Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Sechzehntes Kapitel.

Abschied von der Hütte.

Schlafe, du unruhiges Herz, schlafe,
Vergiß, was die Welt hat an Lust und Leid!
Keine Hoffnung störe deinen Frieden,
Keine Träume deine Ruhe!

Diese Worte Runeberg's kamen mir oft in den Sinn, wenn wir uns auf unserm holperigen Steinlager wälzten. Schlafen können und alles vergessen, schlafen und nicht eher erwachen, als bis der Sommer draußen vor der Thür ist, die Zeit, da wir uns von unserm Lager erheben, uns vor die Schlitten spannen und nach Süden ziehen können! Und wenn ich tiefer in den Sack kroch und die Kapuze über den Kopf zog, dachte ich, daß ich nun eine Weile wieder »vorwärts« schlafen und noch mehr Zeit dahin senden würde, von wo sie nie wiederkehrt. Es ist gut, daß die Zeit nie still steht.

Neujahr 1896. Am letzten Tage des alten Jahres schlug Nansen vor, daß wir von nun an einander »Du« nennen wollten. Wir hatten uns bisher nämlich stets mit »Sie« angeredet.

9. Januar. Am Sylvesterabend löste ich Nansen als Koch ab. Wir hatten als Festessen statt des reglementmäßigen Beefsteaks Maisgrütze mit reichlich Bärenthran, und es schmeckte vorzüglich, zur Abwechselung Mehlspeise zu bekommen. Das Frühstück am Neujahrsmorgen mundete nicht minder; es bestand aus Fischsuppe, Kraftbrühe, die mit Fischmehl und Knorr'scher Linsensuppe durchgekocht war, sowie aus in Bärenfett gebackenem Aleuronatbrot – ein herrliches Frühstück. (Unser letztes Packet Juliennesuppe ging am Dreikönigstage drauf.)

Kalt hatten wir es an Neujahr, -41,6°; ich will also nicht gerade behaupten, daß es warm gewesen sei, in den durchfetteten Kleidern auszugehen, die wie Leder werden, sobald man aus der Thür tritt. Doch die Gewohnheit thut unglaublich viel, und wir preisen uns glücklich, daß wir doch wenigstens einen solchen Unterschlupf haben, wenn die Kälte den Gletscher so zusammenzieht, daß sich unter kanonenschußähnlichem Donner Spalten darin bilden und die ganze Hütte bebt, oder wenn der Wind auf dem Abhange heult und unsern Palast, der doch unter der Erde wohlgeborgen liegt, mitreißen will.

In den letzten Tagen hat hier ein Schneesturm aus Südosten geherrscht, und das Barometer stand gestern auf 717,8 Millimeter. Eine Weile war es still, mit dem Steigen des Barometers kam aber der Wind wieder mit erneuter Kraft aus Nordwesten. Er wehte den Schlitten fort, der uns als Thermometerhaus diente; ich fand ihn zwischen einigen großen Steinen auf dem Abhang, wo er vom Winde hin- und hergeworfen wurde. Zum Glück war das Thermometer nicht beschädigt worden.

11. Januar. Der Nordsturm hält noch immer an, die Temperatur ist -41°; es ist beinahe nicht möglich, uns im Freien zu bewegen, und hier drinnen gefriert es in einer Tasse, die mitten zwischen den beiden Lampen steht.

21. Januar. Wieder eine Woche unserer Wartezeit dahin, eine Woche, in der wir weit vorgeschritten zu sein glauben. Denn wir fangen jetzt an, in der Ferne über dem Bergrücken die Dämmerung zu gewahren.

In dieser Woche ist es nur gegen 20° kalt gewesen, sodaß wir manchen guten Spaziergang haben machen können. Es erhellte unser trauriges Dasein, daß wir ins Freie gehen und den kleinen hellen Streifen am südlichen Horizonte sehen konnten, der uns verkündet, daß der Tag unterwegs ist, um unsere letzte Winternacht abzulösen.

Tag auf Tag, Woche auf Woche geht dahin, eins gerade so einförmig wie das andere. Unser beinahe tägliches Gesprächsthema ist die Heimat und die Zeit, wenn wir unsere Reise dorthin antreten werden.

Wir haben uns einen Schlafsack aus Bärenfell angefertigt und brauchen nun nachts die Beinkleider und die vielen Ueberstrümpfe nicht anzubehalten. Dies ist eine große Annehmlichkeit für uns, die wir bald ein Jahr lang die Kleider Tag und Nacht ununterbrochen auf dem Leibe gehabt haben. Ferner haben wir das eine Lager, das wir nicht benutzten, entfernt; es war zu einer festen Masse gefroren, die in Stücke gehauen werden mußte.

23. Januar. Wir haben in der letzten Zeit zu fürchten begonnen, der Speck könnte uns möglicherweise knapp werden, aber wir hoffen zum Frühling auf Bären.

Wir haben neulich davon gesprochen, über das Eis nach Spitzbergen zu gehen, statt an diesem Lande entlang nach Süden zu ziehen. Es ist die Frage, ob wir das mit unserer jetzigen Ausrüstung fertig bringen können, besonders wegen der kurzen Schlitten, wenn das Eis holperig sein sollte; denn schwere Ladungen müssen es werden. Es fragt sich auch, wie es mit den Lebensmitteln aussehen wird. Aber wir würden dann früher nach Spitzbergen gelangen, und das schwebt uns verlockend vor.

Dann und wann mußten wir unsere Lumpen ein wenig ausbessern. Wir kauen das Fett aus Bärenhautstücken heraus und nähen sie sodann mit Angelschnüren, die wir in viele Fäden theilen, auf unsern Hosen fest. Auf Komager und Fausthandschuhe nähen wir die Lappen mit dünnen Streifen von Bärenhaut, was ganz ausgezeichnet geht.

Wir fühlen uns im Schlafsack ganz gemüthlich, während draußen der Wind tobt; unsere Unterhaltung dreht sich um die Drift der »Fram«. Es kann sein, daß unser Schiff vor uns zurückkehrt, und dann werden viele uns nicht mehr am Leben glauben.

13. Februar. Es ist eine ganze Weile her, seit ich zuletzt etwas in mein Tagebuch eingetragen habe. Das kommt daher, daß ich vierzehn Tage hintereinander Koch gewesen bin, weil Nansen Rückenschmerzen hatte und Tag und Nacht stillliegen mußte. Letzten Dienstag war er wiederhergestellt und übernahm sein Küchenamt.

Die Zeit vergeht schnell; es wird mit jedem Tage heller, bald kommt die Sonne selbst. Wir sind jetzt sehr mit dem Gedanken an unsere Reise und die Ausrüstung dazu beschäftigt und erwägen die Möglichkeit, wie schnell wir die Strecke über das Eis nach dem Nordostlande werden zurücklegen können; wir glauben jetzt sicher, daß es sich wird machen lassen.

Noch immer schweben wir im Dunkeln darüber, wo wir sind, – die Breite ist ja 81° 27', aber die Länge? Wir glauben jedoch ganz bestimmt, daß wir weit im Westen sind.

In den vierzehn Tagen habe ich viel ausgerichtet. Ich habe den Fleischhaufen, der mit einer harten Schneewehe bedeckt war, ausgegraben, sodaß wir jetzt eine ziemlich gute Uebersicht über unsern Vorrath an Fleisch und Speck haben. Ein gutes Loch haben wir allerdings hineingegessen, aber es ist noch genug da. Ein Bärenfell habe ich hereingeholt, vom Fette befreit und zum Trocknen aufgehängt; es soll uns zu Fausthandschuhen und Gamaschen dienen. Auf dem Dache war der Schornstein geschmolzen und mußte wieder aus Schnee aufgeführt werden.

Es ist herrlich, jetzt um Mittag im Freien zu sein, wenn das Wetter klar ist. Es ist dann so hell, daß man wieder seine Umgebung sieht. Viel lächelt uns nicht entgegen; doch diese wenigen Punkte sind trotzdem willkommen, seien sie ein Eishügel oder eine Bergkuppe. Sie stehen in der rauhen Natur da, wie sie es früher gethan, aber wir betrachten sie mit großen Augen, denn jetzt ist es hell.

Am 11. Februar nahm ich das Gewehr über die Schulter und ging nach dem Gletscher über uns auf eine Felskuppe. Es war still und klar und mitten am Tage ziemlich hell. Ich blieb lange dort stehen und sah mich um; es gab soviel Neues zu betrachten, mehr als die vier eisbedeckten Wände der Hütte.

Tief unter mir sah ich den Schneehügel, unter dem wir beide mit einem langen dunkeln Winter gekämpft haben. Gott sei Dank, jetzt ist es bald vorbei, und bald können wir unserer Hütte Lebewohl sagen und sie den Füchsen überlassen! Man sollte nicht glauben, daß unter jenem Schneehügel eine menschliche Wohnung sein könnte, und gar während eines arktischen Winters. Doch wir haben dort gelebt, und gar zu schlecht ist es uns nicht ergangen; man kann sich an vieles gewöhnen.

Am 16. Februar war es im Freien herrlich. Es war nicht kälter als -12°, allerdings wehte es ein bischen. Ueber Nacht war Schnee gefallen, aber nicht ein Schnee, wie wir ihn hier gewohnt waren, fein, hart und kalt, sondern einer, der an den Schneefall daheim erinnerte. Am nächsten Tage waren es -35°, und ein heftiger schneidender Nordwind wehte. So veränderlich kann es sein.

25. Februar. Morgen kommt die Sonne. Wir sahen ihren goldenen Schein in den Wolken über dem Bergrücken, und der Himmel darüber war mit der herrlichsten Beleuchtung in allen Farben geschmückt. Während wir draußen umhergingen, uns über die Nähe der Sonne freuend, sah ich plötzlich eine Schar Krabbentaucher von Süden her geflogen kommen und dem Lande nach Norden folgen, und gleich darauf sah auch Nansen eine Schar, die denselben Weg nahm. Es waren die Boten des Frühlings!

Arme kleine Vögel, was wollt ihr so früh hier oben im kalten Norden? Kehrt um und geht nach freundlichern Regionen! Wieder, wie im Sommer im Treibeise, möchte ich die kleinen Geschöpfe um ihre Flügel beneiden, die sie so schnell dorthin bringen, wohin sie wollen. Doch mein Kurs würde nach Süden gehen, und der Weg würde nicht lang sein.

Am 27. Februar sahen wir die Sonne zum ersten male, doch glänzte nur wenig von ihr durch Schneewolken hindurch, und grau und häßlich war das Wetter, das sie mitbrachte.

10. März. Wieder ein guter Schub vorwärts, seit ich in meinem Tagebuche schrieb. Es ist ein wenig dunkel gewesen, jetzt hat es sich aber wieder aufgeklärt.


In der letzten Zeit haben wir davon gesprochen, im April von hier fortzugehen, haben aber diesen Lieblingsplan wegen Mangel an Speck wieder aufgeben müssen. Es ist nicht mehr genug Speck zum Essen und zu Brennmaterial für die Reise da, gar nicht davon zu reden, daß wir nun kein Fleisch in kochendem Thran conserviren können, wie wir uns anfangs vorgenommen hatten. Im Speckverbrauch mußte eine gründliche Aenderung eintreten, und jetzt können wir uns täglich nur einmal zu kochen erlauben und können nur dann eine Lampe brennen, wenn es zum Schmelzen von Wasser und Thran durchaus nothwendig ist. Wir sind in derselben Lage wie die Eskimos: wenn es ihnen sehr schlecht geht, können sie nachts keine Lampe brennen lassen, sondern müssen im Dunkeln schlafen, und sie kennen kaum etwas Schrecklicheres.

Glücklicherweise ist das Wetter in diesen Tagen mild gewesen, nur ungefähr -3°. Der Speckmangel verdüsterte uns den Sinn, und wir mochten das gefrorene Fleisch morgens zum Frühstück durchaus nicht; das beste Fleisch ist auch schon aufgegessen. Unsere ganze Hoffnung setzten wir auf die Bären.

Diese Hoffnung wurde auch nicht getäuscht.

Am 8. März hielt ich großes Reinemachen, das darin bestand, daß die Asche von dem Herde heruntergefegt und die Speck- und Fleischabfälle, die in der Hütte dann und wann zu hohen Haufen anwuchsen, vom Fußboden abgekratzt wurden. Das Rückgrat, die Schinkenknochen und den Kopf eines Bären, den wir eben verzehrt hatten, wollte ich auch hinausbringen und hatte diese Dinge schon in den Hausgang befördert, wo ich über sie hinwegkroch und das Thürfell nach außen zurückschlug.

Da stand gerade vor der Oeffnung ein großer Bär mit einem so weißen Pelze, daß mir von dem Anblicke die ans Dunkle gewöhnten Augen förmlich wehthaten. Wie der Blitz eilte ich durch den Gang zurück und ergriff die an der Decke hängende Flinte, während ich Nansen die große Neuigkeit erzählte. Ich überzeugte mich, daß das Gewehr geladen war und kroch wieder hinaus.

Der Bär beugte sich über die Oeffnung und steckte Kopf und Hals tief in den Gang hinein; sein breiter flacher Schädel wandte sich mir verlockend zu. Ich spannte den Hahn, mußte aber wieder absetzen, da ein großer Pfropfen von Bärenhaaren im Laufe steckte. Bei meiner Bewegung zog der Bär den Kopf zurück, begann aber mit den Vordertatzen am Rande der Oeffnung zu kratzen. Ich mußte jetzt mit dem Schießen Ernst machen, sonst kam er herein. Aber nur die Tatzen allein waren sichtbar, und ich konnte in dem engen Gange nicht ordentlich anlegen. Ich hielt also das Gewehr mit dem Kolben abwärts und den Lauf so geneigt, daß er meiner Ansicht nach auf die Brust des Bären zeigen mußte, und drückte ab.

Ein wüthendes Gebrüll verkündete, daß der Bär getroffen war. Inzwischen war Nansen mit dem Ankleiden beschäftigt; er hätte auch in dem engen Gange nichts ausrichten können. Das Ganze ging blitzschnell vor sich. Ich guckte zum Gange hinaus und erblickte den Petz mit einer großen Blutspur hinter sich draußen am Einschnitte im Berge. Ich hatte nur eine Patrone in der Tasche gehabt und diese nach dem Schusse in den Lauf gesteckt; mit dieser ging es jetzt hinter dem Bären her, der seine Schritte verdoppelte, als er merkte, daß er verfolgt wurde.

Ich wunderte mich darüber, daß ich noch so gut laufen konnte; denn den Winter hindurch hatten wir uns gerade nicht viel Bewegung gemacht. Es ging nach Norden am Lande entlang; da ein frischer Südwind mit Schneeflocken wehte, hatte der Bär immer Witterung von mir. Dann und wann sah ich seinen Rücken zwischen den Eishügeln längs des Ufers. Nach einer Weile führten die Spuren gerade unter einem jäh abfallenden Berge mit einem Gletscher am Fuße das steile Ufer hinauf nach einigen großen Felsblöcken.

Ich nahm an, daß er sich dort hingelegt hätte, und kroch vorsichtig an der Felswand hinauf, um einen Ueberblick zu gewinnen. Aber nein, ich erblickte die Spuren unten auf dem Eise wieder. Dort war eine Bucht mit hohen Felsen im Hintergründe, wo der Wind aus einer andern Richtung kam; hier witterte mich die Bestie nicht länger, und ich nahte mich ihr nun im Eilmarsch, immer hinter den Eishügeln am Ufer entlang Deckung suchend.

Endlich hatte ich den Bären in Schußweite und sandte ihm von hinten meine einzige Kugel zu. Er fiel, erhob den Kopf und legte ihn wieder nieder. Ich warf die Flinte auf den Rücken und begab mich hurtig auf den Heimweg, sicher, daß der Bär genug bekommen hatte. Nach einer Weile begegnete ich Nansen, ganz aufgetakelt mit Windkleidern, Flinte und Patronen; meine Fausthandschuhe, ohne die ich fortgelaufen war, hatte er mir auch mitgebracht. Ich theilte ihm mit, daß der Bär dort hinten liege; er wollte ihn nun abhäuten, während ich die Schlitten von zu Hause holte.

Als ich nach langer Zeit (wir waren ein gutes Stück von der Hütte entfernt) wieder nach der Stelle zurückkehrte, fand ich dort weder Nansen, noch den Bären vor. An den Spuren und dem Blute sah, ich, daß dieser sich wieder erhoben und seinen Weg fortgesetzt hatte. Ich folgte ihm am Strande entlang und hörte nun Nansen von oben aus einer Bucht zwischen einigen großen Felsblöcken unter einem steilen Abhänge nach mir rufen.

Als er an die Stelle gekommen war, wo er den Bären abhäuten sollte, sah er diesen auf drei Beinen ganz lebendig daher trollen. Der Petz ging ans Land, kroch über einen Gletscher und das steile Geröllfeld hinauf bis hoch oben unter die überhängende Felswand. Nansen fürchtete, er würde sich dort hinlegen, wo wir ihn schwerlich bekommen hätten; deshalb wandte er eine Kugel daran, obgleich der Abstand ziemlich groß war. Ob er traf oder nicht, jedenfalls hatte der Schuß die Wirkung, daß der Bär zusammenfuhr; doch das hätte der Bursche lieber bleiben lassen sollen, denn nun glitt er an einer harten Schneewehe aus und kam ins Rutschen. Stück für Stück ging es abwärts, Nansen stand hinter einem Felsblocke und lud schnell sein Gewehr, und sowie der Bär sich unterwegs ein wenig aufhielt, schoß er wieder auf ihn. Nun glitt dieser weiter, bis er die Klippe erreichte, wo er sein Leben lassen mußte.

Er war zäh; es war einer von der rechten Art, ein außergewöhnlich großes Männchen; der eine Vorderfuß war oben an der Schulter zerschmettert und der Brustkorb, aber keine edeln Theile durch den ersten, ohne Zielen abgefeuerten Schuß verletzt. Fett war er, worüber wir uns am meisten freuten.

Ihn zu zerlegen und nach den Schlitten auf dem Eise am Fuße des Abhanges zu tragen, war mühsam, denn die ganze Zeit über wehte ein so heftiger Sturm, daß wir uns kaum auf den Beinen halten konnten. Wir nahmen jeder die Hälfte des Bären auf unsern Schlitten, aber das ging nicht; an einem Viertel hatten wir vollständig genug. Das Fell mit dem Speck und ein Theil des Fleisches wurden zurückgelassen und später geholt.

Wir strebten nach der Hütte; es war weit dorthin, und wir hatten so starken Gegenwind, daß wir hätten »auf ihm liegen« können, wenn er uns packte; wir waren des Ziehens ungewohnt und hatten uns also tüchtig plagen müssen, als wir um Mitternacht nach Hause kamen. Einen der Schinken nahmen wir mit hinein und füllten davon den Topf bis an den Rand, krochen in den Sack und ließen dem frischen Fleische Gerechtigkeit widerfahren.

Der Bär kam uns gerade recht, wir hatten durch ihn eine ordentliche Masse Speck für unsere Reise gewonnen, und der Umstand, daß die Bären sich wieder zu zeigen begannen, versetzte uns in gute Laune, obwol jetzt wir selbst und nicht die Walroßkadaver die Lockspeise bilden mußten, denn letztere waren vollständig im Schnee begraben.

Am Morgen des 10. März war ich um 6 Uhr draußen vor der Hütte und sah eine außerordentliche Menge Krabbentaucher in Scharen unaufhaltsam von Norden kommen und in den Fjord hineinfliegen. Am Nachmittage desselben Tages zog Schar auf Schar wieder fort. Nansen beobachtete auch zwei Grilllummen.

Am 16. März erschien die Sonne in ihrem vollen Glanze. Ich benutzte die Gelegenheit, eine Bergtour bis beinahe zur Spitze zu machen. Auf allen Vieren ging es den steilen Abhang mit den kleinen Gletschern hinauf; ich erreichte einen Absatz, von dem aus ich eine herrliche Aussicht hatte.

Offenes Wasser erblickte ich nicht; ganz hinten am Ende des Fjords erhob sich ein großer Gletscher hinter dem »Krabbentaucherberge« (einem Berge, auf dem wir Krabbentaucher sahen und auf dem sie unserer Meinung nach nisteten). Von dem Vorgebirge in Südsüdwest, von wo unser Kurs weiter am Lande entlang gehen sollte, bis zu dem oben erwähnten großen Gletscherlande im Osten konnte ich keinen einzigen Sund entdecken. Die öde erstarrte Natur, der gleißende Sonnenschein auf all dem Weißen boten einen großartigen Anblick dar: Fjordeis und Gletscher, soweit das Auge reichte.

Ich saß so still, daß die Krabbentaucher dicht an mir vorbeiflogen. Wie schön, wie sammetweich waren die hübschen kleinen Vögel im Sonnenlichte. Es waren nur -10°. Ja, nun hatten wir bessere Zeiten als vor einem Jahre, als wir hoch oben im Norden im Treibeise mit der Kälte kämpften!

Für uns in der Hütte kam jetzt eine geschäftige Zeit, da wir uns zu der Reise nach Süden fertig zu machen hatten. Noch mancherlei mußte in Ordnung gebracht werden.

Am schlimmsten sah es mit den zerlumpten, durchfetteten Kleidern aus. Glücklicherweise hatten wir die beiden wollenen Decken; nach vielem Maßnehmen und Berechnen zeigte sich, daß aus dem Zeuge jeder von uns recht gut ein Paar Kniehosen und eine Jacke bekommen konnte, aber lange dauerte es, bis der feierliche Moment kam, da wir es wagten, mit der Schere in die Decken zu fahren und zuzuschneiden. Mit Zwirn konnten wir jetzt so verschwenderisch umgehen, wie wir wollten, da wir entdeckt hatten, daß die baumwollenen Fäden unserer Proviantsäcke von Segeltuch vorzügliche Dienste leisteten. So saßen wir Wochen hindurch nebeneinander im Schlafsacke und nähten.

Die Komager mußten wir mit neuen Sohlen aus Walroßhaut versehen, die wir dazu entsprechend dünn schabten und über der Lampe trockneten. Ich brachte es sogar so weit, daß ich mir aus der Haut des »magern Bären« ein Paar Finnenschuhe machte; es waren jedoch so lange Haare darauf, daß ich sie mit der Schere abschneiden mußte, um beim Gehen nicht auszugleiten.

Nansen hatte mehrern Bären beim Abhäuten regelrechte »Socken« an den Hinterbeinen stehen lassen. Diese zog er später in einem Stücke ab, befreite sie von Fett und hängte sie zum Trocknen auf, um sie dann, ganz so wie sie von den Bärentatzen gekommen waren, als Fußbekleidung zu benutzen. Er bekam sie jedoch nicht ordentlich trocken, und sie wurden so rußig und häßlich, daß er von ihnen absehen mußte.

Die Windkleider waren nur noch Lumpen, aber wir gaben uns nicht zufrieden, bis wir sie wieder so gestückt und gestickt hatten, daß sie noch brauchbar wurden. Die Hosen wurden am Knie abgeschnitten und das Abgenommene, sowie die Proviantsäcke zum Flicken benutzt. Stücke von Bärenhaut wurden abgeschabt, von Speck befreit und getrocknet und dann zu Fausthandschuhen und Gamaschen verarbeitet. Mit unserm Tauwerk war es schlecht bestellt; wir machten uns daher Seile aus Walroßhaut und feine dünne Leinen aus Bärenhaut.

Am meisten interessirten uns unsere neuen Anzüge. Wir freuten uns wie Kinder darauf, sie anziehen zu können. Das Nähen ging aber so langsam, daß Nansen gewiß recht gehabt hat, als er behauptete, wir beide würden sicherlich sehr bald verhungern, wenn wir nach unserer Rückkehr vom Schneiderhandwerk leben sollten. Aber Geduld half uns auch darüber hinweg, und eines schönen Tages konnten wir uns draußen in funkelnagelneuen Anzügen nach eigenem Modell aus großcarrirtem modernem Stoff zeigen. Sie hatten freilich hier und da einige Thranflecken, da die Lampe uns bei der Arbeit oft umgefallen war und wir die Flecke nicht vollständig hatten ausreiben oder aussaugen können. Doch es waren jedenfalls starke, gute Anzüge, und die Beinkleider waren obendrein noch außen und innen mit unsern alten Unterhosen gefüttert. Die Seehundfellgamaschen, die wir von der »Fram« mitgebracht hatten und die von Eskimos angefertigt worden waren, ließen sich noch sehr gut brauchen, wir konnten unsere durchfetteten Friesüberstrümpfe also zurücklegen.

Während der Arbeit an dieser Ausrüstung drehte sich die Unterhaltung hauptsächlich darum, was wir alles in reichassortirten Wollenwaarenläden kaufen würden, wenn wir erst wieder zu Hause wären. Auch auf die Seehundsfängerjachten auf Spitzbergen kamen wir immer wieder zurück. Wir sprachen davon, was für Lebensmittel und Kleider die Besatzung einer solchen Jacht wol haben würde. Zucker und Brot hatten sie jedenfalls, auch Butter, sodaß wir uns »echte Mehlpfannkuchen« backen könnten. Ein Paar Kleidungsstücke mochten dort wol auch zu bekommen sein – und Seife! Und wenn wir nach Tromsö kämen (wir nahmen stets an, daß wir eine Jacht von dort treffen würden), wollten wir alle Kuchen kaufen, die wir bekommen könnten! Ja, das sollte ein Leben werden!

In unsern größten Topf stopften wir Unterkleider, soviel davon hineingingen, und kochten sie auf dem Herde aus. Da wurden sie so »mürbe«, daß wir das Aergste mit dem Messer abkratzen konnten. Das Fett, das wir dadurch erhielten, konnten wir beim Kochen auf »Primus II.«, wie wir die auf dem Herde stehende Thranlampe nannten, brennen. Nansen versuchte auch, auf Eskimoart zu waschen, aber das ging nicht. Ebensowenig ließ sich aus der Asche des wenigen, erbärmlichen Treibholzes, das wir fanden, Lauge herstellen. Das Schaben mit dem Messer blieb noch immer das Beste.

Die Kajaks mußten ausgebessert werden, besonders meines, das im Winter eine Luftreise gemacht hatte, und auf den kurzen Schlitten mußten wir von dem bischen Holz, das wir hatten, ordentliche, hohe Unterlagen festbinden, damit die Kajakenden nicht vom Eise beschädigt würden; wir nahmen dazu Riemen aus Bärenhaut.

Unsere kostbaren Segel wurden geflickt und das Fett davon abgeschabt; sie sollten uns auf der Reise auch als Zelt dienen. Einen Schlafsack aus guten leichten Bärenfellen machten wir uns ebenfalls.

Am 2. April hörten wir draußen Lärm, der, wie wir anfangs annahmen, von einem Bären herrührte; als aber der Spektakel nicht zunahm, glaubten wir beide, es sei nur ein Fuchs. Ich hatte gerade die Kochwoche, und als ich hinausging, um mich nach der »Meteorologie« umzusehen, fand ich, daß es doch ein Bär gewesen war, der einen Spaziergang um die Hütte herum gemacht hatte; die Bärenleichen hatten ihm aber entschieden nicht gefallen, und er war wieder nach dem Eise getrollt. Dort erblickte ich »Väterchen«, gerade als er Witterung von den Walroßkadavern, die tief unter dem Schnee lagen, bekam. Er fing an zu graben, daß der Schnee umherflog.

Wir waren von unsern Kleidern so in Anspruch genommen, daß wir fast gar keine Zeit hatten, uns um den Bären zu kümmern; aber dann wurde doch beschlossen, daß Nansen ihn erlegen sollte. Nansen ging, da sein Gewehr in Unordnung war, mit meiner Flinte nach dem Eise; ich sah ihm bei der Hütte von oben aus zu.

Der Bär hatte sich jetzt ein gutes Stück hineingegraben; ja, er verstand seine Tatzen zu gebrauchen! Er fühlte sich so sicher, daß er weder sah noch hörte. Nansen ging mit seinem gewöhnlichen Schritte auf dem flachen Eise ganz dicht an den Bären heran, der sich äußerst überrascht umdrehte und in demselben Moment eine Kugel ins Gesicht erhielt. Er lief ein paar Schritte, schüttelte den Kopf, daß das Blut umherspritzte, und blieb dann stehen.

Ich sah, daß Nansen sich mit dem Wiederladen abmühte und der Bär auf ihn losgehen zu wollen schien; doch nun verlief alles in Ordnung. Fünf Schüsse mußte Nansen abfeuern, ehe der Bär wirklich verendete. Es war mir greulich, mit einer unbrauchbaren Flinte in der Hand als Zuschauer dastehen zu müssen, und ich konnte jetzt Peder's Herzensergüsse sehr gut verstehen, wenn seine Büchse wiederholt nicht losbrennen wollte.

6. Mai. Wir sind noch immer energisch bei der Ausrüstung. Wenn es sehr klar ist, sehen wir in Südwest ein Land oder die Luftspiegelung eines Landes, das wir für das Nordostland selbst halten. Die blaue Luft, die auf offenes Wasser deutet und sich beständig an derselben Stelle hält, zeigt unserer Meinung nach die Landrinne beim Nordostlande an oder offenes Wasser in vielleicht noch größerer Nähe. Vor drei Tagen war ich mit dem Ausgraben von Fleisch beschäftigt und gewahrte dabei draußen auf dem Eise einen Bären, der in eine Bucht im Nordwesten von uns hineinsteuerte. Ich wollte ihm nachgehen und stieß dabei nicht weit von der Hütte auf die frischen Spuren von drei Bären, konnte aber weder diese, noch jenen erblicken.

Ich ging wieder nach Hause, wir aßen unser kaltes Frühstück, machten uns an die Arbeit und dachten gar nicht mehr an Bären, bis wir hörten, daß eine Haut fortgeschleppt wurde, worauf alles still war. Ich stahl mich mit der Flinte hinaus und schlug das Thürfell vorsichtig zurück. Wie gewöhnlich blendete mich das starke Licht, der Bär war jedoch zum Glück gehörig ausgehungert und gewahrte mich nicht. Dann erblickte ich seinen Kopf hinter dem Schneehaufen; die Kiefer kauten eifrig an dem Speck des Bären, der seinerzeit in den Hausgang hinein gewollt hatte.

Ich legte an, zielte und schoß den gefräßigen Bären, ohne daß er mich bemerkt hätte, gerade durch das Gehirn, sodaß er auf der Stelle mitten zwischen den übrigen Kadavern todt am Boden lag. Nansen saß inzwischen drinnen und nähte an unserm Schlafsacke für die Reise. Der Bär war mager, kam uns aber doch als Reiseproviant gut zu statten, da wir nun nichts von dem Fleische in der Hütte aufzuthauen brauchten.

Von unserm Schlittenproviant war noch ein wenig Maismehl, etwas Fischmehl, Albuminatmehl und ein wenig Brot brauchbar. Dieses wurde mit Thran getränkt, theils damit es trocken bleiben, theils damit es weiter reichen sollte.

Außer dem Hauptbestande des Proviants, den rohes Fleisch und roher Speck bildeten, nahmen wir auch etwas Fleisch mit, und zwar sowol in Wasser gesottenes als auch in Thran gekochtes. Das seidene Netz war ganz voll »Backwerk«, denn der Speck, aus dem wir Thran geschmolzen hatten, um drei Blecheimer damit zu füllen, hatte natürlich sehr viel »Gebäck« gegeben. Aus den Ueberresten des alten Kochapparats nieteten wir uns einen guten Kochherd zusammen und aus dem untern Theile des wirklichen Primus machten wir uns eine vorzügliche Lampe zum Brennen von Speck und Thran.

Die Bären waren nun nicht mehr knapp, aber wir kümmerten uns jetzt nicht um sie. Am vorletzten Abend, den wir in der Hütte verlebten, besuchte uns eine Bärin mit einem ganz kleinen Jungen. Sie blieben stehen und sahen uns, die wir an den Kajaks arbeiteten, verwundert an, dann begann die Mutter das Kleine zu säugen. Unserer Nachtruhe wegen mußten sie fortgescheucht werden, weshalb wir auf sie zugingen. Die Bärin nahm dies übel und brummte böse, zog aber ab und bemühte sich, das Junge zu ebenso schnellem Laufen zu bringen.

Nansen sandte ihnen einen Schreckschuß nach, der aber nichts nützte; er verfolgte sie daher unter beständig zunehmender Wuth der Mutter, die ihr Junges nicht schnell genug mit fortziehen konnte. Endlich holte er die Bären ein; da flüchtete die Bärin unter Schnauben und Brummen den steilsten Theil des Gletschers hinauf, während das winzige Bärlein in der Spur der Mutter hinterdrein krabbelte. Schließlich verschwanden sie oben auf dem Gletscher, und wir sahen sie niemals wieder.

Das letzte, was wir thaten, war, daß wir das Dach abnahmen, damit wir unsere kostbaren Schneeschuhe, Stäbe und Ruder, die dort den Winter über gelegen hatten, wieder erhielten. Als das Licht hereinfiel, benutzte Nansen die Gelegenheit, einige Photographien von dem Innern der Hütte aufzunehmen. Dann wurde ein kurzer Bericht über die Expedition geschrieben und in eine kleine Messingröhre, die zur Luftpumpe des Primus gehört hatte, gelegt und diese Röhre am Firstbalken aufgehängt.


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