Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Nansen und ich auf 86° 14'

Von

Lieutenant Hjalmar Johansen

Erstes Kapitel.

Abschied vom Vaterland. Die letzten Menschen.

Im Frühling 1893 begannen wir, die zur Theilnahme an Nansen's Expedition Berufenen, uns in Christiania zu versammeln. Wir waren einander fremd, kamen wir ja aus den verschiedensten Theilen des Landes, und musterten uns daher gegenseitig mit einer gewissen Neugierde. An den Erfolg der Expedition glaubten wir natürlich felsenfest; wir begrüßten uns und wünschten uns gegenseitig eine glückliche Reise zum Pole, wenn auch die Ansichten darüber, wieviel Zeit dazu wol erforderlich sein würde, getheilt sein mochten.

Es waren arbeitsreiche Tage in den paar Monaten vor der Abreise. Das ganze Schiff war voll von Arbeitsleuten aller Art. Kapitän Juell und ich untersuchten auf Tjuveholm die Proviantkisten und legten eine Liste derselben an; dann wurde der Proviant mit der größten Sorgfalt untergebracht.

Ganz vorn im Schiffe zwischen den Kniestützen und Balken lag Peder Hendriksen aus Tromsö und verstaute Hundekuchen, daß ihm der Schweiß von der Stirn rann. Als das Schiff mit andern Dingen fast schon vollgepfropft war, war nämlich noch eine große Sendung Hundekuchen aus London angekommen. Ich erinnere mich, daß Nansen erzählte, er sei beinahe erschrocken, als er eines Morgens an Bord gekommen sei und dort das ganze Deck voll Kisten mit Hundekuchen erblickt habe, die auch noch untergebracht werden sollten. Doch alles fand seinen Platz – es war wirklich merkwürdig, wieviel in das Schiff hineinging. Und es war auch nicht leer, als wir wieder nach Hause kamen; mit dem, was noch übrig war, hätten wir gleich wieder auf eine Expedition ausziehen können.

Wir nahmen über die verschiedenen Kistenreihen eine Art Plan auf, damit wir die gerade gebrauchte Proviantsorte leicht finden könnten. Im untern Raume und zu beiden Seiten der Maschine hatten wir Kohlen untergebracht, und schwere eiserne Tonnen mit Theeröl standen sowol im untern Raume wie im Zwischendecke und oben auf Deck.

Im Großraume war der meiste Proviant verstaut, wobei jedes Plätzchen ausgenutzt worden war; gingen die Kisten nicht zwischen die Kniestützen, so wurde der Raum zwischen diesen mit Holzkloben ausgefüllt, die uns ja unterwegs auch nützlich sein konnten.

Es gab an Bord der »Fram« sehr viele gute Nahrungsmittel: conservirtes Fleisch aller Art aus Norwegen, Dänemark, Amerika und Australien, Schweinecotelettes, Fricandellen, Rinderbraten, Corned-Beef, Hammelbraten, geräuchertes Schaffleisch, Kaninchen, Frühstücksschinken (auch »Gesangbücher« genannt), Dorschkaviar, Fischpudding, Makrelen, geraspeltes Fischfleisch, Fischmehl, getrocknetes Gemüse und Suppenkraut, Gemüseconserven, Eingemachtes und Marmelade, Reis, Chocolade, Cacao, Hafer- und Maisgrütze, Weizen- und Roggenbrot, Mehl, Zucker und Kaffee, verschiedene Sorten Pemmikan, Citronensaft, Knorr's Suppenpräparate u.s.w., alles so frisch und gut, wie es nur zu bekommen war.

Nansen mußte das ganze Getriebe leiten; er hielt alle Fäden in der Hand und mußte dafür sorgen, daß alles so in Stand gesetzt wurde, wie er es haben wollte, so gut, wie man beide, das Schiff und den Proviant, machen konnte. Unser Chef wußte sehr wohl, welche Bedeutung in einer in jeder Hinsicht vorzüglichen Ausrüstung liegt, und hatte es sich deshalb auch mehrere Jahre unermüdlicher Arbeit kosten lassen. Kapitän Sverdrup hatte ihm dabei getreulich geholfen. Still ging dieser Mann an Bord umher; er sah alles, sprach wenig, richtete aber desto mehr aus.

So kam denn der Tag heran, an dem wir in der Bucht von Piperviken die Anker lichteten: der 24. Juni 1893.

Es war ein trüber Tag, doch in unserm Gemüth war es nicht trübe; wir freuten uns, endlich an dem Punkte angelangt zu sein, daß unsere Reise beginnen sollte.

Es ist die alte Geschichte, im letzten Augenblick fehlt stets noch etwas, was man mitnehmen muß. So erinnere ich mich, daß wir vergebens auf das Eis für die Küche warteten; wir mußten auch schließlich ohne dasselbe abreisen; »wir bekommen es schon noch später«, meinte der Koch.

Gerade als der Anker gelichtet werden sollte, kam Nansen allein in dem Petroleumboote von Lysaker her an der Seite des Schiffes an, und gleich darauf glitt die »Fram« schwer, ruhig und majestätisch durch den Fjord von Christiania, von einem Schwarm von Dampfern und Segelbooten begleitet. Musik und Hurrahrufe folgten uns.

In Horten, dem Haupthafen der norwegischen Marine, nahmen wir Pulver und Kanonen zum Salutschießen ein. Die »Fram« machte 37 Kilometer in vier Stunden, die Maschine arbeitete vorzüglich. In Raekvik, auf Colin Archer's Werft, nahmen wir die Großboote an Bord. Archer war mit seiner Familie an Bord, als wir in den Fjord von Laurvik hineinsteuerten und unter den lebhaften Begrüßungen der Leute und unter Flaggensalut eine Bogenlinie im Hafen beschrieben.

Gegen Abend bekamen wir ziemlich starken Seegang; die »Fram« schaukelte auf den Wellen und rief bei mehrern Symptome der Seekrankheit hervor. Es ging langsam vorwärts, da das Schiff der großen Last wegen sehr tief eintauchte.

An Bord ist es lebhaft; wir sind ausgezeichneter Laune, den ganzen Tag fliegen Witze hin und her, besonders bei den Mahlzeiten, wo die meisten beisammen sind. Die Unterhaltung dreht sich hauptsächlich darum, was wir thun werden, wenn wir am Pole ankommen. Nansen musicirt ein wenig, der Koch schimpft, weil wir so gierig auf Essen und Trinken sind. »Gott steh' mir bei«, sagt er, »der Kaffee reicht wahrhaftig nicht länger als bis Tromsö!« Alles ist voller Leben, wie es sich auch gehört, während wir uns unserm Ziele Seemeile um Seemeile nähern. Wir eilen mit Weile, und das soll ja das Beste sein.

Die Nacht zum 28. Juni war schwer. Die See ging gar nicht sehr hoch, aber die »Fram« mit ihrem runden Bau rollte tüchtig. Unausgesetzt schlugen Seen über das Vorderdeck.

Ich war mit Pettersen zusammen im Maschinenraum, jetzt gerade nicht dem besten Aufenthaltsorte; es war dort eng und schwül, und bei dem Rollen den Heizer zu spielen, war auch nicht schön; es wäre noch angegangen, wenn uns nicht die Qualen der Seekrankheit das Unterste zu oberst gekehrt hätten, und mit der Schaufel kamen nicht immer nur Kohlen unter den Kessel.

Am Abend des 28. warfen wir bei Ekersund Anker. Am nächsten Tage flogen wir bei ruhiger See unter Dampf und Segel mit guter Fahrt an Jäderen vorbei.

Am 5. Juli kam in Beian Sverdrup an Bord; ein jüngerer Bruder von ihm verließ uns hier. Bis hierher war Scott-Hansen Kapitän des Schiffs gewesen.

Am 7. Juli hatten wir in Rörvik halt gemacht. Es gab viel Arbeit mit dem Umstauen des Proviants und der Kohlen. Während der Reise an der Küste nordwärts wohnte ich meistens im »Grand Hotel«. Wir hatten sowol »Gravesen« wie »Grand« (bekannte Hotels in Christiania) an Bord; es waren unsere beiden Großboote, die wir mit Hülfe von Renthierfellen und Schlafsäcken zu gemüthlichen Schlafgemächern eingerichtet hatten.

Ueberall, wohin wir kamen, zeigte sich Interesse für die Expedition. Man begreift kaum, woher alle diese Menschen kommen; wir sehen ja nichts weiter als das nackte Gebirge, nur hier und da einen grünlichen Schimmer; das ist das arme Norwegen. Doch halten wir an, so haben wir sofort ein dichtes Volksgewühl um uns herum.

Wir fuhren an einem Schiffer aus dem Bergener Stifte vorbei, der wahrscheinlich über uns noch nicht klug geworden war. Er rief uns an und fragte: »Woher ist das Schiff?«

»Christiania«, war die Antwort.

»Was hat sie für Last?«

»Essen und Kohlen.«

»Wo will sie hin?«

»Nach dem Eismeer, zum Nordpol.«

Am 12. Juli waren wir in Tromsö. Dort hagelte und schneite es wie mitten im Winter. Amundsen hatte hier beinahe das Leben verloren; die Kohlen stürzten auf ihn herunter, als er im Kohlenbunker war. Er erhielt eine große klaffende Wunde am Kopfe, machte aber kein Aufheben davon. Er wurde geschoren, gewaschen, zugenäht und verbunden, und dann war alles wieder in Ordnung. Mit verbundenem Kopfe ging er umher, bis wir im Eise festgekommen waren.

In Bardö, dem letzten Orte, den wir anliefen, bevor wir unser Vaterland verließen, zeigten uns die Leute, welche Sympathie sie für uns hatten. Sie gaben uns ein glänzendes Fest.

Am 21. Juli morgens 4 Uhr verließen wir die Stadt und sagten dem Vaterland Lebewohl. Ich kletterte in die Ausgucktonne hinauf, um noch einen Blick auf das Land zu werfen; man konnte ja nicht wissen, wann wir es wiedersehen würden.

Am 24. Juli wurde an Bord der erste Geburtstag gefeiert; es war der Scott-Hansen's. Große Feierlichkeit, Marmelade zum Frühstück, mittags Tischreden und ausgewählte Gerichte.

»Kvik«, Nansen's Hündin, die wir von Christiania mitgenommen haben, ist natürlich der Liebling aller an Bord. Sie ist der Sprößling eines Neufundländers und einer Eskimohündin und liebt alles, was von Leder ist; sie frißt alles, was sie erwischen kann: Segelhandschuhe, alte Stiefel und Kleider, Papier, Regenröcke und dergleichen mehr. Ganz so schlimm wie der Hund, den sie auf der »Polaris«Das Schiff der unter Führung von Hall auf Kosten der Vereinigten Staaten 1871–73 unternommenen Nordpolexpedition. an Bord hatten, war sie freilich noch nicht, denn jener Hund verspeiste sogar Thürklinken.

Am 27. Juli machten wir zum ersten male mit dem Eise Bekanntschaft. Wir haben es auf beiden Seiten und schleichen uns unter Stößen und Püffen vorsichtig nach der Jugor'schen Straße.

Es ist gut, daß wir reichlich Nahrungsmittel an Bord haben, denn hier sind Jünglinge, die das Essen gründlich verstehen. Jede Mahlzeit ist ein kleines Fest; die Speisen werden mit manchem muntern Scherze gewürzt, besonders Bentsen ist unerschöpflich an Geschichtchen. Täglich erzählte er lustige Sachen und immer wieder tischte er etwas Neues auf, und in den langen Polarnächten zeigte er sich erst recht in seinem Glanze.

Schön ist der Anblick der Mitternachtsonne, wenn sie am Horizont blutroth über dem Meeresspiegel und den zerstreuten Eisblöcken flammt. Draußen in der Ferne schimmert die Luft zwischen den Eistrümmern bläulich, und die »Fram« windet sich hindurch, leicht dem Steuer gehorchend, aber schwer beim Hinabsinken, wenn es das Rammen der Eisblöcke gilt. Wir können das Eis getrost mit ihr rammen.

Hier war die »Fram« in ihrem Elemente, aber der Mann am Ruder hatte es hart. Das Treibeis bestand nicht überall aus flachen, hübsch anständigen Schollen, es trat vielmehr in allen möglichen Gestalten auf. Zackig und zerrissen, grau, weiß und dunkel trieben die Massen heran; einige führten sogar Erde, andere Süßwasser mit, alle aber waren schwer, träge und unter der Wasserlinie von bedeutender Größe.

Am 29. Juli abends 6 ½ Uhr warfen wir vor Chabarowa Anker. Hier kam Trontheim an Bord, der im Auftrage von Baron Toll ganz Sibirien durchreist hatte, um Hunde für die Expedition zu kaufen.

Kaum hatten wir Anker geworfen, als die in Chabarowa lebenden Samojeden in ihren Fellkleidern an Bord kamen. Die meisten von ihnen sind scheußlich; häßlich und schmutzig sind sie alle. Die russischen Kaufleute hingegen, die sich hier aufhalten, sehen in ihren langen Renthierpelzen und ihren eigenthümlichen Mützen aus dem Felle der Renthierkälber sehr schneidig aus. In Chabarowa halten sie sich den Sommer über auf, um von den Samojeden verschiedene Arten Felle und Pelzwaaren einzutauschen. Der Samojede liebt Branntwein und Taback sehr; er legt mit seinen Renthieren und seinen Hunden oft große Entfernungen zurück, wenn er weiß, daß irgendwo Branntwein zu bekommen ist. Dies wissen die Kaufleute sich zunutze zu machen, und wenn sie am Ende des Sommers fortziehen, um die Pelzwaaren in ihrer Heimat abzusetzen, haben sie gewöhnlich ein einträgliches Geschäft gemacht. Im nächsten Sommer kommen sie dann wieder.

Die Samojeden suchten Doctor Blessing an Bord auf, um von seiner Kunst zu profitiren, einige für ihre gichtischen Hände, andere für ihre tauben Ohren. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese Menschen, als sie an Bord waren und ihre Fellkleider vor dem Eintritt in die Kajüte des Doctors auf den Fußboden legten, so freundlich gewesen waren, uns eine ganze Ladung Läuse mit auf den Weg zu geben; denn wir hatten Chabarowa gar nicht lange verlassen, da merkten wir, daß wir eine Reisegesellschaft bekommen hatten, an der uns gerade nicht viel gelegen war.

Es gab in Chabarowa 10 Russen und 35 Samojeden und nicht weniger als zwei Kirchen, eine alte und eine neue. Am 1. August wurde ein großes kirchliches Fest gefeiert. Solange der Gottesdienst dauerte, bekreuzigten sich die Samojeden und thaten ungemein fromm. Aber am Abend waren sie durchaus keine Heiligen mehr. Alle Männer waren betrunken und die Weiber ebenfalls.

Es waren viele vom Lande hereingekommen, um an der Feier des Tages theilzunehmen; zwei davon sahen wir mit fünf Renthieren kreuz und quer zwischen den Zelten herumfahren. Vor einem Zelte war an kleinen, in die Erde gerammten Pfählen eine ganze Anzahl junger Füchse angebunden; mitten zwischen diese Thiere fuhren die beiden Samojeden hinein, worauf ein Weib heulend aus dem Zelte stürzte, die unerfahrenen Füchslein aufsammelte und hineintrug.

Andere Samojeden wurden handgemein; sie schlugen jedoch nicht aufeinander los, sondern bemühten sich nur, sich gegenseitig die Kleider vom Leibe zu reißen. Einige vergnügten sich mit einer Art Kegelspiel, dessen Kegel aus Holzpflöcken bestanden, nach denen mit einem Holzstücke geworfen wurde. Scott-Hansen guckte in ein Zelt hinein und erblickte dort in einer Ecke ein seltsames Lumpenbündel; sein Erstaunen wurde nicht geringer, als sich das Bündel bewegte und das Gesicht einer alten Frau daraus hervorkam. Sie hatte sich in ihrem Rausche zu einem richtigen Knäuel zusammengerollt.

Unsere Hunde konnten diesen Spektakel auch nicht leiden. Als wir uns dahin begaben, wo sie angebunden waren, begleitete uns ein betrunkener Samojede; er wollte uns zeigen, daß die Hunde nicht auf ihn, sondern auf uns böse seien, und ging keck zu einem der kurzohrigen, glatten weißen Hunde hin, um ihn zu streicheln. Der Hund schnappte und biß nach ihm und hängte sich schließlich an einen seiner Fausthandschuhe, die unten an den Aermeln seines Pelzmantels baumelten. Wir wurden also nicht überzeugt, der Samojede aber kam jedenfalls zur Einsicht, daß die Zähne eines Hundes mit Fausthandschuhen von ungegerbtem Leder übel umspringen können.

An Bord hatten wir in diesen Tagen viel mit dem Kessel und den Kohlen zu thun. Pettersen und ich mußten in den Kessel hineinkriechen und das Salz, das sich dort angesetzt hatte, loshacken. Es war dort drinnen zwischen all den Röhren sehr eng, und wenn wir uns umdrehen wollten, mußten wir uns rückwärts zurückziehen und von der andern Seite wieder hineinkriechen. Als wir fertig waren, sahen wir auch danach aus; der schmutzigste Samojede war, mit uns verglichen, ein feiner Mann. Nansen meinte, wir müßten so verewigt werden, und nahm ein Bild von uns auf.

Nansen, Sverdrup und Hendriksen, auch »das Büblein« genannt, unternahmen eine Fahrt mit dem Petroleumboote, um die Eisverhältnisse im Karischen Meere zu untersuchen. Dort war Eis vollauf, aber am Lande zog sich eine lange, offene Rinne hin.

In Chabarowa legten wir eine elektrische Klingelleitung an, die von der Ausgucktonne in den Maschinenraum hinunterführte, damit die Maschine mit dem Manne auf dem Ausguck in directer Verbindung stehen konnte. Auch die Apparate zur Heizung mit Theeröl setzten wir hier in Stand.

Am 3. August waren wir fertig und nahmen die Hunde an Bord, wobei Trontheim die von König Oskar verliehene goldene Verdienstmedaille für die gute Ausführung seiner Aufgabe überreicht wurde.

Nansen's Sekretär Christofersen trennte sich hier von uns; gern hätten wir gesehen, daß er auf der ganzen Reise unser Begleiter gewesen wäre. Wir waren alle feierlich gestimmt, als er mit unsern Briefen nach Norwegen ins Boot stieg. Er war mit allerlei Lebensmitteln von der »Fram« versehen worden, denn es war ja möglich, daß er noch manches Abenteuer erleben mußte, ehe er wieder in der Heimat anlangte.

Am letzten Tage in Chabarowa wurde auch Bernt Bentsen in die Schiffsliste eingetragen. Der Gute hatte nicht mehr viel Zeit, sich zu entschließen.

Als wir in der Nacht die Anker lichteten, war es nebelig; Nansen ging uns daher mit dem Petroleumboote voran, um das Fahrwasser auszulothen. Hierbei hätte er sich beinahe verbrannt, da sich das Oel entzündete; seitdem wir das Boot im Christiania-Fjord zu benutzen angefangen hatten, war beständig etwas mit ihm los.

Das Heizen mit Theeröl geht gerade nicht besonders. Es gehört so viel Dampf dazu, das Oel in das Feuerloch zu blasen, daß es wirklich fraglich bleibt, ob bei dieser Heizungsart viel gewonnen werden kann.

Am 6. August lagen wir des Nebels wegen unweit der Jalmal-Küste an einer Eisscholle still. An Bord herrschte Sonntagsruhe; die Mannschaft hatte sich gemüthlich hingesetzt, nur die Dynamomaschine war in Thätigkeit. Nansen, Sverdrup, Scott-Hansen, Blessing, Hendriksen und ich gingen an Land zu einem Ausflug auf Jalmal.

Das Ufer fiel dort, wo wir landeten, so langsam ab, daß wir aussteigen und das Boot eine lange Strecke über den flachen Grund ziehen mußten. Diejenigen, welche Wasserstiefel anhatten, mußten die andern auf dem Rücken aus dem Boote und wieder hineintragen.

Hansen und ich gingen zusammen auf die Entenjagd und schossen auch ein paar Enten. Wir hatten uns hierbei von den andern entfernt und fanden an einem der hier vielfach vorkommenden kleinen Gewässer Spuren eines Samojedenlagers.

Es war ein ziemlich dunkler Abend. Als wir so spähend umhergingen und Ausguck hielten, erblickten wir denn auch ein Zelt. Natürlich dachten wir, es sei ein Samojedenzelt, und näherten uns vorsichtig, um nicht von den Hunden, die es dort unsrer Meinung nach geben mußte, angefallen zu werden. Doch als wir dicht davor waren, merkten wir, daß es unsere Kameraden waren, die die Ruder und Persennings aus dem Boote geholt und ein Zelt damit aufgeschlagen hatten, worin sie es sich gemüthlich gemacht hatten. Wir fanden ein wenig Treibholz und kochten uns einen ordentlichen Topf Kaffee, der trefflich schmeckte, wie auch das Pfeifchen Taback, das wir hinterher schmauchten. Gegen Morgen kehrten wir wieder an Bord zurück.

Am 7. August ruderte ein Boot mit zwei Samojeden an die »Fram« heran und legte am Achterende des Schiffes an. Die beiden Insassen schienen Angst zu haben, ihr Boot zu verlassen; sie fürchteten vielleicht, des Eises wegen nicht wieder ans Land kommen zu können. Es war ein graubärtiger Alter mit einem jungen Manne. Sie erhielten von uns Lebensmittel und machten dabei Zeichen nach dem Lande hin, wo sich wahrscheinlich noch mehrere ihresgleichen befanden. Bentsen stand auf dem Achterdeck und warf ihnen einige Schiffszwiebacke hinunter, nach denen sie sehr gierig griffen. Der junge Mann biß auch sofort hinein, um sie zu probiren. Einige Hundekuchen waren auch darunter, aber das schien ihm nichts auszumachen. Dann zog Bentsen eine Streichholzschachtel aus der Tasche und zündete ein Streichholz an. Sie starrten mit offenem Munde nach der Flamme. Bentsen warf ihnen nun die ganze Schachtel ins Boot hinunter, der junge Mann fing sie auf, zündete auch sofort ein Streichholz an, betrachtete lächelnd die Flamme, blies sie aus und legte das abgebrannte Hölzchen sorgfältig wieder in die Schachtel, um es sich bis zum nächsten male aufzuheben. Aus Dankbarkeit schenkten sie Bentsen ein Paar Stiefel von Renthierfell. Dann sahen wir sie in ihrem schlechten Boote fortrudern.

Da wir der mißlichen Eisverhältnisse wegen fortwährend stillliegen mußten, begaben sich einige von uns zu Boot an die Küste, um dieses so wenig bekannte Land zu besuchen und Samojeden anzutreffen, von denen wir uns allerlei Felle eintauschen wollten. Es waren Nansen, Sverdrup, Mogstad, Blessing und ich. Blessing begann sogleich auf der öden Ebene zu botanisiren; ich schloß mich ihm an. Die drei andern erblickten in der Ferne ein paar Gestalten; es waren gewiß Samojeden, die sich anscheinend fürchteten und zu laufen begannen. Sie winkten ihnen zu, aber die Samojeden liefen nur um so schneller, und bald waren sie ganz verschwunden.

Nachdem wir allerlei Pflanzen gesammelt und einiges Federwild geschossen hatten, kehrten Blessing und ich zum Boote zurück, das jetzt von der Flut geschaukelt wurde; wir nahmen die Persennings heraus und schlugen ein Zelt auf, das uns von großem Nutzen war, da es nachher, als die andern sich nachts zu uns gesellt hatten, ziemlich heftig zu wehen und zu regnen begann. Wir unterhielten uns trotzdem sehr lebhaft mit wahren und erfundenen Geschichten, bis uns die Müdigkeit den Mund schloß. Am Morgen begannen wir in die See hinauszurudern, konnten aber des Gegenwindes wegen anfangs nur schwer vorwärtskommen. Desto größer war daher unsere Freude, als wir gegen Mittag endlich wieder an Bord steigen, die durchnäßten Kleider mit trockenen vertauschen und uns ordentlich satt essen konnten.


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