Fritz Müller-Partenkirchen
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Bewerbungsschreiben

In meiner Klasse waren elf Lehrlinge und vier Gehilfen.

Das Bewerbungsschreiben war an der Reihe. Ich gab keine Erklärung und keine Anweisung, sondern sagte:

»Schreiben Sie einmal aus Ihrer Geschäftserfahrung heraus einen Bewerbungsbrief – irgend einen – Sie haben volle Freiheit.«

Da schrieben sie fünfzehn Briefe.

Und vierzehn davon fingen an mit:

»Bezugnehmend auf Ihre geschätzte Anzeige in der . . . Zeitung . . .«

Und vierzehn Briefe schlossen mit:

»Im Falle Sie meiner Bewerbung den Vorzug geben sollten, versichere ich Sie . . .«

Und in vierzehn Briefen stand:

»Sowohl in der einfachen wie doppelten Buchführung bin ich durchaus . . .«

»Die Festsetzung eines Gehalts darf ich Ihrer Güte überlassen . . .«

Und nur ein einziger von den fünfzehn Briefen lautete so:

»Ich kann das, was Sie in Ihrer Anzeige fordern. Ich verlange 180 Mark im Monat. Ich komme morgen früh vorbei.

Hochachtungsvoll    

. . . .«

181 Als ich die Briefe gelesen hatte, bekam ich ein Telegramm. Ich mußte dringend verreisen. Ein Kollege übernahm meine Klasse. Er verbesserte an meiner Stelle die Bewerbungsschreiben und gab sie an die Schüler zurück.

Vierzehn Schülern erteilte er eine annehmbare Note. Und einem gab er eine glatte Vier.

»Mensch,« sagte er zu diesem, »Sie haben da einen netten Bewerbungsbrief zusammengeschrieben – drei Sätze, und alle fingen mit Ich an – und der Stil – und 180 Mark wollen Sie . . .«

Später sind die vierzehn Briefschreiber brave Durchschnittsgehilfen geworden.

Und nur einer von den fünfzehn wurde noch in jungen Jahren Direktor eines großen Handlungshauses, dessen Bedeutung er vervielfachte. 182

 


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