Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Theil.

Hoch im Norden Europa's geht eine Sage, daß Gott, als er die Erde geschaffen und fertig war mit seinem Werke, plötzlich in seinem Nachsinnen gestört wurde durch den Fall eines ungeheuren Körpers, der in die Fluthen des Weltmeers stürzte. Der Schöpfer blickte auf und gewahrte den Teufel, welcher ein ungeheures Felsenstück herbeigebracht und in die Tiefe geschleudert hatte, daß die Axe der neuen Schöpfung zitternd unter der Last schwankte und zu brechen drohte, und noch davon schwankt bis auf diese Stunde, ja, bis in alle Ewigkeit. Vor gänzlichem Verderben bewahrte der Herr sein Werk durch seine Macht und Stärke. Er hielt es mit seiner gewaltigen Hand, mit der andern drohte er dem bösen Feind, daß dieser heulend davon floh; aber überall ragte der furchtbare Felsblock aus den Wassern. Hoch und finster stieg er aus der Fluth bis in die Wolken; schwarz und verbrannt sah er aus; zackig, wild und zerrissen sanken seine nackten Wände in unergründliche Tiefen und füllten das Meer mit zahllosen Klippen und Spitzen auf viele Meilen. Gott der Herr warf einen Blick der Trauer und des Erbarmens auf diese Wüste, dann nahm er, was noch übrig geblieben an fruchtbarer Erde und streute es aus über die schwarzen Felsen. Aber ach! das Wenige reichte dazu nicht hin. Kaum ward in den Spalten und Gründen der Boden bedeckt, und nur an einigen Stellen ließen die Gottesfinger so viel zurück, daß Fruchtbäume wachsen und Saaten reifen konnten. Je weiter nach Norden, um so geringer ward die Gabe, bis endlich nichts mehr übrig war; da mußte des Teufels Werk bleiben, wie es gewesen, belastet von dem Fluche ewiger 2 Unfruchtbarkeit. Aber Gott streckte seine allmächtige Hand aus, und segnete den verlassenen Boden. Soll keine Blume hier blühen, kein Vogel singen, kein Halm gedeihen, sprach seine schaffende Stimme, so soll der böse Geist doch keinen Theil haben an dir. Ich will mich dein erbarmen und Menschen hier wohnen lassen, die mit Liebe und Treue an diesen Felsen hängen und glücklich darauf werden sollen. – Da befahl der Herr den Fischen, daß sie das Meer in ungeheuren Schwärmen belebten, und oben in die Felsen und Eisfelder setzte er ein wundersames Geschöpf, halb Kuh, halb Hirsch, das mit Milch und Butter, mit Fleisch und Fell und Sehnen die Menschen nähren und kleiden mußte.

So, spricht die Sage, sei Norwegen entstanden. Darum wäre das Meer an jenen wilden Küsten so belebt von den schnellen, unermeßlichen Schaaren schuppiger Geschöpfe, so sei mitten in den Eiswüsten das Rennthier auch geschaffen, ohne dessen Hülfe Niemand dort wohnen könnte. – Aber welche Welt des Schreckens und des Schweigens liegt hier verborgen! Unter welchen Schauren der Schöpfung zittert das Herz des einsamen Wanderers, wenn er durch diese öden Fjorde und Sunde irrt, wo das Meer in tausend Labyrinthen, zwischen düstere schneegekrönte Felsen in ungangbare Klüfte und Höhlen sich verliert. Welch banges Staunen begleitet ihn, wenn sein Schiff durch diese Unermeßlichkeit von Klippen, gigantischen Blöcken und schwarzen granitnen Mauern gleitet, die einen mehr als dreihundert Meilen langen, furchtbaren Gürtel um die steinernen Brüste Norwegens schlingen.

Doch, wenn ein Gott einst gesagt hat: »Ich will jene schrecklichen Einöden von Menschen bewohnen lassen«, so hat er diese doch nur spärlich ausstreuen können über das vergessene Land. Auf Felsen und Sümpfen müssen sie umherziehen, ewig wandernd mit dem wandernden Rennthiere, das sie nährt; nur in Buchten und Spalten am Meeresufer können sie einsam und getrennt wohnen und den Fischen nachstellen, unter tausend Aengsten und Mühen. Das Land aber kann noch immer keines Mannes feste Wohnung sein. Tief liegt es unter Sumpf und Eis, in Nebel und Nacht gehüllt, ohne Baum und Feld, ohne die Hütte des Ackermannes, ohne das Brüllen seiner Heerden, ohne den milden Segen, der durch den Fleiß der Menschen und ihre gemeinsame Gesittung entspringt.

3 So ist es anzuschauen, wenn das Schiff den Hafen von Trondhjem verläßt und nördlich steuernd durch die Sunde und Fjorde dringt. Hinter ihm steigt die Küste hoch auf; die fruchtbaren Plätze verschwinden darin, immer wildere, nacktere Felsen dehnen sich zu todten Wüsten aus, bis endlich die unersteiglichen Gletscher von Helgeland aller Bewohnbarkeit ein Ziel setzen. In die Buchten und Klippen zieht sich dann das Menschenleben zurück. Dort wohnt der Kaufmann und der Fischer von normannischem Geschlecht, und neben ihnen haben Quänen und Lappen sich angesiedelt. Auf den schneeigen Alpen treibt der Waldfinne seine Milchkühe mit zackigen Geweihen, und wenn er den Wolf und den Bär jagt, donnert der Knall seiner Büchse aus den düstern Meeresbuchten wieder. Und immer wilder und einsamer wird es mit jedem neuen Morgen. Auf viele Meilen kein Haus, kein Feuerplatz, kein Segel, das uns entgegeneilt, kein Boot mit Angeln und Netzen. Seehunde wälzen sich spielend vor dem Schiffe her, der Walfisch spritzt seine hohen Fontainen in die Lüfte; Mövenschwärme stürzen schreiend auf ziehende Häringsschaaren; Taucher und Alken springen von den Klippen, über die schaumigen Wogen flattert der Eidervogel, und hoch oben in den reinen scharfen Lüften umkreist ein Adlerpaar sein Felsennest.

Endlich, um tausend Felsenecken biegend, mitten in den Irrgärten der Meeresbecken erblickst du das Haus eines Kaufmannes am Abhange eines von Birken umbuschten Vorgebirges. Da liegen seine Packhäuser, seine Schiffe, seine Boote; da steigt der Rauch von zehn zerstreuten Fischerhütten über die niedrigen narbigen Felsen und zwischen ihnen blitzt das matte Grün eines Wiesenstrichs, durch den ein brausender Bach eilt. – Wenige Minuten und Alles ist verschwunden. Von Neuem hat die Einöde dich aufgenommen, von Neuem umschlingen dich dieselben Sunde, dieselben tiefschweigenden Wasserspiegel und von den hohen Fjellen rasen Windstöße nieder und fallen dich an mit der Wuth wilder Thiere. – Hier beginnt unsere Geschichte. 4


 << zurück weiter >>