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Jugendgeschichte Conrads von Feuchtwangen

»Ihr wollt es«, begann der Ritter, »und ich muss, mein Herz sei mir so schwer, als es wolle, die Erzählung von Dingen beginnen, die mir teils jetzt gleichgültiger sind, als der Frühlingshauch, der uns umweht, teils, mein Andenken hange auch mit noch so heißer Sehnsucht an ihnen, für mich auf ewig vergangen sind. Wie sehr, wie gänzlich alle Erdenfreude, auch die kleinste Spur derselben, für mich dahin ist, das kann niemand besser wissen, als die, welche das vergaß, worauf jetzt mein ganzes Wohl beruht. – Doch, keine Vorwürfe! höret, und ihr sollte urteilen, ob Adelheid es verdiente, mir nach zwanzig Jahren noch so teuer zu sein, wie im ersten Augenblicke heiliger Freundschaft; ob ich Ursache habe, um Hermann zu trauern, der mein Bruder war, den der letzte Wille seiner Mutter zu meinem Sohne machte; den ich nicht aus den Augen gelassen haben würde, wenn man im neunzehnten Jahre so dächte, wie nahe an dem vierzigsten.

Die Unglücksfälle, welche dem edlen Hause, aus welchem ich entsproß, einen Teil seines Glanzes und seiner Größe raubten, gehören nicht in eine Geschichte, welche ich den eilenden Stunden zuliebe abkürzen muss. Mein Vater war tot, seit ich aus dem Knabenalter in die Jünglings jähre trat, und hatte mir außer einer Mutter und einem unmündigen Bruder nichts hinterlassen, als sein gutes Schwert und eine verfallene Burg, die vor Jahrhunderten der Stolz unseren Ahnen war.

An Hermann und an Elisabeth von Feuchtwangen, dieser teuren, nie genug beweinten Mutter, hing mein Herz; ich konnte sie nicht verlassen: ohne sie würde ich bald den einen Teil der Verlassenschaft meines Vaters, die alte Burg, der völligen Zerstörung Preis gegeben, und Gebrauch von dem andern, von seinem Schwerte gemacht haben, mir Glück und Ehre zu erwerben; aber so jung ich war, so trug ich doch schon das Ansehen eines Schützers, Trösters und Versorgers in meinem Hause; ich musste bleiben, und ich blieb gern; denn mich hielt die Liebe. – Als in meinem achtzehnten Jahre der zarte Körperbau meiner Mutter dem nagenden Grame unterlag, und sie ihre nahe Auflösung fühlte, ließ sie mich an ihr Sterbelager kommen, wo Hermann, ihr Liebling, schon weinend kniete. – ›Nichts‹, sagte sie nach einer langen Pause, ›nichts macht mir das Sterben schwerer, als dieses Kind: du bist erwachsen; für dich sorgte die mütterliche Liebe nicht: aber was soll aus Hermann werden? – O Conrad! an deiner Treue lag es nicht, wenn mein Herz in den Jahren, da du mir alles warst, den Verlust deines Vaters nicht vergessen konnte! Lass deinen Bruder die nämlichen Vorteile genießen; ersetze ihm, was er an seinen Eltern verlor; sei ihm Vater und Mutter! ich würde in diesen schrecklichen Stunden weder zu leben noch zu sterben vermögen, hoffte ich nicht in dem, was ich jetzt von dir bitte, alles von deiner Liebe.‹

Der neunjährige Hermann verlor kein Wort von dem, was unsere Mutter sagte; er schlang sich um meinen Hals, und vereinigte das rührende Bitten der Kindheit mit dem ihrigen. Bedurfte es wohl des einen oder des andern bei einer Sache, zu welcher mich Pflicht verband, und mein Herz mich schon ohne dies selbst geneigt machte?

Meine Mutter hatte vor ihrem Hinscheiden noch die Genugtuung, ihren alten Freund und Verwandten, Abt Berchtholden von St. Gallen, den sie durch Schreiben von ihrer Gefahr zu sich entboten hatte, anlangen zu sehen, und ihm uns empfehlen zu können. Nicht nur den Knaben Hermann, auch mich empfahl sie ihm und der Abt machte sich anheischig, für uns beide zu sorgen. – ›Es ist Zeit‹, sagte er, ›daß mein Pate Conrad die Welt sehe, und im Dienste irgend eines großen Herrn das Schwert üben lerne, das er, wie ich höre, schon jetzt so gut zu führen versteht. Das Haus des alten Grafen von Toggenburg hat schon manchen wackern Ritter gezogen; dorthin will ich eure Söhne bringen: denn ob ich gleich meinen Liebling, den kleinen Hermann, in Gedanken zum geistlichen Stande bestimme, so ist's doch gut, wenn auch er ein Jahr oder zwei die Weltsitte und das Leben der Großen kennen lernt, da er mir sicher kein gemeiner Mönch bleiben, sondern einst werden soll, was ich bin?‹

Der Graf von Toggenburg und seine tapfern Söhne waren weit und breit wegen der Vorzüge berühmt, die der Abt an ihnen pries. Vor kurzem waren erst zwei Freiherren von Regensberg, die mit seinen Söhnen erzogen worden waren, wehrhaft gemacht worden, und begannen, durch ihre Taten Aufsehen im Lande zu erregen, und der Graf von Habsburg, von welchem man in jenen Tagen zuerst große Dinge zu ahnden anfing, hatte einst öffentlich erklärt, Toggenburgs Hof sei eine Schule der besten Ritter; er habe unter seinen Leuten keine, die ihm lieber wären, als zwei oder drei, die als Knappen dort das Schwert führen lernten. Meine Mutter wusste dieses alles, und es stellte sich, so wie der Abt sprach, ihrer Seele aufs lebhafteste dar. Wie ein süßer Traum ging das künftige Schicksal ihrer Söhne vor ihren brechenden Augen über. Sie sah ihren Conrad schon im Geiste die Zierde der Ritterschaft, ihren Hermann Abt von St. Gallen; ein dankender Blick auf ihren ehrwürdigen Verwandten und einige gebrochene Worte zeugten von ihren Vorstellungen und von der Befriedigung, die sie aus denselben zog, und ich werde es unserm damaligen Tröster ewig danken, daß er ihr ihre letzten Augenblicke so heiter machte, obgleich wenig von dem, was sie beruhigte, erfüllt ward.

Auch mir war es Trost, als die, die ich liebte, nun nicht mehr war, einen Mann, wie Abt Berchtholden, an der Seite zu haben. Was mich der Kummer hätte vernachlässigen lassen, davon ließ er nichts aus Acht. Er nahm die Trümmern unsers Vermögens zusammen, berichtigte all unsere Angelegenheiten, und führte uns dann ohne Säumen hinüber in das schöne Land, wo in der Zukunft unser Aufenthalt sein, wo der Grund zu unserm Glücke und Unglücke gelegt werden sollte. – Einige anderweitige Geschäfte, welche der Abt zu besorgen hatte, ehe er uns an den bestimmten Ort führen konnte, verlängerten unsere Reise, und verursachten Umwege, die ich doch nie bereuen werde, da sie mich in die Bekanntschaft eines Mannes brachten, welcher, so sehr sein Schicksal auch jetzt außerhalb meiner Geschichte zu liegen scheint, doch verdient, vor euren Ohren erwähnt zu werden. – Wir kamen in die Gegenden von Ödweiler; ein wilder Wald nahm uns auf, welchen unser Führer, wie wir aus den Befehlen, die er seinen Leuten erteilte, schließen konnten, nicht ohne Furcht betrat. Die Gerüchte von diesem Walde waren uns nicht unbekannt; sie waren bis in unser Vaterland erschollen, und Hermanns erste Erzieherinnen hatte die Geschichte desselben zum Schrecken seiner Kindheit gemacht, so wie sie jetzt, da er ein mutiger Knabe zu werden begann, der Gegenstand seiner lebhaftesten Neugier war. – Er wiederholte den Namen des Orts, als er ihn zuerst nennen hörte, und fragte, indem er sich schnell zu dem Abte wendete, ob hier die Höhle sei, aus welcher ein scheußlicher Lindwurm die ganze Gegend beunruhige, und den Müttern ihre Kinder, den Hirten ihre Herden raubte. – Unser Führer bejahte es, und hängte den Wunsch an, daß Gott doch diese Plage von dem Lande nehmen, und wenigstens uns glücklich vor der Gefahr vorüber führen möge! – Hermann meinte, wenn der hochwürdige Herr, der Abt, geborgen wäre, so wünschte er das Geschöpf wenigstens zu sehen, das man einen Lindwurm nennte, und von welchem er sich keinen Begriff zu machen wüßte; ich aber setzte die Frage hinzu, was man für Vorkehrungen getroffen habe, das Land zu befriedigen, und ob die Bekämpfung des Ungeheuers denn eine so unmögliche Sache sei, daß sich bis dahin noch kein Ritter gefunden habe, dieselbe zu wagen. – Der Abt, der uns liebte, und der sich aus meiner und Hermanns mit einigem Feuer getanen Frage, ich weiß nicht welche Neigung zu verderblichen Abenteuern vorstellte, ward bleich, und zitterte. Er rief einen unter den bewaffneten Knechten auf, die uns folgten, diesen jungen Verwegenen, wie er uns nannte, eine Beschreibung von Gefahren zumachen, welchen sie nur darum ins Angesicht zu sehen wünschen könnte, weil sie ihnen unbekannt wären. – Der Reisige, welcher den scheußlichen Verheerer des Landes gesehen, und einst seine Klauen empfunden zu haben vorgab, trat auf, und entwarf ein Gemälde, das zu abenteuerlich und furchtbar war, um selbst bei dem kleinen Hermann Glauben zu finden: er meinte die Stimme der Wärterinnen seiner Kindheit zu hören, und unterdrückte mit Mühe ein Lachen, welches ihm die Gegenwart unsers ehrwürdigen Verwandten zur Sünde gemacht haben würde; doch die Erzählung, welche weder mir noch ihm genug tat, erreichte schnell ihr Ende. Tief im Walde erhob sich ein Geräusch. Ich zog mein Schwert. Hermann stellte sich vor den Abt, und bat ihn, sich nicht zu fürchten, weil er für alles stehe, da indessen unsere Leute, wie vom Donner geschreckt, auseinander flohen, und hier und da in den Gebüschen ihre Zuflucht suchten; Bewegungen, aus welchen sich schließen ließ, daß uns allen, so viel unser waren, die Idee des Lindwurms, von welchem wir eben erzählen hörten, lebhaft genug vorschwebte, um in dem Geräusche, das wir immer näher vernahmen, seine Annäherung zu vermuten, nur daß unser Entsetzen, wovon keiner ganz frei war, sich auf verschiedene Art äußerte. – Die Erzählung, die wir eben aus dem Munde des Reisigen gehört hatten, bewaffnete das Ungeheuer, das dieses Gehölz bewohnte, mit ehernen Zähnen und Nägeln, mit gepanzerter Haut und Schwingen, deren Geräusch, so wie sie die Lüfte zerteilten, dem Anzuge vieler Gewappneten glich; dies war gerade der Ton, den wir jetzt vernahmen, und der sich unsern Augen nun bald erklären sollte. Sie waren fest auf die Gegend des Waldes gerichtet, wo er sich uns gegenüber jenseits einer großen Wiese öffnete, und von wo der gräßliche Ton, der unsere Leute in die Flucht gejagt hatte, sich nahte. Wir flohen nicht, denn wir sorgten einer um den andern; der Abt für unsere Jugend, wir für die Wehrlosigkeit seines Standes. Wäre jeder von uns allein gewesen, wer wüßte, ob er der Gefahr so kühnlich Trotz geboten hätte.

*

Jetzt kam das, was unser Schrecken und unsere Aufmerksamkeit erregte, völlig zum Vorscheine; aber kein schuppiges Ungeheuer, sondern eine Anzahl gewaffneter Leute, welche der Abt aus der Rüstung für die Diener der Gerechtigkeit des benachbarten Orts erkannte. Der Abt holte freier Atem; ich steckte beschämt mein Schwert in die Scheide, und Hermann ließ einen Ausruf des Unwillens hören, daß er getäuscht war.

Die Reisigen zogen quer über die Matte, und kamen bei uns vorbei; sie führten in ihrer Mitte einen gefesselten Mann, der bei den Spuren des Kummers und des Elends, die sich auf seinem Gesichte zeigten, doch zugleich so viel Kennzeichen von Biedersinne und Edelmut in seiner Miene, so etwas Großes und Heldenmütiges in seinem ganzen Wesen trug, daß man auf die Bande zürnte, die seine Hände fesselten, und ihn unmöglich für einen Missetäter halten konnte. –

Meinem Bruder traten die Tränen in die Augen, und er wendete sich zum Abte, eine Bitte an ihn zu tun, welche unnötig war; denn schon gab sich dieser dem Führer der Gewappneten kund, und erhielt durch das Ansehen, das ihm sein Name gab, sehr leicht umständliche Nachricht, was es mit dem Manne, der unsere Aufmerksamkeit so sehr auf sich zog, eigentlich für Bewandtnisse habe. Wir erfuhren, der Gefangene sei ein Mann aus Unterwalden, Ein Winkelried, wahrscheinlich der Ahnherr jenes großen Winkelrieds, der hundert Jahre später sich durch seinen Heldentod in der helvetischen Geschichte unvergeßlich machte. welcher einen Mord begangen habe, und welchem die Gerechtigkeit nun schon über ein Jahr auf den Fersen gewesen sei, ohne seiner mächtig werden zu können, bis man ihn endlich in diesen Gegenden gesehen habe, und eben heute durch eine blutige Spur, wahrscheinlich die Folge einer neuen Mordtat, nach seiner Wohnung geleitet worden sei, die er in diesem Haine, unweit der Höhle des Drachen, genommen habe. – Der Abt wünschte nähere Auskunft über diese Dinge, die ihm, zusammen genommen mit der redlichen Heldenmiene des Gefangenen, so befremdend vorkamen; aber die Antwort, die er von ihm erhielt, war so stolz, so abschreckend, wie sie oft beleidigte Unschuld in der Fülle des Unmuts zu geben pflegt, und dadurch Hülfe und Rettung von sich scheucht.

Dass Arnold, dies war der Name, den man dem Gefangenen gab, daß dieser Mann, für den man nur Bewunderung und Mitleid fühlen konnte, unschuldig war, davon blieben Hermann und ich überzeugt, obgleich die gute Meinung des Abts durch seinen Starrsinn sich etwas gemindert zu haben schien. Er erklärte sich schon, er wollte, dafern dieses Mannes Verbrechen erwiesen sei, der Gerechtigkeit durch keine Vorbitte Eingriff in ihre Rechte tun; aber unsere Bitten an ihn drangen durch, sich dem Schutze eines Unglücklichen nicht so geschwinde zu entziehen, sondern ihm nebst uns in die Stadt zu folgen, daselbst seine Anklage und seine Verteidigung zu hören, und wenn alles sich so stände, wie wir hofften, nicht zu weichen, bis durch Vorspruch oder auf andere Weise ein Leben gerettet sei, welches längerer Dauer so würdig schien. – Der Abt ließ sich erbitten; der so genannte Mörder ward durch meine Vorsprach und Hermanns mitleidige Tränen tief gerührt. ›O Gott!‹, sagte er mit einem Blicke gen Himmel, der sein Gesicht unaussprechlich verschönerte; ›der ist noch nicht ganz von dir verlassen, für den die Unschuld weint und fleht!‹

Warum kann ich euch doch hier nicht umständlich Dinge erzählen, die zu einer andern Zeit, da uns die Augenblicke weniger sparsam zugemessen wären, alle eure Aufmerksamkeit verdienen müssen! Anscheinendes Verbrechen durch die Zeit gerechtfertigt, Verbrechen durch irgendeine große Tat ausgesöhnt, welch ein Schauspiel für eine Seele wie die eurige! Hört das, was ich euch gern weitläufigt sagte, in kurzem. – Wir folgten mit unsern Leuten, welche sich bald wieder zu uns fanden, dem Opfer der Gerechtigkeit nach der Stadt. Die Sache des Verbrechens ward untersucht. Arnold war ein Mörder, wie tausend edle unglückliche Männer es in unseliger Stunde durch Zufall, Übereilung, oder zu heftig aufgereizten billigen Zorn wurden. Tausend Dinge waren, die ihn entschuldigten: doch hätte er sterben müssen nach den strengen Gesetzen dieses Landes, hätte ihm nicht ein Umstand das Leben gerettet, den er nicht achtete, oder vielmehr, den er so großmütig als hartnäckig verschwieg. Mein Bruder war so glücklich, ihn ans Licht zu bringen. Dieser Knabe, welcher Vergunst hatte, den edlen Verbrecher in seinem Gefängnisse zu besuchen, ward, wie es sein Alter mit sich brachte, bald mit ihm vertraut. Arnold tadelte die Tränen, die sein kleiner Freund um seinen Tod vergoß, und schlug andere Gespräche vor. Die Geschichte jenes Tages, da wir ihn im Walde zuerst sahen, kam zum Vorscheine. Der Lindwurm spielte, wie man sich denken kann, in derselben seine Rolle. Arnold lachte des Schreckens, das uns alle in Erwartung dieses Ungeheuers befallen hatte, und behauptete, es gebe in der ganzen Natur kein solches Geschöpf, wie Hermann es, obgleich mit ziemlich gemäßigten Farben, schilderte. ›Das Untier‹, fuhr er fort, ›das diese Gegenden verheerte, und nun nicht mehr verheeren wird, war nichts Anders, als ein scheußlicher Wolf, vielleicht eine Hyäne: ich kann das wissen; denn ich habe ihn erschlagen. Wollte Gott ich wäre frei nur auf eine Stunde, um euch an die Stelle im Walde zu führen, wo der fürchterliche Feind liegt, der mir, indem ich ihn fällte, diese Wunde versetzte, die nun wohl vor meinem Ende nicht heilen wird. Ich wollte ihn euch zeigen, und euch bei seinem Anblicke die Lehre geben, die ihr in eurem Leben wohl werdet brauchen können, euch nicht an die ungeheuren Vorstellungen des Pöbels zu kehren, und gewiss zu sein, daß der tapfere Mann mit einiger Behutsamkeit alles überwinden kann.‹ – Herrmann stand mit weit geöffneten Augen. ›Ihr?‹ schrie er; ›ihr habt das Untier getötet? und ihr sollt sterben? – O laßt mich! laßt mich, daß ich dies meinem Oheime und meinem Bruder, daß ich es der ganzen Welt erzähle!‹ – Mit diesen Worten verließ der feurige Knabe Arnolds Kerker, und ermangelte nicht, unter Weges den Anfang zu Ausbreitung der großen Tat zu machen, die seine kindische Seele bewunderte, ohne den Einfluss noch ganz begreifen zu können, den sie auf das Geschick des Mannes haben musste, dessen Todesurteil uns alle bekümmerte. – Die Folgen von Hermanns Entdeckung ließen sich denken. Die wichtigsten Preise waren für denjenigen aufgesetzt worden, welcher das Land von seinem Verheerer befreien würde; wie hätte man dem, der die Heldentat beging, ohne an Ruhm oder Belohnung zu denken, wie hätte man ihm, zum Danke für die erhaltene Wohltat, sein Leben rauben sollen? Arnold ward begnadigt; die ganze Gegend zog hinaus auf die Stelle, wo das Ungeheuer lag, das man, ob es gleich kein Lindwurm war, wohl wegen seiner Größe und ungemeinen Gestalt für ein Wunder der Natur halten konnte. Jetzt klärten sich die Spuren von Blute auf, die dem unglücklichen Arnold eine neue Mordtat aufbürden sollten, und die, hätte man sie besser untersucht, augenblickliche Verteidiger seiner Unschuld hätten werden müssen. Voll dankbarer Beschämung standen dem Retter des Landes seine Verurteiler gegenüber; man wusste nicht, wie man vergüten, wusste nicht, wie man ihn lohnen sollte. Er schlug allen Lohn aus, und bat nur um Freiheit, dem Abt und uns zu folgen, und in der Nähe, wo sein kleiner Freund und Retter, der Knabe Hermann, leben würde, eine Einsiedlerwohnung zu beziehen. ›Der Umgang dieses edlen Kindes‹, sagte er, ›wird mir Trost und Beruhigung sein. Ich bin ein Mörder: man verurteile mich, oder spreche mich los! Ach! seit jener Tat, für welche man mein Leben nicht hinnehmen wollte, kenne ich keine Ruhe als in der Einsamkeit. Ich hasse die Gesellschaft von Menschen. Der, den ich ermordete, war mein Freund. Man entschuldige mich, wie man wolle, mein Gewissen wird mich nie entschuldigen.‹

Als wir in dem Hause des Grafen von Toggenburg, wo uns der Abt einführte, aufgenommen waren, schlug dieser außerordentliche Mann, dieser unschuldige Mörder seine Wohnung in dem benachbarten Walde auf. Ich so wohl als mein Bruder sahen ihn oft: es wird in meiner Geschichte noch ein oder zwei Mal die Gelegenheit geben, seiner zu gedenken.

Wie soll ich euch das Haus schildern, welches nun auf kurze Zeit für meinen Bruder und mich das Haus liebender Eltern werden sollte? – O daß es immer unser Zufluchtsort geblieben wäre! daß nicht Unglück und Tod uns so bald aus demselben vertrieben hätten! – Der Graf von Toggenburg war einer der reichsten helvetischen Herren; alles atmete in seinem Hause stille Größe. Der mächtige Fürst zeigte sich hier in den geringsten Kleinigkeiten, obgleich über den Glanz, der sich nur an öffentlichen Hoftagen völlig äußerte, die meiste Zeit der Schleier des mäßigen Privatlebens geworfen war. Der Reichtum und die Macht unsers Beschützers wurde nur durch seine innere Würde übertroffen, die ernste stille Würde der Weisen, der, nachdem er ein ganzes Leben hindurch vom Sturme der Schicksale, vom Geräusche der Waffen betäubt und ermüdet ward, sich freut, am Abende des Lebens alles das nur aus der Ferne ansehen zu können.

So ruhig der Graf auch auf seinen Schlössern lebte, oder zu leben strebte, so war er doch darum nicht untätig. Sein Rang verflocht ihn in alle Angelegenheiten seines Vaterlandes, und seine Söhne waren gleichsam die Werkzeuge, durch welche er sich derselben teilhaftig machte, und zum Besten seines Landes wirksam wurde. Sein Hof war zahlreich und glänzend; um ihn her blühte die junge Ritterschaft Helvetiens und anderer Länder; man drängte sich, in seinen Diensten zu stehen.

Die Gräfin, Frau Jutta, war unter den Matronen das, was er unter den Greisen war, so hervor ragend in weiblicher Würde, als er in der männlichen, an Jahren fast so hoch, als ihr Gemahl, aber auch unter dem Schnee des Alters noch so liebenswürdig, daß man sie mit Recht ein schönes Denkmal der Vorzeit nennen konnte. – Von vielen Kindern waren diesem würdigen Ehepaare nur zwei Söhne übrig geblieben. Graf Diethelm, seinem Bruder an Jahren weit überlegen, schon längst vermählt, und ein Vater mehrerer Kinder, und Graf Friedrich, der noch nicht viel über zwanzig zählen konnte, und der sich eben mit den Freiherren von Regensberg, welche mit ihm zugleich das Schwert erhalten hatten, zum ersten Ritterzuge aus dem väterlichen Hause rüstete, als wir dasselbe betraten. –

Er war es, welchen uns der Abt von St. Gallen besonders empfahl, und wir brauchten ihn nur zu sehen, ihn nur sprechen zu hören, um in dieser Empfehlung die Ahndung von einem Glücke zu finden, das leider nichts war, als ein Traum, der sich schnell und auf die schrecklichste Art endigte. – Wir waren unzertrennlich von ihm, ich, als sein Knappe, Der beste Edelmann durfte sich nicht schämen, der Knappe eines altern Ritters zu sein: es war Sitte, wenigstens ein Jahr lang in diesem Stande die Waffen zu tragen, ehe man auf den Ritterschlag hoffen durfte. Hermann als Page; Stellen, die seine Milde uns zur Ehre machten. Er begegnete uns als Freunden, und machte uns gern in naher Zukunft auf die Zeit aufmerksam, in welcher wir durch den Ritterstand ihm näher gebracht, und zu seinen Waffengefährten erhoben werden sollten. – Dies war die Sphäre, in welcher uns wohl war, dies die Schule, in welcher wir zu einer Laufbahn gebildet wurden, die wir freilich glorreicher in seiner Gesellschaft, unter seiner Anführung angetreten und zurückgelegt haben würden. Ach daß das Schicksal uns diesen Vorteil entzog! Wie werde ich euch die Geschichte Friedrichs erzählen können, ohne heute all das von neuem zu fühlen, was mich zu jener Zeit der Verzweiflung nahe brachte!

*

Man brauchte wenig Wochen auf der Burg des Grafen von Toggenburg zu sein, um zu spüren, daß der Friede, den man so oft in den Palästen der Großen mißt, auch hier nicht zu finden sei. Der Vater meines geliebten Friedrichs, meines Freundes, meines teuren, angebeteten Herrn, wie ich ihn als Knappe gern nannte, war nicht so glücklich, zwei gleiche Söhne gezogen zu haben. Der sanfte Friedrich war durch die milden Sitten des kaiserlichen Hofs, an welchem er erzogen worden war, noch sanfter und einnehmender geworden; der wilde Diethelm, der zu sehr geliebt wurde, um aus den väterlichen Augen gelassen zu werden, hatte durch den Vorteil, immer um den Helden zu sein, dem er das Leben zu verdanken hatte, nicht größere Liebe zu ihm, nicht gewissenhaftere Befolgung seiner Pflichten gelernt: er wuchs nur heran, um parteiische Vorliebe mit Herzeleid zu belohnen. – Nicht als wäre Diethelm ein Nichtswürdiger gewesen, der durch Feigheit den Heldenruhm seiner Ahnen beschimpft, oder ein Lasterhafter, der sich durch schändliche Taten der Welt zum Abscheue gemacht hätte; nein, er war tapfer und edel, aber zu viel Rauhigkeit, zu viel Ungestüm mischte sich in seine Taten, als daß er der frommen Mutter, zu viel Starrsinn und Eigenmächtigkeit, als daß er dem Vater hätte gefallen können, welcher seine Vaterrechte kannte, und zu behaupten wusste. – Dass Diethelmen die väterliche Burg bald zu enge wurde, und daß er dürstete, die Welt zu sehen, dies war nicht zu tadeln; auch wehrte man ihm nicht die Erfüllung eines Wunsches: der jedem feurigen Jünglinge eigen ist: aber kränkend war es für seine edlen Eltern, daß er zurück kam mit einem Abscheue an allem, was ihnen teuer war. Er spottete des glanzlosen mäßigen Lebens, das an Graf Toggenburgs Hofe eingeführt war, spottete der stillern Tugenden, welche hier geübt wurden, wollte den Lebensplan meistern und reformieren, welchen seine Eltern nun bald bis zum Grabe befolgt hatten, und mit fürstlichem Glänze auch fürstliche Unruhe in ein Haus bringen, wo man die Stille liebte. – Die Verdrießlichkeiten, welche dem alten Grafen und seiner guten Gemahlin aus dem Stolze und Übermute ihres altern Sohns erwuchsen, aufs höchste zu treiben, fiel er, als die Rede davon war, sich zu vermählen, noch auf eine Wahl, die recht den Wünschen seiner Eltern zum Trotze ersonnen zu sein schien. Er verschmähte die stillen Töchter seines Vaterlandes, verschmähte einige Damen vom kaiserlichen Hofe, bei welchen Tugend und Schönheit sich vereinten, und die ihm von seinem Vater vorgeschlagen wurden, und gab seine Hand einer Person, welche seinen Entschluss weder durch Schönheit noch weibliche Tugenden rechtfertigte, welche nichts besaß, das ihm schmeicheln konnte, als den Namen ihres Hauses und den vollen Weltton, den Graf Diethelm liebte, in welchen er alle Vollkommenheit setzte. – Diese Dame war Gertrud, Gräfin von Wälschneuenburg, die er in Frankreich kennen gelernt hatte, und mit welcher er, als ich in Graf Toggenburgs Haus kam, schon Jahre lang vermählt war. Diese stolze, übermütige, herrschsüchtige Schnur stimmte so ganz in den Ton ihres Gemahls ein, und ermüdete die Geduld ihrer Schwiegereltern so völlig, daß das Herz derselben sich jetzt ganz von ihrem ehemaligen Lieblingssohne los gerissen hatte. Graf Diethelm, dessen Habsucht von seinem großmütigen Vater übermäßig befriedigt worden war, hauste mit seiner Familie die meiste Zeit zur Rengerswyl, und sah die Burg seines Vaters nur selten; bei unumgänglichen Zusammenkünften herrschte unter Eltern und Kindern der kälteste Hofton, der nur zu oft von einer oder der andern Seite in die verdrießlichsten Äußerungen überging.

*

Es fehlte nicht an Leuten, welche die Fehler, die dieses Mißverständnis nach sich zog, ganz von Graf Diethelms Seite auf seine Eltern leiten wollten: Geiz, Eigensinn, eingeschränkte Begriffe wurden ihnen zur Last gelegt; aber man nehme sie an, und lege in die andere Wagschale des unartigen Sohns zahllose Vergehungen, wohin wird das Übergewicht fallen? – Graf Friedrich, welcher in den Tagen des aufkeimenden Mißverständnisses am kaiserlichen Hofe gelebt hatte, kam um diese Zeit auf die väterliche Burg zurück, und seine Erscheinung war für seine bekümmerten Eltern der erste Sonnenstrahl nach langen Stürmen. Er hatte in frühern Jahren weit hinter seinem Bruder zurück stehen müssen; er brachte vielleicht vom Hofe die nämlichen Fehler mit, die man an Diethelmen verabscheute; man erwartete nichts von ihm, und fand alles, was die eigensinnigsten Wünsche fordern konnten. – Schon sein einnehmendes Äußerliches fesselte das Auge; das Herz ward gefesselt, so wie sich bei genauerm Umgange die weit einnehmendere Schönheit seiner Seele immer deutlicher zeigte. Er ward der Trost und die Wonne seiner Eltern; bei ihm würden sie Diethelmen bald gänzlich vergessen haben; doch, daß dieses nicht geschah, dafür sorgte sein Großmut; nur Diethelmens Beleidigungen lehrte er sie vergessen; seine Person ihnen wieder teuer zu machen, das gestörte Einverständnis wieder herzustellen, dies war sein unablässiges Bestreben. – Unsäglich waren die Bemühungen, die Beleidigten von beiden Teilen wieder zusammen zu bringen und auszusöhnen. Jahre waren verlaufen, ehe dieses nur einigermaßen glückte; und als ich das Glück hatte, den edelsten aller Jünglinge kennen zu lernen, befand er sich eben erst im Anfange eines so schweren Siegs. – Ich ward Friedrichs Freund und Vertrauter: ich erfuhr, da seine unschuldige Seele noch keine andern Heimlichkeiten hatte, die Geheimnisse seines Hauses, und war Zeuge von seinem Entzücken über einen Triumph, den er über verhärtete Herzen erhalten haben wollte, und den er weit höher schätzte, als ich ihn schätzen konnte.

Graf Friedrich war jetzt mit Bewilligung seiner besänftigten Eltern sehr oft zu Rengerswyl bei seinem Bruder: ich begleitete ihn die meisten Male, und lernte in kurzem die Familie seines Bruders weit richtiger beurteilen, als er. Zahllos waren die Warnungen, die ich ihm in dieser Rücksicht zu geben wagte; ach sie würden noch häufiger, noch ernstlicher gewesen sein, wenn mir nicht selbst die Besuche auf Graf Diethelms Burg immer lieber geworden wären: mein Herz begann in dieser Zeit zum ersten Male laut für einen angebeteten Gegenstand zu sprechen; seine Stimme betäubte mich für die Sprache der Vernunft; ich ward verblendet, wie mein Herr, und wir eilten beide dem Verderben entgegen. – Die Gräfin, Friedrichs Schwägerin, hatte noch eine Schwester; Gott weiß, wie dieser Engel in ihre Familie gekommen sein musste! Es war Adelheid, eben diese Adelheid, welche das Schicksal zur Ursache ungezählten Kummers für mich bestimmt hatte. In einem Kloster an der französischen Grenze ward sie erzogen: sie hatte eben das sechzehnte Jahr erreicht; ihre Bildung, so urteilte man mit Rechte, war vollendet; sie sollte den ersten Schritt in die Welt tun, in welcher sie, wenn Vorzüge Anspruch auf Glück gäben, eine so ausgezeichnete Rolle hätte spielen müssen. – Graf Friedrich ward von seinem Bruder gebeten, die Abholung des Fräuleins über sich zu nehmen, und ich, ob ich es gleich oft gemerkt hatte, daß man mich hier ungern an seiner Seite sah, begleitete ihn. – O Tag des ersten unruhigen Selbstgefühls, der ersten dunkeln Ahndungen von einem Glücke, das man auf dieser Welt so selten erreicht! wie soll ich dich schildern? Wie soll ich das überirdische Wesen schildern, das ich an diesem Tage zum ersten Male sah? – Keine Schilderung ist die beste! – Wie sie uns unter ihren heiligen Gespielinnen erschien! der Widerwille, ihre fromme Gesellschaft zu verlassen! die Tränen, die sie an dem Busen der Domina weinte! der kleine Eigensinn, mit welchem sie sich bei ihrem Schleier, bei dem düstern klösterlichen Gewande behauptete, das ihre Jugendblüte so unnennbar verschönerte! – Nein, Königin! ich kann das alles, alles nicht malen, und ihr vermögt mir schwerlich nachzuempfinden; denn welches Weib, und wäre es auch so gut, so zart fühlend, als ihr, erreicht in diesem Falle die Gefühle des Jünglings?

Graf Friedrich war nicht kalt bei dem, was sich unsern Augen darstellte; aber ich war trunken von neuen, mir noch unbekannten Gefühlen. Diese Adelheid zog erstes Blicks mein ganzes Wesen an sich; ihr nahe zu sein, dünkte mich ein Glück, würdig mit Blut erkauft zu werden, und ich riss mit ziemlichen Ungestüme das Geschäft, ihr Pferd am Zügel zu leiten, an mich, welches sonst wohl durch einen Geringern hätte verwaltet werden können. – Der Taumel einer berauschenden Leidenschaft, der mich an diesem Tage ergriffen hatte, war dauernd; ich erinnere mich einer Menge der folgenden Auftritte nur wie im Traume; nur dieses weiß ich, daß wir fleißiger, als jemals, zu Rengerswyl waren; daß bei mir nicht mehr daran zu denken war, Friedrichen von den Besuchen bei seinem zweideutigen Bruder und seiner noch zweideutigem Schwägerin abzuhalten; ich, ich selbst feuerte ihn zu denselben an, ich, der ihn sonst so oft mit einer Weisheit, die meine Jahre überstieg, vor den dasigen Fallstricken gewarnt hatte. Erst dann schwand der Eifer, ihn nach der Burg Graf Diethelms zu locken, wohin ich ihn alle Mal begleitet, als es mir deutlich ward, daß der Graf von Toggenburg dort wohl sein Glück finden könnte, daß aber mir weder Adel noch Verdienste, noch künftige Hoffnungen, noch glühende Liebe je ein Recht geben würden, meine Augen nach der Gräfin von Wälschneuenburg zu erheben. – Adelheid selbst war es, die mir hierüber und über meine eigenen Gefühle ein Licht anzündete. Unter der Zucht der Gräfin Gertrud, ihrer Schwester, hatte sie mit dem Klostergewande, das hier lächerlich befunden ward, allmählich die blöde Klostersitte abgelegt. Die klösterliche Unschuld, die stille Reinheit des Herzens blieb immer ihr unverletzbares Eigentum; keine Lektionen einer Weltdame hätten diese zerstören können: auch wollte Gertrud dieses schwerlich: die Lasterhaften ehren oft das Bild der Tugend in denen, die ihnen lieb sind, und gönnen ihren Freunden gern einen höhern Grad von Vollkommenheit, als sie selbst erringen mögen. Adelheid hatte in der Schule ihrer Schwester nur gelernt, mit ihren schönen Augen freier um sich zu sehen, die Dinge, die sie umgaben, festen Blicks zu beurteilen, und aus ihrer Meinung von demselben kein Geheimnis zu machen: auch floh sie nicht mehr so, wie Anfangs, unsern Umgang; sie sah Graf Friedrichen gern, und entzog selbst mir nicht ihren Arm, wenn mich der Wohlstand zu ihrem Begleiter bestimmte.

Wie einfältig sich der arme liebetrunkene Jüngling, der ich damals war, bei solchen Gelegenheiten benahm; wie leicht es einem jeden sein musste, sein unerfahrenes kunstloses Herz ganz zu durchschauen, das werde euch daraus klar, daß selbst Adelheid, so neu sie auch in den Angelegenheiten dieser Welt, so neu in Herzenssachen war, mich zu beurteilen, und nach ihrer himmlischen Güte zu warnen wusste. ›Herr von Feuchtwangen!‹ sagte sie eines Tages zu mir, als ich sie in dem Traume, in welchem ich jetzt immer ging, einen weiten Weg, wie ich glaube, durch Busch und Hecken, geführt hatte, ohne mit ihr zu sprechen, als durch den leisen Druck meiner Hand, zu welchem ich mich oft erkühnte; ›Herr von Feuchtwangen, ich schätze euch, und muss aufrichtig mit euch sprechen. Hängt euer Herz nicht an ein Geschöpf, welches vielleicht für einen andern bestimmt ist. Ermannt euch! Ihr werdet bald Ritter sein: kehrt euren ersten Speer wider eine törichte Leidenschaft, die euch für mich zu einem Gegenstand des Mitleids, für andere vielleicht gar des Spottes macht.‹

Ich weiß nicht, was ich dem großmütigen Mädchen antwortete, oder wie ich von ihrer Hand kam. So deutlich sie sprach, so glaubte ich sie doch kaum halb verstanden zu haben; doch noch der nämliche Tag sollte mir nähere Aufklärung geben. – Ich erhielt von Friedrichen das Geständnis, daß ihm ein wichtiges Geheimnis auf dem Herzen liege, und ward aufgefordert, ihm zu raten, auf was für Art er es seinen Eltern, denen es nicht länger verborgen bleiben dürfe, bekannt machen sollte. ›Mein Bruder‹, fuhr er fort, ›wünscht mich mit der Schwester seiner Gemahlin verbunden zu sehen; du kennst Adelheiden und kannst urteilen, ob meine Wünsche mit den seinigen übereinstimmen.‹

›Himmel!‹, schrie ich; ›ihr liebt Adelheiden?‹

›Ich liebe sie, oder werde sie einst lieben. Welcher weibliche Reiz würde im Stande sein, mein Herz zu rühren, wenn es bei den ihrigen kalt bleiben sollte?‹

›Und Adelheid wird einst die Eurige?‹

›Ob sie es wird, das weiß Gott! Schon dein Erstaunen, deine hastigen Fragen zeigen mir, daß dir keine der Schwierigkeiten verborgen ist, die sich den Absichten meines Bruders entgegen setzen können.‹

›Und das Fräulein liebt euch?‹

›Wie du fragen kannst! ich glaube, sie wird mich lieben; doch hier ist weder von Liebe noch von Gegenliebe die Rede; meine ganze Sorge betrifft die Einwilligung meiner Eltern. Mit welcher Miene soll ich bei ihnen um die Schwester derjenigen bitten, welche sie, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, hassen? – Wie soll ich nur Adelheids Namen vor ihnen nennen, der sich so genau an den Namen Gertrud von Wälschneuenburg drängt?‹

›Ihr habt Recht: die Gräfin Gertrud ist eine Frau von einem hassenswürdigen Charakter. Ich wette, der Einfall, Adelheiden zu der Eurigen zu machen, ist ganz der ihrige!‹

Graf Friedrich, vielleicht der Einzige, der keinen Blick in mein Herz getan hatte, übersah das Abgeschmackte in dieser Antwort, übersah die Unruhe, die Zerstreuung, mit welcher ich das anhörte, was er mir noch in einer ganzen langen Stunde über diesen Gegenstand sagte; er glaubte in derselben mit mir über seine Angelegenheiten zu Rate gegangen zu sein, da er doch nichts getan hatte, als mir seine eigene Meinung weitläuftig vorzutragen, und dankte mir am Ende, daß ich ihm zu einem so guten Entschlüsse behüflich gewesen sei. Ich wusste nicht, worin dieser bestand, bis ich bei einiger wiedererlangten Fassung aus seinen Reden schloss, es sei dieser, seinen Eltern die reizende Adelheid, das vollkommene Gegenbild ihrer Schwester, bekannt zu machen, und erst dann von weitern Absichten zu sprechen, wenn sie durch die Vollkommenheiten dieses überirdischen Geschöpfs gefesselt genug wären, um sie sich selbst zur Tochter zu wünschen. –

Dieser Plan war so gut, daß ich auch dann, wenn ich mehr bei mir selbst gewesen wäre, als ich wirklich war, nicht anders gekonnt hätte, als ihn billigen: ich war betäubt oder uneigennützig genug, um ihm meinen Beifall zu geben, aber dieses war auch alles: seine Ausführung sah ich nicht. Die streitenden Gefühle dieses Tages zusammen, genommen mit einigen andern zufälligen Ereignissen, welche einen nachteiligen Einfluss auf meine Gesundheit haben konnten, warfen mich auf ein langes Krankenlager. Ich war dem Tode nahe gewesen, und erholte mich nur darum zum Leben, um Dinge zu hören, welche während der Wochen meiner Bewußtlosigkeit zur Reife gekommen waren, und die mich in das äußerste Erstaunen setzen mußten. – Graf Friedrich saß an meinem Bette, wo ich den treuen Freund diese Zeit über in halbem Bewusstsein so oft hatte sitzen sehen. Er fasste meine Hand, und sah mir liebreich in die Augen, in welchen wieder ein kleiner Lebensfunken zu glimmen begann. ›Will mein Conrad‹, so fragte er, ›will er nicht durch guten Willen der Natur und den Ärzten zu Hülfe kommen, daß seine Wiedergenesung beschleunigt werde, und er an meinem Ehrentage das Ritterschwert erhalten kann?‹

›An eurem Ehrentage, Herr Graf? Ich wünsche euch alles Glück zu eurer Vermählung mit Adelheiden; aber ich kann nicht bei derselben gegenwärtig sein.‹

›Ach, Conrad! wie hat sich in deiner Krankheit alles geändert! Unser Plan verunglückte. Meine Eltern waren unerbittlich, waren für Adelheids Vollkommenheiten kalt und ohne Gefühl. Mir drohte der väterliche Fluch. Ich habe der kindlichen Liebe ein Opfer gebracht; Gott sei gelobt, es ward mir nicht allzu schwer; noch hatte ich mein Herz bewahrt, daß es für die junge Gräfin nichts, als Freundschaft, fühlte. Ich bin gegenwärtig der Verlobte der Gräfin von Montfort, die, wie du weißt, mir seit meinen Kinderjahren von meinen Eltern zur Gemahlin bestimmt war.‹

Mein Erstaunen über das, was ich vernahm, ist nicht auszudrücken; aber zugleich mit demselben schlich sich, ich weiß nicht, welche heimliche Freude in mein Herz, die mir ein kräftigerer Lebensbalsam war, als alle Heilmittel der Ärzte. Ich wusste mir selbst nicht zu erklären, was ich empfand, was meiner verwundeten Seele so wohl tat; ach! genährte Hoffnung der Liebe war es! gleich als ob Adelheid dadurch, daß sie nicht Friedrichs Gemahlin wurde, meinen Wünschen nun um einen Schritt näher gerückt worden wäre! – Als ich genas, erhielt ich von meinem Bruder Hermann genauem Aufschluß über diese Dinge, und mit denselben schlich sich eine Menge streitender Gefühle in mein Herz, die mit meiner Freude über die getrennte Verbindung einen seltsamen Kontrast machte. Ich bewunderte Friedrichen wegen seiner Überwindung, und doch war's auch, als fühlte ich eine Art von Unwillen gegen ihn, daß er einer Adelheid so schnell entsagen konnte. Ich wusste seinen Eltern ihren Eigensinn herzlich Dank, und doch haßte ich ihre Härte und ihre Unempfindlichkeit gegen das Urbild aller Vollkommenheit. Die junge Gräfin von Montfort, ein gutes, schönes, harmloses Geschöpf, das sich freilich mit keiner Adelheid messen konnte, neidete ich, daß sie ihre Nebenbuhlerin von ihrem Platze verdrängt hatte; und doch hätte ich ihr gern die Reize eines Engels gewünscht, daß Friedrich nur mit keinem Gedanken zu Adelheiden wiederkehren möchte. Am meisten lag mir an, diese Adelheid wieder zu sehen, und aus ihrem Munde zu hören, was sie von diesen Dingen denke: aber hierzu zu gelangen, war Unmöglichkeit; ich hätte allein und ohne Vorwand nach Rengerswyl reisen müssen. Graf Friedrich durfte die Burg seines Bruders nicht mehr besuchen: Adelheids Verschmähung, wie man es nannte, hatte Anlass zu offenem Bruche gegeben, und die Freigebigkeit des alten Grafen, der seinem gehorsamen Sohne am Tage der von ihm gewünschten Verbindung die Feste Toggenburg und das Schloß Wyl zum Zeichen seines Beifalls geschenkt hatte, mehrte die Verbitterung, die man zu Rengerswyl gegen ihn hegte. Friedrich erhielt durch diese Schenkung bei weitem nicht so viel, als sein Bruder schon vor ihm erhalten hatte: gleichwohl ist so viel gewiss, daß Neid und Eigennutz diese Vergabung als ungeheuer anstaunten, und auf dieselbe den Entschluss zu einer Rache bauten, der sie den Namen Gerechtigkeit gaben.

Adelheids Vorzüge hatten bei ihren Besuchen zu Wyl, zu welchen man sie beredete, um Friedrichs Eltern für sie zu gewinnen, zwar bei diesen eigensinnigen Hassern des Hauses, aus welchem die junge Dame entsprossen war, ihres Endzwecks verfehlt: aber an anderweitigen Eroberungen, so wenig sie dieselben suchte, hatte es ihr nicht gefehlt. Fast keiner unter Graf Toggenburgs Rittern war, der bei ihrem Anblicke nicht in fast den nämlichen Zustande geriet, in welchen mich derselbe versetzte hatte. Herzen, welche noch nichts von Liebe wussten, wurden durch sie mit den ersten Gefühlen dieser Leidenschaft bekannt, andere, schon von frühern Banden gefesselt, oder auf dem Wege, der Minne gänzlich zu entsagen, wurden ihren getanen Gelübden abtrünnig. Keiner unter Adelheids Gefesselten befand sich, der nicht Graf Friedrichen um ihre Liebe, und den kranken Ritter Conrad, nach dem die Holdselige fleißig fragte, um ihr Mitleid beneidete. Es war ein allgemeiner Triumph, der hier ihrem Reize zu Teile ward, und der nur durch die Härte eines eigensinnigen Greises und einer strengen Matrone verdunkelt wurde. –

Vielleicht war es eben das Gewühl von Anbetern, das dem alten Grafen von Toggenburg und der Gräfin Jutta ihre zugedachte Tochter verleidete; alles, was der Stille ihres Schlosses Gefahr drohte, war ihnen verhaßt; da niemand, selbst Friedrichs Eltern, der jungen Gräfin die Vorzüge des Verstandes und des Herzens nicht abstreiten konnten, da ihr sanfter Charakter selbst sie bezauberte, so würde Adelheid vielleicht gesiegt haben, hätte sie etwa nur die bescheidenen, unbewunderten Reize der jungen Montfort besessen: aber so viel Bewunderung, so zahlreiche Opfer! – nein, dies verdarb alles – Frau Jutta verglich die junge Dame, die sie nicht hassen konnte, ob sie sie schon verwarf, mit einem Kometen, der für sich ein ganz guter, schöner Stern sein möchte, aber in seinem Schweife lauter Unglück nach sich zöge. Unter den Eroberungen, welche die junge Gräfin von Wälschneuenburg auf Graf Toggenburgs Feste gemacht hatte, zeichnete sich besonders Leuthold, Freiherr von Regensberg, aus, ein junger Ritter, der sich durch Stand, Herkunft, Reichtum und Stolz überall hervor drängte. Er war mit Graf Friedrichen erzogen worden; aber es fehlte viel, daß er ihm gleich, oder sein Freund war, so sehr dieser ihm auch überall an Tugenden vorging, so redlich er es mit ihm meinte. Regensberg war in seinen Bewerbungen um Adelheiden unglücklich, blieb es auch dann, als Friedrich, der ihr entsagen musste, sein Wort bei ihr redete. Ihr Stolz, ihre Eitelkeit, ihre Liebe, alles empörte sich gegen Friedrichs gutmütige Vorsprache; ach! es war nur allzu gewiss, daß er ihr nicht so gleichgültig war, als sie ihm! Zu stolz, ihm dieses zu gestehen, ließ sie es dabei bewenden, daß sie ihn nur mit seiner Vorbitte heftig zurück wies, und ihn versicherte, daß Regensbergs Liebe und Graf Toggenburgs Schlösser in diesem Augenblicke vor ihr auf ewig verschworen würden. ›Das Band, das uns bisher zu fesseln schien,‹ fuhr sie fort, ›ist von nun an zerschnitten: nie komme es mir in den Sinn, es wieder anzuknüpfen, nie eure Hülfe zu wünschen, es müsste denn gegen den gewalttätigen Regensberg sein. Ich weiß, daß ich ihn beleidigt habe, weiß, daß ich ihn fürchten muss; solltet ihr einst hören, daß meine Besorgnisse gerechtfertigt wurden, so denkt alter Freundschaft, und eilet zu meiner Rettung herbei.‹

Der Fall, welchen die unglückliche Adelheid besorgte, war eingetreten; an eben dem Tage, da der, welcher von ihr geliebt war, ohne es zu wissen, sein Vermählungsfest mit der glücklichern Montfort feierte, fiel sie auf einer Spazierreise, welche sie an der Seite ihrer Schwester machte, in Regensbergs Hände. Das Gerücht, welches diese Schreckenspost an die Hochzeitstafel brachte, warf einen starken Verdacht auf die Gräfin Gertrud, daß das Verlangen, ihre Schwester, über Friedrichen getröstet, und an einen der größten Herren des Landes vermählt zu sehen, sie zur Mitverschworenen dieser Tat gemacht habe. Einmal war so viel gewiss, daß Gertrud glücklich nach Rengerswyl entkommen war, um daselbst lässige Anstalten zu Befreiung ihrer Schwester zu machen, indes diese von ihrem Verfolger auf die Feste Uzenberg gebracht ward, wo er mit Recht hoffen konnte, seiner schönen Beute vor aller Gegengewalt sicher zu sein. – Das Schrecken, welches Adelheids Entführung zu Wyl anrichtete, war allgemein. Graf Friedrich dachte alter Freundschaft und Adelheids letzter Bitte: seine junge Neuvermählte, zu fromm, zu gutmütig, wider ihre ehemalige Nebenbuhlerin einen Groll im Herzen zu hegen, beweinte in ihr eine Jugendgespielin; der alte Graf und seine Gemahlin zitterten für die Eheschließung ihres Sohns, und ich? – Nun, daß ich diese Entschließung nicht abwartete, daß ich, während Graf Friedrich mit seiner Gemahlin noch zu den Füßen seiner Eltern lag, Vergunst von ihnen zu erhalten, die Pflicht der Freundschaft zu erfüllen, schon auf dem Wege war, der Geliebten meines Herzens Hülfe zu bringen, das wird derjenige erraten, welcher das Feuer der Jugend und das Gefühl heißer, bis zur Abgötterei getriebener Liebe kennt. – Worin diese Hülfe bestehen sollte, darum hätte ich wohl einen, der besser bei Sinnen war, als ich, fragen mögen: ich wusste es nicht. Ich war mir keines Dinges bewusst, als der Bedrängnis der schönen Adelheid, und der Notwendigkeit, ihr in derselben nahe zu sein; daß meine Nähe ihr wenig frommen würde, da ich keine andere Begleitung hatte, als drei oder vier reisige Knechte, dies bedachte ich nicht, und die Feste, welche Regensbergs köstlichen Raub verschloß, lag schon vor mir, als mir erst die Unmöglichkeit einfiel, diese himmelhohen Mauern, diese eisernen Tore zu durchdringen, welche mich von ihr trennten. ›Herr!‹ sagte einer meiner Knechte, der meine Verlegenheit sah, ›an dieser Burg möchte sich wohl ein ziemliches Heer den Kopf zerstoßen; wir haben nicht zu trauern, daß unserer wenig sind; ihrer Viel würden das Nämliche ausrichten. Mit Gewalt ist hier nichts getan: List ist die Losung; und was gilt's, ich will euch zu einem Fund behülflich sein, welcher das Fräulein in unsere Hände bringen muss. Regensbergs Burgen sind mir gar wohl bekannt, und besonders diese hier. Laßt uns die Dämmerung erwarten, daß niemand von den Zinnen unserer wahrnehme; dann will ich die äußere Mauer, so weit das möglich ist, umgehen; sie muss einen heimlichen Zugang zum Wasser haben: finde ich diesen, so ist ein Fahrzeug bald gewonnen; die Nacht deckt unsere Überfahrt, und bringt uns zu einem sichern Schlupfwinkel, welcher zu meinen Zeiten gar wohl zu Übung allerlei heimlicher Ränke, die dem Schloßherrn nicht bekannt werden durften, genützt wurde.‹ Ich befand mich damals in einer Lage, wo ich keinen Vorschlag unbeachtet lassen durfte. Cunos Rat wurde gehört, wurde ausgeführt, und ehe der Mond aufging, befanden wir uns jenseits des Stroms, vor einer kleinen verfallenen Pforte, welche Cuno, ehemals Regensbergs Reisiger, alter Kunstgriffe eingedenk, noch zu öffnen wusste, und welche uns hinab in einen der Schloßkeller führte, aus welchem er allein herauf stieg, Kundschaft einzuziehen, und neue Plane zu entwerfen. – Die Botschaften, welche er zu mir hinab brachte, die Verhaltungsbefehle, mit welchen er wieder hinauf geschickt wurde, und das ganze All, welches uns verschiedene Tage und Nächte beschäftigte, euch dieses umständlich mitzuteilen, würde eure Geduld ermüden. Das Resultat von allem war: Adelheid erhielt Nachricht, daß von Feuchtwangen zu ihrer Hülfe in der Nähe wäre: sie trug kein Bedenken, in die Entwürfe, welche zu ihrer Rettung gemacht wurden, zu willigen, kein Bedenken, sich mir zu vertrauen. Sie betrog ihre Hüter, und in der dritten Nacht war ich glücklich genug, sie auf eben den Wege davon zu bringen, auf welchem ich herein gekommen war.

Trunken vor Entzücken, derjenigen, welche ich anbetete, einen wesentlichen Dienst getan zu haben; trunken vor Entzücken, einen Dank aus ihrem schönen Munde und das Geständnis einiger Verbindlichkeit zu erhalten, bekümmerte ich mich um nichts weiter, fragte ich nach nichts, und erhielt erst, nachdem wir eine gute Strecke Wegs zurück gelegt hatten, die Nachricht, welche mir Cuno auf ihren Befehl hatte verschweigen müssen, daß, während ich innerhalb der Burg in meiner Dunkelheit bemüht war, die schöne Gefangene durch List zu retten, Graf Friedrich von außen einige nicht unglückliche Versuche gemacht habe, das Nämliche durch ritterliche Gewalt zu bewirken. – Adelheid wollte lieber mir, als ihm ihre Freiheit zu danken haben; ein schmeichelhafter Vorzug, der mich aber nur halb gefreut haben würde, wenn man mich nicht versichert hätte, ich habe durch ihre heimliche Entführung nichts getan, als einen nur sehr zweifelhaften Sieg meines Freundes durchkreuzt. Man überzeugte mich, daß bei allem guten Anscheine es fast unmöglich sei, die Feste Uzenberg durch Gewalt zu gewinnen: auch gab mir die junge Gräfin Erlaubnis, Friedrichen sogleich durch Post von ihrer heimlichen Rettung von fernem vergeblichen Bemühungen abzuhalten.

*

Gern hätte ich diese Botschaft selbst übernommen; aber war mir's wohl möglich, die, welche ich anbetete, meine kaum gerettete Adelheid, in der Hut der Knechte, und Gott weiß, welchem Geschicke einsam zu überlassen? – Cuno übernahm den Ritt, und kam, ehe ich es meinte, zurück; aber er kam nicht allein, kam in Begleitung meines Bruders Hermann, kam mit Nachrichten zurück, welche die erste Ahndung von einem Unglücke in mir erregten, das nun einmal von einem unerbittlichen Schicksale in die Reihe der Dinge mit eingeflochten, von mir durch keine kluge Vorkehrung, durch keine eilige Ausführung gewagter Entschlüsse abzuwenden war. – Hermann war bleich und außer Atem; Cuno hatte ihn hinter sich auf dem Pferde mit überbracht: diese Reise zusammen genommen mit den Vorfällen, welche dieselbe veranlassten, waren für das zarte Alter des Knaben zu angreifend gewesen; er ward ohnmächtig, als er herab gehoben wurde. Sein erstes Wort, als er sich erholte, war der Name seines teuren Herrn, Graf Friedrichs, seine ersten zusammen hangenden Reden Äußerungen einer Angst, deren Ursache ich zu spät in ihrem vollen Umfange erfuhr, als daß ich sie euch in der Ordnung mitteilen könnte, wie ich sie nach und nach aus seinen stammelnden Worten zusammen reimte.

Seit auf Adelheids Verschmähung wieder das alte Mißverständnis zwischen dem alten Grafen von Toggenburg und seinem Sohne Diethelm Platz genommen hatte, welches Friedrichs Vermittlung ohnedies bis dahin kaum zur Hälfte hatte aufheben können; seit die öffentlichen hofmäßigen Besuche zwischen beiden Teilen völlig aufgehört hatten, waren der Bemühungen unzählige gewesen, Friedrichen zu einer heimlichen Reise nach Rengerswyl zu bewegen. Friedrich haßte seinen Bruder nicht; er sah keine Ursache, ihn zu meiden, als die Ehrfurcht gegen seinen Vater, welcher schlechterdings alle Gemeinschaft zwischen dem gehorsamen und ungehorsamen Sohne aufgehoben sehen wollte; aber eben diese Ursache, seinen Bruder nicht zu sehen, eben diese Ehrfurcht gegen den Willen seines Vaters, war stark genug, Friedrichen von allem zurück zu halten, wäre es auch der herrschende Wunsch seines Herzens gewesen.

Die Bemühungen Graf Diethelms und der Gräfin Gertrud waren also vergebens. Hermann, welchen seine Geschäfte von Friedrichen unzertrennlich machten, er, der aus Liebe und aus Pflicht fast weder Tag noch Nacht von seiner Seite kam, war oft Zeuge seiner Kämpfe und seiner Tränen, daß das Mißverständnis zwischen einem geliebten Vater und einem Bruder, welchen ihm sein gutes Herz zu hassen verbot, endlich unheilbar geworden war, und daß ihm in aller Absicht die Hände gebunden blieben, zur Heilung des unglücklichen Bruches auch nur das Kleinste beizutragen. – Hermann war ein Kind; er kannte die heiligen Pflichten der Verschwiegenheit noch nicht ganz; er enthielt sich zwar von dem, was in dem Kabinette seines Herrn vorging, gegen Verdächtige freventlich zu sprechen; selbst ich erfuhr nur wenig davon: aber Einer war doch, welchen eine gewisse Sympathie ihm so teuer gemacht hatte, daß er ihm nichts verschweigen konnte; es war der Einsiedler im Walde, eben jener tapfere Arnold, welcher das Ungeheuer zu Ödweiler erlegte, und von dessen Geschichte ich euch bei Erwähnung dieser Dinge bereits das Nötige berichtet habe. Er war vielleicht der Einzige, gegen welche sich die Gesetze des Stillschweigens brechen ließen, welche Hermann als Diener seines Herrn auf sich hatte, und er brach sie ohne Bedenken. Er redete mit ihm nach Knabenart von allem, was auf dem Schlosse vorging, und der weise Winkelried, dem im Grunde an dem Geschwätze seines kleinen Freundes wenig gelegen sein konnte, machte dasselbe zum Mittel, das Herz und den Verstand des Kindes, das er liebte, auszubilden, und es bei allen Gelegenheiten richtig denken, richtig fühlen zu lehren. Bei dem, was Arnold dem jungen Pagen über den heimlichen Kummer seines Herrn sagte, waren seine Bemerkungen nicht so einseitig. Er erklärte, so oft Hermann mit ihm über diese Dinge sprach, das volle Recht sei auf der Seite des alten Grafen von Toggenburg; er habe Ursache, seinen bessern Sohn von dem Hause seines Bruders zurück zu halten; er kenne Diethelmen besser, als der gutmütige Friedrich, die Namen, Kain und Abel, welche er ihnen oft zu geben pflegte, seien deutungsvoll, denn immer habe der erste Mörder heißer nach dem Blute seines vorgezogenen Bruders gedürstet, als man zu Rengerswyl nach Gelegenheit dürstete, sich in der Person des unschuldigen Friedrich eines gehaßten Nebenbuhlers abzutun. – Hermann hatte es auf Arnolds Veranlassung einige Mal gewagt, in kindischer Einfalt etwas von diesen Dingen zu äußern; aber er war von dem jungen Grafen alle Mal so ernst zurechte gewiesen worden, daß er schweigen musste; was hätte die Wahrheit aus dem Munde eines zehnjährigen Knaben für Eindruck machen sollen? Entweder Verdacht von verhaßter Überklugheit, oder der noch schlimmere, er sei das Sprachorgan eines andern, musste auf ihn fallen, und dieser Weg, Friedrichen zu warnen, war auf immer verschlossen. Auch waren die Veranlassungen, die Warnungen nötig machten, jetzt nicht so gar viel. Seit der junge Graf einst seinen treuen Pagen, welchem er über seine Jahre viel traute, mit Briefen nach Rengerswyl geschickt hatte, welche so beschaffen waren, daß sie der alte Graf mit entzückter Bewunderung gelesen haben würde, ungeachtet sie heimlich geschickt wurden, seitdem ließen Diethelms und Gertrudens Bemühungen nach, Friedrichen in ihre Mauern zu locken: die treuherzigen Ermahnungen, die er ihnen schriftlich übersandte, die Beweise von großmütiger, uneigennütziger Liebe, die er mit demselben verband, hatten diese bösen Herzen noch mehr erbittert, als sie es zuvor waren; aber sie waren entschlossen, die Ausführung schwarzer Anschläge in der Zukunft mehr dem Zufalle zu überlassen, und sich dadurch, wenn sie ein Mal glückten, alles Verdachtes noch mehr zu befreien.

Mit Adelheids Entführung schien ein günstiger Augenblick für die Hasser Friedrichs, welche jetzt durch seine Vermählung mit der jungen Montfort noch mehr gegen ihn und seinen Vater aufgebracht waren, eingetreten zu sein. Wer Friedrichen kannte, konnte urteilen, wie er bei der Nachricht von der Bedrängnis seiner Freundin Adelheid handeln würde, Diethelm und Gertrud errieten es besser, als irgend jemand: die Entwürfe, welche sie auf diese Kenntnis gründeten, versprachen sichern Erfolg der Bosheit; aber fehlt es der Vorsicht wohl je an Mitteln, den Nebel, der den Abgrund verhüllt, zu zerstreuen? – Läßt sie wohl einen ihrer Lieblinge ganz ungewarnt verderben? Frei bleibt der Gewarnte freilich alle Mal, die Warnung in den Wind zu schlagen, und leider, leider war dieses bei Graf Friedrichen der Fall. – Den festlichen Tag von Friedrichs Vermähung mit der Gräfin von Montfort, welchen Toggenburgs Haus mit Jauchzen feierte, konnte der Knabe Hermann nicht mitbegehen. Seit einiger Zeit hing ihm eine schleichende Unpäßlichkeit an, die von ihm teils vernachlässigt wurde, die aber eben an jenem festlichen Tage dergestalt überhand genommen hatte, daß er um Erlaubnis bat, nicht bei der Feierlichkeit gegenwärtig zu sein, sondern diese Stunden zu einem einsamen Besuche seinem Freunde, dem Eremiten, wohin man ihm oft zu gehen verstattete, nützen zu dürfen.

›Ich hoffe‹, sagte er, als er am Morgen von mir Abschied nahm, ›Arnold wird ein Mittel für mein Übel wissen: er kennt die Kräuter des Gebirges und ihre Kräfte; sollte denn nicht eins unter denselben sein, mir die Mattigkeit zu benehmen, welche mich als Knaben zum alten Manne macht?‹ –

Der Weg zu Arnolds Waldwohnung war nicht zu weit; Hermann bestand darauf, ihn zu Fuße zu machen, und er ward ihm noch zur Hälfte abgekürzt, indem der, welchen er besuchen wollte, ihm halben Weges entgegen kam.

›Gut, daß ihr kommt, Junker Hermann!‹, rief er dem Knaben entgegen, als er ihn von weitem gewahr ward. ›Ich erwartete euch heute nicht, und war im Begriffe, mir selbst einen Weg auf das Schloß zu machen, ob ich mit euch oder eurem Bruder sprechen könnte.‹

›Ach!‹, erwiderte Hermann, indem er schwächlich auf einen Stein sank, ›mich treibt heute Krankheit in eure Wohnung!‹

›Und mich Dinge von der äußersten Wichtigkeit auf Graf Toggenburgs Feste‹, erwiderte Winkelried. ›Das Leben Graf Friedrichs ist in Gefahr! Noch Vormittag wird er eine Botschaft erhalten, welche ihn aus den Armen seiner Eltern und seiner Gemahlin locken, und dem Verderben entgegen führen kann. Adelheid ist geraubt; er wird nicht ermangeln, ihr zu Hülfe zu eilen. Der nächste Weg führt durch diesen Wald; wählt er ihn, so fällt er Meuchelmördern in die Hände, deren Anschlag ich vor einer Stunde im Busche belauschte. Wählt er ihn nicht, und entgeht also ihren Fallstricken; so hüte er sich vor Graf Diethelms Burg: man wird Mittel finden, ihn nach Rengerswyl zu locken; und ist er dieses Weges einmal gezogen, so kehrt er ihn nie zurück.«

Hermanns Mattigkeit floh bei Anhörung dieser Dinge; die Natur strengte all ihre Kräfte an, ihn zu Ausführung dessen stark zu machen, was ihm Arnold auftrug: doch wenig Schritte, so unterlag er dem Versuche. Die Krankheit, welche in seinem Innern keimte, ward vielleicht durch Angst und Schrecken über das, was er vernahm, gezeitigt: er sank ohnmächtig zu Arnolds Füßen nieder, der es über sich genommen hatte, sein Begleiter auf dem Rückwege nach Graf Toggenburgs Schlosse zu sein. –

Welch ein Zufall! Was sollte der hülfreiche Einsiedler tun? Die nötige Zeit der Warnung versäumen? seinen Liebling hülflos im Walde zurück lassen? – Die stärkere Liebe zu seinem kleinen Freunde behielt die Oberhand; über den Bemühungen, die er zu seiner Erquickung anwendete, vergingen mehrere Stunden. Die Post von Adelheids Entführung hatten indessen bereits das Schloß erreicht; ich hatte zu ihrer Rettung schon dasselbe verlassen, und Graf Friedrich, der mit Hülfe seiner unglücklichen verblendeten Gemahlin, die ihn, um einer Freundin willen, selbst den Weg des Todes leitete, endlich die Einwendungen seiner Eltern wider diesen Zug besiegt hatte, kam schon mit seinen Reisigen von fern heran, den Unglückswald zu durchziehen, in welchen Gefahren lauschten, die ihm unbekannt waren.

Arnold, welcher voraus sah, daß er hier nahe beim Eingange des Waldes noch vielleicht Gelegenheit haben würde, den Grafen vor der gefahrvollen Stelle zu warnen, hatte mit Willen seinen Kranken nicht von dem Orte hinweg gebracht, wo er gefallen war. Durch seine Hülfeleistungen war Hermann jetzt in so weit hergestellt, daß er auf Graf Friedrichs Anblick ihm mit Arnolden vereint entgegen eilen, und ihm alles das sagen konnte, was beiden die Besorgnis um ein Leben, das jedem Tugendhaften teuer sein musste, eingehen konnte. – Es fehlte viel, daß die Warnung den Eingang bei dem kühnen Friedrich fand, welchen man gehofft hatte. Sich von den bedenklichen Winkeln des Waldes, die man ihm bezeichnete, zurück halten zu lassen, dazu trug endlich noch die wenige Zahl seiner Begleiter, und das Gerücht von Räubern, das diese Gegenden verschrien machten, etwas bei; er entschloss sich, umzulenken, und den Weg zu ziehen, wo er den größern Teil seiner Gewaffneten hatte vorausziehen lassen: aber daß Gefahren, die ihm hier drohen konnten, ihm von einem Bruder bereitet wurden; daß von dieser Seite, wenn er auch dieser Schlinge entging, noch fürchterlichere Dinge zu besorgen wären, das dünkte ihm unmöglich. Er lachte, dankte Arnolden, dankte Hermannen für ihre gute Meinung, und versicherte sie, daß er am besten wisse, wem er zu trauen habe.

›Nun‹, rief mein Bruder mit einem Ernste welcher seine Jahre weit überstieg, ›so schwöret uns wenigstens, unter keinem Vorwande die Burg Rengerswyl zu besuchen, und wir wollen zufrieden sein.‹

Friedrichs Stirn runzelte sich ein wenig über die Kühnheit seines Pagen, und über die Zudringlichkeit des Einsiedlers. ›Es ist unnötig‹, sagte er, ›und ziemt mir nicht, mit eidlich zu Dingen verbindlich zu machen, die ich bereits aus andern Gründen zu meiden genötigt bin. Lebt wohl! ich verliere bei euch zu viel Zeit; mein Geschäft hat Eile. Bei der glücklichen Rückkehr komme ich wieder bei dieser Stelle vorüber; dann will ich euch umständlicher danken, und den jungen Feuchtwangen, den ich eurer Vorsorge vertraue, wieder mit mir auf die Burg zurück nehmen.‹

Arnold nahm meinen Bruder mit sich in seine Wohnung, und pflegte ihn, bis er genas. Es wurden zwischen den beiden keine Worte über Friedrichs Hartnäckigkeit gewechselt; aber jeder hatte in der Stille seine kummervollen Gedanken darüber, und Hermann fasste einen Entschluss, den er, so bald er sich zu seiner Ausführung stark genug fühlte, ins Werk richtete, ohne weitere Rücksprache mit seinem Freunde darüber zu halten, weil er sich einiger Einrede von ihm besorgte. Er machte sich in der Stille auf, Friedrichen zu Uzenberg aufzusuchen, und ihn durch seine Gegenwart von jedem Schritte abzuhalten, welchen er sich, nach Arnolds Warnung, für sein Leben gefährlich dachte. Die Überzeugung, daß Friedrichs Gehorsam gegen den Willen seines Vaters hinlänglich sei, ihn von der Nähe seines verräterischen Bruders zurück zu halten, befriedigte ihn nicht ganz; es schwebten seiner fantasiereichen Seele wundervolle Möglichkeiten vor, wie der Gewarnte wider seinen Willen dem Verderben entgegen gerissen werden könnte: aber als er nach Uzenberg kam, zu welcher Reise er sich der Hülfe eines Bauern, den er im Walde vorfand, bediente, zeigte es sich, daß das Schicksal all der bunten Gaukeleien nicht nötig gehabt hatte, wie sie sich die Einbildungskraft des Knaben gedacht haben mochte, um das zu bewirken, was der höchste Gegenstand seiner Besorgnisse war; daß eine ganz gemeine List hier alles getan habe, was Friedrichs Feinde wollten. – Die Belagerung von Uzenberg war aufgehoben. Graf Friedrich hatte, so viel erforschte Hermann durch seinen Führer, zuverlässige Nachricht erhalten, die Dame, welche er zu befreien gekommen war, sei bereits durch seinen Bruder, durch Graf Diethelmen, glücklich davon gebracht, aber dieser habe bei dem gewagten Streiche eine Wunde erhalten, welche ihm den Tod drohe, und liege jetzt zu Rengerswyl, voll Sehnsucht nach der Verzeihung seines beleidigten Vaters, voll Sehnsucht nach dem Bruder, durch dessen Vermittlung er sie allein zu erlangen hoffen könne. Welche Botschaft! Welche Möglichkeit für ein Herz, wie Friedrichs, dem, was dieselbe von ihm heischte, sich zu entziehen! Alle Bedenklichkeiten wurden überwogen, oder vielmehr, er bedachte gar nichts. Schnell zu rascher Handlung hingerissen, fiel er in die Fallstricke, die man ihm gelegt hatte; die Schlinge ward zugezogen; er war unwiederbringlich verloren! – Cuno, mein Abgeschickter an Graf Friedrichen, traf in dem ersten Augenblick des Entsetzens über Friedrichs Reise nach Rengerswyl auf Hermannen. Auf sein Verlangen brachte er ihn zu mir, und, wie ich schon erwähnt habe, es brauchte Zeit, ehe ich aus Hermanns gebrochenen angstvollen Worten das erfuhr, was ich euch hier umständlich mitgeteilt habe. Ich war erschrocken, Friedrichen in der Gewalt seines zweideutigen Bruders zu wissen; ich glaubte, so wie mein Bruder, nur wenig von dem Vorwande, unter welchem man ihn auf Graf Diethelms Feste gelockt hatte; aber es fehlte doch viel, daß ich über diese Dinge so außer mir hätte sein sollen, als der Knabe, dessen fieberhafte Einbildungskraft ihm Rengerswyl wie eine Mörderhöhle schilderte, und ihn Dinge ahnden machte, welche mir ungeheuer dünkten, und die doch nur gar zu sehr durch den Erfolg bestätiget wurden. –

Adelheids Gefühle waren fast so lebhaft, als die Gefühle dieses Kindes; vielleicht daß der Charakter ihres Geschlechts sie so überspannter Ideen vom Mord und Hinterlist empfänglicher machte, als mich; vielleicht auch, daß sie von den gehässigen Gesinnungen Diethelms gegen seinen liebenswürdigen Bruder mehr wusste, als ich mir damals, bei aller schlechter Meinung, die ich immer von ihm gehegt hatte, nur als möglich denken konnte. – Auf ihr dringendes Bitten machte ich mich sogleich mit meinen Leuten nach Rengerswyl auf; sie wollte mir nicht dahin folgen, sondern fand nebst meinem Bruder Hermann, der zu schwach war, um die Reise weiter fortzusetzen, und dessen sie sich mit besonderer Zärtlichkeit annahm, Zuflucht in einem nahe liegenden Kloster, woselbst ich ihr versprach, sie nach meiner sonderbaren Expedition wieder zu finden, und an jeden Ort zu führen, welchen sie wählen würde. – Wohl mit Recht nannte ich meine Expedition nach Rengerswyl sonderbar: den Bruder in den Armen des Bruders unsicher zu halten; in der letzten Bitte eines Sterbenden Verrat oder Erdichtung zu ahnden; sich rüsten, mit List oder Gewalt einen Mann von einer gewähnten Gefahr zu retten, welcher vielleicht in den Armen brüderlicher Liebe ganz sicher ruhte, oder am Lager eines Sterbenden das göttliche Amt eines Friedensstifters verwaltete; dies hätte man wohl einen irrenden Ritterzug zu Bekämpfung fabelhafter Ungeheuer nennen können: mir selbst kam es zwar ein wenig, aber doch nicht ganz so vor; Verdacht hatte ich allemal wider Diethelmen gehegt, gerade so viel, als nötig war, meine Reise zu beschleunigen, und Klugheit und Vorsicht in meine Handlungen zu bringen.

Ach! kann ich umständlich erzählen, was ich fand, und wie die schwärzesten Vermutungen durch die Erfahrung gerechtfertigt wurden? – Es war nur zu gewiss. Diethelms tödliche Verwundung samt seiner sterbenden Sehnsucht nach Vater und Bruder war eine teuflische Erdichtung, die Unschuld in die Schlinge zu locken, und das Blut eines tugendhaften Bruders zu vergießen. Was man für Vorteil von dieser höllischen Tat hoffen konnte, welche den Täter vor aller Welt vogelfrei und ehrlos machen musste, das würde sich schwerlich erraten lassen, wenn sich nicht in der Folge gefunden hätte, daß die Anlagen zu Friedrichs Ermordung so gemacht waren, daß der Verdacht nimmermehr auf seinen Mörder gefallen wäre; daß man ihm vielmehr die Rolle seines Schützers, Verteidigers, oder Rächers zugeteilt haben würde, wenn alles den vorgezeichneten Gang genommen hätte. Aber läßt wohl eine der menschlichen Handlungen sich mit allen ihren Folgen untrüglich berechnen? und wacht nicht über das Verbrechen ein besonderer Hüter, welcher seinen Schleier zerreißt, und seinen verborgenen blutigen Pfad dem schauenden Auge der Welt aufdeckt, wenn es am verborgensten zu handeln wähnt?

Kain hatte seinen Bruder Abel erschlagen! In der ersten Nacht, da Friedrich unter seines Bruders Dache ruhte, ward das Mordschwert über ihn gezuckt; er fiel unbewacht, unbeschützt, vielleicht unerweckt aus dem süßen Schlummer, in welchem er lag. Mir war indessen, Dank sei es der Vorsicht, die Entdeckung der Greueltat nicht aufbehalten; Friedrichs Rächer waren früher angekommen, als ich. Der Einsiedler, nicht zufrieden, den Unglücklichen, der mir bei meiner Ankunft zu Rengerswyl entseelt entgegen getragen wurde, gewarnt zu haben, war auch auf dem Schlosse des alten Grafen von Toggenburg gewesen, ihn auf die Gefahr seines Sohnes aufmerksam zu machen. Hier hatte er mehr Glauben gefunden, und die väterliche Vorsorge hatte nicht gesäumt, die schleunigsten Anstalten zu Verhütung des Unglücks zu machen; aber welcher Riesenschritt holt den Gang des Schicksals sein? Ein Augenblick ist immer, da Rettung uns angeboten wird, da Rettung noch möglich ist: aber – wir verwerfen die Warnung, wir gehen fort auf unserm selbst gewählten Wege, und – die Zeit ist versäumt; wir sind für immer verloren.

Erspart mir die Mühe, die Anwendung auf den unglücklichen Friedrich von Toggenburg zu machen; erspart mir das ganze klägliche Detail einer Geschichte, welche sich die späte Nachwelt noch wiederholen, und unglaublich finden wird! Die Leute des alten Grafen von Toggenburg, die Friedrichen retten sollten, kamen zu spät, kamen nur zu seiner Rache noch früh genug. Diethelms Burgen gingen in Rauch und Flammen auf, unstet und flüchtig ward er, wie der erste Mörder: ich konnte und mochte keinen Teil an den Dingen haben; mein Herz und meine strömenden Augen hingen an Friedrichs blutenden Leichname: meine ganze Sorge ging auf seine hochbejahrten Eltern, und die Möglichkeit, ihnen den Todesstreich mit Schonung zu versetzen. – Mir ward das schwere Geschäft übertragen, dem alten Grafen die Todespost zu bringen, und die Überreste seines entleibten Sohnes nach dem Grabe seiner Väter zu begleiten: eine schwere Pflicht, welcher ich, Friedrichs Freund, mich nicht gewachsen fühlte. Ich zog zuerst zu meinem Verwandten, dem Abt von Sankt Gallen, Rat und Hülfe bei ihm zu holen. Ich fand, was ich suchte. – Dieser Prälat, welcher eben einige andere Äbte und Bischöfe bei sich bewirtete, erklärte sich, nebst ihnen die Leiche nach Toggenburg zu begleiten, und den unglücklichen Eltern meines geliebten Friedrichs, nebst der Nachricht von ihrem Verlust auch zugleich geistlichen Trost und weltlichen Rat zu bringen, bei welchen letztern – man verzeihe mir diese Anmerkung – eigener Vorteil nicht vergessen werden sollte. Zufrieden, daß man mir den schwersten Teil meines Geschäfts von den Schultern nahm, weihte ich mich nun ganz dem gerechten Schmerze um dem besten liebenswürdigsten aller Jünglinge. Während die Bischöfe beim alten Grafen von Toggenburg nach ihrer Weise geschäftig waren, begleitete ich Friedrichs Leichnam in die Totenhalle, weinte nebst seiner trostlosen Gemahlin auf seiner Asche, und ordnete seine Exequien.

*

Adelheiden und meinen Bruder hatte ich in dem Gewühle anderer Empfindungen ganz vergessen: erst dann dachte ich ihrer, als zu Wyl Leichen sich zu Leichen häuften, und mich an die Möglichkeit erinnerten, auch alles, was ich liebte, zu verlieren, so wie hier alles verloren war. – Das Trauergewölbe, wo Friedrichs Gebeine der feierlichen Beerdigung harrten, umschloß nach wenig Tagen auch die Leichname der unglücklichen Eltern, die den Tod ihres Sohnes nicht überleben konnten: als der Leichenzug begann, die entseelten Körper in die Kapelle zu Toggenburg zu führen; als die ganze Gegend den drei edlen Verstorbenen laut nachweinte; als die bleiche verzweifelnde Witwe meines Friedrichs dem Tode entgegen schmachtete, und keine Hoffnung kannte, als bald die vierte zu sein, welche den Trauerweg nach Toggenburg hinab geführt wurde; da überfiel mich plötzlich der Gedanke an meine Lieben; ich fühlte, ich hatte noch etwas, hatte noch viel zu verlieren, da Adelheid und Hermann noch lebten; die erste war durch den Fall ihres Schwagers und ihrer Schwester in einen sehr hülflosen Zustand versetzt; der zweite hatte keinen Beschützer, keinen Verwandten, als mich. – Vor meiner Abreise entzweite ich mich noch mit dem Abte von St. Gallen; ich zürnte mit ihm daß er in den Stunden des tiefsten Kummers fähig gewesen war, an irdischen Vorteil zu denken, und mochte mit einem so niedrig gesinnten Mann, wie ich ihn in der Übereilung nannte, nichts mehr zu tun haben. Als der alte Graf von Toggenburg eifernd über Diethelms Untat, erklärte, ein Meuchelmörder könne nicht Erbe seiner Güter sein, da war der Abt von St. Gallen so eilfertig gewesen, sich mit den Festen Toggenburg und Wyl von dem gutwilligen Greise begaben zu lassen, daß ich es ihm nicht verzeihen konnte. Ich war ungerecht: ich bedachte nicht, daß mein Verwandter nicht die nämliche Ursache hatte, über Graf Friedrichen untröstlich zu trauern, als ich; bedachte nicht, daß es ein Teil seines Ordensgelübdes war, keine Gelegenheit zu Bereicherung der Kirche ungenützt vorbei streichen zu lassen. Gewohnt, in allem mein Herz reden zu lassen, verschwieg ich dem Abte von St. Gallen nichts von meinem Urteile über seine Handlungen. Er antwortete mir, wie es ihm zukam; ich wusste wider das, was er zu seiner Rechtfertigung sagte, nichts einzuwenden, aber wir schieden kaltsinnig von einander; und da mir ohnedies seine Bestimmung meines Bruders für die Kirche nicht gefiel, so nahm ich mir vor, weder für meine Person seine Hülfe weiter zu suchen, noch Hermannen wieder in seine Hände zu liefern. ›Der Knabe‹, sagte ich zu mir selbst, ›hat Anlage zu den größten Dingen: er soll einst etwas Besseres werden, als ein eigennütziger Pfaffe.‹

Das Gerücht von den schrecklichen Ereignissen zu Rengerswyl war früher zu Adelheiden gekommen, als ich: ich fand sie voll Tränen und Plane für die Zukunft. Sie hatte ihre Schwester, die Gräfin Gertrud, die unglückliche vertriebene Märterin ihrer eigenen Bosheit, indessen gesehen. Vorwürfe von der einen, Vorschläge von der andern Seite waren erfolgt. Adelheid konnte und wollte sich nicht dazu verstehen, durch Regenbergs Heirat sich für die Wahl des Hauses aufzuopfern, welches durch eigene Schuld gesunken war: eben so wenig hatte sie Neigung, mit einer Schwester, die sie nicht hoch schätzen konnte, wenn sie sie auch bemitleidete, das Klosterleben zu teilen, welches Graf Diethelms Gemahlin für sich gewählt hatte, indessen er, der unglückliche Brudermörder, mit dem Abscheue des Volks und der Verfolgung der Edlen kämpfend, auf dem Wege war, alles zu verlieren. Dass er nachmals wirklich alles verlor, bis auf ein einziges Schloß, auf welchem er einige Zeit hauste, ist mir bekannt; ob aber der Abt von St. Gallen, der Besitzer seiner väterlichen Herrschaften, irgend etwas tat, ihn zu unterstützen, das ist mir unbewußt: ich leugne es nicht, ich wagte hierüber einige Vorstellungen an meinen hochwürdigen Verwandten; auch der leidende Verbrecher ist für ein fühlendes Herz ein erschütternder Anblick.

Adelheid entschloss sich nach langem Hin- und Hersinnen, zur Reise nach Frankreich, wo sie Verwandte hatte, und wohin ich sie begleitete. O Gott, was hätte ich darum gegeben, dem edlen Mädchen die Reise nach zweifelhaftem Schutze ersparen, und ihr in der Nähe ein standesgemäßes Glück anbieten zu können! Ich weiß nicht genau, wie Adelheid gegen mich gesinnt war; aber wäre ich reicher gewesen, als mich das Schicksal machte, ich hätte damals vielleicht mit einigem Glücke Anträge gewagt, zu welchen ich mich jetzt nicht erkühnen dürfte. – Alles, was ich in meiner damaligen Lage für sie tun konnte, war Begleitung nach dem Lande, wo sie Ruhe nach langen Stürmen hoffte. Hermann, welcher indessen völlig genesen war, jauchzte, uns begleiten zu dürfen: er kannte seine Bestimmung zum geistlichen Stande, und war froh, derselben entrissen zu werden, da seine junge Seele für das Schwert glühte. – Sein Freund, der Einsiedler Arnold, der uns an den damaligen Ort unsers Aufenthalts gefolgt war, billigte die Wünsche des Knaben, und gab ihm die Hand darauf, daß er, wenn er seine Vergehungen in der Einsamkeit genug gebüßt zu haben glaubte, ihm auf den Schauplatz der Waffen, da er kämpfen würde, folgen, und das Schwert an seiner Seite noch ein Mal führen wollte. – ›Mein Sinn‹, sagte er, ›steht mir nach einem Lande; wollte Gott die Vorsicht leitete euch dorthin! Ihr werdet nicht immer an der Hand eures Bruders gehen; das Schicksal trennt euch vielleicht bald: dann werdet ihr die Führung eines Älteren missen und bedürfen; und o wollte das Glück, daß ich der Schutzengel wäre, welcher euch zugesellt würde!«

Die Liebe des edlen Winkelried gegen meinen Bruder war grenzenlos; sie verleitete ihn oft zu Verirrungen und Ungerechtigkeiten gegen andere. Hermanns erst gehobene Unpäßlichkeit war ihm nichts anders gewesen, als eine Folge des zu Rengerswyl genossenen Gifts; er ließ sich diesen Wahn nicht ausreden; er haßte Friedrichs Mörder auch aus diesem Grunde mit unsterblicher Feindseligkeit; er breitete seinen Widerwillen auf alles aus, was sich zu seinem Hause zählte, und selbst Adelheid war nicht frei von seiner Abneigung. Er sah seinen Liebling ungern von ihr geliebt, und immer an ihrer Seite. Er war wider die Reise nach Frankreich, und suchte sie auf alle Weise zu hintertreiben. – ›Geht nur!‹ rief er noch zuletzt, als er sah, daß alles vergebens war; ›sucht nur in diesem falschen Lande, was euch nimmer gewähren wird! In seinem guten Könige, der sich jetzt zum Zuge wider die Sarazenen rüstet, verliert es die Juwele, die ihm den einzigen Wert gibt: bei ihm ist noch Treue und Glauben, bei dem andern nichts als täuschende Höflichkeit und leere Versprechungen.‹

War der Mann vielleicht ein Prophet, daß er dies sagte? – Doch keine Anwendung seiner Weissagung! sie möchte ein Herz treffen, das ich ungern verwunden wollte! – Adelheid fand bei ihrer Ankunft in Frankreich die Personen tot, auf deren Schutz sie gebaut hatte. Sie schwamm in Tränen, und hielt sich für ganz gelassen; ich ward ihr Tröster. – Ich hatte von der Königin des Landes gehört, sie sei gut, fromm, mild und edel, sei würdig, die Gemahlin Ludwigs des Heiligen zu heißen. Ihr vertraute ich meine Freundin und meinen Bruder. O Gott, eine solche Freundin! einen solchen Bruder! Ihr Wert war so vollkommen, anerkannt, und nun nach einigen Jahren muss ich hören, daß man sie vergessen habe.« – – –

Conrad von Feuchtwangen sah, daß bei den Vorwürfen, zu welchen er immer wiederkehrte, der Königin die Tränen aus den Augen stürzten. Er wollte sie nicht ferner bekümmern, und ermannte sich, seine Geschichte folgendermaßen zu endigen.

*

»Als ich meine liebsten Schätze solcher Gestalt geborgen glaubte, rüstete ich mich zur Rückreise nach meinem Vaterlande. Gern hätte ich ein Wort voll Liebeshoffnung auf eine glücklichere Zukunft aus Adelheids Munde mit mir genommen, aber alles, was ich erhielt, war die Erklärung, daß man mich schätze, daß man die lebhaftesten Freundschaftsgefühle für mich hege, daß man mich vielleicht geliebt haben würde, wenn kein Friedrich von Toggenburg in der Welt gewesen wäre, ›Ihm‹, setzte Adelheid mit unterdrückten Tränen hinzu, ›ihm ward, ich scheue mich jetzt nicht es zu bekennen, die Glut meiner ersten und einzigen Liebe zuteile; nach ihm vermag ich keinen andern zu lieben; um ihn werden ewig meine Tränen fließen.‹

Ihr hattet Recht, Königin, von mir zu glauben, ich würde bei meiner Rückkunft das Kreuz der geistlichen Ritter wählen. Adelheids Entschluss hatte diesen Vorsatz in mir erregt, und ich glaubte es, daß ich in dem ersten Schmerze über ihre Erklärung ihn ohne Rückhalt äußerte, doch fehlte noch viel zu seine Festigkeit; ein Mann sollte ihn wankend machen, von welchem ich nicht geglaubt hätte, daß ich je wieder mit ihm etwas zu tun haben würde. –

Als ich wieder in die Gegenden kam, wo ich alles verloren hatte, wo mich Friedrichs Grab, seine verödete Burg, seine junge trostlose Witwe so lebhaft an die schreckliche Vergangenheit erinnerten, wo kein Hermann mir den Kummer hinweg lachte und hüpfte, keine Adelheid mir ein liebliches Gedankenspiel gab, da erhielt ich Botschaft von Abt Berchtholden von St. Gallen, der meine Wiederkunft, ich weiß nicht wie, erfahren haben musste, eilig zu ihm nach Toggenburg zu kommen, weil er Dinge von Wichtigkeit mit mir zu bereden habe. Ich war nicht in dem besten Verständnisse von diesem Manne geschieden, und ich rüstete mich mit all meiner Festigkeit, mich bei meinem Unwillen gegen ihn zu behaupten. Ihr wisst, was ich ihm Schuld gab: Mangel an Edelmut und Gerechtigkeit, Fehler, welche ein biederes Herz ungern verzeiht; aber bei all meinem Gefühle daß ich billig mit ihm zürne, schlich sich doch zuweilen, schlich sich besonders jetzt, da ich diese für mich so einsame, freundlose Gegend wieder betrat, der Gedanke bei mir ein, daß ich ihm viel zu danken habe; das er der Tröster meiner Mutter in ihren letzten Stunden gewesen sei; daß ich durch ihn in Friedrichs Bekanntschaft kam, und vor allem – daß er hier das einzige Band war, das mich an die Welt fesselte.

Es ist eine traurige Lage, von allen Menschen abgerissen zu sein, niemand mehr anzugehören! Ich hätte die Welt darum gegeben, Abt Berchtholden noch hochschätzen zu können; ich begann bereits das, was ich an ihm tadelte, zu entschuldigen, und es war kein leichtes Werk, mich so, wie ich vorhin sagte, bei dem Unwillen gegen ihn zu behaupten, besonders da er jetzt den ersten Schritt tat, das getrennte Einverständnis wieder anzuknüpfen. Urteilt, ob die Art, mit welcher ich von ihm bewillkommt wurde, etwas betragen konnte, mich bei meiner Hartnäckigkeit zu erhalten. – Er empfing mich in der toggenburgischen Gruft, wo sich die Todestruhen, welche die Gebeine des alten Grafen, seiner Gemahlin und ihres ermordeten Sohnes umschlossen, als die neuesten, vor allen andern auszeichneten. Ein dünner Weihrauchduft durchwehte das kalte Gewölbe; zahlreiche Kerzen brachen seine Dunkelheit, und das ferne Murmeln der Totengebete seine Stille. – Der Abt kam mir in der Vorhalle dieses feierlichen Orts entgegen; er fasste liebreich meine Hand, und führte mich einige Schritte vorwärts. ›Bei den Verstorbenen, welche hier ruhen‹, rief er, ›Herr von Feuchtwangen, was habt ihr wider mich?‹ – Tränen quollen aus meinen Augen; ohne Antwort machte ich mich von seiner Hand los, an Friedrichs Grabe zu weinen und zu beten. Als ich mich wieder erhob, stand Abt Berchtholden mit in einander geschlagenen Armen, und verwunderungsvoller Miene mir gegenüber: – ›Und der‹, hob er von neuem an, ›welcher hier so heilige Tränen vergießen kann, hier, wo alles Friede ist, der kann sein Herz gegen einen Mann verschließen, welcher ihn nie beleidigte?' – Mein Herz war erweicht. Es war etwas Edles in Berchtholds Verfahren gegen einen Jüngling, dessen Huld ihn weder helfen, noch sein Zorn ihm schaden konnte. Ich hatte nichts wider ihn, als was einige vielleicht überspannte Begriffe von Recht und Unrecht mir eingaben. Er war ein Mann, dem ich Verbindlichkeiten hatte, jetzt mein einziger Freund und Verwandter. Noch einmal: mein Herz erweichte sich gegen ihm; ich warf mich in seine Arme. ›Was frommt es euch‹, rief ich, ›wenn derjenige euer Freund ist, der nicht der Richter eurer Handlung sein kann?‹

›Ein jeder Tugendhafter‹, antwortete er, ›richtet mit Recht über die Taten des andern; mir wird sein Beifall nie gleichgültig sein, am wenigsten der Beifall eines jungen Menschen, von welchem mich keine Betrachtung los machen kann, da er mir von einer sterbenden Mutter zu Schutz und Leitung anbefohlen ward. Conrad von Feuchtwangen! denket ihr noch der Augenblicke, da sie eure Hand in die meinige legte? Wo ist euer Bruder Hermann, den sie mir nebst euch empfahl? Warum mußtet ihr mir dieses Kind, das ich liebte, entziehen?‹

›Hermann taugte nicht für die Kappe‹, rief ich. »Ich habe ihn an den Hof des Königs von Frankreich gebracht; um dort das Schwert führen zu lernen.‹

›Conrad! Conrad!‹, erwiderte der Abt nach einer langen Pause; ›ihr seid mir für diesen Streich Vergütung schuldig! ich wünschte, daß ihr eurem Bruder wohl geraten habt. Zwar ist er an dem Hofe des frommen Ludwigs, so kann ich's nicht tadeln; aber wer bürgt euch dort für alles, wofür ich gebürgt haben würde, hättet ihr ihn unter meinen Augen gelassen? und was sind für euch eure Plane für die Zukunft?‹

›Ihr werdet mit mir zufrieden sein. Der Täuschungen der Welt müde, bin ich entschlossen, das Kreuz als geistlicher Ritter zu nehmen.‹

›Ha der dreifachen Torheit, die in diesen Worten liegt! Im zwanzigsten Jahre der Welt müde zu sein, dem Himmel die Überreste dieses weltmüden Herzens zu opfern und zu wähnen, ich, weil ich ein Mönch bin, würde große Freude an diesem Opfer haben!‹

Berchthold sah einige Empfindlichkeit in meinen Blicken über das, was er sagte, und die Art, wie er es sagte: er wollte den kaum gedämpften Unwillen nicht wieder in meinem Herzen aufkommen lassen. – ›Kommt!‹, sprach er, indem er mit vertraulicher Art meinen Arm ergriff; ›kommt mit mir hinauf in mein Zimmer, und laßt uns weitläuftiger über Dinge sprechen, welche wohl einer ernsten Erwägung bedürfen!‹ – Ich folgte ihm, und eine Unterredung begann, in welcher er mir fast völlig wegen seines ehemals von mir getadelten Verfahrens genug tat, und mir erklärte, daß er das Mißverständnis zwischen uns bloß um meinetwillen aufgehoben zu sehen gewünscht hätte, indem es ihm unmöglich gewesen sei, mich raschen Entschlüssen, zu denen er mich geneigt wisse, ohne alle Leitung zu überlassen; Entschlüsse, von welchen der, dessen ich eben gedacht habe, ein neues Beispiel abgebe.« –

»Doch, Königin, ich vergesse, daß die Zeit kostbar ist, und daß ich meinem Versprechen ein Genüge getan habe, indem ich euch mit dem Teile der Geschichte bekannte machte, der sich auf die Ursache meiner vorzüglichen Anhänglichkeit an eine Freundin und einen Bruder bezog, die nun für mich auf ewig verloren sind. Höret das Übrige in Kürze.

Es war natürlich, daß ich von dem Manne, der sich das Recht anmaßte, und es vielleicht auch haben mochte, meine Entschlüsse zu meistern, Anlass zu andern forderte. Ich erhielt einen Vorschlag, den ich nimmermehr aus dem Munde des Abts von St. Gallen vermutet hätte. – Dieser mächtige geistliche Fürst, durch Graf Toggenburgs Vergabungen noch mächtiger gemacht, hatte unter allen Widersachern, welche ihm wachsende Größe und Stolz zuzog, keinen furchtbarern, als den jungen Grafen von Habsburg, Rudolfen, den jetzt das römische Reich als seinen Beherrscher verehrt; und eben diese war es, den mir dieser unerklärliche Mann als denjenigen empfahl, unter dessen Panier es gut für mich sein würde, das Schwert zu führen. – ›Habsburg‹, sagte Berchthold, ›ist mein Feind; aber er ist ein großer Mann. Noch größer wird er wahrscheinlich in der Zukunft werden. Kettet euer Schicksal an das seinige, und euch wird geholfen sein. Er hat jetzt eine wichtige Fehde mit dem Freiherrn von Regensberg: dort könnt ihr Gelegenheit finden, mit seinem und Zürichs Span Span, ein altes Wort, das sonst für Ursache zum Widerwillen gebraucht ward. Der Span, welchen die Züricher wider Regensberg hatten, war, daß sie ihn zum Schirmvogte verlangten, und von ihm mit einer wahrhaftig rehabeamschen Antwort zurück gewiesen wurden. Sie wendeten sich an Graf Rudolfen von Habsburg, welchem damals die erste Morgenröte des Ruhms zu tagen begann; er fühlte sich durch ihren Antrag geehrt, und ward ihnen ganz das, was sie wünschten. den eurigen auszufechten.‹ – Regensbergs Name ward für mich der Schlag, welcher den Funken aus dem Steine lockte. Unwille glühte auf meiner Stirn, Rache in meinem Herzen bei seiner Erwähnung. Regensberg war auf eine Art in Graf Friedrichs und Adelheids Geschichte verflochten, welche mir ihn oft nicht allein zum Unglücke der einen, sondern auch zum Verderben der andern mitwirkend vorgestellt hatte. Vielleicht war ich in diesem Stücke zu voreilig mit meinem Argwohne; aber Regensbergs Stolz und Übermut machten ihn jedermann zum Feinde, und begünstigten manchen Verdacht, den man auf ihn warf, weil man sich freute, Ursache zu haben, wider ihn die Rüstung anzulegen. – Der Abt sah, was in meiner Seele vorging, sah meinen Entschluss, nicht bloß aus Achtung für Habsburgen, nein, auch aus Widerwillen gegen Regensbergen den Weg einzuschlagen, den er mir vorzeichnete. Er freute sich der Wirkung seiner Worte. Regensberg war auch ihm verhaßt; und tue ich dem heiligen Manne Unrecht, wenn ich glaube, sein ganzes hier beschriebenes Verfahren gegen mich sei Wirkung des Wunsches gewesen, einen Feind gegen Regensbergen auszurüsten, der seine, des Abts Rache an ihm üben konnte, indem er glaubte, seine eigene zu üben? – O dieser Berchthold, dieser Abt von St. Gallen war von jeher ein Mann von unergründlicher Staatsklugheit; kam man ihm bei seinen Anschlägen hier und da auf die Spur, so konnte man sicher glauben, daß noch weit mehr verborgen lag, als sich mit gemeinen Augen absehen ließ. – Diese Meinung wurde mir bei meinem Aufenthalte zu Wyl, wohin wir uns von den Gräbern der Grafen von Toggenburg erhoben, durch tausend Dinge bestätigt. Dass Liebe zu mir, oder Sorge um mich die einzige Ursache gewesen sei, warum er mir bei einem Mißverständnisse zuerst mit dargebotener Hand entgegen eilte; die einzige Ursache, warum er mir eine wirklich rühmliche Laufbahn vorzeichnete; von diesem Wahne kam ich sehr bald zurück. Die Erkenntnis, ich habe mich hierin geirrt, tat indessen jetzt nichts mehr zur Sache, ich war entschlossen, Habsburgen wider Leutholden von Regensberg zu dienen, und blieb es, auch eilte ich, meinen Vorsatz auszuführen.

Das tägliche Wohlleben auf Abt Berchtholds Burgen mißfiel mir, und ermüdete mich; er sagte mir unablässig, daß nicht Neigung zu gefüllten Bechern, sondern Notwendigkeit, diejenigen zu Freunden zu haben, welche das Wohlleben liebten, seine Tafel mit Gästen zu hunderten besetzte, auch glaubte ich ihm, aber gewöhnen konnte ich mich an seine Notwendigkeiten und an seine Regeln der Staatsklugheit nicht; ich schüttelte treuherzig die Hand, die er mir treuherzig darbot, versprach ihm seine Handlungen nie voreilig zu beurteilen, überall an den guten rechtmäßigen Grund derselben zu glauben, und eilte von den schwelgerischen Mönchen zu dem nüchternen Habsburger, den ich so, wie ich wünschte, unter den Waffen fand.

Ich bedurfte keine weitere Empfehlung bei ihm, als die Anzeige, daß ich unter den Rittern des alten Grafen von Toggenburg zuerst den Gebrauch der Waffen gelernt habe, und Graf Friedrichs Knappe gewesen sei, er nahm mich auf unter sein ritterliches Gefolge, und Gelegenheit, das zu zeigen, was ich leisten konnte, fand sich bald.

Die Züricher erfuhren den Nachdruck von Rudolfs schützenden Schwerte wider Regensbergen und den Bischof von Basel. Überall war ich an der Seite des Helden, den ich lieb gewann. An eben dem Tage, da Jacob Müller ihn durch eine tapfere Tat das Leben rettete, kann ich mich rühmen, das nämliche geleistet zu haben.

Ich ward Rudolfen teuer, er brauchte mich zu Ausrichtung seiner liebsten Geschäfte. Nicht immer siegte man wider unsern mächtigen Feind mit dem Schwert in der Faust, wider etliche seiner unüberwindlichen Burgen musste List das Beste tun. Baldern war bereits auf diese Art in unsern Händen. Uzenberg, das Schloß, von welchem ich einst meine Freundin Adelheid heimlich davon brachte, gewannen wir, vermittelst des verborgenen Zugangs nach dem Wasser, der mir bekannt war. Regensbergs Stolz und Liebe zu übermütiger Pracht, legte ihm die dritte Falle. Mit zwölf Rittern in blanker Rüstung auf weißen Rossen, mit zwölf ähnlich gewappneten Knechten, welche die Jagdhunde des großen Freiherrn am Strick führten, ritt er täglich auf der Ütliburg aus und ein, die Jagdlust im Tal zu genießen. Er selbst war an der Spitze des Zugs in ganz goldner Rüstung, auf einem schwarzen Hengste, der an Größe und Stärke in ganz Helvetien seines gleichen nicht hatte. Der Zwerg, der vor ihm her ritt, der Burg die Ankunft ihres Herrn kund zu tun, trompetete allemal auf eine Weise, welche uns, die wir in der Nähe verborgen lagen, gar bald bekannt ward.

Es waren unsere acht junge Ritter von Habsburgen in diese Gegend auf Kundschaft ausgesandt. Nach einiger Rücksprache mit unserm großen Anführer kam der Anschlag zu einer Tat zu Stande, welche gar bald ausgeführt war. Wir nahmen unsere wenigen Reisigen zusammen, und zogen sechzehn Mann stark wider Regensbergs vierundzwanzig, welche, während er Abenteuern, die mir unbekannt sind, im Walde nachging, den Eingang bewachten.

Wir erbeuteten all seine Rosse nebst dem ganzen Jagdzeug, und während der Zwerg, der uns entwischte, seinem Herrn die Botschaft von seinem Verlust brachte, zogen wir schon seinen gewöhnlichen Pfad nach der Ütliburg hinauf, trompeteten sie an nach seiner Weise, wurden in der Dämmerung, welche unsere minder glänzenden Rüstungen unkenntlich machte, um der weißen Rosse und Hunde willen, für das Jagdgefolge des Schloßherrn gehalten und eingelassen. Hinter uns war der tapfere Habsburg, unserm Siege den Nachdruck zu geben. Die Ütliburg war unser, und ihr Verlust war das Signal zu Regensbergs völligem Untergange, der sich gar bald auf Bedingungen ergeben musste. Sieg und Ehre folgten Habsburg Schritten, wo er hinzog: er war zu edel, sich derselben zu überheben; er wollte durch löbliches Nachgeben noch größer werden, als durch das Schwert. Schon mehrere Jahre hatte ich unter seine Fahne gefochten, ohne genötigt gewesen zu sein, die Waffen wider Rudolfs Feind, meinen Verwandten, zu führen. Jetzt zeigte sich Gelegenheit zu einer Aktion, wie ich sie immer gefürchtet hatte; Gelegenheit, Graf Habsburgen meinen Arm zu versagen.

– ›Herr Graf!‹, sagte ich, als mir eine Streiferei in Abt Berchtholds Gebiete aufgetragen ward; ›ich darf das Schwert nicht wider den Mann ziehen, dem ich das größte Glück meines Lebens danke.‹

›Welches Glück?‹, fragte Rudolf voll Erstaunen, mich des Abts von St Gallen Freund zu finden.

›Das Glück‹, antwortete ich, ›euch zu kennen, und nun schon so lange unter euch gedient zu haben. Als ich einst mit ihm zu Rate ging, welche Beschäftigung für mein Schwert zu wählen sei, da pries er mir euch als einen wackern Heerführer. Er ist mein Feind, sagte er; aber ihr könnt keinen rühmlicheren Taten entgegen sehen, als die, zu welchen er euch anführt.‹

›Und dies tat Abt Berchthold zu St. Gallen?‹, fragte Rudolf mit Erstaunen.

›Ja, Herr Graf! und urteilt nun, ob ich im Stande bin, ihm das Glück, das ich ihm danke, mit dem Schwerte zu lohnen.‹

Rudolf schwieg und überhob mich des Zuges; auch ließ er mich oft rufen, ihm von des Abts Tun und Wesen zu erzählen. Ihr wisst, Königin, daß ich bei weitem nicht in allem mit meinem Verwandten zufrieden war; aber von den Flecken seines Charakters, die vielleicht nur mir auffielen, hielt ich für gut, hier zu schweigen. Ich weidete mich an dem Gedanken, Frieden zwischen zwei Personen zu stiften, die ich ungern als Feinde sah; den Abt, weil er mein Verwandter war, Rudolfen, weil ich ihn verehrte. Ich sagte so viel von Abt Berchtholds guter Seite, als mir möglich war, ohne die Wahrheit zu verletzen, und brachte vielleicht dadurch einen Entschluss in der Seele des edlen Habsburgs zur Reife, den man noch in spätern Zeiten als einen seltenen Zug von Mut, Größe der Seele, gutem Zutrauen in die Redlichkeit eines andern, und Liebe zum Frieden bewundern wird.

Ich stand in Habsburgs Gunst so hoch, daß ich in derselben nur einen über mir sah: es war ein Ritter von Mülinen, aus einem altadeligen helvetischen Heldengeschlechte, in welchem Ehre und Fürstengunst erblich geworden war. Ich neidete ihn nicht um Rudolfs Vorliebe, und war zufrieden, oft an den Vorzügen Teil zu haben, welche er genoss; Vorzüge der Gefahr und der Waffen waren es, deren wir uns an Habsburgs Seite rühmten, nicht solche, durch welche Fürstenlieblinge sich gemeiniglich auszeichnen. – Wir beide waren es, welche Rudolf einst zu sich beschied, ihn auf einem einsamen Ritte zu begleiten. ›Ritter!‹ sagte er zu uns, als wir bereits eine Strecke Weges zurückgelegt hatten, ohne zu wissen wohin, ›ihr beide waret immer die nächsten um mich, wo das Schwert blinkte: seid heute meine Gefährten zu einem Zechgelage. Ich höre, der Abt von St. Gallen bewirtet heute hundert Edle an seinem Tische; ich will ihn, und ihm sagen lassen, sein Feind Rudolf sei vorhanden; ob wir bei den gefüllten Bechern etwa Freunde werden möchten. Ihr erbleicht, Herr von Feuchtwangen? wenn alles das wahr ist, was ihr mir von Berchtholden sagtet, so habt ihr für mich nicht zu sorgen. Die Aufnahme wird gut sein, und die geschlossene Eintracht kann manch unschuldiges Menschenleben fristen. Auf den ärgsten Fall wisst ihr, wo ihr mich finden sollt.‹ – Mit diesen Worten schied Rudolf von uns: wir wollten ihm nach; sein Blick verbot uns, ihm zu folgen. Die Gegend, wo wir uns befanden, ward uns jetzt kenntlich: nur ein niedriger Hügel war es, der uns des Abts stolze Burg verborgen hatte, in welcher, so wie die Dämmerung anbrach, sich hundert Kerzen entzündeten, und mich eins von den schwelgerischen Gelagen ahnden ließen, von welchen ich oft Zeuge gewesen war. – Ich war außer mir. Rudolfs Entschluss, sich zu Erreichung irgend eines großen Endzwecks den Händen seines Feindes einsam anzuvertrauen, lag am Tage; ich war durch einige unvorsichtige Äußerungen vielleicht Veranlasser dieses seltsamen Wagestücks. In Habsburgs Reden schien dieses zu liegen; aber war dies meine Absicht gewesen, als ich von meinem Verwandten Gutes sprach?

– Himmel, was hatt' ich getan! kannt' ich Abt Berchtholden genug, um das Leben des geliebten Helden in seinen Händen sicher zu wissen? und wenn ihm zu trauen war, was hatte man sich zu seinen Zechgenossen zu versehen? Was ist trunkenen Mönchen zu viel? und war auch wohl nur einer unter ihnen fähig, das Große in Rudolfs Tat ganz zu schätzen? –

Meine Angst wurde durch die Vorwürfe meines Gefährten aufs höchste getrieben: sein Herz hing vielleicht an Habsburgen noch mehr, als das meinige; Sorge um sein Leben erfüllte seine Seele mit dem schwärzesten Verdacht, Verdacht auch gegen meine Redlichkeit, die ich ungeahndet nicht gelassen haben würde, wäre nicht meine ganze Seele so voll Kummer gewesen, als die seinige. Wir hatten uns der Burg so sehr, als möglich, genähert; die Nacht brach ein; Habsburg kam noch nicht zurück. Mülinen ward mit seinen Vorwürfen, welche ihm die Liebe zu dem angebeteten Helden eingab, so ungestüm, daß meine Geduld endlich verschwand; ich verteidigte mich heftig, und es war an dem, daß unsere Schwerter hätten bloß werden müssen, wenn sich nicht von der Burg her ein anderer Auftritt gezeigt hätte. Doch diesen zu erklären, erst etwas von Rudolfs Aufnahme auf der Burg!

Wer kann das Erstaunen von Abt Berchtholds Zechgenossen schildern, als der gefürchtete und gehaßte Habsburg, auf dessen Verderben eben einige Feindselige die gefüllten Becher zu leeren im Begriffe waren, mitten unter sie trat, ein Mann hohen königlichen Anstandes, den Wenigsten persönlich bekannt, und eben darum von ihnen gehaßt und gelästert. Die, welche ihn kannten, und also bei dem, was man wider ihn redete, gern schwiegen, waren die ersten, die sich bei seinem Anblicke staunend erhoben; ihnen folgten zittern die andern, und Habsburgs Name tönte flüsternd von Munde zu Munde. Er aber ging lächelnd durch sie hin, zu dem Manne, um dessen willen er hier erschien, und sagte Worte zu ihm, die ich euch nicht zu wiederholen brauche, weil sie die innere Beschaffenheit von Streitigkeiten betrafen, welche außer eurem Gesichtskreise liegen. Kurz und voller Adel war seine Erklärung: der Abt behauptete sich in seiner Antwort bei dem Charakter, den ich ihm gegen Rudolfen gegeben hatte. Man gab sich treuherzig die Hand, und nahm die ganze Versammlung zum Zeugen des geschlossenen Bundes. Habsburg aber, voll edler Unbefangenheit, nahm Platz unter Berchtholds Gästen, und gewann durch Huld und Herablassung noch mehr Herzen, als er durch die kühne Tat, sich den Händen eines Feindes anzuvertrauen, gewonnen hatte. – Er sprach von den Feindseligkeiten des Bischofs von Basel, die er kürzlich erfahren hatte, und aller Herzen empörten sich gegen den, welcher Habsburgen beleidigen konnte. Er sprach von ritterlicher Rache, und alle Edlen zogen das Schwert, und schworen, bei der Fehde wider seinen Feind an seiner Seite zu sein. Mittlerweile war kund worden, daß zwei Ritter, Rudolfs Begleiter, außer der Burg zurück geblieben wären, und Abt Berchthold fertigte eine Gesandtschaft ab, uns herauf zu holen, um an dem Triumphe unsers Herrn Teil zu nehmen. Einige der vornehmsten Gäste führten den Zug, die Harfner spielten vor ihnen her, und die Dienerschaft folgte mit Fackeln: man glaubte, die Begleiter eines solchen Herrn nicht genugsam ehren zu können. – – Dies war der Auftritt, der unserer Feindseligkeit ein Ende machte. Wir hörten, was man uns von Rudolfen sagte, ohne es ganz begreifen zu können; aber als wir jetzt die Burg betraten, und das Getön: ›Lange lebe Habsburg, und verderben müsse der Bischof von Basel und seine Genossen!‹ uns entgegen schallte; als bei unserm Eintritte in den erleuchteten Gastsaal uns der Abt und einige der Bischöfe entgegen kamen, uns an die Tafel zu ziehen; da ward uns die Sache klar, und wir vereinigten uns mit den andern in Bewunderung des Helden, welcher gewohnt war, überall und auf alle Art den Sieg davon zu tragen. – – Nach diesem Tage war es, als wenn Rudolfs Auge nicht mehr mit so vieler Zuneigung an mir hinge, als vordem. Der Abt hatte bei jenem festlichen Mahle mit freudiger Überraschung mich für seinen Vetter, Conrad von Feuchtwangen, erkannt, hatte mich als denselben der Versammlung auf eine Art vorgestellt, welche mir mehr Anteil an Habsburgs Tat beimaß, als mit der Wahrheit und dem edlen Selbstgefühl des Helden bestehen konnte. Habsburgs edles Herz war nicht ganz frei von Verdacht und Argwohn; eine Kleinigkeit konnte ihn oft in ein Labyrinth von Mutmaßungen verleiten, aus welchem er sich nicht leicht wieder zu finden wusste. Ich hatte ihm nie gesagt, daß ich Berchtholds Verwandter sei: dieser unbedeutende Umstand stürzte mich; er folgerte aus demselben, Gott weiß welche absichtliche Verheimlichung, Gott weiß welches verborgene Einverständnis mit dem Abte. Vergebens suchte mich Mülinen, der sich jetzt völlig mit mir ausgesöhnt hatte, zu verteidigen; es ward mir unter den Fuß gegeben, mein Glück anderwärts zu suchen; nicht einmal bei dem Zuge wider die Baseler durfte ich gegenwärtig sein, und hatte also nun zum zweiten oder dritten Male, in meinem Leben die weite Welt vor mir, mein Schwert zu üben, wo ich wollte.

Ist der Mensch immer eine schwache Ranke, welche sich schlechterdings irgend an ein Geschöpf seines gleichen anhängen muss, oder liegt diese Schwachheit nur in meinem Charakter? Habsburgs Gunst hatte ich verloren; der Abt war viel zu sehr von der Freundschaft seines großen Lehnsmannes eingenommen, um den, den er zurück setzte, noch viel holde Blicke zu gönnen; meine andern Lieben waren fern; selbst den Einsiedler Arnold suchte ich vergebens in seiner Waldwohnung: er hatte, so sagte man mir, einen gelobten Zug nach dem heiligen Lande angetreten. Da erwachte von neuem der Entschluss in mir, mich dem geistlichen Ritterstande zu weihen.

Meine Wahl fiel auf die Johanniter; aber ich fand in ihnen heimliche Freunde des mörderischen Grafen Diethelm, der ihnen, zu Büßung seiner Blutschuld, die letzte Burg, die er besaß, zum Ritterhause eingeräumt hatte. Ich dachte an die tapfern Tempelritter von Jerusalem; aber sie waren mir zu fern, und es fehlte mir an Mitteln, zu ihnen zu gelangen. Da machte mich mein gutes Glück mit einem Ritter des deutschen Ordens, mit Heinrich Zuckeschwert, bekannt: durch ihn lernte ich die Vorzüge der edlen Gesellschaft kennen, zu welcher er sich zählte; durch ihn ward ich Einverleibter eines großen Bundes, der sich durch die ganze Welt ausbreitet, durch ihn ein Verwandter von Tausenden, die mich mit Freuden als Bruder begrüßten, und mich das Dasein wieder lieb gewinnen lehrten, welches mir, so lange ich mich als ein verwaistes, von der ganzen Menschheit abgesondertes Wesen betrachtete, so verhaßt geworden war, daß ich es um nichts hingegeben, oder es selbst geendet haben würde, wäre Selbstmord eine Tat, die einem christlichen Ritter ziemte.

Von nun an begann für mich ein Leben, reich an Taten, reich an Gefahren und Siegen, zum Besten anderer, nicht für mich. Dies war die Sphäre, die mir gefiel, und welcher mich jetzt nichts, selbst Adelheids dargebotene Hand nicht entreißen sollte: ach, diese Versuchung habe ich nicht zu besorgen! Adelheid ist für mich dahin! nicht einmal ihres Anblicks, nicht einmal der Versicherung ihrer dauernden Freundschaft soll ich mich freuen! es ist ausgemacht, daß der Himmel sich den ausschließenden Besitz meines Herzens vorbehalten hat!

Die Begebenheiten, welche mir im Dienste meines Ordens den größten Teil der vergangenen Jahre zustießen, sind kriegerischer Art, sind nicht so beschaffen, wie sie das Ohr einer Dame, einer Königin, ergötzen können. – Szenen des Schreckens voll heidnischer Gräuel und christlicher Tapferkeit, auch wohl voll irre geleiteten Glaubenseifers und Unterdrückung unglücklicher Menschen, welche keinen Fehler hatten, als daß sie frei sein und blieben wollten; Szenen dieser Gattung könnte ich euch genug schildern: aber mein Auge ermüdete, sie zu sehen; was würde mir und euch die Wiederholung für Freude geben? – Die Gunst meiner Obern, mein ziemliches Wohlverhalten verschaffte mir verschiedene Mal den Antrag solcher Würden, die ich nur darum ausschlug, weil sie mich an das Land gefesselt haben würden, in welchem ich nicht ewig zu bleiben wünschte. Mein Sinn stand von je her nach Palästina: dort muss mir, wenn Ahndungen nicht trügen, noch irgend ein Glück blühen; und wohl mir, daß mich die Aufträge meines Ordens zu dem frommen Könige, eurem Gemahle, bringen, in dessen Geleite ich zu bleiben nicht allein Freiheit, sondern sogar Befehl habe! wohl mir, daß ich bei Ludwigen den Mann treffen werde, der mir, wie ihr sagt, von meinem verlornen Bruder Hermann Nachweisung geben kann, den edlen Herrn von Joinville, den mich längst das Gerücht verehren hieß, ohne daß ich wusste, wie einst ein Teil meines Glücks in seinen Händen stehen würde!«


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