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Vergeßlichkeit der Großen

Als der Ritter genugsam mit der Königin über diese bedenklichen Dinge gesprochen, sie getröstet, Plane mit ihr zu ihrer Beruhigung gemacht, und Aufträge von ihr erhalten hatte, so dünkte es ihm auch Zeit zu sein, von sich selbst zu sprechen, und Fragen laut werden zu lassen, die vielleicht der Hauptgrund seines Besuchs zu Vincennes waren, und die er nur, teils aus höfischer Bescheidenheit, teils aus jener schüchternen Zurückhaltung, welche damals den geistlichen Ordensleuten eigen war, bis hierher unterdrückt hatte. Länger konnte er sich jetzt nicht mehr halten; die Fesseln zerbrachen, und die Namen Adelheid und Hermann gingen zuerst über seine Lippen: doch der letzte eher als der erste, damit die Rechte des geistlichen Standes, die ihm die Nennung eines Frauenzimmernamens schier zur Sünde machen wollten in allem ihre Kraft behaupteten. –

»Herr Ritter«, antwortete die Königin, »ihr sprecht mit mir von der jungen Dame, und dem schönen Knaben, die ihr nunmehr vor zwanzig Jahren meinem Schutze anvertrautet, und ich wollte wohl wünschen, euch bessere Auskunft über die Personen geben zu können, als in meiner Macht steht. Ich erinnere euch vielleicht, durch das Gerücht vernommen zu haben, daß bald, nachdem ihr Frankreich verlassen hattet, um in eurem Vaterlande den deutschen Orden anzunehmen, mein Gemahl seinen ersten Zug nach dem heiligen Lande antrat. Ich war damals glücklicher, als ich jetzt bin; ich konnte den König begleiten, und ich überließ, da ich auf diese Art unfähig gemacht wurde, etwas für die Gräfin von Wälschneuenburg zu tun, die Sorge für sie meiner Schwiegermutter, der Königin Bianca. Bianca war tot, als ich nach einigen Jahren voll Unruhe und Gefahren Frankreich wieder sah, und – und ich muss euch nur gestehen, an Adelheiden habe ich seitdem nicht wieder gedacht. Verzeiht, ich kannte diese Dame aus den wenigen Tagen, die ich mit ihr und euch zu Vincennes zubrachte, zu wenig, um ihr Andenken nach Orient mit übernehmen, und es wieder mit zurück bringen zu können. Bedenket selbst die Schicksale, die mich in dieser Zeit trafen, die Leiden, die ich ertrug; sie könnten mich wohl wegen Vergessenheit mir weit näher liegender Dinge entschuldigen.«

Conrad seufzte tief. »Entschuldigen? Königinnen entschuldigen sich leicht; wer will mit ihnen rechten?« – »Also gar, gar nichts von Adelheid von Wälschneuenburg?«, rief er endlich nach einem langen schmerzhaften Stillschweigen. »Auch nicht ein Wort?«

»Nicht ein Wort, guter Ritter! in der Tat, es schmerzt mich in der Seele! Ich bin strafbar. Wie konnte ich doch die interessante Fremde so vergessen, welche mich in den ersten Tagen ihres Aufenthalts so warm, so innig beschäftigte?«

»So warm, so innig beschäftigte«, wiederholte Conrad traurig, »daß man freilich keine Vergessenheit hätte befürchten sollen!«

»Damals vergaß ich sie nicht, Ritter!«, erwiderte Margarethe ein wenig verdrießlich. »Wie schon gesagt, ich empfahl sie der Königin Mutter, die ihr eine standesgemäße Stelle unter ihren Damen gab. – Freilich, was nach dem Tode der Königin aus ihr ward – Doch die meisten von Biancas Frauenzimmern haben in verschiedenen Klöstern den Schleyer genommen, und Adelheid wird also wohl – o sie wird gewiss das Nämliche getan haben! Eine Person von dem Range eurer Freundin kann nicht sehr verborgen sein; wollt ihr, so bringt eine genaue Nachfrage uns in den nächsten Tagen auf die rechte Spur.«

»Ihr vergesset, gnädige Frau, daß, unserer Abrede zu Folge, schon der morgende der Tag meiner Abreise nach Aiguemorte seyn soll.« –

»In der Tat, das vergaß ich! Aber ihr werdet Vincennes doch nicht eher verlassen, bis ihr euer Versprechen erfüllt, und mir eure Geschichte gegeben habt, so wie ich euch die meinige mitteilte?«

Conrad fühlte das Bestreben der beschämten Königin, das Gespräch von einem Gegenstande abzulenken, der ihr gutes Herz bekümmerte, weil er einen so gerechten Vorwurf für sie enthielt. Das Versprechen, an welches der Ritter erinnert wurde, hatte er allerdings gegeben; aber war wohl ein Augenblick zu erdenken, in welchem er weniger geschickt gewesen wäre, es zu erfüllen, als der gegenwärtige? So bekümmert, so tief gebeugt durch fehl geschlagene Hoffnung, so sorgenvoll um eine Person, die ihm Jahre nicht gleichgültig hatten machen können, so ängstlich zweifelhaft, ob er seine erste, ganz unbeantwortet gebliebene Frage nach Herrmann noch einmal wiederholen, und darauf vielleicht einer ähnliche Kränkung, wie bei der zweiten, gewärtig sein sollte – –

Nach einem langen, langen Stillschweigen, in welchem Margarethen, die ihm nachempfand, und die sich in diesem Augenblicke selbst haßte, die Tränen aus den Augen drangen, nach einigen vergeblichen Versuchen zu sprechen, brachte Feuchtwangen endlich die Bitte um Aufschub der verlangten Erzählung über die Lippen, und überwand sich, da er diese erhielt, doch zu Wiederholung der Frage in Ansehung seines Bruders.

»Wohl mir«, erwiderte die Königin, »daß ich euch hierin besser befriedigen kann! Der schöne Knabe, den ihr euren Bruder nennt, und der nach Maßgabe der Jahre auch nicht wohl etwas anders sein konnte, kam damals in die Dienste des Prinzen Robert, des Bruders meines Gemahls: er begleitete uns auf der Reise nach Palästina, und ich erinnere mich, daß ich seiner, ob er wohl nur ein Kind war, bei verschiedenen Gelegenheiten auf die rühmlichste Art habe erwähnen hören. Hernach, als Prinz Robert fiel, ist er uns aus den Augen gekommen. Er mag wohl in die sarazenische Gefangenschaft geraten sein. Joinville hat nach der Zeit aus den Händen eines Sarazenen einen schönen Knaben erhalten, den er an Sohnes Statt annahm; ob wohl dieses euer Hermann gewesen sein möchte! – Nun, Ritter, ihr werdet den Herrn von Joinville an der Seite des Königs bald selbst sprechen; dort erhaltet ihr gewiss Nachricht von eurem Bruder! Trauert doch nicht so! zürnt doch nicht mit einer unglücklichen Frau, die über eigenen Leiden wohl die Angelegenheiten anderer vergessen konnte!«

O heilig versprochene Vorsorge der Großen! was bist du? – Auch bei den Besten unter ihnen ein Sonnenstrahl, den die kleinste Wolke verdunkelt. – Margarethe fühlte das Unzulängliche, das Unbefriedigende ihrer gerühmten Antwort; sie sah Tränen in Conrads Augen; darum suchte sie ihn mit so herzgewinnender Milde und Herablassung zu besänftigen.

Zürnen? wer konnte das gegen sie? – Aber nicht trauern? – O, Conrad hätte nicht Conrad, hätte nicht der Mann sein müssen, für welchen ihn selbst der wilde König von Litthauen erkannte, wenn er den Kummer fehl geschlagener Hoffnung nicht tief, nicht so tief gefühlt hätte, daß er sich entfernen musste. Doch vergaß er das Versprechen, das er der vergeßlichen Königin getan hatte, nicht, sondern kam, da seine Abreise nach Aiguemortes auf den folgenden Tag fest gesetzt blieb, gegen die Nacht wieder, um ihr mit aller Fassung, die er hatte erringen können, das zu erzählen, womit wir die nächsten Seiten anfüllen werden.


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