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Zweifel

Der kühle Felsbrunnen, aus welchem sich Conrad vermaß, dem Könige von Frankreich Gesundheit und Leben zu schöpfen, war nicht so leicht wieder zu finden, als er dachte. Er wusste gar eigen, daß er selbst sich gestrigen Tages im Vorüberreiten daraus erquickt hatte: aber jetzt täuschte ihn entweder die Nacht, oder das böse Wesen, das hier überall zum Verderben der Christenheit die Hand im Spiele hatte, saß bei der Quelle, deren Genuss er seinen Feinden beneidetet, und deckte sie mit Rabenfittich, oder mit dem bläulichen Nebel, der hier alle Gegenstände verhüllte. Der deutsche Ritter suchte die ganze Nacht, suchte den größte Teil des folgenden Tages vergeblich, und kehrte endlich unverrichteter Sache, und selbst bis zum Tode durch Durst und Müdigkeit erschöpft, nach dem Lager zurück, wo ihm die Post von dem Tode des Königs entgegen kam. Laute Tränen flössen über das Absterben des guten Vaters, des heiligen Mannes, des frommen Helden, und wie die Beinamen alle heißen mochten, welche man hier einem Könige, einem Könige der Franzosen, dessen Andacht dem Lande teuer zu stehen gekommen war, mit unverstelltem Herzen beilegte.

*

Conrad strebte vergebens, jemand von seinen Bekannten unter den Leuten des Königs zu sehen: es war tief in die Nacht, da erst Joinville ihn aufsuchte. »O Herr von Feuchtwangen!«, rief er; »was für Stunden haben wir seit eurem Abschiede von gestriger Nacht durchlebt! –

Nichts von Ludwigs Tode! ich weiß, ihr beklagt ihn, wie alle Welt ihn beklagen muss; aber fasset euch! das Verderben tritt eurem Herzen noch näher. Euer wieder gefundener Bruder! Mein armer Montfaucon! – Kommt! eilt, wenn ihr ihn noch lebend finden wollet! – Aus Treue gegen seinen Herrn, und um nur den Dienst bei ihm ungestört verwalten zu können, hat er verborgen, daß er insgeheim schon längst von der Seuche angesteckt war; jetzt nach Ludwigs Tode zeigt sich's, daß er geleistet hat, was alle menschliche Kräfte übersteigt! Er konnte sich fast keine Stunde länger halten; er liegt ganz darnieder, und die lange unterdrückte Krankheit reißt ihn mit so mächtigen Schritten zum Grabe, daß ich nicht weiß, wie wir ihn finden werden, ob er gleich vor einer Viertelstunde noch Besonnenheit genug hatte, seinen Bruder zu nennen, und nach ihm die ängstliche Sehnsucht zu bezeigen.«

Conrad setzte, während sein Gefährte sprach, an seiner Seite emsig den Weg fort, der ihn zu dem Sterbebette des jungen Menschen führen sollte. Er schwieg, und indessen der Seneschall sich in Ausrufungen über die starke Stimme der Natur erschöpfte, welche hier einen Bruder den andern so schnell habe kennen und lieben gelehrt, wusste er gar nicht, was er von der Sache denken sollte.

Sie traten in Montfaucons Zelt, welcher eben die Augen öffnete, und Conraden erkannte. »Ihr seid es! ja, ihr seid es, mein neuer Bruder!«, sprach er, als Feuchtwangen näher zu seinem Lager trat. »O warum nicht ehe! nach einer verwandten Seele hatte ich so lange geseufzt! – Seht, ich muss sterben! – ich empfehle euch meinen Leichnam; schützt ihn vor Beschimpfungen, und beerdigt ihn nicht eher, bis ihr den Anfang dieser Blätter gelesen habt: ich habe sie längst auf einen Fall, wie der heutige, geschrieben.«

Conrad suchte zwischen diese schwachen, mühsam und in langen Zwischenräumen gesprochenen Worte oft etwas einzuschieben; aber der Kranke wehrte ihm durch Zeichen des Unwillens, und reichte ihm die Schrift, von welcher er sprach, so unablässig zu, daß Conrad, der jetzt mehr Zweifel hatte, als jemals, sie endlich nehmen musste.

»Noch eins!«, setzte er leise hinzu, als der Seneschall sich ein wenig vom Bette entfernte. »Laßt mein Geheimnis euch heilig sein, selbst der gute Joinville darf es nie erfahren: was den Inhalt dieser Blätter anbelangt, so diene er besonders, euch die Namen Hermann und Adelheid unvergeßlich zu machen. Ach mein Bruder! wie viel hätte ich euch hierüber zu sagen!«

»Hermann und Adelheid?«, schrie Conrad. »Also wär's doch gewiss, daß ich in euch meinen verlornen Bruder wieder fand?«

»Zweifelt ihr noch hieran?« – lallte der Kranke – »O dies fehlte noch, mir meine letzten Stunden schwer zu machen! Was habe ich für eine andre Stütze, als euren Glauben?«

»Wir haben keine andre Stütze, als den Glauben der Christen«, rief hier der Beichtvater des Königs, welcher gerufen worden war, den sterbenden Montfaucon zu trösten, und der die letzten Worte, die er aus seinem Munde hörte, ganz falsch verstand. Conrad stand auf, ihm Platz zu machen, wohl recht unwillig, in einem Gespräche von solcher Wichtigkeit gestört worden zu sein. Vielleicht fühlte selbst der fromme Montfaucon hierüber einiges Mißvergnügen. Ach die Zeit zu Erklärungen diesseits des Grabes war verlaufen! Conrad hatte den ganzen Tag über nicht wieder Raum, mit dem Kranken zu sprechen. Die nächste Stunde, in welcher er mit ihm allein war, war bereits Verstand und Sprache des guten Jünglings dahin, und er entschlief noch in selbiger Nacht in seinen Armen.


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