Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Fünftes Kapitel.

In der ersten Polarnacht.

Wir studiren darüber, ob nicht irgendwo in der Nähe Land ist. Der Eisbär tritt hier häufig auf, einen Polarfuchs haben wir auch schon gesehen; unserer Meinung nach läßt dies auf Land schließen – aber wir können gar nichts davon sehen.

Tagsüber bin ich jetzt bei Scott-Hansen in der Schule, der mich mit seiner gewöhnlichen Geduld- und Liebenswürdigkeit in den verschiedenen Beobachtungen unterrichtet.

Eines Tages kam Peder mit der Meldung: »Da ist gewiß wieder ein Bär.« Sofort wurde nach Gewehren und Patronen gegriffen, und alle Mann eilten auf Deck. Wie besessen rannten die Hunde laut bellend im Mondschein umher. Einige von uns liefen Hals über Kopf dahin, wo sich der Bär gezeigt haben sollte, bekamen ihn indeß nicht zu Gesicht; wir fanden aber Spuren von ihm. Der Bär mußte es sehr eilig gehabt haben, aus der Nachbarschaft des Schiffes fortzukommen.

Nun bestand Sverdrup darauf, daß eine Bärenfalle aufgestellt werde. Gesagt, gethan; sie hängt jetzt zwischen zwei Pfosten beim Schiffe, sodaß wir sie im Mondschein sehen können. Sie ist so hoch angebracht, daß sich wol Bären, nicht aber die Hunde darin fangen können.

Der 21. December, der kürzeste Tag. Heute haben wir den ganzen Tag gelothet, ohne auf Grund zu stoßen. 2100 Meter haben wir auslaufen lassen; bei 1500 Meter betrug die Temperatur des Wassers -0,5°. Zehn von uns sind den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, die Leine mit dem 50 Kilogramm schweren Lothe aufzuholen. Wir gingen mit der Leine auf der Schulter im Gänsemarsch eine Strecke von dem Loche fort und kehrten dann ebenso dorthin zurück. Es war eine nützliche Bewegung, und das Hin- und Hermarschiren beim Scheine des Schmiedefeuers an Bord, wo Pettersen mit der Reparatur der Windmühle beschäftigt war, hat uns viel Spaß gemacht.

Den Hunden geht es gut. Es hat den Anschein, als vertrügen sie sich jetzt besser, seitdem ihnen vom gemeinschaftlichen Feinde, dem Bären, Tod und Untergang droht.

Der »Billeteur« ist sich gleichgeblieben; er stiehlt immer noch getrocknete Fische und trägt sie hinter die Eishügel. Dort hält er sich überhaupt den ganzen Tag auf, sobald er am Morgen freigelassen wird, und läßt sich nur zu den Mahlzeiten bei uns sehen. »Kaiphas« hat sich am Schwänze eine richtige Klapper aus Eisklumpen zugelegt, mit der er rasselt wie eine Klapperschlange. »Kvik« verläßt ihre Jungen, um auf dem Eise frische Luft zu schöpfen. »Barnet« (das Kind) ist gewöhnlich bereit, uns eine Pfote zu geben, sowie wir uns ihm nähern. Der »Menschenfresser« knurrt ein wenig, meint es aber nicht böse.

In Hinsicht auf die Stärke können wir noch immer »Pan« als den König betrachten, in Wirklichkeit führt aber »Suggen« (die Sau) das Scepter. »Barrabas« ist »Kviks« Cavalier und wird von den andern darob sehr scheel angesehen. »Bjelki« gibt scharf auf die Bären Acht, und blickt uns mit seinen großen schwarzen, melancholischen Augen starr an.

22. December. Heute Nacht um 4 Uhr war ein Bär beim Schiffe. Jacobsen sah ihn vorn an Backbord; er schoß auf ihn, konnte ihn aber im Mondschein infolge des großen Abstandes nicht treffen. Hendriksen, Mogstad, Bentsen und Sverdrup kamen auf den Schuß hin auf Deck.

Inzwischen hatte der Bär die rechts von der »Fram« stehende Falle bemerkt; er ging vorn um das Schiff herum und wollte das Gerüst untersuchen. Dreimal erhob er sich auf den Hinterbeinen und sah vorsichtig nach, wie die Geschichte zusammenhinge. Er legte behutsam die Tatzen an die beiden Pfosten, zwischen denen die Falle hing, schnupperte nach dem Speckstück in der Mitte und schaute sich dann nach beiden Seiten um. Dann ließ er sich bedächtig nieder und ging an dem Drahtseile entlang, mit dem der Apparat an einem Eisblocke befestigt war. Diesen besah er sich, als wollte er sich überzeugen, ob das Seil auch ordentlich festgemacht sei, und schlenderte dann gemächlich wieder fort.

»Der Bursche hatte Mutterwitz«, sagte Sverdrup; »ich möchte darauf wetten, daß ein Samojede keine einzige seiner Entdeckungen gemacht hätte, sondern gleich in der Schlinge sitzen geblieben wäre.«

Als der Bär näher ans Schiff herankam, wurde er erschossen; eine Kugel aufs Blatt machte ihm den Garaus. Jacobsen und Peder konnten nicht einig werden, wessen Kugel dies gewesen. Der Bär war nicht sehr groß, aber ziemlich fett; eine gute Portion der »llustrated London News«, die er beim Schiffe auf dem Eise gefunden, hatte er mit verspeist gehabt.

Das erste Weihnachtsfest hält seinen Einzug bei uns, und im Salon der »Fram« ertönt der alte Gruß »Fröhliche Weihnachten«. Diese Worte gehen jetzt auch daheim in Schloß und Hütte von Mund zu Mund. Wir feiern Weihnachten hier oben für uns allein als freie Männer in unserm eigenen Reiche. Hier stoßen wir nicht bei einer Obrigkeit an und übertreten keine Gesetze: haben wir doch keine andern als die, welche wir uns selbst geben. Wie glücklich fühlt sich unsere kleine Gemeinschaft dabei! Und doch, wie gern möchten wir ein Stündchen in der Heimat sein! Die Gedanken eilen dahin wie ein warmer Strom, der das Eis aufthaut, das uns vom Süden trennt, und da muß es ja auch hier oben in Nacht und Eis licht und warm werden. Wir saßen in unsern isländischen Wolljacken (Anoraks) zum Weihnachtsmahle um den Tisch herum, als plötzlich ein fein gekleideter Herr mit Kragen, Manschetten und weißer Halsbinde vor uns stand. Es war Scott-Hansen, der sich in seiner Kabine umgekleidet hatte; er brachte Grüße aus Norwegen und drückte uns die Hand. Auch aus der Kabine des Kapitäns kam ein feiner Mann, der sich, ruhig und liebenswürdig wie gewöhnlich, an seinen Platz setzte. Es berührte uns wie ein Hauch aus der civilisirten Welt. Nach dem Festmahle holte Nansen zwei Kisten aus seiner Kabine; darin waren Geschenke für uns alle von Scott-Hansen's Mutter und von dessen Braut. Mit wahrhaft kindlicher Freude nahmen wir die Gaben, Messer, Pfeifen, Cigaretten u. s. w. in Empfang. Ich bekam eine Schießscheibe mit dazugehörigen Pfeilen, und ich glaube, wenn die Geberin den Eifer gesehen hätte, mit dem wir diesem Sport manchen Abend bis spät in die Nacht hinein huldigten, und wie wir einander damit Cigaretten und Honigkuchen abgewannen, so würde sie sich sicher gefreut haben.

Kuchen, die Juell alle Ehre machten, Confect und Südfrüchte kamen dann auf den Tisch, und obendrein bekamen wir einen Grog. Das Harmonium war in Unordnung, und noch hatte Mogstad nicht entdecken können, wo der Fehler lag; deshalb mußte ich mit meiner Ziehharmonika antreten. Wir sangen auch, und Nansen deklamirte.

Bisweilen sah sich einer von uns auf Deck um und kam dann wieder zum Bewußtsein unserer einsamen Lage. Das geheimnißvolle Mondlicht gestattete einen weiten Ausblick über die Eisfelder, die uns von der Civilisation abschließen. Kalt ist es auch, wir haben -38°.

Am Weihnachtsabend waren wir auf 79° 11' nördlicher Breite. Die »Framsjaa« war sehr reichhaltig; das Blatt hat einen Künstler als Mitarbeiter gewonnen, der von den »Framleuten in Friedenszeiten« und den »Framleuten auf dem Kriegspfade« ganz vorzügliche Zeichnungen geliefert hat. In Friedenszeiten, wenn uns keine Gefahr droht, sind wir mit Flinten, Revolvern und langen Messern bewaffnet. Auf dem Kriegspfade aber, wenn der Bär hinter uns her ist, haben wir nichts weiter als eine Laterne in der Hand und schwere Holzpantoffel an den Füßen.

Zwischen Weihnachten und Neujahr ging das Leben seinen gewöhnlichen Gang. Einige von uns klagen darüber, daß sie nachts schlecht schlafen, ja manchmal sogar überhaupt kein Auge zuthun. Ich für meine Person kann mich nicht über Schlaflosigkeit beschweren. Blessing hat angefangen, Statistik über den Schlaf an Bord zu führen.

Das alte Jahr geht zu Ende. Noch sind wir, seit wir im Eise festsitzen, nicht weit nach Norden gekommen. Bei der Drift scheint der Wind das meiste zu sagen zu haben. Kommt er aus Norden, so werden wir nach Süden gedrängt; kommt er aus Süden, so geht es nach Norden. Heute heizten wir zum ersten male im Salon, was sehr angenehm war; aber wir werden wol nicht in der Lage sein, viel in den Ofen hineinlegen zu können.

Dunkel, mit wolkenschwerem Himmel brach Sylvester an; es klärte sich jedoch im Laufe des Tages auf, und als das alte Jahr Abschied nahm, stand der ganze Himmel in Nordlichtflammen. Wir waren auf 79° 6' nördlicher Breite. Die Temperatur betrug -36°.

Der Abend verlief sehr vergnügt und lebendig; die »Framsjaa« enthielt unter anderm Telegramme aus Norwegen über die merkwürdigsten politischen Umwälzungen. »Huttetu«, unser Zeichner, lieferte ein Pastellbild: es war eine auf der Mondsichel sitzende weibliche Gestalt, die die unten im Eise liegende »Fram« verwundert betrachtet, während das Nordlicht in Bändern und Spiralen flammt. Beim Jahreswechsel toastete Nansen auf unser Zusammenleben im kommenden Jahre und dankte uns für die gute Kameradschaft im alten Jahre.

1. Januar 1894. Willkommen, du neues Jahr! Möchtest du uns ein gutes Jahr werden und uns ans Ziel führen! Du kommst mit Kälte – mit 38° Kälte –, aber du kommst auch mit Licht; unter stammendem Nordlichtschein hast du bei uns deinen Einzug gehalten. Und auch das andere große Licht bringst du uns, wir können es von Tag zu Tag deutlicher am südlichen Horizont wahrnehmen. Vielleicht bringst du auch in unser Wissen noch mehr Licht, wenn du erst ein wenig älter geworden bist? Oder willst du uns im Ernst im Dunkeln lassen? Nun, was du auch in deinem Schose tragen magst, sei es das Licht, sei es die Finsterniß, es wird am besten sein, daß du das, was du weißt, für dich behältst.

Je weiter wir in den Januar hineinkommen, desto mehr nehmen die Tage zu. Wenn die Sonne zum ersten male wieder erscheint, werden wir ein großes Sonnenfest feiern; es wird eine Art Gottesdienst sein. An Bord werden nie Andachtstunden abgehalten; es bleibt dies dem Einzelnen überlassen.

Was das Leben an Bord betrifft, so muß ich sagen, daß unser Verhältniß zueinander im großen und ganzen gut war. Gelegentliche Reibereien konnten natürlich nicht ausbleiben, denn das beständige Zusammenleben in den engen Räumen Tag und Nacht in Verbindung mit der großen Einförmigkeit brachte es mit sich, daß man leicht über etwas in Harnisch gerieth, doch hatte dies nicht viel auf sich. Die Polarnacht übte wol auch ihren Einfluß auf die Gemüther. Indeß sind wir Dreizehn, glaube ich, darin alle einig, daß wir uns gut vertragen haben.

Im Januar herrschten hauptsächlich südliche Winde vor, und wir trieben deshalb tüchtig nach Norden. Da es sich nun so deutlich zeigte, daß wir vom Winde abhängig waren, war es der höchste Wunsch eines jeden, es möchte immer aus Süden wehen, damit wir beständig weiter nach Norden kämen. Nie habe ich so vergnügte Gesichter gesehen wie an den Tagen, da eine Kuhlte aus Südosten wehte. Oft wurde das Für und Wider der Frage des Erreichens des Poles gründlich erörtert: ob wir ihm überhaupt nahe kommen, ob wir uns im Schiffe oder in Schlitten nähern werden und ob wir vielleicht die »Fram« werden verlassen müssen u. s. w. Die Karten werden studirt, die Geschichte der frühern Expeditionen wird gelesen und discutirt. Wir können uns deren Erlebnisse lebhaft vorstellen, aber wir wissen auch, daß wir es viel besser haben als alle arktischen Expeditionen vor uns. Im Dienste der arktischen Forschung ist manches Menschenleben verloren gegangen, und theuer sind die Erfahrungen erkauft worden, auf die Nansen gebaut hat, als er den Plan zu unserer Expedition entwarf und für eine Ausrüstung Sorge trug, die sich allen andern in jeder Hinsicht überlegen zeigte.

Hier sitzen wir an Bord unsers vorzüglichen Schiffes, in dem wir alle nur erdenklichen Bequemlichkeiten haben und so viel Essen bekommen, wie wir wollen, und brauchen weder zu hungern, noch zu frieren. Die Schrecken der Polarnacht sind uns unbekannt; ruhig sitzen wir in unserm stolzen Schiffe und lassen das Eis draußen donnern und krachen. Krankheiten kennen wir auch nicht, und den ärgsten Feind, den Schrecken der Polarfahrer, den Skorbut, fürchten wir nicht, denn unser Proviant ist auf Grund eingehenden Studiums sorgfältig ausgewählt.

Am 6. Januar waren wir auf 78° 57' nördlicher Breite, zwei Tage später auf 79° 6', und die darauf folgenden Tage trieben wir gut nach Norden. Wir haben jetzt über 40° Kälte; das Quecksilber gefriert, und wir müssen Thermometer mit Weingeist und andern Flüssigkeiten gebrauchen.

Schon am 14. Januar sprachen wir davon, ob wir nicht eine Schlittenreise nach dem Pole und von da nach Franz-Joseph-Land unternehmen könnten, wenn wir erst weiter nach Norden vorgedrungen wären. Die »Fram« sollte unterdessen aus dem Eise loszukommen versuchen und dann ebenfalls nach Franz-Joseph-Land steuern, um dort die mit den Schlitten reisenden Expeditionsteilnehmer zu erwarten, deren es nicht mehr als drei sein sollten, die aber alle Hunde mitzunehmen hätten.

Scott-Hansen hat Pendelbeobachtungen zur Schwerebestimmung begonnen; er stellt sie nachts an, da dabei absolute Stille herrschen muß. Die Dicke des Eises der flachen Schollen ist an unserer Seite 1,4 Meter, während sie am Vorderende des Schiffes 1,7 Meter beträgt. Wie dick es werden kann, wenn bei den Pressungen eine Scholle sich unter die andere schiebt, kann man nicht wissen.

Um unsere Nasen gegen die Kälte zu schützen, haben wir uns aus Flanell Masken gemacht, die ganz vorzüglich sind; es hat sich auch als nützlich erwiesen, sich den Schnurrbart abrasiren zu lassen, da sich darin gar leicht ein kleiner Gletscher bildet.

Am 22. Januar entstand gar nicht weit von uns in Nordwesten eine große Rinne. Es wurde uns also der seltene Anblick zutheil, den Mond sich im Wasser spiegeln zu sehen; es war gerade wie in der Heimat. Am andern Tage hatte sich die Rinne schon wieder mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. Gegen Mittag hörten wir einen der Hunde dort einen entsetzlichen Lärm machen; dem Gebell nach mußte sich ein Bär gezeigt haben. Man kann deutlich unterscheiden, ob sie infolge innerer Streitigkeiten oder wegen äußerer Feinde bellen.

Nansen und Sverdrup waren schon fort, als Nordahl und ich uns dahin begaben, um die Temperatur des Wassers zu messen und eine Wasserprobe zur Bestimmung des Salzgehalts mitzunehmen. Als ich mit der Laterne der Länge nach auf dem Eise lag und das Thermometer ablas, hörte ich plötzlich ein Schnauben und das Rieseln von Wasser und Eisstücken. Wir glaubten, es müsse ein Bär sein, da das große Thier hinten in der Rinne unserer Meinung nach gar nichts anderes sein konnte. Das Gewehr wurde, bereit gehalten; wir sprangen auf einen kleinen Eishügel, um das Thier in Empfang zu nehmen, und riefen nach dem Schiffe hinüber, daß hier wieder ein Bär sei. Da hörten wir Nansen zurückrufen, wir sollten nicht schießen, es sei ein Walroß und sie kämen gleich mit Harpune und Leine, um es zu fangen.

Auf dem Schiffe vernahmen wir später, daß Nansen und Sverdrup ein Walroß auf dem Eise erblickt hatten, als sie nachsehen wollten, warum »Kaiphas« bellte. Es war in die Rinne gegangen und verschwunden. Aus dem Fange wurde nichts, da alles Suchen erfolglos blieb.

Dies gab Veranlassung zu vielen Betrachtungen darüber, wie ein Walroß sich mitten im wilden Treibeise in einem Meere von mehrern tausend Meter Tiefe ernähren kann. Es muß Land in der Nähe sein. Unsere Vermuthung, daß sich hier eine Bank befände, erwies sich als unrichtig; wir lotheten 200 bis 300 Meter, ohne Grund zu finden. Das Walroß wird uns also vorläufig noch ein Räthsel bleiben.

Die »Fram« bietet einen ganz malerischen Anblick, wenn man sie vom Eise aus betrachtet. Sie liegt ein wenig kokett auf der Seite und läßt die Eishügel ihren kraftvollen Rumpf liebkosen, während die Masten majestätisch gen Himmel zeigen und das Takelwerk dick bereift ist. Hin und wieder geht die Windmühle, wie um zu zeigen, daß auch hier in der Einöde noch Leben ist.

Wir haben angefangen, weite Spaziergänge zu machen, und möchten gar zu gern wissen, ob nördlich von uns Land zu finden ist. Bald kommt dieser, bald jener aus dem Takelwerk herunter mit der Nachricht, er habe Land gesehen. Wenn die Sonne erst da ist, wird es sich ja zeigen.

Am 27. Januar ist abends im Eise eine gewaltige Umwälzung vor sich gegangen. Wir sind jedoch gut davongekommen, während es in der 200 Meter nördlich von uns liegenden Rinne toll herging. Aber obgleich dies ziemlich weit ist und das Schiff wie in einem Schraubstocke lag, kamen doch hin und wieder gehörige Stöße, als wenn das ganze Eis in Wellenbewegung gewesen wäre. Mit solchen Bewegungen in einem Eise, dessen Schollen fast 2 Meter dick sind und das sich an einzelnen Stellen zu der dreifachen, wenn nicht gar vierfachen Dicke zusammengeschoben hat, ist in der That nicht zu spaßen.

Hansen und ich mußten das Anemometer und die Thermometer von der Scholle neben dem Schiffe retten, da das Eis auf der Backbortseite 30 Meter von der »Fram« barst.

Am nächsten Tage besichtigten wir die entsetzliche Verheerung. Es war ein imponirender Anblick, zu sehen, welche Kräfte dort in Wirksamkeit getreten waren. Das Eis war zermalmt und in Blöcken und kleinen Trümmern bis zu einer Höhe von 6 Meter aufgethürmt. An einer Stelle war eine einzelne Eisscholle, die die Form eines BautasteinesBautasteine heißen in Skandinavien hohe, ganz unbearbeitete und inschriftlose Steine, die einzeln oder auch in Gruppen stehen und auf oder neben den Grabhügeln als Gedenksteine dienten. Vereinzelt findet man sie auch in Gräbern, ab und zu mit symbolischen Zeichen. An Stelle der Bautasteine traten mit dem 6. Jahrhundert die Runensteine. hatte, so aufgerichtet, daß sie mindestens 4 Meter hoch in die Luft ragte, obgleich sie kaum einen Meter breit war.

Die »Fram« liegt jetzt wie in einem Thale, auf allen Seiten von diesen Eisrücken umgeben, die am Heck besonders stark entwickelt sind. Zwischen den Rücken, die hauptsächlich von Westen nach Osten laufen, ist das gewaltige Eis zerrissen, zu Grus zermalmt und durcheinandergeworfen, sodaß unsere Umgebung sich ganz neu gestaltet hat.

Ende Januar war es so hell, daß wir mittags eine Zeitung lesen konnten, aber Land bekamen wir noch immer nicht zu sehen. Am 1. Februar nahmen wir an, daß wir schon über den 80. Grad hinaus wären oder ihn eben passirt hätten; des trüben Wetters wegen ließen sich nämlich keine Ortsbestimmungen machen, aber wir hatten prächtigen Wind und feierten seinetwegen ein kleines Fest. Es gilt, so viele Feste wie möglich zu veranstalten und sie beileibe nicht zusammenzulegen. Am nächsten Tage wurde unsere gegenwärtige Lage auf 80º 10' nördlicher Breite und etwa 132º östlicher Länge bestimmt, eine Drift von 19 Minuten in 3 Tagen.

Den ganzen Februar wollte es mit der Drift nicht recht vorwärts. Am 9. passirten wir den 80. Grad, diesmal aber leider in rückläufiger Bewegung, und so ging es immer vor und zurück, sodaß wir zu Anfang März auf 79º 53' nördlicher Breite und 134º 57' östlicher Länge waren.

Während dieser Zeit wurde an Bord eifrig am Zusammenstellen der Schlitten und Instandsetzen der Schneeschuhe gearbeitet. Die Hunde wurden eingefahren, und wir lernten, sie mit einer Peitsche mit kurzem Stile und langer Schnur, wie die Eskimos sie benutzen, zu lenken. Man hätte sehen können, wie wir uns jetzt draußen auf dem Eise übten, mit der Peitsche die leeren Conservendosen zu treffen, die Juell dorthin geworfen hatte.

Doch trotz unserer Uebungen gelang es uns nicht, hinreichende Geschicklichkeit im Lenken der Hunde zu erwerben. Wir mußten mit ihnen nach ihrer gewohnten Art fahren, das heißt, ein Mann mußte vor ihnen hergehen und den Weg zeigen. Auf schlechtem Eise zog ein Gespann von 4 Hunden 2 Mann mit dem Schlitten. Wir stellten auch Probefahrten an, um zu sehen, welche Schlitten bei hartem und bei lockerm Eise am leichtesten liefen. Nansen und Sverdrup konnten dabei auf ihren in Grönland gemachten Erfahrungen weiterbauen.

Verschiedene Arten von Schlittenkufen und allerlei Beschläge wurden ausprobirt und wir versuchten es auch mit runden, concaven und glatten Kufen, sowie mit Beschlägen von Aluminium, Neusilber und Stahl. Es war von großer Wichtigkeit, daß wir genau wußten, welche Art die beste war.

Der arme »Billeteur« ist eines sanften Todes verschieden. Er starb wirklich in seinem Bette, nachdem er seit einiger Zeit gekränkelt hatte. Wahrscheinlich ist ihm das Klima zu rauh gewesen. So hat er denn also dieses Leben verlassen müssen und damit seine Lieblingsbeschäftigung, seine Speisekammer zwischen den Eishügeln mit gefrorenem getrocknetem Fisch zu versehen. Die »Framsjaa« brachte ein Preisausschreiben für die beste Grabschrift für »Hiob« und den »Billeteur«; ich glaube, es war Juell, der den Preis erhielt.

Der Salon ist zu einer Werkstatt für Arbeiten aller Art geworden. Auf dem Deck liegen Schlitten, die zusammengestellt, und Schneeschuhe, die mit Riemen versehen werden sollen; einige bessern Komager aus, andere schnitzen Holzschuhe. Aus Sverdrup's Kabine ertönt das anheimelnde Schnurren einer Nähmaschine; er näht Bootsegel.

Wir haben jetzt angefangen, die Umgegend auf Schneeschuhen zu durchstreifen. Die Temperatur beträgt gewöhnlich einige 40º Kälte, aber beim Schneeschuhlaufen friert man nicht so leicht.

Am 16. Februar sahen wir über dem Horizont eine Luftspiegelung der Sonne, eine flammende, feuerrothe Fackel, was uns Veranlassung zu einem vorläufigen Sonnenfeste gab. Das eigentliche fand am 20. Februar statt, obgleich wir des bewölkten Himmels wegen nicht die Sonne selbst, sondern nur ihren Widerschein oben in den Wolken sehen konnten. Auch diesmal war ein Schützenfest, aber ohne Preisvertheilung. Peder und Nansen haben am besten geschossen.

So ist also unsere erste Polarnacht vorbei. Wir können aber nicht finden, daß sie einen an Bord arg mitgenommen hätte.


In einer Rinne, die sich vor vier Wochen gebildet hat, haben wir das Eis an verschiedenen Stellen gemessen. Wo die Schneelage am dünnsten war, hatte das Eis seine größte Dicke, 56 Centimeter, wo der Schnee aber in dickern Schichten lag, betrug die Dicke nur 44 Centimeter, wie man sieht, kein so kleiner Unterschied.

Am 1. März fing das Tiefseelothen wieder an; das erste mal verloren wir das Loth, da ein Drahtseil durchriß, das zweite mal ließen wir die Leine bis auf 3400 Meter auslaufen, ohne auf Grund zu stoßen.

Kein Mensch hätte für möglich gehalten, daß das Polarmeer eine solche Tiefe besäße. Deshalb hatten wir auch gar keine große Auswahl von Material für Lothungen mitgenommen und mußten nun bei 40º Kälte eine Reeperbahn auf dem Eise anlegen, in der wir aus Drahtseilen eine Lothleine drehten.

Nansen hatte eines Tages in seinem Netze eine Menge kleiner Infusorien gefangen, die einem lebendigen Feuerwerke glichen. Jedesmal, wenn er das Netz schüttelte, strahlten sie in wunderschöner grünblauer Farbe.

Die strenge Kälte ist uns zwar nicht schlecht bekommen, aber vorsichtig muß man dabei doch sein. Peder erfror eines Tages die Backe, und Bentsen erfriert, wie er sagt, beinahe jeden Tag die eine Seite der Nase; er glaubt, seine halbe Nase wird ganz schwarz werden, wenn er wieder in wärmere Gegenden kommt. Hansen erfriert bei den Beobachtungen die Finger, und als Nansen mich einmal photographiren wollte, wurde meine Nase, ohne daß ich es merkte, plötzlich so kreideweiß, daß Nansen mich bat, sie sofort tüchtig zu reiben.

Eines Tages machten Nansen, Sverdrup, Hansen und ich bei 51º Kälte einen Ausflug auf Schneeschuhen. Wir waren im Pelz, hatten aber an den Beinen nichts weiter als unsere dicken Frieshosen. Als wir eine Weile gelaufen waren, machten wir alle zusammen die Entdeckung, daß wir in den Knien das Gefühl beinahe ganz verloren hatten, und wir mußten sie tüchtig reiben und schlagen, um das Blut wieder in Bewegung zu bringen. Nun änderten wir den Kurs, sodaß wir den Wind, der ungefähr 3 Meter in der Secunde machte, von der Seite statt gerade entgegen hatten.

Die Schneeschuhe zerbrechen leicht, da die strenge Kälte das Holz spröde macht; es ist schon manches Paar draufgegangen. Für Jacobsen waren keine zu finden, die gehalten hätten; schließlich bekam er ein Paar mit fester Stahlunterlage, aber auch dieses ging in Trümmer.

Auf solchen Touren trugen wir meistens unsere isländischen wollenen Jacken und die Windkleider. Diese bestehen aus leichtem, gegen Luftzug dichtem Stoffe; die Hosen sind so weit, daß wir sie bequem über unsere andern Beinkleider ziehen können, und die Jacke hat den Schnitt eines Eskimo-Anorak und hat auch eine Kapuze, die über den Kopf gezogen und unter dem Kinn zugebunden wird. Es ist eine vortreffliche Kleidung.

Am 12. März hatten wir -51,6º. Es war dies die niedrigste Temperatur, die wir bisher beobachtet hatten.

Eines Tages hörten wir die Hunde einen entsetzlichen Spektakel machen, und ihr Bellen klang sehr ernst. Natürlich dachten alle gleich an einen Bären. »Ulenka« und »Pan« wurden losgemacht, und beide schossen pfeilschnell in westlicher Richtung fort, einer Rinne zu, die sich dort gebildet hatte. Nansen und Sverdrup eilten hinterdrein. Sie gewahrten da in der leicht überfrorenen Rinne Löcher, die nur ein Walroß gemacht haben konnte. Mehrere von uns gingen auf die Suche nach dem Thiere, aber ohne Erfolg. Es ist geradezu unbegreiflich, daß diese Thiere sich mitten im stärksten, schwersten Treibeise halten können, aber Thatsache ist, daß sie dort vorkommen.

Wir haben westlichen und südwestlichen Wind, treiben aber nichtsdestoweniger nach Süden. Das Leben geht jedoch seinen gewohnten Gang; nur haben wir, seit es wieder hell ist, Veranlassung, uns mehr Bewegung zu machen. Unsere Bibliothek wird viel in Anspruch genommen, und wir verdanken ihr manche gemüthliche und vergnügte Stunde. In erster Linie ist natürlich die Geschichte der frühern arktischen Expeditionen gelesen worden. Von den übrigen Büchern waren mehrere Jahrgänge illustrirter englischer Zeitschriften sehr begehrt. Ueber die Bilder haben wir uns wie kleine Kinder gefreut.

Jeden Morgen werden die Hunde losgelassen, damit sie sich auf dem Eise Bewegung machen. Sie bellen und sind ganz außer sich vor Freude, wenn wir sie losketten; aber kaum sind sie auf dem Eise angekommen, so wollen sie schon wieder an Bord. Vor Mittag wird dies jedoch nicht erlaubt, aber dann kriechen sie auch beinahe alle gleich in ihre Hütte.

Nur einer liegt beständig draußen. Es ist der kleine »Bjelki«, der einen so außerordentlich dichten Pelz hat, daß ihm nicht einmal 51º Kälte zum Schlafen im Freien zu kalt waren. Einen haben wir auch, der nie mit den andern an Bord will. Es ist ein hochbeiniger, glatthaariger weißer Hund mit spitzen Ohren und langer Schnauze; er heißt »Haren« (der Hase), friert nie und hält sich am liebsten auf dem Eise auf.

»Sjölike« (das Segeltau), ein kleiner, magerer, zottiger, alter, bissiger Satan von weißer Farbe, der über alle Maßen gern Streit anfängt, obwol er fast keine Zähne mehr hat, ist heute in den Salon gebracht worden, damit er sich dort erwärme. »Kvik«, die bisher allein das Privilegium gehabt hat, diesen geheiligten Raum betreten zu dürfen, wurde darüber außerordentlich eifersüchtig. Es ist wirklich belustigend, wie still und artig, geradezu verlegen die Hunde sind, wenn wir sie einmal mit in den Salon bringen; man möchte meinen, die Pracht und der Glanz dort unten habe sie ganz verlegen gemacht.

Einen von »Kvik's« Jungen haben wir erschießen müssen, weil er plötzlich Krämpfe bekam und mit Schaum vor dem Munde umherlief.

Jetzt scheint das Tageslicht in den Salon hinein, da wir die Hundehütten um das Oberlicht herum fortgenommen und Doppelfenster eingesetzt haben; das elektrische Licht ist ja recht angenehm, aber das Sonnenlicht ist doch schöner.

Ende März waren wir auf 80° 4' nördlicher Breite und hatten eine Temperatur von -32°. Die Sonne steht jetzt schon ziemlich hoch, was uns bei den Beobachtungen sehr zu statten kommt. Trotz der Kälte haben ihre Strahlen doch bereits solche Kraft, daß der Schnee am Bug der »Fram« zu schmelzen begonnen hat.

Die Hunde freuen sich des Sonnenscheins so sehr, daß sie einander in Stücke zu reißen suchen. Die Jungen machen es den Alten nach und raufen sich vormittags nach Herzenslust auf dem Deck herum.

Am 6. April sollte eine Sonnenfinsterniß stattfinden. Scott-Hansen hatte Dauer und Zeitpunkt derselben ausgerechnet, und er, Nansen und ich begannen rechtzeitig aufzupassen. Wir stellten das große astronomische Fernrohr und den Theodoliten auf, und zwei von uns beobachteten das Gestirn, während der Dritte die Zeit ablas. Als der Zeitpunkt herannahte, beobachteten gerade Hansen und ich und meldeten fast gleichzeitig mit »Jetzt!« das Eintreten des Mondschattens in die Sonnenscheibe, das hinter Hansen's Berechnungen nur um ein paar Secunden zurückblieb. Als ich am nächsten Tage morgens auf Deck die meteorologischen Beobachtungen vornahm, lenkte »Ulenka's« Bellen meine Aufmerksamkeit auf zwei Bären am Achterende des Schiffes neben dem Großen Hügel. Sie waren mit ihrem schneeweißen Pelze in dem glänzenden Sonnenlichte kaum zu sehen. Ich nahm einen mit mehrern Schüssen geladenen Karabiner von der Kajütenwand; Mogstad, der inzwischen auf Deck gekommen war, ergriff einen zweiten.

Die Bären, die windeten, waren durch das Hundegebell wahrscheinlich beunruhigt worden und machten kehrt. Wir sprangen auf das Eis hinunter und eilten ihnen nach; ich hatte Holzschuhe an den Füßen, die ich in den Schneewehen ziemlich oft verlor. Es war eine Bärin mit einem einjährigen Jungen, die wir vor uns hatten. Ich wollte die Mutter, Mogstad das Junge auf das Korn nehmen.

Als wir beim Großen Hügel ankamen, sahen wir sie vor uns. Obgleich der Abstand recht groß war, gaben wir doch Feuer und konnten beobachten, daß beide Kugeln getroffen hatten. Die Bärin brach mit drei Kugeln zusammen, das Junge war schon vorher gestürzt, aber keiner von uns hatte mehr Patronen als die in den Gewehren befindlich gewesenen, und leider waren es keine Expansionsgeschosse.

Der junge Bär erhob sich wieder und that ein paar unsichere Schritte, die Mutter richtete sich ebenfalls mühsam auf und schwankte wie eine Trunkene hinterdrein, legte sich darauf einen Augenblick hin und setzte sich dann wieder in Bewegung. Ich eilte an Bord, um Patronen zu holen, und benachrichtigte zugleich die andern davon, daß wir beim Großen Hügel zwei Bären angeschossen hätten. Alle griffen sogleich nach Flinten und Patronen. Nansen lief, ohne gegessen zu haben, auf Schneeschuhen fort, und wir sahen ihn vor Abend nicht wieder.

Es wurde jetzt eine förmliche Expedition ausgerüstet, die sich nach der Stelle begab, wo die Bären angeschossen worden waren. Wir sahen weder die Thiere noch Nansen. Während die andern mit Schlitten abzogen, um die Beute, deren wir sicher zu sein glaubten, darauf zu laden, stand ich auf einem Hügel und hielt Ausschau. Plötzlich erblickte ich nicht weit von mir wieder zwei Bären, gleichzeitig aber gewahrten auch sie mich und machten sich auf die Beine. Die Flinte von der Schulter nehmen und laden war eins, und dann ging es vorwärts über die Schneewehen, zwischen den Rinnen und den Eishügeln hindurch, immer den Bären nach, die ab und zu zum Vorschein kamen.

Peder, der allein von den andern eine Flinte bei sich hatte, lief eine Strecke weit mit; auch Nordahl und Pettersen nahmen an der Jagd theil. Ich war leicht gekleidet und lief, so schnell ich konnte. Nach anderthalb Stunden betrieb ich ganz allein noch die Verfolgung, die sich schließlich leider doch als nutzlos erwies. An der Fährte konnte ich sehen, daß die Schnelligkeit des Laufs der Bären geringer wurde, und hoffte also, sie noch einholen zu können, mußte aber schließlich einsehen, daß es selbst auf Schneeschuhen unmöglich war, einen Eisbären einzuholen, und als nun obendrein der Nebel über dem Eise aufzusteigen begann, blieb mir nichts weiter übrig, als nach dem Schiffe zurückzukehren, wo ich um Mittag wieder eintraf. Nachmittags waren wieder einige von uns auf Bärensuche aus, aber ebenso vergeblich.

Gegen Abend kam Nansen von der mühseligen Verfolgung der verwundeten Bären zurück. Er hatte deutlich die Blutspuren gesehen, aber die zählebigen Thiere waren ihm trotzdem entkommen.

Wir tränken unsere Schneeschuhe mit einer Mischung von Theer, Stearin und Talg, wodurch sie außerordentlich glatt werden. Es wird lebhaft darüber gestritten, wer die glattesten Schneeschuhe hat, und wir halten auf einem dazu geeigneten Eishügel öfter einen Wettlauf im Abwärtslaufen, wobei jeder Theilnehmer allerlei Kniffe gebraucht, damit er auf seinen Schneeschuhen ein paar Zoll weitergleitet als seine Concurrenten. Sverdrup's und Nansen's Schneeschuhe gleiten am weitesten; der erstere hat ein Paar aus dünnem Erlenholz, das er sich an Bord selbst geschnitzt hat, der andere ein Paar leichte, in Finland verfertigte Schneeschuhe von Birkenholz.

Im April hatten wir gute Drift nach Norden. Am 18. waren wir auf 80º 23' nördlicher Breite und am 28. auf 80º 40'. In der letzten Hälfte des Monats betrug die Temperatur ungefähr -20º.

Wir stellen morgens und abends Beobachtungen der Temperatur des Eises in verschiedenen Tiefen an und haben deshalb vier Bohrlöcher von 0,40; 0,80; 1,20 und 1,60 Meter Tiefe gemacht. Es hat sich herausgestellt, daß es immer wärmer wird, je tiefer wir in das Eis hineinkommen; bei 1,60 Meter ist es nur halb so kalt wie bei 0,40 Meter. Die Wassertemperatur betrug bei 200 Meter +0,5º.

Auf die Schneeschuhtouren im Sonnenscheine freuen wir uns, und die Hunde freuen sich mit uns, obgleich ihnen ihr dicker Pelz schon recht heiß zu werden beginnt. Der kleine »Bjelki« keuchte und schnaubte und ließ die Zunge lang aus dem Halse hängen, wie die Hunde es daheim in den Hundstagen thun, nur mit dem Unterschiede, daß wir hier 21º Kälte haben und die Hunde, um sich abzukühlen, den Kopf in die Schneewehen stecken.

Jetzt steht die Sonne hier Tag und Nacht am Himmel. Daheim rückt der Frühling heran, die Vögel kehren als seine ersten Boten aus dem Süden zurück, das Herz erhellt sich und freut sich des rundherum neu sich regenden Lebens. Dort unten in der Heimat kämpfen Sonne und Schnee den alten Kampf mit größerm Erfolge aus als bei uns. Hier bleibt alles beim alten, nur mit dem großen, durchgreifenden Unterschiede, daß es jetzt Tag und Nacht hindurch hell ist, während früher ununterbrochene Dunkelheit herrschte. Doch hier ist kein Boden, der die Schneedecke abwerfen kann; keine Bäume, keine Gewächse, die neu sprießen können, keine Blumen bekommen wir zu Gesicht, kein Vogel singt, und nichts von alledem gewahren wir, was uns jetzt in der Erinnerung so wunderbar schön erscheint.

Der Mai kam, das Wetter wurde milder, und wir hatten zu unserer Freude so guten Wind, daß wir am 13., dem Pfingstsonntage, die Breite von 80º 53' erreichten. Am selben Tage sahen wir auch eine Möve über dem Großen Hügel schweben. Es war unser Frühlingsbote.

Im Laufe des Sommers wurden allerlei Vögel geschossen, Elfenbeinmöven, Sturmvögel, Schneeammern und nicht weniger als 8 junge Exemplare der sehr seltenen Rosenmöve. Lummen durften wir nicht schießen, da Peder es nicht litt, daß wir dem »Glücksvogel«, etwas zu Leide thaten.


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