Fritz Müller-Partenkirchen
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Vom Hans, der nicht Dankschön sagen konnte

Heißen wir ihn Hans. Denn er ist ein berühmter Mann geworden. Und alle berühmten Männer haben, als sie ganz kleine Jungen waren, Hans geheißen, oder Hansi, oder Hansl, oder Hansei, oder Hansemann. Später hießen sie natürlich anders. Amadeus etwa, oder Wolfgang, oder Konrad, Ferdinand, oder Zacharias.

Der Hans also war ein prächtiger Junge. Aber er konnte nicht Dankschön sagen.

»Hans, bedank' dich beim lieben Onkel Paul für den lieben Apfel.« Hans blieb stumm.

»Aber Hans, ein braver Bub, bedankt sich fürs Geschenkte!« Hans verzog das Gesicht ein wenig. Es sah fast wie Schmerz aus.

»Hans, Hans, der Onkel Paul erwartet, daß ein lieber Junge sich auch lieb bedankt!« So klein und glatt es war, das Kindergesichtel, es arbeitete drin und pflügte. Aber Dankschön sagen tat es nicht. Der Dank ist eine Ernte. Eine Ernte schießt nicht hinterm Pflug hervor. Zwischen Pflug und Ernte steht Regen, Wind und Schnee. Und währenddessen wächst es still und unvermerkt und Zoll um Zoll nur, und man weiß nicht, was es werden will. Und erst, wenn die andern nicht mehr daran denken, und 84 sich abgewendet haben, überfällt es sie mit einem Male weich und schwer von hinten: Halme schießen um sie auf, sonder Zahl, Ähren nicken ihnen zu und überdachen sie und streicheln sie: »Weißt du noch? Ich bin dir etwas schuldig.«

Aber sie wissen nichts. Und sie sind arg verwundert, wenn sich die Ähren plötzlich ohne Dreschen spreiten und wenn die goldne Körnerflut ihnen sanft und unvermutet in den Nacken rieselt: »Dankschön, danke schön,« rieseln die Körner. Und noch immer tun sie nicht den Mund zum Dankschönreden auf, weil sonst Mehl in alle Winde stäubte.

»Entschuldige, lieber Onkel, Hans ist so ein sonderbares Kind, man kann ihn nicht zum Danken bringen.«

»Na ja, er wird es lernen,« sagte Onkel Paul beleidigt und ging. Draußen sprach er es herum: Ein Kind hätten die, das sei schauderhaft erzogen. Keine Ahnung hätte es von Anstand und Gemüt. Denn Grundlage allen Anstands sei doch, daß man danken könne. Oder ob es einer besser wisse?

Nein, es wußte keiner besser. Nein, er habe recht, ein wohlgesetzter Dank sei etwas Köstliches. Dieser Hackstock von einem Hans brauche sich nur Onkel Pauls Sohn, den Max, zum Vorbild zu nehmen. Wie wisse dieser wohlerzogene Junge zu danken. Ein Vergnügen sei es, zu geben, wisse man sich so bedankt.

Ja, oder Onkel Pauls Tochter, die Friederike, hieß es von der anderen Seite. Ob man schon ein Kind einen zierlicheren Dankknix habe machen sehen, als die Friederike? Der möchte man 85 immerzu was schenken, nur um sie knixdanken zu sehen. Oder ob man besser dankknixen sage?

Das sei gleich, auf die Gesinnung komme es an. Er, der Onkel Paul, sehe nur auf Gesinnung. Und darum sei es ihm so schmerzlich, einen so gesinnungslosen Neffen, wie den Hans . . .

Während dieser Verhandlungen über den Dank hätte man dreiundzwanzigmal den von Onkel Paul geschenkten Apfel essen können, so zog er sich in die Länge. Der Dank, nicht der Apfel.

Aber es war nicht der Apfel allein, für den der Hans nicht dankte. Der Lehrer schenkte ihm ein Bild für seinen Fleiß. Er nahm es und blieb stumm.

»Ei, Hans, bedanken könntest du dich doch dafür?« Hans verzog das Gesicht und warf Fältchen, wie bei einer Knospe, die eine plumpe Hand gewaltsam zur Blüte auseinanderwickelt.

Hans fiel in den Bach. Jemand zog ihn heraus. Der triefte von Wasser. Nicht so der Hans von Dank.

»Aber Hans, so danke doch!« Hans schlug die vom Wasserschrecken aufgerissenen Kinderaugen noch größer auf. Nur die Pupille blieb klein. Wie ein Lichtlein, das einen menschenlebenlangen Weg erst hergewandert kommt. Dann brachten sie ihn ins Bett.

»Hat er nun eigentlich gedankt oder nicht?«

»Vielleicht, seine Augen waren wenigstens ganz naß.«

»Das kann auch Bachwasser gewesen sein.« Und sie stritten sich, ob Bachwasser, oder Salzwasser. Am liebsten hätten sie den liebevollen 86 Finger gestreckt und geleckt: »Nein, jetzt so etwas: süßes Bachwasser! Es ist ein grundverdorbener Junge!«

Hans lernte tanzen. Auf seinem ersten Ball führte er seine erste Tänzerin stumm auf ihren Platz zurück.

»Ich glaube gar, dieser junge Mensch hat sich nicht einmal bei dir bedankt?« sagte ihre Tante.

»Aber Tante, ich hatte doch die gleiche Freude,« entschuldigte sie ihn.

Hans trat ins Leben. Er kam schwer voran. Er dankte nicht. Sie duckten ihn. Sie behandelten ihn schlecht. Er hatte Unglück. Sie lachten ihn aus. Er arbeitete wie ein Pferd. Er kam nicht hoch.

Da geschah es eines Tages, daß ein Vorgesetzter gütig zu ihm war. Von der Güte, die er mechanisch dann und wann an alle Untergebenen streute, und deren Quittung man, am Schreibtisch sitzend, ohne aufzusehen erwartet: »Ich danke Ihnen, Herr Geheimrat . . . Ich bin Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet, sehr verehrter Herr Geheimrat . . . Sie überwältigen mich mit Ihrer Güte, hochverehrter Herr Geheimrat . . .«

So saß auch jetzt der Vorgesetzte, halb über seinen Schreibtisch gebeugt, empfangsbereit für die gewohnte süße Litanei . . . Ei, was war denn das? Der Mann schwieg? Der Mann dankte nicht? Das war denn doch das erstemal, daß –

Der Geheimrat schaute auf. Zum ersten Male sah er einen aufrechten Menschen vor sich stehen, kerzengerade und stumm. Nur die Augen leuchteten ein wenig mit dem ungewissen Lichtlein, 87 das von ferne her zugewandert kommt und noch lange unterwegs sein wird. Der Geheimrat überlegte: Wenn das in diesen Augen und in dieser Haltung Dank war, dann hatte sich noch keiner in der Beamtenschar bei ihm bedankt.

»Es ist gut, Sie können gehen.«

Dem Vorgesetzten ging's noch einen Tag und einen halben durch den Kopf. Dann vergaß er's. Wenn man hundert Untergebene hat und hunderteins gekrümmte Rücken um sich sieht, verschwindet einem auch ein grader drunter.

Auf einmal sah er ihn wieder vor sich stehen. Im Sommerurlaub war es, hoch auf einem Berge droben. Der Geheimrat war allein gegangen, hatte sich verstiegen, ward von einem Sturm überrascht, duckte sich unter einem Felsenvorsprung und blinzelte zum Himmel, ob es nicht bald besser würde. Da sah er über sich im Wettermantel einen Mann im Sturme fechten. Mit beiden Armen focht er mit den Elementen. Ein unbändiges Vergnügen schien er dabei zu haben. Kerzengerade stand er. Gewaltig übertönte er den Sturm:

»Ich danke dir, Sturm!« schrie er, »dich kann ich brauchen, dich und deinesgleichen! Nur her mit dir, Geselle. He, he, ich danke dir, ich danke dir!«

Nach dem Sommerurlaub ließ der Geheimrat den Hunderteinen zu sich kommen:

»Sie brüllen Ihren Feinden einen Dank ins Gesicht. Das Holz ist selten. Ich bin schon lange auf der Suche nach ihm. Sie sind mein Mann. Sie sollen steigen.«

Der vor ihm stand unbewegt. Nur seine Augen 88 glitzerten einen Einwand: »Aber wenn ich danken müßte?« –

Hans stieg und dankte nicht. Hans wurde groß und dankte nicht. Hans überholte seinen Gönner, den Geheimrat, und dankte nicht. Hans wurde Minister und dankte nicht. Hans kämpfte mit den Parteien, mit dem Unverstand der Massen, mit Verrat, mit seinem König, mit Gott, der Welt und mit dem Teufel. Und nach jedem Strauß schloß er sich ein ins Kämmerlein, warf die Arme und rief frisch und froh: »Ich danke euch, ich danke euch. Euch kann ich gebrauchen. Her mit euch, nur her mit euch!«

Als Hans auf seines Lebens Höhe seinem Vaterlande diente, passierte seinem Onkel Paul, der ganz verarmt war, etwas Sonderbares. Es floß ihm jährlich von einem Unbekannten eine Rente zu. Es mußte ein Verrückter sein. Denn auf den Anweisungsabschnitten stand jedesmal: »Zum Ausgleich für den Apfel.«

Und zur selben Zeit war es, daß ein pensionierter Lehrer zu seinem Geburtstag ein großes, teueres Werk erhielt, das er sich längst gewünscht hatte, ohne es von seinem schmalen Gehalt anschaffen zu können. Der Absender war unbekannt. Nur in der großen Bücherkiste lag ein kleiner Zettel: Von einem, der sich nicht bedankt hat.

Nicht lange nachher war es, daß ein kleiner Kaufmann vor dem Bankrott stand. In der Not des Ertrinkens griff er und vergriff sich am Gute eines Menschen. Und als die Fälligkeit des Gutes da war, als der Mensch bei ihm erschien und als er's ihm bekennen wollte, 89 bereit, danach ins Gefängnis zu wandern, überreichte jener eine Quittung.

»Ich danke Ihnen für die Rückerstattung. Aber da hat Ihr Mittelsmann zwischen den Geldscheinen aus Versehen einen Zettel liegen lassen – sehen Sie.« Und er las die unbegriffenen Worte: »Eine Rettung vom Ertrinken ist der anderen wert.«

Als seine Zeit erfüllt war, kam's bei dem berühmten Manne zum Sterben.

»Du Liebe,« sagte er zu seiner Gattin neben seinem Sterbebette, »es drückt mich noch etwas: Ich habe dir damals auf meinem ersten Ball nicht für den ersten Tanz gedankt.« Es blitzte aber bei diesen Worten ein ganz kleiner Schalk in den Augen des Sterbenden.

»Aber Liebster,« weinte die Frau, »als ob nicht dein ganzes Leben ein unverdienter Dank für mich gewesen wäre.«

»Ich bin so froh, mein treuer Kamerad, daß ich dir nie anders zu danken brauchte – lebe wohl.« So starb der berühmte Mann, der jetzt natürlich – schlagt in keinem »Kürschner« nach – nicht mehr Hans hieß.

Noch lange Zeit standen die Leute verwundert vor seinem Grabstein, auf dem klein in der linken Ecke zu lesen stand:

»Dank sag auf der Stell' dem Ungemach,
Dank tu zu deiner Zeit in deiner Sprach!«

»Schade, daß die Verse hinken,« sagten viele.

»Dafür ging er selber um so grader,« sagte einer. 90


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