Herrn D. Crusius besucht habe, wissen wir nicht. Vielleicht hat er bedacht, daß ein armer Corrector nicht so leicht zu einem vertraulichen Umgang mit solchen Männern gelange, und daß es unnütz sey, einen Gelehrten auf eine halbe Viertelstunde zu besuchen, um sein Gesicht zu begaffen, und ist also gar zu Hause geblieben. Ob er jemals Prof. Gellerts moralischen Vorlesungen beigewohnt, oder jemals mit Mag. Froriep über die symbolischen Bücher, oder über die Nunnation der arabischen Nennwörter disputirt habe, läßt sich auch so genau nicht sagen. Ob er in der Nicolaikirche, des in Leipzig und dessen sämtlichen Vorstädten berühmten Mag. Matthesius salbungsvolle Predigten wider die Schaubühne mit angehört, oder ob er zu eben der Zeit da sie gehalten worden, im Kuchengarten, des eben so weit berühmten Händels von Butter triefende Maulschellen und Wetzsteine verzehret habe, darüber sind gar keine Nachrichten vorhanden.

Es haben sehr ernsthafte Gelehrten behauptet, daß die Wahrheit das Wesen der Geschichte sey. Wir sind weit entfernt, Männern die so scharf demonstrirte Theorien der Geschichte zusammensetzen können, im geringsten zu widersprechen, nur haben wir uns unterstanden zu muthmaßen, daß ob man gleich in der Geschichte lauter wahre Begebenheiten erzehlen solle, man doch auch lieber den grösten Theil der wahren Begebenheiten können unerzählt laßen. Es sind funfzigtausend Bände voll Wahrheit über die Geschichte Deutschlands zusammengetragen worden, so daß der schon ein gelehrter Geschichtskundiger heißet, der nur den funfzigsten Theil dieser Wahrheiten gelesen hat. Dieser Ueberfluß von Wahrheit, hat manchen braven Deutschen zu dem angenehmen Lügner Voltaire geführet, der uns ein halbes Jahrhundert in wenigen Blättern übersehen läßt, aber dafür auch oft unverantwortlicherweise eine Hildegardis hinsetzt, wo eine Mathildis stehen solte, oder die Jahrzahl funfzig angiebt, wo die Jahrzahl sechzig solte angegeben werden. Der Unterschied zwischen unsern deutschen wahrhaften Geschichtschreibern, und den oft lügenhaften Franzosen, (woraus auch zu erklären ist, warum Häberlins Auszug der deutschen Geschichte ungleich corpulenter gerathen ist, als Voltairens allgemeine Weltgeschichte,) besteht darin: Der gelehrte Deutsche verschweigt dem Leser nichts, was er gewiß weiß, und das ist denn sehr viel, aber er bedenkt oft nicht, was der Leser zu wissen verlange, welches gemeiniglich sehr wenig ist. Hingegen der Franzose, der nur wenig weiß, thut sich auch darauf nichts zu gut, sondern erzählet nur das, was er meint, daß seine Leser zu wissen verlangen könnten, macht sich aber auch kein Bedenken, es ihnen zuweilen mit einer kleinen Brühe von Erdichtung schmackhafter zu machen.

Wir die wir diese Beyspiele vor uns sehen, spiegeln uns an denselben. Wir wissen von Sebaldus Aufenthalte in Leipzig sehr viele Umstände, die wir nicht wie die deutschen Geschichtschreiber, samt und sonders erzählen, sondern sie vielmehr mit einiger Verläugnung unterdrücken wollen, weil wir nach reifer Ueberlegung gefunden haben, daß unsere Leser weder Nutzen noch Vergnügen daraus schöpfen können. Hingegen soll auch die Wahrheit das Wesen dieser Geschichte bleiben, und wir werden daher keinesweges, gleich dem leidigen Voltaire, Umstände verstellen oder erdichten, um unsere Erzählung intereßanter zu machen. Damit man aber nicht etwa glaube, wir wüsten nichts, weil wir nichts sagen, so wollen wir, um das Gegentheil zu zeigen, aus der grossen Menge der vor uns liegenden Nachrichten, einige bey Sebaldus Aufenthalt in Leipzig vorgefallenen Abendgespräche mittheilen.

Neben der Dachstube des Sebaldus, wohnete auf einer andern Dachstube ein alter Magister, mit dem er bald Bekanntschaft machte, und mit ihm in kurzen vertraut wurde, weil es sich äusserte, daß derselbe, so wie er, an der Ewigkeit der Höllenstrafen zweifelte. Dieser Mann hatte gründliche Kenntnisse der alten Sprachen und alles dessen, was zur Philologie gehört. Er hatte die alten griechischen Philosophen fleißig gelesen, und sie mit den Schriften neuerer Philosophen verglichen, wodurch er gute Einsichten in die Philosophie erlanget hatte. Aber weil seine Kenntnisse nicht nach der Mode zugeschnitten waren, und weil er, sobald er mit Menschen reden solte, überaus schüchtern und ängstlich war, so hatte er sich nie getraut, um ein Amt, selbst nicht um ein Schulamt anzuhalten, man würde es ihm vielleicht auch nicht gegeben haben. Er war daher als Corrector bey verschiedenen Druckereyen, grau worden. Er kennte alle Vorfälle des Verleger- und Autorgewerbes. Denn gleichwie ein Lichtputzer in der Comödie, zuweilen einen stummen Staatsminister oder einen redenden Lakayen vorstellen muß; so war auch er, obgleich eigentlich nur ein Corrector, dennoch von seinem Verleger oft zum Uebersetzer, ja wohl gar zum Schreiber einer zuverläßigen Nachricht, oder schrift- und vernunftmäßiger Gedanken, gebraucht worden.

Einige Tage nach Sebaldus Ankunft, besuchte ihn der Magister, um den Abend bey einer sehr frugalen Abendmahlzeit zu verplaudern. Der Magister fragte, wie ihm Leipzig gefiele. Sebaldus der nichts für merkwürdig hielt, was nicht einem Buche ähnlich sahe, hatte auch in Leipzig nichts als die vielen Buchdruckereyen und Buchläden bemerkt. Ihm war gar nicht in die Augen gefallen, ob die Einwohner den Rang oder die Bequemlichkeit liebten, ob sie gesellig oder steif wären, ob die Damen lieber geputzt als schön zu seyn suchten, ob die Studenten ein gelehrtes oder ein soldatisches, ein galantes oder ein liederliches Ansehen affectirten, ob die Jungemädgen Niedlichkeit und Artigkeit für den ersten Zweck ihres Daseyns hielten oder nicht. Ihm war es nie eingekommen zu untersuchen, wie die Bauart der Häuser, den Zweck der Eigenthümer bey wenigem Platze ihre Wohnungen bequem zu machen, verriethe, welchen Beweis des Wohlstandes der Einwohner die schönen Gärten und Gartenhäuser in den Vorstädten darböten, und ob daselbst Reichthum und Kenntniß des Schönen mit gleichen Schritten fortgegangen sey. Er hatte sich auf den Straßen nie umgesehen, und es war ihm nie eingefallen zu erörtern, ob das Homannsche Haus oder die Wage schöner gebauet sey, ob am Erker des Romanusschen Hauses, mit Rechte, drey übereinanderstehende Säulenordnungen auf einem Kragsteine ruhen, oder ob im Großbosischen Garten die fleißige Kunst die schönsten Anlagen der Natur verderbt habe. Den schönsten unter den Leipziger Gärten, den Richterschen, hatte er eben so wenig, als die reizende Aussicht aus demselben gegen das Zschochersche Hölzgen zu, gesehen. Die schöne Gegend hinter Raschwitz war ihm nicht zu Gesichte gekommen, und vom Linkschen Winklerschen und Richterschen Cabinette, hatte er nicht einmahl reden hören. Weil die Rathsbibliothek und die Universitätsbibliothek, die einzigen Gegenstände seiner Neugierde, in der Messe nicht offen waren, so hatte er alle Tage seines Aufenthalts in Leipzig damit zugebracht, von Druckerey zu Druckerey und von Buchladen zu Buchladen zu wandern. Noch ganz voll von diesen Gegenständen, rief er aus:

Wie solte mir Leipzig nicht gefallen, der ächte Sitz der Gelehrsamkeit, die wahre Stapelstadt gelehrter Kenntnisse, welche aus Deutschland hieher eingesamlet, und von hieraus allen andern deutschen Provinzen wieder mitgetheilet werden! Hier siehet man in unzählbarer Menge die Früchte der Nachtwachen einer grossen Anzahl gelehrter Männer, die, nachdem sie beschäftigt gewesen, ihren Geist mit allen nützlichen Kenntnissen zu bereichern, diese Kenntniße, durch unermüdetes Nachdenken vervollkommnet, der ganzen Welt mittheilen und sie dadurch zu erleuchten suchen. Wenn ich die hiesigen unermeßlichen Bücherniederlagen betrachtet habe, ist mir die unausgesetzte Geschäftigkeit der Gelehrten recht ehrwürdig vorgekommen. Ich hätte nie gedacht, daß so viele Bücher in der Welt wären, als ich hier beisammen finde, und daß noch jährlich einige hundert oder tausend hinzukommen.

Mag. Und darüber freuen Sie sich? Ich nicht. Sie kommen mir vor, wie ein hungriger Ankömmling an einer reichbesetzten Tafel, der den grossen Vorrath von Speisen sicher, und schon überschlägt, wie gut er sich mit diesen herrlich aussehenden Nahrungsmitteln füttern wolle. Ich bin einer von den Gästen, die schon oft an dieser Tafel geseßen haben, und schon oft hungrig aufgestanden sind. Einige Speisen hatten einen sehr wiedrigen haut-gout, andere schmeckten angenehm aber waren äußerst unverdaulich, andere waren nicht gahr gekocht, und andere waren bloße Schaueßen. Endlich blieb ich zu Hause, aß mein Stück Käse und Brodt, und verwünschte alle Köche.

Seb. Aber ist es nicht ein herrliches Schauspiel, eine so große Menge gelehrter Werke zusammen zu sehen, die doch alle, jedes in seiner Art, die Menschen klüger, gelehrter, weiser, tugendhafter, kurz beßer machen?

Mag. Ein Schauspiel wie manches andere, von dem uns die Einbildungskraft, ehe wir es sehen, die angenehmste Vorstellungen macht. Wer wie Sie vom Lande, aus der Einsamkeit kommt, ist sehr geneigt sich durch jeden ersten Glanz blenden zu laßen, und alles für schöner anzusehen als es ist. Mein lieber Freund! Wenn die Gelehrten durch ihre Bücher sonst nichts zu erlangen suchten, als was sie da sagen, so würden neun Zehentheile der Bücher gar nicht geschrieben werden. Wie die Menschen klüger weiser und beßer werden sollen? Ich wette daran haben neun Zehentheile der Schriftsteller, deren Werke die Meße zur Meße machen, gar nicht gedacht. Sie haben ganz andere Absichten zu erlangen und ganz andere Bedürfniße zu befriedigen.

Seb. Welche könten die seyn? Ein Gelehrter hat freilich viele Absichten und Bedürfniße, als Mensch mit andern Menschen gemein. Was könte er aber als Gelehrter für ein anderes Bedürfniß haben, als seinen Geist durch alle nützliche Kenntniße aufzuklären, und wenn er findet, daß er erleuchteten ist als andere, was folget natürlicher darauf, als die Absicht, andern seine Kenntniße mitzutheilen, das heist ein Schriftsteller zu werden.

Mag. Diese Folge scheint so natürlich, gleichwohl muß sie nicht nothwendig seyn, denn gewiß sehr viel Schriftsteller haben nicht daran gedacht ob ihr Geist aufgeklärt gnug sey, noch weniger ob er aufgeklärter sey, als der Geist anderer Leute, und gleichwohl sind sie Schriftsteller in bester Form, und wenn Zeitungslob und eigen Lob etwas gilt, große berühmte Schriftsteller. Hingegen haben wir beide, Sie mein Freund und ich, von Jugend auf gearbeitet unsere Kenntniße zu erweitern und volkommner zu machen, und ich darf sagen, wir wißen es auch, daß wir manche Sachen beßer einsehen, als manche andere Leute, und gleichwohl dürften wir beide vielleicht nie Schriftsteller werden.

Seb. Ich weiß nicht, was Sie zu thun willens sind. Ich aber, ich muß es mit einiger Schüchternheit gestehen – ich arbeite schon seit vielen Jahren, an einem Commentar über die Apocalypse.

Mag. Ueber die Apocalypse? Da sind Sie mehr als jemand bey mir im Verdacht, daß nicht allein die von Ihnen vorher angeführten schönen Absichten, sondern einige kleine Nebenabsichten Sie zum Schriftsteller machen.

Seb. Ich bin mir keiner Nebenabsichten bewust. Welche könte ich auch haben?

Mag. Ich weiß nicht. Vielleicht ein wenig Ruhmsucht. Sie wollen der Welt gern etwas neues und scharfsinniges sagen, denn etwas für das menschliche Geschlecht nützliches werden Sie doch schwerlich sagen können. Die Apocalypse ist eine dickschälige Citrone, aus der so viele hundert Commentatoren, den wenigen Saft der in ihr war, schon längst ausgepreßt haben.

Seb. Wenn sie nicht mehr Saft in sich hat, so könte sie doch vielleicht noch Oel enthalten. Glauben Sie nicht, daß es dem menschlichen Geschlechte wichtig wäre, wenn ich zeigte, daß alles was man bisher, über dis seit vielen Jahrhunderten vielen Menschen so wichtig scheinende Buch, geschrieben hat, alberne Fratzen sind, voller Unsinn, auf Kosten des gesunden Menschenverstandes, der Religion und der Geschichte gesagt. Wäre es nicht ein Verdienst so viel Lügen um ihr Ansehen zu bringen, wenn ich auch nur wenig Wahrheit an die Stelle setzen könte. Und gleichwohl, ohne ruhmredig zu seyn, versichere ich, daß ich die erfüllten historischen Weissagungen, aus der Geschichte anzeigen und von einigen wenigen noch unerfüllten, solche Muthmaßungen an die Hand geben will, die selbst Königen und Fürsten nicht gleichgültig seyn dürften. Dennoch schätze ich diese meine historische Entdekungen sehr gering gegen diejenigen, die etwas beitragen können den moralischen Zustand des Menschen zu verbeßern. Wie, wann ich aus diesem Buche, von dem künftigen Zustande der Auserwählten die sichersten Schlüße ziehen, wenn ich (hier funkelten dem ehrlichen Sebaldus die Augen) aus demselben die Lehre, die Sie wie ich verabscheuen, die Ewigkeit der Höllenstrafen, gänzlich wiederlegen, und deutlich zeigen könte, wie in Gottes Haushaltung alle Bestrafung auf Beßerung abzielen muß und wird – könte dis dem menschlichen Geschlechte gleichgültig seyn?


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