Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Zweites Kapitel.

Nach Norden.

Vardö und seine freundlichen Bewohner werden stets in meiner Erinnerung haften, außer den vielen gemeinschaftlichen Erlebnissen auch durch eine kleine Episode, in der ich selbst die Hauptrolle spielte. Es hätte eigentlich eine recht ernste Geschichte werden können, aber glücklicherweise endete sie mit einem herzlichen Gelächter.

Während wir vor Anker lagen und die »Fram« von außen am Schiffsboden abgekratzt wurde, kam natürlich eine Menge Besucher an Bord, die Lust hatten, das »Wunderthier« von innen zu besehen und sich von seiner Haltbarkeit zu überzeugen. So kamen denn auch zwei Damen, zwei wirklich niedliche junge Damen, und fragten, ob sie das Schiff besehen dürften.

»Ja gewiß, bitte, treten Sie näher!«

Ob sie auch in den Salon hineingucken dürften?

»Ja, natürlich! Bitte, meine Damen!«

Und ich machte als höflicher Cavalier ein Paar Schritte rückwärts nach der Salonthür, öffnete sie, sagte: »Bitte sehr«, trat selbst noch einen Schritt zurück – einen verhängnißvollen Schritt –, fiel, pardautz, durch eine offenstehende Luke und verschwand zum unaussprechlichen Erstaunen der Damen in der Tiefe. Wenn irgendwo, so könnte man hier in des Wortes verwegenster Bedeutung von »einem Verschwinden wie eine Pflaume im Rum«Im Norwegischen ein Wortspiel: rum, der Rum und der Schiffsraum. sprechen.

Nun wohl! Meine Rolle als »Orpheus in der Unterwelt« hätte, wie gesagt, auch ein Ende mit Schrecken nehmen können. Denn es war eine recht respectable Höhe zum Hinunterfallen – und besonders so unerwartet zu fallen –, und der Raum dort unten war mit allen möglichen Gegenständen vollgestaut, mit denen der menschliche Corpus seiner Construction nach eigentlich nicht auf heftige Weise in Berührung kommen darf. Aber glücklicherweise waren dort einige Treibriemen, die das Aergste abhielten, und ich kam, von einigen Beulen und Hautabschürfungen abgesehen, mit dem bloßen Schrecken davon.

Natürlich war ich nachher die Zielscheibe des Spottes und der Witze der andern, so geht es ja immer in dieser bösen Welt! Aber ich hielt sie mir nach Kräften vom Leibe und meinte, ich sei an Bord der »Fram« doch der Einzige, der ihr auf den Grund gegangen sei. Aber trotzdem dauerte es recht lange, ehe sie aufhörten, zu sticheln und von meinem »tiefen Falle« zu reden.

Bei der Abreise von Norwegen bestand die Besatzung der »Fram« aus 14 Mann mit Einschluß von Dr. Nansen's Secretär, des Journalisten Christofersen, der uns nach Chabarowa begleiten sollte, um von dort mit der Jacht, die beauftragt war, uns dorthin noch einen Kohlenvorrath zu bringen, wieder nach Hause zu fahren.

Obgleich es vielleicht überflüssig sein dürfte, will ich doch der Genauigkeit wegen hier die Namen aller eigentlichen Mitglieder der Expedition nennen. Sie bestand außer Dr. Nansen und Kapitän Sverdrup aus Folgenden: Premierlieutenant Sigurd Scott-Hansen als Leiter der meteorologischen, astronomischen und magnetischen Beobachtungen; cand. med. Henrik Blessing als Arzt und Botaniker; Theodor Jacobsen als Steuermann, und Anton Amundsen als erster Maschinist. Dann kamen Anton Juell als Proviantverwalter und Koch; der Schwede Lars Petterson (nicht Pettersen)Petterson hatte Nansen gesagt, er sei von norwegischen Eltern in Schweden geboren. Dies verhält sich jedoch nicht so; er mußte uns – nachdem ihm verschiedentlich sehr zugesetzt worden war – schließlich bekennen, daß auch seine Eltern Schweden seien. als zweiter Maschinist; der Reservelieutenant Hjalmar Johansen anfangs als Heizer und später als meteorologischer Assistent; Peder Hendriken als Harpunierer; meine Wenigkeit hauptsächlich als Elektrotechniker; Ivar Mogstad als »alles Mögliche«, und schließlich Bernt Bentsen in seiner Eigenschaft als erfahrener Eismeerschiffer.

Endlich aber darf ich nicht vergessen, unsern treuen vierfüßigen Theilnehmer an der Expedition, Nansen's Hund »Kvik«, zu nennen.

»Kvik« hieß das Thier, und quick, flink, war es auch. Es stammte entschieden von der Rasse der grönländischen Hunde ab und war Nansen in Kopenhagen geschenkt worden. Es wurde der Hündin anfangs schwer, sich an die Wechselfälle des Seelebens zu gewöhnen, und wenn das Schiff auf den blauen Wogen schaukelte, war sie gar nicht damit zufrieden, daß es in dieser Welt beständig auf und nieder geht. Aber sie war klug und gelehrig, und es dauerte gar nicht lange, bis sie ebensowol die Situation beherrschte, wie ihre Aufgabe verstand, laut zu verkünden: »Unbefugten ist der Zutritt nicht gestattet«. Sie fing bald an, hierin beinahe zu »preußisch« zu werden, und als wir auf unserer Küstenfahrt in den verschiedenen Häfen anlegten, mußten wir sie sogar anbinden, natürlich unter lautem, tiefempörtem Protest ihrerseits.

Am Nachmittag des 21. Juli verschwand der letzte bläuliche Schimmer der norwegischen Gebirge unter dem Horizonte. Wir standen alle an der Rehling und sahen ihrem Entschwinden voll eigenthümlicher Bewegung zu. Das Wetter war schön, nur hin und wieder ein wenig nebelig. Schon hier fingen wir an, die Temperatur des Wassers in verschiedenen Tiefen zu messen. Am 25., um 10 Uhr vormittags, konnten wir von der Ausgucktonne auf dem Großmaste durch das Fernrohr Land erblicken. Der Wind wurde gegen Abend zu einer starken Kuhlte, die die »Fram« jetzt aber mit verhältnißmäßiger Ruhe über sich ergehen ließ. Das Land, das wir erblickt hatten, war die Küste von Nowaja Semlja, und wir richteten unsern Kurs nun nach Osten durch die Jugor'sche Straße auf Chabarowa zu.

Zwei Tage darauf stießen wir auf das erste Eis und erlitten dadurch ziemliche Verspätung. Nachdem wir vergeblich versucht hatten, zwischen den Schollen hindurchzukreuzen, blieb uns nichts weiter übrig, als uns in Geduld zu fassen. Wir vertrieben uns inzwischen die Zeit damit, von der Rehling aus auf Seehunde zu schießen, machten aber selbstverständlich keine Beute.

Erst am nächsten Tag konnten wir weit in der Ferne offenes Wasser erblicken. Wir heizten also tüchtig an und versuchten, uns hindurch zu zwängen. Nun ja, es ging allerdings, aber natürlich nicht schnell, und wir brauchten den ganzen Tag und die Nacht dazu, ehe wir wieder in offenes Fahrwasser kamen.

Endlich, am nächsten Abend, gingen wir in Chabarowa vor Anker und machten die Bekanntschaft der Bewohner des nördlichsten europäischen Sibiriens, sowol die der eigentlichen Eingeborenen, der Samojeden, wie die der vielen russischen Kaufleute, welche mit den erstern einen weitverzweigten, sehr einträglichen Tauschhandel treiben.

Hier erwartete uns Trontheim mit 35 Hunden, welche der sich für die Fram-Expedition so lebhaft interessirende russische Baron von Toll aus dem Innern des Landes hierher gesandt hatte. Volle sechs Monate war Trontheim mit seiner Hundekarawane unterwegs gewesen, war ungefähr einen Monat früher als wir eingetroffen und hatte hier ein Lager aufgeschlagen, um unsere Ankunft zu erwarten. Als wir ankamen, wehte die norwegische Flagge über seinem Lager.

Nun sollten wir diese ganze Hundekolonie an Bord bringen; dies war aber eine mühselig Arbeit. Ihre Majestät »Kvik« war ebenso verblüfft, wie beleidigt, als ihr diese uncivilisirte Bande auf den Hals geschickt wurde, und zog sich vornehm von dem Vorderdeck, ihrer bisherigen Residenz, nach dem ersten Platz zurück, ließ sich auch durchaus nicht herab, die Neuangekommenen zu begrüßen, sondern betrachtete sie mit überlegener Verachtung als das, was sie wirklich waren, nämlich als »Pöbelpack« und »gemeinen Mob«.

Diese abweisende Haltung beobachtete sie während der ganzen Reise, und es war merkwürdig genug, daß, wenn auch die sibirischen Hunde, das »Pack«, sich untereinander noch so sehr rauften – und raufen thaten sie früh und spät und zwar so, daß es eine Art hatte –, sie sich doch von »Kvik« stets in ehrfurchtsvoller Entfernung hielten und sich nie erlaubten, sie anzufallen.

Während wir hier auf die Jacht warteten, die uns Kohlenvorrath bringen sollte, benutzte ich die Zeit, um von der Tonne eine elektrische Signalleitung nach dem Maschinenraume anzulegen und die elektrischen Batterien für den Gebrauch in Stand zu setzen. Während ich mit einigen andern hiermit beschäftigt war, nahmen ein paar der übrigen Kameraden wieder eine Kesselreinigung vor. Außerdem mußte ja auch immer jemand auf die Hunde passen, fürwahr nicht die leichteste Aufgabe, die einem mehr als genug zu schaffen machte. In dieser Zeit wurde Tag und Nacht, Sonntag wie Werktag gearbeitet, sodaß wir wirklich sehr angestrengt wurden.

Der ganze Juli war vergangen, und da wir auch am 2. August noch nichts von der Kohlenjacht sahen, entschloß sich Nansen, nicht länger auf sie zu warten und sich mit dem vorhandenen Kohlenvorrathe zu begnügen. Infolge dessen wurden am nächsten Morgen alle Mann früh aus den Federn geholt und beim Kohlenschaufeln sowie beim Trimmen der Kohlen von dem Großraum nach den Kohlenbunkern angestellt. Es ging im Handumdrehen, als hätte keiner von uns im Leben je etwas anderes gethan. Wir waren schon mittags um 12 Uhr fertig. Ich heizte den Kessel an, und gegen 4 Uhr hatten wir Dampf auf.

Nun mußten wir nicht nur dem gutmüthigen Trontheim die Hand zum Abschied drücken, sondern auch Nansen's Secretär Christofersen Lebewohl sagen und ihm unsern Dank aussprechen für all die angenehmen Tage, die er uns durch sein aufrichtiges, geselliges Wesen und seinen heitern Sinn bereitet hatte. Durch ihn sandten wir unsern Lieben daheim die letzten Grüße und Nachrichten, die letzten, bevor wir im Ernst den Kurs nach den unbekannten, von Menschen bisher noch nicht durchkreuzten Gewässern und Eisfeldern des Polarmeeres richteten.

Um 12 Uhr nachts lichteten wir die Anker und steuerten langsam aus der Jugor'schen Straße, dem Thore des Karischen Meeres, hinaus. Nansen selbst fuhr mit Scott-Hansen im Petroleumboote voraus, um das Fahrwasser zu untersuchen.

Um in Hinsicht auf die nicht eingetroffene Kohlenzufuhr mit dieser für uns so kostbaren Waare so sparsam wie möglich umzugehen, begannen wir zum ersten mal mit der Theerölheizung. Wir fanden diese Methode jedoch nicht gerade zweckmäßig, und es wurde beschlossen, nur im alleräußersten Nothfalle wieder dazu zu greifen.

Es vergingen nun Tage und Wochen, in denen wir alle einem Barometer glichen, worin die Laune das Quecksilber und die Fortschritte der »Fram« der Luftdruck waren, und man konnte so genau wie von einem Zifferblatt uns vom Gesichte »den Barometerstand ablesen«.

Laßt mich deshalb, um meine Leser nicht durch unnöthige Wiederholungen zu ermüden, hier nur kurz erzählen, wie unsere Reise sich vom Verlassen Chabarowas bis zu unserm ersten Winterhafen gestaltete.

Schon am 6. August mußten wir an der Eiskante anlegen, kamen aber in derselben Nacht wieder los und steuerten mit vollem Dampf auf das Jalmal-Land zu, wobei wir uns der Segel und des Dampfes bedienten. Am 15. passirten wir die Mündung des Ob und entdeckten am 18. auf 74° 40' nördlicher Breite und 80° östlicher Länge eine neue, auf der Karte bisher noch nicht angegebene Insel, die nach Kapitän Sverdrup getauft wurde, weil er sie zuerst erblickt hatte. Dann wurde die Reise ein Paar Tage an der Küste entlang fortgesetzt, ohne daß wir Eis sahen oder Hindernisse antrafen. Erst am 28. stießen wir gegen die Eiskante und mußten uns wieder in Geduld fassen.

Das Wetter war die ganze Zeit über unfreundlich, Regen und Schneegestöber wechselten unaufhörlich ab. Nicht allein unsere eigene Laune litt unter dem trüben, feuchtkalten Himmel, auch die Hunde wurden so davon angegriffen, daß zwei starben. Besonders der eine dieser – »Melchi« war sein Name – that uns sehr leid. Er war so treu und gesellig und war unser aller Liebling gewesen.

Am 4. September befanden wir uns vor den Taimyr-Inseln, wo Johansen, Juell und ich Ordre erhielten, Nansen auf einer Expedition zur Untersuchung der Eis- und Tiefenverhältnisse zu begleiten, da anzunehmen war, daß wir auf diese Weise an dem Eisgürtel, der uns im Wege war, vorbeikämen.

Es war ein trübseliger Ausflug. Wir zogen vormittags 9 Uhr in starkem Schneetreiben zu Boot von der »Fram« aus und mußten abwechselnd rudern und uns mit Stangen weiterschieben, manchmal das Boot sogar über die Eisschollen ziehen. Es galt, soweit wie möglich nach Norden vorzudringen.

Als Proviant hatten wir Brot, getrocknetes Renthierfleisch und Kaffee mitgenommen, in der Eile aber die Butter vergessen, und da wir weder Holz hatten, noch solches fanden, blieb auch der gepriesene Kaffee, dessen wir so sehr bedurft hätten, ein schönes Phantasiegebilde, das leider weder die trockenen Brotscheiben verdaulicher, noch den durch Mark und Bein dringenden eiskalten Schnee wärmer machen konnte.

War der Hinweg anstrengend gewesen, so wurde die Heimfahrt es nur noch mehr. Denn jetzt hatten wir außer den Eishindernissen auch noch Wind und Strömung gegen uns. Und obendrein frischte der Wind noch zu einer so steifen Kuhlte auf, daß wir alle unsere Kräfte aufbieten mußten, um überhaupt vorwärts kommen zu können. Nansen war dafür, daß wir auf einer der Inseln übernachteten, aber ein Staatsrath wurde abgehalten und darin beschlossen, daß wir weiter rudern und nicht eher nachlassen sollten, als bis wir das feste Deck unsrer theuern »Fram« wieder unter den Füßen hatten.

Nach einem gewaltigen Ringen mit allen bösen Mächten des Eismeers gelangten wir morgens um 2 ½ Uhr gesund und glücklich wieder bei der »Fram« an. Doch ein fünfzehn- bis sechzehnstündiges Rudern solcher Art ist wahrhaftig kein Spaziergang in der Karl-Johann-Promenade in Christiania, und deshalb war es auch ein unbeschreiblicher Genuß, nach den erduldeten Strapazen etwas Ordentliches zu essen zu bekommen, heißen Kaffee zu trinken und dann in die Koje zu gehen, um sich einem wohlverdienten Schlafe hinzugeben.

Die starke Brise hatte aber auch etwas Gutes für uns gebracht. Sie hatte das Eis aufgebrochen, sodaß wir am 6. nachmittags wieder die Anker lichten und aus der Inselgruppe hinausgehen konnten. Dann fuhren wir eine Weile mit tadelloser Geschwindigkeit an der sibirischen Küste entlang.

Das Wetter mußte man für diese Jahreszeit so hoch im Norden wirklich ganz leidlich nennen. Hin und wieder stießen wir freilich auf Eis, aber es war doch nicht so schlimm, daß die »Fram« mit ihrem starken Bug es nicht mit Hülfe einigen Kreuzens hätte überwinden können.

Am 9. September passirten wir Kap Vega und den Morgen darauf Kap Tscheljuskin. Das Barometer unserer Laune stieg in diesen Tagen so enorm, daß wir uns vor lauter Munterkeit fast nicht zu lassen wußten, und das letzte Ereigniß, die Anpeilung von Kap Tscheljuskin, wurde sogar mit einem Grog gefeiert, für uns ein riesiger Luxus.

Schon am 18. passirten wir die Neusibirischen Inseln und konnten hoffen, Sannikoff-Land im Laufe der nächsten Tage zu Gesicht zu bekommen. Am 20. hatten wir uns dem 78. Grade nördlicher Breite genähert und stießen gleichzeitig wieder auf die feste Eiskante.

Hier sandten wir eine Flaschenpost ab, allerdings ohne sonderliche Hoffnung, daß sie je civilisirte Gegenden erreichen würde. Wir schrieben kurze Notizen über die Fahrt und unser eigenes Befinden nieder und steckten sie in festverkorkte, gut versiegelte leere Flaschen, die dann ins Meer geworfen wurden. Scott-Hansen und ich fungirten dabei als Postmeister.

Aber da lag immer noch die Eiskante und versperrte uns den Weg. Der Wind war nördlich, das Wetter gut, und wir kreuzten mehrere Tage am Eisrande entlang, um womöglich irgendeine Oeffnung zu entdecken, durch die wir uns hätten weiter nach Norden zwängen können. Aber nein, der Eisgott wollte uns auch nicht eine einzige Thürritze öffnen. Dafür waren wir aber schon am 24. auf allen Seiten von festem Eise umschlossen und erblickten, soweit das Auge reichte, nirgends offenes Wasser. Sollten wir wirklich schon hier in unserm ersten Winterquartier angekommen sein?

Ja, so war es auch! Am 25. September lagen wir fest vertäut im Eise und begannen, unsere Vorbereitungen für die bevorstehende lange Winternacht zu treffen.

Dies sind, kurz zusammengefaßt, die Meilensteine dieses Theils unserer Reise, des ersten Sommers.

Jedesmal, wenn uns das Eis am Weiterkommen hinderte und die »Fram« auf dieser zwei Monate langen Fahrt längs der sibirischen Küste unthätig still liegen mußte, benutzten wir jede wirkliche oder sich unserer Meinung nach bietende Gelegenheit, durch Jagdausflüge oder dergleichen Abwechselung in die Einförmigkeit des Schiffslebens zu bringen, wenn wir die Zeit nicht zur Kesselreinigung und andern großen Scheuerfesten benutzten. So fuhr Nansen, als wir bei den Kjellman-Inseln lagen, mit sieben Mann ans Land, um dort Bären und Renthiere zu jagen. Drei von ihnen kehrten am Tage darauf mit der Nachricht zurück, daß sie zwei Eisbären und zwei Renthiere geschossen hätten; wir müßten nun die Anker lichten und näher ans Land heranfahren, damit sie die Jagdbeute an Bord bringen könnten.

Wir gingen so nahe, als die Tiefe es gestattete, und erblickten gegen 6 Uhr das Boot mit den Jägern. Sie hatten den Seegang und die Strömung gegen sich. Wir warfen eine Rettungsboje an einem langen Taue aus, damit der Wind sie zu ihnen hintriebe, und endlich gelang es ihnen auch, sie zu ergreifen. Bis auf die Haut durchnäßt, hungrig und ausgefroren, kamen sie nach großer Anstrengung und vielen Strapazen wieder an Bord.

Doch nun galt es, das Wild zu bergen; sie hatten nämlich die beiden Renthiere nicht mitnehmen können. Am andern Morgen um 8 Uhr bat mich Sverdrup daher, ihn ans Land zu begleiten, wo wir einerseits das erlegte Wild abholen, andererseits aber weitere Renthiere und einen Eisbären, der sich am Strande gezeigt hatte, aufspüren wollten.

Ich, der noch nie eine so vornehme Jagd mitgemacht hatte, nahm das Anerbieten natürlich mit Freuden an, und gegen 10 Uhr zogen wir – Sverdrup, Scott-Hansen, Bentsen und ich – mit Flinten, Geräthschaften und Proviant wohl ausgerüstet auf unser Abenteuer aus. Wir trugen Anzüge und Stiefel von Seehundfell und sahen, als wir an Land gingen, wie echte Samojeden aus.

In Betreff der Jagdbeute mußten wir freilich mit langer Nase abziehen. Wir durchquerten die ganze Insel, aber es ließen sich weder Renthiere noch Eisbären sehen, und wir mußten uns damit begnügen, eine praktische Lösung der Frage zu suchen, wie die Beute des vorigen Tages, die beiden Renthiere, an Bord zu transportiren sei.

Vor dem ersten der Thiere, auf das wir stießen, wurde diese Frage mit großem Ernste discutirt; denn die Sache war wirklich keineswegs so einfach, wie sie vielleicht Fernstehenden erscheinen möchte. Das große Thier nach dem Boote tragen? Ja, auf andere Weise ging es nicht; aber woher sollten wir eine Tragbahre nehmen? Denn anders ließ es sich ja von uns unmöglich so weit schleppen.

Hier war guter Rath theuer. Wir mußten das Thier entweder zerlegen, oder einer von uns mußte es allein tragen.

Nach langer Berathung wurden wir einig, daß Bentsen sich zu einer Art lebender Tragbahre hergeben sollte. Er legte sich der Länge lang auf die Erde, mit dem Rücken gegen das Renthier; dann wurden sie beide miteinander ordentlich »copulirt«, worauf wir dem neuen »Ehepaare« mit vereinten Kräften wieder auf die Beine halfen. Bentsen marschirte, rechts von Sverdrup, links von mir gestützt, unter großer Heiterkeit mit seiner Ehehälfte auf dem Rücken tapfer darauf los. Aber der Weg führte über Steingeröll und Moorgrund, und nach ungefähr 20 Minuten wurde die Bürde Bentsen trotz seiner Bärenstarke denn doch zu schwer.

Nun mußten wir das Renthier zerlegen, worauf wir beide, Bentsen und ich, je eine Hälfte nach dem Boote trugen. Die andern Theilnehmer dieser Expedition suchten indessen das andere Renthier auf und behandelten es auf dieselbe Weise. Obwol es noch eine ordentliche Anstrengung kostete, erreichten wir doch endlich mit unserer Last das Boot und brachten sie darin unter. Auch dies geschah mit gar nicht geringer Mühe, da das Boot erst in tieferes Wasser gebracht werden mußte, denn sonst hätte es mit seinem so erheblich vermehrten Ballast auf dem Grunde festgesessen. Wir mußten bis zu den Hüften im Wasser waten, sodaß es uns ins Gesicht spritzte, und nachher wieder angestrengt gegen Wind und Strömung anrudern, ehe wir wieder an Bord anlangten, wo wir die Kleider wechseln und unsere Strapazen über einer Tasse heißen Kaffees und einem Pfeifchen vergessen konnten.

Wir sahen auch später nichts von dem Eisbären, der am Morgen trügerische Hoffnungen in uns erweckt hatte.

Erst als wir das Winterlager bezogen hatten, dann aber schon am nämlichen Tage, 25. September, machte uns der König des Polareises den ersten eigentlichen Besuch; er verzog sich aber sofort, ehe wir uns ihm auf Schußweite nähern konnten, sodaß diesmal auch nichts aus dem Jagdvergnügen wurde.


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