Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Neunzehntes Capitel.

Auf norwegischem Boden

Wir begannen jetzt ernstlich nach dem Schiffe auszuspähen. Auch vier von den Theilnehmern der englischen Expedition sollten in diesem Jahre nach Hause zurückkehren: der Finne Blomqvist und die Engländer Fisher, Child und Burgeß.

Ein Tag nach dem andern verging, ohne daß sich etwas sehen ließ, dagegen trieb der Wind immer mehr Eis ans Land, und bald erblickten wir nichts anderes als wieder die weiße Fläche. Wenn wir abends hineingingen, um uns schlafen zu legen, nachdem wir vergeblich einen Blick über das Eis geworfen, ob wir die ersehnten Schiffsmasten noch nicht entdecken könnten, war es Blomqvist, der beständig sagte: »No ship, no home!« Er sehnte sich aus dem unsteten Leben nach Hause.

27. Juli. Wieder haben wir einen Abschnitt unsers Lebens auf dieser merkwürdigen Reise hinter uns. In der Nacht auf den Sonntag erwachte ich von einem lebhaften Gespräche meiner Kameraden, die in ihren Nachtgewändern auf den Beinen waren. Das Schiff aus London war gekommen! Draußen an der Eiskante lag es vertäut. Wie schwarz sahen die drei Masten und der Rumpf aus! Und so nahe war es ans Land gekommen! Der Nordwind hatte das lose Eis, das sich vor die feste Eiskante gelegt, im Laufe der Nacht nach der offenen See getrieben.

»Windward« hieß das Schiff; von der größten Stadt der Welt hatte es den Weg nach dem ewigen Eise gefunden. Es bringt uns Botschaft von der Welt der Arbeit, die wir verlassen haben.

Jackson und Blomqvist waren die ersten an Bord; der letztere brachte uns die Nachricht, daß die »Fram« noch nicht in Norwegen angelangt sei und niemand etwas von ihr gehört habe. Nansen begab sich sogleich an Bord, während Armitage und ich wieder in die Koje krochen, nachdem wir uns eine Weile an dem Anblick der »Windward« erfreut hatten.

Doch bald füllte sich das Haus mit Leuten vom Schiffe. Alle sprachen auf einmal, Fragen und Antworten kreuzten einander. Ich hatte gehört, daß unter der Besatzung der »Windward« gewöhnlich auch Norweger seien. Vielleicht waren in der großen Stube Landsleute.

Ich trat im Nachtgewande dort ein und fragte norwegisch:

»Ist einer von Ihnen aus Norwegen?«

»Ja, ich«, sagte eine Stimme.

»Ich auch«, rief ein anderer.

»Hier ist auch einer«, ertönte es aus einer Ecke. Norwegen schien reichlich vertreten zu sein.

Jetzt wurde auch ich lebendig. Ich fragte und erhielt von allen Dreien auf einmal Antwort. Sie gehörten zu jenen Menschen, die beinahe nie daheim im Vaterlande sind, sondern beständig auf ausländischen Schiffen fahren und selten Gelegenheit haben, eine andere Sprache als die englische zu sprechen.

Ich erfuhr eine Menge Neuigkeiten und hörte auch, daß daheim die Nachricht verbreitet sei, die »Fram« sei im Eise zerschellt, die Expedition sei aber doch am Nordpole gewesen und nun auf den Neusibirischen Inseln angekommen. In dieser Hinsicht mußten also Nansen und ich unsern Landsleuten eine Enttäuschung bereiten, da wir am Nordpole nicht gewesen waren. Wir haben aber auf jeden Fall das befriedigende Bewußtsein, gethan zu haben, was wir vermochten.

An Bord der »Windward« wurden wir von der ganzen Besatzung mit offenen Armen empfangen. Der biedere liebenswürdige Kapitän Brown that alles, was in seiner Macht stand, um es uns möglichst gemüthlich zu machen. Er hatte zwei neue Polarforscher mitgebracht, die Herren Dr. Bruce und Wilton, die beide als Theilnehmer in Jackson's Expedition eintreten sollten.

Nansen und ich waren tägliche Gäste an Bord, wo der Koch auftischte, was das Schiff vermochte, während Kapitän Brown mit den andern sich bemühte, uns alles, was sich in den letzten drei Jahren ereignet hatte, eingehend mitzutheilen. An jedem Abend war in dem gemüthlichen Salon der »Windward« eine große lustige und sangesfrohe Gesellschaft beisammen.

Alle Mann hatten vollauf Arbeit, da die vom Schiffe mitgebrachte Ladung gelöscht werden mußte; darunter waren unter anderm auch vier Renthiere, die bei der Schlittenexpedition im nächsten Jahre verwendet werden sollten. Aber den Renthieren gefiel es dort oben nicht; ursprünglich waren es fünf gewesen, eins war bereits unterwegs verendet und die andern sagten schon, als wir noch da waren, ebenfalls adieu, obgleich an Bord der »Windward« Renthiermoos genug mitgebracht worden war. Besser gediehen einige Schafe, die man mitgenommen hatte. Obgleich das Löschen recht schwierig war (die Ladung mußte vom Schiffe nach dem Strande eine lange Strecke auf Schlitten gezogen werden), ging es doch sehr schnell von der Hand, und nach einer Woche war die »Windward« zur Abfahrt klar, mußte aber noch ein wenig auf die Post für die Heimat warten.

Als wir eines Morgens erwachten, war das Schiff verschwunden. Ein Sturm hatte das Eis gegen die feste Kante getrieben, die »Windward« war losgerissen worden und hatte weiter westlich auf einer seichten Stelle einen Ankerplatz suchen müssen. Hier drängte das Eis von draußen auf sie ein, und es hatte eine Weile ganz den Anschein, als würde sie ans Land gepreßt werden. Doch sie kam zum Glück nach ein paar Tagen wieder los, und nun wurde ernstlich daran gedacht, sich reisefertig zu machen.

Am 7. August lag die »Windward« unter Dampf ein gutes Stück draußen; denn vor der festen Kante war jetzt sehr viel loses Eis, wodurch auch der Verkehr mit dem Schiffe in hohem Grade erschwert wurde. Kapitän Brown saß in der Tonne, hielt Ausguck auf das trügerische Eis und ertheilte mit lauter Stimme seine Befehle; er ließ hin- und herkreuzen und die Dampfpfeife unaufhörlich ertönen.

Das Boot, das Nansen und mich an Bord holte, entging nur mit genauer Noth der Gefahr, zwischen zwei Schollen zerdrückt zu werden. Schon von weitem sahen wir sie sich nähern, aber es war die einzige Oeffnung, durch die wir in diesem Augenblick hinauskommen konnten, und die Matrosen ruderten aus Leibeskräften. Es sah schlimm aus, aber wir schlüpften gerade noch durch, und kaum war das Achterende des Bootes klar, als die beiden schweren Schollen auch schon so zusammenkrachten, daß die Kanten zersplitterten. Gleich davor lag das Schiff in offenem Wasser, und bald enterten wir über die Rehling.

Noch fehlte Fisher, der auch heimreisen wollte; dagegen befand sich Dr. Koetlitz, der nicht nach Hause sollte, noch an Bord, und die Post war auch noch nach dem Schiffe unterwegs.

Ein wenig nach Westen war eine Bucht im Eise. Dorthin steuerte Kapitän Brown, der immer im Ausguck saß, und ließ dann ein Boot aussetzen. Dr. Koetlitz ging jetzt ans Land. Theils durch Rudern, theils durch Ziehen des Bootes über die Schollen gelangte schließlich Fisher mit der Post und einigen Kisten voll Versteinerungen an Bord. Mit einem Seufzer der Erleichterung sahen wir das Boot an seinen Platz in den Davits schwingen, und das Abschiedshurrah klang über das feste Eis hin, wo wir Dr. Koetlitz tüchtig ausschreiten sahen, um die fünf andern zu erreichen.

Nicht lange dauerte es, so begegneten wir dem Eise. Kapitän Brown saß in der Tonne und dirigirte den Kurs mit der außerordentlichen Tüchtigkeit, die er durch seine langjährigen Eismeerfahrten erlangt hat. Er saß dort Tag und Nacht, kam nur ab und zu herunter, um etwas zu genießen, und gönnte sich nicht mehr als den allernothwendigsten Schlaf. Die »Windward« brach sich durch, und am 11. August sagten wir dem Eise endlich Lebewohl, nachdem Nansen und ich drei Jahre unsers Lebens darin zugebracht hatten.

Am selben Tage erblickten wir das erste Segelschiff am Horizont und bald noch mehrere; wir fühlten, daß wir uns dem Ziele näherten. Der Augenblick, der uns so manchesmal als unser höchstes Verlangen, als Ziel unserer Sehnsucht vorgeschwebt hatte, konnte nicht mehr weit sein!

Am nächsten Tage erblickten wir endlich Land am Horizonte; es war das Vaterland! Wir konnten es am Abend nur undeutlich sehen, aber es war doch dort. Am andern Morgen sahen wir die klippenreiche Küste; wir waren zu weit nach Norden ans Land herangekommen und mußten nun südwärts nach Bardö hin kreuzen. Wir sahen viele Segelschiffe; mit den Flaggen wurden Grüße ausgetauscht, und dann legte das Lotsenboot an der Seite bei.

Der Lotse kam mit seinem Sohne an Bord und wandte sich an Kapitän Brown. Nachdem sie einiges miteinander gesprochen hatten, fragte ihn Brown, indem er auf Nansen deutete, ob er den Mann kenne. Der Lotse hörte Nansen mit mir norwegisch sprechen und zerbrach sich den Kopf darüber, was dies wol für zwei Norweger sein könnten, die auf der Kommandobrücke der »Windward« standen und nicht einmal gut gekleidet waren. Brown mußte ihm sagen, daß es Nansen sei.

Da gingen ihm förmlich die Augen auf! Seine Mienen drückten Freude und Erstaunen aus, er schüttelte uns die Hand und hieß uns in der Heimat willkommen. Er und viele andere mit ihm hätten nie geglaubt, daß von der Mannschaft der »Fram« auch nur einer mit dem Leben davonkommen würde. Und von der »Fram« selbst hätte auch keiner seit ihrer Abreise je wieder etwas gehört. Während wir den Lotsen um Neuigkeiten bestürmten und er sich erzählen ließ, war die »Windward« inzwischen in den Hafen eingelaufen, und der Hafenmeister kam an Bord.

Als der Anker herabgelassen wurde, stiegen Nansen und ich mit dem Lotsen in ein Boot und ruderten nach dem Telegraphenamte, wohin uns der Lotse den Weg zeigte. Kein Mensch kannte die beiden Fremdlinge.

Vielleicht erregten wir durch unsere Kleidung ein wenig Aufsehen. Man konnte ohne Schwierigkeit sehen, daß wir in geliehenen Federn einherstolzirten, und ich hatte außerdem noch die Jacke an, die ich mir in unserer Winterhütte selbst zurechtgeschneidert hatte. Einige Radfahrer, die an uns vorbeifuhren, fand ich in ihren Sportanzügen auf den neuen Rädern wirklich unverschämt civilisirt. Sie warfen einen Blick auf meine ein wenig originelle Jacke von Schlafdeckenzeug, aber keiner von ihnen ahnte, wer wir waren.

In einer kleinen Straße ging eine Kuh auf eigene Faust spazieren. Ich muß gestehen, wir sahen sie mit großen Augen an, denn solche Thiere gab es in den Gegenden, die wir durchzogen hatten, nicht. Wir stampften beim Gehen auf die Erde und fühlten wieder vaterländischen Boden unter unsern Füßen.

Mit seltsamen Gefühlen ging es zum Telegraphenamte. Nansen trat an die Schranken und reichte dem Amtsvorstand, der gerade selbst anwesend war, ein großes Bündel Depeschen.

»Hier sind einige Telegramme,« sagte er, »die ich gern möglichst schnell befördert haben möchte.«

Der Vorstand ergriff das Bündel ein wenig zögernd, indem er den fremden Menschen prüfend ansah; sobald er aber einen Blick auf das erste Telegramm geworfen hatte, erschrak er förmlich, wandte sich nach dem Tische, an dem die Telegraphistinnen saßen, und trat dann zu Nansen, gratulirte ihm und hieß ihn in der Heimat willkommen. Er müsse gleich in die Stadt und seine ganze Reserve zusammentrommeln, sagte er, und dann würden sie Tag und Nacht arbeiten, damit die Telegramme fortkämen.

Es war auch keine Kleinigkeit. Zwei von Nansen's Depeschen an die Presse enthielten mehrere tausend Worte; er hatte sie auf Franz-Joseph-Land in norwegischer und englischer Sprache niedergeschrieben. Außerdem brachten wir nicht weniger als einige fünfzig Telegramme von den Kameraden an Bord mit. Diese hatte ich bei Jackson ins Reine geschrieben; Scott-Hansen hatte sie alle zusammen auf einem Stückchen Papier mit mikroskopischer Schrift notirt und uns dieses beim Abschiede von der »Fram« mitgegeben.

Noch ehe wir das Telegraphenamt verließen, waren die ersten kurzen Depeschen schon abgesandt. Sie waren an Nansen's Frau, meine Mutter, die nächsten Angehörigen der Framleute, den König und an die Regierung gerichtet.

Dann gingen wir in die Stadt nach dem Hotel, in dem sich nach Aussage des Telegraphenamtsvorstands Professor Mohn befinden sollte. Diesen Mann, der an der Expedition solchen Antheil nahm, wollten wir gern aufsuchen.

Als wir in den Hotelcorridor eintraten, begegnete uns ein Stubenmädchen, das mir wie ein feines Fräulein vorkam. Auf Nansen's Frage, wo Professor Mohn zu finden sei, musterte uns die Dame von Kopf bis zu Fuß; sie zerbrach sich wol den Kopf darüber, was wir bei einem Professor wollten. Sie sagte uns jedoch die Nummer, und Nansen stürmte gleich in Mohn's Zimmer.

Nie habe ich einen Menschen so überrascht gesehen, wie Professor Mohn, als er vom Sofa, auf dem er gemüthlich mit seiner Pfeife lag, auffuhr und die hochgewachsene Gestalt vor ihm anstarrte. »Kann es wahr sein? Ist es Fridtjof Nansen?«

Als er aber Nansen's Stimme hörte, war er sicher und stürzte gerührt in dessen Arme. Es dauerte eine Weile, bevor Professor Mohn in dem nun folgenden Durcheinander von Fragen und Antworten sich über das Schicksal der Expedition in den verflossenen Jahren klar werden konnte, doch als ihm der Stand der Dinge auseinandergesetzt worden war, brach der Jubel los. Es wurde Champagner geholt, ein Bekannter des Professors gesellte sich ebenfalls zu uns.

Inzwischen hatte die ganze Stadt erfahren, wer wir waren. Draußen vor dem Hotel war es schwarz von Köpfen, und die Schiffe im Hafen hißten die Flaggen, während das Musikcorps »Nordpol« unter unsern Fenstern »Ja, wir lieben dieses Land« spielte. Jetzt waren wir daheim!

Hier in Bardö kauften wir uns neue feine Anzüge und nahmen, nicht zu vergessen, ein Dampfbad, das uns von dem Reste des noch von unserm Hüttenleben stammenden Schmutzes befreite. Erst hier gelang es uns, ganz rein zu werden.

Nach einem gastfreundlichen, gemüthlichen Leben in Bardö begaben wir uns nach Hammerfest, wo alle Menschen auf den Beinen waren, als wir ankamen.

Im Hafen lag eine weißangestrichene prachtvolle Jacht, die »Otaria«. Der Besitzer stand auf Deck, als unser Schiff in den Hafen glitt, und rief Nansen ein Willkommen entgegen. Nansen erkannte in ihm einen englischen Freund wieder, Sir George Baden-Powell. Dieser kam auch sofort zu uns an Bord und fragte, ob wir mit den Bequemlichkeiten, die er uns auf seiner Jacht bieten könne, vorlieb nehmen wollten. Das Anerbieten wurde nicht ausgeschlagen, und wir zogen in die Salons der »Otaria« ein, die mit ihrer eleganten Ausstattung nicht gerade an unsere elende Hütte erinnerten, uns aber zum Anstellen eines Vergleichs zwischen unserm jetzigen Leben und dem damaligen anregten; es schien uns schon eine Ewigkeit her, seit wir dort oben waren.

In Hammerfest kamen zu uns Nansen's Frau und sein Secretär Christofersen, der uns vor drei Jahren in Chabarowa verlassen hatte.

Es war herrlich, wieder in der Heimat zu sein. Alle Leute waren so liebenswürdig; überall sah man nur frohe Gesichter. Die Stadt gab uns zu Ehren ein glänzendes Fest, und alles war Jubel und Herrlichkeit.

Eines aber that der Freude Abbruch: wo waren die Kameraden mit der »Fram«? Ich konnte nicht von Herzen froh sein, solange ihr Schicksal unbekannt war. Wenn wir auch glaubten, daß sie wohlbehalten auf dem starken Schiffe waren, so konnten wir dessen doch nicht ganz sicher sein. Und nun war das Jahr schon weit vorgeschritten! Kamen sie jetzt nicht, so konnten wir sie vor dem nächsten Jahre nicht erwarten. Vielleicht hatten sie es ebenso schlecht, wie wir es gut hatten?

Am Morgen des 20. August kam ein Mann an Bord der »Otaria« mit einem Telegramm an Nansen, der noch nicht ganz angekleidet war. Nansen müsse kommen, wie er sei, sagte der Mann, der Vorstand des Telegraphenamtes selbst, das Telegramm sei wichtig. Nansen ahnte vielleicht schon etwas; er kam heraus und riß die Depesche auf.

Ich hörte im Gange vor der Kabine, in der ich wohnte, außergewöhnliches Geräusch und öffnete die Thür ein wenig; da erblickte ich Nansen mit dem Papiere in der Hand. Sein Gesicht trug einen seltsam bewegten Ausdruck, die Augen blickten starr auf die Schrift; endlich rang es sich aus seiner Kehle hervor:

» Die ›Fram‹ ist angekommen!«

Wie eine Bombe schlug dies unter uns ein! Der Telegraphenamtsvorsteher stand ruhig dabei und beobachtete die Wirkung dieser Worte auf Sir George, Christofersen und mich.

Es läßt sich nicht leugnen, daß wir auf einmal ganz außerordentlich lebendig waren, als wir Sverdrup's Telegramm lasen und daraus ersahen, daß wir uns in Tromsö treffen würden. Die »Fram« ist angekommen! Das war es ja, was uns bisher noch gefehlt hatte, um die Freude vollständig zu machen! Die Kameraden waren also nicht weit von uns, und wir würden sie in Tromsö treffen!

Wie ein Sturmwind eilte die Kunde durch die Stadt, daß die »Fram« angekommen sei. Die Leute wurden geradezu wild, sie hatten es plötzlich so eilig. Wir an Bord der »Otaria« sehnten uns, nach Tromsö aufzubrechen. Die »Windward« lichtete schon vor uns die Anker und dampfte unter jubelnden Hurrahrufen auf die »Fram« ab.

Am nächsten Tage erblickten wir die hohen Masten und die Ausgucktonne der »Fram«, und bald sahen wir sie vor uns. Etwas mitgenommen sah sie aus, das durfte sie aber auch; unverletzt war sie dem Eise entronnen, das sie fest in die Arme gepreßt hatte, als wir sie in der großen Einsamkeit verließen. Jetzt umspielten leichte Wogen schmeichelnd den kräftigen Rumpf.

»Hurrah, die ›Fram‹«!

»Hurrah« erscholl es von Bord der »Otaria«, die langsam einlief und Anker warf. »Hurrah!« riefen die Framleute, indem sie ein Boot aussetzten und hineinsprangen. Nun ruderten sie auf uns zu. Die meisten trugen ihre Polaranzüge und einige von ihnen hatten einen langen Bart. Da sah ich Bentsen am Vordersteven, Scott-Hansen in der Mitte – einen neuen Anzug und einen steifen Hut hatte er sich schon verschafft, den Bart aber noch nicht rasirt – Peder, die Hand in einer Binde, und alle die andern. Sie strahlten vor Freude; sie standen aufrecht im Boote und winkten mit den Armen. Jetzt nahten sie dem Vordersteven der »Otaria«, ich stand dort und beugte mich über die Rehling.

»Willkommen, ihr Lieben!«

Bentsen ergriff meine Hand und zog mich beinahe ins Boot hinunter. Dann kletterte einer nach dem andern auf Deck.

»Gut gemacht, meine Jungen!« sagte Nansen.

Ich kann den bewegten Auftritt, der sich jetzt auf dem Deck der »Otaria« abspielte, nicht beschreiben. Die Freude, wieder beieinander zu sein, nachdem wir den Schrecken der Eiswüste unverletzt entronnen waren, beseelte uns alle. Sir George und Lady Baden-Powell standen in einiger Entfernung und freuten sich über unser Glück.

»Ihre Kameraden scheinen sehr froh darüber zu sein, Sie wieder zu sehen«, sagte Sir George später zu mir. Ja, gewiß; so froh, wie man nur selten im Leben wird!

Dann mußten wir einander erzählen, was wir erlebt, seitdem wir uns getrennt hatten. Nansen und ich hörten nun, wie es den Kameraden in der letzten und längsten Polarnacht ergangen war.

Auch sie hatten es nicht leicht gehabt; aber die »Fram« hatten sie immer lieber gewonnen. Sie hatte sie sogar bis zum 86. Grade geführt; ein prächtigeres Schiff gab es auf der ganzen Welt nicht. Sie ließ das Vertrauen ihrer Freunde nicht zu Schanden werden, sondern führte ihren Namen mit Recht und bahnte ihnen einen Weg »vorwärts«, wenn es auch noch so hoffnungslos aussah; sie machte sich nichts daraus, wenn sie Minen legten, die dickes Eis gegen ihren Rumpf schleuderten, sie schüttelte sich nur vom Topp bis zum Kiel, aber nachgeben – nein, das gab es bei ihr nicht. Am 13. August, an demselben Tage, als Nansen und ich den Fuß auf norwegischen Boden setzten, hatte sich die »Fram« nach dem offenen Meere durchgebrochen.

Bald nach dem Wiedersehen mit den Kameraden dampfte ein anderes Schiff in den Hafen von Tromsö ein; es war die »Virgo«, Andrée's Schiff, die mit der Expedition und dem Ballon an Bord von Spitzbergen zurückkehrte. Andrée hatte der Witterungsverhältnisse wegen nicht aufsteigen können.

Einige von uns begaben sich an Bord, um die Expedition zu begrüßen; wir wurden mit der größten Liebenswürdigkeit empfangen. Andrée hielt eine herzliche Ansprache zu unserer Begrüßung, und Nansen antwortete darauf mit dem Wunsche, daß Andrée's genialer Plan sich im nächsten Jahre unter für das Aufsteigen günstigern Verhältnissen ausführen lassen möge. Im Laufe einer Unterredung, die wir hatten, erzählte mir Andrée, daß ihm das Herz nicht leicht gewesen sei, als er sich gezwungen gesehen habe, den Kurs wieder nach Süden zu richten, aber den nöthigen Muth und den Glauben an die Ausführbarkeit seines Planes habe er noch immer, und es handle sich nur darum, Geduld zu haben. Er sah mir auch aus, als besitze er diese für einen Polarforscher so unentbehrliche Tugend.

Es folgte eine schöne Zeit, als wir Dreizehn gemeinschaftlich an der Küste unsers Vaterlandes entlang nach Süden fuhren. Die »Fram« wurde von dem Dampfer »Haalogaland« geschleppt; die »Otaria« folgte im Kielwasser der »Fram« bis Drontheim. Ich siedelte sofort aus den eleganten Salons der »Otaria« nach der »Fram« über und installirte mich wieder im »Grand«, das voll Renthierfelle und Schlafsäcke war; ich blieb dort, bis wir in Christiania vor Anker gingen.

Der ganze August war für uns ein einziges Fest. Wir hätten es uns nie träumen lassen, daß Norwegen uns so empfangen würde. Ueberall, wohin wir kamen, wetteiferten die Leute, uns zu ehren und uns willkommen zu heißen; arm und reich vereinten sich darin. Es that uns von ganzem Herzen wohl, zu fühlen, daß wir wirklich etwas gethan, worauf unser Vaterland stolz war. Das war ein herrlicher Lohn für unsere Anstrengungen und Entbehrungen!

Die Städte machten unsertwegen um die Wette alle möglichen festlichen Zurüstungen.

Ich erinnere mich, daß die Umstände es uns nicht erlaubten, in Stavanger, wo wir in der Nacht ankamen, zu bleiben, wir vielmehr gleich weitergehen mußten. Als wir die Stadt verließen, donnerten zwei so starke Schüsse aus den Kanonen der »Fram«, wie wir sie noch nie vernommen hatten; das ganze Schiff wurde davon erschüttert. Den Salut hatte Peder abgefeuert; er war bei dieser Gelegenheit vom Harpunierer zum Kanonier avancirt. Wir fragten ihn, weshalb er denn so schweres Kaliber genommen, und ob er jetzt, da wir heimgekehrt seien, nicht länger leben wolle. Er aber meinte, wir seien Dummköpfe, die nicht begriffen, daß er so schösse, weil wir die Stadt verließen, ohne ihren Bewohnern die Gelegenheit gegeben zu haben, unsertwegen ein Fest zu veranstalten.

»Ihnen einen ordentlichen Salut zu schicken, war doch das Mindeste, was wir thun konnten«, meinte er.

Der Empfang in Christiania war ergreifend feierlich. Keiner von uns wird je den Augenblick vergessen, als wir an Land stiegen.

Der ganze Fjord war voll festlich geschmückter Schiffe, und das Land war eine schwarze Menschenmenge. Doch über den Leuten lag eine andächtige Stille, und dann begann der große Choral: »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren!«

Nun waren wir daheim!

Droben aber im ewigen Eise herrscht größere Einsamkeit als vorher; denn kein Schiff störte dort das wilde Spiel des Eises länger, und keine Menschen versuchten mehr, seine Geheimnisse zu erforschen.

Doch vielleicht raste die Eiswüste nun gerade deshalb in grimmer Wuth darüber, daß dreizehn Männer ihrem Gebote getrotzt, das ihnen den Eintritt verwehrte, daß sie eingedrungen waren, wo vorher noch nie ein Mensch gewesen war!


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