Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Wald von Vincennes

Wie dem wandernden Engel in dem Liede aller Lieder, als er aus dem Erebus herauf schwebte, und wieder das Angesicht der schönern Schöpfung begrüßte, so war es Conraden von Feuchtwangen, als er die wilden Gegenden hinter sich sah, die von Menschenblut und flammenden Scheiterhaufen geröstet, vom Götzendienst entstellt, von tausend Gefahren umlagert, wohl mit Recht die Hölle der Helden heißen konnte, die sich dem Dienste des Kreuzes gewidmet hatten. Der heiligen Fahne über Meer nach Orient zu folgen, war Kinderspiel gegen den Entschluss, dem Christentume in dem nördlichen Europa Anhänger zu erkämpfen; und die Ritter des deutschen Ordens, denen besonders dieses Los gefallen war, rühmten sich vielleicht nicht mit Unrecht gegen ihre stolzen Stiefbrüder, die Hospitaliter und Tempelherren, ihrer schweren schlechter belohnten Siege. Doch jeder von beiden Teilen hatte seine eigenen Gefahren zu bekämpfen: während Conrads Ordensbrüder täglich besorgen mußten, blutige Opfer scheußlicher Götzen zu werden, sanken jene in dem schönen Morgenlande nur allzu oft in die Fallstricke weichlicher Wollust, und verfehlten auf diese Art ihres Endzwecks, den die Besieger der Preußen, Litthauer und Liefen durch den Märterertod oft nur desto glorreicher erreichten.

Conrad überdachte, so wie er seinen Weg fortsetzte, die Gefahren, denen er entgangen war, die Auftritte des Schreckens, die er gesehen, die Verluste, die er erlitten, die blutigen Siege, die er an der Seite anderer Helden erkämpft hatte, und pries Gott und die Schützerinnen seines Ordens, St. Maria und Elisabeth, Nicht die Freundin Mariens, sondern St. Elisabeth, die Landgräfin, welche damals vor kurzem erst die Kanonisation erhalten hatte. daß nun dies alles hinter ihm lag, und mildere Szenen ihm winkten. Zwar mancher Blick voll Kummer und Sorgen auf den bedrängten Zustand seines Ordens flog noch zurück; aber er war ja auf dem Wege, ihm Hülfe zu schaffen; ein Teil des von seinen Obern erhaltenen Auftrags war in dem so glücklich, so vorteilhaft geschlossenen Stillstände mit Litthauen schon geglückt: der andere zwar ruhte noch in seinen Händen, und in der Fügung des Glücks; aber er hatte Ursache, die besten Hoffnungen zu schöpfen: denn war er nicht an einen Mann gesandt, welcher der Frömmigkeit kein Opfer, der unterdrückten Sache des Glaubens keine Hülfe versagte? Waren nicht Mittel in seinen Händen, sich von diesem Manne noch ein besonders wohlwollendes Lächeln zu verschaffen? Feuchtwangens Zug ging gen Frankreich zu dem damaligen Schutzengel Wenigstens dem Willen nach war er es. des Christentums, zu Ludwig dem Heiligen. Welches die geheimen Geschäfte waren, die er in Sachen des Ordens bei ihm zu verrichten hatte, oder auf was für Art der fromme König durch seinen Beitritt den bedrängten Rittern in Preußen Hülfe schaffen sollte, davon berichtet die Sage nicht: nur dieses sagt sie, daß der damalige Hochmeister des deutschen Ordens, Hanno von Sangerhausen, der den König, den er in seinen Vorteil ziehen wollte, gut kennen musste, ihm durch Ritter Conrads Hand einige Heiligtümer übersandte, welche denen, die Ludwig der Reliquiensammler schon mit Millionen Nach einer neuern Berechnung ungefähr mit der Summe von 5.600.000 Lir. erkauft hatte, an Wichtigkeit und Werte nichts nachgaben. – Conrad dachte an das, was er dem Orden von Bedrängnissen zurück ließ, dachte an das, was er ihm an Vorteilen zu gewinnen hoffte; aber diese Dinge waren gleichwohl nicht der einzige Gegenstand seiner Reisegedanken. Ein jeder Mensch hat seine eigenen Angelegenheiten; auch Conrad hatte dergleichen: der größte und interessanteste Teil derselben war freilich, wie bei Männern seines Standes meistens der Fall ist, mit den Jahren der Jugend ins Reich der Träume übergegangen, sonst würde er vielleicht nicht geworden sein, was er gegenwärtig war; aber wenigstens an dem Andenken hing seine Seele noch mit der innigsten Sehnsucht. Jede lebhaftere Erinnerung war ihm willkommen; er freute sich, Frankreich zu sehen, wo er viele Erinnerungen dieser Art hoffen konnte, und trauerte, andre Landschaften, die ihm dieses traurig süße Gedankenfest noch vollkommener gewährt haben würden, dieses Mal nicht betreten zu dürfen; sondern sie zur Seite liegen lassen zu müssen.

Welchen Weg er nahm; wie lange er auf demselben zubrachte; das ist nichts für uns, da wir unsern Lesern bereits das Wichtigere, das Ziel seiner Reise genannt haben, und noch hinzu setzen können, daß er dasselbe, das schöne Frankreich, schöner damals noch als in unsern Tagen, zu Ende des März 1270 glücklich erreichte. Wenig Sagenerzähler sind in der Benennung der Tage so pünktlich, als wir es in diesem Augenblicke sind: aber der Zeitpunkt, den wir angeben, ist auch zu wichtig, als daß er unbemerkt bleiben sollte. – Der Frühling des benannten Jahres war gerade die Zeit, da der König, an welchen Feuchtwangen abgesandt war, den lange gefaßten Entschluss zu einem neuen Kreuzzuge endlich ausgeführt, oder, um mich deutlicher auszudrücken, die Ausführung desselben begonnen hatte. Das Gerücht von diesem Umstände, welcher den Gang der Geschäfte des Ritters ein wenig zu verrücken schien, kam ihm von weitem entgegen; aber er setzte ihn nicht in Verlegenheit. Conrad dachte ein wenig nach, überlegte die gewöhnlichen Hinderungen, welche für eine Flotte, wie die französische, zu überwinden sind, ehe sie das hohe Meer gewinnen kann, glaubte noch zeitig genug zu Aiguermortes anzulangen, wo sich der König bereits befand, und änderte nichts an seinem anfänglich entworfenen Reiseplane. – Conrad wähnte, die zurück gelassene Königin als Regentin zu finden, und hoffte bei dieser lange von ihm gekannten und innig verehrten Dame mit seinen Verhandlungen desto glücklicher zu sein; aber er irrte. Margarethe, welche gern, so wie sie in jüngern Jahren getan hatte, ihren Gemahl auch jetzt in die Gegenden begleitet hatte, wohin ihn Andacht und Glaubenseifer trieben, wollte die Zeit, da sie von ihm getrennt leben musste, nicht mühseligen Regierungsgeschäften, sondern bloß dem Andenken an ihren König, und dem Gebete für sein Wohl widmen. Sie hatte ihren Aufenthalt in dem Palaste von Vincennes, einem Orte genommen, der auch Conraden wegen tausend süßer Erinnerungen teuer war; und dorthin war es, wohin sich der Ritter verfügte, nachdem er kurze Zeit zu Paris verweilt hatte, um daselbst dem zurück gelassenen Regenten des Königreichs, dem Abt von Saint Denis, einige nötige Dinge vorzutragen.

Schön sind die ersten Tage des Frühlings in diesen Gegenden. Die Natur erwacht hier eher aus ihrem Schlummer, als in den nördlichen Regionen, aus welchen Conrad kam, und schmückte sich schon mit Blüten und grünendem Laube, wenn dort noch der Schnee des Winters ihren Scheitel deckt. – Der Ritter wandelte in blumigen Paradiesen. Die wehenden Schatten des Walds vor Vincennes empfingen ihn; seine Irrgänge, die sich bereits in dichteres Grün hüllten, ließen ihn die Spitzen des wohlbekannten Schlosses sehen, das er nunmehr vor zwanzig Jahren als achtzehnjähriger Jüngling zuerst betrat, und alles in demselben zurück ließ, was ihm das Leben damals hätte wünschenswert machen können. Er seufzte den Namen Adelheid, und sank in tiefes Nachdenken zurück. – »Werde ich sie noch an der Seite ihrer wohltätigen Schützerin finden, deren Händen ich sie damals anvertraute?«, sagte er zu sich selbst. »Wird mein Herz ihren Anblick aushalten? Doch welche Veränderungen vermögen zwanzig Jahre zu machen! mein Herz und ihre Reize wie verändert! das erste unter den Waffen für alle zärtlichen Gefühle abgestumpft, die letzten – verblüht! – O ja, ich kann, ich darf sie sehen! die unsterblichen Grazien der Tugend, die ihr ewig bleiben, werden in dieser nur zu ruhiger Freundschaft gestimmten Seele alte Gefühle nicht in solchem Grade beleben, daß ich vor dem Ordenskreuze, das ich trage, erröten müsste. Vielleicht finde ich sie vermählt, vielleicht Mutter glücklicher Kinder, die nun schon in den Jahren blühen, in welchen wir damals waren. – Gemahlin? – Mutter? – Conrad! Conrad! – Prüfe dich, ob du dieses ertragen könntest? – Ach dies Blut glüht noch zu heiß! dies Herz schlägt noch zu stark! Ich fühle es: es ist nicht zu spät für den Mann Conrad, vor Gefahren auf seiner Hut zu sein, denen er als Jüngling unterlegen haben würde.«

Der gewissenhafte Ritter, den das heißere Glühen seines Blutes, das stärkere Schlagen seines Herzens unruhig machte, riss sich von Adelheids Andenken los, und lenkte sein Nachsinnen auf einen andern Gegendstand, der seinem Herzen nach ihr damals der teuerste war, auf einen Jüngern Bruder, den er, als die Gräfin von Wälschneuenburg, eben jene Adelheid, an seiner Hand das Haus ihres Schwagers verließ, als zehnjährigen Knaben mit nach Frankreich übernahm, und von dem er all diese Zeit über, so wenig als von ihr, etwas vernommen hatte. Das unablässige Kriegsgetümmel hatte frühere Nachfrage verhindert. – »Was mag aus ihm, was mag aus Herrmannen geworden sein?«, sagte er zu sich selbst. »Der Knabe hatte große Anlagen; ich liebte ihn, wie meine Seele. Ich war sein einziger übriger Verwandter; ich hätte ihn nicht von mir lassen sollen. Wenn ich ihn nun als Weichling, oder, was er an Ludwigs Hofe am ersten geworden sein könnte, als Mönch wieder fände? Ach Herrmann! Herrmann! möchtest du lieber in der Jugend gestorben, oder in reifern Jahren auf dem Schlachtfelde als tapferer Krieger gefallen sein! Leben kannst du nicht: einmal würde mir doch das Gerücht deinen Namen vor die Ohren gebracht haben! – Solltest du leben in unrühmlicher Dunkelheit? In der Hauptstadt kannte man deinen Namen nicht. – Ach auch dann lieber den Tod, als ein Leben, wo die Welt gar nichts, weder Gutes noch Böses, von uns zu sagen weiß!«

Es ist lästig, Dinge auf eine unbestimmte Art erwähnen zu hören, von welchen man schlechterdings noch gar nichts weiß. Diese Adelheid von Wälschneuenburg, dieser Hermann von Feuchtwangen, welche der Leser jetzt zuerst nennen hört, wären zu glücklich, wenn sie ihm mit ihrer Erscheinung Neugierde und keinen Überdruß erweckt hätten; um das Letzte zu vermeiden, wollen wir das Erste annehmen, und zu Aufklärung aller Dunkelheiten mit Übergehung der Einführungszeremonien, die bei einer so großen Königin, wie Margarethe von Provence, Gemahlin Ludwigs des Neunten, denkbar sind, nicht die erste, sondern eine von den folgenden Audienzen schildern, welche der deutsche Ritter bei der Monarchin hatte; eine von den Stunden, wie man sie bei alten wieder gefundenen Bekannten nicht sogleich erlebt.

Nicht erstes Augenblicks wird uns der, den wir in zwanzig Jahren nicht sahen, ganz der, welcher er vormals war; es gehört allerdings einige Zeit dazu, ehe wir es lebhaft empfinden können, daß diese unsern Augen fremd gewordene, so sehr geänderte Person, einst mit uns in einiger nähern Beziehung stand: aber endlich finden wir uns wieder, knüpfen das jetzige Heute an das alte Vormals, vernichten den dazwischen liegenden Zeitraum, und vergessen, daß das Schicksal jemals uns trennte. Bei Freunden ist dies nicht ganz so; sie bleiben unsern Herzen immer nahe: bei Bekannten, wie Ritter Conrad der Königin war, zeigte sich dieses langsame Zurechtfinden mehr, und es wird daher den Leser nicht befremden, daß erst am dritten oder vierten Tage nach Conrads Ankunft zu Vincennes Margarethe ihm mit gänzlicher Zurücksetzung des lästigen Zeremoniells den Arm zu einem Spaziergange in den Wald gab, dessen heilige Schatten sie, seit sie von Ludwig getrennt war, nie ohne die tiefste Rührung betreten konnte. – »Hier wandelte ich an seinem Arme, wie ich jetzt an dem eurigen wandle«, sagte die Königin zu dem Ritter, als er sie durch die blühenden Irrgänge des Waldes leitete. »Unter dieser hohen Eiche saß der gute König zu Gerichte, Es ist bekannt, daß Ludwig der Neunte oftmals in den Schatten von Vincennes die Gerechtigkeit hegte, und diesen Hain dadurch dem Andenken der Nachwelt heilig machte. um ihn her seine Ritter und Räte, und ich als Vorsprecherin der Beklagten. Dort gab er mir den letzten Scheidekuß. O Ritter, meint ihr, daß ich ihn wieder sehe? O ihr eilt von mir zu ihm; redet, redet mit ihm von meinem Andenken und diesen Thronen! Wahrt ihn von den Gefahren, die in jenem wilden Lande seiner warten; schützt ihn mit eurem Arme; bringt ihm mir zurück, und ich will euch danken, euch lohnen, wie nie eine Königin lohnte!«

Conrad wusste von den letzten Geschichten des frommen Königs nur wenig mehr, als meine Leser wissen. Margarethen kräftiger trösten zu können, wünschte er bessere Aufklärung. Ihr Herz war zu freundlicher Mitteilung aufgeschlossen, und er erhielt leicht, was er suchte, und was wir hier, obgleich mit etwas kürzern Worten, als die Königin, welche der Kummer beredt machte, wiederholen wollen.

Der König, dessen ganzes Leben aus Wohltun, Entsagungen und Andachtsübungen zusammen gesetzt war, Ludwig der Heilige, der seine Glorie mühsamer errang und besser verdiente, als hundert andre seiner umstrahlten Himmelsgenossen, hatte sein erstes Gelübde, Jerusalem aus den Händen der Muselmanen zu retten, durch Unglück, Zufall und Versehen irre geleitet, zu schlecht erfüllt, um sich bei seiner Rückkehr nach Frankreich damit befriedigen zu können. In Kummer, Bußübungen und Tränen brachte er seine Jahre hin, und nichts konnte ihn trösten, selbst nicht das Glück seines Volks, das schöne Heranwachsen seiner Kinder, und die Liebe seiner Gemahlin, die er jetzt nach dem Tode seiner Mutter Die Königin Mutter machte lange Jahre die Liebe der beiden Vermählten, Gott weiß aus welchem Eigensinne, zum verstohlnen Handel. ohne Furcht und uneingeschränkt genoss: Betfahrten wurden getan, und alle heiligen Gegenmittel wider unheilbare Schwermut gebraucht, welche die Andacht jener Zeiten vorschrieb. Vergebens! Ludwig blieb ungetröstet. Eine Wallfahrt war noch übrig, die, nach dem Gebirge von Sainte Beaume in dem Vaterlande der Königin, in der Provence. Die heilige Magdalena hatte dort eine Grotte bewohnt; ihre Wohnung in den Gebirgen von Marseille zu sehen, war dem König nicht geglückt; so wollte er sich bei dieser, welche gleichsam nur ein Abtritts quartier der Heiligen gewesen war, seines Schadens, so gut er konnte, erholen.

Man denke sich die Freude der Königin, ihr schönes Vaterland wieder zu sehen, und die Gebirge wieder zu grüßen, wohin sie einst als Fräulein gewallfahrtet, und ihrer Patronin, St. Magdalenen, den stillen Wunsch des jungfräulichen Herzens, den Wunsch der Liebe dargebracht hatte. – Hier wollte sie König Ludwigs Bild zuerst im Traume gesehen haben, hier den ersten Funken der Zuneigung gegen den schönen Jüngling empfunden haben, der ihr damals noch unbekannt war, und mit dem sie nun, da sie St. Magdalenens Grotte wieder sah, schon so manches Jahr verlebt so manchen sauren Weg durch Elend und Todesgefahr gegangen war. – Das königliche Ehepaar kam zum Ziele seiner Wallfahrt, und es ist kein Zweifel, daß Margarethe, als sie mit ihrem Gemahle in der heiligen Höhle übernachtete, ihm die Geschichte ihrer ersten Pilgerreise in dieselbe erzählte. »Immer«, setzte sie hinzu, »immer waren solche Betfahrten mir günstig; immer ward mein Gebet an heiliger Stelle erhört, und selten verfehlte ich den Zweck meiner Gelübde. Nächst dem Glücke, das ich hier erflehte, dem Besitze meines Gemahls, feire ich indessen kein erhörtes Gelübde mit mehrerer Inbrunst, als das, welches ich am heiligen Grabe zu Jerusalem ablegte.

»Am heiligen Grabe zu Jerusalem?«, erwiderte Ludwig. »Sind wir je dort gewesen?«

»Wir? nicht mein Gemahl, aber ich. Als wir im Orient waren, so hielt euch teils die Unmöglichkeit, teils das zu lebhafte Gefühl eurer Unwürdigkeit ab, die heiligste Stelle zu betreten; mich trieb die Not dahin, wo ich am gewissesten Hülfe zu finden hoffte. Höret davon die Geschichte! – Ihr wäret Turanschahs Gefangner; ich lag krank zu Damiette; dem schmerzvollsten meiner Söhne, dem ich den Namen Tristan beilegte, hatte ich das Leben gegeben, und hoffte zu sterben. Der Tod verweilte; ich musste fürchten, ihn schrecklicher in der Gewalt der Feinde zu finden, die dem Zufluchtsorte, an welchem ich mich befand, mit fürchterlicher Macht drohten. Der Personen, die zu meinem Dienste und zu meiner Bewachung bestimmt waren, wurden immer weniger; die wachsende Gefahr rief einen nach dem andern von meiner Seite; ich war am Ende allein mit dem alten Bernard von Mutinis, dem Verwandten Rogers, des ehemaligen Großmeisters der Hospitaliter. »Ritter Bernard«, sprach ich, »gewährt mir am Rande des Grabes eine Bitte!«

»Welche, meine Königin?«, fragte der alte Ritter. – »Ehe ihr mich in die Hände der Feinde kommen lasset, so tötet mich lieber, und rettet meine und des Königs Ehre!« – »Wahrhaftig, gnädige Frau«, versetzte er mit freundlichem Lachen; »ihr redet hier von einer Sache, die mir schon selbst in den Sinn gekommen ist, und die ich wohl ohne eure Bitte erfüllt haben würde. Verlaßt euch darauf: lebendig kommt ihr nicht in die Gewalt der Heiden; indessen denke ich noch nicht, daß es mit uns aufs Äußerste gekommen sei. Betet zu Gott und zu seinen Heiligen; gelobt ihm irgendein Gelübde, und er wird euch und uns Hülfe senden.« – Da öffnete ich meine Lippen vor Gott, und gelobte ihm eine Pilgerfahrt gen Jerusalem zum heiligen Grabe, wenn er tun würde, wie Ritter Bernard sagte. – Die Hülfe erschien: aber die Erfüllung meines Gelübdes war fast Unmöglichkeit. Ich war schwach und krank, der Weg nach Jerusalem mit tausend Gefahren umlagert. Bernard schüttelte den Kopf, und meinte, so viel hätte ich dem Herrn nicht geloben sollen. Doch war er der Erste und Einzige, mir zur Vollziehung meines unmöglichen Gelübdes behülflich zu sein. Es blieb vor jedermann ein Geheimnis; er allein war mein Vertrauter, so wie auch mein Begleiter zur heiligen Stelle. Rauhes Pilgergewand umhüllte uns. Ritter Bernard führte den Namen meines Vaters; mein Kind trug ich mit mir – so hatte ich es gelobt – im härnen Mantel. Nichts war in unserm Aufzuge, das unsern Stand verraten, oder die Raubgier der Feinde locken konnte. Auch ihre Grausamkeit schwieg beim Anblicke eines achtzigjährigen Greises und einer bleichen jungen Frau mit einem säugenden Kinde. An Gefahren rund umher fehlte es indessen nicht; doch oft war es selbst die Hand der Sarazenen, die uns hindurch half: auch in ihren Herzen wohnt Menschlichkeit, und sie ahndeten nicht, daß Frankreichs Königin, daß Ludwigs Gemahlin und sein Sohn in ihren Händen waren; Personen, durch welche sie sich so große Vorteile hätten erkaufen können. Ein schützender Engel bewachte die Nacht des Geheimnisses, in welche wir uns verhüllt hatten. Als wir auf der gebenedeiten Stätte knieten, ich meinen Sohn von derselben dankend für die geschehene Rettung gen Himmel hielt, da gingen neue Gebete über meine Lippen, Gebete um die Befreiung meines Königs, um glückliche Rückkehr in unser Vaterland, und Ruhe, Ruhe wenigstens von einigen Jahren in derselben. – Auch dieses Gebet ist nicht unerhört geblieben. Ihr wisst, wie unvermutet Turanschah entließ den König, ehe man daran denken durfte, unter, nach Verhältnis, wirklich leidlichen Bedingungen; und nach Turanschahs Tode, obgleich derselbe die Lage des noch nicht ganz entkommenen Ludwigs wieder bedenklich machte, nahm man doch seinen Eid als Bürgschaft für das Versprochene an, und ließ ihn ziehen. ihr eurer Gefangenschaft entkamt; ihr erinnert euch des frohen Wiedersehens auf den Schiffen, wo mich mein treuer Reisegefährte auf dem Rückzuge vom heiligen Grabe in Sicherheit gebracht hatte, und wo mich euer treuer Seneschall Joinville Joinville gedenkt in der Geschichte seines Königs nichts von Margarethens kühner Wallfahrt, vermutlich weil solche Nebenumstände außer seinem Gesichtskreise lagen. euch entgegen führte. – Endlich sahen wir auch Frankreich, obgleich nach mancher Verzögerung und manchen Gefahren, wieder; endlich beginnen wir hier wieder einige Ruhe zu schmecken: wäre Heilung eures schwermütigen Herzens möglich, so könnte ich hoffen, sie würde dauern bis an das Ende unsers Lebens, das uns Gott an einem Tage verleihe!«

Die Erzählung der Königin hatte einen tiefen Eindruck, einen Eindruck von ganz anderer Art auf den heiligen Ludwig gemacht, als sie zur Absicht haben mochte. Man verließ nach gepflogenen Andachtsübungen die Höhle der heiligen Magdalene, aber trauriger, als zuvor. Die heldenmütige Pilgerfahrt der Königin zum heiligen Grabe konnte dem Könige, der dieses Grab nicht gesehen, es nicht so, wie er wünschte, aus der Gewalt der Heiden gerissen hatte, nicht erfreuen: er sah Margarethen mit Ehrfurcht an; er hielt nach seiner Demut seine Heiligkeit tief unter der der Heiligkeit einer Frau, die so viel wagen, so viel vom Himmel erflehen konnte. Von diesem Augenblicke an war wahrscheinlich der Entschluss zu einem zweiten Zuge nach Orient gefasst, dessen Vollziehung zwar Jahre lang verschoben, aber nun endlich doch, zu Margarethens tiefstem Herzenleide, die ihrem Gemahle jetzt nicht mehr folgen konnte, ausgeführt wurde. Seine Ausführung zu beschleunigen, musste noch der König von Tunis den unseligen Einfall haben, König Ludwigen eine Gesandtschaft zu schicken, mit der Erklärung, daß er gesonnen sei, feierlich zum Christentume überzutreten, und den frommen Beherrscher Frankreichs zum Paten bei seiner Taufe zu haben wünsche. – Welch ein Antrag für einen Mann, wie Ludwig! Erst nach Tunis zu der feierlichen Handlung, die sich der gute König als den höchsten Triumph des Glaubens dachte, und dann nach Jerusalem! Dies war der Plan, der nun völlig ausgearbeitet wurde, und zu dessen Ausführung man nach jahrelangen Vorbereitungen nun wirklich schritt. Mit voller Heeresmacht sollte der Zug unternommen werden; denn Ludwig wollte das heilige Grab nicht bloß als Pilger, nein, als Eroberer sehen: auch gab man ihm unter den Fuß, daß es nicht undienlich sein würde, seinem erlauchten Paten durch die Waffen Ehrfurcht einzuflößen, weil man doch nicht ganz wisse, was man sich zu ihm zu versehen habe, und ob es nicht mit der Gesandtschaft, welche dem Könige von Frankreich seine Begierde zum Christentume bezeugte, vielleicht eine ähnliche Bewandtnis habe, wie mit einer andern, Gleich im Anfange von Ludwigs erster Kreuzfahrt 1250 langten mogolische Gesandten zu Nikosia an, und wussten der schwachen Seite des Königs durch ähnliche Vorspiegelungen zu schmeicheln; er ließ sich dadurch vom rechten Wege ableiten, der sonder Zweifel geradezu nach Jerusalem gegangen war, verlor viel Zeit in Ägypten, und am Ende war die ganze Sache eine fromme Täuschung. die in die frühern Zeiten von Ludwigs christlichem Heldenleben gehört. –

Selbst Margarethe, die doch sonst in den meisten Stücken, wo es auf Treue und Ehrlichkeit der Menschheit ankam, sehr starkgläubig war, selbst sie zweifelte, ob es mit den Dingen, welche ihren Gemahl von ihrer Seite rissen, ganz richtige Bewandtnisse habe; sie beschloss die Erzählung all dieser Begebenheiten mit Tränen, und gestand Conraden von Feuchtwangen, der tief denkend an ihrer Seite ging, daß sie – so unchristlich auch eine solche Äußerung lauten möchte – es lieber gesehen hätte, wenn der König von Tunis ungetauft, und Ludwig in ihren Armen geblieben wäre.


 << zurück weiter >>