Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Vierter Abschnitt.

Hier genoß Sebaldus das süße Vergnügen, von seinem Feinde verdienten Dank einzuärndten. Vater und Sohn überhäuften ihn mit Liebkosungen. Der Vater wiederholte mit Eifer den Vorschlag zu einer guten Versorgung, und betheuerte, daß er alles Ansehen, das er in dem Fürstenthume hätte, dazu anwenden wollte. Der Sohn unterstützte diesen Vorschlag, so daß Sebaldus endlich anfieng zu wanken und sich eine ruhige Beförderung in seinem Vaterlande, als eine wünschenswürdige Sache vorzustellen.

Er befragte den Major über diesen Vorschlag, und wunderte sich nicht wenig, daß dieser gar nicht dazu stimmen wollte. Da er die Ehrlichkeit aller Menschen nach seiner eignen beurtheilte, so konnte er sich gar nicht darin finden, daß der Major so viel Argwohn gegen die Aufrichtigkeit des Stauzius merken ließ. Er hielt dies für ein allzuweit getriebenes Mißtrauen, und befestigte sich immer mehr in seinem Vorhaben, durch eine Landpredigerstelle in seiner Vaterstadt Ruhe zu suchen.

Als der Major sahe, daß sein Entschluß, der Einladung des Stauzius zu folgen, fest gefasset war, so wolte er ihm nicht ferner hinderlich seyn. Er ließ den alten Stauzius zu sich kommen, und band ihn aufs allerernstlichste ein, sein Versprechen zu halten. Er benachrichtigte ihn, daß er dem Sebaldus an den Obersten, der die Truppen commandirte, die die fürstl. Residenz besetzt hielten, einen Brief mitgegeben hätte; daß er diesen Officier, der sein vertrauter Freund sey, bäte, den Sebaldus zu beschützen, und jeden, der sich unterstehen würde, ihn zu verfolgen, auf das empfindlichste zu bestrafen. Stauzius versprach mehr, als er vorher versprochen hatte, und versicherte noch mehr zu leisten.

Als Sebaldus von dem Major Abschied nahm, gab er ihm außer dem obengedachten Schreiben an den Obersten, noch ein Empfehlungsschreiben an einen seiner vertrauten Freunde in Berlin mit. Er versicherte ihn, daß, wenn er nach Berlin reisete, dieser Freund ihn, auf Vorzeigung dieses Briefes, aufs freundschaftlichste aufnehmen werde, und daß er bey demselben beständig Nachricht, wo er, der Major, sich aufhielte, würde erhalten können. Er gebot ihm, von diesem Briefe Gebrauch zu machen, wenn, wie er noch immer befürchtete, Stauzius sein Versprechen nicht halten solte. Er betheuerte mit den heftigsten Schwüren, daß Sebaldus seines Beystandes niemals entbehren solte, sobald er nur Nachricht erhielte, daß er desselben benöthigt sey.

Was den Major gegen den guten Generalsuperintendenten so gar sehr mißtrauisch gemacht habe, ist schwer zu sagen. Vermuthlich war es dessen Physiognomie. Ob aber insbesondere ein weit gegen das Ende der Nase vor sich gehendes NasläpchenMan s. Lavaters Physiognomik 2ter Theil. S. 117. u. folg., oder eine eingekerbte Oberlefze, oder grünlichte Zähne, oder ein hörbarer Athem, oder nur überhaupt sein superintendentenmäßiges AnsehenS. Ebendas. S. 26. daran schuld gewesen, würde Herr Caspar Lavater am sichersten berichten können, wenn er den Generalsuperintendenten Stauzius gesehen hätte.

Der Erfolg schien indessen, wenigstens anfänglich, das Mißtrauen des Majors gar nicht zu rechtfertigen. Stauzius nahm den Sebaldus mit sich in die fürstliche Residenzstadt zurück. Er hätte ihn in sein Haus aufgenommen, aber Sebaldus wolte nirgends als bey seinem Freunde Hieronymus, abtreten. Inzwischen erwies ihm Stauzius alle mögliche Höflichkeiten und er ward von demselben sowohl, als von dem Präsidenten nicht selten zu Gaste geladen; sonderlich nachdem der fremde Oberste, dem er sein Empfelungsschreiben überreicht hatte, sich öffentlich für seinen Beschützer erklärt, und ihn dem Präsidenten ausdrücklich zu einer baldigen Wiederbeförderung empfolen hatte. Er ward auch wirklich in den nächsten drey Monaten, zu den zweyen im Lande vacant gewordenen Pfarren vorgeschlagen. Nur war unglücklicher Weise, auf die eine schon vorher einem andern die Anwartschaft gegeben worden, und die andere hielt der Präsident zu wenig einträglich, obgleich Sebaldus meinte, sie sey einträglicher als seine verlassene Pfarre. Der Generalsuperintendent wiederlegte ihm dies, und gab ihm zu verstehen, daß man einem Manne wie Ihm, eine Specialsuperintendentur zu geben gedächte. Nun waren zwar alle Specialsuperintendenten des Fürstenthums in der Blüthe ihrer Jahre, befanden sich wohl an Fleisch und Knochen, aßen und tranken gut, und studirten sehr wenig, so daß man freilich keine Vacanz in kurzem gewiß vorausprophezeien konte. Da aber doch ein Schlagfluß den Gesundesten befallen kann, und ein hitziges Fieber auch keinen Specialsuperintendenten verschont; so war es nicht offenbar unmöglich, daß Sebaldus, der freilich nahe an sechzig Jahre alt, und vom Mangel und Kummer etwas gebeugt schien, bey dem aber übrigens alle Actus naturales sehr gut von statten gingen, eine solche Stelle vor seinem Ende noch erhalten könte.

Sebaldus ließ sich indessen, bis zur Erfüllung dieser Hofnung, die Zeit gar nicht lang werden. Er war bey seinem Freunde Hieronymus aufs freundschaftlichste aufgenommen. Weil er in desselben Laden immer bekannter ward, so fing er an, sich der Geschäfte desselben, wenn er verreiste, anzunehmen. Wenn hingegen sein Freund zugegen war, hatte er völlige Muße, an seinen Commentar über die Apocalypse zu arbeiten, welches ihm so angenehm war, daß er die Hofnung zu einer Pfarre vielleicht ganz vergessen haben würde, wenn sie Stauzius nicht, so oft er ihn zu Gaste bat, erneuert hätte.

Inzwischen war in den ersten Monaten des folgenden Jahres der allgemeine Frieden geschlossen worden. Der fremde Oberste rückte demselben zufolge mit seinen Truppen aus. Diese Veränderung brachte eine große Veränderung in den Herzen und auf den Gesichtern vieler Leute in dem kleinen Fürstenthume hervor. Insbesondere schienen der Präsident und der Generalsuperintendent, den ehrlichen Sebaldus nicht mehr so genau zu kennen als vorher. Sie liessen ihn nicht mehr zu sich bitten. Wenn er sich bey dem erstern anmeldete, so sagte der Bediente schon an der Thür, daß Se. Excellenz Mittagsruhe hielten, oder daß Sie eben Geschäfte hätten, oder daß Sie heute niemand sprächen. Wenn er den letztern zu sprechen verlangte, so kamen, nachdem er eine halbe Stunde in dem Visitenzimmer gewartet hatte, Se. Hochwürdige Magnificenz zwar im Schlafrocke, mit oder ohne Peruke zum Vorscheine, und vergaßen auch niemals beym Weggehen ihn Ihrer Gewogenheit zu versichern; aber, obgleich verschiedene Vacanzen vorfielen, so dachte doch niemand mehr daran, den Sebaldus vorzuschlagen.

Endlich ward nach ein paar Monaten eine Predigerstelle in einem benachbarten kleinen Städtchen offen, die Sebaldus unter andern deshalb gern gehabt hätte, weil Hieronymus den dasigen Viehmarkt zu besuchen pflegte, und er sich ein großes Vergnügen dabey vorstellte, seinen einzigen Freund jährlich zweymahl zu sehen, und in seinem Hause aufzunehmen. Er wagte es also, dem Generalsuperintendenten abermals aufzuwarten, und zum erstenmahle sich selbst um diese Stelle zu melden.

Stauzius warf die Sache nicht ganz weg; aber nach einigem Ha und Hem, fieng er an dem Sebaldus vorzustellen: »Wie er selbst einsehen würde wie nöthig es wäre, wenn von seiner wirklichen Beförderung die Rede seyn solte, daß er das gegebene Aergerniß höbe, vor dem Consistorium seine irrige Meinungen, besonders von der Ewigkeit der Höllenstrafen widerriefe, auch wegen der höchstwichtigen Lehre von der Genugthuung, dem Sinne der reinen symbolischen Bücher gemäß, sich erkläre; indem er sich mit Betrübniß erinnere, in Leipzig darüber von ihm eine höchstbedenkliche Aeusserung gehört zu haben.«

Sebaldus stand ganz erstaunt da, und sagte kurz: »daß er sich über diese Zumuthung wundere, daß er aber, um keines zeitlichen Vortheils willen, die Wahrheit die er erkenne, verläugnen würde.«

Stauzius verwies ihm, in nicht ganz völlig sanftem Tone, seine Hartnäckigkeit, gebot ihm von seiner ketzerischen Lehre abzustehen, und erinnerte ihn zulezt, indem er durch einen Griff an seine violette Mütze das Zeichen zum Abschiede gab, mit einem trocknen Amtsgesichte: »daß itzt die Zeit nicht mehr wäre, da man, durch feindliche Gewalt, in den Weinberg des Herrn einzudringen suchen müsse. Es sey itzt, Gottlob! Frieden.«

Als Sebaldus seinem Freunde Hieronymus diesen Vorgang erzählte, fand dieser bestätigt, was er schon längst befürchtet hatte, nämlich daß für den Sebaldus in dem Fürstenthume weiter keine Beförderung zu hoffen sey. Nach einigen Tagen erfuhr man, daß der Präsident einen Fiskal veranlasset habe, den Sebaldus fiskalisch anzuklagen, weil er im Kriege für fremde Truppen Recruten geworben, zehen wirklich aus dem Lande geschaft, und den Sohn des Generalsuperintendenten für Geld habe loslassen wollen. Sebaldus lachte über eine so ungereimte Anklage, und brannte vor Begierde sich vor Gerichte zu stellen, um durch bloße Erzählung der Wahrheit seine Feinde zu beschämen.

Hieronymus aber, der einige mehrere Erfahrung in Welthändeln hatte, versicherte ihn: »daß derjenige, der wissentlich eine falsche Anklage thue, nicht durch die Wahrheit beschämet werde; daß man einen mächtigen Mann alsdenn am meisten fürchten müsse, wenn er offenbar ungerecht anklage, und daß bey einem fiskalischen Processe nie etwas zu gewinnen, sehr oft aber viel zu verlieren sey.«

Nachdem beide den wahren Zustand der Sachen reiflicher überlegt hatten, so kamen sie überein, daß den mächtigen Feinden des Sebaldus seine Gegenwart im Lande zuwider wäre, und daß es für ihn sicherer seyn möchte, itzt abzuziehen, als sich mit Gewalt wegtreiben zu lassen.

Das Empfehlungsschreiben des Majors nach Berlin ward also hervorgesucht. Hieronymus schrieb auch eins, an einen seiner dortigen Handlungsgenossen, das, wenn sich nichts bessers fände den Sebaldus, wenigstens wieder zu der Würde eines Correctors erheben sollte, zugleich stellte er demselben eine Summe Geldes zu, welche er aus den bey ihm zurückgelassenen Mobilien gelöset zu haben versicherte, die aber Sebaldus Erwartung so sehr übertraf, daß er vermuthete und es sich merken ließ, sein Freund habe auch hier als Freund gehandelt.

Die Post nach Berlin war bestellt. Sebaldus, weil er noch nicht wußte, wie lang sein Aufenthalt in Berlin dauern könnte, nahm nur in einem kleinen Kuffer das allernothwendigste zu sich. Das übrige, worunter auch sein Commentar über die Apocalypse war, der schon zu ein paar hundert Heften angewachsen seyn mochte, ließ er bey seinem Freunde Hieronymus stehen.

Nun setzte er sich, nach zärtlichem Abschiede von seinem Freunde, auf den Postwagen, und trat seine Reise an.

In der zweyten Nacht ward der Postwagen, ohnweit der Brandenburgischen Gränze, in einem Walde unvermuthet von Räubern überfallen; sie schlugen den Postillion auf der Stelle tod, und Sebaldus, der der einzige Passagier war, empfing einen Schlag auf den Kopf, davon er betäubt zur Erden fiel. Als er wieder zu sich kam, war die Sonne aufgegangen, der Postillion lag todt ausgestreckt, der Postwagen war beraubt, und sein eigner Kuffer war gänzlich ausgeleert. Als er sich selbst besah, fand er, daß die Räuber ihm seine Kleider, deren schlechtes Ansehen sie vermuthlich nicht in Versuchung führen konte, gelassen hatten. Er fand auch noch etwas kleines Geld in einer Tasche. Seine beiden Recommendationsbriefe waren aber weg, welches ihn zwar bestürzt machte, doch, indem er sich erinnerte, daß er so klug gewesen, seinen Commentar über die Apocalypse zurückzulassen, welcher sonst auch der größten Gefahr verlohren zu gehen, würde ausgesetzt gewesen seyn: so war er in etwas getröstet. Er suchte aus dem Walde herauszukommen, und folgte der ersten Landstraße, die er fand, ohne zu wissen, wohin sie ihn führte.

Ende des zweyten Buchs.


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