Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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23.

An der Lyngenkirche wurde zwei Tage darauf der große Herbstmarkt gehalten und damals gab es keinen bedeutenderen im ganzen Lande. Von allen den vielen Sunden und Fjorden, von den Inseln und Außeninseln bis nach Soröen hinauf kamen manche der kleinen Anbauer, Quäner, angesiedelte Bölappen, Kolonisten und Fischer, um ihre Wintereinkäufe theils bei den Kaufleuten, noch mehr aber bei den Feldlappen selbst zu machen, die mit ganzen Heerden fetter Rennthiere, mit Pelzwerk, Häuten, Mützen von Otternfell, Komager, Taschen, Gürteln und starken Riemen und Lederleinen von ihren Bergen herunterstiegen. Auch sie wollten Handel und Wandel treiben, ihre Vorräthe versilbern oder vertauschen und mit Pulver und Blei, Leinenstücken und Wollendecken, Nadel und Zwirn, Stahl und Eisengeräthen aller Art, vorzüglich aber auch mit Mehl und Branntwein, ihre Winterlager versorgen. Der Herbstmarkt war für alle diese 487 Menschen der entscheidende Wendepunkt ihrer vernehmlichsten Leiden und Freuden. All ihr Sinnen und Trachten ging darauf hin, zu sammeln und zu sparen, um auf dem Lyngenmarkt kaufen und verkaufen zu können, und jedenfalls waren die Lappen die Hauptsache dabei, denn diese Märkte hießen die Lappenmärkte, und damals, wo das unglückliche Volk immer noch achtzigtausend Köpfe zählte, war der Verkehr weit größer, wie er jetzt ist, wo kaum der sechste Theil mehr davon zu versorgen bleibt.

Die lappischen Heerdenbesitzer kamen mit Weibern und Familien und die Märkte waren nicht allein dem Handel geweiht, es waren auch Freuden- und Festtage, an denen nach Herzenslust geschmaust und gezecht wurde. Zugleich waren es Gerichts- und Steuertage, wo alte Streite geschlichtet, Bußen auferlegt, Urtheile gefällt und die Kopfsteuer erhoben wurde. Der Voigt von Tromsöe hatte seinen Thron mitten auf dem Markt aufgeschlagen und kam mit seinen Lensmännern und Amtsboten; der geschworene Schreiber, sein Neffe, sprach Recht im Namen des Königs und hatte das große Gesetzbuch neben sich, sammt Akten, Papieren und anderem schrecklichen Rechtswerkzeug, das Erstaunen und Ehrfurcht erregte. Für diese beiden Herren und ihren Anhang waren die Lappenmärkte aber nicht weniger vortheilhaft, wie für die Kaufleute, denn Streite und Prozesse gab es vollauf; in der ganzen Welt mochte schwerlich mehr Lust dazu sein, wie unter diesen Bölappen, Kolonisten und Quänern. Dazu hatten die Wald- und Feldlappen sicherlich immer viele Klagen über verkürzte Weide und Gewalt, die Gaardleute viele Beschwerde über Bosheit und Schaden, Alles aber brachte Geld in die Tasche des Richters, denn jeder Spruch mußte mit blanken Thalern bezahlt werden.

Der Markt hatte diesmal ein eigenthümliches Ansehen. Lappen waren genug gekommen, doch verhältnißmäßig wenige Frauen und Kinder; und lange in dem Maße nicht wie sonst, hatten sie fette Rennthiere und andere Waaren mitgebracht. Mit ihren langen, eisenspitzen Stäben, zuweilen auch die kurze Büchse keck auf der Schulter, sah man sie auf- und abziehen, in Haufen beisammen stehen und hocken, und neugierig umherschauen, als erwarteten sie etwas Besonderes. Die nordischen Kaufleute hatten Zelte vor ihren Kirchenhäusern aufgeschlagen und den ganzen Reichthum ihrer Waaren verlockend zur 488 Schau gestellt, allein es wurde wenig gehandelt. Von Tromsöe her und aus den Fjorden waren die bedeutendsten Kaufleute da, mitten darinnen Helgestad. Das Meer lag voll Yachten und großer Boote und die Unzufriedenheit wurde, je länger es dauerte, je allgemeiner. Niemand wußte recht, was die wahre Ursache dieses schlechten Marktes sei.

Die Einen schoben es auf das Wetter, denn in der Nacht hatte ein fürchterlicher Sturm getobt, der Helgestad's Zelt umgeworfen und in Stücke gerissen hatte. Schwere Wolken trieben noch jetzt über den Himmel und schickten dann und wann einen dichten Regenschauer herunter. Dazu heulte der Wind um Thurm und Platz und hinderte die Herrlichkeit des Marktes. Sonst wanderten die Frauen und Töchter der Handelsherren, der Voigte, Priester und Sorenskriver hier in ihrem besten Putz umher, es war ein Stelldichein für die gesammte Aristokratie des Nordens, und alle Damen erwarteten und empfingen niedliche Geschenke, die, je besser der Markt ausfiel, um so prächtiger und theurer wurden. Des Wetters wegen war aber heut nur ein spärlicher Theil gekommen, und die da waren, saßen in den Häuschen beisammen und ärgerten sich über Kälte und Wind.

Die Frauen und Mädchen der Lappen konnten freilich solche Dinge besser ertragen; daß sie nicht da waren, nicht kauften, tranken und ihre Männer anreizten, mußte einen andern Grund haben. Viele meinten, es sei Furcht in die Gammen gekommen, daß die Neckereien und Räubereien auf dem Markt vergolten werden sollten durch ein strenges Gericht; dessentwegen sei ein Theil ganz fortgeblieben und suche sich lieber auf andere Weise zu versorgen. Was wahr oder falsch sei, wußte Niemand; dagegen war keine geringe Zahl junger rüstiger Männer aus gutem Blut und guter Familie auf dem Platze, darunter manche, die sonst nicht zu kommen pflegten; Freunde und Bekannte des Schreibers von Tromsöe und der Familie Helgestad, die sich jedoch wenig in den Marktbuden sehen ließen, sondern lieber ihre Zeit den jungen Damen widmeten.

In Helgestad's Häuschen war eine zahlreiche Gesellschaft beisammen und trotz alles Ungemachs ging es dort lustig genug her. Die Töchter der Nachbarn und des Pastors Henrik Sture hatten sich um Ilda und Hannah versammelt; der geistliche Herr selbst saß in 489 einer Ecke beim vollen Glase und erwartete geduldig seine Stunde, das heißt die Stunde, wo ihm der Zehntenantheil von der Marktsteuer ausgezahlt werden würde, die er im Stillen überschlug. Ein halbes Dutzend Söhne und Vettern von Gaardherren und Grundbesitzern unterhielt die Mädchen nach Kräften, und von Zeit zu Zeit kam Einer und der Andere lachend oder schimpfend herein, erzählte Marktscenen oder beschwerte sich über die Unverschämtheit der Lappen, die für ihre Thiere doppelt so viel forderten, als im vorigen Jahre, und vor den Buden der Kaufleute ständen, als wollten sie diese verschlingen, dabei aber kaum nach den Preisen fragten. Branntwein war sonst das wirksamste Mittel gewesen, ihnen die nöthige Kauflust beizubringen. Jeder Handel begann damit, daß dem Lappen ein volles Glas eingeschenkt wurde; wollte er den Preis nicht annehmbar finden, so gab es ein zweites Glas, und gewöhnlich machte ihn das dritte vollkommen geschmeidig. Es gab allerdings immer einige Schlauköpfe, die nicht eher sich berauschten, bis sie mit Kauf und Verkauf vollständig fertig, in ihren Gürteln die Species eingesperrt hatten, welche sie mitnehmen wollten, und da Diebstahl ein bei ihrem Stamme ganz unbekanntes Laster war, sich ganz sicher fühlten, daß während der sinnlosesten Trunkenheit ihnen nichts entwendet würde. Diesmal jedoch wurde überall das volle Glas verschmäht, die kleinen Kolonisten, welche mit gefüllten Flaschen anrückten, wurden zurückgewiesen und ausgelacht. Es kam zu Schimpfreden, zu allerhand Händeln und zu erbitterter Stimmung gegen diese neue Nichtswürdigkeit des lappischen Gesindels, sich nicht betrinken und nicht betrügen lassen zu wollen.

Es ist eine Schande! rief einer der Kaufleute, der eben hereintrat, ein solcher Tag ist noch nicht dagewesen. Ist das ein Markt, wo man kein Schreien, kein Lachen, keine Lustigkeit und keine Betrunkenen hört und sieht, wenn es Mittag werden will? Im vorigen Jahre lagen sie an der Kirche dort in ganzen Reihen. Die Geiker saßen im Kreise, brüllten bis sie umfielen und fortgeschleppt wurden, und mancher von den armen Inselleuten und Kolonisten kaufte ein fettes Thier für einen Species, einen Pelz für die Hälfte, eine Mütze für acht Schillinge und ein paar prächtige Komager für einen frischen Schluck. Heut stehen die Schufte und grinsen uns an, verschlingen unsere Waaren mit ihren Augen, als wollten sie damit fortfliegen, 490 mögen aber selbst nichts hergeben, denn für baares Geld und hohen Preis. Ich kann es den Männern nicht verdenken, die in ihrer Wuth über ein Paar der höhnenden Schelme hergefallen sind und sie ordentlich abgedroschen haben.

Jetzt trat auch Helgestad herein, aber der grimmige große Mann hatte mehr Hohn in seinem Gesicht als Aerger. Ist richtig calculirt, sagte er, wird uns aber nichts helfen. Sind verstockte Geschöpfe, die auch durch Prügel nicht besser werden. Müssen Geduld haben mit ihnen, werden zum Einsehen kommen, ehe es Abend wird. Geht jetzt hinaus, ihr Mädchen, fuhr er fort, indem er sich zu der Gesellschaft wandte. Helft den Markt lebendig machen und begleitet Ilda, die Paul Petersen erwartet. Will ihr ein Hochzeitsgeschenk kaufen, das beste, was er finden kann. Helft suchen, wo das schönste Mäntelchen von Federn zu haben ist. Trefft vielleicht den lustigen Mortuno, hat der Schelm sonst immer gute Sachen. – Er legte auf Hannah's Schulter eine seiner mächtigen Hände und grinste sie an. Bist wirr im Sinn, rief er, weil dein Schatz ausbleibt? Sollst dich trösten, Mädchen, denke, er bleibt nicht lange. Ist jedoch billig und recht, wenn du Ersatz begehrst, nehme also das Geschenk auf mich. Wähle was du willst, kaufe was dein Herz begehrt, komm dann und hole Geld und laß es nicht wenig sein. Bist Niels Helgestad's Schwiegerkind, muß Ilda selbst dir weichen.

Das Erstaunen war nicht gering, als der genaue Handelsmann, trotz des schlechten Marktes, zu möglichst vielem Geldausgeben aufforderte. Aber er war ja der reichste im Lande und Fandrem's Tochter brachte ihm gefüllte Kasten in sein gefülltes Haus. – Die jungen Mädchen beneideten ihre Freundinnen um das Glück, das Theuerste und Beste ohne Beschränkung wählen zu können, und weil das Wetter besser geworden war liefen sie hinaus, um nach dem Prächtigsten zu suchen.

Helgestad blieb an der Thür stehen und blickte von dort in seine Waarenzelte, wo seine Schaffner vergebens Käufer anriefen. Ein paar Male ging er auf und ab, stampfte heftig auf und bekämpfte seine Ungeduld, bis Paul Petersen hereintrat, der lustig lachte und nach Ilda fragte.

Ist eben gegangen, dich aufzusuchen, sagte Helgestad. Wart einen Augenblick, Paul. Bin doch in Sorgen um die Dinge, die 491 kommen sollen; wollte, Björnarne wäre hier, wollte, hätten den Höllenkerl erst beim Leibe. Bin in Zweifel, ob er in dein Netz läuft.

Seid doch ohne Sorge, erwiderte der Schreiber. Weßhalb warten die Lappen und stecken die Köpfe zusammen? Sie warten auf ihn und denken, daß der Tanz dann losgehen soll. Alles was ich erfahren habe, stimmt darin überein, daß sie von allen Seiten gekommen sind, um ihre Klagen vor den Voigt zu bringen. Afraja und Mortuno sammt ihren Helfershelfern haben seit Wochen in allen Gammen gearbeitet, um das furchtsame Gesindel auf die Beine zu bringen. Was es gefruchtet hat, seht Ihr. Die Weiber und Greise haben sie zu Hause gelassen, ein paar tausend rüstige Bursche treiben sich hier umher; viele darunter möchten uns mit Vergnügen den Hals umdrehen und den Markt plündern. Daß sie nichts kaufen, hat, so wahr ich lebe, den einzigen Grund, weil sie des Glaubens sind, in einigen Stunden Alles umsonst haben zu können. – Helgestad grinste voll Hohn und Verachtung auf den Kirchplatz hinaus, aber Paul fuhr lächelnd fort: Glaubt mir, damit wäre nicht zu spaßen, wenn Mortuno mit seiner Bande kommen könnte und überhaupt nur ein paar muthvolle den Tod verachtende Männer darunter wären.

Wirst mir niemals einreden wollen, sagte der Kaufmann, daß Lappen uns auf offenem Markt angreifen könnten.

Sie würden Euch noch ganz andere Dinge beweisen, wenn wir es dazu kommen ließen. Doch die Umstände haben sich geändert. Mortuno schießt weder den Voigt von seinem Stuhl noch den Sorenskriver, oder Niels Helgestad vom größten Waarenballen. Ein Anderer wagt das nicht.

Habt das Mädchen also an den Maursund geschafft?

Sie ist sicher aufgehoben.

Waren wilde Nächte, murmelte der Alte. Wird kein Unglück geschehen sein.

Wo soll Unglück herkommen? Was wir wollten, ist uns geglückt und alle Vorsichtsmaßregeln sind getroffen, um nichts zu fürchten. Ueberlaßt mir Alles. So wie wir den Vogel haben, soll er in einen guten Käfig. Er soll nicht einen Laut von sich geben, ich bürge dafür. Da liegt die Schaluppe fertig, die ihn nach Tromsöe bringt; wie ich winke, soll er am Bord sein. Und schon dauert es den Tölpeln zu 492 lange, ehe ihr berühmter Meister erscheint, fuhr er lachend fort. Schon fangen sie an zu schachern und zu trinken. Kommt er in der nächsten Stunde nicht, so haben sie ihn vergessen. Geht, Schwiegervater, und seht nach Handel und Geschäfte. Haben wir den alten Burschen, so wollen wir Silber aus seinen schlechten Streichen pressen und dann habe ich Lust Euch einige andere Vorschläge zu machen.

Nuh, sagte Helgestad, wirst aufrichtig sein?

Aufrichtig, wie ein Däne! rief Paul, aber da ist Ilda. Ich will zu ihr hin, seht, wie ihre Augen umher suchen, und wen kann sie anders suchen, als mich.

Helgestad sah ihm nach und murmelte vor sich hin: Kann denken, nach wem sie ausschaut. Wird ihn aber nimmer finden. Denke, der dänische Narr ist davon gelaufen, blieb ihm wahrlich wenig anderes mehr übrig.

Mit diesem Troste begab er sich auf den Markt zurück, der wirklich an Lebendigkeit zugenommen hatte. Die Lappen schienen nicht zu wissen, wie sie sich das Ausbleiben Mortuno's und Afraja's erklären sollten? Aus ihrem heimlichen Sprechen wurde bald das gewöhnliche laute Geschnatter, und da der allergrößte Theil nichts weiter wußte, als daß Afraja kommen und ihre Rechte vor dem Voigt vertheidigen wollte, verloren sie den Glauben, daß es geschehen werde.

Sie wußten recht gut, wie Afraja gehaßt war und daß, wenn er sein Vorhaben aufgab und fortblieb, er sich wahrscheinlich damit vor Strafe und Mißhandlungen schützte. Daß es darauf abgesehen sei, diese hervorzurufen, um plötzlich mit Büchsenkugeln zu antworten, wußten nur wenige und auch diese hatten allein Vermuthungen. Mortuno hatte zu seinen Freunden Worte gesprochen, die wohl darauf deuteten, doch einen Plan hatte er ihnen nicht mitgetheilt, eine Verschwörung nie zu Stande gebracht. Er hatte sie ermahnt, ihre Waffen mitzubringen, ihre Pulverhörner zu füllen und ihren Gürtel mit Kugeln zu pflastern; seine Reden athmeten glühenden Haß gegen die Unterdrücker, und lebendig wußte er zu schildern, wie anders es sein würde, wenn kein Normann mehr im Lande geduldet würde, Alles denen wieder gehörte, deren uraltes Eigenthum es sei. – Was er sagte, hatte die Begierden aufgeweckt, aber Vaterlandsliebe war das nicht. Doch hätte er sein nie fehlendes Gewehr zuerst abgedrückt, so 493 würde Mancher ihm gefolgt sein; etwas ohne ihn wagen mochte Niemand.

Wenn er mit seinem weisen Oheim nun nicht erschien, was sollte dann aus Markt und Handel werden? Da waren Rennthierschinken, Felle und Hörner in Menge, da standen die lebendigen Schlachtthiere in ganzen Reihen. Mancher trug auf seinem Rücken an Birkenruthen gespießt, Wild und Vögel verschiedener Art, und auf der Erde lagen bunt gesteppte Röcke, Haufen von Halbstiefeln aus Rennthierhaut mit Sehnen genäht, Bären- und Wolfspelze, Fuchs- und Otternfelle, Gehörne und Säcke voll Federn aus der Brust der großen glänzend weißen Möven, der Enten und anderer reich und warm gefiederten Vögel. – Das Alles konnte doch nicht unverkauft bleiben und worauf sollte man länger warten? Manchen faßte geheime Furcht, Andere sehnten sich nach dem Branntwein der Kaufleute, wieder Andere dachten daran, daß sie Mehl, Leinwand, Eisentöpfe und Beile nöthig hätten, und endlich kam es den Meisten vor, daß diese schönen Dinge und die Silberspecies der Norweger besser seien, als Streit mit ihnen anzufangen, der mit Beulen, Strafen, Peitschenhieben und blutigen Löchern enden könne.

Es entwickelte sich daher an vielen Orten nach und nach der Verkehr, unter Geschrei und Gelächter bei vollen Gläsern und Flaschen, nur ein kleiner Trupp junger Männer hielt sich noch lauernd beisammen und diese trugen fast alle Gewehre und scharfe Messer an der Seite.

Als die Mädchen auf den Platz traten, war der Handel schon im Gange. Riesenhafte Quäner feilschten unter wilden Flüchen mit boshaft grinsenden Lappen, die von ihren Preisen nicht ablassen wollten. Ihre Weiber hockten zusammen, rauchten die Pfeifen der Männer und mischten sich mit gellendem Geschrei in die Gebote. – Da wurden Rennthiere betastet, ihr Gewicht untersucht und bezweifelt, die Forderung mit Hohngelächter beantwortet, oder der Verkäufer mit der Branntweinflasche zur Einsicht gebracht.

An anderen Orten drehten sich Lärm und Geschrei um Pelzdecken und Komager, Fuchsmützen und Bärenfelle. Feuer waren angezündet, um welche Finnen und Bölappen, Fischer und Kolonisten lagerten und sich wärmten, aßen, tranken, schimpften und jubelten, rauhe Stimmen brüllten dazwischen. Manche, die sich besser dünkten oder es waren, 494 verzehrten an grob aufgerichteten Tischen Hammelfleisch, das in Zwiebelbrühe schwamm. Lappen kochten in ihren blechernen Geschirren Fische, die sie halb roh verschlangen, wieder andere rösteten blutiges Fleisch und Vögel und auch aus den Buden und Zelten der Kaufleute scholl der Handelslärm; um Helgestad's Vorräthe drängte sich ein dichter Schwarm abenteuerlicher Gestalten.

Merkwürdig aber war es doch, daß, während die normannischen Fischer sowohl wie die Finnen, Bölappen und andere Kolonisten auch nicht einen Mann oder ein Weib aufzuweisen hatten, welche aus den verwetterten Gestalten und rauhen, harten Gesichtern vortheilhaft hervorgetreten wären, die Lappen, diese verachteten Nomaden, einige ganz artige und wohlgefällige Jünglinge und junge Mädchen auf den Markt geschickt hatten.

Die kleinen Dirnen wurden zwar von den stolzen Töchtern der Kaufleute mit verächtlichen und spöttischen Blicken betrachtet und von den Männern aus besserem Blut kaum angesehen, allein sie waren hübscher und zierlicher als viele, die ihnen nachhöhnten. In ihren blauen Jacken und weiten Röcken, mit rothen Litzen besetzt und bestickt, in ihren weißen Häubchen und Faltenschürzen, ihren netten Federtaschen und geschnürten Halbstiefeln, trippelten sie durch das Gedränge; zwischen den breitschulterigen, mächtigen Gestalten der Normänner und deren hochgewachsenen Frauen zeigten sie ihre freundlich geformten Gesichter mit lebhaften Augen und frischen Farben.

Diese niedlichen Mädchen in der gefälligen Nationaltracht waren Erbtöchter wohlhabender Familien, oder Frauen im ersten jugendlichen Alter. Vielleicht besaßen sie zwei- oder dreitausend Rennthiere und hatten ein Dutzend vergrabener Töpfe voll Speciesthaler zu erwarten. Es waren junge Aristokratinnen, die wohl wußten, wie sie begehrt wurden und was sie werth waren, und spröden Sinnes sich fortwandten, wenn ein armer, schmutziger Landmann sich vertraulich zeigen wollte.

Aber auch unter den Jünglingen, die in ihren neuen, braunen Jagdhemden umherstreiften, breite Gürtel mit Silberschnallen und Beschlägen um den Leib trugen, ihre Mützen mit Adler- und Skarvenfedern besteckt hatten und ihre schwarzen Locken fliegen ließen, gab es mehrere, welche stattlich und wohlgefällig aussahen. Etwas Wildes und Sonderbares hatten sie zwar Alle und ihre blitzenden kleinen 495 Augen flogen scheu umher, doch manche Gestalt war schlank und fest, und der wacklige Gang, wie die abgemagerten gebogenen Beine, die den Lappen meist eigen sind, waren ihnen nicht anzusehen.

Manche dieser jungen Herren brachten verschiedene Gegenstände zum Verkauf, doch waren es nur Kunstsachen. Sie boten kleinere und größere Taschen feil, allerliebste Körbchen, Kragen und Ueberwürfe, verfertigt von den feinsten Federn verschiedenartiger Vögel und oft von so glänzender Farbenpracht und in so vielen harmonischen Schattirungen, daß sie ein Künstler nicht schöner wählen und zusammenstellen konnte.

Mitten in der Beschäftigung, unter allen diesen vorhandenen Herrlichkeiten zu wählen, traf Petersen mit Ilda und ihren Freundinnen zusammen. Er hatte sich durch das dichteste Gewühl der Lappen gedrängt, auch mitten durch den lauernden Haufen der Büchsenschützen, die zu dem verhaßten Sorenskriver aufstarrten, der weit über ihre Köpfe fort sah und sie rechts und links zur Seite stieß. Keine Hand rührte sich, kein murrender Ton ließ sich hören. Paul Petersen sah hohnvoll darauf hin, als wüßte er ihre Gedanken, aber er kannte auch ihre Feigheit. Wo sein Blick traf, ging er bis in ihre Herzen und brachte Furcht und Zittern hervor.

Er war heut in seiner Amtstracht, dem blauen Rock mit goldgesticktem Kragen. Sein Haar war mit einem Bande gebunden und mit Puder bestreut; auf seinen wulstigen Locken saß der Hut mit breiter Tresse und an der Seite trug er, als Schwert der Gerechtigkeit, einen langen Stoßdegen. Für die Lappen war dies Kleid und dieser Aufputz Gegenstand des feierlichsten Staunens und Schreckens; der Schreiber war damit von einer hohen unbekannten Macht gesegnet worden, von der sie scheue und ehrfurchtsvolle Vorstellungen hatten.

Die jungen Mädchen handelten eben um ein schönes Mäntelchen von Federn, das ein junger Lappe feil bot, als Paul dazu kam. Der Lappe forderte einen ziemlich hohen Preis, welcher allgemeinen Widerspruch erregt hatte. Paul betrachtete den Kragen von allen Seiten, legte ihn um Ilda's Schultern, und sagte dann: Wie, du Narr! einen solchen Anblick hast du dein ganzes Leben über noch nicht gehabt. Das schönste Mädchen in den Finnmarken legt deine schlechte Arbeit an und nun erst wird etwas daraus. Gibt es nichts Besseres als 496 das? Ist kein reicheres, größeres Geschenk auf dem Markt? – Der Kragen gefällt mir nicht. Ist keine geschicktere Hand in Euern Gammen, die eine prächtigere Arbeit liefern kann?

Es hatte sich ein dichter Kreis um die Gruppe gebildet, der dem Handel zuschaute. Im Augenblick rief aus der hintersten Reihe eine laute Stimme den Namen: Mortuno!

Der Ruf kam so plötzlich und ward hinter Petersen's Rücken so grell hervorgestoßen, daß dieser sich bestürzt umsah und jetzt ließ er den Kragen fallen und blickte nach der nahen Kirche hin, denn von dort her kam ein Geschrei und ein seltsamer Zug; ein Haufen Menschen – Lappen, die etwas trugen, das auf einer Art Bahre lag. Paul sah weniger darauf, wie auf die Männer, welche an der Spitze gingen und ein boshafter Triumph, ein Schrecken zugleich, füllte seine Augen; wilde Freude blitzte darin auf, denn der eine derselben war Afraja, der andere Marstrand. Er stieß zurück, wer ihm entgegen stand und eilte zu dem Gerichtsplatz in der Mitte des Marktes. Da stand das bedeckte Amtszelt des Voigts mit seinen Schranken und der Urtheilsstätte und hier sammelten sich rasch die Freunde und Vertraute des Sorenskrivers. Die Ankunft des gefährlichen Lappen ging von Mund zu Mund; Petersen war bereit, ihn zu empfangen. Mit seinem Oheim, dem Voigt, hatte er kaum Abrede genommen, als der sonderbare Zug erschien. Schweigen hatte sich eingestellt, die Käufer stoben auseinander, die nordischen Kaufleute und ihre Gehülfen verließen ihre Waarenlager, die Lappen standen mit offenen Mäulern und starrten ihren Propheten an. Alle folgten und drängten sich um die Halle und alle Blicke richteten sich auf den alten, hinfälligen Mann, der von dem Gaardherrn vom Balsfjord unterstützt wurde. Ein Normann, einer von der herrschenden Kaste, der einem Lappen die Hand gibt und an seiner Seite geht, war überhaupt ein Anblick, der bei dem einen Theil Stirnrunzeln, bei dem andern Erstaunen und Freude hervorbrachte. – Hinter den beiden Männern gingen ein Dutzend andere von Afraja's Stamm und Geschlecht. Vier trugen die umhüllten Stangen einer Bahre, die übrigen folgten mit gesenkten Köpfen und den Beschluß machte eine Anzahl Hunde, die mit eingekniffenen Schwänzen hinterher schlichen.

497 Als Afraja an den Stufen, stand, nahm er seine Mütze ab und faltete seine knochigen Hände. Er beugte sich tief nieder und hob seinen grauen Kopf zu dem Sitze auf, wo der Voigt saß. Seine rothen trüben Augen erhielten aber einen plötzlichen Glanz, als er den Schreiber erblickte und indem er seinen magern Arm ausstreckte, schrie er plötzlich: Wo hast du sie, wo hast du mein Kind? Gib sie heraus, wohin hast du sie gebracht? Ist sie hier, so laß sie mich sehen! Sei barmherzig, sei barmherzig mit mir!

Was soll das sein? schrie der Voigt, der sein hartes Gesicht grimmig faltete. – Klagst du? Gut, wir haben auch zu klagen. Kommst du zum Gericht? Das Gericht erwartet dich.

Ich klage, Herr, ja ich klage, sagte der alte Mann demüthig, doch ohne eingeschüchtert zu sein. Mein Kind ist mir geraubt, Räuber haben meine Gamme geplündert, haben fortgeschleppt, was sie fanden, und nicht genug damit, Mortuno –

Paul Petersen sprang von seinem Sitz auf und schrie mit aller Kraft seiner Stimme: Halt! ein Schelm und Verräther wie du verdient weder Glauben, noch daß man ihn anhöre. Ehe du anklagst, vernimm, wie du angeklagt wirst. Seit langer Zeit bist du es, der die Lappen gegen den Frieden dieses Landes aufhetzt. Reisende sind beraubt und mißhandelt worden, Wohnungen wurden angezündet, Vieh ist gestohlen und fortgetrieben. Damit nicht genug, bist du es, der die frommen Bestrebungen hindert, den christlichen Glauben zu verbreiten. Mit Zwang und Drohungen bestimmst du deine Landsleute, den Götzendienst fortzusetzen. Du selbst bist ein Heide, bei dem keine Mühe der Bekehrung fruchtete. Du bringst dem Jubinal Opfer, betest in den Steinkreisen, verfluchst und verspottest die christliche Lehre und stehst mit dem Teufel in Verbindung als ein Hexenmeister und Zauberer. – Ich klage dich aller dieser schändlichen Verbrechen an und will sie dir beweisen. Ich, der Richter von Tromsöe, lege Hand an dich und verhafte dich im Namen des Gerichts und der Gesetze! Nehmt ihn fest und führt ihn fort!

Dieser Befehl wurde einer Schaar von Amtsboten und jungen Männern gegeben, welche sich zu beiden Seiten um den Lappen aufgestellt und ihn von seinen Begleitern abgedrängt hatten; aber schon bei den letzten Worten hatte Marstrand den alten Mann vor sich 498 hingeschoben und kaum war Petersen fertig, als die starke und gebietende Stimme des dänischen Junkers antwortete.

Ich protestire gegen solche Gewaltthat, rief er, die damit umgeht, den Gemißhandelten zu unterdrücken! Wenn dieser Mann keinen Glauben verdient, so will ich Zeugniß für ihn ablegen.

Spart Euer Zeugniß für Euch selbst auf, sagte der Schreiber. Ihr werdet es bald genug nöthig haben. Greift zu, Amtsgehülfen!

Erst seht hierher! erwiderte Marstrand. Hier liegt das Opfer und dort sitzt sein Mörder! – Er that einen raschen Schritt bis an die Bahre, riß die Hülle ab und alle Hände sanken nieder. Die Leiche Mortuno's mit der Todeswunde an der Stirne lag vor ihnen.

Voigt von Tromsöe, sagte Johann inmitten der lautlosen Stille, ich fordere im Namen des höchsten Richters auf Erden, im Namen des Königs, Gerechtigkeit von Ihnen. Sie sind die erste Magistratsperson in diesem Lande, Sie müssen jeden Verbrecher verfolgen und wenn es Ihr eigener Neffe wäre.

Der Voigt saß starr auf seinem Sitze. Seine geballte Faust zuckte hin und her, wüthender Zorn war in seinem rothen aufgedunsenen Gesicht; er hätte den Ankläger niederschmettern mögen.

Das ist eine falsche, verabscheuungswürdige Beschuldigung, sagte Paul, der seine volle Ruhe wieder erlangt hatte. Ich hätte nicht nöthig, darauf zu antworten, aber ich will es thun, damit meine Mitbürger und Freunde nicht Uebles von mir denken. Sie klagen mich an, Johann Marstrand, bringen Sie Ihre Beweise vor, damit Jeder diese höre.

Vor zwei Tagen, begann der Kläger, erschienen früh am Morgen in der Nähe der Kilpisjaure drei Männer, die sich den Zelten Afraja's näherten und endlich bei ihm eintraten. Es war der Sorenskriver Paul Petersen, Olaf Veigand von Bodöen und Björnarne Helgestad. Sie gaben vor, auf einer Jagdpartie gewesen zu sein, wurden freundlich empfangen, bewirthet und verließen nach einer Stunde die Gamme wieder. In der Nacht aber kehrten sie zurück, ohne Zweifel von einem Vierten begleitet, denn man hat die Spuren von vier verschiedenen Fußpaaren gefunden, und ein zerbrochenes Messer trägt den Namen Egede im Heft.

499 Diese vier Männer, begleitet von einem Hunde, drangen in das kleine versteckte Thal, das am Fuße des Kilpis liegt. Dort schlief in einer Hütte die Tochter Afraja's, welche Gula heißt, und Vielen bekannt ist. Sie überfielen das Mädchen, banden es, wie zerrissene Bänder dies beweisen, verwüsteten die Hütte, zerstörten Eigenthum und schleppten die Gefangene fort. Nach einigen Stunden wurden sie verfolgt und eingeholt. Mortuno, der Neffe dieses Greises, scheint zuerst entdeckt zu haben, was geschah. Er wollte die Geraubte befreien, aber eine Kugel streckte ihn nieder, und hat Paul Petersen diese wirklich nicht selbst abgeschossen, so hat es einer seiner Genossen gethan. Hier aber ist ein halb verbranntes Papier, der Pfropf eines Gewehres, aus dem der Schuß gefallen ist, und dies Papier ist das Stück eines Briefes, den Petersen geschrieben hat. Es ist seine Handschrift, mag er es läugnen, wenn er kann.

Ich läugne es gar nicht, sagte Paul verächtlich, als ihm das Stück hingereicht wurde, aber ich läugne bei meiner Ehre, bei meinem Gewissen, und bei Gottes Allmacht! daß dieser Lappe von meiner Hand gefallen ist. Ehe ich mich vertheidige, will ich zuförderst einige Fragen an diesen Ankläger richten. – Sie wissen so genau den Hergang zu erzählen. Waren Sie in der Nähe oder waren Sie zugegen, als man den Todten fand?

Marstrand schwieg.

Es ist nicht möglich, daß Afraja an den Balsfjord geschickt hat, um Sie aufzusuchen. Die Zeit war zu kurz dazu, auch weiß man, daß Sie seit mehreren Tagen schon Ihren Gaard verlassen haben, angeblich, um an den Malangerfjord zu reisen. Dort sind Sie nicht gewesen. Sie waren somit an dem Kilpis bei diesen Lappen, mit denen Sie seit langer Zeit genauen Umgang haben, wie dies nie sonst ein Normann thut.

Ich habe Ihnen über meinen Umgang keine Rechenschaft abzulegen, sagte Johann, unter dem mißfälligen Gemurmel der Umstehenden.

Für den Augenblick nein, in der Folge aber gewiß, rief Paul; jetzt genügt es, zu wissen, daß Sie in den Gammen dieses alten Missethäters steckten. – Ich bekenne freimüthig, daß Sie die Wahrheit sagten, daß ich mit meinen Freunden, Björnarne und Olaf, an 500 dem Kilpis war, und ich will vor allen Ohren hinzufügen, was uns dazu antrieb.

Dieser Erschossene war ein Schelm, ein Bösewicht der schlimmsten Art, und kaum glaube ich, daß sein Ende irgendwo anders Bedauern erweckt als bei seinen Genossen und Gehülfen. Er war der nahe Verwandte Afraja's, eingeweiht in dessen Ränke, seine rechte Hand zu allen bösen Streichen, sein Vertrauter bei allen Plänen gegen den Frieden und die Sicherheit dieses Landes. Ich, der ich des Königs und des Gesetzes Diener bin, mußte auf Mittel denken, diesen Schelmen beizukommen. Ich verband mich dazu mit meinen Freunden, Björnarne und Olaf, und rufe als Zeugen der Wahrheit den besten Mann in den Finnmarken, Niels Helgestad, an, der von Allem unterrichtet war, was ich that, und seinen eigenen Sohn mir mitgab.

Wir kamen an den Kilpis und trafen dort Afraja. In seiner Gamme überzeugte ich mich nochmals von seinem nichtswürdigen Leben und Treiben. Ich versuchte ihn durch Schmeichelworte und er verkaufte uns gegen Bezahlung ein Götzenbild, das uns glückliche Heimkehr und guten Wind auf dem Meere sichern sollte.

Hier schlug Afraja seine Augen zu ihm auf und eine ganze Hölle von Hohn und Rachsucht leuchtete daraus.

Du schändlicher alter Heide und Hexenmeister schrie Petersen, kannst du es läugnen?

Schlagt ihn nieder, den verfluchten Schelm! brüllte ein Haufen halbtrunkener Quäner und Kolonisten.

Wir entfernten uns und lagen versteckt in einer Schlucht, bis der Abend kam, fuhr der Schreiber fort. Pflicht und Gewissen sagten mir, daß ich zu des Landes Bestem Alles anwenden müsse, um dies gefährliche Gewürm unschädlich zu machen; eben so gewiß war es jedoch, daß Afraja niemals aus seiner Wüste herunterkommen würde, wenn wir nicht ein Mittel fänden, ihn hierher zu locken. – Ich hatte erfahren, daß er in einem Thale des Kilpis seine Tochter verbärge, dieselbe Gula, welche Helgestad einst von ihm kaufte und zur Christin erzog, bis er sie ihm stahl und wieder zum Götzendienste zwang.

Du lügst! sagte der alte Mann, und du weißt es.

501 Wir fanden das Thal, fanden das Mädchen und nahmen sie mit uns. Nichts Uebles ist ihr geschehen; unsere Absicht war allein, diesen schlauen Missethäter herunterzubringen, um ihn greifen und strafen zu können. Das ist uns geglückt. Was aber diesen Todten anbelangt, so weiß ich nicht, wie er sein Ende gefunden hat. Verdient hat er es tausendmal. Er war der boshafte Feind jedes Christen und norwegischen Mannes. Vor wenigen Wochen erst schoß er Olaf Veigand durch den Hut, daß jener kaum mit dem Leben davon kam. Ich würde ihn an Leib und Leben strafen, wenn Gottes Wille ihn nicht fortgenommen hätte. Hat ihn Olaf erschossen, so hat er ohne Zweifel sich vor ihm schützen müssen. Ich trennte mich von meinen Freunden, die das Mädchen an den Quänarnerfjord brachten, um sie dann, wenn dieser Lappe, ihr Vater, in unserer Gewalt sei, an Niels Helgestad, ihren rechtmäßigen Herrn, zurückzuliefern.

Sie hat keinen Herrn! sprach Afraja, der seinen mageren Arm schwörend aufhob. Bei dem großen Gotte aller Christen, ich habe mein Kind niemals verkauft!

Nuh! antwortete Helgestad, indem er vortrat, bin auch hier, Afraja, und kann sagen, bist ein Lügner und ein Schelm. Habe dein Kind gekauft, kostet Tabak und Branntwein, mehr wie es werth ist. Hast sie gestohlen, ist Alles richtig, was Paul Petersen sagt. Kennt mich Alle, wird mein Wort Glauben haben.

Es ist falsch! sagte Afraja, wie Alles falsch an dir ist. Gula hat dir niemals gehört. Sie ist von dir gegangen, weil dein Sohn sie mit Liebe verfolgte. Er hat sie aus meiner Gamme gerissen, um Unehre auszuüben.

Diese Worte machten einen betäubenden Eindruck sowohl auf Helgestad, wie auf den ganzen Kreis. Es war die schmachvollste Beschuldigung, die erhoben werden konnte. Der reiche, hochmüthige Mann, er, der Erste unter Allen, sollte sich und seinen einzigen Sohn so öffentlich beschimpft sehen? Ein elendes Lappenmädchen sollte vor Björnarne's Leidenschaft entflohen sein? Er sollte sie verfolgt und geraubt haben und mit ihr sich nun an dem Quänarnerfjord verbergen, während seine Verlobte, Uve Fandrem's Tochter, ihn vergebens erwartete? – Helgestad stand wie ein Mann von Stein. – Seine Fäuste hatten sich geballt, sein Kopf war dunkelroth vor Zorn und 502 Scham, er wußte sich mühsam zu mäßigen. Unsal! sagte er endlich, ich wollte dich unter meinen Füßen zertreten, wär's nicht eine Schande, Hand an den zu legen, der dem Büttel gehört.

Schafft den alten Schurken fort! schrie jetzt der Voigt, er soll für alle seine Schandthaten büßen.

Aber Afraja flüchtete sich dicht an Marstrand und umklammerte den Junker. – Hört ihn an! schrie er, fragt ihn, er weiß Alles. Fragt den Priester, fragt Klaus Hornemann, er wird die Wahrheit sagen.

Will's hören, sagte Niels, indem er vor Beide trat. Ruhig, ihr Leute, laßt ihn reden! Sprecht, Herr Marstrand; Ihr seid ein feiner Herr, der auf Ehre hält. Was zwischen uns auch sein mag, Ihr habt unter meinem Dache gelebt; handelt sich hier um Namen und Ansehen. Straft den Schelm Lügen und stoßt ihn von Euch! Mahne Euch an Gewissen und Pflicht vor Gottes Thron, macht diesen elenden Höllenkerl zu Schanden.

Wenn es so weit gekommen ist, antwortete Johann, wenn die volle Wahrheit gesagt werden muß, dann, Herr Helgestad, kann ich nicht anders, als Afraja's Worte bestätigen. Ja, es ist wahr, Björnarne hat Gula aus Ihrem Hause getrieben. Er hat sie mit seiner Liebe verfolgt; die ihn verderben wollten, haben seine Leidenschaft genährt und ich fürchte, es war ein angelegter Plan, das Mädchen zu rauben, um den Sohn vom Vater zu reißen, ihn und Alle gleich elend zu machen.

Ihr seid verhext, seid verschworen mit ihm! schrie Helgestad. Habt sein Geld genommen, hat Euch heidnisches Teufelsgeld gebracht!

Nicht ich, du – du wolltest ihn betrügen! sagte der Lappe. Ich ließ es nicht zu. Er spricht wahr, der Jüngling. Dein Sohn, dein einziger Sohn, er lag zu den Füßen meiner Tochter, wollte mit ihr fliehen in die Gamme, wohin sie wollte, und sie stieß ihn von sich, sie mochte ihn nicht!

Helgestad wankte, er hielt sich an den Nächststehenden fest, doch der Schlag, der ihn getroffen hatte, war noch nicht der ärgste. In diesem Augenblick durchbrach ein Mann den Kreis, vor dem der ganze Haufe zurückwich. Sein langes Haar hing ihm um den Kopf, Anstrengung und Erschöpfung waren deutlich genug an ihm ausgeprägt, seine wilden Mienen drückten Angst und Entsetzen aus.

503 Egede! rief der Schreiber. Da kommt ein neuer Zeuge. Wo ist Björnarne? Wo ist die Dirne?

Der Quäner schlug die Hände zusammen und stand dann bewegungslos in dem Kreise, der ihn umdrängte.

Rede! schrie Helgestad. Wo ist mein Sohn? Bist vom Quänanger gekommen zur richtigen Stunde. Sollt jetzt die Wahrheit hören, Freunde und Nachbarn, muß Lug und Trug davor verschwinden. Denke, sind hinter dir, Egede, haben dich vorausgeschickt, Björnarne und Olaf.

Der wilde Gesell faßte nach seinem Haar und krallte es zusammen. Seine Augen verdrehten sich in den Höhlen und aus der Tiefe seiner Kehle kam ein Stöhnen hervor, als versage ihm die Zunge den Dienst, oder als wage er nicht die Worte auszusprechen, die sich ihm auf die Lippen drängten.

Der Voigt sprang von seinem Sitz und streckte seinen Arm aus. Bist du von Sinnen gekommen? schrie er. Reden sollst du. Heiliger Gott! was ist geschehen? – Halt Niels Helgestad! halt! Laß ihn los; steht ihm bei!

Helgestad hatte sich seinem Diener genähert und ihn mit solcher Gewalt an der Schulter gepackt, daß Egede auf sein Knie fiel. Zu ihm niedergebeugt stierte Niels ihn an, als wollte er bis in sein tiefstes Herz sehen, und was er sah, schien Grauen über ihn zu bringen. Der eiserne, unerschütterliche Mann zitterte; sein hartes Gesicht war roth vom Blut, das sich in seinem Kopfe zusammendrängte; seine Augen preßten sich hervor in der Angst, die ihn ergriffen hatte. Und neben ihm stand Ilda, bleich, doch ihren Jammer bezwingend. Sie hielt ihres Vaters Arm, an dem sich jede Sehne zusammenkrampfte; von der anderen Seite umschlang Hannah seinen Leib, während ihre Blicke wie Blitze über den Quäner fort auf Helgestad flogen und in ihrem Gesichte sich ein seltsames Gemisch von Leidenschaften, Hohn, Schrecken, Mitleid, Furcht und banger Erwartung malten.

Wie viele verschiedenartige Menschen auch diese Gruppe umgaben, so herrschte doch das tiefste Schweigen. Keiner wagte einen Laut oder eine Bewegung. In athemloser Spannung richteten sich alle Blicke auf den Mann, der so viele Jahre als der erste, der größte und glücklichste im ganzen Lande gegolten hatte. Niemand hatte ihn 504 je zagen sehen; was er immer begonnen, es hatte gut geendet, was er wollte, das war geschehen. Seine Klugheit war zum Sprüchwort geworden, wer gegen ihn aufgestanden, war erlegen, und jetzt schien er auf dem Gipfel angelangt, jetzt, wo Sohn und Tochter sich zur viel beneideten Hochzeit rüsteten. Aber Afraja hatte den ersten Stein gegen sein stolzes Haupt geschleudert, daß es wankte, und da lag ein Bote, ein schrecklicher mit Unheil beladener Bote, der noch Fürchterlicheres zu verkünden hatte.

Was es war, wußte noch Niemand, allein was konnte das sein, um das ein Mensch wie Egede Wingeborg sein Haar zerraufte und seine Brust zerschlug?! –

Das Entsetzen, welches Helgestad ergriffen hatte, lagerte sich auf allen diesen rohen Herzen; nur Einer, nur Paul Petersen, fühlte ein innerliches Behagen, und während er mit betrübten düsteren Mienen seinen Schwiegervater zu entfernen suchte, sah er in unerwarteter Weise seine Plane erfüllt, seine gierigsten Erwartungen übertroffen, Gott selbst als seinen Bundesgenossen; denn er wußte genau, welche Nachricht das knieende Geschöpf dort brachte. – Die ganze Beute, der ganze Raub fiel plötzlich ohne weitere Mühe ihm zu, und diese Gewißheit war so entzückend, daß er mit Leichtigkeit weinen und unübertrefflich heucheln konnte.

Seine Augen waren naß und seine Stimme bebte, als er Helgestad um beide Schultern faßte. Ich bitte Euch, lieber Vater, rief er wehmuthsvoll, geht mit Euren Töchtern und laßt uns allein. Führe den Vater fort, Ilda. Bei Gottes Allmacht! nimm ihn in deine Arme und schütze ihn an deiner Brust.

Aber Helgestad richtete sich auf und stemmte sich fest. Es war, als wenn ein alter Löwe aus seinem Schlaf erwacht, sein Lager von Hunden und Jägern umstellt sieht und der kühne Trotz seiner Jugend über ihn kommt. Er warf seinen Kopf auf, seine Augen rollten umher. Bin ein Mann, begann er, der ertragen kann, was ertragen werden muß. Denke ja, kennt mich Jeder. Sage an, Egede, was es ist, weiß es beinahe, was kommen muß, ist aber Ungewißheit schlimmer als Alles. – Wo ist mein Sohn?

Egede ließ den Kopf bis auf die Brust niedersinken, und indem er die Hände vor sich faltete, sagte er mit eintöniger tiefer Stimme: Todt, Herr!

505 Kein Laut wurde gehört. Helgestad stand die Fäuste geballt, ein grimmiges Lächeln um seine Lippen, seine Augen weit offen, ohne zu zucken. – War ein starkes Leben, murmelte er vor sich hin. Und Olaf, wo ist Olaf?

Alle hin, Alle todt! heulte Egede, seine gefalteten Hände aufhebend. Herr! Herr! Alle todt!

Der alte Mann bewegte langsam den Kopf, dann sah er aufwärts in die Sturmwolken, und ein langes schmerzvolles Oh! rang sich aus seiner Brust. – Seine Blicke irrten über die Gesichter, die um ihn waren, viele Augen weinten, und in die wildesten Gemüther kam Rührung, als er mit seltsam gebrochener Stimme sagte: Es war ein guter Knabe, mein Sohn Björnarne, hat keinen Kummer über mich gebracht als diesen.

Du hast eine Tochter, Niels, hast noch einen Sohn, sprach der Voigt.

Helgestad legte seine Hand auf Ilda, die zu ihm aufsah, und es war ein Trost, der aus ihrem starken und ergebenen Herzen in ihn drang. Fast zugleich aber sah er Hannah an, und plötzlich mußte ihm alles das einfallen, was sich durch Björnarne's jähes Ende mit der Zukunft dieses Mädchens verknüpfte. Sie war frei. Er hatte keinen anderen Sohn, der Fandrem's Geld an den Lyngenfjord führte. Alles war umsonst gewesen, alle seine List, alle seine Gewalt, und es kam ihm vor, als leuchteten ihre Augen ihn dämonisch an, als lese er in ihrer Brust eine große flammende Schrift voll Schande, als hörte er vor seinen Ohren das schreckliche Gelächter wieder, das er damals gehört, als er ihren Buhlen in die wilde See stieß.

Er holte tief Athem, es stieg ihm glühend heiß vom Herzen auf in's Hirn. Er schüttelte Hannah's Hand von sich ab, als habe er eine Schlange gefaßt und wandte sich zu Egede, der aufgestanden war. – Erzähle, sagte er gewaltsam ruhig. Wie ist der Tod an Männer gekommen, die ihm besser trotzen konnten, als viele?

Du weißt es, Herr, antwortete der Quäner, auf den sich jetzt alle Augen wandten, daß wir die Hexenbrut vom Kilpis geholt hatten und nach Loppen bringen wollten.

Weiß es, fiel Niels ein. Wer hat sie frei gemacht? Wer Björnarne erschlagen? Lappen waren es. Diebe! Mörder! Der alte Höllenhund da hat sie ausgeschickt.

506 Er deutete auf Afraja und Egede sah sich um, erblickte den Lappen und verzerrte sein Gesicht in Wuth und Lust. – Habt ihr ihn, habt ihn! schrie er, schickt ihn dahin, wo sie liegt, blaß und kalt, bei den Nixen und Trollen, unten, tief unten, wo die Haifische hungrig warten. O, Herr! hätte dein Sohn meinen Arm nicht gehalten. Hätte er auf ihr Geschrei nicht gehört, ich hätte sie still gemacht. – Er fletschte seine langen Zähne und streckte den Arm gegen Afraja aus. – Alle seine Hexen- und Zaubermittel würden sie nicht wieder gefunden haben, brauchten deswegen nicht in Nebel und Sturm nach Loppen zu fahren.

Die wüthige See also hat's gethan, murmelte Helgestad, keines Menschen Hand.

Keines Menschen Hand, antwortete Egede, konnte keine uns auch beistehen. Am Quänanger nahmen wir ein Boot. Ich sah die Nebelkappen um die Jökulnfjellen und die langen Schaumstreifen, die sich von Arenöen hereinwarfen, warnte und bat, war Alles vergebens. Das Mädchen fiel auf ihre Kniee, weinte, schrie und drohte, wollte zu dir, Herr, zu Jungfrau Ilda; flehte zu Himmel und Menschen, das Hexenbalg. Auch Olaf sprach; half aber Alles nichts, Björnarne wollte nach Loppen. Da ging es fort den Fjord hinab. Es war der böse Feind in deinen Sohn gefahren, Herr, blendete ihm Herz und Augen, er sah nicht, wollte nicht sehen, nicht hören. Im Kaagsund faßte uns das Wetter. Wirbelwind nahm unser Boot von den Wellen ab, drehte es um wie einen Halm, hob uns auf und stürzte uns nieder. Schlug Olaf mit dem Kopf an die Klippenwand, hin war er, kam nicht wieder herauf. Ich lag auf dem halb durchgebrochenen Boot und hielt es in Todesangst umklammert; sah deinen Sohn, Herr, wie er auftauchte mitten im Gischt und wie er die Dirne in seinen Armen hielt, wollte ihn retten, faßte in sein langes Haar. – Laßt sie los, schrie ich, laßt die Hexe los! Er mochte nicht, mochte sie nicht von sich lassen. Sie klammerte sich um seinen Hals, er drückte sie an sich und wollte sie hoch heben. Dreimal rief ich ihm zu, da kam ein wüthender Stoß und eine hohe Welle, ich konnt' nicht länger halten. – Werft die Brut zum Teufel! schrie ich. Will leben und sterben mit dir, Gula! sprach er, und das waren seine letzten Worte.

507 Bis hieher hatte Helgestad anscheinend ruhig zugehört, aber nach und nach röthete sich sein ganzer Kopf und mit furchtbarer Gewalt schrie er plötzlich dem Quäner zu: Du lügst, du elender Kerl! Björnarne, mein Sohn! – Verflucht sei deine Zunge! – Gula! – du lügst, Verräther! nie hat er mit ihr leben wollen.

Er faßte an seinen Kopf, es wurde dunkel um ihn, Funken sprangen darin auf. Alle Schande brach unaufhaltsam auf ihn ein, denn wer hätte jetzt noch zweifeln wollen, daß Björnarne das Lappenmädchen geliebt, daß Afraja wahr gesprochen habe? Alles lag klar vor dem ganzen Volke; der Aermste und Geringste mochte ein Hohngelächter erheben, das war mehr, als der stolze Mann ertragen konnte.

Du Schelm! du Räuber! schrie Egede, seinen Arm gegen den greisen Hirten schüttelnd, hast dem Herrn Olaf ein Zaubermittel verkauft, sollte feines Wetter bringen; hast aber deine Höllengeister damit beschworen, daß sie über uns kommen mußten.

Helgestad blickte Afraja an, der ja auch sein Kind verloren hatte. Ein Gemurmel der Wuth lief durch die aufgeregte Menschenmasse, welche den Lappen umgab; er aber stand aufgerichtet da, ohne Furcht, ohne Gram. Ein wildes Entzücken, ein Lachen war in seinem haßerfüllten Gesicht, boshafter Triumph in seinen rothen Feueraugen.

Verfluchter Hexenmeister! schrie Helgestad, du hast ihn betrogen, hast ihn in's Meer gelockt! – Er hob seine gewaltige Hand auf, wie am Medusenhaupt zog sich seine Stirn in grimmige Falten zusammen, so sprang er auf seinen Feind. Aber er strauchelte, ehe er ihn erreichte, taumelte zur Seite und fiel in die Arme Derer, die von allen Seiten herbeisprangen, ihn zu unterstützen.

Wildes Geschrei und verworrene Stimmen erhoben sich jetzt. Helgestad's großer Körper brach leblos zusammen, er wurde fortgetragen, um ihm Hülfe zu schaffen, um Afraja aber und um seinen Genossen sammelte sich eine rachedürstige, lärmende und zu jeder That sich erhitzende Schaar, die nur durch die strengen Worte des Voigts, des Schreibers und einiger anderer besonnener Männer von einer augenblicklichen blutigen Vergeltung abgehalten wurde.

Und jetzt, sagte Paul, als die erste Verwirrung vorüber war, jetzt, Herr Marstrand, wende ich mich zu Ihnen. Ich verhafte Sie als einen Mitschuldigen dieses Verbrechers.

508 Mich verhaften Sie? antwortete Johann. Aus welchen Gründen? Aus welchen Ursachen?

Als Hochverräther! rief der Schreiber. Ihr Prozeß wird es beweisen. Sie haben diesem Lappen bedeutende Quantitäten Pulver und Blei verkauft; Sie haben um seine verrätherischen Anschläge gewußt, gemeinsame Sache mit ihm gemacht.

Ich hoffe, sagte Marstrand, indem er ruhig umherblickte, daß Niemand diesen Unsinn glaubt.

Aber seine Augen trafen auf finstere Gesichter; drohende Worte erreichten sein Ohr. – Recht, Sorenskriver Petersen! schrieen viele Stimmen durcheinander. – Räumt das ganze Nest aus. – Er hat es mit dem Lappen gehalten. – Er hat ihnen immer das Wort geredet! – Fort mit dem Landläufer! Fort mit dem Dänen! Schlagt ihn nieder, den Hund, den Verräther!

Wollen Sie gehorchen? fragte Paul.

Hier bin ich, ein einzelner Mann, der keine Macht hat, sagte Johann. Thun Sie, was Sie mögen, aber ich mache Sie verantwortlich für Alles, was hier geschieht.

Die ganze Sippschaft der jungen Leute, die der Schreiber aufgeboten hatte, war mit Büchsen und Messern bewaffnet auf dem Platze. Es mochten vierzig oder fünfzig sein, die jetzt theils Afraja niederrissen und banden, theils den Junker bei Brust und Armen faßten und gewaltsam fortführten; größtentheils aber warfen sie sich in den Haufen der Lappen und ergriffen die, welche bewaffnet waren.

Afraja's Hausgesinde wurde zunächst zu Boden geschlagen. Die großen starken Männer fanden geringen Widerstand bei dem schwächlichen Geschlecht, das in wilder Flucht auseinander stäubte und mit Geschrei und Gelächter, mit einzelnen Schüssen und mit Stöcken und Stangen verfolgt wurde. – Die Quäner, Bölappen und Fischer fielen über die zurückgelassenen Vorräthe her, schleppten sie fort und vertheilten sie und mit schallendem Halloh ging die Jagd über die Felsen hinter dem Kirchplatze fort, bis zu dem hohen Fjelde hinauf, das sich dahinter ausdehnt.

Paul Petersen that inzwischen so viel, daß er die Gefangenen vor Angriffen schützte und sie sämmtlich in die Vorhalle der Kirche bringen ließ, wohin auch Marstrand geführt worden war. Nach und 509 nach kamen noch einige dazu, die auf der Flucht ergriffen waren, und zum Theil hatte man sie arg geschlagen. Zitternd standen und lagen die armen Geschöpfe in den Winkeln und in Todesangst drängten sie sich zusammen, wenn draußen der Lärm wilder wurde und tobende Stimmen forderten, daß man diese Diebe und Mörder sämmtlich ohne lange Weitläuftigkeiten in den Fjord stürzen müsse.

Der einzige Lappe auf dem Platze war ein Todter, der mit offenen Augen und freier Stirn allem Ungemach zuschaute, ohne zu bangen. Mortuno lag noch auf der verlassenen zertrümmerten Bahre, ein Gegenstand des Hohns und der Verspottung. Die ihn einst gefürchtet, stießen ihn jetzt mit Füßen, schrieen ihm freche Schimpfworte zu und lachten, wenn er getreten wurde. Was sollte man mit ihm beginnen? Niemand war da, der sich seiner sterblichen Reste erbarmt hätte und hier auf dem Friedhofe im Schatten einer christlichen Kirche wollte ihm auch Keiner eine Ruhestätte gönnen. Es dauerte daher nicht lange, so hatten ein paar grimmige Quäner ihm Stricke um Beine und Hals geschlungen, tüchtige Steine daran befestigt und eben als Voigt und Sorenskriver sammt mehreren der angesehensten Männer von einer Berathung zurückkehrten, kollerte der Körper des unglücklichen Mortuno von einem steilen Klippenrand in's Meer.

Das ist wahrlich das Beste, das geschehen konnte, sagte Paul für sich. Die Grundhaie werden da unten bald mit ihm fertig sein, und wir sind ihn für immer los.

Laut tadelte er jedoch die übereilte Handlung, befahl, daß Jeder sich ruhig halten und Niemand das Eigenthum der entflohenen Lappen berühren solle, ein Befehl, der freilich zu spät kam, denn was zu haben war, hatte schon allerlei Herren gefunden. Dann ließ der Voigt die Kirchenthür öffnen und trat mit seinen Begleitern herein. Einige dreißig Gefangene waren dort verwahrt, von denen die meisten auf ihren Knieen lagen und um Gnade heulten, als sie die strengen, finstern Gesichter sahen. Afraja saß an der Mauer. Seine Füße waren ihm gebunden, die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt. Der Voigt blickte ihn an und schüttelte den Arm gegen ihn.

Du alter Bösewicht sollst diesmal der Gerechtigkeit nicht entgehen, sagte er. Seit vielen Jahren hast du dein Hexen- und 510 Zauberwesen getrieben, endlich haben wir dich. Alles Unheil auf deinen Kopf! Du sollst keinen Schaden mehr anrichten, nicht mehr schmähen und spotten und an Aufruhr und Verbrechen denken. – Was euch aber betrifft, fuhr er fort, so will ich euch schonen, wenn ihr die Wahrheit bekennt. Die Wahrheit will ich aus euren spitzbübischen Köpfen herausbringen, deß seid gewiß. Denkt darüber nach, bis ihr in Tromsöe seid. Dahin müßt ihr, sollt dort Zeugniß ablegen. Vorwärts mit euch! und wer einen Laut thut, wer einen Versuch zum Entwischen macht, der soll es büßen. Nehmt das alte Thier auf und schleppt es fort.

Vom Entwischen war keine Rede. Die Hände waren ihnen allen gebunden; einigen wurden diese jetzt gelöst, um Afraja auf den Kutter des Voigt zu tragen, der eben seine Segel fertig machte. Der greise Mann sprach kein Wort, kein Zug in seinem Gesicht drückte Unruhe oder Schmerzen aus, obwohl er unmenschlich behandelt und mit grausamer Gewalt zusammengeschnürt war.

Voigt Paulsen ging nun in die Kirche, wo Marstrand in einem Stuhle saß. Man hatte ihn von den Lappen abgesondert und an der Thür stand ein Bewaffneter, der verhindern sollte, daß er mit Afraja spräche. – Schwermüthig nachsinnend hatte er Zeit gehabt, sein Schicksal zu bedenken, doch was ihn selbst betraf, hielt er für weit geringer, als was er um sich her geschehen sah.

Der jähe Tod Björnarne's, Olaf's und der armen Gula hatte ihn auf's Aeußerste erschüttert. Er dachte an Hannah und Ilda, an Helgestad's Leid und Schande und an den unglücklichen Greis, der in die Hände erbarmungsloser Feinde gefallen war. Was sollte aus ihm werden? Was hatten sie mit ihm vor?! – Auf mehr als hundert Meilen gab es keine Macht, die ihrer Grausamkeit Einhalt thun konnte. Er fürchtete nicht das Aergste, aber doch Arges und Schreckliches genug, und was konnte er dagegen ausrichten? Sein einziger Freund, der einzige Schützer des unglücklichen Afraja, war Klaus Hornemann. Wo war dieser jetzt? Warum war er nicht hier? – War er krank, war er todt? Wer wußte es! Doch daß er kommen würde, wenn er lebte, war gewiß und dieser Gedanke blieb die einzige Hoffnung, die ihren tröstenden Strahl in sein wirres, verdüstertes Denken schickte.

511 Als der Voigt mit seinen Begleitern hereintrat, wandte er sich vor dem rothen, lasterhaften Gesicht unwillig fort.

Stehen Sie auf, Herr, sagte Paulsen mit voller Amtsstrenge.

Mit welchem Rechte bin ich mißhandelt und gefangen worden? fragte er dagegen.

Das werden Sie in Tromsöe erfahren, sagte der Voigt, wo Ihr Prozeß betrieben werden soll.

Ich verlange mein Verbrechen zu wissen.

Sie haben es gehört, Sie sind des Hochverraths angeklagt.

Wenn das ist, rief der Gefangene, wenn man wirklich so toll ist, mich so schwer zu beschuldigen, so kann Niemand hier mein Richter sein. Ich bin ein Edelmann des Reichs und gehöre vor das Reichsgericht. Ich bin Offizier und schon als solcher muß der Spruch dem Gouverneur von Norwegen verbleiben.

Sie irren in Allem, antwortete der Voigt. Sie leben und sind ansäßig in den Finnmarken, die ihren eigenen höchsten Gerichtshof über Leben und Tod haben. Davon ist Niemand ausgenommen, auch kein Edelmann. Das Gericht in Tromsöe ergänzt sich in besonders schweren Fällen durch sechs Beisitzer aus den achtbarsten Männern im Lande und gegen seinen Spruch ist keine Berufung zulässig.

Die Bestürzung in Marstrand's Gesicht rief ein triumphirendes Grinsen des Voigts hervor. – Ich habe Befehl gegeben, Sie nach Tromsöe zu bringen, fuhr er fort. Sie waren Edelmann und Offizier, auch ich habe den Degen getragen. Ich will Sie nach Ihrem ehemaligen Stande behandeln, wenn Sie mir Ihr Wort geben wollen, sich geduldig zu fügen und keinen Fluchtversuch zu machen.

Und wenn ich das nicht thue?

Dann muß ich alle Mittel ergreifen, Ihr Entkommen zu hindern. Alle Ihre Mitschuldigen liegen gebunden im Schiffsraum.

Bei Gott! schrie der Junker auf, indem er die Faust ballte, aber er ließ seinen Arm schnell sinken und sagte gelassen: Ich werde mich geduldig in Alles fügen, was Sie bestimmen, glauben Sie aber nicht, daß, was Sie thun, ohne Richter und Rächer bleibt.

Schweigen Sie! sagte der Voigt, das sind unnütze Worte. Ihnen wird nichts geschehen, was Sie nicht verdienen. Wir haben einen Gerichtshof und haben Gesetze. Was diese nach Gewissen und 512 Buchstaben über Sie verhängen, müssen Sie tragen. Niemand, und wäre es der König selbst, kann darüber mit uns rechten.

In seiner Erklärung lag eine fürchterliche Wahrheit, deren Bedeutung Marstrand vollkommen erkannte. Nicht durch einen Willkürstreich, sondern durch ein legales Rechtsverfahren sollte er vernichtet werden, und sobald es gelang, nur einige Beweisgründe gegen ihn zu sammeln, war er verloren.

Folgen Sie mir, sagte der Voigt. – Er ging voran, zu beiden Seiten des Gefangenen stellten sich Bewaffnete; Paul Petersen sah ihn vorübergehen und bestrebte sich ein ernstes betrübtes Gesicht zu machen, das Marstrand mit einem Blick der Verachtung lohnte.

Wie geht es mit Helgestad? fragte er den Voigt.

Er liegt von Sinnen, antwortete Paulsen, Sie haben schweres Unheil über ihn gebracht.

Nicht ich! – O, nicht ich! Andere haben dies gethan, die es verantworten müssen.

Der Voigt erwiderte nichts darauf, denn auf dem Platz wurde der Zug von Geschrei, Flüchen und Verwünschungen empfangen. Die Garden des Schreibers drängten sich mit den finstersten feindlichsten Gesichtern um den Gefangenen, ihn vor denen zu schützen, die den falschen Dänen aus ihren Reihen reißen und Rache an ihm nehmen wollten. Die wilde Masse halbtrunkener, roher Menschen, denen Afraja und seine Leidensgenossen entgangen waren, hatte sich zu einem Grad von Wuth erhitzt, daß Marstrand den Augenblick kommen sah, wo ein Messer oder ein wohlgezielter Stein ihn erreichen und niederstrecken würde. Er zitterte nicht vor einem solchen Ende, ruhig blickte er in den tobenden Haufen, aber eine Entmuthigung kam doch über ihn. Da war mehr als Einer, dem er Gutes gethan hatte; er sah sich mit Schimpf und Schande überschüttet, und keine Stimme erhob sich für ihn, keine Hand regte sich. Ja es kam ihm vor, als hätten manche der Gaardherrn und Kaufleute nicht übel Lust, ihn den wüthenden Quänern und Inselleuten hinzuwerfen.

Plötzlich aber stand Paul Petersen vor ihm, denn der Voigt kam mit seiner heiseren Stimme nicht mehr durch, und offenbar wurde sein Ansehen mißachtet. Petersen legte seine Hand auf die Schulter des Gefangenen, seine Rechte hob er hoch auf und schrie mit voller 513 Gewalt: Gehorcht und laßt ab, oder es soll Euch gereuen! Dieser Mann ist dem Gesetz verfallen, das Gesetz wird über ihn richten. Seiner Strafe soll er nicht entgehen. Auf offenem Gerichtstag in Tromsöe soll er von seinen Richtern sein Urtheil empfangen. Ihr aber packt Euch fort, wenn Ihr nicht festgenommen und hart bestraft sein wollt.

Diese Worte wirkten mehr, als Alles was der Voigt gethan hatte. Sie fürchteten den Schreiber, denn sie kannten ihn. Die Fäuste mit den Messern fielen nieder, es bildete sich ein offener Raum und Paul sagte mit dem Ausdruck der Theilnahme: Das Leben habe ich Ihnen diesmal gerettet, möge Gott mir helfen, Herr Marstrand, daß ich als Richter Sie freisprechen kann.

Er winkte seinen Gefährten, die den Junker rasch die Stufen hinunter und in die Jolle des Regierungskutters brachten. Dieser hob dann sogleich seine Segel und lief rasch durch die Wellen.

Eine Stunde später wurde Helgestad denselben Weg hinab in sein großes Boot getragen, auf weiche Kissen gelegt und nach Oerenäes gebracht. Er war wieder bei Besinnung, aber er konnte nicht sprechen. Hannah hielt seinen zitternden Kopf, in dem die Augen nach allen Richtungen flogen und umher zu suchen schienen.

Das ist ein trauriger Markt, seufzte Paul, indem er Ilda's Hand drückte. Sorge für deinen Vater! Sobald ich hier fort kann, komme ich nach.

Gottes Wille wird geschehen! antwortete sie, gefaßt wie sie immer war.


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