Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Drittes Kapitel.

Im Eise fest.

Am 19. September sind wir auf 76° nördlicher Breite und steuern nun mit gutem Wind und unter Volldampf in offenem Fahrwasser direct nach Norden. Alle freuen wir uns herzlich über eine solche Fahrt in einem bisher von niemand besuchten Fahrwasser und eifrig discutiren wir die Frage, wie weit wir wol kommen werden, bevor wir wieder festlegen müssen.

An Bord herrscht jetzt eine förmliche Manie, sich den Bart auf möglichst phantastische Weise zuzustutzen. Scott-Hansen sieht gerade so aus wie Zimmermeister Olsen, der die »Fram« gebaut hat, Nordahl gleicht König Victor Emanuel von Italien und Bentsen Napoleon III., wovon er übrigens durchaus nichts hören will.

Wir haben eine unangenehme Entdeckung gemacht: das böse Insekt, das man Laus nennt, hat sich deutlich gezeigt, und alle Mann werden gründlich in Untersuchung genommen. Jeder muß sein Hemd umkehren, und Flüche und Witze fliegen hin und her, viel flinker als die Läuse, die so etwas bekanntermaßen mit Ruhe zu nehmen wissen.In einem Theile der Auflage ist im 1. Bd. irrthümlicherweise von Wanzen die Rede.

Morgen wird eine ordentliche Läusekocherei mit Dampf angestellt. Die Samojeden in Chabarowa werden als die eigentliche Ursache dieser angenehmen Unterhaltung betrachtet. Das ewige Läuse-Thema ist schuld daran, daß wir beständig glauben, die Thiere bissen uns, sodaß wir uns hier und dort kratzen und alle Augenblicke sagen: »Da beißt's mich wieder.«

Am nächsten Tage ging der großartige Mord vor sich. Wir steckten die Kleider in ein Faß, ließen durch einen Schlauch Dampf von der Maschine hinein und glaubten, die Läuse ihren Schwanengesang singen, oder richtiger schreien zu hören. Später stellte sich jedoch heraus, daß sie uns trotz alledem angeführt hatten. Ich sollte unsere Bettdecken in der Tonne dämpfen, aber der Dampf war für die schon sehr mitgenommene Tonne zu stark, und die Folge davon war, daß die ganze Geschichte explodirte und Rauch, Dampf und Kleidungsstücke sich über das ganze Deck verbreiteten. Es muß ein schöner Anblick gewesen sein, als wir, schmutzig, zerlumpt und zerkratzt, auf der Jagd nach Läusen in dem Dampfe herumsprangen!

Am 22. September gegen 4 Uhr nachmittags vertäuten wir das Schiff an einer Eisscholle. Nun liegt unsere kleine Gesellschaft auf 78º 54' nördlicher Breite fern von aller Civilisation im Eise. Bei dem herrlichen Wetter ist eine entzückende Aussicht nach allen Seiten; bald ist das Eis hoch, bald ist es flach, dazwischen Wasserflächen bis an den Horizont, der in allen möglichen Farben mit dem Eise und dem Wasser verschmolzen scheint. Nur die Hunde unterbrechen die feierliche Stille. Vielleicht wittern sie einen Bären oder ein anderes Thier, wenn sie ab und zu zu bellen anfangen.

23. September. Alle Mann um 7 Uhr auf, um Kohlen zu schaufeln, was lustig und lebendig vor sich geht. Das Kohlenschaufeln ist gewissermaßen ein gemeinschaftlicher Anknüpfungspunkt für uns, da wir dabei ja alle zusammen auf einmal in Thätigkeit sind. Schwarz wie die Neger werden wir dabei natürlich alle, und wenn wir uns auch abends gründlich waschen, so darf man nicht glauben, daß wir rein werden. Besonders die Augen machen einen ganz südländischen Eindruck, und wir stimmten alle überein, daß Belladonna nicht halb so verschönernd auf die Augen wirkt wie das Hantieren mit Kohlen. Wir können wol mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß wir hier den Winter über in ungefähr derselben Umgebung wie jetzt liegen bleiben werden.

Diejenigen von uns, die die Läusewirthschaft gehabt haben, liegen leider nachts nicht so gut, als sie gern möchten. Die Kleider werden natürlich anbehalten, aber man schläft auf dem bloßen Segeltuche und deckt sich mit einigen Kleidungsstücken zu, da alles Bettzeug u. s. w. aus den Kojen der Läuse wegen hat in die Wäsche gegeben werden müssen. Und zum Trocknen haben wir auch keinen Platz.

Es ist helles, schönes Wetter bei 7 bis 8° Kälte. Wir haben angefangen, die ganze Last von Brettern und Pfosten, sowie die Windmühle, die hinten auf dem Deck gelegen hat, von den Hinterlassenschaften der Hunde reinzuschrapen und vorn und im Raume Ordnung zu schaffen, wodurch wir ein ordentlich aussehendes Deck und Platz zum Spazierengehen gewannen.

Eines Tages entdeckten wir hinter einem Eisblocke nicht weit vom Schiffe einen Bären. Nansen und Sverdrup schütteten Patronen ins Magazin des Gewehrs und machten sich dann auf, wie sie gingen und standen. Alle Mann eilten hinauf ins Takelwerk, um der seltenen Jagd folgen zu können. Aber der Bär wollte nichts mit Menschen zu schaffen haben, er machte kehrt und schlenderte in nordwestlicher Richtung fort. Dort verschwand er, ohne daß es möglich gewesen wäre, ihm auf Schußweite nahe zu kommen, obgleich drei Hunde auf ihn losgelassen worden waren.

Wir haben uns jetzt durch den Raum, wo die Dynamomaschine steht, einen Zugang zu dem Proviant im Großraume geschaffen, ebenso das Halbdeck an der Backbordseite nach dem Kajüteneingang frei gemacht, und können also, ohne auf Deck gehen zu müssen, zu unsern Vorräthen gelangen. Kohlenstaub und Schmutz sind weggefegt, die Hobelbank wurde im Raume aufgestellt, und von da an blieb es auf dem Deck sauber.

Die Wohnräume sind gescheuert worden, und alle Mann haben eines Tages im Großraume große Wäsche gehabt. Bei dieser Gelegenheit ließen wir uns alle zum zweiten male wiegen, was zu vielem Gelächter Anlaß gab, da die Wage bei den meisten infolge eines kleinen Fehlers eine viel zu große Gewichtszunahme für einen Monat zeigte. Kapitän Sverdrup ist noch immer der leichteste und Juell der schwerste Mann an Bord.

Das Wasser zum Waschen für uns und die Wohnräume wurde auf eine neue Art heiß gemacht. Wir nahmen das Theeröl, mit dem wir den Kessel nicht mehr heizen konnten, tauchten Ziegelsteine hinein und brannten sie dann an. Es ging ganz gut, aber das Bespritzen erwies sich als noch praktischer.

Am 28. September brachten wir alle Hunde auf das Eis neben dem Schiffe. Es schien ihnen sehr recht zu sein, als wir sie einen nach dem andern losließen, damit sie sich einer kurzen Freiheit erfreuen konnten, ehe sie wieder angebunden wurden. Der »Billeteur« lief gleich nach Norden, als wollte er nach dem Pole und dort die Billete abfordern. Wir haben die Hunde an langen, mit Eisstücken belasteten Planken angebunden, sie können uns also nicht ausreißen.

Am 29. war Blessing's Geburtstag; infolge dessen wurde ein festliches Diner servirt. Die Musik war entsprechend; das Harmonium that sein Bestes. Es herrschte Feststimmung, und alle Mann haben sich beinahe überessen, wenigstens wollte keiner mehr Abendbrot haben.

Den Hunden scheint der Aufenthalt auf dem Eise gut zu bekommen. Besuch haben sie außerordentlich gern und sind ganz unbändig vor Freude, wenn man zu ihnen kommt. Mogstad soll die Aufsicht über sie führen.

30. September. Wir sind noch immer beim Ordnen, Aufräumen und bei den Vorbereitungen für den Winter und haben alle Hände voll zu thun; heute ist das Schneeschaufeln im Großen betrieben worden. Nachmittags haben wir mit einer ebenso nothwendigen wie anstrengenden Arbeit angefangen, wir wollen nämlich das Schiff achteraus in das zusammengefrorene Schlammeis warpen. Unsere Lage ist jetzt für zukünftige Pressungen nicht gerade günstig, da ein schwerer Eishügel, der unmittelbar an Backbord steht, uns auf das Deck fallen kann. Es geht mit dem Bewegen des Schiffes nichts weniger als schnell. Wir haben hinten in einiger Entfernung zwei Eisanker im Eise befestigt und arbeiten nun mit Hülfe von Drahtseilen, vierdrähtigen Taljereepen, Strippen und dergleichen an dem Gangspill, sodaß das Schiff Zoll für Zoll durch das Schlammeis dringt, das jedoch erst aufgehauen werden muß.

Ab und zu brechen wir durch dieses tückische Eis mehr oder weniger tief ein. Ich erinnere mich, daß Peder hineinplumpste, sich aber im Fallen umdrehte und auf dem Rücken im Eisschlamme schwamm. Er sah ein, daß er sich nicht selbst heraushelfen konnte, und blieb deshalb mit ausgestreckten Armen und Beinen ruhig liegen, indem er dem in der Nähe befindlichen Sverdrup zurief: »Komm, Kapitän, hilf mir auf!« Dieser beförderte ihn denn auch wieder auf eine feste Scholle.

Sonntag, 1. October, war der erste Sonntag an Bord, der wirklich ein Ruhetag war. Bisher hatte jeder Sonntag den Werktagen geglichen; es war darum ein Genuß, einmal einen freien Tag zu haben. Vormittags spielten wir Choräle auf dem Harmonium und nahmen uns jeder ein Buch aus unserer reichhaltigen Bibliothek; nach Tisch machten wir wol auch ein Schläfchen und setzten uns dann zum Kartenspiel.

Am Tage darauf wurde unsere Lage für den Winter endgültig bestimmt, und wir hörten um die Mittagszeit mit dem Warpen auf. Die »Fram« wendet nun den Bug nach Süden. Sobald wir einmal festsaßen, hat sie sich nach Süden gedreht und ist die ganze Zeit über mit dem Heck nach vorn getrieben.

Scott-Hansen, Blessing und ich schlugen für die magnetischen Beobachtungen ein Zelt auf, das so weit vom Schiffe entfernt war, daß das an Bord befindliche Eisen keinen störenden Einfluß mehr ausüben konnte. Wir waren gerade alle drei eifrig dabei, das Eis an dem dazu bestimmten Platze zu ebnen, als mein Blick zufällig auf einen Bären fiel, der, keine 50 Schritt von uns entfernt, gerade auf uns zukam. »Ein Bär!«, rief ich aus. Unser erster Gedanke war nicht, uns zu vertheidigen, sondern das Schiff in unauffälliger Weise zu benachrichtigen, damit der Bär nicht, wie der erste, den wir hier gesehen hatten, verscheucht würde. Es wurde bestimmt, daß Blessing an Bord eilen und Flinten holen sollte. Aber auch der Bär schien seinen Entschluß gefaßt zu haben, und bald hatten wir nicht mehr zu befürchten, daß wir ihn verscheuchen könnten; er schlenderte gerade auf uns los und hatte es augenscheinlich auf frisches Fleisch abgesehen.

Die Sache wurde allmählich ernst. Als Blessing uns verließ, um an Bord zu eilen, wandte sich der Bär flink und entschlossen seitwärts, ein Manöver, das gerade so verständlich war, als wenn die Bestie den Mund aufgethan und gesagt hätte: »Sei so gut, mein Lieber, verhalte dich ruhig; du hast an Bord nichts zu suchen, ausgekniffen wird hier nicht.« Wir fingen an, zu toben und aus Leibeskräften zu schreien, aber ohne Erfolg; er war nun schon ganz nahe. Scott-Hansen ergriff einen Eispickel, ich eine Axt, dies waren unsere Waffen. Blessing stieß jetzt wieder zu uns, und nun stellten wir uns in Positur, dem Bären einen warmen Empfang zu bereiten. Glücklicherweise fiel es dem Bären ein, zuerst unser Zelt zu beschnüffeln, während wir unterdessen zu retiriren begannen. Er setzte uns nach, aber in demselben Augenblick waren die an Bord Befindlichen alarmirt worden, und Nansen und Sverdrup sprangen mit ihren Gewehren auf das Eis hinunter. Nansen legte an, und unser Verfolger brach zusammen; noch eine Kugel durch den Kopf, und es war mit ihm vorbei.

Es war ein schönes Männchen, das entsetzlich hungerig gewesen sein mußte, denn sein Magen enthielt keine Spur von Speiseresten. Das Einzige, was wir darin fanden, war ein Stück graues Papier.

Wir lernten daraus wiederholt, das Schiff nie ohne Waffen zu verlassen, wäre es auch auf eine noch so kleine Entfernung.

Am 4. October lotheten wir und fanden, daß der Grund bei 1460 Meter Tiefe aus feinem blauem Thon bestand. An diesem Tage rissen plötzlich die Eismassen achteraus, das offene Wasser kam wieder hervor und bildete von Osten nach Westen ein langes Band. Im Eise ist Bewegung. Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man während der Nachtwache auf Deck steht und das Dröhnen in der Ferne und die seltsamen Töne hört, die die schweren Eismassen hervorbringen, wenn sie sich unter dem Einfluß von Wind und Strömung gegeneinander pressen. Nichts ist zu sehen, nur auf der Scholle neben dem Schiffe liegen 33 Körper auf dem Eise. Es sind unsere Hunde, die hin und wieder durch ein kurzes Gebell oder ein Klirren der Ketten zeigen, daß noch Leben in ihnen ist.

Am nächsten Morgen näherte sich dem Schiffe wieder ein Bär. Nansen und Hendriksen schlichen sich vorsichtig von einem Eisblocke zum andern an ihn heran, aber er bekam doch Witterung von ihnen und wollte sich aus dem Staube machen. Nansen erlegte ihn nichtsdestoweniger aus ziemlicher Entfernung mit zwei Kugeln. Mittags hatten wir das außerordentliche Vergnügen, Carbonade zu speisen von dem Bären, der aus uns selbst hatte Carbonade machen wollen. Er schmeckte ganz vorzüglich.

Die Beobachtungen zeigen, daß wir uns auf 78° 47,5' nördlicher Breite befinden. Das Ruder ist jetzt aus seinem Brunnen herausgenommen und auf das Deck gelegt worden.

Eine entsetzliche Entdeckung! Die Läuse sind an Bord noch nicht vollständig ausgerottet. Man möchte sie wirklich für unsterblich halten, da sie eine Behandlung, wie wir ihnen hatten angedeihen lassen, überleben konnten. Einige von uns müssen jetzt wieder in den Läusekrieg ziehen.

Die Hunde haben wir losgelassen. Anfänglich gab es einen entsetzlichen Lärm; bellend und beißend fuhren sie aufeinander los. Mehrere Mann hatten genug zu thun, sie mit einem Tauende einigermaßen in Ordnung zu halten. Es war gerade, als wären sie auf einmal wieder wild geworden und befänden sich in der sibirischen Steppe. Wenn zwei sich beißen, fährt die ganze Schar, alle miteinander, auf den einen Theil los, und merkwürdigerweise ist es immer der Schwächere, auf den sich alle stürzen. Es kommt dabei auch vor, daß der Kampf einen größern Umfang annimmt.

Jetzt laufen sie alle mehr oder weniger verwundet umher und scheinen an ihren häufigen Raufereien außerordentlich großen Gefallen zu finden. Einmal werden sie wol ausfindig machen, wer von ihnen der stärkste ist, und dann werden sie vielleicht ruhiger.

Sonst sind sie nette Thiere, diese Hunde; wir haben ihnen verschiedene passende Namen gegeben.

Einen aus ihrer Schar haben wir »Hiob« getauft. Er ist so merkwürdig verschüchtert und zaghaft und hat lange, emporstehende Eselsohren, einen gelblichweißen Pelz und einen langgestreckten, kurzbeinigen Körperbau. Er hält sich von den andern fern, macht ganz allein weite Ausflüge, verzichtet auf alles Mögliche und hat noch nie in seinem Leben geknurrt oder gar die Zähne gezeigt.

Dann haben wir den »Billeteur« mit seiner boshaften, häßlichen Billeteurfratze. Er stand immer auf dem Schirm der Treppe nach dem Maschinenraum und bellte jeden an, der den Kopf aus der Luke steckte. Da waren ferner »Barrabas« und »Pan«, die bisher stets darum gekämpft haben, wer der stärkste ist. Da ist auch »Narrifas«, ein kleiner, flinker Schwarzer mit blendend weißen Zähnen, die er beständig zeigt, und mit glänzenden schwarzen Augen.

»Ulenka« ist blaugefleckt, hat einen spitzen Kopf, glatte Haare und ist außerordentlich liebenswürdig. Von »Sultan«, einem braun und weißen, starkknochigen, streitsüchtigen, braunäugigen Köter, kann man dies gerade nicht behaupten. »Kaiphas« ist ein sehr feistes Thier mit dickem, weißem Pelze. Seine Stimme klingt ein wenig heiser, und er scheint an chronischem Schnupfen zu leiden.

Doch ich darf um alles in der Welt die vornehmste der ganzen Gesellschaft nicht vergessen: »Kvik«, die Vertreterin des schönen Geschlechts. Sie ist braungestreift, kräftig gebaut, glatthaarig und hat eine schwarze Schnauze. Mit den andern Hunden, besonders den Cavalieren unter ihnen, kokettirt sie ganz gewaltig, und diese lassen es ihr gegenüber auch nicht an der nöthigen Ehrfurcht fehlen.

Im ganzen sind unter unsern 33 Hunden drei verschiedene Rassen vertreten. Als sie sich noch auf Deck befanden, dauerte es eine ganze Weile, bis wir darüber ins Reine gekommen waren, und die Frage hat zu vielen Wetten Veranlassung gegeben.

Wir haben nun die letzte Läuseschlacht ausgekämpft. Jeder der fünf Angegriffenen mußte sich bis auf den letzten Faden ausziehen und sein Zeug, sowie alle Kleidungsstücke und Decken, die er in seiner Kajüte gehabt, auf den Schnee hinauswerfen, worauf er vollständig neu eingekleidet wurde.

Wir alle haben jetzt unsere Expeditionsanzüge aus grauem Fries bekommen: Kniehosen mit Gamaschen, einen Anorak (Halbpelz) mit pelzbesetzter Kapuze und Komager, wie die Lappländer sie tragen, aus Seehundfell. Scott-Hansen und ich haben außerdem noch unsere Wolfsfellanzüge erhalten, die wir bei den Beobachtungen sehr gut brauchen können. Wir haben nun auch angefangen, in beiden mit vier Mann besetzten Räumen die Schlafsäcke zu benutzen; es schläft sich wirklich großartig darin.

9. October. Das Eis fängt mit bösen Pressungen an. Wir treiben nach Süden und Westen. Vor einigen Tagen fanden wir erst in 1460 Meter Grund, nun haben wir ihn schon bei 270 Meter.

Gestern Abend mußten alle Mann auf Deck. Im Eise war große Bewegung, es preßte sich aufeinander und barst, sodaß wir mehrere Eisanker aussetzen mußten, damit die Scholle mit den Hunden und die mit dem Beobachtungszelte uns nicht forttrieben. Während meiner Nachtwache gab es von 4–5 Uhr gewaltige Pressungen im Eise. Die »Fram« wurde zwar sehr erschüttert, hielt sich aber tapfer. Sie wurde vom Bug her mit solcher Kraft gepreßt, daß ein dickes Drahtseil, das an einem der Eisanker hing, wie ein Zwirnfaden durchgerissen wurde. Ich war gerade auf der Back angekommen, als die Trosse sich anspannte, und sprang hurtig auf das Deck nieder, wo ich nach dem Tauende griff, um die Leine zu lockern. In demselben Augenblick sprang das Drahtseil mit einer solchen Gewalt, daß die Funken umherstoben. Ich konnte von Glück sagen, daß es nicht gerissen war, als ich mich gerade über ihm befand.

Am 10. October ist Nansen's Geburtstag. Es findet jedoch keine festliche Veranstaltung statt, denn Nansen fühlt sich nicht wohl; er fiebert seit mehrern Tagen und ist noch nicht wiederhergestellt.

Es wird gewiß nicht schwer werden, den Winter hindurch für jeden Tag Arbeit zu finden. Noch haben wir das Tauwerk nicht abgeschnitten, die Segel nicht geborgen und über dem Schiffsdeck kein Zeltdach angebracht; der Proviant muß noch geordnet, die Bootsegel und andere Segel müssen genäht, alle Vorbereitungen getroffen werden, damit das Schiff plötzlich verlassen werden kann, kurz, es sind außer den täglichen Beobachtungen noch gar viele Dinge zu thun.

Wir haben von abends 11 Uhr an jeder eine Stunde lang die Nachtwache. Nur Nansen, Sverdrup, Scott-Hansen und der dienstthuende Koch betheiligen sich nicht an diesen Wachen. Juell ist der eigentliche Proviantverwalter und Koch, aber bisher haben Mogstad und Nordahl jeder eine Zeit lang im Küchendepartement gearbeitet.

Augenblicklich bin ich Koch und finde, daß das Kochen für 13 Personen einschließlich der Bedienung nicht gerade ein Spaß ist. Wir kochen auf Theerölherden, die die Angewohnheit haben, allmählich schwächer zu brennen.

Eines Tages sollte ich zu Mittag gesalzenes Fleisch sieden, das zum Auswässern in einem Sacke unter das Eis gehängt worden war. Aber es war zu früh wieder herausgenommen und auf das Deck gelegt worden, wo es natürlich zu einer festen Masse gefror. Gerade bei dieser Gelegenheit konnte ich mit dem Kochapparate gar nicht zurechtkommen. Nansen mußte mir mit seinem Primus-Apparat unter die Arme greifen, und erst um 6 Uhr abends kam das Essen auf den Tisch. Dafür hatte ich allerdings nicht nöthig, noch Abendbrot anzurichten, bin aber auch nicht wieder zum Koch erwählt worden.

Nansen beschäftigt sich damit, das Wasser in den verschiedenen Tiefen zu untersuchen, und findet eine Menge kleiner Thiere. Wir haben ein Thermometerhaus angefertigt und es auf dem Eishügel bei der »Hündinscholle« aufgestellt. Blessing hat in den letzten Tagen alle Bücher zusammengesucht und geordnet. Er hat rechts im Kajütengang eine Bibliothek eingerichtet. Wir besitzen ungefähr 600 Bände.

13. October. Das Eis spielt uns übel mit. Ehe man sich dessen versieht, preßt es sich so zusammen, daß man glauben könnte, die »Fram« sei geliefert, und im nächsten Augenblick haben wir rund um das Schiff herum offenes Wasser.

Heute Morgen gegen 5 Uhr war die Pressung sehr heftig. Die größte Scholle in unserer Nachbarschaft, die »Hündinscholle«, barst in zwei Theile, und von allen Seiten drängten sich die Schollen zusammen. Alle Mann mußten hinaus; ein Eisanker ging flöten, da zertrümmerte Blöcke des aufeinandergeschobenen Eises ihn begraben hatten. Nachdem uns das Eis eine Weile so blockirt hatte, ließ die Bewegung wieder nach, und wir mußten nun sehen, wie fünf oder sechs Schollen mit heulenden Hunden forttrieben. Eine wilde Treibjagd wurde angestellt, und mit Hülfe unsers leichten Lärchenholzprahms gelang es uns schließlich, sie an Bord zurückzubringen.

Amundsen und Pettersen sind dabei, die Maschine wieder zu montiren. Es wäre ja möglich, daß wir Gelegenheit hatten, uns noch weiter nach Norden durchzuschieben, denn das Eis scheint locker zu werden; es ist Tag und Nacht in beständiger Unruhe.

Hansen und ich waren im Zelt und machten eine magnetische Beobachtung. Auf dem Heimweg krachte das sich aufeinander pressende Eis um uns herum, ja sogar unter uns, während wir von Scholle zu Scholle sprangen.

Dann kam der Abend, und wir saßen beim Kartenspiel. Auf einmal hören wir alle Hunde miteinander wie toll bellen. Einer von uns – ich glaube, es war Peder – sprang auf, um nachzusehen, was los war. Er kam mit der Nachricht wieder, daß er hinter einem kleinen Eishügel dicht beim Schiffe einen Bären gesehen zu haben glaube.

Wir eilten alle hinauf in die Dunkelheit, trotzdem es über 20° Kälte hatte und wir eigentlich nur leicht gekleidet waren. Peder, Hansen und ich waren die ersten, welche Flinten in die Hände bekamen; sie hingen mit gefülltem Magazin an der Wand. Dann hieß es, sich an der Rehling aufstellen und über die Eisstücke und die zerstreute bellende Hundemeute hinweg umherspähen.

Und richtig! Dort hinten zwischen den Hügeln schleicht mit dem Schiffe parallel eine schwerfällige Gestalt, wenn es nicht gar zwei sind. Wir nehmen sie aufs Korn, so gut wir können, drücken los und laden wieder so schnell wie möglich. Ein Gebrüll ertönt und eine Gestalt bricht hinter einem Eishügel zusammen.

Dunkel ist es, das Eis preßt sich gegeneinander und siedet, die Stücke drehen sich um und richten sich auf, die Hunde schwärmen von Scholle zu Scholle, beständig nach einer bestimmten Richtung hin bellend. Von der Rehling der »Fram« kommt Blitz auf Blitz, die Schüsse hallen in der Nacht wieder, die Männer eilen hin und her, die meisten nur halb angekleidet. Und nachdem das Magazin wieder gefüllt ist, geht es kunterbunt ins Dunkle hinein, auf das Eis hinunter.

Mit dem Finger am Abzug, mit dem Fuße nach dem Weg tastend, nach allen Seiten umherspähend, schleichen wir uns vorwärts und finden endlich eine Gestalt. Es ist der Bär. Wir geben ihm noch einen Schuß, um zu sehen, ob noch Leben in ihm ist. Nein, er ist mausetodt.

Still! Was ist das? Weiter hinten auf dem Eise ertönt jämmerliches Gebrüll. Es waren also doch zwei gewesen. Ist der andere verwundet? Ist er weit entfernt? Wird er wiederkommen?

Wir holten uns ein Tau und eine Laterne – die natürlich ausging –, näherten uns dem Bären, legten ihm eine Schlinge um den Kopf und zogen ihn an Bord. Es war ein junges Thier; es mußte also die Mutter sein, die dort draußen jammerte. Der erlegte Bär war nur von zwei, höchstens drei Kugeln getroffen worden, aber bei der Finsterniß war ja dies alles Mögliche. Hinterher hatten wir noch den ganzen Abend mit Vertäuungsarbeiten zu thun.

Am nächsten Tag wurden die Hunde wieder an Bord gebracht und an ihren alten Plätzen angekettet. Noch einer von ihnen ist todt. Zwei sind verschwunden; ob sie während der Eispressungen verunglückt sind oder der Bär sie geholt hat, wissen wir nicht. Es waren »Fuchs« und »Narrifas«.

Bei der Untersuchung stellte sich heraus, daß über Nacht noch ein Bär außer dem erlegten dagewesen war. Aber nicht genug damit, zeigten sich auch noch Spuren eines dritten. Nansen, Sverdrup, Blessing, Jacobsen, Bentsen und Mogstad, vielleicht auch noch mehrere andere, zogen aus, während Hansen und ich ihnen vom Beobachtungszelte aus, das wir abzubrechen im Begriff standen, nachschauten.

Die Jäger erblickten ein Bärenjunges, das sich mit durchschossenem Rücken auf den Vorderbeinen auf dem Eise dahinschleppte, während die Hinterbeine gelähmt zu sein schienen. Von der Mutter sahen sie nichts. So hatten wir denn zwei delicate junge Bären, einen zweijährigen und einen einjährigen, bei der Dunkelheit wahrlich kein schlechtes Schußresultat.


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