Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Neunter Abschnitt.

Unter diesem Gespräche waren sie aufgestanden, und setzten es fort, bis sie vor das Haus kamen, wo ihr beiderseitiger Freund, der Major, wohnte, dem sie diesen Abend einen Besuch zugedacht hatten. Indem sie eben ins Haus traten, sahen sie, zu ihrem großen Erstaunen, daß der Armenschulmeister, Sebaldus Freund, von zwey Bedienten mit Gewalt die Treppe hinunter geworfen ward, denen der Pietist, mit welchem Sebaldus nach Berlin gekommen war, eiligst folgte, und mit weggewandtem Angesichte, die Hände über das Haupt zusammenschlagend, sich durch die Hausthür auf die Straße drängte. Herr F. und Sebaldus stießen die Bedienten zurück, die den wehrlosen und todtenblassen Schulmeister noch übler behandeln wollten, und der Major, der im Erdgeschosse wohnte, und bey dem heftigen Lärm seine Thür geöffnet hatte, nahm ihn in seinen Schutz, und führte ihn in sein Zimmer, wo er ihn in einen Armstuhl sich niedersetzen ließ.

Nachdem der Schulmeister wieder etwas Athem zu schöpfen anfieng, war die allgemeine Frage: »was die Ursache des Lärms gewesen sey, und was er mit dem im ersten Stockwerke wohnenden Edelmanne, dessen Bedienten ihm so hart begegnet, zu thun gehabt habe.«

Der Schulmeister antwortete bloß durch tiefes Schluchzen, und durch die kläglichsten Ausrufungen: »Ich elender Mann! ich unglücklicher Mann! ich bin ohne Rettung verloren!«

Sebaldus suchte ihn durch alle möglichen Gründe wieder zur Fassung zu bringen, der Major bot ihm seinen Arm, Herr F. seine Börse und alle sonst nur mögliche Hülfe an.

Vergebens! er wiederholte seine trostlosen Ausrufungen, mit den Geberden eines Verzweifelten begleitet, bedeckte dazwischen einmal über das andere sein Angesicht mit seinen beiden Händen, und weinte bitterlich.

Nach langem Zureden beruhigte er sich endlich so weit, daß er, mit vielen untermischten Seufzern, folgendes erzählen konnte.

»Sie wissen es, sagte er, in dem er sich zum Sebaldus wandte, und ihm wehmüthig die Hand drückte, wie ruhig und wie glücklich ich war. Obgleich arm, hatte ich doch mein Auskommen. Ich arbeitete, nebst meiner Frau, fleißig; und meine Tochter – o mein einziges Kind! Sie war nie ihren Aeltern ungehorsam gewesen, sie hatte uns nie den geringsten Verdruß gemacht, sie übertraf uns an Fleiß, sie machte uns mit ihrer künstlichen Arbeit Vergnügen; wenn wir Aeltern nur gerade die Nothdurft erwerben konnten, so verschaffte uns ihr Fleiß zuweilen einen festlichen Tag. Sie war mein Augapfel, ich war mehr als glücklich, als der heuchlerische Bösewicht, den sie haben aus der Thüre rennen sehen, meine ganze Glückseligkeit, die ich auf Erden habe, zerstörte. Er setzte sich in der St. Gertrautskirche oft neben mir, wo er auch wohl zuerst meine Tochter mag gesehen haben. Er suchte meine Bekanntschaft, indem er zwey arme Knaben in meine Schule brachte, für die, wie er sagte, gottselige Leute das Schulgeld bezahlen wollten. Er sah und lobte meiner Tochter Arbeit, er brachte in kurzem einen Menschen mit, der feine ausgenähte Arbeit bestellte, und reichlich bezahlte. Dieß war, wie ich hernach erfahren habe, der Kammerdiener des wollüstigen Müßiggängers, der in diesem Hause wohnt, ein undeutscher Kerl, ohne Redlichkeit, ohne Menschengefühl, den das Wimmern der zu Grunde gerichteten Unschuld so wenig rührt, als den Schlächter das Blöken des Lamms, dem er die Kehle abschneiden will. Mit diesem hat der schändliche Unterhändler vermuthlich den abscheulichen Entwurf ins Reine gebracht, mich und mein Kind ins Unglück zu stürzen. Er führte meine Tochter, in Gesellschaft ihrer Mutter, zu seiner Muhme, wie er sagte, einer Matrone, die ausgenähte Arbeit verfertigte, und verfertigen ließ. Sie schien mit meiner Tochter Arbeit zufrieden, zeigte ihr aber noch feinere, und gab ihr zu verstehen, daß sie dergleichen von ihr wolle verfertigen lassen, daß sie ihr mehrere Vortheile dabey zeigen wolle, nur müsse sie unter ihren Augen arbeiten. Mein Kind freute sich, mehr lernen zu können, und wir fanden kein Bedenken, sie in das Haus einer Matrone zu schicken, bey der alles ein frommes und verständiges Ansehen hatte. Sie gieng einige Monathe lang täglich in dieß Haus. Sie nahm an Geschicklichkeit zu, und wir glaubten, diese Bekanntschaft wäre ein Glück für unser Kind. Ach, leider! wir wußten nicht, daß sie schon unwiederbringlich unglücklich war. In den ersten Tagen ihres Aufenthalts in diesem Hause, war der junge Herr selbst, unter dem Vorwande Arbeit zu bestellen, dahin gekommen, er hatte meine Tochter gesehen, und ihre Arbeit gleichgültig gelobt. In kurzem ward er zudringender, die Wirthinn ließ ihn mit meiner Tochter geflissentlich allein, oder ward von ihrem Vetter zu andern Geschäfften gerufen. Nun wandte er alle verführerischen Künste an, um ein junges Herz zu gewinnen, das noch nicht gelernt hatte, sich gegen betrügerische Anlockungen zur Wehre zu stellen. Das süße Gift der Schmeicheley bethört wohl oft einen weisen gesetzten Mann, wie sollte ihm ein junges unerfahrnes Mädchen widerstehen können, das noch keinen hinterlistigen Menschen gesehen hatte, das jedes Herz für so ehrlich hielt, als ihr eigenes. Kurz, ihr ward ihre Unschuld geraubt. Die Folgen davon, ließen sich bald spüren. Sie ward kränklich, und das schreckliche Geheimniß konnte ihrer Mutter ferner nicht verborgen bleiben. Wir waren wie vom Blitze gerührt, aber Klagen und Verwünschungen waren zu spät, wir mußten nur unser armes Kind zu retten suchen, das in Kummer über ihren Fehltritt, den sie nun erst in seiner wahren Gestalt sah, sich das Leben abhärmte. Auf der andern Seite wollte der Verführer auch nicht eher von ihr ablassen, bis er ihrer völlig satt wäre. Er sandte täglich Botschaften und Briefe, die nicht angenommen wurden. Der Kammerdiener schlich sich einigemal ins Haus, wo ich ihn unsanft abwies. Endlich meldete sich heute der Unterhändler, der sich seit langer Zeit nicht hatte sehen lassen. Er betauerte, mit gleisnerischem Wortgepränge, den Unfall, den ich hätte erfahren müssen, und, nach vielen Umschweifen, kam er endlich auf seinen Antrag, nehmlich, daß ich mit dem Herrn selbst sprechen möchte, weil er mir Vorschläge thun wolte, die so vernünftig und billig wären, daß dadurch ein großer Theil des geschehenen Schadens könne ersetzt werden. So groß auch mein Widerwillen war, dem Verführer meiner Tochter ohne Verwünschung in die Augen zu sehen, so gieng ich doch mit dem dienstwilligen Unterhändler hin. Was meinen Sie, daß der vernünftige und billige Vorschlag war? (Hier drang ein Strom von Thränen aus seinen Augen:) Meine Tochter sollte Ausgeberinn bey dem Verräther ihrer Ehre werden, und ihr Vater sollte einen schimpflichen monathlichen Gehalt haben, um die Frucht des unerlaubten Umgangs zu erziehen. Hier konnte ich mich nicht mäßigen, ich stieß aus, was der Unwillen einem ehrlichen, obwohl armen Vater eingeben kann, dem ein vornehmer Wollüstling zumuthen darf, der Kuppler seiner eignen Tochter zu werden. Der Kammerdiener, der während der ganzen Unterhandlung eben so viel gesprochen hatte, als der Herr selbst, fand es sehr lächerlich, daß ich mich einem Arangément widersetzen wollte; daß der gnädige Herr der petite fille ja weiter nichts übels thun wollte, u. d. gl. Ich ließ meinen ganzen Unmuth aus, und wollte unverzüglich zur Thür hinaus, als der Unterhändler ins Mittel trat. Er versicherte, daß er den ersten Vorschlag selbst nicht billige, weil dadurch den Schwachen manches Aergerniß gegeben werden könnte; er erklärte also, daß der Kammerdiener meine Tochter heurathen, und das Kind als sein eigenes aufnehmen solte, dagegen werde ihn der gnädige Herr zum Haushofmeister machen, so bald er sich mit seinen Gläubigern völlig gesetzt habe, und wieder zum Genuß seiner Güter gekommen sey. Nein! länger konnte ich mich nicht halten. Eben so gern würde ich meine Tochter dem Büttel gegeben haben, der diesen Buben hätte brandmarken sollen, welcher das vornehmste Werkzeug der Verführung meiner Tochter gewesen war. Ich sagte nunmehr dem Herrn gerade heraus, daß ich sein Bubenstück auf keine Weise durch meinen Beytritt billigen wollte, daß ich die wenige Gerechtigkeit, die mir der Richter wiederfahren lassen könnte, aus allen Kräften suchen würde, und daß er mit meinem Willen meine Tochter nie wieder sollte zu Gesicht bekommen. Er kam darüber in die größte Wut, und befahl seinen Bedienten mich hinaus zu werfen; der Unterhändler wollte ihn zwar besänftigen, aber er hieß ihn auch zum Teufel gehen, und lief als ein Rasender in sein Kabinett.«

Als er seine Erzählung geendigt hatte, verbarg er abermals sein Angesicht in seine Hände, und überließ sich einer trostlosen Verzweiflung.

Alles, was Sebaldus und Herr F. thaten, um ihn aufzurichten, verfieng nichts. Er rief mit kläglicher Stimme aus: »Alle Hoffnung ist für mich verloren! Selbst die Gesetze haben keinen Schutz für mich. Mein Gegner darf mich ungestraft beleidigen, ungestraft unglücklich machen!«

»Nein! das soll er nicht!« rief der Major, der schon lange mit starrer Aufmerksamkeit zugehört hatte. »Wir wollen sehen, was der Bursche zu thun vermeint.«

Er rief seinen Reitknecht, ließ sich bey seinem Nachbar eine Treppe hoch melden, und ein Paar Minuten drauf nahm er seinen Hut und Degen, und stieg die Treppe hinauf, ohne erst Antwort zu erwarten.

Er fand den Edelmann im Vorsaale, im Begriffe auszugehen, um diesen Besuch zu vermeiden. Er wollte sogleich eine höfliche Entschuldigung stammeln, aber der Major trat gerade vor ihn, und sprach mit gerunzelter Stirn:

»Herr! sind Sie ein Edelmann?«

»Ich dächte, war die Antwort, ich könnte mich in ein hohes Stift aufnehmen lassen, wenn ich wollte. Aber um Vergebung, wozu diese Frage, die mich befremden könnte?«

»Wozu? weil ich dächte, daß ein Edelmann auch ein ehrlicher Mann seyn müßte, ehe er ein Edelmann seyn kann.«

»Wie so? – Mein Herr! Sie kommen in meine eigene Wohnung, mich zu beleidigen, geben sie wohl Acht,« –

»Herr, die Wahrheit ist gut zu sagen, wo es auch ist. Sie haben, Herr! eines ehrlichen Mannes Tochter verführt, und haben noch dazu den Vater gröblich beleidigt, das thut kein Mann der Ehre im Leibe hat, und das haben Sie gethan.«

»Herr Major, wenn ich nicht für Ihr Alter Achtung hätte, – so würde ich... Aber parbleu ich weiß auch noch nicht, was Sie von mir eigentlich wollen. Meinen Sie etwa den Kerl, der eben hier war? der geht mich gar nichts an. Mein Homme de Chambre hat mit seiner Tochter was zu thun gehabt, und darüber lärmt der Vater. Aber er hat Unrecht, denn mein Homme de Chambre will das Mensch heurathen.«

Der Kammerdiener trat vertraulich hervor, und versicherte den Major, in gebrochenem Deutsch, daß er noch zur Heurath bereit sey.

Der Major sah ihn flämisch über die Achsel an, und sagte: »Patron, wenn ich mit dir werde reden wollen, so werde ich dirs sagen. – Mit Ihnen habe ichs zu thun, Herr! der Sie sich ins Herz schämen sollten. Meinen Sie, Herr, daß ich nicht weiß, wer mit dem Mädchen zu thun gehabt hat? Denken Sie, Herr, daß die Tochter eines ehrlichen Mannes, weil Sie sie geschändet haben, nun für Ihren Kuppler gut genug ist?«

»Das ist doch besonders, – ganz besonders; – und Sie mäßigen sich noch dazu gar nicht in Worten; – lassen Sie doch die Leute die Sache ausmachen, die Sache geht mir ja gar nichts an; – und darf ich fragen, wie Sie dazu kommen, daran Theil zu nehmen?« –

»Wie? Herr! weil der Mann mein Freund ist.« –

»Ah pardi! das ist eine andere Sache. Ich habe nicht gewußt, daß Sie unter Leuten solcher Art auch Freunde hätten.«

»Ja, Herr! Ich schäme mich nicht, eines ehrlichen Mannes Freund zu seyn, und scheue mich nicht, jeden Schurken zur Rede zu setzen, der einem ehrlichen Manne ungestraft Unrecht thun will.«

»Ich bin ganz betroffen, Herr Major; da ich gar nicht die Ehre habe, Sie zu kennen, kommen Sie in meine Wohnung, und sagen mir voll Ungestüm Dinge vor, die – – ich weiß gar nicht – Was verlangen Sie denn, daß ich dem Manne und dem Mädchen thun soll?« –

»Herr! Genugthuung sollen Sie beiden geben, und – doch, durch welche Genugthuung können Sie ein solches schimpfliches Verfahren wieder gut machen!« – Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

»Sie sehen also selbst, Herr Major, daß ich bey der Sache nichts weiter thun kann; und wenn mein Homme de Chambre das Mädchen heurathet, und ich ihr in Ansehung seiner, ein Heurathsgut gebe.« –

»Nein, Herr! mir sollen Sie Genugthuung geben, weil Sie ein Schurke sind, und sich unterstehen, mit mir unter Einem Dache zu wohnen;« – und hiemit zog er den Degen.

»Herr Major! hören Sie doch vernünftige« –

»Herr! zieh' Er, oder, straf mich Gott! ich will Ihm zeigen, daß Er nicht werth ist einen Degen an der Seite zu tragen.«

»Gut! Herr Major! ich will Ihnen Satisfaktion geben, – aber auf Pistolen; – – ich schlage mich nicht anders, als auf Pistolen.«

»Herr! mach' Er kein Federlesens, zieh Er auf der Stelle, oder ich will Ihn –«

Dem Edelmann blieb nichts übrig, als den Degen zu ziehen. Der Major drang auf ihn ein. Der Kammerdiener kam seinem Herrn mit gezogenem Hirschfänger zu Hülfe, und plötzlich fuhr der Hirschfänger tief in des Majors Rücken, ob von ungefähr, oder vorsetzlicher weise, sey dahin gestellt.

Franz, der Reitknecht, faßte den Kammerdiener in die Gurgel, und gab ihm einen Deutschen Faustschlag auf den andern ins Gesicht. Der Major lag in seinem Blute, der Edelmann machte ihm eine verbindliche Entschuldigung, wegen dieses unglücklichen Vorfalls, die der Major bloß mit einem Blicke voll Verachtung beantwortete. Herr F. schickte nach der Wache. Der Kammerdiener ward in Verhaft genommen, der Edelmann bekam Hausarrest. Der Major ward in sein Bette gebracht und von einem Wundarzte verbunden, und der Schulmeister, den seines Vertheidigers Unfall, noch mehr wie sein eigener, außer aller Fassung gebracht hatte, ward halb todt in eine Miethskutsche gesetzt, und von Herrn F. und von Sebaldus nach Hause gebracht.


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