Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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In diesem Zustande blieben die Sachen einige Tage, in denen Sebaldus, alles was Elend und Kummer schreckliches haben kann, ausstehen muste. Ohne Nahrung, ohne Lager, war er den ganzen Tag dem Lärmen und dem Spotte roher Soldaten ausgesetzt, und innerlich nagte ihn der Kummer, daß er seinen Wohlthäter den Markthelfer mit sich unglücklich gemacht hatte. Es war nicht abzusehen, in welches tiefe Elend dieser Vorfall beide stürzen konnte, und er kannte keinen Freund der ihm helfen wollte, oder wenn er gewollt hätte, konnte. Mit diesen traurigen Gedanken beschäftigte er sich eines Tages, als der Unterofficier der ehemahls durch seine Predigt zehen Recruten erhalten hatte, in die Wache trat, um sich nach einem Arrestanten zu erkundigen. Er erblickte unter andern den Sebaldus, lief auf ihn zu, drückte ihm treuherzig die Hand, und fragte wie er hieher käme. Sebaldus erzählte es kürzlich. Der Unterofficier schwor mit einem kräftigem Fluche, daß ein so rechtschaffener Mann nicht länger im Gefängnisse bleiben sollte, gieng stehendes Fußes zu seinem Major, der das Bataillon commandirte, und in weniger als einer Stunde kam er zurück, befreyete sowohl Sebaldus als den Markthelfer, und führte den erstern sogleich mit sich zu seinem Major.

Der Major war ein Mann in seinem sieben und funfzigsten Jahre, der von seinem funfzehnten Jahre an, Soldat gewesen und von untenauf gedienet hatte. Er war brav wie sein Degen, aber seine moralischen Grundsätze würden, wenn man sie nach Millers Einleitung in die Mosheimische Sittenlehre hätte prüfen wollen, freilich sehr unzusammenhängend und widersprechend erfunden worden seyn. Er glaubte die Unsterblichkeit der Seele nicht; und bekümmerte sich doch sehr wenig um die Fortdauer seines Lebens, sondern setzte es sehr oft, ohne die äusserste Nothwendigkeit, in Gefahr. Er war eben nicht sehr religiös, und war auch eben nicht ein Lobredner des geistlichen Standes; dennoch aber ehrte und beschützte er ihn vor allen andern. Er ging selten in die Kirche; aber seine Soldaten hielt er sehr streng dazu an. Er schwor und fluchte sehr oft; aber kein Subaltern durfte fluchen wenn ers hörte. Er war aus Temperament keusch; aber auf einen jungen Soldaten, von dem er wußte daß er sich niemals in ein Mädchen verliebt hatte, ließ er beständig Acht geben, weil er sich nicht viel gutes zu ihm versahe. Sein Versprechen, wenn er es einmahl gegeben hatte, war unwiderruflich; gleichwohl widersprach er seiner eignen Meinung schnell, so bald er merkte, daß er möchte geirret haben. Er beleidigte kein Kind; aber beleidigt, war er äußerst rachgierig; aus dem Grundsatze: Ein braver Mann müße nichts auf sich sitzen laßen.

Als Sebaldus vor ihm erschien, nahm er ihn bey der Hand, und dankte ihm für die zehen schöne Rekruten, die er durch seine geistreiche Predigt, dem Bataillon verschaft hätte. Als ihm aber Sebaldus erzählte, welche traurige Folgen diese Predigt für ihn und seine Familie gehabt habe; gerieth er in ein tiefes Nachsinnen, worin er den Sebaldus von Zeit zu Zeit anblickte, und als dieser fortfuhr zu erzählen, daß der Superintendent Stauzius die eigentliche Ursach seines Unglücks, und daß eben dieser Stauzius der Vater des arretirten Rekruten sey, sprang er auf, und rief mit einem kräftigen Schwur aus: »Wohl mir, daß ich den alten Schurken in meiner Gewalt habe! So lange ich in Feindes Land bin, habe ich noch keinen Menschen gepeinigt, aber Herr! den Bösewicht will ich peinigen. Sein Sohn soll ewig Soldat bleiben, und den alten Bärenhäuter will ich krumm schließen lassen bis er alles Unrecht ersetzt, daß er einem so braven Mann wie Er, Herr Magister! gethan hat!« Hier rief er den Unterofficier herein: »Hör', sagte er, den Augenblick, arretire den fremden Superintendenten im blauen Hechte, der Kerl ist ein Spion, er ist –« Hier schloß ihm der Zorn den Mund. Der Unterofficier, der einen Theil des Unrechts wußte, dessen Stauzius schuldig war, strich sich den Bart, und sagte lächelnd, daß er eben unten im Hause wäre, und daß er ihn schon seit einer Stunde nicht aus den Augen gelassen hätte. »Gut! so laß den Schurken gleich heraufkommen«, rief der Major.

Sebaldus bat gehört zu werden, und ließ nicht ab zu bitten, daß er den Superintendenten wenigstens nur itzt, in dieser Gemüthsverfassung, nicht sehen möchte. Der Major ließ sich bewegen, und rief zur Thür hinaus, der Gefangene solte warten.

Sebaldus fing nun an dem Major weitläuftig vorzustellen, daß ihm mit dem Unglücke der beiden Stauze gar nicht gedient sey, daß seine Absicht gewesen sey die Rettung des Sohnes zu bewirken, daß er dem Vater von Herzen vergebe, daß Religion und Moral ihm verböten Rache zu hegen. –

»Zum Tausend Element, Herr! rief der Major; lasse er sich von der Religion verbieten, was er will, mir soll sie nimmer verbieten, daß ich einen Schurken bestrafe, und einem ehrlichen Manne Recht verschaffe, wenn ich zu beiden die Gewalt in Händen habe.« –

»Sie wollen gerecht gegen meinen Feind seyn, Herr Major, seyn Sie es auch gegen mich, was sollen tugendhafte Leute von mir denken, wenn ich eine so grausame Rache an meinem Feinde nehme? –«

»Was sie denken werden? Herr! daß er Recht hat! Der alte Bösewicht hat ihn nicht allein von Haus und Hof gebracht, er ist auch am Tode seiner Frau schuld, er hat seine Kinder unglüklich gemacht. Herr! ich habe nie Frau oder Kinder gehabt, aber straf mich Gott! hätt ich sie, so würde ich sie lieben wie meine Seele, und wer mich darum brächte, den haßte ich bis in den Tod, und wolte ihm den Degen durch die Rippen jagen, sobald ich ihn vor mir hätte –«

»Aber wollten ihm doch nicht durch einen andern hinterrücks einen Dolch in die Seite stoßen laßen?« –

»Herr! Herr! – Wofür sieht er mich an? das Weiße im Auge sehe ich selbst meinem Feinde, und laß ihn denn sich vertheidigen wenn er kann.«

»Mein Feind, Herr Major, kann sich nicht vertheidigen. Ist es Ihnen anständig, einem vertheidigungslosen Manne den Dolch ins Herz zu stoßen? Würde es mir anständig seyn? Mein Stand verbietet mir, Unrecht mit dem Schwerdte zu rächen, meine Religion gebietet mir, es zu vergeben und Böses mit Gutem zu vergelten. Ich wäre nicht werth Friede und Versöhnung gepredigt zu haben, wenn ich durch Sie, an meinem Feinde, der ohne Vertheidigung in Ihrer Gewalt ist, mich rächen, wenn ich diese schreckliche Rache, bis auf einen unschuldigen Jüngling erstrecken wolte, der mich nie beleidigt hat, noch mehr, der mein Gastfreund ist, der in meiner elenden Schlafstelle Schutz und Zuflucht gesucht hat. – Nein Herr Major erniedrigen Sie mich nicht so sehr. – Lassen Sie den jungen Menschen frey. Lassen Sie mich an dem Vater eine viel edlere Rache nehmen, die Rache, zu empfinden daß der, den er beleidigt hat, sein wahrer Freund ist. Seine Bestrafung überlassen Sie seinem eigenen Gewissen, das in niemand schläft, der eine böse That gethan hat.«

»Blitz und Hagel! daß ein Pfaffe nobler denken soll als ein Soldat! – Herr er hat Recht! –« (hier wischte er ein Paar Thränen ab, die ihm über seine grauen Augenwimmern tröpfelten) »Der junge Kerl soll los. Aber kein Capitain würde ihn umsonst losgeben, das will ich auch nicht. Ich will ihn dem Hauptmanne bezahlen, aber Ihm Herr Magister soll der Vater das Lösegeld geben; ich schenke ihm den Rekruten zwar, aber ich will das Lösegeld bestimmen.«

Sebaldus mochte einwenden was er wolte, der Major schritt nach der Thüre zu, und rief den Superintendenten hinein.

Stauzius, der mit Schrecken die Wendung gesehen hatte, die diese Sache nahm, war vor Angst halb außer sich, und trat in der Stellung eines armen Sünders hinein. Der Major sahe ihn von oben bis unten an, und sagte: »Sein Sohn Herr! ist ein Deserteur und muß hängen, oder 36 mahl Spießruthen laufen. Einen so schlechten Kerl, wie er ist, Herr Superintendent, oder was er sonst seyn mag, zu gefallen, würde ich ihm zwar nimmermehr losgeben, aber hier steht ein ehrlicher Mann, auf dessen Fürbitte soll ihm nicht allein die Strafe erlassen seyn, sondern er soll seinen Sohn auch loshaben, wenn er tausend Thaler für ihn zahlt.« –

Stauzius halb erfreut halb bestürzt stellte stammelnd vor, »daß eine so starke Summe nicht möglich wäre.« –

»Herr! raisonnire er nicht. Der Kerl hat 11 Zoll, er soll 1000 Thaler geben, und zwar keine Bernburger, oder sein Sohn soll Gassen laufen, und ihn will ich hinstecken lassen, wo ihn Sonne und Mond nicht bescheint, weil er ein Schurke ist, und dieser Herr Magister hier ein ehrlicher Mann ist, den er ums Amt gebracht hat, und raisonnire er kein Wort weiter.«

Stauzius, wuste sich vor Schrecken nicht zu fassen, seine Frau hatte ihm eingebunden, ihr nicht eher vor die Augen zu kommen, bis er ihren einzigen Sohn mitbrachte, und der Präsident, der für den jungen Menschen beständig eine beynahe väterliche Zärtlichkeit hegte, hatte ihm zu dessen Befreyung eine ansehnliche Summe in Golde mitgegeben, wodurch seinem eigenen Geize die Ranzion sehr erleichtert ward. Er bequemte sich also und zahlte in 77 Stück alten Louisdoren, das Stück zu 13 Rthlr. gerechnet, das ganze Lösegeld auf den Tisch.

Der Major nahm es an, und überreichte es dem Sebaldus, der während der ganzen Unterhandlung, ob er gleich einigemahl zu reden versucht hatte, von dem Major nie war zum Worte gelassen worden. »Dies soll, sagte er, eine kleine Ersetzung des Schadens seyn, den der Kerl ihm zugefügt hat.«

»Herr Major, sagte Sebaldus, Sie haben mir den jungen Menschen geschenkt. Schenken Sie mir ihn ganz, nehmlich mit der Freiheit ihn wieder zu verschenken. Er hat Schutz in meiner Wohnstäte gesucht, diesen Schutz kan ich ihm nicht verkaufen, ohne geradezu wider meine Denkungsart zu handeln. Was mir dieser Herr kann zuwider gethan haben, habe ich ihm längst vergeben. Er hat gesucht für die Reinigkeit der Lehre zu wachen, ich muß noch weit mehr bemüht seyn für die Reinigkeit meiner Handlungen zu sorgen. Hier, Herr Generalsuperintendent, nehmen sie das Geld zurück.«

Stauzius stand da, wie ein Knabe, dem ein Gast einen Leckerbissen in den Mund stecken will; der Mund läuft voll Wasser, aber er trauet sich nicht ihn aufzuthun, aus Furcht vor dem Präceptor, der es verboten hat. Er sahe den Major mit furchtsamen Augen an, der ihn mit einem grimmigen Blicke abschreckte.

Sebaldus hörte indessen nicht auf, bey dem Major ernstlich anzuhalten, der endlich den Sebaldus auf die Achsel schlug, und sagte: »Nun thue er was er will. Ich möchte gern böse seyn, wenn ich nur könnte.«

Sebaldus gab dem Stauzius das Geld, der es begierig in die Tasche schob, und den Sebaldus, mit einem Eifer umarmte, der genugsam zeigte, daß ihm sein Geld nicht weniger lieb war, als sein Sohn. Er nennte ihn seinen Erretter, er bat ihn sehr demüthig um Verzeihung, er versicherte, daß er auf ewig dankbar seyn werde, daß er erkenne, wie großmüthig er gehandelt, da er ihm, ohne Rache, die er gänzlich in seiner Gewalt gehabt hätte, vergeben wolle, da er nicht einmahl die Ranzion seines Sohnes annehmen wolle –

»Genug hievon; fiel ihm Sebaldus in die Rede: Gott vergiebt ohne Sühnopfer und Lösegeld – und wer Gott fürchtet, wird ihm nachzuahmen suchen. Wenn Sie erkennen, daß Sie mir unrecht gethan haben, so bin ich gänzlich befriedigt.«

Stauzius versicherte aufs heiligste, er erkenne dies, aber es sey nicht genug, er wolle seinen Schaden aufs thätigste zu ersetzen suchen, er verspreche ihm, wenn er wieder nach Hause zurückkommen wolle, daß er die erste gute Versorgung, die in seiner Macht stünde, haben solle.

Sebaldus dankte für seinen guten Willen, aber verbat ihn.

Der Major sagte, es sey unnöthig, denn er wolle dem Sebaldus die erste vacante Feldpredigerstelle, und wo möglich bey seinem eignen Bataillon verschaffen, bis dahin nehme er die Sorge für dessen Unterhalt auf sich.

Unter diesen Gesprächen trat der junge Stauz in das Zimmer, den der Major frey erklärte, und ihn seinem Vater übergab, der nicht eher nachließ, als bis ihm Sebaldus, in den blauen Hecht, zum Mittagsmahle, nachfolgte.


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