Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Zwölfter Abschnitt.

Herr F. und Sebaldus lebten nun den Winter über sehr eingezogen. Ihre Unterhaltung, die durch die Gesellschaft des Majors sonst mannichfaltiger gewesen war, ward nun viel einförmiger. Sie bestand mehrentheils aus gelehrten Unterredungen, welche aber sehr bald das gewöhnliche Schicksal gelehrter Unterredungen unter vier Augen hatten, die weniger gemeinnützig und lehrreich werden, wenn jeder dem andern sein eigenes Steckenpferd vorreiten will. Herr F. hatte sich auf den Sensus kommunis ein Lehrgebäude der Sittenlehre und der natürlichen Theologie gebauet, welches dem Sebaldus gar nicht einleuchten wollte, als welcher seine Ethik, als ein ächter Crusianer, auf die Thelematologie gründete. Sebaldus hingegen wollte seiner seits seinem Freunde auch seine neuen Entdeckungen über die Apokalypse mittheilen, welche aber gar kein Gehör fanden, sondern vielmehr gerade zu ausgelacht wurden, weil Herr F. schon längst bey sich ausgemacht hatte, daß in der ganzen Apokalypse kein Sensus Kommunis zu finden sey. Sebaldus fieng zu seiner eignen Vertheidigung an, das Grundgesetz des Sensus kommunis zu untergraben. Er zeigte mit philosophischen Gründen, welch ein schwankender Begriff dieß sey, und bewies, daß eine Appellation an den Sensus kommunis, als an ein untrügliches Gericht über den Werth spekulativer Wahrheiten, nicht viel mehr, als eine Appellation an ein inneres Gefühl bedeute, und da dieses von Menschen zu Menschen verschieden seyn müßte, so wäre nicht zu erwarten, daß dadurch irgend etwas könnte mit Erfolge behauptet oder wiederlegt werden. Vergebens. Herr F. hatte sein System lieb, Sebaldus wollte sich seine Weißagungen auch nicht nehmen lassen, sie wurden also heftig, machten nichts aus, und endlich, ob sie gleich nicht aufhörten sich hochzuschätzen, ward doch ihr Umgang laulicher, und einer fand nicht mehr so viel Vergnügen in der Gesellschaft des andern.

So standen die Sachen unter ihnen am Ende des Winters, als Herr F. von seinem Freunde, dem Officier, dem er so viel zu danken hatte, einen Brief bekam. Dieser edle Mann, nachdem er in allen Feldzügen des letzten Krieges für das Vaterland gefochten, und ehrenvolle Wunden erworben hatte, begab sich auf seine Güter, um, in Gesellschaft einer würdigen Gattinn, in häuslicher Zufriedenheit den Rest seines Lebens zuzubringen. Aber er wollte auch, daß nicht er allein, sondern auch andere glücklich seyn sollten. Er betrachtete sich als den allgemeinen Vater seiner Unterthanen, und in dieser Absicht sorgte er für die Erziehung ihrer Kinder. Er wollte zum Schulmeister einen verständigen menschenfreundlichen Mann haben, der nicht etwan nur die Kinder bloß die Fragen und Antworten einer unverständlichen zwecklosen Heilsordnung könnte auswendig lernen lassen, sondern, der ihnen Pflichten deutlich machen sollte, die sie gegen Gott und Menschen zu beobachten hätten, der sie vor Vorurtheilen bewahren sollte, die sich beym Bauer sonst Jahrhunderte lang fortpflanzen, der ihnen richtige Begriffe vom Landbaue, den sie zu treiben bestimmt waren, beibringen, kurz, der sie zu vernünftigen Menschen und zu guten Bauern, erziehen sollte. Einen solchen Mann wollte der Menschenfreund aus seinen eignen Mitteln besolden,Wenn die Chronologie, welche in unserer wahren Geschichte das Hauptwerk ist, nur auf irgend eine Art, sollte es auch nur durch eine Hypothese seyn, sich vereinigen ließe, so würde im übrigen diese ganze Beschreibung vollkommen auf den verehrungswürdigen menschenfreundlichen Verfasser des Versuchs eines Schulbuchs für Landleute (Berlin 1771.8.) passen, welcher alles das oben erzählte, und noch mehr gethan hat. und er bat seinen Freund F. ihm einen solchen Mann zu verschaffen.

Herr F. schlug dem Sebaldus diese Stelle vor, der sie auch vielleicht würde angenommen haben, wenn er nicht überlegt hätte, daß sein Wohlthäter, der Armenschulmeister, sie so gut, als er, verwalten könnte, und daß demselben, nach der unverschuldet erlittenen Beschimpfung seiner Familie, die Entfernung von seinen bisherigen Bekannten zur Beruhigung gereichen würde. Er empfohl also denselben, und er ward angenommen.

Indessen verließ Sebaldus dennoch Berlin gegen den Frühling. Er hatte seit geraumer Zeit keine Nachricht von seiner Tochter, welches ganz natürlich zugieng, denn die Frau von Hohenauf hatte für gut gefunden, den Brief, welchen Mariane, vor ihrer Abreise zur Gräfinn *** unter Einschluß des Hieronymus, an ihren Vater geschrieben hatte, zu verbrennen, weil ihr daran gelegen war, daß niemand Marianens Aufenthalt wissen sollte. Als sich Hieronymus, auf Sebaldus wiederholtes Bitten, bey der Fr. v. H. nach Marianen erkundigte, war derselben kaltsinnige Antwort: »die Mamsell habe sich heimlich fortgemacht, und sie wisse nicht wohin.« Dieß meldete Hieronymus dem Sebaldus, der, durch diese Nachricht sehr beunruhigt, beschloß, im Frühlinge eine Reise zum Hieronymus zu thun, um, wo möglich, von seiner Tochter nähere Nachricht zu erhalten.

Ob es auf diesen Entschluß nicht einigen Einfluß mag gehabt haben, daß weder Herr F. noch sonst jemand in Berlin, von seiner Auslegung der Apokalypse etwas hören wollte, und daß er, so vortheilhaft auch die Schilderung war, die Herr F. von dem Officier machte, doch Ursach finden mochte, zu glauben, derselbe werde noch weniger apokalyptisch gesinnet seyn, wollen wir den Schreibern moralischer Systeme zu untersuchen überlassen, welche auf ein Haarbreit anzugeben wissen, aus welchen Grundsätzen die menschlichen Handlungen entspringen und nicht entspringen.

Genug, Sebaldus, der, bey seiner fleißigen Arbeit und sparsamen Lebensart, eine für ihn beträchtliche Summe zurückgelegt hatte, nahm im Maymonathe von Herrn F. Abschied, setzte sich auf die Post, und befand sich, in wenigen Tagen, bey seinem lieben Hieronymus, und bey seinem ihm eben so lieben Kommentar über die Apokalypse.


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