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Glück am Rande des Grabes

Akra war damals durch einen Zufall, von welchem die Geschichte nichts Umständliches meldet, in Gefahr, aus den Händen der Ritter von neuem in die Hände der Ungläubigen zu fallen. Waffenstillstände wurden nicht allemal auf das gewissenhafteste beobachtet. Man war von Seiten der Christen vielleicht oft zu sicher. An heimlichen Verrätern und Überläufern fehlt es nicht: genug, die Gegenden vor der wichtigsten Schutzwehr der Christen, seit Damiette dahin war, schwärmten von feindlichen Waffen; die Besatzung in der Stadt war, weil die Ritter in andern Gegenden zu tun hatten, ungewöhnlich schwach; für Lebensmittel war schlecht gesorgt, und man konnte den schrecklichsten Auftritten entgegen sehen, wenn nicht ein Streich, wie der gegenwärtige, glückte.

Eine Anzahl von Tempelrittern hatte sich verschworen, diese Nacht ihre Brüder zu entsetzen; Humbert von Ronnay war an der Spitze des Bundes. Seine Jahre, und die notwendige Behauptung der Burg Sidon verhinderten ihn, selbst bei der Ausführung des großen Anschlags zu sein; aber er hatte den edlen Verschwornen, den jungen Mann an seiner Statt zum Anführer gegeben, dem wir jetzt nebst Conraden in das kleine Gehölz vor Akra gefolgt sind, und der, ob er gleich wirklich dem Orden nur zur Hälfte angehörte, doch von allen wie ein wirklicher Mitbruder geliebt, von den meisten hier Gegenwärtigen gern als Anführer erkannt, und nur von einigen gehaßt wurde.

Wie schon gesagt: weder er noch Conrad hörte die murrende Stimme der Ungewogenen; die besser Gesinnten dämpften sie, und die beiden neuen Freunde konnten das Vergnügen, Beweise grenzenloser Achtung erteilt und erhalten haben, ohne Bitterkeit genießen. Conrad fasste dankend Ronnays Hand, und führte ihn abwärts von dem Gedränge nach einer vom aufgehenden Monde beglänzten Stelle, wo die Natur zwischen zwei sich umarmenden Tamarindenbäumen eine natürliche Laube bildete. Beide hatten nach dem weiten Wege, den sie gegangen waren, die Ruhe einer Viertelstunde nötig, um auf die künftige Nacht gestärkt zu sein. Feuchtwangen schämte sich seines Mißtrauens gegen seinen edlen Freund; sein Herz schloss sich gegen ihn auf, und er bereitete sich zu Eröffnungen, welche von den wichtigsten Folgen gewesen sein würden, als das Geschrei: »Zu den Waffen! zu den Waffen!« das von den ausgestellten Vorposten erschall, der kaum genommenen Ruhe ein Ende machte, und die Freunde um die seligsten Augenblicke betrog, welche sie noch diesseits des Grabes hätten genießen können. – Ein Teil des Anschlags, der Akra zum Besten gereichen sollte, schien verraten zu sein. Der Feind war im Anrücken. Ein Gefecht begann, wie es in der Geschichte der morgenländischen Kriege nur wenige gibt. So verteidigten Joinville, Beaujeu und Soissons die Brücke, welche ehemals Ludwig dem Heiligen den Weg zum Entsatze offen erhalten sollte. So verteidigte Jocerant von Brancion das christliche Lager, und starb in der Verteidigung desselben, wie hier die Tempelritter unter der Anführung der beiden Freunde den engen Paß im Gehölze verfochten, durch welchen gegen den Morgen dem bedrängten Akra noch mehr Hülfe zugeführt werden sollte. Mit demselben bewahrten sie sich auch das Geheimnis ihres Anschlags; das Blut floss in Strömen, und keiner von denen, welche entdeckt hatten, daß hier Krieger im Walde lauschten, kam davon, seine Entdeckung nachzusagen.

Schon begann der Morgen zu grauen, als die Helden aus der nächtlichen Gefahr des Waldes als Sieger hervor gingen, um die Entsetzung von Akra vorzunehmen, welcher man in der Stadt bereits um Mitternacht entgegen gesehen hatte. Conrads edler Freund war verwundet; sein Heldenarm hatte nicht immer das Schwert von ihm abkehren, nicht immer ihn mit mächtigem Schilde decken können. Die Verbindlichkeiten waren gegenseitig; auch Conrad dankte seinem tapfern Waffengenossen einige Mal das Leben; auch Ronnay hatte sich hier und da zur Mauer für ihn gegen die Wut des Feindes gemacht, und mit besserm Erfolg; denn Conrad war noch ganz ohne Wunden.

Die Helden schöpften Luft, und trockneten den Schweiß von dem glühenden Gesichte: sie sagten sich durch einen Händedruck, wie teuer sie sich in dieser Nacht geworden waren. War es am Abende Zug heimlicher Sympathie gewesen, der sie zueinander hinriß, so machte sie am Morgen Kenntnis des gegenseitigen Werts, den sie unter sich fanden, und gemeinschaftlich überstandene Gefahr zu geprüften Freunden. Nicht nur Ronnays Herz, nicht nur die Herzen der Wohlgesinnten hatten sich in dieser Nacht fester mit dem tapfern Conrad verbunden; nein, auch die Gemüter der Ungewogenen schienen besänftigt: sie traten mit den andern hinzu, und gelobten zu der Hauptaktion, die noch bevor stand, neue Treue, und verbargen wenigstens den Neid, der noch in ihren Herzen glimmen mochte. Unter ihnen waren Raynald von Ibelin und Guyon de Montfort. – Kein Augenblick war nun mehr zu verlieren. »Hin in die Ebenen von Akra, ehe die Sonne herauf kömmt! Hindurch, durch den schlafenden Feind, ehe er noch gänzlich vermag die Betäubung des Schlummers abzuschütteln!« Dies waren die Worte, die einer dem andern zurief, bis die Nähe des Feindes Stillschweigen gebot, und jeder flüsternde Laut gehemmt wurde, weil Überraschung das einzige Mittel war, über eine dreimal überlegene Anzahl zu siegen.

Wie ein Wetter kamen die Helden dem Feinde über den Hals; wie ein Sturmwind rissen sie hindurch; alles stürzte vor ihnen nieder. Der Feind floh, weil das Schrecken ihre Anzahl dreimal vergrößerte, und ließ ihnen ein Lager zur Beute, mit dessen Raube sie hoffen konnten, dem befreiten Akra doppelt willkommen zu sein. In den Mauern der Stadt begann bereits Hunger hinter der Teurung herzuschleichen, und hier war Überfluß und Vorrat in Menge. – Alles jauchzte, alles triumphierte, nur das Häuflein nicht, das sich zunächst bei den beiden Freunden hielt. – Ach, die Krieger, welche hier fochten, wussten allein, wie teuer sie den Sieg hatten erkaufen müssen! – Kaum hielt sich Ronnay noch an Conrads Armen aufrecht, er blutete aus zwanzig Wunden; ein Corps, das ihn auf Feuchtwangens Kommando in dem hitzigsten Gefechte, das beide Freunde trennte, hatte entsetzen sollen, hatte seine Schuldigkeit schlecht getan. Parteisucht und nicht genugsam gestillter Neid kosteten einem der edelsten Helden das Leben. Raynald und Guyon waren die Anführer des treulosen Haufens. Ein gleicher Streich war Conraden zugedacht; aber sein bessres Geschick, oder sein wachsamerer Schutzengel rettete ihn.

Dem Tode nahe fand Feuchtwangen seinen Waffenbruder, als er sich mit ihm des Sieges zu erfreuen gedachte. Ronnay stützte sich schwach auf Conrads Schultern. »Lass mich in deinen Armen sterben!« sagte er mit gehemmter Stimme. »Ihr andern verberget meinen Zustand. Deren sind noch genug, die mich lieben; mein Tod würde Verwirrung verbreiten, und unnötige Rache erregen; wie leicht könnte so uns einer der schönsten Siege entrissen werden!«

»Mein Bruder!«, sagte der trauernde Conrad, der seine Freund, den er nicht mehr zu halten vermochte, sanft auf einen Mantel bettete; »du bist sehr matt: soll ich dich denn schon im ersten Anbeginne unserer Freundschaft verlieren? Gönne mir nach deinen Wunden zu sehen!«

»Meinen Wunden ist geraten so gut man vermochte«, sprach der Tempelritter; »sie sind tödlich! – Wie Gott will! ich sterbe gern! – sieh zu, ob wir einsam sind.«

»Die Krieger haben sich alle auf die Seite des siegenden Heers gewendet, nach deinem Verlangen, deinen Zustand zu verbergen. Zwanzig Schritte von hier stehen deine beiden Waffenträger, unsere Einsamkeit zu schützen.«

»Gut, mein Bruder! ich sterbe also ruhig und in deinen Armen. – Nenne mir deinen Namen, Geliebter, damit ich wisse, wie ich dich hier nennen, und dort wieder finden soll. Ach zu kurz, zu kurz dauerte unsere Freundschaft diesseits des Grabes!!

»Mein Name ist Conrad.«

»Conrad? Du hast also außer diesem Kleide noch eine Ähnlichkeit mehr mit Einem, den ich liebe! – O Conrad! Conrad! wenn du einst nach Deutschland wiederkehrtest! – Ich denke, du bist ein Deutscher.« –

»Bruder, dich drückt etwas auf dem brechenden Herzen! Entdecke mir alles! – Ja, ich bin ein Deutscher! macht irgendetwas in meinem Vaterlande dir Unruhe, so traue meiner Treue bei deinen Aufträgen! – Ist's möglich, daß ich dich überlebe, so schwöre ich dir die pünktliche Ausrichtung.«

»Du wist, du wirst mich überleben! – Was ist neue Freundschaft, und wäre sie auch der unsrigen gleich! – Aber es gibt eine Person, die mich nicht überleben wird. Ach, Conrad! ich habe eine Gemahlin! »Du bist vermählt?« Man sagt, daß in den Tempelorden so wohl, als in den deutschen auch Verehelichte aufgenommen wurden; doch durften solche nur das halbe Kreuz tragen.

»Und einen Sohn! – Conrad, die Geschichte meines Lebens ist lang und traurig, und meine Augenblicke sind gezählt. – Dort erfährst du alles!«

»Ronnay! Ich bitte dich, vermagst du es, nur noch einige Worte!«

»Auch habe ich noch nicht geendet. – Verfolgung trieb mich aus dem Schoße der Sicherheit. Ich fand Zuflucht in dem heiligen Orden. Meine Gemahlin und meinen unmündigen Sohn sandte ich nach Deutschland.«

»Warum nach Deutschland?«

»Ich dachte ihnen dorthin zu folgen. In Deutschland habe ich einen Bruder, einen Ritter des Ordens, zu welchem du dich zählest, sein Name ist – Conrad von Feuchtwangen.«

»O Hermann! Hermann! teurer, unglücklicher, wieder gefundener Bruder!« schrie Conrad, und sank ohne Gefühl an des Sterbenden Seite nieder.


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