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Auflösung

Der Anschein mochte sein, welcher er wollte, so glaubte doch Feuchtwangen große Ursache zu haben, zu zweifeln, ob es der verlorne, der so ängstig gesuchte Hermann sei, der jetzt an seinem Busen verschieden war. Doch in diesen Augenblicken kam diese Ungewißheit nicht in Anschlag: er beweinte den Entschlafenen eben so herzlich: als hätte er den Namen wirklich mit Recht führen können, welcher nächst den Tröstungen seiner Religion das einzige Labsal seiner scheidenden Seele gewesen zu sein schien.

Sein unverstellter Kummer machte die Umstehenden noch gewisser, er sei dem guten Montfaucon so nahe verwandt gewesen, als er glaubte, und niemand bezweifelte ihm hier das Recht, der Ausrichter seines letzten Willens zu werden, wozu er selbst ihn bestimmt hatte.

Conrad nutzte, nach der Bitte des Verstorbenen, den ersten Augenblick der Einsamkeit, die Blätter zur Hand zu nehmen, deren Beherzigung er ihm noch vor Beisetzung seines Leichnams empfohlen hatte. Er öffnete, er las einige Blätter, warf die Schrift voll Erstaunen auf die Seite, und eilte zu den kalten Überbleibseln des Schreibers, seine Augen mit dem höchsten Ausdrucke der Verwunderung auf sein schönes Gesicht zu heften, welches die sanften Züge eines ruhig Schlafenden zeigte. Tränen überströmten seine Wangen, so wie er stand und schaute; er verlor sich in Betrachtungen; doch ein Geräusch von außen störte ihn: noch ein Kuss auf Montfaucons kalte Hand, und dann die unbefangenste Miene, welche er annehmen konnte, gegen den Eintretenden.

Man kam, den Leichnam zu waschen und zu salben; Conrad verwehrte es. »Ich finde«, sagte er; »mein Bruder wünscht bloß in das heilige Gewand gehüllt zu werden, das er einst von einer Reise nach dem heiligen Grabe zurück brachte, und verbietet alle weiteren Umstände bei seiner Beerdigung.«

Man machte Einwendungen; aber Conrad beharrte auf seiner Meinung, und wich, um der Erfüllung seines Willens desto gewisser zu sein, nicht von dem Leichname desjenigen, den er jetzt so oft als möglich seinen Bruder nannte, bis ein Hügel von Erde ihn auf ewig der Neugier aller Lebendigen entzog. Die Zeit, welche bis dahin verflossen war, hatte er dem Lesen der Blätter gewidmet, deren Inhalt wir unsern Lesern mitteilen müssen, wenn wir die Bewegung unsers Conrads und seine Handlungen rechtfertigen wollen.


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