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Der schwere Sieg

Die Ritter wussten den König sehr gut bei seiner schwachen Seite zu fassen; diese schwache Seite war schwärmerische Liebe für das Andenken eines angebeteten Vaters: andre hatten diese rühmliche Schwäche schon genutzt, Germunden zu zweideutigen Handlungen zu verleiten; so war es ja wohl zu verzeihen, daß Jeroschins Freunde sich derselben zu Rettung eines Unschuldigen bedienten: daß es dieses war, was Ulrichs und Conrads Forderungen zum Grunde lag, wird der Leser schon ohne unsere Weisung erraten haben. Die Bedingung, unter welcher der eine sich anheischig machte, den Zug wider die Reußen mitzutun, war nichts anders, als Jeroschins Befreiung von Perkunos Priestertume. Der Mann, den der andere an seiner Statt stellen wollte, Svintarohas Blut rächen zu helfen, war kein anderer, als der, welchen er nicht mit Unrechte den Gastfreund des königlichen Einsiedlers nannte; Jeroschin, der, wie wir gesehen haben sich allerdings einer Erscheinung des erhabenen Verstorbenen rühmen konnte, aus welcher sich bei einem Gemüte, wie Germunds, die größten Vorteile für ihn entwickeln konnten. Was bei Benutzung dieser Dinge von List mit unterlief, konnte man wohl ohne Gewissenszweifel unter die erlaubten Kunstgriffe rechnen, sich aus so bedenklichen Lagen, wie die Lage der drei Freunde war, heraus zu winden.

Der Weg nach dem Heiligtume des Donnergottes ward ohne Säumen angetreten, die Ritter verweilten Germunden zu Liebe unter Weges gern bei Svintarohas Denksteine, und ließen sich hier gern das zehn Mal Gehörte noch ein Mal erzählen, besonders Conrad, der bei allen solchen Dingen mehr Nahrung für seine Laune fand, als sein rauherer Gefährte. – Beim Eintritte in den Fichtenhain, wo Svintarohas heiliges Feuer flammte, bekam Germunds Beredsamkeit neue Nahrung; die Ritter wussten von den Dingen, die ihnen der gute König mitteilte, mehr, als er meinte; sie erwarteten jeden Augenblick den ersten Schein der Glut zu sehen, die ihnen, als sie sie in jener Nacht zuerst erblickten, ein brennender Wald dünkte. Sie glaubten, nach ihrer Rechnung, diesen Abend Jeroschin wieder als Hüter des Feuers zu finden, und bei dieser Gelegenheit das erste Wort zu seinem Besten zu reden; aber sie warteten sowohl vergebens, als Germund, der schon längst seine Augen weit geöffnet hatte, um sich an der heiligen Glut zu weiden, von Perkunos Priestern für die Ewigkeit bewacht, welche er für das glänzendste Ehrendenkmal des Verstorbenen hielt, und sich mit dem süßen Wahne täuschte, daß noch nach Jahrtausenden die späte Nachwelt bei demselben Svintarohas Namen nennen, und sich seine Geschichte erzählen würde.

Es ist ein seltsames Ding um die Ewigkeit, die wir uns hier nieden träumen: oft nimmt sie schon bei unsern Lebzeiten ein Ende. Germund war verdammt, heute im Geiste das Vorspiel von dem zu sehen, was einer seiner Nachfolger Uladislaw, der die Götzendienste zerstörte, und die Litthauer in so großer Menge zur Taufe führte, daß man sie haufenweise mit einem Namen belegen mußte. 1388. hundert Jahre später bewirkte: in Trauer verwandelte Gottesdienste, und gänzliche Verlöschung der heiligen Feuer. – Doch die geweihte Glut, nach welcher der König und die Ritter gleich ängstig aussahen, war nicht ganz verloschen; nur hatte sie sich, wie man jetzt im Näherkommen endlich erblickte, in eine kleine traurige Flamme verwandelt, gleich den Klagopfern, welche die Ägyptier im Heiligtume ihrer Isis zur Söhnung begangener Verbrechen anzuzünden pflegten.

Der alte Götterdienst hatte zu allen Zeiten, und in allen Gegenden gewisse Ähnlichkeiten, es ist nicht unmöglich, daß Perkunos Priester in ihrem Rituale etwas von den memphitischen Mysterien entbehrt hatten, wenigstens fand es sich, daß der Anblick, der den erhabenen Reisenden aus verschiedenen Ursachen gleich schrecklich war, auf etwas Ähnliches abzielt, als wir eben erwähnt haben.

In Trauer gehüllte Priester gingen bei der kläglichen Flamme auf und ab, und traten, als sie den König und seine Begleiter, die jetzt aus den Schatten des heiligen Hains herauf kamen, gewahr wurden, ihnen schweigend entgegen. »Was weissaget mir euer verstörtes Ansehen?« schrie Germund. »Ist Svintarohas Andenken erloschen? droht dem Königreiche ein Unglück? oder ist das Geschäft, um dessen willen ich heute euer Heiligtum besuche, der Gottheit mißfällig?« »Die Gottheit«, erwiderte einer der Priester, »gedachte gegen uns des Geschäfts nicht, das dich heute in ihr Heiligtum führt: das Land ruht sicher unter deinem Schutze, und Svintarohas Andenken wird wohl ewig unvergeßlich bleiben.«

»Oder«, schrie Conrad mit unvorsichtiger Eile, »ließ Jeroschin die Flamme verlöschen, die ihr hier zum Gedächtnisse des Königs nährt?«

»Was weiß ein Christ von unsern Geheimnissen?«, fragte der Priester mit gerunzelter Stirn. »Zwar wer Jeroschin kennt, wie wir nun ihn kennen, dem ist alles erklärlich.«

»Ich fordere Achtung für die Ritter, wie für mich selbst!«, rief der König: »sie sind meine Freunde, Freunde der Gottheit und des Landes. Man beantworte ihre Frage!«

»Allerdings«, antwortete der Sprecher mit etwas milderer Stimme, »allerdings ist ein Priester, Namens Jeroschin, Ursache unserer Trauer, aber nicht, weil er die heilige Flamme verlöschen ließ, für welche die Gottheit wacht. Noch glimmt der ewige Funken, und bedarf nur mehrerer Nahrung, um zur vollen Glut zu wachsen; aber diese Nahrung ist ihm versagt, bis das Heiligtum gerochen ist, welches Jeroschin entweihte.«

»Und wer ist dieser Jeroschin, den ich hier so oft nennen höre?«, fragte Germund.

»Eben derjenige, welcher schon ein Mal zu Perkunos Opfer bestimmt war, und der sich durch Trug und Heuchelei dem Flammentode entriß. Jetzt tritt er selbst auf, diesen Trug, diese Heuchelei zu bekennen zu gestehen, daß er ein Abtrünniger sei, der nicht würdig war, an Perkunos Altare zu dienen; jetzt tritt er selbst auf, sich dem Opferherde darzubieten, den wir gleich wohl nicht eher für ihn schüren werden, bis uns Germund königliches Wort bevollmächtigt.«

Die Ritter überlief ein eiskalter Schauer: nur gar zu leicht konnten sie sich enträtseln, was hier vorgegangen war. Jeroschins bisher kaum halb verstande letzte Reden gaben ihnen den Schlüssel zu allem. Ach, Ritter Ulrichs ungestümer Glaubenseifer, mit welchem er in jener Nacht Jeroschins Verfahren tadelte, und es sträfliche Heuchelei schalt, hatte Gewissensbisse in der Seele des edlen Preußen erregt, die sich nun auf diese schrecklichste Art geäußert hatten! Voll Reue, voll Beschämung, die lange gespielte Heldenrolle durch Betrug geschändet, sein Leben durch Heuchelei gerettet, als ein Christ an Perkunos Altare gedient zu haben, war es sein erstes Geschäft bei seiner Rückkunft in den Tempel gewesen, sich als den kund zu geben, der er war. Schon lange hatte man von ihm alles gewußt, was er selbst von sich sagen konnte, und man erfuhr also aus seinem Munde nichts Neues; aber der Beweis hatte gefehlt: und diesen fand man jetzt in seinem eigenen Geständnisse. – Voll Entzücken, nun zum Untergange des gehaßten Jeroschin, welchem Fluch und Bann der Geistlichkeit aus seinem Vaterlande in alle Winkel der Erde folgte, keine weiteren Umschweife, keine erkünstelten Ursachen nötig zu haben, würde man sogleich mit ihm zu dem Tode geeilt sein, den er jetzt selbst wünschte; aber man scheute sich, durch ein solches Verfahren eins der heiligsten Rechte der Priesterschaft zu verletzen, und sich dadurch vielleicht für die Zukunft Nachteil zu bereiten. Keiner von Perkunos Priestern durfte ohne Zustimmung des Königs sterben; ein Sicherheitsmittel, welches in der heiligen Gülde, da immer Uneinigkeit und Privathaß herrschten, zum Besten einzelner Glieder höchst nötig war. Jeroschin war einmal der Gottheit geweihter Priester, und man durfte bei ihm keine Ausnahme machen; daher das Klageopfer, die Fantasie des schwärmerischen Königs zu reizen, von welchem man wusste, daß er heute dieses Weges kommen würde; daher die feierliche Bitte um Jeroschins Blut, die ihren Endzweck so wenig verfehlte, daß schon die zitternden Ritter das Todesurteil ihres Freundes auf des Königs Lippen sahen, und es daher für nötig hielten, alle Umstände beiseit zu setzen, und vor Aussprechung des unwiderruflichen Worts deutlich zu sagen, was sie von ihm verlangten, und welches eigentlich die Bedingung des Bundes sein sollte, an welchem Germunden so viel gelegen war.

»Halt ein, König!«, rief Ulrich von Magdeburg; »halt ein mit der Bewilligung dessen, was dieser Mann von dir fordert! Jeroschin, den er zum Opfer seiner Gottheit heischt, ist eben der derjenige, dessen Befreiung ich zur Bedingung meines Mitzugs wider die Reußen mache.«

»Und eben derjenige«, fiel der sanftere Conrad ein, indem er Germunds Hand ergriff, »eben derjenige, den ich an meiner Statt an Ulrichs Seite stelle, für den ich mich mit meinem Blute verbürge, daß er bei Svintarohas Rache alles das leisten wird, was ich geleistet haben würde, wenn mich nicht meine Pflicht in andere Gegenden riefe. Jeroschin ist eben derjenige, welchen ich Svintarohas Gastfreund nannte; er ist der, welchen der Schatten des guten Königs einer Erscheinung würdigte. Lass ihn vor dich kommen, Germund! sieh ihn! sprich mit ihm über diese Gegenstände; und du wirst handeln, wie du handeln mußt, wenn du nicht unsere Freundschaft und den Beitritt des Ordens unwiderruflich verscherzen willst.«

Nie hat sich wohl ein abergläubischer Fürst in einer peinlicheren Lage befunden, als Germund; auf der einen Seite das rührende Bitten eines Mannes, den er liebte, das ernste Drohen eines zweiten, den er fürchtete, auf der andern das wütende Eindringen tobender Priester, die Furcht, eine Lieblingsidee in Rauche aufgehen zu sehne, für welche er sein Leben aufgeopfert hätte. Sollte er Conraden kränken, Ulrichen und den Orden beleidigen? Sollte er die Gottheit Perkunos zurück setzen, und Svintarohas heiliges Feuer verlöschen sehen? – Eine fürchterliche Alternative für Jeroschin! Unsers Erachtens lag für einen Mann in Germunds Lage das Übergewicht nicht in der Schale, in welcher wir es wünschen, und wir können unserm Geschichtsschreiber kaum glauben, daß die Ritter siegten, und die Priester unterlagen; gleichwohl glauben wir ihm gern, weil er das erzählt, was wir wünschen, und schenken ihm die Angabe der Mittel, durch welche Ulrich und Conrad den schweren Sieg für ihren Freund erkämpften.


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