Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Zwölftes Capitel.

Der Kampf mit dem Eise

April! Der Monat, von dem man sagt, daß er den Leuten gern alle möglichen Possen spielt, weshalb wir uns nach Kräften dadurch entschädigen, daß wir uns selbst gegenseitig »in den April schicken«.

Uns an Bord der »Fram« machte der Monat jedoch keine besonders aufmunternden Versprechungen, sodaß er wenigstens uns nichts vorgespiegelt hat, um das Gelobte nachher mit frechem Lächeln auf den Lippen wieder zu brechen.

Allenthalben begann das Eis zu bersten, und es bildeten sich mehrere ziemlich große Rinnen, darunter gerade am Achterende des Schiffes eine so breite und lange, daß sich ein wenig Segelsport darin treiben ließ, eine Zerstreuung, die uns im höchsten Grade willkommen war, da wir in der letzten Zeit so wenig Bewegung gehabt hatten. Doch zur selben Zeit wurde auch das Eis geradezu unangenehm unruhig. Bald theilte es sich hier, bald dort an den Stellen, wo wir unsere Depots und unsere Instrumente hatten. Die Folge davon war, daß mit diesen unaufhörlich hin und her umgezogen wurde, um sie an einen sicherern Platz zu bringen, wo sie sich dann am nächsten Tage wieder in einer ebenso bedrohten Lage befanden. Wir mußten oft mitten in der Nacht hinaus, um zu bergen, und schließlich wußten wir beinahe gar nicht mehr, wo wir mit unsern Sachen hin sollten.

Dies wurde auf die Dauer unerträglich. Da der Sommer sich näherte und die Erfahrung früherer Jahre uns gelehrt hatte, daß im Sommer die Gefahren der Pressungen lange nicht so groß waren wie in den andern Jahreszeiten, beschlossen wir schließlich, unser »Gut«, Depot, Boote, Schmiede und Instrumente, wieder an Bord zu schaffen. Wir machten uns gleich an die Arbeit und hatten mehrere Tage damit zu thun. Namentlich war es entsetzlich mühsam, das große Schiffsboot durch das aufgethürmte Eis nach dem Schiffe zu bringen und es in der richtigen Stellung, mit dem Kiele nach oben, an den Davits zu befestigen.

So, dies wäre besorgt! Wir fühlten uns wirklich erleichtert. Ja Prosit! Fing es nicht in der Nacht auf den 21. April dermaßen an, zu pressen, daß wir nun für – das Schiff selbst zu fürchten begannen! Die Pressung stieg morgens gegen 7 Uhr zu geradezu überwältigender Heftigkeit an. Wir wurden alle Mann geweckt und waren im Nu in den Kleidern und auf Deck.

Der Anblick, der sich uns hier bot, war wahrhaftig abscheulich genug. Das pressende Eis wälzte sich näher und näher heran, thürmte sich sowohl am Heck wie um den Bug auf, bog aber glücklicherweise nach Backbord ab, wo es einen starken Druck ausübte.

Ein Glück war, daß das Untereis um das Schiff herum so schwach war, daß es unter den heranwälzenden Eismassen brach, wodurch diese mit ihm hinabsanken, statt die Rehling zu entern und sich über das Deck hinzuwälzen, in welchem Falle – und gerade dies fürchteten wir am meisten – es für uns schlimm genug geworden wäre. Der Angriff des Eises wurde glücklicherweise siegreich zurückgeschlagen; aber daß es seine Kräfte nicht gespart hatte, zeigte sich unter anderm daran, daß die »Fram« aus dem Lager, in dem sie den ganzen Winter über eingefroren gelegen, losgebrochen war, sodaß sie frei in ihrem Becken schwamm, als die Pressungen sich endlich gelegt hatten.

Eine an diesem Tage angestellte Beobachtung zeigte, daß wir wieder ein paar Minuten nach Norden getrieben waren. »Hin und her ist gleich lang, und aus und ein derselbe Gang.« Hielten wir diese Weise bei, so konnte der Heimweg recht lang werden und im Zickzack-Kurs verlaufen.

Das Gehen auf dem Eise war in dieser Zeit recht unbehaglich, manchmal geradezu mit Lebensgefahr verbunden. Rund umher gähnte Spalte an Spalte, Loch an Loch. Wir mußten von Scholle zu Scholle springen, um hinüberzukommen. Doch das war noch nicht das Aergste. Schlimmer war es, daß der Schneeschlamm an vielen Stellen verrätherische Löcher verdeckte und so auf uns den Eindruck machte, als hätten wir sicheres Eis vor uns, wo unter einer Schneelage und einer dünnen Eishaut offenes Wasser war.

Auch ich sollte dies eines Tages erfahren, als ich nach dem Beobachtungshause mußte. Ich hatte mich, von Scholle zu Scholle springend, schon ein gutes Stück vom Schiffe entfernt, als ich, platsch, mit beiden Beinen in ein Loch fuhr. Entschlossen warf ich mich auf den Bauch und hielt mich an der nächsten Eiskante fest, sonst hätte ich wahrscheinlich auf dem letzten Loche pfeifen müssen, denn ich war allein und niemand in der Nähe, der mir in dieser kritischen Situation eine hülfreiche Hand hätte reichen können. Glücklicherweise konnte ich hurtig wieder herauskrabbeln und eilte so schnell wie möglich an Bord, um den Wirkungen des unerwarteten eiskalten Bades entgegenzuarbeiten. An dem Tage, da mir dies passirte, herrschte eine niedliche Kälte von 30°; man kann sich also denken, wie behaglich das Bad gewesen war.

Am 25. April traf ein kleiner Gast an Bord ein, eine Schneeammer, die von Süden her kam und sich ein paar Tage bei uns aufhielt. Ach, wenn das Thierchen doch die Gabe der Rede besessen, uns hätte verstehen und sich uns verständlich machen können! Vielleicht hätte es uns dann vieles erzählt, wovon wir in unserer Abgeschiedenheit so gern Kunde erhalten hätten. Doch wir hatten unsern kleinen Gast trotzdem lieb und fütterten ihn mit dem Besten, was wir auftreiben konnten, sodaß er bald ganz zutraulich gegen uns wurde. Wenn er sich auf das Eis oder das Deck setzte, waren natürlich die Hunde hinter ihm her und wollten ihn jagen. Er schlug deshalb seine Wohnung auf der Bootpersenning auf und nahm dort auch seine Mahlzeiten ein. Wir tauften ihn Hänschen. Wir liebten Hänschen alle sehr und interessirten uns ganz ungemein für sein Wohlbefinden, und er schien sich in unserer Gesellschaft ebenfalls wohl zu fühlen, denn sobald einer von uns auf Deck kam, flog er schnell herbei und setzte sich an seinen Platz. Er wußte, daß es dann nicht nur Graupen gab, sondern auch getrocknete Preiselbeeren, die er außerordentlich gern fraß. Als er nach einigen Tagen eines Morgens fort war, trauerten wir ihm, offengestanden, nach; es war uns, als hätten wir einen guten Freund verloren.

Der Mai begann mit vielversprechenden Aussichten, und die Drift schien wirklich gut werden zu wollen. »Lina« erzählte uns jetzt täglich, daß es nun nach Westen und auch ein wenig nach Süden gehe, und zwar zum Theil mit ganz respectabler Geschwindigkeit.


Ich will mir hier in aller Bescheidenheit erlauben, auf etwas zu sprechen zu kommen, worauf ich schon früher hingewiesen habe. Es betrifft die von Nansen aufgestellte Theorie einer Polarströmung.

Meinem Dafürhalten nach zeigte die Drift der »Fram« während der ganzen Zeit, daß es keine Strömung war, die die Eismassen, in denen wir eingefroren lagen, mit sich fortführte, sondern daß die vorherrschenden Winde, und zwar diese allein, sowol die Richtung wie die Geschwindigkeit der Drift bestimmten.

Gerade in »Lina« hatten wir ein unwiderlegliches Zeugniß hierfür. Trieben wir nach Norden, so wies sie nach Süden; trieben wir nach Süden, so wies sie nach Norden. Wäre im Wasser eine Strömung gewesen und wären wir diesem Strome gefolgt, so hätte die Leine natürlich gerade herunter gehangen, da sie dann des Schiffes eigener Bewegung gefolgt wäre. Doch da wir und das Eis mit dem Winde trieben und sie vom Wasser zurückgehalten wurde, mußte sie eine der Drift entgegengesetzte Richtung zeigen. Hauptsächlich aus diesem Grunde war sie uns ein so zuverlässiges Orakel. Zeigte sie sich gelegentlich einmal unsicher, so war auch dies nur ein Beweis mehr zu meinen Gunsten. Denn diese Unsicherheit trat stets dann ein, wenn der Wind schwach war und herumging, oder wenn es weiter nördlich oder südlich aus einer andern Richtung wehte, wodurch auf das Eis und die »Fram« von zwei Seiten ein Druck ausgeübt wurde. Wie bewundernswerth Nansen's wissenschaftliche Theorien auch im übrigen ihre Stichhaltigkeit bewiesen haben, wage ich deshalb doch, in Betreff einer Polarströmung eine andere Meinung als er zu haben, wenn ich auch nur ein Laie bin. Ich glaube, daß meine Beweisgründe für meine Ansicht gut sind, und hoffe, Nansen wird mir meine bescheidenen Einwendungen nicht übel nehmen. –

»Lina« war uns in jener Zeit außerordentlich gewogen. Dazu kam, daß die Rinne am Achterende des Schiffes sich von Tag zu Tag mehr erweiterte, zuletzt sogar breiter war, als wir mit bloßem Auge übersehen konnten. Mit dieser Rinne vergrößerte sich auch die Hoffnung, daß wir aus dem Eisgürtel, in dem die »Fram« lag, herauskommen und wieder von der Schiffsschraube Gebrauch machen könnten, die uns rasch nach Süden führen würde. Am 13. Mai konnten wir aus den Spiegelungen am Himmel sehen, daß auch weiter südlich offenes Wasser war.

Was wir jetzt zuerst zu thun hatten, war natürlich, daß wir den Eisgürtel, der uns noch von der Rinne trennte, zu sprengen versuchten. Darum hieß es wieder darangehen, Minen zurechtzumachen und zu legen. Alle Mann wurden auf die Beine gebracht, um bei der Arbeit zu helfen, Amundsen und Petterson ausgenommen, die genug damit zu thun hatten, den Schraubenbrunnen von Eis und Wasser zu befreien und die Maschine in Stand zu setzen, damit sie auf Kommando den Kessel anheizen konnten. Ich erhielt die Aufgabe, die elektrische Batterie und die Leitung der mit Schießbaumwolle geladenen Minen in Ordnung zu bringen. Wir arbeiteten und quälten uns mit diesen Sprengversuchen sehr lange ab. Obwol die Minen recht stark waren, war doch die Wirkung auf das Eis anfänglich merkwürdig gering. Wir brachten es allerdings hier und da zum Bersten, aber doch nicht so, daß man durch die Spalten hätte hinauskommen können. Dies war das wenig tröstliche Resultat der ununterbrochenen Arbeit eines ganzen Tages und einer ganzen Nacht. Am nächsten Tage ging es wieder dran. Jetzt legten wir ein paar Minen, die alle bisherigen übertrafen. Die Resultate waren denn auch diesmal bedeutend besser, ja so gut, daß wir am Abend alle Aussicht hatten, den folgenden Tag durchkommen zu können, falls sich die Rinnen offen hielten.

Doch als der Morgen kam, hatten sich die Rinnen leider dermaßen wieder zusammengeschoben, daß jeder weitere Sprengungsversuch für den Augenblick vollständig verlorene Mühe gewesen wäre. Deshalb stellten wir notgedrungen unsern Kampf ein, bis es den Rinnen gefiele, die Thür wieder aufzumachen.

Das Osterfest, das wir dem Kalender nach vom 2. bis 4. April hätten feiern sollen, war ganz still, beinahe unbeachtet hingegangen. Was ich früher von der Stimmung, in die uns solche Feiertage versetzten, erzählt habe, machte sich in diesem Jahre in vielleicht noch stärkerm Maße geltend als im vorigen.

Doch auch in diesem Jahre übte der Siebzehnte Mai seinen lichten, belebenden Einfluß auf uns. Daß die neuerdings aufgetauchten Hoffnungen auf baldige Befreiung aus unserm Eiskerker hierzu auch, und in nicht geringem Grade, beitrugen, versteht sich von selbst. Unter allen Umständen war uns klar, daß dieser Tag gefeiert werden sollte, wie es sich für gute Norweger schickte. Allerdings fiel der 17. Mai in diesem Jahre auf einen Sonntag, aber dies konnte uns nicht geniren. Den Vortheil hatten wir wenigstens in unserm Reiche, daß wir weder Polizei, noch Amtmann, noch Bischof um Erlaubniß zu fragen brauchten, wenn wir an Feiertagen etwas vorhatten. Wir waren unsere eigenen Behörden, und folglich hatten alle unsere Beschlüsse von vornherein die nöthige Machtvollkommenheit.

So wurde also morgens 8 Uhr nach altem Brauch mit Kanonensalut und Orgelmusik geweckt, worauf wir zum Frühstück Kaffee tranken und frisches Brot, Kuchen und kalten Aufschnitt aßen. Der Salon war mit Flaggen, Fahnen und den Nationalfarben geschmückt. Mit dem Zustandebringen des Festzuges hatte es jedoch seine Schwierigkeiten; wohlverstanden, nicht aus demselben Grunde wie daheim in unserm politisch zersplitterten Vaterlande, wo die Leute nicht einmal am Freiheitstage einig sein können. Nein, die Ursache war einfach die, daß wir nicht recht wußten, wohin wir ziehen sollten. In den frühern Jahren hatten wir unsern prächtigen Eishügel gehabt, der gerade in passender Entfernung, etwa 20 Minuten vom Schiffe, gelegen war. Von ihm aber trennten uns jetzt Risse und Rinnen, die nicht zu passiren waren, am allerwenigsten mit einem Festzuge, und die Eisscholle, an der die »Fram« lag, war bedenklich klein.

Aber unsern Siebzehnten-Mai-Zug mußten wir haben, so oder so. Wir stellten uns also zum Zuge auf, Kapitän Sverdrup mit der norwegischen Flagge an der Spitze. Hinter ihm kam als Musikcorps Bentsen mit seiner Handharmonika auf einem von neun Hunden gezogenen Schlitten, den Mogstad lenkte. Jacobsen trug den Messinglöwen auf rothem Grunde, Scott-Hansen die Standarte der »Fram« und an der Spitze der Stange einen Sextanten. Ich kam mit einer Stange, an welcher Anemometer und Stundenglas befestigt waren, Hendriksen mit Harpune und Lanze, Petterson mit seiner »Maschinistenfahne« und Amundsen mit unserm »Bezirksbanner«. Damit die feierliche Prozession nicht gar zu schnell ein Ende nähme, zogen wir unter den Klängen der Musik mehrmals um die Eisscholle herum. Um 12 Uhr wurden zu Ehren des Tages zwei Salutschüsse abgefeuert, und um 1 Uhr wurde ein elegantes Festmahl servirt, dessen einziger dunkler Punkt war, daß wir bei dieser Gelegenheit den letzten Rest unsers Vorraths an frischem Bärenfleisch vertilgten, denn die Aussicht auf neue Zufuhr war in dieser Jahreszeit ziemlich gering.

Daran dachten wir in der Feststimmung des Tages aber nicht, und das Mittagessen verlief aufs beste mit vielen Reden auf den Tag und vielen Wünschen für das Vaterland und uns selbst. Wir konnten heute mit gefüllten Weingläsern anstoßen, da jedem eine halbe Flasche edeln Traubensaftes aufgetischt worden war. Was es für eine »Marke« war, bin ich nicht im Stande zu sagen, aber mit desto größerer Sicherheit, welcher »Jahrgang«. Denn der Wein war von Kapitän Sverdrup aus getrockneten Preiselbeeren mit einem kleinen Zusatze von Spiritus bereitet worden. War es auch gerade keine edle Traube, so war es doch auch kein Krätzer. Er schmeckte gut und hinterließ keinen Katzenjammer.

Dies that die Bowle Fram-Punsch, um die wir uns abends versammelten, auch nicht. Wir verbrachten einige sehr angenehme Stunden; es wurde im Laufe des Abends Nansen's und Johansen's und noch mancher anderer mit warmen Worten gedacht. Gegen 12 ½ Uhr trennten wir uns und konnten am »Achtzehnten«, der für manche der freien Söhne Norwegens so schmerzensreich ist, mit klarem Kopf und gesundem Appetit erwachen.

Das Wetter war am 18. ebenfalls gut, aber die Eisverhältnisse waren ziemlich unverändert. Nun, waren sie auch nicht besser geworden, so hatten sie sich doch nicht verschlechtert, weshalb wir entschlossen daran gingen, an Bord alles klar zu machen, um anzuheizen und nach Süden zu dampfen, sobald das Eis sich wieder öffnete.

Amundsen hatte schon vorher die Maschine gründlich untersucht, ob sich auch während der Pressungen keine Schraube gelockert hatte, aber alles war an seiner richtigen Stelle.

So wurde denn der Kessel mit Wasser gefüllt. Seit zwei und einem halben Jahre war kein Wasser darin gewesen! Das Füllen geschah in der Weise, daß wir aus einem Loche links von der »Fram« Wasser an Bord trugen. Wir halfen bei dieser Arbeit alle zusammen, sodaß wir den Kessel bald voll hatten. Darauf wurde der Schornstein aufgesetzt und dann angeheizt.

Als wir das Feuer wieder unter dem Kessel knistern hörten, den Rauch aus dem Schornstein wirbeln sahen und bald so viel Dampf hatten, daß er zischend und pfeifend aus dem Dampfrohr sauste – welches Hochgefühl war dies! Es glich einem frohen Wiedersehen nach vielen langen traurigen Jahren der Trennung. Wir schauten wahrhaft andächtig zu.

Die Hunde faßten es anders auf. Sie waren außerordentlich lustig anzusehen. Als wir den Dampf ausströmen und die Dampfpfeife ein paar mal kräftig ertönen ließen, rannten sie davon, als sei der Teufel los, und eilten jämmerlich heulend nach allen möglichen Winkeln, um sich zu verstecken. Sie waren alle im Polareise geboren, und dieser Lärm der modernen civilisirten Welt war für sie etwas Neues, das sie im Anfange augenscheinlich in Schrecken versetzte. Doch nach und nach gewöhnten auch sie sich daran.

Nun wurde alles Eis im Schraubenbrunnen rund um die Welle und um die Schraube selbst mit Hülfe des Dampfes in Wasser verwandelt und entfernt. Als dies geschehen war und der Maschinist seine Maschine in Gang setzen konnte, war alles zur Abfahrt fertig und er selbst seelenvergnügt. Auch für uns war es ein Hochgenuß, dem bekannten Lärm der im Takt erschallenden Schläge der Kolbenstange zu lauschen und den warmen, mit Paraffin gesättigten Dunst des Maschinenraums einzuathmen, sodaß auch wir alle miteinander in gehobene Stimmung versetzt wurden.

Das Pfingstfest fiel in diesem Jahre auf den 24. Mai. Wir hatten schon unsern Sommer, indem das Thermometer 1 bis 2º Wärme zeigte, was auf unserer Breite selbst mitten im Sommer etwas Großartiges war. Zu Pfingstausflügen aber konnten wir dieses warme Sommerwetter leider nicht benutzen, da das Eis unter seiner Einwirkung schlecht und porös geworden war, mit vielen Wasserlöchern unter dem Schnee. Wir verbrachten daher die beiden Festtage in größter Ruhe an Bord mit Lesen und etwas Kartenspiel und langweilten uns, aufrichtig gesagt, mit soviel Anstand und Grazie, als nur möglich war.

Am dritten Tage jedoch gingen wir an eine interessante Arbeit: wir begannen große Wäsche zu veranstalten. Da wir Feuer unter dem Kessel hatten, gab es heißes Wasser im Ueberfluß, und unten im Maschinenraume ließ sich überdies schnell trocknen. Es waren über zwei Jahre und acht Monate, seit wir uns diesen Luxus zuletzt hatten gestatten können. Bisher hatten wir zur Wäsche Wasser in der Küche in einem Kessel heiß machen müssen, und da wir gezwungen gewesen waren, mit Wasser und Feuerung sparsam umzugehen, so kann man sich denken, daß die Wäsche, die da gewaschen wurde, viel zu wünschen übrig ließ, um so mehr, da sie im Salon getrocknet werden mußte, wo uns diese Wirthschaft in vieler Hinsicht sehr unbehaglich war und von uns allen ungern gesehen wurde. Daher war diese große Wäsche mit dampfendem Seifenwasser, das sich immer wieder erneuern ließ, und mit hinreichenden Mengen warmen Wassers zum Zeugspülen ein wahrer Genuß für uns. Wer hätte sich dies zu Hause wol denken können!

Am 28. Mai öffnete sich ungefähr 200 Meter von uns eine Rinne. Sie erstreckte sich, so weit wir blicken konnten, in südlicher Richtung, aber es war nicht leicht, in sie hinein zu gelangen. Der zwischen der Rinne und der »Fram« liegende Eisgürtel bestand nämlich aus dichtem Packeise, das sich nicht ohne weiteres beiseite schieben ließ. Wir mußten also wieder versuchen, uns mit Pulverminen hindurch zu sprengen, und beschlossen, gleich am nächsten Tag daran zu gehen.

Das Eis ließ sich aber nicht wegschieben. Es war ganz außerordentlich dick und fest, und wir mußten uns daher vorbereiten, ihm eine ganz außerordentlich kräftige Ladung in den Leib zu schicken, wenn wir hoffen wollten, seine Halsstarrigkeit zu brechen. So nahmen wir einfach das ganze Pulverfaß, das wir bei der Abreise von Horten (bei Christiania) mitgenommen hatten, und befestigten daran Patronen und einen elektrischen Leitungsdraht. Dann wurde es 8 Meter unter das Eis versenkt, worauf wir uns alle entfernten.

Ich sollte die Mine entzünden. Mit den dazu nöthigen Apparaten verschanzte ich mich hinter ein Paar tüchtigen Eisschollen, und als ich sah, daß die Kameraden sich in genügend respektvoller Entfernung befanden, schloß ich die Leitung.

Ein dumpfer Schlag erdröhnte, gewaltige Eismassen wurden nach allen Seiten geschleudert, und ihnen nach sauste ein ungeheurer Wasserstrahl hoch in die Luft empor. Es war ein großartiges Schauspiel, aber das allerbeste dabei war, daß auch die Wirkung auf das Eis ganz außerordentlich gewesen war. Die Mine hatte ungefähr 200 Quadratmeter Eis gesprengt und aufgebrochen, ein Resultat, das wir mit begeistertem Hurrah begrüßten.

Wir glaubten uns schon obenauf, sicher, binnen kurzem herauszukommen. Ja, wir waren dessen in solchem Grade sicher, daß der Maschinist schon tüchtig die Kessel heizte, um mit allem klar zu sein. Inzwischen wurden zwei Minen gelegt, eine an Steuerbord und eine an Backbord, beide ungefähr 80 Meter vom Schiffe entfernt und 12 Meter tief versenkt. »Die werden mit dem Reste fertig werden«, dachten wir siegesgewiß, hatten aber die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Scott-Hansen sollte den elektrischen Strom schließen. Ich war mit Petterson in den Salon hinuntergegangen, wo jeder von uns während der Explosion einen Chronometer festhalten sollte, um zu verhüten, daß er durch den Luftdruck Stöße erhielte und beschädigt würde. Da hörten wir einen Knall und ein Gepolter im ganzen Schiffe, das heftig erschüttert wurde. »Schön«, meinten wir, »die Minen haben gewiß ordentlich Luft gemacht.«

Wie lang wurde unser Gesicht, als wir auf Deck kamen und gewahrten, was für einen Effect die Minen gehabt hatten: wie eine Sündflut schwammen und strömten Eisstücke und Wasser auf dem ganzen Schiff umher, aber das Eis draußen war beinahe ebenso fest wie vorher.

Wir erkannten bald den Fehler. Die Minen hatten statt seitwärts, direct aufwärts gewirkt und deshalb nur Wasser und Eis in die Luft und über das Schiff gesandt, sodaß die Eisstücke den auf Deck Befindlichen förmlich um die Ohren geflogen waren, aber merkwürdigerweise niemand verletzt hatten. Selbst Mogstad, der oben im Ausguck Platz genommen hatte, um von diesem erhabenen Standpunkte aus den ebenso erhabenen Anblick genießen zu können, hatte eine kalte Douche erhalten. Die ganze Wirkung der Mine beschränkte sich auf ein Loch und einige Spalten.

Eine ungefähr 70 Meter vom Schiffe gelegte letzte Mine, die 20 Meter tief versenkt wurde, brachte freilich eine etwas bessere Wirkung hervor, obgleich auch sie nicht entfernt den Erwartungen entsprach. Trotzdem hatten wir erreicht, das Eis auf eine ganze Strecke hin zu sprengen, und beschlossen nun, den Rest mit kleinen Ladungen allmählich zu zerstören. Es war schon Mitternacht, und da wir den ganzen Tag unermüdlich gearbeitet hatten, bedurften wir wirklich ein wenig der Ruhe, weshalb wir nach einer guten Tasse Kaffee in die Koje gingen und den Schlaf des Gerechten schliefen.

Am Morgen waren wir gegen 6 Uhr wieder auf und hatten die Absicht, dort, wo wir am Abend aufgehört, gleich wieder zu beginnen. Doch unsere Hunde hatten uns in der Nacht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir waren so unvorsichtig gewesen, allerlei zur Sprengungsarbeit erforderliche Gegenstände auf dem Eise liegen zu lassen, wo die Hunde sich jetzt bei dem milden Wetter Tag und Nacht aufhielten. Und diese – es waren auch einige ganz junge Hunde dabei – hatten die Gelegenheit wahrgenommen. Bei zwei Pulverminen hatten sie die Lunte abgerissen, um zu dem um die Oeffnung geschmierten Talg zu gelangen, und an einer Mine hatten sie den Leitungsdraht dicht am Pfropfen abgebissen. Hierdurch bekam hauptsächlich ich eine Extraarbeit; aber da die Racker überdies auch sonst, wo sie nur konnten, Schaden angerichtet, und das eine hierhin, das andere dorthin verschleppt hatten, mußten sich die Kameraden auch eine Weile damit beschäftigen, alles zusammenzubringen und den Schaden wieder gut zu machen.

Als dies geschehen war, schossen wir zwei kleinere Minen ab. Sie brachten das Eis zwar zum Bersten, da aber der Wind das Eis nach der Seite des Schiffes hin aufeinanderschob, wollten die Spalten sich nicht öffnen. Wir kamen deshalb zu dem vernünftigen Entschlusse, zu warten, bis der Wind umschlüge, ehe wir neue Versuche machten. Alles in allem hatten wir nun vier größere Minen, jede von 8 Kilogramm, und fünf kleinere von je 5 Kilogramm verschossen außerdem drei Minen mit Schießbaumwolle zu je 10 Prismen.

Am 2. Juni gewahrte ich, als ich am Morgen auf Deck kam, um die Wache anzutreten, daß eine der achterwärts gelegenen Rinnen sich zu öffnen angefangen hatte und immer größer wurde. Ich benachrichtigte Sverdrup, der aus der Koje sprang und mir Ordre gab, sofort die ganze Mannschaft zu wecken. Wir schluckten das Frühstück schnell hinunter; dann ging es auf Deck und wieder an die Sprengungsarbeit. Wir ließen zwei kleinere Pulverminen und zwei mit Schießbaumwolle springen; besonders die letztern thaten gute Wirkung und schlugen ordentliche Spalten in das Eis. Da das Eis rund umher ziemlich locker zu werden anfing, griffen wir zu großen eisernen Brechstangen, mit denen wir die Schollen Stück für Stück losbrachen. Am Nachmittag hatten wir das Schiff vom Achterende bis zur Lenzluke ganz vom Eise befreit, und am Tage darauf machten wir uns vollständig flott. Doch ist dies nicht so zu verstehen, daß wir nun hätten Dampf aufmachen und fortfahren können. Nein, so beschaffen waren die Rinnen leider noch nicht.

Während wir darauf warteten, daß sie sich öffnen und uns herauslassen sollten, erhielten wir in den nächsten Tagen nicht weniger als zwei Bärenbesuche.

Der erste erfolgte in der Nacht auf den 5. Juni, als Hendriksen die »Meteorologie« ablas. Er hörte plötzlich einen eigenthümlichen zischenden Ton in der Nähe, und als er sich umsah, war die Bestie nur etwa 40 Schritt von ihm entfernt. Sie hatten beide ungefähr gleich weit bis zum Schiffe. Hendriksen bedachte sich nicht lange, begann zu laufen und kam durch die Lenzluke herein. Jetzt wurde die ganze Hundeschar lebendig und stürmte auf den Bären ein, der nach langem Scharmützel mit den flinken kleinen Quälgeistern schließlich, so schnell ihm möglich war, die Flucht ergriff. Das war der eine.

Zwei Tage darauf stand ich morgens draußen auf dem Eise und starrte tiefsinnig in eine Rinne, um die ziemlich heftige Bewegung im Eise zu studiren. Mit einem mal fingen auf der entgegengesetzten Seite die Hunde an, einen gräßlichen Spektakel zu machen. Als ich wieder fortgehen wollte, stand am andern Rande wahrhaftig ein Bär. Er sah mich an, ich sah ihn an, dann aber fuhren die Hunde auf ihn los, und er begann zu retiriren. Ich so schnell wie möglich an Bord, indem ich brüllte: »Ein Bär!« Drei Mann sprangen sofort mit ihren Flinten auf das Eis, um ihn zu verfolgen. Ich mußte meinerseits auf das Vergnügen verzichten, da die meteorologische Ablesung um 10 Uhr auf mich fiel.

An den Spuren im Schnee sahen wir, daß zwei Bären hier gewesen waren. Sverdrup und Mogstad zogen ihnen sofort nach, und da wir nach einer Weile in weiter Entfernung Schuß auf Schuß hörten, dachten wir, daß sie die Burschen erlegt hätten, weshalb ihnen fünf Mann mit Schlitten und Hundegeschirr entgegen gingen. Unsere Vermuthung war richtig; sie hatten die Bären erlegt, und diese lagen nun auf je einem mit Hunden bespannten Schlitten. Als wir das Schiff wieder erreichten, wartete das Mittagessen schon auf uns, zum Abendbrot aber erhielten wir köstliches Bärensteak.

Es kamen jetzt auch viele Vögel, Lummen und Krabbentaucher, sodaß wir am 8. Juni schon so viele in unserer Speisekammer hatten, daß uns allen zu Mittag gebratenes Geflügel aufgetischt werden konnte.

Tags darauf erlebten wir etwas in dieser Jahreszeit ganz Unerwartetes, eine ziemlich heftige Pressung, die von abends 10 Uhr bis 3 Uhr morgens dauerte. Das Achterende der »Fram« wurde so hoch emporgehoben, daß das Schiff beinahe auf dem Kopfe stand. Nachher ließ das Eis in seiner Bewegung allmählich nach, aber erst am 12. ging das Schiff wieder in seine natürliche Lage zurück. Gleichzeitig theilte sich auch das Eis so weit, daß wir uns in die nächste Rinne hineinmanövriren konnten. Die Maschine wurde geheizt und das Dampfspill in Gang gebracht, um das Schiff zu verholen. In unsern Ohren klang es wie die schönste Musik.

Wenn nur noch ein wenig mehr Oeffnungen im Eise entstehen wollten, sodaß wir uns ein bischen weiter nach Süden stehlen könnten! Danach spähten wir jetzt früh und spät aus. Am 15 Juni abends kam Kapitän Sverdrup aus der Tonne herunter und gab Ordre zum augenblicklichen Anheizen, da er eine schmale Rinne im Eise sehe, durch die wir uns möglicherweise hindurchzwängen könnten. Es war zwar schon Schlafenszeit, aber es konnte ja keinem von uns einfallen, deshalb zu brummen, weil wir zu einer solchen Arbeit aus dem Bette geholt wurden.

Das Steuer, das seit unserm Einfrieren im Eise auf Deck gelegen hatte, wurde in seine Angeln eingehängt, allerdings mit einiger Mühe, da es ein wenig gequollen war. Die noch auf dem Eise befindlichen Sachen und auch die Hunde wurden an Bord geholt. Zum ersten mal seit zwei Jahren und neun Monaten ertönte das Kommando von der Tonne nach der Maschine hinunter, und diese fing an zu arbeiten, mit schweren, taktmäßigen Schlägen und einem Tone, als athme sie tief auf. Die Schraube begann das mit Eis gefüllte Wasser zu peitschen, und die »Fram« wandte ihren Bug nach der Rinne im Eise, durch die wir nach dem offenen Meere, zur Freiheit, vorzudringen hofften.


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