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Gefährliche Gewissensrüge

Die Ritter waren nicht ganz mit dem zufrieden, was ihnen Perkunos Priester sagte; sie waren bieder und geradsinnig nach ihrem Charakter, strenge in ihrem Glauben. Jeroschins gekünstelte Erklärung, welche seinen gegenwärtigen Stand rechtfertigen sollte, behagte ihrem Gewissen nicht: sie stritten heftig wider seine Verfahrensart, nannten das, was er tat, Heuchelei, welcher auch der schrecklichste Tod vorzuziehen wäre, und – fanden hierin bei ihm nur wenig Widerspruch. Jeroschin ward stille und traurig, und erwachte, wie aus tiefem Schlummer, als die ersten Morgenstrahlen, welche die Berge röteten, ihnen sagten, es sei Zeit zum zweiten Teile ihrer Beratschlagungen überzugehen, und das Vergangene, an welchem sich nichts bessern ließ, ruhen zu lassen, weil man noch so viel mit der Zukunft zu tun hatte.

»Freunde!« sagte Jeroschin, welcher sich möglichst zu fassen suchte; »mich dünkt, über das, was ihr vor euch habt, lassen sich wenig Zweifel machen. Ihr seid von euren Obern, wie ihr sagt, mit wichtigen Geschäften an König Germunden gesandt; worin sie bestehen, verlange ich nicht von euch zu wissen, auch wenn ihr mir sie vertrauen wolltet; denn ich wünsche euch ungefesselt und unparteiisch zu raten. Ihr findet den König wenige Meilen von hier auf einer Burg, welche ihr, so bald ich euch über die Grenze des Waldes geführt habe, auf dem Berge liegen sehen werdet. Germunds Charakter kennt ihr aus meiner Erzählung; er ist im Grunde gut, und seine Schwächen wird Ritter Conrad, der ein Hofmann ist, schon zu seinem Vorteile zu nutzen wissen; auch findet ihr ihn auf guter Laune, und eurem Orden geneigt. Germund steht im Begriffe, einen zweiten Zug wider die Russen zu tun, in welchem er sich ungern von den Kreuzrittern durch erneute Feindseligkeiten würde gehindert sehen; Gesandte von ihm sind bereits nach Liefland, durch gütliche Vergleiche das Schwert der Christen dort in der Scheide zu erhalten; eine ähnliche Gesandtschaft dürfte vielleicht in wenig Tagen nach Preußen abgehen. Im Falle ihr also nicht gesandt seid, ihm Krieg anzukündigen, so kommt ihr wahrscheinlich seinen Wünschen zuvor. Nützt euren Vorteil, so gut ihr vermögt, ohne dem Volke allzu hart zu fallen, des ihr um eures Freundes Jeroschin willen schonen müßt; laßt sein Andenken nimmer bei euch erlöschen; laßt euch das Land, welches ihn gebar, noch um seinetwillen teuer sein, auch wenn er nicht mehr leben sollte, euch des zu erinnern, was ihr ihm so oft versprachet.«

Man hatte sich bei Anbeginne dieser Rede auf den Weg gemacht, der noch vor Sonnenaufgange geendiget sein musste; er führte durch einen Umweg über die Gegend zurück, welche die Ritter des vorigen Tages mit so viel Grauen betreten hatten. An der Grenze des Waldes schieden sie von ihrem treuherzigen Führer, der in seinen letzten Reden manches geäußert hatte, das ihnen um seine Person Sorge machte, und den Entschluss befestigte, seine Rettung von dem gefahrvollen Posten, auf welchen er zurück kehrte, ihr erstes Geschäft bei dem Könige sein zu lassen.

Jetzt kannten sie die Geschichte der Ebene, deren ganzes All ihnen des vorigen Tages so befremdend war; die Spuren des Scheiterhaufens, der hier geflammt hatte, die Überbleibsel von Menschen- und Tiergebeinen waren ihnen, die schon an die rauen Sitten des Landes, in welchem sie lebten, etwas gewöhnt waren, jetzt gleichgültiger, als zuvor, da sie diesen Dingen die fürchterlichste Deutung gaben. Sie suchten die Ruinen von Svintarohas Hütte, besuchten die fünf hohen Fichten am Ufer der Ströme, lasen die Inschrift auf dem Denkmale des königlichen Einsiedlers, und langten, nachdem sie ihrer Fantasie hier genügsame Nahrung gegeben hatten, auf König Germunds Bergschlosse ganz in der Stimmung an, welche Beschäftigungen dieser Art fühlenden Seelen zu geben pflegen.

Ritter Ulrich, ein Mann von festern Nerven und geringerer Fühlbarkeit, als Conrad von Feuchtwangen, merkte am ersten an, daß diese stille, ernste, etwas schwärmerische Laune nicht ganz diejenige sei, mit welcher man sich bei Hofe, sollte es auch an dem Hofe eines Königs von Litthauen sein, empfiehlt; auch erinnerte er Conraden, daß Jeroschin ihnen geraten hatte, die Verkleidung abzulegen, und die ritterliche Rüstung nebst den schwarz bekreuzten Mänteln frei in einer Gegend zu zeigen, wo sie ihnen, nach der jetzigen Lage der Sachen, Empfehlung sein musste. – Sie fanden bald, daß der, welcher sie nie getäuscht hatte, der, dessen Ratschläge sie nie irre leiteten, der treue Jeroschin, sich auch hier als weise, treu und wahrhaft behauptete. Ihre Kleidung, ihre bekannten Namen, ihre denen, welche einst ihrer Schwerter gefühlt hatten, eben so kenntliche Person – Dinge, von welchen sie in diesen Gegenden glaubten, alles besorgen zu müssen – verschafften ihnen auf König Germunds Burg eine auffallend günstige Aufnahme.

Ritter Ulrich führte das Wort: er hütete sich wohl, den Auftrag des Ordens zu zeitig in seinem ganzen Umfange laut werden zu lassen, da er sich von dem Könige einen ähnlichen vermutete. Die Ritter litten, wie wir schon zuvor erwähnten, große Bedrängnisse von den heidnischen Preußen, sich des Friedens mit den Litthauern zu versichern, und sie durch mögliche Aufopferungen vom tätigen Beitritte zu ihren Feinden abzuhalten; darum waren Conrad und Ulrich zu König Germund gesandt. Germund hegte die nämlichen Wünsche, um den russischen König Leon ruhig überziehen zu können. Ulrich ließ ihn zuerst reden, und ermangelte nicht, ihm das, was er im Namen des Hochmeisters augenblicklich zusagte, auf eine bescheidene Art als Gefälligkeit anzurechnen, indessen Germund vor Entzücken und Dankbarkeit überfloß, das so schnell erhalten zu haben, was man von Seiten der Ritter selbst bittlich bei ihm hatte suchen wollen.

Ritter Conrad, welchem außer den Dingen, die dem Leser schon bekannt sind, noch manches auf dem Herzen lag, das seinen Hang zu stiller Traurigkeit nährte, hatte bei dieser ganzen Verhandlung nur so viel getan, als Ritter Ulrichs Tätigkeit ihm überließ, und das Zeremoniell nötig machte; aber bei der Tafel, an welche sie vom Könige gezogen wurden, war er desto beredter. Er sprach von Svintarohas Denkmale, von dem Rufe des guten Königs, von seinen seltenen Schicksalen; alles Dinge, von welchen sein Herz noch voll war, und über welche er sich mit so viel Gefühl ausdrückte, daß er die Wohlneigung Germunds ganz gewann. Wovon hörte der zärtliche Sohn wohl lieber sprechen, als von seinem Vater! Er breitete sich weitläuftig über die Begebenheiten, welche die Ritter schon aus Jeroschins Munde gehört hatten, und die sie jetzt mit Vergnügen noch ein Mal aus dem seinigen vernahmen. Dieses Vergnügen, diese Aufmerksamkeit, diese Teilnahme, die wenigstens von Conrads Seite nicht erkünstelt war, machte den König zu allem geneigt, was man nur von ihm fordern konnte, und er erbot sich am Ende selbst zu schleuniger Leistung dessen, was noch zu Befestigung des gemachten Vertrags fehlte, zu Beschwörung des Bundes mit dem Orden in Perkunos Tempel, dagegen sich Ulrich von Magdeburg anheischig machte, ihn unter einer Bedingung, welche er zu seiner Zeit nennen wollte, auf seinem Heerzuge wider die Russen selbst zu begleiten; ein Versprechen, das Germund mit dem lebhaftesten Entzücken aufnahm, und für welches ihm, wie er sich ausdrückte, kein Preis zu hoch sein sollte. –

»Und du«, fuhr Germund fort, indem er sich zu Conraden wendete, »Mann mit den sanften Augen, mit dem fühlenden Herzen! Mann, bei dem sich auf eine so seltene Weise Tapferkeit mit zarter Empfindung paart! willst du Svintarohas Sohn verlassen? Willst du nicht ausziehen, mit ihm den Tod des Helden zu rächen?«

»König Germund!«, antwortete Feuchtwangen; »ob ich wünschte, die Reußen, die auch unserer Feinde sind, an der Seite der Litthauer zu bestreiten, davon ist hier die Rede nicht. Mein Freund hat Vergunst, seiner Neigung zu folgen; die habe ich nicht: mich ruft die Ordenspflicht, einen weitern Weg zu ziehen, als vielleicht noch meine eigenen Augen absehen können; doch genügt es dir, wenn ich dir an meiner Statt einen andern Mann stelle, der das, was ich Svintarohas Andenken leisten könnte, weit vollkommener leisten wird?«

»Kannst du dich für ihn verbürgen? Wer deine Stelle vertreten will, hat große Obliegenheiten.«

»Ich verbürge mich für ihn; der Mann, von welchem ich spreche, war Svintarohas Gastfreund, wurde nach seinem Tode noch einer Erscheinung von ihm gewürdiget.« –

»Einer Erscheinung? – Conrad, was sagst du? – Wo ist der Glückliche, der meinen Vater später sah, als ich? der, als das irdische Band, das mich an den Teuren fesselte, schon zerschnitten war, noch seines Umgangs gewürdigt wurde? – – Lass mich ihn sehen! Ich brenne vor Ungeduld, Worte von ihm zu hören, die aus dem Munde des Verklärten gingen; von ihm zu erfahren, welches Los dem Helden in jener Welt zu Teile ward.«

»Du wirst ihn sehen, Germund, wirst aus seinem Munde alles hören, alles erfahren, was du wünschest; doch hüte dich, das Wort zu brechen, das du gabst: mit Zernichtung desselben würde alles aufgegeben sein, was zwischen uns verhandelt ward.«

»Welches Wort?«

»Du sagtest, kein Preis sei dir zu hoch, durch welchen du dir die Begleitung der Ritter vom Kreuze beim Zuge wider die Reußen erkaufen könntest.«

»Ich verstehe eure Meinung nicht; aber was ich sagte, wiederhole ich jetzt, und eile, mein Versprechen im Heiligtume des Donnergottes zu beschwören.«


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