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Jeroschins Geschichte

Der Mittag verging; es kam der Abend, ohne daß der gute Greis sich erblicken ließ. Unmöglich war es den Rittern, ihren Zufluchtsort zu verlassen, ohne Jeroschinen noch ein Mal gesprochen zu haben. Von ihm erwarteten sie Zurechtweisung in so manchen unumgänglich nötigen Dingen, daß sie hätten bleiben müssen, bis er erschien, wenn auch ihre Reise noch größere Eile gehabt, wenn auch Hunger und Durst sie noch mehr zur Fortsetzung derselben getrieben haben sollte. – Am späten Abend erschien Jeroschin, und brachte Befriedigung für alle ihre Bedürfnisse. Man setzte sich zu einem äußerst sparsamen Mahle, dessen Beschreibung für die Leser wohl wenig Anlockendes haben möchte. Die deutschen Ritter hatten sich unter den rauen Nationen, wohin sie die Fahne des Kreuzes führte, an eine Kost gewöhnen müssen, die zärtern Gaumen vielleicht widrig gewesen wäre, und die nur durch die Not lieblich gemacht werden konnte. Doch die Besetzung ihrer Tafel ist dem gleichgültig, der vielleicht so begierig, als sie, auf die Aufklärung wartet, welche ihr Wirt ihnen über verschiedene verborgene Dinge zu geben versprochen hatte. – Noch ein Trunk berauschender Milch, Es ist bekannt, daß die Stutenmilch der alten Preußen, Litthauer und Liefen gewöhnliches Getränk, in einigem Übermaße genossen, die Kräfte des stärksten Weins äußerte. und er begann.

»Ihr seid zweifelhaft, wo ihr euch befindet: ihr verlangt nach Zurechtweisung auf den Weg, welchen euch eure Ordenspflicht vorschreibt; ihr heget Besorgnisse, die teils eitel, teils nur allzu gegründet sind; – höret kürzlich meine Geschichte, seit wir uns auf der Ebene von Dramenau trennten; sie wird alles enthalten, was euch zu wissen Not ist.

Von meinem Volke als ein vermeinter Landesverräter vertrieben, fand ich bei den Eurigen nur so lange den Schutz, welchen ich suchte, als man ähnlichen Wahn von mir hegte. – Man kannte meinen Rang, mein Ansehen, meine Geburt; man wusste, daß niemand das Innere des Landes, das man unterjochen wollte, besser beurteilen, seine Stärke und Schwäche genauer angeben konnte, als ich, und man überzeugte sich, daß ich alle diese Dinge zum Verderben meines Volks den Christen aufopfern würde; aber man erwartete hier Vorteile von mir, die ich nicht geben konnte. Hatte ich mich darum zu eurem Glauben gewendet, um seine ersten Grundgesetze durch die schwärzeste Verräterei zu übertreten? Nein, ich bin ein Christ nach dem Glauben, ein Preuße nach dem Blute; nie werdet ihr andre Ratschläge von mir erhalten, als die, durch Schonung eure Endzwecke zu befördern, so bald ich dieselben für gut und rechtmäßig erkenne. Glaubt mir nur: ein Volk, wie das meinige, weicht keiner Gewalttat, keiner Grausamkeit; das einzige Mittel – Doch der Eifer reißt mich unzeitig dahin; ich vergesse, daß ich mit Ulrich und Conrad spreche, welche Grundsätze hegen, die den meinigen ähnlich sind, und denen es noch über dieses in diesem Augenblicke um ganz andere Dinge zu tun ist, als die, auf welche mich das Andenken an meine unglückliche Flucht aus dem Gebiete eures Ordens leitete. – Ungern verstand ich, der nie floh, mich zu derselben: doch ihr kanntet den Verdacht eines heimlichen Einverständnisses mit meinen Landsleuten, den man auf mich geworfen hatte; ihr sähet Gefahren, die ich nicht sah; ihr sorgtet um mich, und leitetet mich zu einem Schritte, den ich bloß euch zu Liebe tat, und den ich seitdem, ach, wie oft bereute. – Wisset, daß ihr mich bei all eurer zärtlichen Vorsicht für meine Freiheit und mein Leben der Sklaverei und dem Tode in den Rachen jagtet. Ich fiel in die Hände meines Volks: das Schicksal, das dort meiner wartete, und das mich alle diese Zeit über bis auf die letzten vergangenen Monate festhielt, unterlasse ich euch zu schildern; es ist nicht nötig, euer Herz noch mehr gegen diejenigen zu erbittern, die ohnedies bei aller Milde eurer Gemütsart, ein Gegenstand eures Hasses und eurer Rache sind. – Dass man indessen nicht zum Ärgsten mit mir verfuhr, dafür bürgt euch mein Leben. Bei den Euren würde ich vielleicht unter solchen Verhältnissen weniger Schonung gefunden haben. – Ich entkam durch glückliche Zufälle, und mein Schicksal leitete mich in diese Gegenden. Die Schatten eines ungeheuren Fichtenwaldes, der damals noch die ganze Ebene bedeckte, gaben mir Zuflucht, die Wasser der Vilna und Vilia Labung, und eine kleine Hütte, welche in den Winkel, wo beide Ströme sich vereinigen, gebaut war, nebst den sie umgebenden Fruchtbäumen, Wohnung und Speise.

Ich war erstaunt, in dieser wilden Einöde, wohin sich meines Erachtens vor mir nie ein Fuß verirrt haben konnte, Spuren zu finden, daß einst menschliche Wesen hier gehaust haben mußten. Die kleine Wohnung, die mir Obdach gab, war nicht ganz leer von Bequemlichkeit; die Bäume des umzäunten Fleckes an der linken Seite derselben, den ich einen Garten nannte, beugten sich unter der süßen Last wohl gepflegter, in diesem Himmelsstriche unbekannter Früchte; der Boden unter ihnen trug wohlschmeckende gesunde Kräuter, und fünfzig Schritte von meiner so glücklich gefundenen Einsiedelei, dicht am Zusammenflusse der Ströme, zeigte mir eine Bank unter den Schatten fünf uralter himmelhoher Fichten die Stelle, wo mein Vorfahrer in dieser Einsamkeit zu ruhen, und ernsten Betrachtungen nachzuhangen gepflegt haben mochte. – Nichts glich meiner Freude über das kleine ruhige Eigentum, das mir das Glück mitten in einer stürmischen geräuschvollen Welt aufbehalten hatte. Dankbar sah ich von ihm gen Himmel, und wünschte hier ewig zu bleiben. Auch konnte ich hoffen, daß mein Wunsch erfüllt werden würde; denn wer sollte mich in dieser Wildnis finden? wer mir meine stille Hütte beneiden, oder mich aus derselben vertreiben?

Schon hatte ich mir die Jahre abgezählt, die ich nach einiger Wahrscheinlichkeit hoffen konnte, noch in dieser süßen Einsamkeit zuzubringen, schon mir die Stelle ausersehen, die ich am späten Abende des Lebens mir zum Grabe bereiten, und in ihr bei zunehmender Schwäche den Tod erwarten wollte, als das Schicksal, das mir in meinem Leben so viel Freuden störte, mir auch die letzte verdarb, und mir zeigte, daß ich noch nicht genug geduldet habe, um auf Ruhe hoffen zu dürfen; doch mein Unglück befiel mich nicht ungewarnt: ein Traum, den ich, weil ich nie auf Träume achtete, leider in den Wind schlug, sagte mir deutlich genug, was ich zu tun habe, um wenigstens einem Teile desselben zu entgehen. – Ich war einst nach Untergange der Sonne auf dem Ruheplatze unter den Fichten am Wasser entschlummert; da dünkte es mich, als käme aus den dichtesten Schatten des Waldes ein alter Mann zu mir herauf: sein Ansehen war hoch und königlich; seine Kleidung zeigte mehr den Krieger, als den Einsiedler, und doch sagte mir ein Gefühl, das uns im Traume oft das Ganze einer Sache mit einem Blicke übersehen läßt, er sei mein Vorweser in dieser Einsamkeit, der erste Erbauer und vieljährige Bewohner meiner lieben Hütte gewesen. – Er stützte sich auf seinen Stab, und sah mir lange, und wie mich dünkte, mit Wehmut ins Gesicht, so wie ich vor ihm lag und schlummerte. – ›Armer Jeroschin!‹ sprach er endlich mit halb lauter Stimme; ›du bist mir ein lieber Gast gewesen; aber nun muss ich dich vertreiben: meine Gebeine heischen die Stelle, auf welcher ich dich beherbergte. Säume nicht, mir zu weichen.‹ – Er hatte kaum geendigt, sich kaum in den Schatten verloren, so erhob sich ein seltsames Geräusch im Walde. Sägen rauschten und Äxte blinkten; alle Fichten neigten sich zur Erde. Von weitem flammte ein großes Feuer; alles ward Unruhe, alles Verwirrung. Mein Herz schlug vor Angst und Entsetzen; sein heftigeres Pochen war es, was mich erweckte.

Was dieses Gesicht mir voraus sagte, sah ich in wenig Tagen erfüllt. – Ihr habt vielleicht gehört, daß diese Gegenden einst von einem guten Könige beherrscht wurden, welchem das Volk, das ihn anbetete, den Namen Svintaroha gab. Er machte nicht lange das Glück seiner Länder: Ringold, Mendogs Vater, der nachher so lange den Namen eines Fürsten von Litthauen führte, stieß ihn vom Throne, und nötigte ihn zu fliehen. Seinen damals noch unmündigen Sohn vertraute er seinem Vetter, dem Fürsten von Potolsk; er aber fand, nach langem Kampfe mit einem widrigen Schicksale, endlich Ruhe in diesen Schatten, wo auch mir das Glück einige ruhige Wochen gegönnt hatte. Während er mit Wissen des vorgenannten Fürsten hier einer vieljährigen Stille genoss; während ihm dieser treue Freund das Einsiedlerleben so süß und bequem, als möglich, zu machen suchte, besaßen seines Feindes, Ringolds Söhne, Enkel und Vettern den litthauischen Fürstenstuhl in ruhiger Erbfolge; sie schmückten sich mit Königsnamen, und hielten alles, was sie an Svintaroha begingen, für schon vergessen. Aber die Rache schlief nicht; das Schwert fraß bald diesen, bald jenen aus dem Hause des Eroberers, und als der Letzte seines Geschlechts den letzten von Svintarohas Freunden, den edlen Fürsten von Potolsk, meuchelmörderisch getötet hatte, musste auch er Voscelko, der letzte aus Ringolds Hause, tötete den Fürsten von Potolsk, und ward bald darauf von dem russischen Fürsten Leon überfallen und getötet. Vid. Kojalowicz. p. 100-139 fallen, und dem Geschlechte des rechtmäßigen Besitzers von Litthauen auf dem Throne Platz machen. Germund, Svintarohas Sohn, der mit dem Fürsten von Potolsk alles verloren zu haben glaubte, ward von seinem Volke für den einzigen übrigen Sprößling des alten Fürstenstammes gehalten, und zum Throne gerufen. Mit Jauchzen vernahm man von ihm, daß sein Vater, daß Svintaroha noch lebte. An der Spitze der entzückten Litthauer machte sich Germund auf, dem königlichen Einsiedler die Krone zu bringen.

Sie fanden ihn, schwach und dem Grabe nahe, in dem Hause, das ich nach der Zeit einige Wochen lang bewohnte, fanden ihn auf der Ruhestelle zwischen den Fichten am Wasser, mit ganz andern Gedanken, als den Gedanken an den Thron, beschäftigt. Das Rauschen der Ströme, die sich hier vereinigen, um den Weg nach dem Meer gemeinschaftlich fortzusetzen, bildete ihm den Strom der Zeit, der ihn, wie er hoffte, der Wiedervereinigung mit dem letzten Freunde, welchen er verlor, nun bald entgegen führen würde; er dachte sich gemeinschaftliches, ungetrenntes Leben mit ihm in bessern Welten, und weihte, weil er doch dem, was von ihm auf der Erde zurück blieb, auch noch einen Blick schenkte, die Stelle, wo er sich so oft in die süßesten Träume von einer hellem Zukunft gewiegt hatte, zur Ruhestatt seiner Gebeine.

Man urteile, ob der Mann, dem irdisches Glück so spät zu lächeln begann, der Mann, der längst jeden Wunsch diesseits des Grabes aufgegeben hatte, geneigt sein konnte, die Krone anzunehmen, die man ihm in einer solchen Stunde brachte. Die Freude seines Volks, das Entzücken seines Sohns, seinen Vater von der Stelle, wo er so oft mit ihm über widriges Geschick getrauert hatte, zum Throne holen zu können, rührte ihn nicht: er bestand darauf, Germund sollte König werden und er wollte hier sein Leben endigen; doch Germund siegte durch eine List. Er gab dem Volke ein, was es sagen sollte, und Svintaroha wich endlich der Versicherung, die man ihm einmütig gab, daß Germund nie die Krone tragen solle, sein Vater sei denn sein Vorgänger auf dem Throne gewesen.

So sah Litthauen unter dem guten Svintaroha noch einige glückliche Jahre: er gewann auf dem Throne neue Lebenskraft, und fühlte sich noch am achtzigsten Lebensjahre stark genug, die Rüstung anzulegen, um das Blut seines Vorgängers von König Leons Händen zu fordern. Auf diesem Heereszuge war es, wo er seinen Heldentod fand. Der siegende Germund kehrte traurig mit der Leiche seines Vaters zurück, und ließ nach seiner Krönung sein erstes Geschäft sein, den letzten Willen des Verstorbenen zu erfüllen.

Svintaroha wollte an den Ufern der Vilna und Vilia, deren Rauschen ihn in seinem vieljährigen Einsiedlerleben so oft in sanften Schlummer gewiegt hatte, begraben sein; und eben zu der Stunde, da mich mein weissagender Traum warnte, war König Germund schon im Anzuge, den väterlichen Willen auf die glänzendste Art zu vollziehen; er tat mehr, als Svintaroha, der in allen seinen Wünschen bescheiden und mäßig gewesen war, gefordert haben würde. – Tausend Äxte fällten die Hälfte des Fichtenhains, um der königlichen Leiche, welche Germund mit seinem Trauergefolge hierher begleitete, zum Scheiterhaufen zu dienen. Der dichte Wald ward zur weiten Ebene, damit man Raum hatte, das ungeheure Feuer zu rüsten, das außer Svintarohas Gebeinen, noch eine Menge von Sklaven und Pferden des Verstorbenen verzehren sollte; damit Raum war für die Hälfte der Bewohner des Landes, welche die Überreste ihres lieben Herrn mit Heulen und Klagegeschrei, wovon die fernen Gebirge ertönten, begleitete.

Germund schien in dem Kontrast zu triumphieren, welchen die Prachtszene von Svintarohas Begräbnisse mit der Einsiedlerhütte machte, in welcher er die größte Zeit seines Lebens zugebracht hatte: kindliche Liebe war es, was ihn leitete; sie entschuldigte alles, was sich etwas in seinem Verfahren Übertriebenes finden möchte.

Die Hütte, in welcher der königliche Einsiedler so lange Jahre gelebt hatte, in welcher er so gern gestorben wäre, wäre ohne Zweifel, als Andenken von Svintarohas seltsamen Geschicke, von der gemeinen Verehrung ausgenommen worden, welche Germunds Eifer seinem Vater zu Ehren hier angerichtet hatte; aber – man hatte mich in der heiligen Wohnung gefunden; man hielt sie durch meinen Aufenthalt entheiligt, und – sie musste geschleift werden. Die Bäume, welche mich genährt hatten, die Ruhestelle am Wasser, wo ich zu sitzen pflegte, erfuhr gleiches Schicksal; nur die fünf heiligen Fichten wurden verschont, und unter ihnen erhob sich ein marmornes Denkmahl mit Svintarohas Namen und Ruhm: gern hätte Germunds Liebe zum Übermaße den letzten vergrößert, wäre es möglich gewesen, in diesem Stück von seinem Vater etwas mehr, als die Wahrheit, zu sagen.

Der Umstand, daß die Hütte des königlichen Einsiedlers mich einige Zeit beherbergt hatte, diente mir bei König Germunden zu schlechter Empfehlung: er war so erzürnt auf mich, daß er mir das Gehör versagte; doch wusste er nicht genau, was er mit mir machen sollte (denn gesündigt hatte ich eigentlich nichts), bis andere ihm hierin auf einen Gedanken halfen. – Jenseits des Fichtenhains, so weit, als die Axt etwas von demselben übrig ließ, liegt der berühmte Tempel Perkunos, des Donnergottes, den man in diesen Gegenden verehrt. Die Priester des Tempels hatten längst den Besitz des Waldes gesucht, ohne ihn von Germunds Vorfahren erhalten zu können: jetzt war die Zeit, ihre Wünsche zu erreichen. Der neue König, entzückt, neue Mittel zu finden, damit er das Andenken seines Vaters unsterblich machen könnte, schenkte den Priestern noch mehr, als sie baten, da sie sich erboten, Svintarohas geharnischtes Bild in ihrem Tempel, dem Bilde des Donnergottes gegenüber, zu setzen, und in Svintarohas Haine Die ganze Gegend erhielt von dieser Begebenheit den Namen Svintaroha. ihm zu Ehren ein ewiges Feuer zu erhalten. Das Andenken des frommen Königs, der in seinem Leben, wo nicht das Kriegsrecht gebot, wohl nie eine blutgierige Tat gebilligt hatte, Svintarohas Andenken noch mehr zu verherrlichen, war nichts mehr übrig, als seinen Hain, und das ewige Feuer, das ihm hier brannte, durch ein Menschenopfer zu weihen. Germund war zu allem bereit, was man ihm vorschlug, doppelt bereit dazu, da die Priester, welche sahen, daß mich der König haßte, oder die vielmehr selbst einen heimlichen Widerwillen auf mich geworfen hatten, meine Person zur schauervollsten Handlung ihres Gottesdienstes wählten. – Gott weiß, daß ich wenig Ursache habe, mein Leben zu lieben; aber ich kannte dies Land, kannte die abergläubische Priesterwut, hatte Heinrich Ulenbuschs Ende gesehen, und schauderte vor dem, was mir bevorstand, zurück. Es war mir wohl zu verzeihen, daß ich, als man mir die zugedachte Ehre ankündigte, auf Mittel sann, derselben zu entgehen, auch selbst, wenn das Mittel, das ich im ersten Entsetzen wählte, sich nicht ganz mit den Grundsätzen vertragen sollte, zu welchen ich mich bekenne. – Perkunos Gottheit wird in den Gegenden, wo ich geboren ward, so wohl verehrt, als in diesen; als ein Sprößling des Fürstenstammes war ich Perkunos geborner Priester, und vermittelst meiner Erziehung ein Eingeweihter seiner heiligsten Geheimnisse: dies durfte ich nur durch wenig Worte anzeigen, so schwand die Möglichkeit, daß ich ohne ein unmittelbares Verbrechen wider des Donnergottes Majestät sein Opfer werden konnte; aber zugleich fiel auch die Verbindlichkeit auf mich, ungesäumt in die Pflichten meines Standes einzutreten, sobald man es nur von mir forderte; und welch eine Forderung! ich, ein Christ, Diener am Altare einer heidnischen Gottheit!

Perkunos Priester mußten mich als einen Abtrünnigen von der väterlichen Religion kennen; wie ließ sich sonst ihr Hass gegen mich, wie die Schnelligkeit erklären, mit welcher sie Augenblicks auf das fielen, was mich, den Gehaßten, in die größte Verlegenheit setzen musste? Auch war diese Kenntnis Möglichkeit; denn die Priesterschaft der Gottheiten, welche das Schwert der deutschen Ritter aus diesen Gegenden zu vertreiben sucht, steht in ungetrennter heimlicher Verbindung unter sich; was Jeroschin in seinem Geburtslande mit dem geistlichen Banne belegt hatte, konnte und musste hier längst bekannt geworden sein. Dass es nicht nur sein konnte, sondern auch wirklich also war, zeigte mir die Erfahrung.

Als Perkunos Priester hatte ich mich bekannt gemacht, und an Perkunos Altare wurde ich noch am nämlichen Tage zum Dienste gefordert. Erspart mir die Beschreibung von der Beschämung, welche Jeroschin, welcher nie heuchelte, mit dem Weihrauchfasse in der Hand fühlen musste; aber was sollte er tun, sich derselben zu entbrechen? was, sich vor seinem eigenen Gewissen zu rechtfertigen? – Doch das Letzte war leichter, als das Erste. Ich diente dem Gotte des Donners: ist's nicht dieser, den ihr auch verehrt? ob ihr ihn Perkuno nennt, ihm Gottesdienste feiert, wie die unsrigen; dies waren Dinge, welche ich nicht bedenken durfte, wenn ich nicht sterben, oder, noch schrecklicher für mich, wenn ich nicht widerrufen wollte.

Einer Schlinge meiner listigen Feinde war ich entgangen; doch sie waren nicht arm an mehreren Fallstricken, deren einer mich noch ungezweifelt fällen wird, wenn es euch, meine Freunde, nicht glückt, mich ihren Händen zu entreißen. Eins der Mittel, mich zu stürzen, ist jenes Feuer, bei welchem ihr mich in vergangener Nacht wachend oder vielmehr schlummernd fandet. – O Svintaroha! heiliger frommer Menschenfreund! hättest du wohl gedacht, daß du nach deinem Tode noch das tun solltest, was du lebend nie tatest, das Leben unschuldiger Menschen in Gefahr setzen? – Der Scheiterhaufen, welchen ihr gestern flammen sahet, war das ewige Feuer, welches Germund dem Andenken seines Vaters in Perkunos Haine anzündete. Es wird unablässig von Priestern bewacht, und der, unter dessen Hut es zufällig verlöschen sollte, müsste im Augenblicke der Entdeckung ein Raub der Flammen werden. Es ist fast unmöglich, daß eine Glut, wie diese, bei mäßiger Aufsicht zu flammen aufhörte; woher es indessen kommt, daß ich mich jedes Mal, wenn ich die Hut des Feuers habe, in den nämlichen Falle befinde, in welchem ihr mich gestern sahet, das ist nicht schwer zu erraten. Auch hier äußert sich die Tücke meiner Feinde. Mich trifft die Reihe meistens über die andere Nacht; die Schwäche und Schlafsucht, die meinen Jahren ohnedies eigen ist, scheint in diesen fürchterlichen Stunden, da mein Leben auf meiner Wachsamkeit beruht, wie durch Zauberkunst gemehrt. Ich gehe im halben Traume; mir sinken die Augenlieder; ehe ich es gewahre, falle ich in der Nähe oder Ferne der Glut hin, und entschlummere: indessen hemmt eine verborgene Macht die Flammen; das Holz, das ihnen zur Nahrung dienen soll, saugt, wie aus unterirdischen Schleusen, Ströme von Wasser in sich; ich höre den gräßlichen Ton des Zischens und Knisterns im Traume; er wird das Mittel, mich zu erwecken; ich fahre voll Schrecken auf, und bin oft kaum im Stande, durch alle Mittel der Kunst Feuer zu nähren, die mir aus meinen Lehrjahren in Perkunos Tempel vielleicht besser bekannt sind, als meinen Feinden allen, die Glut wieder anzufachen, mit welcher der Funke meines Lebens verlöschen muss. – Ihr wäret mir gestern beirätig bei diesem Geschäfte: ich zitterte mehr für euch, als für mich; ihr begreifet selbst, was eure Entdeckung nach sich gezogen haben würde. Diese Nacht bin ich frei von meiner gefährlichen Wache; ich bin entschlossen, euch diese Stunden ganz zu widmen; sie werden nicht zu lang sein, über alles zu Rate zu gehen, was euch in eurer, mir in meiner bedenklichen Lage zur Rettung dienlich sein möchte.«


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