Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Achtes Kapitel.

Ein verunglückter Abschied.

6. Januar. Heute Nachmittag waren alle Mann bei der Arbeit, da das Fortschaffen des Eises von der Schiffsseite uns viel zu thun gab. Es ging nicht so schnell, als wir gedacht hatten; zwischen der Windmühle und dem vorderen Rande des Halbdeckes lag eine schwere, mit Schneeschlamm untermischte Eismasse, und wir wunderten uns alle darüber, daß das Schneesegel, das uns wirklich unschätzbare Dienste geleistet hat, eine solche Last hat tragen können.

Heute haben wir den Weltrecord geschlagen. Die Beobachtung ergab, daß wir uns auf 83° 34,2' nördlicher Breite und 102° 51' östlicher Länge befinden. Infolge dessen wurde abends ein Fest veranstaltet, bei dem wir aber leider müde und schläfrig waren. Wir tranken Polargrog, aßen Backwerk mit Südfrüchten und legten uns auch in dieser Nacht völlig angekleidet in den leeren Kojen nieder. Ein wenig Pressungen hat es im Laufe des Tages gegeben, aber die »Fram« hat nicht dadurch gelitten. Bald war an Bord wieder alles beim Alten. –

Ende Januar und den Februar hindurch fand allgemeine Eisabfuhr statt, mit welcher Arbeit sich die Kameraden sicherlich auch noch beschäftigt haben, nachdem Nansen und ich im März das Schiff verlassen hatten.

Pettersen prophezeit hin und wieder guten Wind; es geht ihm aber schlecht, wenn seine Prophezeiung sich nicht erfüllt, wovor er ja auch nicht sicher ist. Vor einiger Zeit sprach er sich ungefähr folgendermaßen aus: »Ich bin allerdings kein Wahrsager, aber ich glaube doch, daß wir bald einen »verteufelten Schub« nach Norden bekommen werden.« Aus dem »verteufelten Schub nach Norden« wurde freilich nichts, aber Pettersen wurde bei jeder Mahlzeit daran erinnert, da er ihn uns doch versprochen habe. Als sich lange Zeit danach ein starker Südost von 10 Meter in der Secunde mit Schneetreiben einstellte, kam Pettersen wieder in die Höhe.

11. Januar. Einige von uns sind heute im Depot gewesen, um den Proviant, die Kleidungsstücke, kurz alles, was dort liegt, zu ordnen. Bisher lagen die Sachen wüst durcheinander, jetzt sind sie ordentlich aufgestapelt. Von jedem liegt auf jedem Haufen etwas, damit wir, wenn es an einer Stelle ein Unglück geben sollte, nicht von einer Art alles verlieren können.

12. Januar. Es läßt sich nicht leugnen, daß wir den schlimmen Einfluß der Polarnacht hin und wieder an uns verspüren. Wie begreiflich sind die Gemüther nicht immer so gestimmt, wie sie es sein sollten. Wenn die Menschen, mit denen man zusammen ist, noch so gut und nett sind, ist es doch eine Kunst, den rechten Umgangston zu treffen. Wir Dreizehn sind ja immer, bei Tag und bei Nacht, unter den stets genau gleichen Verhältnissen beisammen, lernen einander in- und auswendig kennen und müssen natürlich alle kleinen Schwächen und wunden Punkte entdecken. Die Stimmung ist bisweilen gedrückt; man wird leicht streitsüchtig, stichelt aufeinander und »mutzt«, wie man sagt, jede Aeußerung, an der auch nur das Geringste auszusetzen ist, auf, selbst wenn es sich dabei um die gleichgültigste Sache der Welt handelt.

Die Vertheilung der Wärme ist jetzt im Salon und in den Kabinen recht ungleich, weil das Schiff nach Steuerbord hinüberneigt; die ganze Wärme hält sich dort beisammen. Leider wohnen aber alle diejenigen, welche die Wärme lieben, an Backbord. Sie heizen daher tüchtig mit Theeröl ein, um eine gemächliche Wärme zu erzielen, während es bei uns an Steuerbord so heiß ist, daß wir oben auf unsern Schlafsäcken liegen, ja, Hansen rechnet seine Beobachtungen in seiner Kabine manchmal bei ganz entblößtem Oberkörper aus.

Am meisten hatten wir davor Furcht, daß wir auf unserer Schlittenexpedition ein Bein oder einen Arm brechen könnten. Damit wir uns auch für diesen Fall zu helfen wüßten, mußten wir lernen, wie das Einschienen vorgenommen und wie ein Nothverband angelegt wird. Blessing hielt uns eines Abends einen Vortrag und zeigte uns, wie wir es machen müßten. Nansen saß auf dem Tische im Salon; er stellte einen Verletzten vor, der ein Bein gebrochen hatte, und wir andern sahen zu, wie der Doctor es anstellte. Als Nansen fertig war, kam die Reihe an mich; ich hatte einen Schlüsselbeinbruch. Blessing's Unterricht war leichtfaßlich und interessant, aber beide hofften wir, daß wir nie Gelegenheit haben möchten, unsere neuerworbenen Kenntnisse verwerthen zu müssen.

Jacobsen baute mit Hülfe einiger der andern in dem zusammengepreßten Eise an Backbord aus Eis eine prächtige Schmiede. Dort war jetzt bei Tag beständig Feuer in der Esse. Pettersen ließ den Hammer auf den Amboß niedersausen und war nicht wenig stolz darauf, daß er der nördlichste Schmied der Welt war, der bei 40° Kälte in einer Eisschmiede arbeitete, wo er von der Hitze nicht zu leiden und an Feuerversicherung nicht zu denken brauchte. Er schmiedete für die Schlittenexpedition ein Beil mit einem Blatte von der Größe einer Streichholzschachtel und konnte gar nicht begreifen, was wir mit einem so »verteufelt kleinen« Dinge wollten. Dann machte er für Nansen einen kleinen Bärenspeer, der jedoch nie einen Bären bedroht hat, sondern als Löthkolben benutzt und über unsern Thranlampen erhitzt wurde, als wir die Nähte unserer Kajaks auf dem Eise mit Stearin dicht machten. Wir hatten aber auch einen richtigen Löthkolben mitgenommen und bedienten uns desselben ebenfalls.

Die Schmiede wurde noch zu vielen andern Dingen benutzt. Die Schneeschuhe mußten sorgfältig mit einer Mischung von Theer, Talg und Stearin getränkt werden. Wir bedurften einer ziemlichen Auswahl von Schneeschuhen aus Birken-, Ahorn- und Hickoryholz, die alle stark und gut getränkt sein mußten, damit sie bei jeder Art Bahn zu gebrauchen waren. Die Schlittenkufen wurden mit derselben Mischung getränkt, ehe wir die neusilbernen Beschläge aufnieteten; wir präparirten sie in einem Kessel über dem Feuer mit Dampf, damit sie sich biegen ließen. Mogstad fertigte aus Ahornholz dünne Unterkufen an, die er über den Neusilberschienen befestigte. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß eingetheerte Holzkufen in der Kälte viel leichter glitten als Metallschienen, und außerdem machten diese doppelten Kufen die Schlitten bedeutend stärker. Sobald die Kälte nachließ und die Ladung sich vermindert hatte, brauchten wir nur die Unterkufen zu entfernen, um funkelnagelneue Neusilberschienen zu erhalten, die bei wärmerm Wetter besser glitten.

Pettersen hat eine Drahtstiftfabrik eingerichtet, Mogstad löthet Neusilber mit Schlagloth. Bei dieser Gelegenheit ist zum ersten und einzigen male an Bord Nachfrage nach Geld gewesen; Hansen hatte ein Fünfkronenstück in Gold, das jedoch nicht zu brauchen war, da es klingendes Silber sein mußte. Schließlich gelang es Mogstad, noch ein Paar Fünfzigörestücke aufzutreiben, mit denen er löthen konnte. Beim Löthen entstand eine kleine Feuersbrunst; die Lampe explodirte, und jetzt haben wir auf unserm schönen Tische einen großen Brandfleck.

Amundsen hat sich in der letzten Zeit sehr mit der Ausbesserung der Windmühle abquälen müssen, die schon zu alt wird und deren Getriebe sehr abgenutzt ist. Es war ein saures Stück Arbeit, in der Kälte oben auf dem Maste in den harten Rädern des »Franz Joseph«, wie er die Mühle nennt, zu bohren. Er will sehen, ob er sie nicht doch wieder in Bewegung setzen und zum Füllen der Batterien bringen kann, damit wir vor unserer Abreise noch alle zusammen im Salon bei elektrischem Licht photographirt werden können.

Unsere Abreise ist vorläufig auf den 20. Februar festgesetzt, falls es dann nicht noch zu dunkel sein sollte.

Blessing hat die photographischen Arbeiten übernommen und sich von Nansen dazu anlernen lassen; wir nennen ihn Szacinski nach dem bekannten Photographen in Christiania und überhäufen ihn mit Bestellungen. Ich habe mich damit beschäftigt, alle meteorologischen Beobachtungen, Wasseruntersuchungen u. s. w. auf dünnes starkes Papier mit im Wasser unauslöschlicher Tinte abzuschreiben, da wir diese auf jeden Fall unbeschädigt mit nach Hause bringen müssen.

Das Tiefseelothen hat wieder angefangen, und alle Mann haben also vollauf zu thun. Wir arbeiten alle, jeder auf seine Weise, auf dasselbe Ziel hin, auf die Lösung der Aufgabe unserer Expedition.

Selbstverständlich kam es sehr darauf an, daß die Lebensmittel für eine Schlittenexpedition wie die unsere mit der größten Sorgfalt ausgesucht wurden. Vor allem müssen sie nahrhaft und tadellos erhalten sein, damit wir nicht den Skorbut bekommen, auch müssen sie leicht und concentrirt sein. Ferner war es wichtig, daß wir die Lebensmittel genießen konnten, wie sie waren.

Die wichtigste Nahrung auf Schlittenexpeditionen ist, wie die Erfahrung bewiesen hat, Pemmikan. Auf Nansen's Grönland-Reise war der Pemmikan zu trocken gewesen, und er und seine Begleiter hatten deshalb alle an Fetthunger gelitten. Diesmal aber hatte Nansen dafür gesorgt, daß dergleichen nicht wieder vorkommen konnte. Unser Pemmikan bestand aus dem besten Fleische; er war rein, rasch an der Luft getrocknet, pulverisirt und mit einem Zusatz von ebenfalls sehr gutem Rindertalg gemengt worden; er war fast ganz ohne Wassergehalt. Unsere Leberpasteten waren auf dieselbe Art zubereitet. Daneben hatten wir noch andern Pemmikan, der mit vegetabilischem Oele statt mit Rindertalg versetzt war, sich aber viel weniger haltbar erwies.

Der Pemmikan war uns von großem Nutzen, da auch die Hunde damit gefüttert wurden. Er kam aus der Fabrik in Blechbüchsen, in Backsteinformen von der Größe eines aus sauren Molken bereiteten Käses, und wir hatten natürlich keine Lust, ihn in dieser schweren Verpackung mitzunehmen. Wir machten deshalb Unterlagen daraus für die Boote auf den Schlitten. Damit die Kajaks bei der Fahrt über das holperige Eis auf den Schlitten fest und sicher blieben, bedurften wir der Unterlagen und statt diese aus Holz anzufertigen, nähten Sverdrup und ich Segeltuchsäcke von derselben Form wie der Kajakboden, ließen den Pemmikan zergehen und stopften dann diese Matratzen damit aus. Der Pemmikan wurde sofort wieder kalt und hart, sobald die Unterlagen an die freie Luft kamen.

Professor Waage's Fischmehl erwies sich während der Schlittenreise als ein vortreffliches Nahrungsmittel. Mit Mehl und Butter zubereitet war es ein herrliches Gericht, das uns auch trefflich erwärmte. Einige getrocknete Kartoffeln nahmen wir ebenfalls mit, die mit Pemmikan zusammen den herrlichsten Labskaus auf der Welt gaben. Nansen zog das Fiskegratin vor, aber mir schmeckte, im Anfange wenigstens, Labskaus am besten.

Bei der Durchquerung Grönlands hatten Nansen und seine Begleiter sich beständig hungerig gefühlt. Damit wir nun wenigstens hin und wieder das angenehme Gefühl, das ein richtig voller Magen gibt, empfinden könnten, nahmen wir gedämpfte Hafergrütze und Maismehl zum Grützekochen mit.

Ferner hatten wir auch ein wenig englische »Bril food«, ein süßliches Mehl, das wir bald schätzen lernten, wie überhaupt Zucker und Mehl – von Chocolade gar nicht zu reden – bei uns sehr hoch im Kurse standen. Wir hatten gewöhnliche Chocolade sowie einige Tafeln mit Fleischpulverzusatz, doch unterschieden sich diese im Geschmack nur wenig von der erstern.

Molkenpulver nahmen wir ebenfalls mit. Es bestand aus pulverisirten Molken und wurde abends, bevor wir unsere durchfrorenen Körper im Schlafsacke zur Ruhe legten, in kochendem Wasser aufgelöst getrunken. Dieses Getränk war von geradezu wunderbarer Wirkung, und mehr als einmal sehnten wir uns bei den Anstrengungen in der Kälte nach einem Trunke.

Das Brot, das wir mitnahmen, enthielt natürlich so wenig Wasser wie möglich; es bestand aus zwei Sorten: Weizenbrot und Aleuronatbrot. Die Butter nahm Peder in Behandlung und knetete die Feuchtigkeit mit so eifrigem Bemühen heraus, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann. Sie war aber nachher auch so fest, daß ich auf der Reise ein stählernes Schnitzmesser daran abbrach.

Sverdrup hatte uns drei kleine Schlittensegel angefertigt, da wir den Wind zu Lande und zu Wasser soviel wie möglich benutzen mußten; Ruderblätter von spanischem Rohr mit ausgespanntem Segeltuche, die sich an den Schneeschuhstöcken befestigen ließen, erhielten wir auch. Außerdem nahmen wir noch einen kleinen Schlitten mit einem weißen Segel mit, wie ihn die Eskimos benutzen, wenn sie auf den Seehundsfang gehen.

Die Flinten und die Munition waren natürlich eine Hauptsache. Nach vielen Ueberlegungen und mancherlei Versuchen wurde beschlossen, daß wir ebensolche Gewehre mitnehmen sollten, wie Nansen auf der Grönland-Expedition gehabt hatte. Es waren zwei doppelläufige Flinten, jede für Schrot und Kugeln; der Kugellauf Kaliber 360 und der Schrotlauf Kaliber 20. Wir nahmen dazu 180 Kugelpatronen und 150 Schrotpatronen mit.

Messer hatten wir mehrere. Nansen benutzte eins der prächtigen großen Lappenmesser, deren sich die Nomaden Finmarkens im Sommer bedienen und deren große, flache, breite Stahlklinge auch als Beil benutzt werden kann. Eins der ausgezeichneten Messer mit Birkenrindeheft that uns ebenfalls großen Nutzen. Außerdem hatten wir eine Menge kleiner Messer, darunter eins, das ich von Sverdrup geschenkt bekommen, mit Korkzieher, Bohrer, Feile, Säge, Schraubenzieher u. s. w. Dieses Messer haben wir so aufgebraucht, daß es schließlich nur noch eine einzige Klinge besaß.

Unser Schuhzeug bestand aus einem Paar Komager und zwei Paaren Finnenschuhe. Die Finnenschuhe waren aus dem auf den Hinterbeinen des männlichen Renthiers sitzenden Felle gemacht, nicht aus dem sonst gewöhnlich dazu genommenen Kopffelle, da das erstere ebenso warm, aber viel stärker als das andere ist. Die Komager waren aus Seehundfell und wurden mit Theer und Thran eingerieben. Wir stopften Sennegras in das Schuhzeug, zogen dann Socken von dickem Fries und Ueberstrümpfe von Haargewebe an und trugen darüber Wolfsfellgamaschen. Eigentliche Strümpfe trugen wir nicht; wir hatten jeder ein Paar mitgenommen, schnitten sie aber durch, sodaß wir Fuß und Schäfte für sich benutzen konnten.

Das Kochgeschirr war so eingerichtet, daß wir mit möglichst geringer Hitze unser Essen bereiten und möglichst viel Eis schmelzen konnten. Die Wärmequelle war Petroleum im Primuskocher, da dieser Petroleumgasapparat sich als der am sparsamsten brennende erwiesen hatte.


Wir leben jetzt sehr üppig von dem Fleische der drei zuletzt erlegten Bären. Juell ist ein Meister in der Zubereitung köstlicher Beefsteaks mit Petersilienbutter, und wir finden alle, daß wir hier wie unser Herrgott in Frankreich leben, besonders wenn wir lesen, wie andere Expeditionen es gehabt haben.

Am 23. Januar lotheten wir sogar zweimal und fanden das eine mal bei 3600 Meter, das andere mal bei 3500 Meter Grund.

25. Januar. Heute haben Nansen und ich im Raume an unsern Schneeschuhen gearbeitet. Es ist jetzt tagsüber klares Wetter, und der helle Streifen am Mittag über dem südlichen Horizonte, der die allmähliche Annäherung der Sonne verkündet, wird täglich breiter. Die schlimmste Zeit der Polarnacht haben wir hinter uns. Die Temperatur hat gestern und heute unter -50° betragen. Dazu ist die Luft heute fast ganz still, aber Pettersen war draußen und prophezeit wieder Wind.

Im Raume befindet sich unsere Tischlerwerkstatt, sicherlich die kälteste auf der Welt, da wir dort -20° haben, wenn nicht gar noch mehr.

1. Februar. Heute arbeite ich wieder mit Sverdrup zusammen; wir biegen eschene Stäbe im Dampf. Wenn wir draußen in der Schmiede stehen, denken wir selten daran, daß erst 3500 Meter unter uns fester Boden ist. Wir haben es nicht besonders warm, aber an die Kälte sind wir wirklich schon gewöhnt.

Der Salon ist das reine Chaos; improvisirtes Beschlagmaterial, Löthwerkzeuge und Zurrleinen liegen dort durcheinander, denn alle Arbeiten, die sich in der Kälte nicht vornehmen lassen, werden hier in unserm einzigen warmen Zimmer ausgeführt. An den Wänden und von der Decke herab hängen Holzstücke, Schneeschuhe, Schlittenkufen, Neusilber, Eschenstöcke im trauten Verein mit Bildern, Barometer, Barograph, Wanduhr, Anzügen, Pelzen, Gewehren und Proviantsäcken. Man kann sich kaum noch dazwischen durchfinden.

Nansen theilte uns heute mit, daß die Briefe, die unsere Kameraden uns mitgeben, nur das einfache Gewicht (15 Gramm) haben dürften, da es leicht sein könnte, daß wir, um uns zu retten, alles im Stiche lassen müßten, wir aber die Briefe so lange wie möglich bewahren würden und es deshalb darauf ankomme, daß sie möglichst leicht seien. Unsere Kameraden haben aber nicht einmal auf so viel gerechnet, und da sie alle ihre Briefe mit winzig kleiner Schrift schreiben, können sie auf 15 Gramm dünnem Papier eine ganze Masse sagen.

Nansen und ich probirten die beiden von Sverdrup für uns angefertigten Schlafsäcke, um zu sehen, ob sie auch warm genug seien. Sie wogen nur 3,5 und 2,3 Kilogramm. Wir lagen ein Paar Nächte im Freien, froren aber darin. Sie waren entschieden zu dünn, und wir sahen ein, daß sich bei den Schlafsäcken an Gewicht nichts werde sparen lassen. Sverdrup mußte noch einmal heran; er nähte uns nun einen Doppelsack aus dem dicken Felle eines ausgewachsenen Renthieres.

Aus einem auf einem Eishügel stehenden Anemometer, das sich Tag und Nacht drehte und immerwährend reparaturbedürftig war, machte Mogstad für uns einen Distanzmesser, der auf dem hintersten Schlitten angebracht wurde.

Am 10. Februar war es so hell, daß wir mittags ohne Licht lesen konnten.

Die Hunde haben es jetzt gut. Auf dem ganzen Eise beim Schiffe liegen Hundekuchen umher, werden von ihnen aber kaum angerührt. Sie bekommen jetzt nämlich so viel zu fressen, als sie nur haben wollen, damit sie sich für die bevorstehenden Anstrengungen stärken. Die vier Hundekadaver, die den ganzen Winter unter dem Klüverbaume gehangen hatten und von ihnen schon lange mit begehrlichen Blicken betrachtet worden waren, fanden reißenden Abgang. Außerdem erhalten sie Pemmikan und Speck. Mit Ausnahme des »Leibjägers« sind sie alle recht wohlgenährt. Es ist jetzt nicht mehr so wie damals, als der selige »Menschenfresser« auf dem Brotsacke lag und ihn gegen die andern vertheidigte. Auch für Hunde ändern sich die Zeiten, und die nächste Zukunft wird uns und ihnen wol noch größere Veränderungen bringen.

Neben Pettersen haben wir in Peder noch einen Propheten an Bord; er kündigt aber nur Nordwind an. Er bedient sich dabei des Kalenders und behauptet, daß der Wind stets aus Norden wehen muß, sobald der Jupiter eine gewisse Stellung am Himmel einnimmt.

Als Peder's Prophezeiungen ein paarmal eingetroffen waren, fand er in Amundsen sofort einen eifrigen Anhänger. Wenn aber der angekündigte Nordwind ausblieb und wir statt dessen nach Norden trieben, so genirte dies Peder nicht im geringsten. Er erklärte, daß auf dem Eise, vier Kilometer vom Schiffe, jedenfalls Nordwind wehe, und versicherte uns, daß wir von der Wahrheit dieser Behauptung fest überzeugt sein könnten.

22. Februar. Heute sind wir über das Schlimmste hinweg. Die Schneeschuhe sind, das Riemenwerk inbegriffen, vollständig in Ordnung, der Proviant ist verstaut, und die vier Schlitten stehen mit voller Ladung neben dem Schiffe. Wir haben über die Proviantsorten ein Verzeichniß aufgenommen, und dabei hat sich herausgestellt, daß wir, wenn die Instrumente und die Munition mitgerechnet werden, über 100 Kilogramm Uebergewicht bekommen. Es muß also noch eine Reducirung vorgenommen werden. In diesen Tagen sind, wie es so zu sein pflegt, eine Menge Kleinigkeiten fertig geworden oder im Begriffe fertig zu werden, darunter die kleinen Harpunen, die an der Zwinge der Schneeschuhstöcke befestigt werden können, Kajakpumpen, Hundeschuhe aus Seehundfell und zwei aus kurzen doppelten Koppeln gebogene Drahtseile. Wir werden diese Seile zwischen die Schlitten spannen, um daran bei unserm ersten Nachtlager die Hunde anzubinden, damit wir nicht befürchten müssen, daß sie wieder nach dem Schiffe zurücklaufen. Wir nahmen von vornherein an, daß die Hunde sich in einem solchen improvisirten Lager leichter an die Reise gewöhnen würden, als wenn sie mit uns auf dem Eise liegen müßten.

24. Februar. Gestern und heute sollten Ruhetage vor der Abreise sein, es waren aber die anstrengendsten Arbeitstage, die wir je gehabt haben. Die Arbeit drängt sich wie ein Wirbel zusammen; es geht schneller und schneller und schließlich werden wir doch fertig werden.

Trotz aller Arbeit hatten die Kameraden Zeit gefunden, den Salon im Laufe der Nacht mit Fahnen zu schmücken und über dem Sopha drei neue elektrische Lampen mit bunten Papierschirmen anzubringen. Das Mittagessen verlief sehr feierlich. Scott-Hansen spendete Rothwein, den er die ganze Zeit über versteckt gehabt hatte. Blessing hielt eine Rede, worin er Nansen zu dem bisher von der Expedition erreichten Resultate gratulirte und uns beiden wünschte, daß wir nach einer glücklichen Reise zu Hause alles gesund wiederfinden möchten.

Nansen antwortete für uns beide, daß wir uns des Lebens an Bord der »Fram« noch manches mal mit Wehmuth erinnern und sicher der Kameraden im Eise gedenken würden, wenn es uns beschieden sei, lebendig und gesund in die Heimat zurückzukehren. Er hoffe, daß keiner an Bord diese Fahrt bereuen würde, und bitte uns, ein Glas auf allseitiges fröhliches Wiedersehen in Norwegen zu leeren. Nach Tische gab es Kaffee mit Curaçao, dann eine kleine Ruhepause, hierauf ging es wieder ans Nähen, Patronenladen, Schleifen, Gewehrputzen und Ordnen der Fischereigeräthe, Nähutensilien und Kajakpumpen. Die Kleidung war noch nicht ganz fertig, die Windjacken mußten geändert und hier und da Bänder und Strippen angenäht werden. Wir hatten buchstäblich bis zum letzten Augenblick zu thun.

Jetzt, da ich dies schreibe, ist es 12 ½ Uhr morgens; der Montag, der Tag vor unserer Abreise, ist also schon angebrochen. Ich muß auch noch meine Briefe nach Hause abschließen und will mich dann zum Schlusse noch einmal gründlich waschen. Alle Mann sind auf den Beinen; Bentsen sitzt bei uns im Schlafraume und erzählt Geschichten. Heute Abend haben wir noch einmal Polargrog getrunken und uns an Südfrüchten und Confect gütlich gethan. Kapitän Sverdrup hielt eine kleine Rede, nur wenige, aber aus warmem Herzen kommende Worte. Nach Tische ging Nansen wieder an seine Arbeit, die darin bestand, Blessing eine Menge Vorschriften über die Beobachtungen des im Meere vorkommenden kleinen Gethieres zu dictiren.

Endlich, am Dienstag, 26. Februar, konnten wir Lebewohl sagen. Es war kein leichtes Ding! Das Wetter war trübe, kalt und schneeig, der Wind Ost zu Süd.

Zum letzten male wurde von denen, die an Bord blieben, Abschied genommen. Sverdrup, Hansen, Blessing, Mogstad und Hendriksen begleiteten uns. Sie nahmen ein Zelt mit, da sie uns in der ersten Nacht noch Gesellschaft leisten wollten. Nansen glitt auf seinen Schneeschuhen voran und zeigte uns den Weg; ihm folgte der erste Schlitten, in dessen Gespann »Kvik« der Leithund war. Es wurde jedoch keine lange Reise.

Wir waren noch nicht weit vom Schiffe entfernt und der Kanonenschuß war eben verhallt, als einer der schwer beladenen Schlitten auf einem kleinen Eisrücken entzweiging, da eine hervorstehende scharfe Eisspitze drei Querhölzer zwischen den Kufen zerschnitten hatte. Da standen wir nun. Es blieb uns nichts weiter übrig, als nach unserm Ausgangspunkte zurückzukehren.

Wir hätten es uns beim Abschiede wahrhaftig nicht träumen lassen, daß der Augenblick der Rückkehr schon so nahe bevorstehe, aber es war auch ein Glück, daß wir mit all unsern Sachen noch nicht weiter fort waren. Die Schlitten waren also für die schwere Ladung nicht fest genug und mußten verstärkt werden. Nansen bestimmte, daß wir noch zwei neue Schlitten zu unsern vieren hinzufügen und die Ladung auf alle sechs vertheilen sollten.

So begann denn die Arbeit wieder mit demselben Eifer wie vorher. Sverdrup und ich standen noch einmal zusammen in der Schmiede, wo wir die neuen Schlitten theerten. Dann wurde bei allen ein langes breites Brett mit Stahldraht unter den Querhölzern festgebunden, damit uns künftig keine Eisspitzen Verdruß bereiten können. Auch wurden die Schlitten genau untersucht und dann erst wieder beladen. Mit dieser Ausrüstungsarbeit wurden wir am Mittwoch Nacht fertig, am Donnerstag sollte die Abfahrt zum zweiten male vor sich gehen.

Donnerstag, 28. Februar, ging es wieder mit derselben, diesmal auf sechs Schlitten vertheilten Ladung fort. Sverdrup, Blessing, Mogstad, Hansen und Hendriksen beluden einen einfachen Schlitten mit einem Zelte und sonstigem Zubehör, um uns noch eine oder zwei Tagereisen weit das Geleite zu geben. Die andern Kameraden kamen ebenfalls eine Strecke mit, am weitesten Jacobsen und Bentsen.

Obgleich bei jedem Schlitten ein Mann war, um beim Passiren holperiger Stellen und Eisrücken nach Kräften zu helfen, ging es doch nur sehr langsam. Wir mußten uns gehörig anstrengen, da die Schlitten bald geschoben, bald gehoben werden mußten und die Hunde oft nicht mehr weiter wollten, nicht nur bei Hindernissen, sondern auch auf ebener Bahn. Bald ward uns klar, daß die Ladung noch immer zu schwer war, und nach kurzer Fahrt machten wir halt, um zwei Bootsunterlagen und einen Sack mit Pemmikan auszuwerfen, was etwas half.

Bentsen und Jacobsen kehrten jetzt um; der letztere meinte beim Abschiede, daß wir sicherlich noch einmal nach der »Fram« zurückkehren würden. Den abgeworfenen Proviant trugen sie nach einem Eishügel und befestigten dort einen unterwegs abgebrochenen Schneeschuh, um die Stelle später wiederfinden zu können, wenn diese Lebensmittel bei Gelegenheit vom Schiffe aus geholt werden sollten.

Mit unserer verminderten Last zogen wir weiter, aber besonders schnell ging es auch jetzt nicht. Bald schlugen wir ein Lager auf und errichteten die Zelte. Die Hunde wurden zu zweien nebeneinander angekoppelt und gefüttert. Wir bekamen einen kleinen Vorgeschmack davon, wie lange es dauern würde, bis wir mit dem Lager in Ordnung wären, wenn wir beide es allein besorgen müßten, und sahen ein, daß wir uns, wenigstens zu Anfang, auf ziemliche Zeit gefaßt zu machen hätten.

In dem großen Zelte unserer fünf Begleiter wurde ein großes Fest gegeben. In unsern Wolfsfellkleidern kam es uns dort drinnen ganz behaglich warm vor. Sie tischten ein feines Abendessen auf, das aus Chocolade, Butter, Brot, Fleisch und Napfkuchen bestand, welch letzterer noch den Theerölgeruch aus der Küche der »Fram« an sich hatte. Dann holten sie eine große Flasche hervor und brauten uns aus reinem Alkohol einen ausgezeichneten Grog, den wir uns aus unsern Blechbechern trefflich schmecken ließen. Die Pfeifen wurden angezündet, und Nansen und Blessing hielten Reden. Nach einem gemüthlichen Abend legten wir uns in unsern Schlafsäcken zur Ruhe nieder. Aus dem Schlafen wurde aber nicht viel, dafür sorgten schon die Hunde, die während der ganzen Nacht heulend nacheinander schnappten.

Am nächsten Tage (Freitag, 1. März) war der Himmel trübe und der Wind Ost zu Süd. Wir brachen das Lager ab, und dann zog die ganze Gesellschaft nach mehrstündiger Arbeit mit dem Beladen, Anspannen und Kochen weiter.

Im Laufe des Freitag Nachmittags kam die Stunde des letzten Abschieds. Trübe war das Wetter, trübe die Stimmung; noch war die Polarnacht nicht vorbei. Wir tauschten den letzten Händedruck aus und nahmen die letzten vertraulichen Botschaften an die Lieben in der Heimat entgegen. Auf beiden Seiten wurde die Bewegung mühsam zurückgedrängt. Dann waren Nansen und ich mit unsern sechs Schlitten in der Eiswüste allein.

Wir machten keinen langen Tagemarsch, dazu ging die Fahrt zu langsam. Nansen ging voran und zeigte den Weg. Wenn die Schlitten anhielten – zwischen jedem Halt lagen nicht viele Schritte –, mußten wir sie wieder in Gang bringen. Dann eilten wir zwischen ihnen hin und her, schoben hier und hoben dort und ruhten nicht eher, als bis sie alle wieder ins Gleiten geriethen.

Am Tage darauf ging es in derselben Weise weiter, und bald wurde uns klar, daß weder die Hunde noch wir einer solchen Anstrengung gewachsen waren, selbst wenn wir annahmen, daß es leichter werden würde, je weiter wir nach Norden kämen. Das Eis war ebenfalls nichts weniger als gut. Wir machten also halt, und Nansen erklärte, daß die Ladung noch einmal verringert werden müßte.

Hätten die andern uns noch nicht verlassen, meinte er, so wäre es das Vernünftigste gewesen, gleich wieder mit ihnen nach dem Schiffe zurückzukehren.

Er machte einen kleinen Ausflug nach Norden, um dort das Eis zu recognosciren, während ich die Hunde fütterte und das Lager in Ordnung brachte. Als er wieder kam, wurde der Primus angezündet, wir speisten und kröchen dann in unsere Schlafsäcke.

Am andern Morgen nahm Nansen ein starkes Hundegespann und fuhr mit einem der Schlitten nach der »Fram« zurück, um uns von dort Hülfe für unsern Rückzug zu holen.

Nun befand ich mich ganz allein auf den stillen Eisfeldern. Es war der 3. März, ein Sonntag. Das Wetter war schön und frisch. Ob das, was ich unten am Horizonte sah, wirklich die Sonne war, wußte ich nicht ganz sicher. Platt und feuerroth, ohne auch nur die geringste Wärme zu spenden, stand sie zum ersten male wieder am Himmel; aber es war doch die Sonne, die neues Leben ins Lager brachte. Ganz hinten in der Ferne zeichneten sich die Masten der »Fram« in der klaren Luft ab; ich peilte sie der Sicherheit wegen mit dem Kompaß an, denn lieber wollte ich mit der ganzen Karawane nach dem Schiffe aufbrechen, als die Rückkehr der andern unthätig im Zelte erwarten.

Ich reiste also auf folgende Weise zurück.

Erst ließ ich drei Schlitten von allen Hunden ziehen, während die beiden andern stehen blieben. Sobald ich dann mit den Dreien eine kleine Strecke zurückgelegt hatte, band ich mir selbst die Zugleinen um den Leib und ließ mich, auf den Schneeschuhen stehend, von den Hunden ziehen. Es war mir jedoch nicht möglich, bei dem holperigen Eise fest auf den Schneeschuhen zu stehen. Sobald die Thiere die leichte Last fühlten, eilten sie wie der Blitz dahin. Dies paßte wieder mir nicht; ich wurde in den Schnee geworfen und mitgeschleift und mußte zum ersten und letzten male als Schneepflug fungiren. Die Schneeschuhe hatte ich obendrein noch an den Füßen. Endlich kam uns ein Eisrücken in den Weg, an dem ich mich vor Anker legte, während die Thiere mit meinem Messergürtel, der sich gelöst hatte, durchgingen. Schon fürchtete ich, daß sie sich alle zusammen empfohlen hätten, aber merkwürdigerweise blieben sie stehen, sowie sie sich frei fühlten, und sahen sich neugierig aus einiger Entfernung nach mir um.

Nun schnallte ich die Schneeschuhe ab und lockte die Hunde mit guten Worten zu mir heran. Dann ließ ich mich wieder von den Hunden ziehen und sauste auf meinen Finnenschuhen dahin, daß der Schnee nur so stob. Natürlich ging es auch wieder ein paarmal kopfüber, aber da ich keine Schneeschuhe mehr an den Füßen hatte, konnte ich stets gleich wieder auf die Beine kommen. Es schien mir wirklich ein großes Vergnügen, so allein in der Eiswüste, wo noch kein Mensch gewesen war, nach Norden dahin zu fliegen.

Auf diese Weise erreichte ich die zurückgelassenen Schlitten und holte sie einen nach dem andern nach dem Platze, wo die andern standen. Das Schlimmste dabei war, sie über den hohen Rand einer überfrorenen Rinne dicht beim Lager hinaufzuziehen, aber im ganzen ging es bei meiner lustigen Art zu reisen doch so schnell, daß ich, als der Abend kam, eine größere Strecke des Weges zurückgelegt hatte, als wir am Tage vorher vorgerückt waren.

Bald hatte ich auch einen hübschen Platz für das Zelt gefunden, schlug das Lager auf, gab den Hunden ein wenig Pemmikan und begann, mir mein eigenes Abendessen zu bereiten. In lebhaften Farben malte ich mir aus, wie gut es sein würde, etwas Warmes in den Leib zu bekommen, dann Licht anzuzünden und in den Schlafsack zu kriechen, um dort schließlich in aller Ruhe und Bequemlichkeit die Ereignisse der letzten Tage ins Tagebuch einzutragen.

Doch als ich noch mit dem Kochapparate hantierte, begann »Suggen« zu bellen und erhielt sofort aus einiger Entfernung Antwort. Ich eilte ins Freie und hörte ebenfalls Stimmen; auch sah ich hinten zwischen den Eishügeln Hunde mit einem Schlitten, auf dem zwei Personen saßen, bald auftauchen, bald wieder verschwinden. In kurzer Zeit kamen sie ins Lager gesaust, während die Hunde einen entsetzlichen Lärm machten. Es war Nansen's Gespann, mit dem Scott-Hansen und Nordahl gekommen waren, um mir über Nacht Gesellschaft zu leisten. Das war eine Freude! Hansen erzählte mir, daß er seine letzte Beobachtung ausgerechnet habe und wir uns danach auf 84° 4' nördlicher Breite befänden. Da nun heute auch die Sonne zum ersten male sichtbar sei, werde an Bord ein großes Fest veranstaltet, wir Drei wollten aber hier draußen auch ein solches abhalten.

Wir genossen ein einfaches Abendessen und zündeten dann die Pfeifen an. Sverdrup hatte ihnen für mich seine beste Pfeife mitgegeben, da er wußte, daß ich keine hatte. Pfeifen und Taback hatten wir nämlich auf die Schlittenreise nicht mitgenommen. Da die beiden auch Alkohol mitgebracht hatten, brauten wir uns noch einen Grog. So verlebten wir zu dritt einen außerordentlich gemüthlichen Abend; die Stimmung im Zelte fern von unserer Heimat war so heiter, daß wir unsere alten Volkslieder sangen. Erst spät in der Nacht krochen wir in die Schlafsäcke, Hansen und ich in den doppelten und Nordahl in einen einfachen, den er zu diesem Zwecke mitgebracht hatte.

Am nächsten Morgen kamen Nansen, Sverdrup und Peder auf Schneeschuhen vom Schiffe. Wir brachen das Lager ab und zogen zum zweiten male nach Hause, aber in der Nähe der »Fram« wurden wir von einer neugebildeten langen Rinne aufgehalten. Um sie herum war nicht zu kommen, und da wir keine Lust hatten, im Kajak überzufahren, zogen wir die Schlitten wieder auf das sichere Eis und ließen sie dort einstweilen stehen, um sie an Bord zu holen, sobald die Rinne wieder zugefroren sein würde. Wir selbst und die Hunde kamen auf kleinen Eisstücken ganz gut hinüber.

So saßen wir denn wieder in der warmen, gemächlichen Kajüte und ließen dem reichbesetzten Tische volle Gerechtigkeit widerfahren.

Als wir das erste mal mit vier Schlitten auszogen, kamen auf jeden circa 280 Kilogramm. Ganz genau kannten wir das Gewicht nicht, da nicht alles gewogen worden war. Das Gewicht des gesammten Proviants betrug nicht ganz 1000 Kilogramm. Als wir zum zweiten male starteten, war dasselbe Gewicht anfangs auf sechs Schlitten vertheilt, dann aber wurden zwei Bootsunterlagen und ein Sack mit Pemmikan, zusammen circa 150 Kilogramm, unterwegs zurückgelassen. Jeder der sechs Schlitten trug also ungefähr 160 Kilogramm, zwei waren aber außerdem noch mit je einem Kajak belastet. Dabei hatten wir das Gewicht der Schlitten selbst noch nicht in Anschlag gebracht; es stellte sich heraus, daß einer der größten von ihnen mit Kufenschonern und Schneeschuhen 34 Kilogramm wog.

Mit so großer Last und so schweren Schlitten konnten wir nicht fertig werden.

Nach erneuten Ueberlegungen und Berechnungen entschied sich Nansen für drei Schlitten mit einer Last von je 220 Kilogramm. Wir sollten Proviant für uns selbst auf 100 Tage und für die Hunde auf 30 Tage mitnehmen. Die drei Schlitten wurden auf jede Weise verstärkt; auf der Oberseite der Querhölzer wurden Eschenrippen befestigt und zwischen jenen und den Stützen kleine eiserne Verbindungen angebracht.

Die Wolfsfellanzüge erwiesen sich als für die Reise nicht recht geeignet. Wenn man nachts damit im Schlafsacke lag, wurden sowol sie, wie der mit den Haaren nach außen gekehrte Sack feucht, und wenn wir sie abends vor dem Schlafengehen anzogen, waren sie so steif, daß wir den Pelz kaum über den Kopf ziehen konnten. In der letzten Nacht auf dem Eise waren es -42,8°, während im Thermometerhause beim Schiffe in derselben Nacht nur -39,7° gewesen waren.

Wir schneiderten aus unsern wollenen Schlafdecken ein Nachtgewand zurecht, in das wir uns einknöpfen konnten, wenn wir im Sacke lagen; vorn ließen wir es offen, damit wir es, wenn wir bei Tage Rast machten, auch als Plaid umwerfen könnten. Sverdrup machte den Schlafsack ein wenig größer, da wir ihn zu eng gefunden hatten, wenn die Haare nach innen kamen.

Dann lagen wir eine Nacht im Freien, um die neue Einrichtung zu erproben. Der Schlafsack war mit den Haaren nach innen gekehrt und die wollenen Decken hatten wir ganz zugeknöpft. Unser sonstiger Anzug bestand aus zwei dicken wollenen Hemden, Unterhosen, Wadenstrümpfen, Socken, Finnenschuhen, Kniehosen aus Fries und Gamaschen. Darüber trugen wir auf dem Oberkörper eine leichtere wollene Jacke, eine Jacke von Kamelhaaren, außerdem Nansen eine isländische Wollenbluse und ich einen Anorak aus Fries. Den Kopf bedeckte eine wollene Kapuze. Unsere Erfindung erwies sich als probat, und es war viel trockener im Sacke als bisher.

Die dritte Ausrüstung war jetzt auch fertig geworden, und bald waren wir wieder so weit, daß wir den Kameraden und der »Fram« zum dritten male Lebewohl sagen konnten. Ich war mit Jacobsen zusammen unten im Raume und machte die eisernen Verbindungen zwischen den Schlittenquerhölzern fest. Dabei erklärte er mir, daß er uns jetzt gar nicht mehr Adieu sagen werde, da wir gewiß auch diesmal wie bisjetzt immer wieder zurückkämen.

Allerdings kehrten wir wieder an Bord der »Fram« zurück, aber erst nach Jahr und Tag daheim in Norwegen im Hafen von Tromsö!


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