Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Dreizehntes Kapitel.

In der Höhle.

Es war Ende August 1895, der Winter stand vor der Thür, und noch immer waren wir über dieses Land so klug wie zuvor.

Wir mußten uns zur Ueberwinterung vorbereiten, es blieb uns nichts anderes übrig. Wol hatten wir eine schwache Hoffnung gehabt, weiter nach Süden vorzudringen, bevor wir uns zum Ueberwintern genöthigt sähen; falls wir auf Franz-Joseph-Land waren, mußten wir dort im Süden die Stelle finden, wo Leigh Smith überwintert hatte. Wir sprachen darüber, und verlockend schwebte uns die Stelle vor; aber das Fahrwasser war durch Eis gesperrt, und die Vernunft sagte uns, daß die Zeit, die uns noch vor dem Winter blieb, nur gerade ausreichte, eine Hütte zu bauen und uns Lebensmittel und Brennmaterial zu verschaffen.

So schickten wir uns darein und begannen, uns so gut wir konnten einzurichten. Unter diesen Umständen schien es uns auch, als wäre es das Beste, nach all den Anstrengungen des Vordringens im Treibeise in einer ordentlichen Hütte ausruhen zu können.

Man wird vielleicht glauben, daß wir an diese Ueberwinterung nur voll Verzweiflung und voll düsterer Gedanken gingen. Dem war jedoch nicht so, selbst wenn die Arbeit an der Hütte manchmal ruhte und wir den Blick sehnsüchtig über das Eis nach dem Meere im Süden schickten, nach unserer Heimat, die wir dieses Jahr nicht mehr erreichen sollten. Hoffnung hatten wir stets, um so mehr da wir sahen, wie gut es sich anließ, nur von Bärenfleisch zu leben. Aber wir lernten, daß Geduld dazu gehörte. Die ganze Reise war von Anfang bis zu Ende eine Schule dieser Tugend.

Wie vorher erwähnt, hatten wir im Laufe einer Nacht eine Steinhütte erbaut. Diese nannten wir die »Höhle«, und ein elendes Loch war es auch; sie war so niedrig, daß ich darin nur eben sitzen konnte, Nansen aber liegen mußte. Das Zelt und die Segel bildeten das Dach; später bekamen wir dazu Bärenfelle, aber da hatten wir auf dem Dache auch beständig Besuch von Möven, die hackten und schrien und uns fürchterlich ärgerten. In dieser Höhle wohnten wir einen Monat, solange wir an der eigentlichen Winterhütte bauten und des Wintervorraths wegen auf die Jagd gingen.

Am 28. August beschlossen wir, Walrosse zu schießen. Auf dem Eise war jetzt jedoch keins zu sehen, wir mußten also auf das Wasser hinaus. Bevor wir dahin kamen, erblickten wir zwei Bären, eine Bärin mit einem Jungen, die am Rande des Eises entlang auf das Land zugingen. Wir nahmen die Flinten und gingen ihnen entgegen, doch als sie ans Ufer kamen, folgten sie diesem den Fjord einwärts und den Abhang hinauf. Wir liefen ihnen im Dauerlaufe nach und versteckten uns hinter einem Eisrücken. Die Entfernung war ziemlich groß, aber ich hatte doch das Glück, die Bärin so in die Seite zu treffen, daß die Kugel durch den Brustkorb ging und an der andern Seite wieder herauskam. Sie brüllte wie gewöhnlich, biß nach der Wunde, taumelte ein paar Schritte weiter und stürzte dann hin.

Das Junge konnte nicht begreifen, was der Mutter einfiel, daß sie sich hier hinlegte. Als es uns erblickte, eilte es den Abhang hinauf, kehrte aber gleich wieder zurück und legte den Kopf auf den Hals der Mutter, wobei es uns herausfordernd ansah. Nansen gab ihm eine Schrotladung in den Kopf, worauf es auf der Mutter zusammenbrach. Wir häuteten beide ab, ließen sie dort oben und breiteten der Möven wegen die Felle über das Fleisch.

Nun zogen wir mit verbundenen Kajaks aus, um ein Walroß zu erbeuten, deren draußen im offenen Wasser genug vorhanden waren. Bald hatten wir eins in Schußweite, und Nansen sandte ihm eine Kugel zu. Es überschlug sich und tauchte unter die Kajaks, während das Wasser wirbelte und wir aus Leibeskräften ruderten, damit die langen Zähne uns nicht das Segeltuch aufschlitzten. Eine Weile danach sahen wir es, anscheinend ganz gesund, wieder. Wir gaben ihm nun jeder 2-3 Schüsse in den Kopf; es wandte uns beständig das Maul zu, sodaß wir ihm keinen ordentlichen Schuß von der Seite beibringen konnten, doch verlor es viel Blut. Dabei ging Nansen, als er das Gewehr hinlegen und nach den Rudern greifen wollte, unversehens ein Schuß los, die Kugel durchbohrte das Deck und das Vordertheil, glücklicherweise über der Wasserlinie.

Das Walroß tauchte und kam wieder und bekam noch mehrere Schüsse; es athmete immer schwerer, seine Augen wurden matter, und das Wasser färbte sich roth. Eine letzte tödliche Kugel blies ihm das Lebenslicht aus, dann aber sank es, ehe Nansen Zeit hatte, ihm die Harpune in den Leib zu stoßen. Wir ärgerten uns sehr darüber, daß wir ganz unnütz soviel Munition verschwendet hatten, und ruderten verdrießlich ans Land.

Etwas später erschienen im Fjord eine kleine Strecke von uns zwei Walrosse auf der Eiskante. Wir ließen sie sich eine Weile amüsiren, während wir das Fleisch der beiden geschossenen Bären holten; dann gingen wir vorsichtig wie Indianer, einer in den Spuren des andern, auf sie los. Wir hatten weit über das ebene Eis zu gehen; die Walrosse wandten sich bisweilen um, wir standen dann so lange unbeweglich still und kamen unbemerkt ganz dicht an sie heran. Nansen schoß zuerst auf das ihm zunächstliegende, welches von diesem einen Schusse auf der Stelle getödtet wurde. Das andere fuhr aus seinem Schlafe empor, erhielt aber in demselben Augenblick meine Kugel in den weitvorgestreckten Kopf und Nansen's nächsten Schuß ebenfalls. Es war ein Koloß von einem Walrosse; das Blut strömte ihm aus Nase und Maul und spritzte weit umher, als das Thier die großen Zähne in das Eis bohrte und wieder ins Wasser zurück wollte. Die dritte Kugel traf endlich an der rechten Stelle, und die unförmliche Fleischmasse blieb regungslos liegen.

Nun waren wir obenauf; mit vier Patronen hatten wir zwei Stück bekommen, aber die schwerste Arbeit, das Abziehen, stand uns noch bevor. Wir holten unsere Schlitten, um sie darauf zu transportiren; Nansen meinte, wir sollten die Kajaks auch mitnehmen, und zum Glück thaten wir es.

Bevor wir mit dem Abziehen anfingen, begann ein ziemlich starker Südost zu wehen. Der Wind nahm schnell an Heftigkeit zu, sodaß wir fürchteten, das Eis, auf dem wir standen, könnte losgerissen und wir mit unserer Beute seewärts getrieben werden. Diese Furcht war nur zu wohl begründet; denn kaum hatten wir das erste Walroß zur Hälfte abgezogen, so merkten wir auch schon, daß wir im Treiben waren. Wir sahen, daß wir mit unserer Beute nicht fertig werden konnten, hofften aber, das halbe Fell mit dem Specke daran noch zu bergen. Die Messer arbeiteten mit aller Macht in der dicken Haut, wir mußten aber doch auf die Hälfte verzichten und uns mit einem Viertel begnügen.

Einige Fleischstücke warfen wir in aller Eile noch in die Kajaks, dann ging es fort. Aergerlich sahen wir, wie die Möven sich in den Besitz unserer schönen Beute setzten; auf dem halb abgezogenen Leibe saßen einige dicht beieinander und hackten in das Fleisch, während andere sie mit heiserm Kreischen umkreisten. Das Gesindel kehrte sich nicht an Sturm und Unwetter, sondern war ganz damit zufrieden, in Gesellschaft so vielen Fleisches einen Abstecher aufs Meer hinaus zu machen.

Es war unsere Absicht, über die Scholle nach dem Rande auf der Windseite zu gehen, nach dem festen Eise, das noch nicht aufgebrochen war, überzusetzen und die Kajaks dann ans Land zu ziehen. Inzwischen wurde der Wind immer heftiger und riß immer mehr kleine Schollen los; wir konnten im Doppelkajak nicht weiter kommen, sondern mußten uns trennen und jeder für sich rudern. Festes Eis erreichten wir nicht, es war nun auch nach diesem weit, der Sturm hatte es bis tief hinein aufgebrochen. Das Hautviertel mit dem Specke mußten wir fahren lassen, worauf sich die Möven sofort darüber hermachten.

Jetzt begann eine schwere Fahrt nach dem Lande, theils im schäumenden Wasser zwischen kleinen Schollen mit dem Schlitten hinten auf dem Kajak, theils auf halbaufgelösten Schollen mit dem Kajak auf dem Schlitten. Wir trieben nach Nordwesten, an unserm Bärenfleische und an der »Höhle« vorbei. Entsetzlich, es sah aus, als sollten wir noch einmal mit dem verhaßten Treibeise ins Meer hinaus treiben!

Wir hatten endlich nach dem Lande zu eine ziemlich große Strecke offene See und schifften uns nun zum letzten male ein. Nansen ruderte voran, ich hinterdrein. Aus Furcht, das Ruder zu verlieren, ruderte ich mit bloßen Händen; die See ging dwars, was für mein Kajak nicht sehr gut war, da es schon unter normalen Verhältnissen nach Backbord hinüber lag, dies jetzt aber noch mehr that, weil das Walroßfleisch und das Gewehr sich im Kajak auf der Leeseite hielten. Nansen sah sich bisweilen um, um sich zu überzeugen, ob ich nachkäme. Es war ein heißes Ringen, aber zu unserer unendlichen Freude sahen wir, daß es, wenn auch nur langsam, dem Lande zuging. Endlich konnten wir uns, erschöpft und durchnäßt, an die feste Eiskante des im Nordwesten der »Höhle« gelegenen Landes klammern und dort kleine Eisstückchen abbrechen, um unsern brennenden Durst zu löschen.

Das eisfreie Ufer ließ sich am Landeise entlang bequem erreichen. Dort zogen wir die Kajaks aufs Land und rangen unsere Kleider ein wenig aus; dann steckten wir uns in den Sack, aßen Beefsteak von Bärenfleisch und schliefen bald ein, müde und froh, daß wir aus diesem Abenteuer so glücklich davongekommen waren.

Lange hatten wir noch nicht geschlafen, als ich von einem klagenden Tone erwachte, der dicht vor der Thür laut wurde und aus einiger Entfernung von demselben Winseln beantwortet wurde. »Das sind Bären«, sagte ich zu Nansen, der auch sofort erwachte.

Wir standen auf und erblickten draußen drei Bären. Nansen tödtete die Bärin nach mehreren Schüssen, die beiden ziemlich großen Jungen verschwanden zwischen den Steinblöcken am Ufer und erschienen wieder beide nebeneinander draußen auf dem Wasser auf einem kleinen Eisstücke, das im Begriffe war, mit ihnen unterzugehen; nur die Köpfe waren noch über Wasser. Da, wo sie waren, konnten wir sie nicht schießen; ich erwartete, daß sie ans Ufer schwimmen würden, und lauerte eine Weile darauf, sie trieben aber mit dem Winde, der jetzt bedeutend schwächer geworden war, auf dem Eisstücke nach der See hin. Wir ließen sie treiben, denn nun mußten wir auf jeden Fall im Kajak auf sie Jagd machen.

Wir machten uns also, naß wie wir von der vorigen Fahrt waren, wieder bereit, ins Kajak zu steigen, zogen aber jetzt Oeljacken an, um nicht noch nässer zu werden. Doch was erblickten wir, als wir nach den Kajaks gingen: ein todtes Walroß, das dicht am Rande des Eises auf dem Wasser schwamm! Das war etwas für uns! Wir waren nicht faul, es dingfest zu machen: es war das Walroß, das uns so viele Patronen gekostet hatte. Schließlich haben wir es also doch bekommen; es war aufgestiegen und am Lande entlang getrieben.

Mit den Kajaks hatten die Bären abscheulich gewirthschaftet. Das von Nansen hatten sie ins Wasser geworfen. Aus beiden hatten sie das Walroßfleisch herausgeholt, ein wenig daran gekaut und es dann rundumher geworfen; dabei hatten sie sich gewiß recht amüsirt. Bei dieser Arbeit hatten sie im Innern meines Kajaks einige Bambusquerstangen zerbrochen; glücklicherweise blieb es noch brauchbar.

Die jungen Bären waren nun schon so weit in See, daß wir sie eben noch sehen konnten; wir ruderten jedoch rasch an sie heran. Walrosse tauchten auf und schnaubten ganz in unserer Nähe, ließen uns jedoch in Frieden. Bald hatten wir die Bären erreicht und ruderten auf der Seeseite um sie herum. Wir wollten sie dazu bringen, daß sie das Eis verließen und, von uns getrieben, ans Land schwämmen, damit wir sie dort schießen könnten; dies war die einfachste Art. So war es auch. Als wir dicht an sie herankamen, rissen sie aus und schwammen nach dem Lande.

Nun begann eine interessante Jagd. Jeder von uns nahm einen Bären und trieb ihn dorthin, wo wir ihn haben wollten. Sie brummten und fletschten die Zähne, sobald wir mit dem Kajak zu dicht an sie herankamen, beeilten sich aber immer mehr mit dem Schwimmen. Nansen's Bär erwies sich als ein besserer Schwimmer als der meinige, der einen ziemlich breiten Rücken hatte. Nansen war mir deshalb bald ein Stück vor, da ich meinen Bären alle Augenblicke antreiben mußte; er brummte dann entsetzlich, aber schneller ging es.

Jetzt fiel Nansen's Schuß. Nansen war dicht beim Lande; ich sah ihn die Harpune der Sicherheit halber in den Bären stoßen und ihn so ans Ufer bugsiren. Meinen Bären steuerte ich nach dem Strande vor die Höhle, wo das übrige Fleisch war. Als wir an der Eiskante ankamen, steckte ich das Ruder in die Strippe, nahm die Flinte und sandte dem Bären, als er gerade einige schnelle Schwimmschläge machte, eine Kugel in den Kopf.

Nun hatten wir sie alle drei; die Bärin lag weiter östlich am Strande. Wir zogen sie ab und legten das Fleisch zu unsern Vorräthen. Dann krochen wir in den Sack und schliefen den Schlaf des Gerechten. Nachdem wir in der letzten Zeit keine rechte Ruhe gehabt hatten, gönnten wir uns nun aber den so nöthigen Schlaf.

Unser kostbares Walroß war dort, wo der Gletscher in die See fällt, am Ufereise vertäut. Hier erstreckte sich ins Eis eine lange schmale Bucht, in der es gut und sicher lag und wo wir hofften, es an Land ziehen zu können. Auf das Fleisch rechneten wir nicht, wir waren hauptsächlich um die Haut zum Decken unsers Hauses und um den Speck zum Brennen besorgt.

Das Walroß abzuziehen war eine mühselige, saure Arbeit. Unsere Kräfte und unsere Geräthe genügten nicht, es aufs Land zu befördern, wir mußten es daher im Wasser abhäuten. Eine halbe Schlittenkufe, die wir bei der Verkleinerung der Schlitten zurückbehalten hatten, leistete uns jetzt und auch späterhin gute Dienste als Handspeiche. Wir hieben mit der Axt Kerben in das Eis; ein anderes kleines, ebenfalls von einer Kufe herrührendes Stück Eschenholz trieben wir so ein, daß es im Eise fest war. Hieran machten wir das eine Ende unsers Taues fest, das andere zogen wir durch eine Strippe, die wir in die dicke Walroßhaut schnitten, und banden es dann an der Speiche fest; hierdurch erhielten wir eine Art Talje und konnten größere Kraft entwickeln.

Einer von uns mußte die Speiche bedienen, während der andere beim Abhäuten war; auf diese Weise ging es endlich. Es war aber eine Schinderei erster Klasse, auf dem fetten Walroßkörper zu liegen und im Wasser daran herumzuschneiden. Unsere Kleider sogen sich mit dem Fette ganz voll, und wir besaßen kein Mittel zur Reinigung, sondern mußten sie nachher tragen, wie sie waren.

Während Nansen an der zolldicken Haut herumsäbelte und ich an der Speiche stand, sah ich ein ganz gewaltiges Walroß in die Bucht bis dicht an uns heranschwimmen, als wollte es sehen, was wir da mit seinem Kameraden machten.

»Sehen Sie den Burschen da«, sagte ich zu Nansen. »Hurrah, das ist eine Bescherung für uns!«

Nansen ergriff das Gewehr, das unser steter treuer Begleiter bei der Arbeit war, spannte den Hahn und hielt sich bereit, die Gelegenheit zu benutzen, wenn das Walroß ihm den Nacken zukehrte. Es war nicht im mindesten ängstlich, sondern musterte uns aufmerksam und ließ sich viel Zeit; der Bestie im Kajak zu begegnen, wäre, denke ich, kein Vergnügen gewesen. Ein Schuß knallte. Das Walroß drehte sich im Wasser rund um und blieb still liegen, wurde aber bald wieder lebendig. Nansen schoß, und wieder lag es betäubt still; dies wiederholte sich mehrere male. Es erhielt 3-4 Schüsse, alle in den Kopf, dennoch war es im Begriffe, seiner Wege zu gehen, sodaß ich, nachdem wir unsere Taschen geleert hatten, um mehr Patronen nach der Höhle laufen mußte.

Endlich erlosch auch sein Leben, es war seiner Neugierde zum Opfer gefallen. Diese Thiere sind über alle Maßen neugierig und scheinen auch ein scharfes Gesicht zu haben. Sie kamen oft dicht ans Ufer zu uns, hielten sich mit ihren langen Hauern am Rande des Eises fest und glotzten uns stumm an, bis sie sich satt gesehen hatten. Es ist vielleicht auch dieser Neugierde zuzuschreiben, daß sie manchmal, wenn wir ruderten, unsere Kajaks streichelten. Leider waren wir nicht aufgelegt, diese Liebkosung zu schätzen, sie war uns zu gefährlich.

Wir ließen das alte Walroß liegen und machten uns über das neuangekommene her, das viel größer und fetter, überhaupt eine Beute war, über die wir uns sehr freuten. Wir brauchten mehrere Tage zum Abhäuten dieser Bestien, aber es ließ sich machen; wir nahmen auch das Fleisch des letztern Thieres, legten es am Ufer auf einen Haufen und breiteten die Häute mit dem Specke darüber. In dem Winkel, wo die Walrosse lagen, war Leben genug. Die großen Möven waren Herrscher über die Gedärme und die übrigen Eingeweide; die hübschen schneeweißen Elfenbeinmöven flatterten böse umher, weil sie nicht haben konnten, was sie wollten, sondern sich mit dem begnügen mußten, was die »Großen« verschmähten.

Die Elfenbeinmöve ist hübsch, macht aber ein ungemein häßliches Geschrei und ist zänkisch, boshaft und viel zudringlicher als die zurückhaltenden majestätischen großen Möven.

Die Stummelmöve blickt voll Verachtung auf diese Aasvögel herab; sie will mit Futter, das sie nicht selbst gefangen hat, nichts zu thun haben, solange es noch kleine Thiere in der See gibt, und davon sind hier genug vorhanden. Mit ihrem leichten, graziösen Fluge sucht sie scharenweise das Wasser jenseits der Eiskante ab, späht mit ihren scharfen Augen nach Futter aus und schießt dann und wann auf die Wasserfläche herab, um sich mit einem kleinen Krustenthiere im Schnabel wieder emporzuschwingen.

Plötzlich fährt sie erschreckt in die Luft: ein großer dunkler Vogel stürzt sich schreiend auf sie und hackt sie mit dem Schnabel; es ist eine Raubmöve, die auch Futter haben will und von dem lebt, was die andern fangen. Diese verfolgt die Stummelmöve mit heiserm Geschrei und hackt sie so lange, bis sie das, was sie im Schnabel hat, losläßt, was dann von dem Räuber blitzschnell aufgefangen wird. Manchesmal machten wir eine Pause in der Arbeit und beobachteten diesen Kampf ums Dasein.

Doch was ist das? In einem Nu fliegt die ganze Vogelschar auf! Aha, da haben wir's! Auf dem Gletscher erscheint Reinecke Fuchs, zwei, drei Brüder zusammen; sie nahen sich im Galop, um das Kommando über die Gedärme und das Eingeweide zu übernehmen, gerade als wären gar keine Menschen zugegen. Sitzen wir still da, so kommen sie dicht an uns heran, ganz verwundert über die neuen Steine, die es am Abhange mit einem male gibt. Dann zerren und reißen sie am Kadaver, bis sie dessen überdrüssig werden und einen Wettlauf anstellen. So plötzlich wird halt gemacht, daß das ganze Thier eine Krümmung ist, dann geht es wie der Blitz zurück, während die Möven schreien und toben. Ja, auch hier oben bei uns ist Leben!

Am 7. September begannen wir ernstlich an unserer Winterwohnung zu arbeiten. Einen ebenen Platz, auf dem es Moos und Erde gab, wählten wir an einer Stelle aus, wo das Gestein aus dem Gletscher hervortrat und einen steilen Abhang mit passenden Steinen zum Baumaterial bildete; hier und da liefen schmale Aeste des Gletschers auf dem Abhange aus. Wir steckten den Grund mit 2 Meter in der Breite und 3 Meter in der Länge ab, dann holten wir Steine vom Abhange und bauten so, daß wir uns ebensoviel in die Erde eingruben, als die Mauern sich darüber erhoben. Der Eingang war an der Südwestecke, wo wir einen Gang aushoben, der mit Steinen, Eisblöcken und Schnee überdeckt wurde, sodaß wir nach Eskimoweise aus- und einkriechen mußten.

Ohne Werkzeuge und ohne alles andere Holzmaterial als Schneeschuhe und Schneeschuhstöcke baut es sich nicht leicht. Mit den Wänden mochte es noch angehen, aber das Dach war ohne Holzwerk nicht gut herzustellen; unsere Bausteine waren keineswegs derartig, daß wir damit ein Gewölbe hätten aufführen können. Zum großen Glück fand Nansen eines Tages in der Nähe der Höhle einen brauchbaren Treibholzstamm am Abhang festgefroren. Diesen beschlossen wir als Dachfirst zu benutzen und die Walroßhäute darüber zu spannen. Viele Werkzeuge besaßen wir gerade nicht: eine Schlittenkufe, einen losen Bärenspieß, eine mikroskopisch kleine Axt und einen Schneeschuhstock mit einer Zwinge, das war alles.

Aus einem Walroßschulterblatte und einem Treibholzaste machten wir uns mit Hülfe des Schneeschuhstock-Endes einen Spaten, den wir jedoch in dem harten Kiesgrunde bald verbrauchten. Der Bärenspeer und der Stab mit dem Stachel dienten als Hacken, bis Nansen dem einen Walrosse einen Zahn ausbrach und ich aus einem andern Treibholzaste einen Stiel dafür herstellte.

An dem einen Tage war es so mild, daß das Wasser an den Hüttenwänden herunterrieselte, am nächsten war es hart gefroren. Was wir ausgruben, warfen wir auf die Mauern und füllten mit diesem Kiese und mit Moos die Lücken zwischen den Steinen aus.

Das Errichten der Mauern nahm nicht sehr lange Zeit in Anspruch, dafür machte uns das Dach viele Arbeit. Der Firstbalken lag mit dem dicksten Ende, an dem noch die Wurzeln saßen, festgefroren tief in der Erde. Es galt, ihn abzuhauen. Eines schönen Morgens »schärfte« ich daher das Beil mittels unserer beiden kleinen Feilen und machte mich an die Holzhauerarbeit; es wurde jedoch Abend, ehe der Stamm durchgehauen war, obgleich ich sehr eifrig dabei war und tüchtig drauf los hackte. Mit Anspannung all unserer Kräfte gelang es uns, den schweren Baumstamm auf die schrägen, niedrigen Mauern hinaufzubringen. Das Wetter wurde nun so kalt, daß wir daran denken mußten, unsere Walroßhäute vom Specke zu befreien; glücklicherweise bekamen wir eines Tages Thauwetter, und infolge dessen konnte diese Arbeit ordentlich ausgeführt werden.

Es war wahrlich keine leichte Sache, diese schweren dicken Häute nach der Hütte zu transportiren. Es waren vier halbe Häute. Bei der ersten banden wir an jedes Ende ein Tau und rollten sie den ganzen Abhang hinauf; es war ein ziemlich langer Weg. Die zweite zogen wir auf dem Schlitten eine Strecke am Strande entlang über ziemlich schlechtes Eis hin und trugen sie nachher auf einem Schneeschuh und einer Bambusstange weiter. Die dritte trugen wir den ganzen Weg. Mehr richteten wir an einem Tage nicht aus. Als wir die vierte Haut nahmen, war sie steifgefroren; die andern hatten wir auch noch nicht ordentlich auf dem Dache. Es blieb uns nichts anderes übrig, als die gefrorene Haut ins Wasser zu stecken, damit sie wenigstens so weit aufthaute, daß wir damit hantieren konnten.


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