Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweyter Abschnitt.

Es scheint, der Pietist war einer von den angesehenen Personen des Konventikels, deren Heiligkeitsgeruch sich gemeiniglich, zehn bis zwölf Meilen in die Runde, unter den frommen Seelen ausbreitet, die daher bey jedem Bruder und jeder Schwester auf ihren Reisen willkommen sind, und in deren Häusern mit eben der Zuversicht einsprechen, mit der ein reisender Mönch, in ein an dem Ende seiner Tagereise liegendes Kloster eintritt. Unser Wanderer hatte eben deshalb Wustermark zum Nachtlager erwählt, weil er wußte, daß daselbst eine fromme wohlhabende Bauerwittwe wohnte, in deren Haus er auch so gleich gieng, und den Sebaldus seinem Schicksal überließ, der in einer elenden Dorfschenke eine Stube voll allerhand Gesindel antraf, unter welchem er sich diese Nacht wenig Ruhe versprechen konnte.

Man hat bemerkt, daß, bey den Frömmlingen männliches Geschlechts, mit heißem Eifer für fromme Uebungen sehr oft eine große Hartherzigkeit verknüpft ist, seltener bey denen von weiblichem Geschlechte. Die Bäuerinn hörte von ihrem Gaste kaum, daß er noch einen Reisegefährten habe, welcher, gleich ihm, von Räubern geplündert worden: so kam sie in die Schenke, und lud den Sebaldus zu sich ein. Sie trug auf, was ihr Haus vermochte, und die Wanderer erquickten sich.

Nach Tische fieng der Pietist die Betstunde an, mit der die reisenden Heiligen, da wo sie einkehren, gemeiniglich ihre Zeche zu bezahlen pflegen. Sebaldus, so sehr er eine dürre Dogmatik, und eine störrische Polemik haßte, so sehr war er ein Freund herzlicher Andacht. Er war daher sehr erbaut von der stillen Aufmerksamkeit der Bäuerinn und ihrer Kinder. Auch der Vortrag seines Reisegefährten war ihm nicht zuwider; denn dieser besaß vollkommen die Biegsamkeit , in welcher Leute seiner Art sich bestreben, bey denjenigen, die sie nicht bekehren können, wenigstens eine gute Meinung von sich zu hinterlassen. Er vermied also in seinem Vortrage, sehr weislich, alle Punkte, über die, wie er unterweges gemerkt hatte, Sebaldus anderer Meinung war, und hielt sich bey allgemeinen ascetischen Betrachtungen auf, die der Bauerfamilie begreiflich schienen, und beym Sebaldus gleichförmige Gedanken erregten, mit denen er sich sehr zufrieden zur Ruhe legte.

Den Morgen früh, nach eingenommenem reichlichem Frühstück, dankten sie ihrer Wohlthäterinn, und setzten ihren Weg weiter fort. Sebaldus genoß den schönen Morgen, sang ein fröhliches Morgenlied, und war so innig vergnügt, daß er gar nicht daran dachte, wie mißlich sein Zustand war, und welchen Zweck die Reise, auf der er itzt eben begriffen war, haben könnte, bis sein Reisegefährte selbst das Gespräch auf Berlin brachte, wohin sie giengen. Dieser beseufzete, mit auf die linke Achsel gesenktem Haupte, und gen Himmel erhobenen Augen, das Elend dieser großen Stadt, wo, wie er versicherte, die Religion ein Gespötte sey, wo niemand in die Kirche gehe, wo ein jeder rechtschaffner Christ verachtet werde, und wo Rotten und Ketzereyen regierten. Er beklagte den Sebaldus recht geflissentlich, weil er, als ein Fremdling, der sich nicht in den besten Umständen befinde, in dieser Stadt voll Irrgläubigkeit und voll Unglaubens, ganz gewiß werde umkommen müssen.

»Ich habe, sagte Sebaldus, bessere Hoffnung. Ich weiß aus der Erfahrung, daß bey dem, was viele Leute Unglauben und Ketzerey nennen, die Liebe des Nächsten sehr wohl bestehen kann.«

»Nein! Nein! rief der Pietist mit erhabener Stimme, wo Glauben ist, da ist auch Liebe! die findet man aber in dieser Stadt, ja im ganzen Lande, gar nicht. Da herrscht lauter Eigennutz und Betrug, da gehen alle Laster im Schwange, da ist die Ruchlosigkeit aufs höchste gestiegen, da ist alle christliche Liebe erloschen.«

Er sagte dieses mit so vieler Dreistigkeit, und versicherte so oft, er kenne Berlin, wo er sich oft aufgehalten habe, so genau, und es sey überhaupt eine weltbekannte Sache, daß Sebaldus anfieng darüber nachdenkend zu werden.

»Ich gestehe, sagte er, nach einiger Ueberlegung, wenn die Einwohner dieser Stadt, ja dieses ganzen Landes, so beschaffen sind, als Sie sie beschreiben, so muß es ein wahres Unglück seyn, unter ihnen zu wohnen. Aber, fuhr er fort, – nachdem er nochmals ein wenig gestaunt hatte, – sollten Menschen, die so gesinnet sind, wohl in Gesellschaft leben können? Sollte ein Staat wohl in kurzer Zeit blühend werden können, der lauter solche Bürger enthielte? Und doch soll, wie man mich versichert hat, der Preußische Staat, nur seit Menschengedenken, sehr blühend geworden seyn; besonders soll ja Berlin am Wohlstande seit dreißig Jahren sichtlich zugenommen haben.«

Der Pietist, der dieses Raisonnement nicht fassen konnte, sagte mit dummer Gleichgültigkeit: »Was hat das Zeitliche mit dem Himmlischen zu thun? Die Kinder dieser Welt sind immer klüger, als die Kinder des Lichts! Glauben Sie mir gewiß, es giebt in dieser großen Stadt, einige wenige fromme Seelen ausgenommen, die noch ihren Heiland lieb haben, nichts als böse Atheisten, die keinen Gott, keinen Teufel, und keine Hölle glauben.«

»Ey nun! sagte Sebaldus, wenn diese Leute keinen Gott glauben, so glaube ich einen, und weiß, daß er keinem seiner Geschöpfe mehr Elend auflegen wird, als es tragen kann.«


 << zurück weiter >>