Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Fünfzehntes Kapitel.

Das Leben in der Hütte.

Jetzt begann für uns ein einförmiges, trauriges Leben während unserer dritten, der schlimmsten Polarnacht. Aber verhältnißmäßig hatten wir es wirklich gut, hätte es doch schlimmer sein können! Vor allem lag ein sehr beruhigendes Gefühl darin, daß wir uns bewußt waren, auf alle Fälle Lebensmittel genug vor der Thür zu haben: unsere Speisekammer war hinreichend mit Bärenfleisch versehen; Schinken und ganze Thiere waren rund um die Hütte herum im Schnee aufgepflanzt. Dort hatten wir auch das Wenige, was uns vom Schlittenproviant geblieben war, tief in den Schnee vergraben und sicher vor den Füchsen versteckt. Diesen Proviant wagten wir nicht eher anzurühren, als bis wieder an den Aufbruch gegangen werden mußte. Vielleicht würde er uns auch als eine Art Arznei dienen können, wenn unser Magen infolge der einförmigen Fleischdiät leiden sollte, doch ist uns diese bisher stets gut bekommen.

Die ganze Zeit über lagen wir meistens, bei Tag und bei Nacht, im Schlafsack und schliefen so viel, als wir in vierundzwanzig Stunden fertig brachten. Jeden Morgen kochten wir Fleisch und Bouillon, und abends brieten wir uns ein Beefsteak von Bärenfleisch; zu Mittag aßen wir nicht. Wir wechselten jede Woche mit dem Amte des Kochs ab.

Neben unserm Kopfende standen die Thranlampen, die Tag und Nacht hindurch brannten; es waren aus Neusilber zurechtgebogene Schalen. Dochte lieferte uns der Inhalt des Doctorsackes: Pflaster und Binden. Der Thran für die Lampen wurde in einem Topfe geschmolzen, der aus dem einen Petroleumfäßchen gemacht worden war.

Wer gerade Koch war, lag vorn im Sacke, und sein Amt war es, die Lampen beständig in Ordnung zu halten; Streichhölzer brauchten wir also nicht. Er mußte auch darauf bedacht sein, rechtzeitig einen Schinken oder ein Bruststück, ja manchmal einen ganzen Bären, wenn er klein war, hereinzuholen und zum Herde zu legen, damit das Fleisch aufthauen konnte, ehe es gebraucht wurde. Schwarz und häßlich wurde es natürlich von dem Ruße, doch für uns hatte so etwas nichts zu bedeuten.

Der andere, der frei vom Küchendienste war, sorgte für Süßwassereis und salziges Eis für die Wirtschaft, oder noch besser für Salzwasser, falls solches zu bekommen war. Salz hatten wir nicht mehr; das wenige, was wir von der »Fram« mitgenommen (es war ein wenig Tafelsalz in einer Senfkruke), war schon lange, bevor wir aus dem Treibeise kamen, verbraucht worden. Manchmal hatten wir wochenlang keine Spur von Salz, weder in Gestalt von Eis, noch von Wasser; das im Fleische befindliche Salz muß also für den menschlichen Körper hinreichend sein, wenn er ausschließlich von Fleisch lebt. Beständig hing ein halbes, mit Eis gefülltes Paraffintönnchen über den Thranlampen, um jederzeit Trinkwasser zu haben.

Mehr als durchaus nothwendig gingen wir den Winter über nicht aus der Thür, denn es fror uns in unsern durchfetteten, abgetragenen Kleidern, und der Wind ging uns durch Mark und Bein. War aber das Wetter gut und Nordlicht oder Mondschein am Himmel, so boten wir der Kälte Trotz und gingen vor der Hütte auf und ab.

Die Füchse liefen wie Hausthiere um die Hütte herum und benagten unsere Bären. Wir ließen sie nagen, hatten wir doch Fleisch genug. Zu Zweien und Dreien trampelten sie auf dem Dache herum. Anfangs behagte es uns nicht, denn in der strengen Kälte klang alles so laut; dann klopften wir an den Firstbalken, aber vergebens.

Sie gingen auch kaum fort, wenn wir durch den Gang hinauskrochen, das Thürfell zurückschlugen und aus dem Erdboden aufstiegen. Dann schrien sie nur vor Verwunderung und Bosheit laut auf; in der Winternacht klang es geradezu abscheulich. Es muß auch für Füchse seltsam genug sein, ein zweibeiniges Geschöpf aus der Erde auftauchen zu sehen. Was hatte der Mensch hier in den Einöden zu thun, die bisher Jahrtausende hindurch ihnen und den Bären ungestört zu eigen gewesen? Mußten sie nicht alle, die blauen wie die weißen, ihrem Zorne darüber Luft machen?

Was die Füchse erwischen konnten, schleppten sie uns fort, Dinge, die für sie auch nicht den geringsten Nutzen hatten, für uns jedoch von Wichtigkeit waren. In das seidene Netz, mit dem wir kleine Wasserthiere fangen wollten, hatte Nansen allerlei gelegt und es bei einem großen Steine versteckt. Aus diesem Netze hatten die Füchse alles Mögliche gestohlen: eine Harpunenleine, einen kleinen Beutel mit Steinproben von dem ersten schneefreien Boden, den wir angetroffen hatten, und, was das Allerschlimmste war, einen Knäuel Angelschnur, aus der wir hatten Nähgarn fabriziren wollen.

Für das Thermometer hatten sie ganz besondere Zuneigung; zweimal schleppten sie es fort, aber wir fanden es wieder. Das drittemal hatten sie es sicher mit in ihre Höhle genommen, denn wir sahen es niemals wieder. Wir besaßen nun nur noch ein Minimumthermometer, das wir an einem Schlitten, der als Thermometerhaus diente, festbanden. Es war ein großes, deutlich und einfach eingetheiltes Thermometer mit rother Metaxylolsäule, sodaß es uns möglich wurde, es selbst in der Dunkelheit einigermaßen genau abzulesen, denn eine Lampe oder Fackel zum Leuchten hatten wir nicht zu Stande gebracht; es wurde nur immer davon gesprochen.

Es war schade, daß wir uns nicht erlauben konnten, diese Thiere, die uns wie Hausthiere umgaben, zu schießen. Der Pelz des Blaufuchses ist doch so kostbar! Für uns aber hatte er keinen Werth; Werth hatte nur das eßbare Fleisch, und der Leib eines Fuchses war zu klein, um eine Patrone dafür zu opfern. Nansen erlegte allerdings einmal zwei auf einen Schuß und ein andermal sah er sich genöthigt, einen zu schießen, der nicht fortgehen wollte.

Wir fanden die weißen Füchse hübscher als die blauen; sie waren so schneeweiß, daß wir uns fast scheuten, sie anzufassen, und sie hatten ein gar feines, weiches Fell. Wir verwandten die Felle schließlich doch, aber erst dann, als wir die Hütte verließen; da zerschnitten wir sie und benutzten sie zum Zubinden der Oeffnung unserer Thranbeutel, damit uns nicht unterwegs der Thran ausliefe.

Am Sylvesterabend war ich bei hellem Mondschein oben auf dem Trümmerfeld unterhalb des Gletschers und suchte nach einem flachen Stein, der zu einer Fuchsfalle paßte. Ich fand einen, der gar nicht so übel war, und rollte ihn nach der Hütte hinunter. Dann stellte ich aus dem Dache mit Stellhölzern, zu denen wir ein Stück Eschenholz nahmen, eine Falle auf. Ich erfror beinahe die Finger, bis ich damit fertig war, aber endlich stand sie doch da mit einem köstlichen Köder von angebranntem Speck, und Nansen und ich legten uns lauschend in den Sack, fest überzeugt, die Füchse sofort kommen zu hören.

Richtig, da war einer! Bums! machte es auf dem Dache, der Stein fiel, aber der Fuchs war mit dem Leben davongekommen. Ich eilte hinaus, um nachzusehen. Die Falle war zugefallen, der Fuchs aber war fort; der Stein war wol zu kurz, und der Fuchs hatte sich rechtzeitig zurückziehen können, ehe der Stein auf ihn fiel.

Darauf versuchte ich es mit einer steifgefrorenen Walroßhaut. Groß genug war sie, und schwer genug mußte sie auch sein, wenn ich Steine oben drauf legte. Aber die Füchse machten sich nur einen Spaß mit der ganzen Bescherung. Die Stellhölzer fand ich ganz unten auf dem Eise am Strande wieder. Die Füchse hatten an dem Specke nicht genug gehabt und geglaubt, auch die Hölzchen mitnehmen zu müssen. Da gab ich es auf.

Nansen hatte Fuchsfleisch sehr gern; ich erinnere mich, daß ich ihm einmal einen ganzen Rücken briet. Ich aß es auch, aber nicht so gern wie Bärenfleisch; letzteres war natürlich auch verschieden.

Bis zu unserm Aufbruch aus der Hütte hatten wir im ganzen 19 Bären erlegt, und davon war gar nicht sosehr viel Fleisch mehr übrig. An Bord der »Fram« hatten wir 13 Stück verzehrt, und im »Sehnsuchtslager« und ehe wir in die Hütte zogen, waren auch einige daraufgegangen.

Wenn wir im Laufe des Winters einen neuen Bären hereingeholt hatten und davon zu essen begannen, gaben wir unser Urtheil über die Güte des Fleisches ab und glaubten, die verschiedenen Thiere genau zu kennen. Der »Wasserbär« war delicat, ebenso der, den wir den »Fettbären« nannten. Am besten aber waren die beiden »Kajakbären«; von dem einen speisten wir an Weihnachten. Der Schinken des »magern Bären« war gar nicht so schlecht, als wir geglaubt hatten. Die Cotelettes von den jungen Bären schmeckten, besonders gekocht, ausgezeichnet.

Einigen Bären hatten wir beim Abhäuten den Magen herausgenommen, ihn umgedreht und mit Blut gefüllt, das zu einer festen Masse gefror; diese brieten wir später in der Pfanne. Am liebsten vom ganzen Bären war uns das Gehirn geröstet, es war geradezu delicat.

Der Koch mußte dem andern auch serviren. War das Essen fertig, so krochen wir beide in den Sack, der Topf wurde am Bettrande auf die Steinbank gestellt, die Blechtassen kamen zum Vorschein, und der Koch fischte im Topfe nach den Fleischstücken. Dann gebrauchten wir unsere fünf Finger und ließen uns Zeit beim Essen. Schließlich genossen wir die Bouillon in vollen Zügen; waren wir fertig, so schlossen wir die Augen, um weiter zu schlafen, dem Lichte und dem Frühling entgegen.

Ab und zu wurde ich durch einen Puff in den Rücken aufgeweckt; ich schnarchte, sagte Nansen; ich brachte mich dann in eine andere Lage, worauf ich still weiter schlief.

Im Innern der Hütte war die Temperatur nicht gerade schlimm. Ich legte das Thermometer einmal unter unser Kopfkissen, es zeigte -7°. An den Wänden war es jedoch kalt, besonders wenn draußen ein Wind ging; die ganze Hütte war weiß bereift. Bei Witterungsumschlag thaute es auf dem Dache und tropfte so in unsere Koje hinein, daß die Felle an den Steinen festfroren. Von der Mitte der Wand bis auf den Fußboden hinunter bildete sich ein dicker Eiswall.

Die durchfetteten Kleider klebten uns am Leibe fest. Wir hatten gehofft, uns neue aus Bärenfell schneidern zu können, mußten es aber aufgeben, da die Bereitung der Felle zu langsam ging. Wir bekamen nur eben so viele fertig, daß es zu einem Schlafsacke, Fausthandschuhen und einigen Flicken reichte. Aus unsern beiden wollenen Decken machten wir uns aber, als der Frühling kam, jeder einen vortrefflichen Anzug.

Haare und Bart wuchsen wild. Schwarz und fettig waren Gesicht und Hände; wir waren vollständige Wilde geworden. Es war uns eine Qual, mit all dem Specke hantieren zu müssen und nichts zu haben, woran wir uns gelegentlich einmal hätten ordentlich die Hände abtrocknen können. Nur wenn wir einen Bären geschossen hatten, ließ sich dies einigermaßen bewerkstelligen. Dann wuschen wir unsere Hände in Blut, worauf sie leuchtend weiß und rein wurden. In der Hütte benutzten wir die Reste des Zeltes als Handtücher; als diese verbraucht waren, mußten wir uns mit Moos begnügen, das mit unserer kleinen Axt unter dem Schnee losgehauen und über dem Herde aufgethaut wurde. Am besten half jedoch das Schrapen mit dem Messer.

Nansen's Schenkel wurden von all diesem Schmutze wund. Er mußte dann und wann Wasser in einer Tasse schmelzen, einen Lappen aus dem Doctorsacke nehmen und sich damit waschen. O, wie sehnten wir uns nach Reinlichkeit, nach weichen, anschmiegenden wollenen Anzügen statt unserer durchfetteten! Von Seife und warmem Wasser oder einem Dampfbade gar nicht zu reden!


Ich hoffe, die Leser werden entschuldigen, wenn ich dem Gange der Ereignisse vorgreife und ihnen ein Bild von dem Heime anderer Menschen zeige, die sich in dieser Winternacht auf derselben Inselgruppe, aber etwa 180 Kilometer weiter im Südwesten aufhielten.

Es war die englische Expedition unter Jackson. Diese acht Männer wohnten in einem guten Blockhause, hatten Licht und Wärme, civilisirte Nahrung, vollauf Seife und Wasser und reine Kleider zur Verfügung. Behaglich und warm war es bei ihnen; sie brauchten ob des arktischen Winters nicht besorgt zu sein. Eine gute Bibliothek hatten sie auch. Das wäre erst etwas für uns gewesen, die wir nur einen nautischen Almanach besaßen! Insbesondere sehnte ich mich nach dem letzten Bande der Heyse'schen Novellen, den ich an Bord der »Fram« nicht mehr hatte auslesen können.

Ja, gar nicht so weit entfernt wohnten diese Menschen, die wir später treffen sollten, aber noch hatten wir beiderseitig keine Ahnung von einander.

Im October hörten wir eines Morgens schwerere Schritte auf dem Dache als das Trippeln der Füchse, und als wir gleich darauf vernahmen, daß im Speckhaufen herumgewirthschaftet und gefressen wurde, erkannten wir, daß es Bruder Petz selbst war, der sich ein wenig die Füße vertrat.

Innerhalb und außerhalb der Thür stand je eine Flinte. Hastig legten wir die Komager an, und Nansen eilte in den Gang. Doch ehe er noch das Thürfell hatte zurückschlagen können, wurde es draußen still, und als wir hinauskrochen, war kein Bär zu sehen. Der Bursche hatte es gewiß eilig gehabt, als er gemerkt hatte, daß unter der Erde Leben war. An den Spuren sahen wir, daß es ein kleiner Bär gewesen sein mußte.

Ich citire einiges aus meinem Tagebuche:

11. December. Heute ist meine Küchenwoche zu Ende, und ich habe wieder hinreichend Zeit, mich mit dem Tagebuche zu befassen.

In den letzten Tagen haben wir stürmisches Wetter und Südostwind gehabt, der durch den Schnee und die Ritzen zwischen den Steinen unserer Mauern dringt, sodaß die Wände sich mit Reif beschlagen, die Lampen flackern und ein kalter Hauch über unser Lager hinweht. Der Sturm hat einen Schneeschuh von Ahornholz, der draußen aufrecht in einer Schneewehe steckte, abgebrochen, und mein Kajak, das im Schnee so tief festgemacht war, daß man nur ganz wenig von ihm sehen konnte, hat der Wind auch fortgeweht und trotz seiner Schwere circa 100 Schritt weit den Abhang hinaufgeschleudert! Lange mußte ich suchen, ehe ich es in der Dunkelheit fand; daß es beschädigt ist, wird sich wol zeigen, wenn das Licht wieder kommt. Beide Kajaks hatten nebeneinander gelegen, meines auf der Windseite, und es war noch ein Glück, daß nicht auch Nansen's Kajak fortgerissen wurde, denn dann hätten wir sicherlich alle Photographien, die er auf der Tour aufgenommen, und den Apparat obendrein eingebüßt; diese Sachen werden nämlich im Kajak aufbewahrt.

Ich habe diese Woche aus Walroßhaut eine vorzügliche Schneeschaufel angefertigt; in der Kälte wird die Haut so hart wie Eisen, während sie sich in der Hütte leicht bearbeiten läßt und man ihr im aufgethauten Zustande jede beliebige Form geben kann. Ich habe angefangen, mit dieser Schaufel wieder Schnee auf das Dach zu bringen.

Heute ist also der 11. December, – ach ja, die Zeit vergeht hier glücklicherweise trotz alledem rasch. Bald naht das alte Jahr seinem Ende, das neue Jahr bricht an mit seinen Freuden und dann, hoffen wir, wird unsere heftige Sehnsucht, unser Hangen und Bangen nach dem neuen Leben zur Ruhe kommen.

Eine Weile noch hält sich die Sonne fern und läßt uns im Dunkeln sitzen, aber in den letzten Tagen des Monats wendet sie sich uns wieder zu und nähert sich immer mehr mit Grüßen aus den Himmelsstrichen, wo Menschen wohnen, und Ende Februar werden wir eines schönen Tages ihr lächelndes Antlitz dort hinten im Süden über dem Bergrücken jenseits des Fjords auftauchen sehen. Dann werden wir aus unserer Höhle herauskriechen, den theuern Gast zu empfangen, und werden ihn hier in unserm weltvergessenen Winkel herzlich willkommen heißen. Dann werden ihre Strahlen unsere erstarrten Glieder aufthauen und uns das Blut rascher durch die Adern jagen, das Herz wird schneller schlagen, und es wird uns schwindeln bei dem Gedanken, daß die Zeit sich nähert, da wir unsere letzte Reise antreten, der Freiheit, dem Lichte, dem Leben entgegen. Ja, schön ist es, ein großes Ziel zu haben, nach dem man sich sehnen kann!

12. December. Es thut uns gut, ins Freie zu kommen und dort herumzuspazieren, wenn es auch kalt und dunkel ist. Aus der bereiften Höhle herauszukommen und die steifgewordenen Glieder zu bewegen, frischt die Gedanken auf, auch wenn wir dabei hin und wieder frieren.

Heute war es wunderschön und sternenklar, und das Nordlicht ließ seine Flammenzungen spielen. Schweigend gehen wir draußen hin und her, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.

Im Süden und Südwesten können wir dort, wo der klare Himmel mit dem Eise zusammenstößt, einen dunkeln Streifen unterscheiden. Dieser dunkle Streifen ist das Meer; der letzte Sturm hat es vom Eise befreit, das fortgetrieben ist, Gott weiß wohin. Dieser Streifen, den wir in der Polarnacht erblicken, ist dasselbe Meer, das die Küsten unsers Vaterlands bespült. Wie erweckt es heftige Sehnsucht in meiner Brust, Sehnsucht nach Licht und Leben dort im Süden in den warmen Regionen, wo die Liebe wohnt!

Bald sind wir drei Jahre außerhalb der Welt gewesen. Neun Monate lang haben wir nicht viel anders gelebt wie die wilden Thiere, die es unter diesem rauhen Himmelsstriche gibt, neun Monate lang haben wir die Kleider Tag und Nacht auf dem Leibe gehabt, wir haben gefroren, und schlecht ist es uns in mancher Hinsicht gegangen!

In weichen Augenblicken stehlen sich milde Gedanken in mein Gemüth; erwärmend kommen sie aus der Heimat und verheißen mir ein Leben, besser, als ich es früher je gekannt, frei von allem, was böse ist, ein glückliches Leben! Und mit dem Sommer wird es kommen!

24. December. So ist denn das Weihnachtsfest auch zu uns gekommen. Es gibt auf der ganzen Welt wol keinen Menschen, der den Heiligen Abend auf dieselbe Weise feierte wie wir, die wir hier mitten in der Polarnacht in unserer Steinhütte liegen, außerhalb der Welt, fern von allem, was zur Civilisation gehört. Wir haben für diesen Abend aber dennoch unsere Vorbereitungen, so einfach sie auch sind, getroffen.

Einige, zum Theil freilich verdorbene Reste von unserm Schlittenproviant besitzen wir noch, Fischmehl, etwas Brot, Chocolade für eine Mahlzeit und zwei Portionen Knorr'sche Suppen; das ist gar nicht so schlecht. Einen delicaten jungen Bären, den einen der beiden »Kajakbären«, haben wir ebenfalls für das Weihnachtsfest aufgehoben. Er war nicht zerlegt worden, sondern stand steifgefroren, so lang er war, mit dem andern Bärenfleische halb verschneit an die Mauer der Hütte gelehnt da. Ich legte ihn mit dem halben Leibe auf einen großen Stein, suchte mir in der Dunkelheit auf dem Abhange einen andern großen Stein mit scharfen Kanten und schlug mit diesem den steifen Bärenleib schließlich mitten durch. Nun haben wir den untern Theil zum Aufthauen hier drinnen. Von dem letzten Bären, den wir in der Hütte hatten, haben wir vorzügliches Fett aufgehoben, das wir heute mit dem Fischmehl vermischen und auch zum Brotbacken benutzen. Mit Eis, mit süßem und salzigem, haben wir uns so reichlich versehen, daß wir während des Weihnachtsfestes nicht danach umherzusuchen brauchen.

Mit unserer Kleidung ist ebenfalls eine Veränderung, wenn auch keine große, vorgegangen. »Reinlichkeit ist eine Tugend«, sagte das alte Weib und kehrte am Heiligen Abend das Hemd um. Etwas anderes haben auch wir nicht gethan, das heißt, wir haben das Oberhemd unter das Unterhemd gezogen, da dieses uns zu sehr am Leibe festklebte. Ich habe statt des Anoraks meine Kamelhaarjacke angelegt und erstern als Kopfkissen genommen; doch welches von beiden mehr durchfettet ist, läßt sich nicht sagen.

Nansen ließ seine langen schwarzen Haare, wie sie waren; ich nahm die Schere, streifte die Kapuze ab, richtete mich im Schlafsacke auf und schnitt mir einige Hände voll von meinem Haare ab. Es war mir, als würde mir der Kopf leichter.

Mit Kleidung und Nahrung ist es in der That nicht gut bestellt, und mit Licht und Wärme auch nicht, aber es wird wol einmal die Zeit kommen, daß wir ein Weihnachtsfest feiern können, welches das jetzige böse reichlich aufwiegt. »Mit Schmerz muß der Mensch sein künftiges Glück erkaufen.« Nach dieser langen dunkeln Nacht hoffe ich auf einen lichten gesegneten Morgen mit Sonnenschein und Vogelgesang, Blumenduft und Thauperlen im frischen Grase.

Die Zeit vergeht schnell genug. Gestern hat die Sonne im Herabsteigen halt gemacht; nun beginnt sie wieder emporzuklimmen, steigt höher und höher und bringt das Licht und auch die Wärme mit, thaut die Eismauer auf, die uns von der Welt absperrt, bringt den Eispanzer um unsere Brust zum Schmelzen, trägt Licht in die Dunkelheit und Helle in unsern Sinn, grüßt uns von der warmen, lächelnden Welt und bietet uns von dort Willkommen, und wir lassen mit unserm Kommen nicht auf uns warten. Ach, die Sonne ist es, die uns das Leben gibt; das sehen wir erst dann recht ein, wenn wir sie nicht haben!

25. December. Der erste Festtag. Wir feierten gestern, so gut wir konnten, den Heiligen Abend.

Wir kochten Fischmehl und ein wenig Maismehl mit Thran zusammen und brieten es nachher in der Pfanne. Dies schmeckte jedoch nicht so gut, als wir erwartet hatten, dafür mundete uns das in Bärenfett gebackene Brot vortrefflich. Heute morgen tranken wir Chocolade und aßen Aleuronatbrot und Speck dazu, es war ein köstliches Weihnachtsgericht.

Im ganzen haben wir trotz allem gute Weihnachten; wir sind zufrieden mit dem, was wir haben, und freuen uns des Lebens in solchem Grade, daß mancher uns beneiden könnte.

Wir haben heute unsern gewöhnlichen Spaziergang auf unserer Promenade auf und ab in einem Wetter gemacht, dessen wir uns noch lange erinnern und wie wir es an Weihnachten sicher nie wieder erleben werden.

Als wir aus unserer Höhle krochen und mit dem Kopfe über die Erde kamen, brannte der ganze Himmel von Nordlichtern, die wie ein Wirbelwind in allen möglichen Farben über den Zenith fuhren und sich am nördlichen Himmel sammelten, wo sie sich lange hielten, während wir schweigend unsern Gang gingen. Am südlichen Himmel glänzte der Mond.

Die Naturkräfte hatten sich vereint, uns das Weihnachtsfest so angenehm zu machen, als in ihrer Macht stand. Der Wind, der in der letzten Zeit ziemlich scharf aus Osten geweht und unsere Wände mit Reif überzogen hatte, hatte sich jetzt ganz bedeutend gelegt, ja, es war bisweilen sogar ganz windstill. Die Temperatur war mäßig, ungefähr -30°. Es wurde uns seltsam feierlich zu Muthe, als wir in diesem eigentümlichen Wetter umhergingen.

Der Mondschein, dieser eigenartige arktische Mondschein, der alles so sanft und friedlich macht und diese harte Natur gleichsam liebkost! Dieser Gegensatz zwischen dem Harten, Strengen und dem mildernden, besänftigenden Lichte des Mondes ist wunderbar. Frieden und gute Gedanken ziehen ins Gemüth ein, lächelnd drängt der Mond sich ein. Es wird dir weich ums Herz, deine guten Gefühle werden erregt, du bist glücklich, während du frierend, fern von deinen Lieben, vor deiner elenden Wohnung auf und ab gehst, indeß das Nordlicht flammt und zittert, als ob eine unsichtbare Hand es hielte, und dich mit Ehrfurcht erfüllt. Wie schön ist die Jugendzeit! Du fühlst Hoffnung in dir und noch ungebrauchte Kräfte, das Glück lächelt dir zu; bewahre dir deinen jugendfrischen Sinn das Leben hindurch und du wirst dir das Glück bewahren!

26. December. Der zweite Tag dieses merkwürdigen Weihnachtsfestes. Ich habe heute Abend gerade eine wichtige Arbeit beendet: ich habe einen Flicken von Bärenfell zugeschnitten und ihn auf mein eines Knie genäht, wo in der letzten Zeit ein großes Loch klaffte. Dies that ich, während Nansen »Backwerk«»Backwerk« hatten wir nicht nur zu Weihnachten. Wir schnitten den gefrorenen Speck zum Thrankochen in hübsche Scheiben und legten diese in den Topf. Wenn das Fett ausgekocht war, blieben die zusammengeschrumpften spröden Scheiben zurück, und dies war dann das »Backwerk«. Wir fanden es wohlschmeckend und gaben uns Mühe, es sehr gut zuzubereiten; es kam dabei sehr viel auf das Kochen an. kochte und sich mit ein paar Tropfen Wasser in einer Tasse die Beine wusch. Das sind andere Beschäftigungen, als man sie sonst am zweiten Weihnachtsfeiertage vorzunehmen pflegt. Daheim tanzt ihr wol und amüsirt euch, so gut ihr könnt. Hier ist kein Tanz von fröhlichen Menschen, aber flammende Nordlichtzungen tanzen bei 33° Kälte am blauen Himmelsgewölbe.

27. December. Heute ist es mit dem schönen Wetter vorbei. Der arktische Winter hat ein neues Gewand angelegt; er meinte wol, es könnte des Guten jetzt genug sein. Er hat den Mond mit Wetterwolken zugedeckt und ist mit Schneesturm aus Südosten gekommen. Wieder können wir den dunkeln Streifen sehen, der davon zeugt, daß das Meer im Südwesten frei ist. Das Nordlicht ist fort; es ist wol nach noch rauhern Gegenden gezogen. Aber es war doch gut, auch heute einen Spaziergang zu machen und sich vom Winde den Schnee ins Gesicht jagen zu lassen.


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