Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

Es ist Zeit, daß wir zum Sebaldus zurückkehren, den wir auf dem Pferde des Verwalters verlassen haben, auf dem er voranritt, um in dem nächsten Dorfe, für die nachkommende Gesellschaft, eine Mittagsmahlzeit zu bestellen. Der Fuhrmann hatte ihn versichert, daß der Weg nicht zu verfehlen sey. Dieß war auch vielleicht einem Fuhrmanne nicht möglich, aber wohl einem Manne, wie Sebaldus, der selten ganz genau auf die Dinge Achtung gab, die um ihn waren, am wenigsten auf das Gleis einer Landstraße. Er war kaum einige hundert Schritte fortgeritten, als er anfieng, sich in eine Betrachtung über die zweyte Posaune in der Apokalypse zu vertiefen; dahingegen sein Pferd, welches fühlte, daß der Zügel an der Mähne hinabhieng, sich kurz darauf an einen vier Schritt vom Wege stehenden Heuschober machte. Sebaldus merkte, nach einigen Minuten, daß das Pferd stille stand, und spornte es an, ohne es zu lenken. Es trabte daher gerade fort, über Wiesen und Brachfelder, bis es wieder auf einen Weg kam. Nachdem Pferd und Mann auf demselben ein Paar Stunden fortgeeilt hatten, wunderte sich Sebaldus, daß er noch kein Dorf vor sich sahe; doch ließ er sichs gar nicht träumen, daß er den rechten Weg könnte verfehlt haben. Nach einiger Zeit erblickte er ein Dorf. Er zweifelte gar nicht, daß es das rechte wäre; ritt vor den Krug, stieg vom Pferde, und übergab es einem vor dem Hause stehenden Knechte, der es seitwärts nach dem Stalle zu, führte. Er selbst gieng sogleich ins Haus, bestellte die Mittagsmahlzeit für vier Personen, und setzte sich in die Gaststube, um sich auszuruhen. Nachdem er so eine Weile unter einem Geräusche von vielen Menschen gesessen hatte, stand er auf, um seiner Gesellschaft entgegen zu gehen, weil er aus der Länge der verfloßnen Zeit schloß, daß sie schon dicht vor dem Dorfe seyn müßte. Er wanderte fort, das Gemüth voll von dem doppelten Vergnügen, seine Tochter bald wieder zu sehen, und eine neue Erklärung der zweyten Posaune erfunden zu haben. Er hieng sonderlich diesem letztern Vergnügen so stark nach, daß er, nach geraumer Zeit, aus untrieglichen Kennzeichen merkte, er sey auf einem ganz andern Wege, als auf dem er gekommen war; denn er befand sich dicht vor einem andern Dorfe, und merkte, aus der Höhe der Sonne, es sey wirklich Mittag. Er eilte also zurück, und fand, zu seinem großen Erstaunen, daß die Gesellschaft noch nicht angekommen war. Er befürchtete, ihr möchte ein Unglück begegnet seyn, er foderte sein Pferd, um ihr entgegen zu reiten. Aber wie erstaunte er, da niemand von seinem Pferde etwas wissen wollte. Er hatte, wie es scheint, einen fremden Kerl für einen Knecht aus dem Hause angesehen, und ihm sein Pferd gegeben, der sich aber, so bald er sahe, daß Sebaldus im Hause war, darauf geschwungen und es fortgeritten hatte. Er war also um seine Gesellschaft und um sein Pferd gekommen, und hatte zum Troste nichts, als seine apokalyptische Entdeckung, und ein übergahres Mittagsessen auf vier Personen, davon er sich, so hungrig er war, doch nicht zu essen getrauete, weil er immer noch auf die Ankunft seiner Gesellschaft hoffte. Endlich nöthigte ihn der Hunger doch, sein Antheil davon zu verzehren, und die Wirthinn nöthigte ihn, das ganze zu bezahlen.

Er wartete diesen und noch ein Paar folgende Tage auf seine Gesellschaft, und war in der größten Verlegenheit, da sie nicht ankam. Er hatte weder den Namen des Dorfes, wo er auf sie warten sollte, noch den Namen der Gräfinn, noch den Namen ihres Gutes behalten. Er sahe sich also auf einmal wieder in die weite Welt versetzt. Sein einziger Trost war, daß er des Hieronymus Empfehlungsbrief an den Kammerjunker in Holstein, und noch so viel Geld bey sich hatte, um dahin zu reisen. Da er also von der Wirthinn erfuhr, daß die Post nach Holstein den andern Tag durch das Dorf gienge, so setzte er sich, ohne ferneres Verweilen, darauf.

Er kam in wenigen Tagen, ohne weitern Zufall, bey dem Kammerjunker an, der sich auf seinen Gütern aufhielt. Dieser hatte, als er am Hofe war, den Mangel des Verstandes durch reiche KleiderS. Wilhelmine S. 99. zu ersetzen gesucht. Nachdem er aber, durch seine Heurath mit einer reichen alten Wittwe, in den Stand gesetzt war, den Hof zu verlassen, und sich auf seiner Frauen Güter zu begeben, verdeckte er den oben gedachten noch immer fortdauernden Mangel durch eine andere Art von Virtu. Er schaffte sich eine Sammlung von antiken und modernen Münzen und Gemmen, von Kopien und Abgüssen alter Statuen und Basrelieffe, und von allerhand ächten und unächten Griechischen und Römischen Alterthümern an. Diese Sammlung zu vermehren, zu ordnen, seinen Besuchern zu zeigen, und darüber zu schwatzen, war seine hauptsächlichste, einer verständigen und gelehrten so ähnlich scheinende Beschäfftigung, daß er sich oft selbst einbildete, er habe Verstand und Gelehrsamkeit. Freylich gieng es ihm mit seinem Kabinette zuweilen, wie sonst mit seinem Kleiderputze. Bey diesem mußte oft Straß anstatt Juwelen, Plüsch statt Sammet, und ein bunter Lack von Martin, statt Goldes dienen. Eben so war auch jenes, anstatt wahrer Alterthümer, Münzen und Gemmen, meist mit allerhand Lumpenzeuge angefüllt, welches den größten Werth davon hatte, daß es zerbrochen, beschmutzt und unbrauchbar war. Der kleine Mann war aber in allen antiquarischen Kenntnissen, durch die er hätte einsehen können, daß seine Alterthümer lange nicht alt genug wären, glücklicherweise so unwissend, daß ihm seine alten Lampen, Urnen, Opferbeile, Scheidemünzen und Petschafte, vollkommen eben das Vergnügen machten, was sie einem ächten Alterthumskenner würden gemacht haben, wenn sie tausend Jahre älter gewesen wären. Er hatte weiter keine Kenntnisse, als die er aus einigen Kompendien und Journalen aufraffte, und die ihm diejenigen einprägten, die ihm Münzen und Gemmen verkauften. Er fand diese auch zu seinem Zwecke, sich als eine wichtige Person zu fühlen, so vollkommen hinlänglich, daß er nicht daran dachte, andere und bessere zu erwerben; zumal da er noch dabey die glückliche Gabe hatte, wenn er gelehrte Leute reden hörte, still zu schweigen, und das, was sie gesagt hatten, in der nächsten Viertelstunde wörtlich, als seine eignen Gedanken, zu wiederholen, welches in vielen Vorfällen beynahe eben die Dienste that, als ob er selbst gedacht und geurtheilt hätte.

Der hochwohlgeborne Kenner empfieng den Sebaldus mitten in seinem Kabinette, wo alle seine Herrlichkeiten zur Schau ausgestellt waren, sitzend auf einer Sella curulis, nicht zwar von Elfenbein, doch aber von weiß angestrichnem Holze, mit bloßem halbgeschornem Haupte, wie ein Römischer Konsul, und in einem Schlafrocke, der nach dem ächten Modell einer Trabea zugeschnitten war, welches ihm, gegen reichliche Bezahlung, von einem gelehrten Professor, war mitgetheilt worden, der ausdrücklich die Schneiderkunst gelernt hatte, um den ächten Schnitt dieses Römischen Feyerkleides endlich einmal herauszubringen: welches so vielen grundgelehrten Leuten, die über die Kleidung der Alten geschrieben haben, vielleicht bloß deswegen noch bisher nicht hat gelingen wollen, weil sie alle nicht wußten, ob man einen Pelzmantel in die Länge oder in die Quere des Zeuges zuschneiden muß.

Nachdem er des Hieronymus Brief gelesen hatte, versicherte er den Sebaldus zwar sehr ernsthaft seiner Gnade; (denn seitdem er reich geworden, ergriff er gern jede Gelegenheit, wobey er den Mäcen spielen konnte;) doch bedauerte er es, daß er einen so grundgelehrten Mann, wie Sebaldus, nicht zu seinem Bibliothekar haben könnte, weil diese Stelle bereits durch einen gelehrten Magister besetzt worden, der ein Schwestersohn eines Mannes war, der ihm viele Alterthümer, und noch kürzlich einen raren Kameo, in ächten Ambra, und nicht etwa in Bernstein geschnitten, verkauft habe. Indessen lud er ihn doch auf den andern Morgen zum Frühstück ein.

Dieß letztere geschahe nicht sowohl des Sebaldus, als sein selbst wegen; denn, weil es seinen Nachbarn, die ohne dieß von allen Alterthümern aufs höchste alte Pokale und alte Bankothaler liebten, schon bekannt war, daß unser gelehrter Landjunker diejenigen, die er einmal in sein Kabinett bekommen konnte, so bald nicht wieder herausließ, so konnte er nur sehr selten jemand finden, der es besehen wollte.

Der gute Sebaldus, der von aller Kennerschaft weit entfernt war, mußte, unter manchem Gähnen und Räuspern, wirklich über fünf Stunden aushalten. Zuerst ward er in einen Saal geführt, wo verschiedene Abgüsse von berühmten antiken Bildsäulen aufgestellt waren. »Man muß damit, sagte der Besitzer, schon zufrieden seyn, weil man die Originale nicht haben kann.« Er gieng ziemlich geschwind dabey vorüber, doch fuhr er seiner Venus von Medicis sanft über den Rücken herunter, und fragte den ganz erstaunten Sebaldus, ob ihm derselben Hintertheile auch so wohl gefielen, als dem gelehrten Smollet.S. Smollets Reisen, nach der Deutschen Uebersetzung, S. 297. Ohne Antwort zu erwarten, wandte er sich schnell zu seinen geliebten originalen Antiken, bey deren Deutung er sich weitläufig aufhielt. Da war mehr als eine dickbäuchige Venus, und dickplünschige Minerva, desgleichen verschiedne Apolle, die wie Schneidergesellen aussahen, breitschultrige Merkure, und Jupiter mit spitzen Stirnen und aufgestutzten Nasen. Von da kamen sie in verschiedene Zimmer voll zerbrochner Urnen, Töpfe und Teller, voll rostiger Degenklingen und Beile, und einer unzählichen Menge unbrauchbares Hausgeräthes, woraus mit Verwunderung zu ersehen seyn sollte, daß die Leute vor tausend Jahren Messer, Schnallen und Schlüssel gehabt hätten, beynahe eben so, wie wir. Von da traten sie ins Allerheiligste, wo die Gemmen und Münzen aufbehalten wurden. Mitten im Zimmer stand des berühmten Lipperts Sammlung von Abgüssen auf einem zierlichen Gestelle. Der Kammerjunker machte ein Paar Schubladen davon nachläßig auf, und sagte: »Sie sind ganz artig, aber doch nur Abdrücke, ich halte auf Originale.« Er besaß wirklich eine große Menge von plumpen und verzerrten Gesichtern, sehr stumpf in allerhand Steine geschnitten, denen er einen großen Werth beylegte. Er zeigte auch seine Münzen, auf deren vielen er dem Sebaldus den edlen Rost bemerken ließ. Sie waren alle unverfälscht antik, und zu mehrerer Bequemlichkeit in sehr dicke Pappen gefaßt, so daß man Seite und Rückseite, nicht aber die Ränder sehen konnte. Er versicherte, daß diese Einrichtung sehr niedlich wäre, und daß ihm die ganze Sammlung von einem gelehrten Antiquare, so gefaßt, sey verkauft worden. Was er aber mehr, als alles, zu schätzen schien, war eine Sammlung von Belagerungsmünzen und Nothmünzen. Er hatte in der That viele Stückchen gestempeltes Blech, Zinn und Leder, nebst Stückchen von silbernen Tellern mit allerley Figuren. Er sagte, mit erhabener Nase, er besitze nicht wenig solche Münzen, die selbst der berühmte Klotz in seinem gelehrten Werkchen de nummis obsidionalibus nicht gekannt habe, und er hoffe in kurzem ein kapitales Stück zu erhalten, nehmlich eine Nothmünze, in einer der Festungen geschlagen, die der berühmte Oberste Shandy durch seinen Feuerwerksmeister Trim mit ledernen Kanonen beschießen ließ.

Indem er so mit großem Eifer seine Seltenheiten herausstrich, erblickte er von ungefähr an des Sebaldus Finger dessen Petschierring, worinn ein Anker gegraben war.S. Wilhelmine S. 50. Ey! rief er aus:

»Ey! Was für eine schöne Antike haben Sie da?«

Sebaldus versicherte ihn, daß der Ring sehr modern sey, und von einem Petschierstecher in einer kleinen Stadt in Thüringen sey gegraben worden.

Der Antiquar versetzte, mit sonderbar schlauer Miene:

»Ja! ja! aber, ob er gleich modern ist, so möchte ich ihn doch wohl haben. Die Kameen – – – von einer gewissen Farbe, – – – von einem edlen Ziegelroth – – – gefallen mir. Ich will ihn Ihnen abkaufen.«

Sebaldus antwortete: er habe diesen Ring bisher zum Andenken seiner Wilhelmine getragen, wenn er aber würdig sey, in dieses Kabinett aufgenommen zu werden, so wolle er ihm solchen schenken. Der Kammerjunker ließ sich die Schenkung nochmals mit einem Handschlage bestätigen; und nun konnte er seine versteckte Freude nicht mehr bergen. Er drückte dem Sebaldus die Hand, zeigte ihm hin und wieder ein Pünktchen auf dem Steine, versicherte, mit selbstzufriedner Miene, er sey ein Kenner antiker Arbeit; der Stein, sey ungezweifelt, ächt antik, und für ihn unschätzbar, weil er eine Form von Ankern abbilde, die weder Bayfius noch Amnelius, in ihren Werken de re nautica veterum angeführt hätten. Nunmehr nahm er den Sebaldus, welcher verstummte, und sich nicht getraute, dem gelehrten Kenner zu widersprechen, im Ernste in seine Protektion, gab ihm sogleich ein Zimmer in seinem Schlosse ein, und verschaffte ihm, in wenig Tagen, die Stelle eines Hofmeisters bey dem Sohne eines Pfarrers in einem benachbarten Städtchen.

Sebaldus schrieb an seinen Freund Hieronymus, um ihm die Unfälle seiner Reise, seine Ankunft bey dem Kammerjunker, und seine Beförderung zu melden; bat ihn um Nachrichten von Marianens Aufenthalte, und gieng darauf nach seinem neuen Posten, zum Archidiakon Mackligius ab.


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