Fritz Müller-Partenkirchen
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Beim Haarschneiden

Als ich zum ersten Male das englische ›th‹ mit vorgeschobenem Unterkiefer herauszischen konnte, und ›lay‹ von ›lie‹ zu unterscheiden vermochte, bekam ich den englischen Koller. Das war auf Seite 185 vom Deutschbein in der Unterprima. Manche bekommen den englischen Koller ein paar Seiten später erst beim Gerundium. Aber bekommen tun sie ihn alle.

Einfach deshalb, weil sie Deutsche sind. Es ist ein Rückschlag in die Blutsverwandtschaft unserer englischen Vettern unter Hengist und Horsa. Weiter nichts.

Beim englischen Koller verschiebt sich das Gedächtnis in der Richtung nach Liverpool. Man gockelt vom heimischen Bahnhof her mit der müden Empfindung:

»O, sein das ein minderwertig German Stadt, the devil übereinander . . .«, und dann sucht man einen anständigen Friseur.

Also suchte ich auch einen Friseur damals, einen anständigen. Am Gradinger Bernhard hinterm Glockenbach ging ich detestfully vorbei. Weil das ein Friseur aus meiner vorenglischen Zeit war, der mir schon als kleinem Buben die Haare schnitt.

Wohingegen ich beim Friseur Schwartenmaier 64 Georg in der Prielmaierstraße völlig unbekannt war. Weshalb ich also in den Laden des Schwartenmaier Georg stelzte.

Als ich steifleinen über die Schwartenmaiersche Ladenschwelle schritt, war ich jeder Zoll ein trueborn Englishman. Was ich zunächst dadurch bewies, daß ich nicht grüßte, sondern meinen Hut auf dem Kopfe behielt. Alsdann versuchte ich meinen Mund so zu bewegen, als ob ich einen Doppelleberknödel zu kauen und dazwischen »Schastikum Gummi Elastikum« zu sagen hätte. »Schastikum Gummi Elastikum«, vermischt mit einem gekauten Leberknödel, gibt klar und deutlich:

»I want to have my hair cut, Sir,« wobei ich mit einer rasierenden Bewegung über meinen Hut hinfuhr. Worauf der Friseur Schwartenmaier Georg mit Verbeugung sagte:

»O yes.« Was mich beinahe aus der Fassung brachte, weil ich blitzschnell denken mußte: Um Gotteswillen, ist der Schwartenmaier etwa auch aus Liverpool ein trueborn Englishman? Aber als er weiter sagte.

»Des wer'n ma glei ham, Herr Inglischmann«, ward ich wieder zuversichtlich und flegelte mich in einen Armstuhl vor dem Spiegel. Nach Deutschbein, Seite 96, flegelt sich ein jeder Englishman beim Sitzen hin und streckte die Beine aus.

»Schaug'n nur an, den g'selchten englischen Affen, wie'ra sich ins Fotöich einischmeißt,« sagte jetzt der Friseur Schwartenmaier zu seinem Gehilfen.

Auf ein Haar wäre ich empört emporgefahren. Aber rechtzeitig fiel es mir noch ein, daß ich ja 65 directly aus Liverpool gekommen war und keine Ahnung von deutscher Sprache zu haben hatte. Laut Deutschbein, Seite 123, sprechen reisende Engländer niemals eine andere Sprache als die englische.

So begnügte ich mich damit, meine englische Hand nochmals gentlemanlike über meinen Kopf kreisen zu lassen und einen Doppelleberknödel zu kauen.

»Ja, mei Lieba,« sagte der Friseur Schwartenmaier mit gewinnendem Lächeln und einem wiederholten Bückling, »da müssen S' wenigstens Ihren damischen Hut runtertuan, Sie ausg'stopfte Angorikatz Sie.«

Dabei blinzelte er nach dem Friseurgehilfen hinüber, der – ich konnte es deutlich durch den Spiegel sehen, – plötzlich Magenkrämpfe zu bekommen schien.

Ich beschloß, »O yes« zu sagen und mich im übrigen nicht zu rühren, um keine Kenntnis von der ausgestopften Angorikatze zu verraten. Worauf mir der Friseur Schwartenmaier mit einer eleganten Handbewegung meinen Hut abnahm und an den Nagel hängte.

Während er mit der Schere klippte, beschloß ich, mich wenigstens auf englisch für die Gemeinheit zu rächen und ihm ein saftiges englisches Schimpfwort in aller Kühlheit an den Friseurschädel zu schmeißen.

»Hundsheitener Schuft, gemeiner!« beschloß ich, ihn zu heißen. Auf englisch, natürlich.

»Himmelssakra,« dachte ich, »wie heißt jetzt gleich ›Schuft‹ auf englisch?« Aber ich kam nicht darauf. In dem ganzen Deutschbein war ein so 66 notwendiges Wort für den Umgang mit Menschen nicht vorgekommen. Und »hundsheitener« natürlich erst recht nicht.

Der verfluchte Deutschbein: ›Die tapferen Generale hatten die blitzenden Schwerter in der Hand‹, so was stand natürlich drin. Zweimal sogar. Einmal auf Seite 67, und das zweite Mal auf Seite 73. Und ›Ist die Schwester des Gärtners deines Onkels im Garten?‹ mit der dazugehörigen Antwort: ›Nein, aber es sind viele Obstbäume darin‹ – alles das stand darin, auf Seite 46, glaub ich – aber von ›Schuft‹, von einem ›hundsheitenen Schuft‹ keine Spur – nicht einmal bei den unregelmäßigen Verben. Nun bitt ich Sie . . .

Aber da fiel mir ein: ›gemein‹, was ›gemein‹ heißt, das stand drin. ›Das Haus der Gemeinen‹ auf Seite 43 – ich erinnerte mich genau – das hieß ›The House of Commons‹. Also ›gemeiner Kerl‹ wenigstens konnte ich ihm sagen. Und während er noch immer mit der Schere klippte, quetschte ich mit einer nachlässig-freundlichen Handbewegung heraus: »O yes, you common man, you!«

»Was hat er g'sagt, der englische Spritzer?« wandte sich der Friseur Schwartenmaier an seinen Gehilfen.

»O yes, kurz möcht er's g'schnitten ham, seine Haar,« erklärte der Gehilfe zuversichtlich.

War mir gar nicht eingefallen. Sondern im Gegenteil – mittellang wollte ich sie geschnitten haben. Aber das half nun nichts. Denn der Herr Schwartenmaier hatte schon einen tüchtigen Büschel herausgesäbelt aus meinem englischen Haar. Und dann ging es friedlich weiter. 67 Zwischenhinein sagte der Friseur immer wieder eine liebreiche Bemerkung an die Engländer im allgemeinen und an mich im besonderen, und umrahmte sie gefällig mit einem ›O yes‹ hinten und einem verbindlichen heimtückischen ›O yes‹ vorne.

Ich aber hielt stille und murmelte dann und wann: »O yes, you common man, you - you common man, you.«

Fürs Leben gern hätte ich ein ›Rindvieh‹ oder so was zugesetzt. Aber es ging nicht, es ging einfach nicht – einfach deshalb, weil der Deutschbein glatt versagte.

Immerhin, es machte sich. Und die Schneiderei war fast zu Ende, als der Friseur Schwartenmaier plötzlich zu seinem Gehilfen sagte:

»Woaßt, Schorschel, bei dem damischen Engländer kannst ruhig das Doppelte verlangen, wenn er zahlt – a Trinkgeld geb'n die notigen Hanswurscht'n ja doch net, woaßt.«

Es durchfuhr mich siedend. Hier war der Punkt, wo selbst mein gelassenes Engländertum sterblich war. Ich hatte nämlich nur knapp soviel Geld bei mir, als die Münchner Gebühr für das Haarschneiden seit Menschengedenken betrug.

Ich hatte eine fürchterliche Wahl: eine englische Insolvenzerklärung oder ein nachträgliches Bekenntnis zu meinem Deutschtum.

Ich schwankte – heiß stieg es mir in meinen Schläfen auf. Da beschloß ich . . .

In diesem Augenblick ward die Tür geöffnet, und ich ward starr vor Schrecken: durch den Spiegel sah ich, wie der Milchfraupepperl, mein 68 alter Kamerad aus der vorenglischen Volksschulzeit, zum Haarschneiden hereinkam.

Ich gab ihm ein verzweifeltes Zeichen mit der Hand, ein internationales Zeichen. Aber er hatte schon den Mund geöffnet und schrie:

»Jessesna, da is ja der Müllerfritzel – Servus . . .!« 69

 


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