Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Zweyter Abschnitt.

Der Archidiakon Mackligius hatte weder viel gute noch viel böse Eigenschaften. Er hatte gerade so viel studiret, als er zum Predigen und zum Beichtesitzen für nöthig hielt, das heißt, sehr wenig. Er hatte, von seinen Kandidatenjahren an, einen sehr hellklingenden vernehmlichen Tenor gepredigt, welcher der sämmtlichen erbgesessenen Bürgerschaft sehr gefallen hatte; daher war er auch frühzeitig zum Diakon an einer Kirche seiner Vaterstadt erwählt worden. Mit der Zeit rückte er nicht allein in die Archidiakonatsstelle, sondern ein Edelmann, der die Pfarre eines nahe an der Stadt gelegenen kleinen Fleckens zu vergeben hatte, welche gewöhnlich das Filial eines Stadtpredigers war, gab ihm dieselbe, neben seinem Archidiakonate, zu verwalten.

Mackligius hatte, beym Antritte seines Amts, alle Bücher, die man in diesem Winkel Holsteins für symbolisch hielt, unbesehen beschworen, und was in der besondern Formula committendi dieses Städtchens von ihm verlangt wurde, ohne Umstände unterschrieben. Er war dabey sehr beruhigt, weil er nunmehr, durch einen heiligen Eid, der Mühe überhoben zu seyn glaubte, über die sämmtlichen in den symbolischen Büchern enthaltenen Lehren weiter nachzudenken. Er wußte zwar wohl, daß es noch erlaubt sey, dieselben in der Absicht ferner zu untersuchen, um mehrere Beweisgründe dazu aufzufinden; er fand aber weislich für gut, dieses zu unterlassen, weil er gar nicht einsehen konnte, wozu noch mehrere Beweisgründe nöthig seyn sollten, da alle Geistlichen, durch einen schweren Eid, sie zu lehren verpflichtet waren, und da man, seit mehr als hundert Jahren, in den Marschländern kein Beyspiel wußte, daß ein Laye einen Zweifel darüber gehabt hätte; auch in unvermuthetem Falle leicht abzusehen war, daß man einen solchen, durch Versagung der Absolution und Wegweisung vom Abendmahl, genugsam würde im Zaume halten können. Er hielt sich also im Gewissen verbunden, die Zweifel, die ihm zuweilen, obwohl sehr selten, aufstießen, denen zur Verantwortung zu überlassen, von denen er war vereidet worden. Da er nun also bloß zu lehren, nicht aber zu untersuchen hatte, so konnte er sein Amt beynahe ganz mechanisch ausüben. Die Zeit, die ihm davon übrig blieb, brachte er, zur Motion, mit Graben und Pflanzen in seinem Pfarrgarten zu; denn er war ein großer Kenner und Liebhaber von allen raren Nelkenarten und Tulpenzwiebeln, und zog sie in großer Volkommenheit. Eine unverdächtige Beschäfftigung. Denn man will bemerkt haben, daß die Liebhaber derselben weder in der Kirche noch in dem Staate Unruhen zu erregen pflegen. Er hielt auch viel auf Federvieh, welches er täglich selbst zu füttern, und seine tolligen Hühner, eine nach der andern, beym Namen zu sich zu rufen pflegte. Daneben hatte er auch einen schönen Taubenschlag, der ihm manche halbe Stunde vertrieb. Bibelfest war er sehr, und konnte bey aller Gelegenheit Sprüche anführen; welches ihm, wenn sich der Innhalt auch gar nicht zur Sache schickte, sondern nur etwan ein Wort einen ähnlichen Klang hatte, nicht unerbaulich schien. Sonst las er eben nicht sonderlich viel Bücher, und weil er meist aus dem Stegereife predigte, so kam auch das Schreiben selten an ihn, außer, daß er akkurate Listen von allen bey ihm beichtenden Kommunikanten hielt, und selbige wöchentlich nachtrug. Er hatte sie in so guter Ordnung, daß er mit Einem Blicke übersehen konnte, wer in dem vorigen Vierteljahre nicht gebeichtet hatte. Ein solches Beichtkind zeichnete er sich an, um, so bald sichs thun ließ, bey demselben einen Hausbesuch abzustatten; wobey er denn, gegen die Verächter der Beichte ein wenig zu eifern pflegte, weil er wirklich auf diesen Glaubensartikel am strengsten hielt. Sonst that er niemand etwas böses; und ob er gleich, wenn es sein Evangelium mit sich brachte, auch von der Kanzel weidlich auf die Sünder zu schelten wußte, so war er doch, im gemeinen Leben, ein ganz umgänglicher Mann, der, wenn sich jemand an ihn wendete, gern mit Rath an die Hand gieng, auch zuweilen mit That, nur nicht mit Gelde, welches, wie wir der Wahrheit zur Steuer bekennen müssen, dem ehrlichen Mackligius ziemlich fest ans Herz gewachsen war.

Eben auch die Begierde, seine Einkünfte nicht zu vermindern, bewog ihn, den Sebaldus in sein Haus zu nehmen, und der Unterricht seines Sohnes war eigentlich nur eine Nebensache. Denn da Ehrn Mackligius der heilsamen alten Meinung war, daß man auf Schulen die menschlichem Studien, (humaniora) das heißt, bloß Wortkenntniß treiben müsse, daß hingegen die wenige Sachenkenntniß, die ein Theologe braucht, sehr füglich bis zur Universität verspart werden könne: so bestand die Unterweisung des jungen Heinz Mackligius beynahe bloß darum, daß er wechselsweise ein Pensum aus Dieterici Institutionibus catecheticis, aus Rhenii Grammatica latina, und aus Welleri Grammatica graeca auswendig lernen mußte, und nebenher ein wenig Hebräisch buchstabierte. Nun hatte Heinz Mackligius (der, nach dem, was man in frühen Jugendjahren an ihm bemerkt hat, zu urtheilen, gewiß noch ein Pfeiler der orthodoxen Kirche werden muß,) eine so glückliche Gabe, Regeln, die er nicht verstand, auswendig zu lernen, daß er seinem Lehrmeister beynahe gar keine Mühe machte. Sein Vater hatte daher dessen Unterricht, neben seinem Predigtamte, Gartenbaue und Hühnerfütterung, ganz gemächlich abwarten können; würde also auch wohl nicht daran gedacht haben, für denselben einen Hofmeister anzunehmen, wenn ihm nicht, bey herannahendem Alter, das Predigen in seinem Filiale allzubeschwerlich geworden wäre. Der Weg war weit, und wenn er, nach geendigter Predigt, in der Sakristey den Klingebeutel ausschüttete, so schien er ihm nicht halb bezahlt zu seyn. Er ward darüber so verdrießlich, daß er einst das Filial ganz aufgeben wollte. Nachdem er aber überlegt hatte, daß die Artikel des Beichtgeldes, der Taufen, Trauungen und Beerdigungen, in der Haushaltung ein Loch machen würden, ungerechnet noch die Käse und Butter, nebst den fetten Hammeln und Gänsen, woran die gottseligen Marschlandsbauern ihren Seelenhirten keinen Mangel leiden ließen: so ward er ganz unruhig, und wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte.

Endlich fiel er auf den glücklichen Einfall, daß er einen Hofmeister für seinen Sohn annehmen, und demselben die sonntäglichen und meisten festtäglichen Predigten im Filiale auftragen wollte. Die Einkünfte des Klingebeutels dachte er ihm zum Hofmeistergehalte anzuweisen, das Beichtgeld hingegen, nebst den Taufen, Trauungen und Leichengebühren, behielt er sich selbst vor. Auf diese Art hatte er klaren Vortheil. Er wälzte den Unterricht seines Sohnes, und die beschwerlichen Filialpredigten, von sich ab, und doch wurden seine Einkünfte nur um etwas sehr weniges vermindert.

Dieses sehr wenige war indessen, nebst freyer Wohnung und Kost, für den genügsamen Sebaldus ganz hinlänglich. Er trat also sein doppeltes Amt mit herzlicher Zufriedenheit an, unterwies seinen Zögling, und predigte jeden Sonntag fleißig. So lebte er einige Wochen lang sehr geruhig, bis ein kleiner Umstand seine Ruhe störte, und in dem ganzen Städtchen einen unvermutheten Rumor erregte.


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