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Die Befreiung von Tunis

Die Gemütsbewegungen, welche der letzte Teil von Joinvilles Erzählung erregte, waren für den verwundeten Conrad zu heftig gewesen. Die Freude, einen als Knaben verlornen Bruder als Mann wieder zu sehen, die Sorge um ihm, die Gedanken, die er sich seinetwegen machte, hatten seine Genesung um mehrere Schritte zurück gesetzt. Eben darum musste er noch mehrere Tage länger das Bett hüten, weil er vor Ungeduld starb, es bald werden zu können.

Mittlerweile gewannen die Angelegenheiten der Kreuzfahrer, die sich Tunis naheten, um die Bekehrung des dasigen Königs endlich zu Stande zu bringen, ein immer bedenklicheres Ansehen. Der Fürst, der den guten, frommen Ludwig erst durch täuschende Gesandtschaften hierher gelockt hatte, wollte sich nun zu nichts von dem Versprochenen bequemen. Zwang sollte vielleicht von Seiten Ludwigs an die Stelle der Güte treten. Der König von Tunis trug wenig Belieben, denselben zu erwarten. Man sandte Botschaften hin und her; man bedrohte sich; man machte Anfang, die Drohungen auszuführen. Die Belagerung von Tunis war beschlossen. Mostanser Billah, – der Name des afrikanischen Königs, wenn wir ihn noch nicht genannt haben, – lachte heimlich, und war sicher. Er kannte die fromme Saumseligkeit, welche einen Teil von Ludwigs Charakter ausmachte; ehe alles, was er vorhatte, durch Gebete und Wallfahrten genug geweiht und vorbereitet war, konnte sich manches begeben, das der Sache eine andere Wendung gab; auch fehlte es dem barbarischen Fürsten nicht an Mitteln, Ludwigen bei seinem Zögern zu erhalten, nicht an geheimen Einverständnissen im christlichen Lager; man weilte dort, und weilte, bis fürchterliche Ereignisse eintragen, welchen die Klügern lange mit Grauen entgegen gesehen hatten, und die alle Furcht der Muselmanen zunichte machen mußten.

»Über die Sandgefilde von Afrika, so stiefmütterlich sie auch von der Natur bedacht sind, wacht ein schützender Genius, seinen Kindern das Eigentumsrecht ihrer dürren Wüsteneien zu erhalten; keiner der sanftem Söhne des Äthers, nein, ein Geist wilder, rächerischer Art, vielleicht jener ägyptische Würgengel, der in einer Nacht tausend Väter ihrer ersten Söhne beraubte: nur bestimmte Zeit duldet er Fremdlinge unbeleidigt in seinen Regionen; ist diese verflossen, so ruft er dem verheerenden Winde aus der Wüste, und den todatmenden Dünsten des Stroms: sie erheben sich, und erfüllen die Luft mit den Samen zu tödlichen Krankheiten, und hauchen Gift auf Speise und Trank. Die eingedrungenen Gäste genießen in den Nahrungsmitteln den Tod, ziehen ihn mit Wasser und Luft ein; sie sinken hin und sterben, ohne daß die Einwohner nötig haben, sie durch des Schwerts Gewalt zu vertreiben.«

Diese Worte eines der morgenländischen Schriftsteller, die von diesen Dingen geschrieben haben, wurden sehr bald auch an Ludwigen und seinem Heere erfüllt. Hier und da begann schon einer und der andere welkend das Haupt zu senken. Hitze, ungesunde Luft, verdorbenes Wasser, schlechte Lebensmittel, Nachlässigkeit in Begrabung der Toten vermehrte das Übel; und nicht lange, so verbreitete sich die fürchterliche Seuche im ganzen Lager. Der gemeinen Soldaten starben viele in einem Tage; die Großen wussten sich etwas besser zu schützen, selbst der König, der sich sonst nicht besser, als der gemeinste Krieger, hielt, war genötigt, um das Leben eines geliebten Sohns zu retten, aus dem Lager auf eine nahe gelegene Burg zu fliehen. Dort war es, wohin der treue Freund und Tröster, Joinville, zu ihm beschieden ward. Er musste den schwachen Conrad verlassen, der vor Ungeduld brannte, ihm zu folgen, und auf das Schreiben, das er am dritten Tage von dem Seneschall erhielt, auch wirklich folgte, ungeachtet noch viel zu seiner völligen Genesung fehlte.

So schrieb Joinville: »Der Graf von Nevers, der Sohn des Königs, ist tot. Ludwig, welcher dieses als Strafe des Himmels ansieht, weil er ihn durch Flucht dem Tode entreißen wollte, kehrt in das Lager zurück, wo bereits alles von Kranken und Leichen wimmelt. Was wird die Folge dieses gewagten Schrittes sein? O der Tod würde uns wohl hier gefunden haben! wir hatten nicht nötig, ihm in den Rachen zu eilen! – Ich zittre für meinen königlichen Freund; kennt Ritter Conrad hier auch einen Freund, vor dem er zu zittern hat, und den er diesseits des Grabes noch umarmen möchte, so eile er herbei. Wer weiß, wer den künftigen Morgen erlebt. Montfaucon, dem ich etwas von unsern letzten Gesprächen sagte, schmachtet, seinen Verwandten kennen zu lernen.«


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