Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Zwölftes Kapitel.

Abschied vom Treibeise.

7. August. Endlich haben wir unser lang herbeigesehntes Ziel erreicht: wir haben heute Nacht am Rande des Gletschers geschlafen, den zu erreichen wir uns so lange schon abgemüht haben. Nun ist es Wirklichkeit geworden, ohne allen Zweifel, denn wir hören es im Gletscher lärmen und donnern. Die letzte Strecke Treibeis erregte durch ihren Charakter unsere große Verwunderung und Freude. Es war viel ebener als bisher und beinahe ohne Rinnen, sodaß der Marsch den Märschen vieler Tage in der letzten Zeit zusammengenommen gleichkam. Wir beeilten uns auch ordentlich. Der Gletscher kam immer näher. Bald konnten wir ihn von dem Eise aus, auf dem wir gingen, sehen, und endlich standen wir am Rande des Treibeises, eine große, offene Landrinne, in der Schollen trieben, zwischen uns und dem Gletscher, der steil in die See abfiel.

Nansen stand am Eisrande, wischte sich den Schweiß von der Stirn und winkte mir, der ich ein wenig zurückgeblieben war, mit dem Hute zu; ich schwang ebenfalls den Hut, und das erste Hurrah auf der ganzen Reise klang über das offene Wasser hin. Jubelnd sahen wir auf das Treibeis zurück, das unsere Geduld und unsere Kräfte so lange auf die Probe gestellt hatte. Wir gönnten uns als Belohnung für die letzte Anstrengung jeder ein Stück Chocolade.

Nun sollte es auf dem Wasserwege weitergehen; wir versuchten, je einen Schlitten auf ein Kajak zu legen und getrennt zu rudern; doch das ging nicht, wir mußten sie wieder wie früher miteinander verbinden.

Die Hunde konnten wir nicht weiter mitnehmen. Wir Menschen sind doch undankbare Geschöpfe! Da hatten sich diese Hunde für uns abgequält, hatten Hunger und Kälte erduldet, sodaß sie kaum noch laufen konnten, und jetzt belohnten wir ihre Treue mit dem Tode, jetzt, da wir selbst glaubten, wieder zum Leben unter Menschen zurückkehren zu können! Es war entsetzlich, dies thun zu müssen, aber leider mußte es sein. Damit es uns leichter würde, nahm Nansen meinen Hund und ich den seinen. Arme Thiere, sie folgten uns willig hinter zwei Hügel, und bald verkündeten zwei Schüsse, daß »Suggen« und »Kaiphas« zu leben aufgehört hatten. Wir hatten sie liebgewonnen und konnten sie nicht schlachten wie die andern, sondern opferten jedem von ihnen eine Patrone.

Wir sagten dem Treibeise Lebewohl und ruderten ab. Es war ein wenig nebelig geworden, den Wind hatten wir im Rücken. Wir setzten unsere Segel und näherten uns jetzt in Ruhe und Bequemlichkeit mit ansehnlicher Geschwindigkeit dem Gletscher, den wir bald aus dem Nebel auftauchen sahen. Wir aßen im Kajak auch zu Mittag, oder vielmehr zu Abend, denn die Mittagsstunde war schon längst verstrichen.

Welch schroffer Wechsel nach dem Leben auf dem Treibeise! Stillsitzen und essen, und doch vorwärtskommen!

An dem Gletscher konnten wir nicht landen; er bildete eine 16 Meter hohe Eiswand, deren verschiedene Schichten wir ganz deutlich sahen. Die Strömung ging nach Westen, in der Richtung, in der wir vorwärts sollten; wahrscheinlich war es die Gezeitenströmung. So steuerten wir denn westwärts und fanden dabei die Scholle wieder, auf der wir geschlafen hatten. Wir sind gewiß auch im Schlafe nach Westen getrieben. In dem Eise um uns herum ist ziemlich viel Bewegung.

8. August. Gestern war unser erster Tag zu Wasser; es ging ausgezeichnet. Die Boote mußten wir gestern Morgen über ein paar Schollen ziehen, die sich um uns herumgelegt hatten und unablässig in Bewegung waren, uns bisweilen einen freundschaftlichen Puff gaben und den Weg nach dem offenen Wasser versperrten, das wir westlich von uns in dem dichten Nebel erblickten. Von dem ziemlich nahen Gletscher ertönte es hin und wieder wie ein Kanonenschuß; es waren Stücke, die sich loslösten und in die See stürzten. Wir ließen uns auf einer festen Scholle dicht am Rande des Wassers nieder und machten uns jeder aus einem abgebrochenen Schneeschuh, den wir an unsern Schneeschuhstöcken festbanden, ein Ruder, mit dem man etwas anfangen konnte, denn die Ruderblätter von Segeltuch erwiesen sich als schlechtes Handwerkszeug. Mit verbundenen Kajaks zogen wir auf dem herrlichen offenen Wasser weiter; nur schade, daß es zu bewölkt war, um eine Beobachtung anzustellen.

Als wir eine Weile am Gletscher entlang gerudert waren, mußten wir uns nach Norden wenden, weil wir auf festes Eis stießen. Es war vermuthlich eine Bucht zwischen dem ersten Gletscher und dem Lande mit den schwarzen Bergen. Diese erblickten wir, als es sich landwärts über dem Eise ein wenig lichtete. Seehunde sahen wir im Wasser genug, die Lebensmittel sind hier also nicht knapp. Am Morgen gegen 6 Uhr hatten wir zu rudern begonnen und hörten abends um dieselbe Zeit auf, da es zu regnen anfing, worauf wir unser Zelt auf dem festen Eise aufschlugen. Die Temperatur ist am Tage wie früher um 0° herum.

Am nächsten Tag segelten wir bei Nordwestwind 6 bis 7 Stunden mit nicht geringer Geschwindigkeit, mußten aber, bevor wir in offenes Wasser kamen, erst unsere Boote über einige Schollen ziehen, die sich im Laufe der Nacht vor den festen Eisrand gelegt hatten.

9. August. Das Segeln ist ein nasses Vergnügen; ich bin noch nicht trocken auf dem Leibe und habe über Nacht ein wenig gefroren; aber wir kommen schnell vorwärts, und so kehren wir uns nicht daran. Während der Segelfahrt war es nebelig, wir sahen also nicht viel; aber zum Schlusse klärte es sich plötzlich so weit auf, daß wir ganz dicht hinter der Eiskante, an der wir entlang segelten, ein neues Land sehen konnten, eine kleine, wie die beiden andern mit Eis und Schnee bedeckte Insel und ihr gegenüber weiter nach Südsüdwest noch ein Land, welches aber größer war. Jetzt haben wir also vier Inseln. Nansen hat sie später »Hvidtenland« getauft.

Wir zerbrechen uns den Kopf darüber, wo wir sind, denn je weiter wir gestern vorwärts kamen, desto südlicher ging der Kurs, und bald segelten wir in ausgesprochen südlicher Richtung in, soweit wir sehen konnten, offenem, breitem Fahrwasser dahin. Vielleicht sind wir doch an der Westküste; dann können wir ziemlich sicher annehmen, daß wir noch rechtzeitig genug nach Spitzbergen kommen, um dort ein Schiff anzutreffen. Sind wir auf der Ostküste, so ist dies jedenfalls eine tiefeinschneidende Bucht, und dann müssen wir wieder nordwärts, um weiterzukommen.

10. August. Wir waren gestern morgen oben auf dem »Kleinen Gletscher«. Es klärte sich so weit auf, daß wir von den Inseln, die wir bisher gesehen haben, eine Kompaßaufnahme machen konnten. Wir hatten uns auf einen kleinen Schneeschuhlauf den Gletscher hinunter gefreut, aber die Neigung war so gering und die Bahn so schlecht, daß es nicht ging. So takelten wir denn unsere Kajaks auf und segelten bei Sonnenschein und gutem Winde in offenem Fahrwasser, soweit der Blick reichte, von den vier Inseln fort.

Wir hatten es auf unserm Schiffe wirklich gemüthlich; wir aßen unser aus kaltem gekochtem Bärenfleisch und 80 Gramm Brot bestehendes Mittagessen, während der Wind uns weiterführte. Gegen Abend begegneten wir flachem Eise, das in starker Bewegung war. Die Strömung wendete sich gerade hier; wir mußten uns daher mit beiden aneinander festgebundenen Kajaks auf das Eis retten: die Eispressung war uns auf den Fersen. Um die Mittagszeit wurde beim Zelte eine Beobachtung angestellt, eine zweite wurde unterwegs gemacht. Wir zogen die Kajaks über eine ebene Scholle und kamen auf der andern Seite an Wasser, aber die Strömung war ziemlich stark, weshalb wir übereinkamen, das Zelt aufzuschlagen. Dies thaten wir denn, und nicht lange danach kam das Eis auch von der andern Seite heran und legte sich in dem Maße, wie der Zusammenprall erfolgte, mit einem Eisrücken an unsere Scholle. Aber es waren nur große Schollen, die gewiß etwas mit Land zu thun haben. Es kommt uns ein wenig mysteriös vor: offenes Wasser und ebenes Fjordeis, aber kein Land!

Am nächsten Tage zogen wir eine Strecke über flaches Eis und trafen dann offenes Wasser, das sich nach Süden und Südwesten erstreckte. An einer Stelle lag eine große Walroßgesellschaft auf dem Eise. Wir kümmerten uns nicht um sie, hatten wir doch für den Augenblick Lebensmittel genug. Ein unangenehmer hartnäckiger Nebel verhinderte den Umblick; auf gut Glück ruderten wir in einem Gewässer, das noch nie von Menschen besucht worden ist. Der Kurs ging schließlich direct nach Süden, und wir begannen aufmerksam umherzuspähen. Da sahen wir einen Eisrand, der sich später als Rand des landfesten Eises erwies, sich nach Westen hinziehen; später wurde er deutlicher sichtbar. Wir waren im Nebel in eine Bucht hineingerathen und mußten nun wieder hinaus, hatten aber jetzt die Strömung entgegen und mußten uns daher ans Land arbeiten und die Boote ziehen.

Ueberall, wo wir hier landen, sei es auf einer Scholle oder auf festem Eise, sehen wir eine Menge Bärenspuren. Rund um unsern gegenwärtigen Lagerplatz müssen eine ganze Anzahl Bären im Kreise getanzt haben. Wir erwarten eines schönen Tages Besuch von ihnen und haben für diesen Fall das Gewehr am Zeltstocke bereit stehen. Wenn wir nur endlich klar sehen könnten! Verzöge sich der Nebel, so würden wir ohne Zweifel in der Nähe Land gewahren und aus der Richtung, in der es sich hinzieht, müßten wir dann erkennen können, ob wir uns auf der West- oder Ostseite von Franz-Joseph-Land befinden. Doch bisjetzt sind wir noch immer so klug wie zuerst. Nach Süden kommen wir aber recht gut vorwärts.

Am 11. August, als Nansen an Land gegangen war, um sich von einem Eishügel aus über das Vorwärtskommen im offenen Wasser zu orientiren, tauchte plötzlich der unförmliche Kopf eines außergewöhnlich großen Walrosses auf. Es schnaubte und glotzte uns böse an.

»Sehen Sie sich den an, das ist ein tüchtiger Kerl«, sagte Nansen.

Dann tauchte das Walroß unter; Nansen ging wieder an Bord, und wir fuhren weiter. Plötzlich hatten wir es wieder dicht bei uns; es verschwand mehrere male und tauchte ebenso oft wieder auf, bis es schließlich unmittelbar neben den Kajaks war, sich im Wasser aufrichtete, schnaubte und seine ungeheuern Zähne zeigte. Wir fürchteten, es würde unsere gebrechlichen Fahrzeuge zertrümmern, und griffen nach den Flinten; da tauchte es wieder unter, erschien aber sofort von neuem dicht neben meinem Kajak. Ich jagte ihm eine Kugel in seine abscheuliche Fratze. Da stieß es ein Gebrüll aus, zappelte heftig und verschwand, während das Wasser sich roth färbte.

Hierauf ruderten wir weiter und hatten das Walroß bald ganz vergessen. Plötzlich fuhr ich von einem Stoße unter dem Boden meines Kajaks, der dieses ein Stück emporhob, in die Höhe, und im nächsten Augenblick erschien ein Kopf mit langen Zähnen so dicht neben mir, daß das Wasser in das Kajak spritzte. Im Nu die Flinten zur Hand; Nansen schickte ihm, da er es nicht in den Nacken schießen konnte, wo sonst der beste Punkt ist, eine Kugel in sein abscheuliches Gesicht, in welchem das von mir geschossene Kugelloch sichtbar war; glücklicherweise genügte das. Nun schwamm es todt auf dem Wasser.

Möven kamen herbei und kreisten in der Luft, während wir mit großer Mühe die zolldicke Haut aufschlitzten und uns ein wenig Speck und Fleisch abschnitten. Hierbei gerieth das Messer in die Lunge des Walrosses, die Luft strömte pfeifend heraus und das Wasser hinein; es wurde uns immer schwerer, das Thier mit den Rudern oben zu halten, und schließlich mußten wir es loslassen. Wir folgten ihm mit den Augen, wie es in Kreisen auf den Grund sank, während die Möven einen entsetzlichen Lärm machten, weil sie um ihren Antheil an der Beute betrogen worden waren.

Wir hatten in der letzten Zeit davon gesprochen, die Schlitten so zu verkleinern, daß wir je einen auf ein Kajak legen und dann die Kajaks einzeln rudern könnten, was ja viel schneller gehen mußte als mit den verbundenen Kajaks. Am Abend des 11. August hatten wir nur Eis und Nebel vor uns; wir ließen uns deshalb auf dem festen Eise nieder und machten uns daran, die Schlitten abzuschneiden und ordentliche Kajakruder zu verfertigen.

Während wir die Nacht hindurch mit dieser Arbeit beschäftigt waren, lichtete sich der Nebel, der bisher alles um uns herum so hartnäckig verhüllt und unsern Sinn bedrückt hatte, und nach und nach kam von Südost bis Westnordwest viel Land zum Vorschein, Länder mit Gletschern und blauen, jäh abstürzenden Bergen. Im Westen sah es beinahe wie ein Sund aus. Allmählich wurde der Nebelschleier beiseite gezogen, und mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgten wir von einem Eishügel in der Nähe die ganze Nacht hindurch die Enthüllung. Wol war es schön, so viel Land zu sehen, aber leider mußten wir eingestehen, daß wir es nun doch für die Ostküste hielten, und damit verschwand auch die Hoffnung auf Heimkehr in diesem Jahre.

16. August. Seit wir unsere Schlitten verkleinert haben, kommen wir einzeln in den Kajaks viel schneller vorwärts, aber wir haben nicht soviel wie bisher Gelegenheit gehabt, den Wasserweg zu benutzen. Wir haben unsere kurzen Schlitten viel ziehen müssen, doch schließlich geht es ja auch so recht gut. Gestern Nacht lagerten wir uns, ohne das Zelt aufzuschlagen und ohne zu kochen – ja, wir aßen nicht einmal, bevor wir uns niederlegten – und beobachteten die Strömung, die uns daran hinderte, zu Wasser vorzudringen. Aber die Strömung blieb unverändert, und wir mußten wieder weiterziehen. So ging es gestern den ganzen Tag ununterbrochen beschwerlich, wobei wir einen 16 Meter hohen Eisberg passirten, den wir vergeblich zu besteigen suchten. Endlich kamen wir an das erste Fleckchen schneefreier Erde, und heute Nacht haben wir auf Granitsand gelegen!

Es war ein seltsames, erhebendes Gefühl, den Fuß wieder auf festes Land setzen zu können, wirklich mit dem Fuße zu fühlen, daß es Land und nicht Eis war. Anfänglich traten wir fast vorsichtig auf, der Fuß liebkoste die harten Granitblöcke. Und dazu noch Moos und Blumen zwischen ihnen zu finden! Es war geradezu überwältigend! Wir setzten uns zwischen den Steinen hin und versanken in tiefes Sinnen. Wie merkwürdig ist doch dieses Land! Zur Ehre des Tages hißten wir unsere Flagge.

Im Westen haben wir einige Inseln mit verhältnißmäßig hohen Bergen, von denen wir das muntere Geschrei der Krabbentaucher hören.

In den letzten Tagen haben wir von kalten Speisen gelebt, da unser Petroleum zu Ende ist. Gestern kochten wir zwischen den Granitblöcken mit Speck eine gehörige Portion Labskaus und nahmen dazu unsere letzten getrockneten Kartoffeln.

Am Tage darauf machten wir uns nach der verlockenden Insel auf. Nansen ging voran, er wollte dort die Strandlinie messen. Als ich über die Scholle zog, sah ich einen Bären mir entgegenkommen; er näherte sich gleichmäßig rasch nach echter Bärenweise, indem er gegen den Wind aufkreuzte. Ich machte mich zu seinem Empfange bereit, doch ehe er noch in Schußweite war, blieb er stehen und schnüffelte vorsichtig in der Luft herum. Plötzlich machte er hastig kehrt und lief, so schnell er konnte, davon. Nach den Spuren zu urtheilen, an denen wir täglich vorüberziehen, muß es hier Bären in Menge geben.

Auf der Insel herrschte reges Leben: Schneeammern flogen zwitschernd von Stein zu Stein, Krabbentaucher zogen scharenweise nach und von den Rinnen; die belebende Munterkeit dieser kleinen Vögel ist ganz dazu geeignet, den Sinn zu erheitern. Die Mantelmöven, die, um ihre Jungen besorgt, hoch oben auf den schroffen Absätzen saßen, ließen ihre langgezogenen melodischen Flötentöne zu uns hinab erklingen. Unten am Fuße des Gebirges lag prächtiger rother Schnee. Es erschien uns zu herrlich, und wir kletterten daher mit dem photographischen Apparat den Berg hinauf. Den Gipfel ganz zu besteigen, blieb uns keine Zeit, da der Nebel wieder aufzuziehen begann, aber wir sahen doch die Wasserstraße, auf die wir lossteuerten, entlang und überzeugten uns, daß es dort Wasser genug gab, wenn auch einige große Schollen darin waren.

Wir stießen die Kajaks ab, konnten aber der Schollen und einer dünnen Eisschicht wegen nicht weit rudern und mußten also ziehen.

Endlich gelangten wir an die große offene Stelle, die sich von dem Sunde abzweigte und nach einem vor dem Lande befindlichen Eiskap führte.

Hinter jenem Kap lag gewissermaßen unser Schicksal: erstreckte sich von dort Land nach Süden, so mußten wir uns an der Westküste befinden, sahen wir aber noch Land in nordwestlicher Richtung, so mußte es die Ostküste sein.

Endlich erreichten wir das Vorgebirge. Das Land bog nach Süden ab, das Fahrwasser war gut. Wir waren froh, und es ging gut vorwärts; anfangs an Eiswänden vorbei, kamen wir dann an ein Bergland, einen ungemein scharfen Bergrücken von zerklüftetem Basalt, in dessen unzugänglichen Felsspalten Lummen und Krabbentaucher hausten. In der Mitte war ein Einschnitt mit jähen Abhängen auf beiden Seiten. Hier kletterten wir hinauf und betrachteten uns von dort den Weiterweg. Dabei sahen wir zwei Füchse um einen Vogel streiten, die Kerle litten sicherlich nicht an Schwindel.

Das Fahrwasser erstreckte sich noch mehr nach Süden. Obgleich wir müde und abgehetzt waren und es Zeit zum Rasten war, beschlossen wir doch, so lange zu segeln, als wir konnten, da ein vorzüglicher Segelwind wehte. Nachdem wir uns mit rohem Fleisch und Speck, Pemmikan und Brot gestärkt hatten, ging es weiter. Wir segelten, bis der Wind abflaute, und wurden dabei so schläfrig, daß wir im Sitzen einnickten; dann ruderten wir nach der Eiskante vor dem Lande und schlugen das Lager auf. Das Land wurde von Nansen »Kap Brögger« getauft.

24. August. Das Glück ist wandelbar. Das müssen wir in unserm wechselreichen Leben oft fühlen. Vor einer Woche hatten wir offenes Wasser zu unsern Füßen und waren voll Hoffnung auf Heimkehr in diesem Jahre. Jetzt haben wir eine Woche still gelegen und kommen nicht vom Flecke. Lebe wohl, schöne Hoffnung! Wir müssen uns wol darein finden, unser Leben hier noch eine Polarnacht zu fristen; sicher wird diese die schlimmste von allen werden!

Vor einer Woche ruderten wir hoffnungsvoll bei stillem klarem Wetter aus, das, von der Kälte abgesehen, einer Frühlingsnacht daheim nicht unähnlich war, und fanden gute Wege an dem neuen Lande entlang. Dann kamen wir an ein Vorgebirge, vor welchem einige kleine Inseln lagen, und hier war Eis. Ganz dicht am Lande, wo wir hindurchzukommen versuchten, konnten wir in dem Schlammeise und bei der dünnen Eisschicht nicht weiter; deshalb legten wir uns, ohne das Zelt aufzuschlagen, auf dem Eise nieder mit der Absicht, zu schlafen, die Flut abzuwarten und dann mit ihr weiterzukommen.

Doch bevor wir soweit gekommen waren, hatten wir noch ein Abenteuer mit einem Walroß.

Als wir in dem Eise ruderten, Nansen voran, ich hinterdrein, sah ich plötzlich, wie sich das Wasser unter Nansen's Kajak heftig bewegte und das Kajak emporgehoben wurde; ich glaubte, es sei ein Eishügel, der während Nansen's Vorbeirudern gerade »gekalbt« habe, aber ich hatte kaum ein paar Ruderschläge gethan, als ein mächtiges Walroß nahe am Buge des Kajaks auftauchte, die langen Zähne schüttelte und vor Bosheit schnaubte. Ich sah scharf nach ihm hin und griff nach der Flinte, die ich unten im Kajak liegen hatte. Das Walroß tauchte unter und erschien auf der andern Seite vor mir wieder.

Zum Glück war ich nicht weit von einer Scholle entfernt. Ich ruderte nach dieser hin, kletterte aus dem Kajak und freute mich, festes Eis unter den Füßen zu fühlen. Mit der Flinte in der Hand wartete ich darauf, dem Walroß einen guten Schuß geben zu können. Da schwamm es von mir fort und zu Nansen hin, der auch angelegt hatte und im Begriffe war, das Kajak zu verlassen. Gerade wollte er aussteigen, da brach der Eisrand unter ihm. Ein Glück war es, daß das Walroß nicht in diesem Augenblicke kam. Dann schwamm das Thier eine Weile von einem Kajak zum andern, während wir zu Mittag aßen, und verschwand schließlich spurlos.

Wir legten uns darauf ohne Zelt auf der Scholle hin, um zu schlafen und auf bessere Zeiten zu warten. Aber nun weckte uns der Wind, der sich gedreht haben mußte, denn wir hatten jetzt keinen Schutz mehr. Dichtes Blockeis drängte sich um uns herum, wir selbst waren auf der kleinen Scholle, die sich vom Landeise losgelöst hatte, ins Treiben gerathen: ein unangenehmes Erwachen; ich hatte gerade geträumt, ich äße daheim in einem Garten Kirschen. Nun galt es, in aller Eile über Schollen auf das feste Eis zu flüchten. Seitdem haben wir eine traurige, ungemüthliche Zeit voll düsterer Aussichten verlebt. Drei Tage darauf schoß Nansen vom Zelte aus einen Bären. Er war ganz dicht bei uns und hätte sehr ungemüthlich werden können, wenn er bösartig gewesen wäre; aber er bedachte sich und kehrte um. Wir lagen beide wach im Sacke, als Nansen es draußen rascheln hörte. Er guckte durch ein Loch in der Zeltwand und erblickte den Burschen; sofort griff er nach der Flinte und schickte ihm durch das Loch im Zelte eine Kugel gerade in die Brust. Petz fiel, erhob sich aber wieder und wollte sich forttrollen, da erhielt er eine Kugel in die Seite und schleppte sich im Todeskampfe in fürchterliches Eis, wo er an einem für uns sehr schlechten Platze liegen blieb. Der Bär kam uns gerade recht; wir hatten nicht mehr viel Fleisch, und er war ein außergewöhnlich großer Kerl.

Daß wir während der Fahrt bisher keine Seehunde geschossen hatten, bereuten wir; sie waren in Menge vorhanden. Eines Tages sah ich eine ganze Schar schwarzer, die ich von früher noch nicht kannte. Lautlos tauchten sie einer nach dem andern auf. Nansen sagte mir, es seien junge grönländische Seehunde.

Wir kamen dann an Land, ein abscheuliches Land, das Nansen »Kap Holland« genannt hat, mit wol einzig dastehendem zerrissenem und aufeinandergeschobenem Eise davor. Dort sahen wir uns nach einem Platze um, wo wir überwintern könnten; doch als wir wieder gingen, wünschten wir beide, es möchte das erste und letzte mal gewesen sein, daß wir dieses Land betreten hatten. Der Südwest hat Tag und Nacht in gleicher Stärke angehalten, und wir haben für das Zelt schlechten Schutz.

Am 24. August hatten wir den Wind von der entgegengesetzten Seite, aus Nordosten, und stärker als je. Das Eis ist zwischen uns und dem Lande geborsten, wir sind also nicht auf festem Eise; die Rinne wird beständig größer, wir treiben immer mehr ab. Wir können die Kajaks nicht ins Wasser bringen, das der Sturm hoch über den Eisrand hinaufpeitscht. Vorläufig müssen wir vom Lande abtreiben, es mehr und mehr verschwinden sehen und mit dem Treibeise in die offene See gehen.

26. August. Für den Augenblick sind wir auf festem Eise dicht am Lande wieder in Sicherheit, eine gute Strecke über »Kap Athos« hinaus, wie wir das Vorgebirge nennen, das zu passiren wir uns soviele Tage gesehnt haben.Als wir uns abmühten, dieses Vorgebirge zu erreichen, nannten wir es »Kap Athos«. Später hat ihm Nansen keinen Namen gegeben, da die englische Expedition unter Jackson dieses Vorgebirge 1895 entdeckt hatte, ehe wir es sahen.

Am 25. kamen wir vom Treibeise los; vorher war der Wind heftiger, als wir ihn je gehabt haben. Es war unmöglich, Schutz für das Zelt zu finden. Als wir uns ein paar Stunden hinlegten, nachdem wir uns den Kopf darüber zerbrochen hatten, wie es wol über Nacht werden würde, konnten wir das Zelt nicht aufschlagen, sondern mußten es über uns legen. Sobald wir aber merkten, daß der Wind sich legte, standen wir auf, um abzufahren. Doch kaum waren wir dabei und hatten die Boote an den Rand des Eises gezogen, als der Sturm in der gleichen Heftigkeit wieder anfing; er führte nun auch zu unserm großen Nachtheile viel loses Eis von der Landseite mit sich.

Stundenlang wanderten wir am Rande des Eises hin und her, immer danach spähend, daß wir abfahren könnten. Nansen ging zuerst hinaus, um zu erproben, wie sich das Kajak bei so hoher See machte. Er kam mit knapper Noth durch das lose Eis. Das Kajak hielt sich gut, und als Nansen wieder anlief, machte auch ich eine Probefahrt. Diese verlief ebenfalls gut. Nun kam auch Nansen wieder hinaus, und wir ruderten ab.

Es zeigte sich jedoch, daß wir auf diese Weise nicht durchkommen konnten, denn die Kajaks waren vorn durch das mitgenommene Fleisch zu sehr belastet und so luvgierig, daß wir nur das eine Ruderblatt gebrauchen durften und nicht von der Stelle kamen. Wir landeten also auf einer Scholle, verzehrten unser Mittagessen und takelten zum Segeln auf. Da sich der Wind ein wenig gelegt hatte, glaubten wir, es mit einem Segel versuchen zu dürfen. Dann segelten wir recht lange in dem hohen Seegange. Nansen steuerte, und ich machte ihn auf die Wellen, vor denen er abfallen mußte, aufmerksam. Es war ohne Zweifel eine merkwürdige Segelfahrt; ich war sogar ein wenig seekrank.

Wir fürchteten, unsere Fahrzeuge würden es nicht aushalten, besonders, als wir uns erdreisteten, Doppelsegel aufzuziehen, und eine Bö kam, die uns zwang, in aller Hast die Doppelsegel wieder einzuziehen. Wir wurden mit unsern Sachen gründlich naß und mußten den Schlafsack auswringen, als wir das Zelt aufschlugen, aber vorwärts kamen wir, und das war die Hauptsache.

Wir waren froh, als wir ins Zelt kriechen konnten, obwol wir pudelnaß waren und auch zum Lager nichts Trockenes hatten. Heute Nacht hat ein heftiges Schneetreiben geherrscht und Zelt und Sack sind wieder durchweicht; ich mußte in der Nacht aufstehen und meine Ueberstrümpfe auswringen, der Sack lag in einer Pfütze.

Welch reizenden Lagerplatz wir hatten, sahen wir am Morgen, als wir den mit glatten Steinen bedeckten Abhang hinaufkletterten, um uns umzusehen.

Das Gestein hinter uns bestand aus Basalt; es ragte in spitzen, schlanken Säulen in die Luft, auf denen eine Menge Vögel, Krabbentaucher und Möven, entsetzlichen Spektakel machten, der zwischen den zerklüfteten Felsrippen um vielfaches verstärkt klang. Vor uns war im Laufe der Nacht Eis angetrieben, aber weiter hinten führte offenes Wasser nach einem Vorgebirge in ungefähr Süd zu West; es sah aus, als erstrecke sich hier ein großer Fjord nach Osten. Hinten im Westen lag Eis; dort sahen wir in der Ferne einige Inseln, doch war die Luft nicht ganz klar.

29. August. Am 26. abends verließen wir unsern Lagerplatz bei dem hohen Basaltgebirge mit seinen Vögeln. Wol sah es mit unserm Weiterkommen böse aus, aber wir konnten uns doch bis in freies Wasser durchwinden und richteten den Kurs auf das Vorgebirge in Süd zu West. Da sich Segelwind einzustellen schien, liefen wir eine kleine Insel in unserm Fahrwasser an und setzten die Segel, doch als wir wieder ausliefen, kam hin und wieder schwacher Gegenwind. Wir ruderten also getrennt.

Die Nacht über blieb es still. Aber bald erhob sich der Südost, und zwar so schlimm, daß wir auf das Land zu abhalten mußten. So kamen wir dahin, wo wir jetzt sind.

Als wir angelegt hatten, machte Nansen einen Spaziergang am Ufer entlang, kehrte aber sofort zurück und fragte mich, ob ich einen Bären schießen wollte, es käme gerade einer angezottelt.

»Ja, gern will ich es!«

Wir kauerten uns hinter den Kajaks am Ufer nieder, und siehe da, er kam rasch auf uns zu. Er blieb stehen und beschnüffelte nicht weit von uns Nansen's Fußspuren. Bums! erhielt er eine Kugel in den Leib und blieb liegen. Er war aber noch nicht tödlich getroffen, nur das Rückgrat war durchschossen, sodaß der Unterkörper lahm geworden war und keine Dienste mehr that. Mit den Vordertatzen wühlte er im Schnee und wollte fort, aber der Hinterkörper wollte nicht mit; er setzte sich nieder und biß sich tief in die gelähmten Hinterbeine, nachdem er erst vergeblich versucht hatte, sich in die Wunde zu beißen. Er brummte und schielte nach uns, die wir ganz in der Nähe standen; dann erhielt er eine Kugel in den Kopf, und alles war vorbei. Es war eine außergewöhnlich fette junge Bärin; von ihrem Fleische haben wir seitdem gelebt, und ihr Fell ist unser Lager gewesen.

Es gibt hier eine Menge Walrosse; sie haben in der Nähe auf dem Eise einen Versammlungsplatz. Dort liegen und grunzen, kämpfen und schlafen sie tagelang, sicher in ihrer eigenen Größe. Sie fürchten nichts, weder Bären noch andere Thiere, um wie viel weniger den Menschen, den sie nie gesehen haben!

Als wir in der letzten Nacht im Zelte lagen, erwachten wir über einem wunderlichen jammernden Geschrei, das draußen, wo das Bärenfleisch lag, erscholl, und als wir nachsahen, erblickten wir eine Bärin mit einem Jungen, die offenbar den Verlust ihrer Kameradin beklagte. Nansen ergriff die Flinte, aber wachsam, wie diese Thiere sind, merkten sie, daß wir da waren, und liefen fort.

Es scheint hier Lebensmittel in Hülle und Fülle zu geben.

Heute haben wir das Zelt verlassen, das bei dem Winde, der in der letzten Zeit so heftig geweht hat, nur wie ein dünner Schleier ist und gar keinen Schutz spendet, und sind in eine Steinhütte gezogen, die wir nachts gebaut haben; Segel und Zelt sind das Dach.


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