Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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5.

Jungfrau Ilda saß an dem Tische vor einer aufgeschlagenen Bibel, aus welcher sie mit lauter Stimme las. An der Wandseite, auf der Bank stierten im Halbschatten ein Dutzend Männer und Frauen, die Gaardleute, andächtig zuhörend, was die fromme Jungfrau ihnen verkündigte und erklärte. In ihren Pelzen und Sonntagskleidern gab es nichts Schöneres in der Welt für sie, als zu hören, was ihre junge Herrin aus der heiligen Schrift so mild und wohlklingend vorzutragen wußte. Auch Helgestad, der sich behaglich auf dem mächtigen Lederstuhl am Ofen ausstreckte und seine holländische Pfeife rauchte, fand es angenehm, die klaren vollen Laute in seine Ohren klingen zu lassen 86 und dabei allerlei zu calculiren. Als die beiden zu spät Kommenden eintraten, nickte der Kaufmann zufrieden gestellt und deutete mit der Pfeifenspitze auf einen ledernen Stuhl für seinen Gast. Jungfrau Ilda aber ließ sich nicht stören. Sie blickte nicht auf, sondern las ruhig weiter in der Weisheit des Propheten Jesus Sirach, der so viele schöne Lehren der Klugheit und der Moral hinterlassen hat; bis sie endlich, als dies beendigt war, noch ein Kapitel aus den Briefen des Apostel Paulus an die Römer hinzufügte.

Erhitzt und müde wie er war, hörte Marstrand ohne viele Theilnahme zu. Er hätte am liebsten diesen langen, erbaulichen Vortrag ganz entbehrt, aber nach und nach wich der Spott aus seinem Herzen, denn was er hörte, blieb nicht ohne Eindruck auf das empfängliche Gemüth des jungen Mannes. Der harmonische Klang und die mahnenden Lehren des Propheten vereinigten sich, um ihn aufmerksam zu machen. Die kleine Gemeinde und ihre schöne Priesterin wurden zu einem poetischen Bilde. Draußen heulte der Sturm immer wilder auf und klammerte sich schüttelnd an das Balkenhaus, das mit ächzenden Tönen Ilda's Worte zuweilen unterbrach. Nordlichtblitze zuckten durch den düstern Himmel, und ihr phosphorisches Leuchten zitterte dann auf den starren Gesichtern der Gaardleute, bis endlich über den hohen Schneegipfeln im Süden des Fjord sich ein Kranz glühender Wolken sammelte, der mit seinem wunderbaren Feuer die schäumigen Wogen beleuchtete.

Von all dem unberührt, las Ilda die Ermahnungen des heiligen Paulus zu brüderlicher Liebe und Treue, und mit wachsender Theilnahme hörte Marstrand zu. »Freuet euch mit den Fröhlichen und weinet mit den Weinenden,« las die Jungfrau, »seid froh in Hoffnung, geduldig im Trübsal, nehmet euch der Armen an und stillet die Noth der Leidenden. Segnet, die euch verfolgen, segnet und fluchet nicht. Ermahnet Jemand, so warte er des Ermahners, gibt Jemand, so gebe er einfältiglich, regiert Jemand, so sei es mit Sorgfalt, übt ein Mensch Barmherzigkeit, so thue er es mit Lust. Hasset das Arge, hänget dem Guten an, doch denkt nicht böse von eurem Nächsten, sondern bauet auf seine Liebe. Die brüderliche Liebe soll herzlich sein unter euch, es komme der Eine dem Andern in Treue und Ehrerbietung zuvor. So seid denn nicht träge im Forschen nach Wahrheit 87 und in Allem, was ihr thun sollt. Seid wach im Geiste und schickt euch in die Zeit.«

Hier schlug Ilda das Buch zu, und schloß die sonntägliche Erbauungsstunde. Marstrand blieb nachdenkend sitzen, während die Leute sich entfernten, nachdem sie Helgestad's ermahnende Befehle gehört hatten, ihre Hütten wohl zu verwahren und nach Feuer und Licht zu sehen; denn eine wilde Nacht sei im Kommen. Marstrand wiederholte leise Ilda's letzte Worte, sein Blut klopfte lebhafter durch die Adern. Es war ihm, als habe sie die Stimme besonders erhoben und ihre Augen auf ihn gerichtet. Er fühlte, daß die Ermahnungen auf ihn paßten.

Höre es gerne, was in dem schwarzen Buche da steht, sagte Helgestad, während der Tisch bestellt wurde und die Familie allein war; ist sonderbar, daß Menschen schon vor Jahrtausenden solche Dinge dachten, weiß es aber Ilda auch besser vorzutragen, wie alle Priester in den Finnmarken.

Alle Köpfe nickten beistimmend, und der Alte schlug auf den Tisch, als er sein leeres Glas hinsetzte, und fuhr mit seinem schlauen Lachen fort: Ist ein ganzer Mann gewesen, der heilige Paulus, und kann noch heute Jeder von ihm lernen. War ein Mann, wie ich ihn gerne habe, Herr Marstrand. Kurz, bestimmt, klar, weiß was er will; sieht jede Sache mit offenen Augen an, und wo er von Liebe, Glaube, Vertrauen und dergleichen edlen Dingen redet, kommt doch immer eine verständige Warnung hinterher, wie zum Beispiel: Seid fleißig und rühret die Sinne und die Hände Merkt auf, daß euch kein Schade geschehe; oder, schickt euch in die Zeit, wenn ihr durch die Welt wollt. Hätte in Finnmarken wohnen können, der heilige Apostel, rief er lachend, und soll das nicht etwa unreiner Spott sein – wäre aber Vielen zuträglich, wenn sie ihn täglich läsen, um sich vor Schaden zu behüten.

Am besten wäre es, wenn die Menschen nach Paulus Worte handelten und darnach thäten, wenn er befiehlt, daß Alle in brüderlicher Liebe leben und dieser Liebe vertrauen sollen, sagte der Junker.

Ich bestreite es! schrie Helgestad. War der Apostel ein viel zu erfahrener praktischer Mann, um solche Dinge anzurathen. Wollte nichts damit sagen, als etwa: Wäre gut, wenn es so wäre, könnte 88 dann die Erde wirklich ein Paradies sein, wo alle Geschöpfe Gottes in Frieden, Liebe und Treue neben einander wohnten, da es aber nichts damit ist, als Schein und Blendwerk, von Narren ausgeheckt, so bleibt der Spruch einzig wahr und gut: sorge Jeder für sich auf Erden, so viel er kann, bis Gott für uns Alle sorgt. Das hat der Apostel Paulus auch wohl gewußt, denn war damals gerade so wie jetzt, und wird so bleiben von Zeit zu Ewigkeit. Seht die Lehre genau an, die der heilige Mann gibt. Kommt endlich doch Alles darauf hinaus: Sperret Augen und Ohren auf, seht zu, daß ihr festhaltet was ihr habt, und was Ihr besitzet, das mehrt durch eure Klugheit. Ist die einzige richtige Lebensmoral, Herr Marstrand, und kann sich Niemand beklagen, wenn er verliert, was sein war. Wußte der Thor seine Gaben nicht besser zu benutzen.

Marstrand lachte Anfangs über diese irdische und himmlische Lebensphilosophie, dann aber fiel ihm ein, daß ein wahrhaft spitzbübischer Grundsatz darin steckte. Aus den edlen sozialen Grundlehren des Christenthums fand Helgestad nichts heraus, als eine Bestätigung und Stärkung seiner gaunerischen Pfiffigkeit, Augen und Ohren aufzusperren, und statt zu den Betrogenen zu den Betrügern zu gehören.

Es ist wahr, sagte er endlich, der heilige Paulus gebietet uns auch, klug und vorsichtig zu sein, und uns in die Zeit, oder in Menschen und Verhältnisse zu schicken, aber er will auch, daß wir nach Wahrheit streben, daß Recht und Gerechtigkeit sich befestige, damit Gottes Stimme, die Stimme der Tugend und des redlichen Gewissens so stark in uns werde, daß wir vor jedem Unrecht als Sünde zurückbeben.

Nuh, spottete Helgestad, habt wie ich merke noch immer mancherlei von den Launen großer Herren, die Ehre und Gewissen über Alles setzen, dabei aber ohne Umstände ihren Bauern Lasten und Abgaben aufpacken, ihnen den letzten Pfennig abpressen, nach Aemtern, Titeln und Stellen jagen, und dafür nichts thun, aber sich gut bezahlen lassen. Habe mancherlei gesehen und gehört von diesen Männern von Ehre und Gewissen, die goldene Tressen tragen und ihren Mitmenschen die Beutel fegen, auf daß sie in Schlössern wohnen und in Wohlleben schwelgen können.

89 Wahrlich, Herr Helgestad, erwiderte Marstrand lächelnd, indem er seinen groben Rock betrachtete, ich werde durch diese Vorwürfe nicht berührt. Was mich betrifft, so habe ich nur die Laune eines ehrlichen Mannes, der Niemanden täuschen und überlisten mag, um etwa damit sein Gut zu mehren. – Dasselbe aber denke ich von Ihnen, trotz aller ihrer Klugheitslehren. Sie haben nach den Worten des Apostels mit brüderlicher Liebe an mir gehandelt, in meiner Verlassenheit mir die Hand gereicht; sollte ich darum nicht mit vollem Vertrauen mich dessen freuen, und, wie der heilige Paulus sagt, auf die Liebe ohne Arglist weiter bauen?

Helgestad blies den Dampf seiner Pfeife in dichten Wolken um sich, und hob dann sein Glas auf. Dank Euch für Euere gute Meinung, erwiderte er, und trinke dieses Glas auf Euer Wohl. Sprecht wie ein Mann, dem es warm um's Herz ist, und seid jung genug um lebendige Worte für Eure Empfindungen bei der Hand zu haben. Denke aber doch, daß ich im Recht bin und bleibe dabei. Hat jeder Mensch einen Kopf und zwei Beine und ist ein Wesen, das für sich fühlt und arbeitet, für sich eine Welt bildet. Jeder Kopf calculirt was ihm gut thut, macht seine Pläne, lebt und strebt für sich. Muß also ein richtiger Mann sorgen, daß sein Kopf und seine Gedanken oben bleiben und kann Niemand sagen, daß ihm Unrecht geschehe, wenn er von Andern, die besser calculiren, untergeduckt wird. Ist alles Leben ein Spiel, Herr Marstrand, spielt Jeder darin mit und drängt sich nach den Gewinnen. Wünsche Euch Glück zu dem großen Treffer, ist aber Eure Sache dazu zu kommen. Hab's Euch schon auf den Lofoden gesagt, müßt die Augen offen halten, daß Ihr nicht den Einsatz verliert. Nuh, fuhr er fort, als sein Gast keine Antwort gab, ist genug davon geredet. Denke ja. Ist's nicht so, Ilda?

Ja, Vater, antwortete das große Mädchen. Hast deine Gedanken nicht verhehlt. Denke hast gesprochen wie es recht ist.

Sie stand auf und rief nach den Mägden, die alle Läden der Fenster schließen und alle Thüren verwahren sollten, denn draußen begann jetzt ein Schnee und Regensturm der ärgsten Art. Helgestad schickte Leute in seine Waarenhäuser und sah selbst nach seinen Yachten, die an doppelte Ketten gelegt wurden.

90 Ist eine wilde Nacht, sprach er besorgt, als er triefend wiederkam. Bläst aus Südwest, als wollte es die alten Fjellen von Lyngen in's Meer stürzen, werden morgen fünf Fuß im Schnee liegen. Löscht alles Licht aus, und steckt den Kopf tief unter die Decken, damit Ihr nichts von dem Höllenspektakel hört. Denke Björnarne ist in Tromsöe mit den Yachten oder liegt in einer sicheren Bucht vor Anker. Ist ein fixer Junge, Herr Marstrand, habe keine Sorge um ihn, werde einen ruhigen Schlaf halten.

Marstrand lag in seiner Kammer dagegen noch lange wachend und angekleidet auf seinem Bett. Draußen heulte der Sturm mit so rasender Wuth, daß es zuweilen war, als würden Kanonen gelöst, unter deren Donner das Haus bebte und wankte. Die kleinen Fenster klangen, als wollten sie zerspringen, wenn die Schneeschauer darüber hingetrieben wurden, alle Balken ächzten und knarrten, und durch die tiefe Dunkelheit blitzte dann und wann wieder ein falbes Leuchten, das geheimnißvoll aus dem Zenith des Himmels zuckte und erlosch. Endlich überwältigte das Brausen und Stöhnen sein Nachsinnen, er schlief ein und mehrere Stunden vergingen, ehe er steif und schwer von Kälte aufwachte. So rasch es anging, suchte er seine Kleider abzuwerfen, um Wärme und neuen Schlaf unter den Daunen zu suchen, als er plötzlich einen dumpfen Schrei zu hören glaubte, der seine Müdigkeit verscheuchte. Horchend stand er einen Augenblick. Der Sturm tobte noch immer, aber das Schneetreiben hatte aufgehört. Die Wolkenmasse war nicht mehr so dicht, ein Stern funkelte zu ihm herein. Jetzt wiederholte sich der Schrei, ein Paar dumpfe Schläge fielen; ein Murmeln, wie von Menschenstimmen, quoll unter seinen Füßen auf.

Mit einigen raschen Schritten war der Junker an der Thür, deren Holzriegel jedoch allen seinen Bemühungen nicht nachgeben wollte, und während er heftig daran rüttelte, hörte er noch einmal halbersticktes Gewimmer durch die Dielen dringen.

Entschlossene Männer finden in Gefahren rasche Entschlüsse. Marstrand sprang von der Thür, die er nicht zu öffnen vermochte, zum Fenster und riß es auf. Hoher Schnee bedeckte leuchtend den Boden; der Sturm brauste ihm entgegen, er konnte nichts hören, aber er erkannte ein paar Gestalten, die dicht am Hause sich 91 bewegten. Ohne sich einen Augenblick zu bedenken, zwängte er seinen Körper durch den engen Fensterrahmen und glitt hinunter. Er fiel hart nieder und sprang unter Schmerzen auf, eben als die beiden Männer, auf deren Köpfe er beinahe gestürzt wäre, die Flucht ergriffen. Der Eine verschwand in der Dunkelheit, der Andere lief in's Haus, dessen Thür weit offen stand. Wer bist du? Halt! schrie Marstrand ihm nachlaufend, aber statt des Einen, den er am Pelzzipfel gefaßt, sah er sich von vier Männern plötzlich angegriffen, die aus der dunklen Vorflur ihm entgegen sprangen. Ein kräftiger Faustschlag wurde mit solcher Gewalt gegen ihn geführt, daß er von der Schwelle zurücktaumelte; die schnarrenden Kehllaute und die Formen seiner Gegner ließen ihm keinen Zweifel, daß er es mit Finnen zu thun hatte.

Einige Minuten lang war Marstrand in keiner geringen Gefahr. Die Angreifer benutzten ihren Vortheil, um aus dem Hause zu entkommen und schlugen mit langen Stöcken auf den Junker los. Aber es waren feige und schwache Feinde, denn kaum hatten sie ein Dutzend Schritte gemacht und kaum hatte der kräftige Däne dem Einen seine Waffe entrissen und unter fortgesetztem Hülferuf ein paar Hiebe ausgetheilt, die schadlos auf ihre dicken Pelze fielen, als sie sämmtlich davon sprangen und den ersten ihrer Genossen in Marstrand's Händen ließen.

Nach kurzem Ringen schleuderte dieser seinen Gefangenen in den Schnee und schleppte ihn bis an das Haus zurück, in Angst und Bestürzung über das Schicksal der Bewohner desselben. Sein Rufen verhallte unter dem Heulen des Windes, welcher mit erneuter Kraft um den Gaard tobte. Der Mann zu seinen Füßen gab keine Antwort auf alle Drohungen. Das Haus war so still und dunkel, als athme kein lebendiges Wesen mehr darin. Habt Ihr sie ermordet, Ihr Elenden! schrie der Sieger mit wachsendem Grimm. Rede, oder ich erwürge dich. Was ist aus ihnen geworden?

Sei barmherzig, Herr, sei barmherzig! rief eine athemlose Stimme hinter ihm und zwei zitternde Arme schlangen sich um seinen Arm, zwei kalte Hände suchten seine Hände zu öffnen.

Gula! schrie Marstrand auf und indem er den Liegenden losließ, setzte er hinzu: Es ist dein Vater!

92 Schone sein graues Haar, flüsterte sie, laß ihn nicht in die Macht seiner Feinde fallen. Niemandem ist ein Leid geschehen. Er kam, um mich gewaltsam fortzuführen, ich schrie – sie warfen mir Pelze über den Kopf und schleppten mich hinaus. Ich will bleiben; Afraja, mein Vater hört es. Laß ihn frei, Herr! Er wird nicht wiederkehren.

Bei dem heiligen Namen Jubinal's! fuhr sie bittend fort, er wird es nicht. Ich schwöre es dir. Schwöre, Afraja, schwöre und entfliehe.

Afraja hatte sich aufgerichtet, wie ein schwarzer Schatten, stumm und still stand er vor Marstrand, plötzlich aber sprang er zur Seite und schnell verbarg ihn die Nacht.

Er ist fort, rief Gula. Habe Dank, Herr. Gottes reichen Dank. Sie schlichen herein – sperrten die Kammer, überfielen uns.

Und wo ist Ilda? Was that Helgestad? fiel Marstrand ein.

Das Mädchen gab keine Antwort. Sie eilte in's Haus, er folgte ihr langsam nach; jetzt erst fühlte er seine Füße heftig schmerzen.

Als er in das Wohngemach trat, hatte Gula ein Licht ergriffen, das auf dem Tisch brannte und lief damit in Helgestad's Bettkammer. Da lag der Kaufmann auf seinem Lager, wie ein Ballen zusammengeschnürt, mit harten Lederriemen aus Rennthierhaut doppelt und dreifach gebunden. Ueber den Kopf war ihm seine Nachtmütze bis an's Kinn herunter gezogen; mit festverknoteten Bändern die Kinnbacken zusammengepreßt, der ganze Mann in einen Zustand versetzt, daß er kein Glied rühren und mit Mühe nur so viel Luft schöpfen konnte, um nicht zu ersticken.

Gula riß ihm die Mütze ab und löste im Verein mit Marstrand seine Banden. Helgestad's dunkelroth angeschwollenes Gesicht nahm allmälig seine natürliche Farbe wieder an. Er saß erschöpft auf seinem Lager, holte tief Athem und gab keine Antwort, bis er plötzlich mit einem Fluche aufsprang, das Licht ergriff, an seinen großen Schrank und an Kisten und Kasten hinkte, und als er Alles unversehrt fand, beruhigter in den Lederstuhl fiel.

Ist ein sonderbarer Vorfall, sagte er, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht hatte. Hätte es niemals für möglich gehalten. Aber wo ist Ilda? Wo sind die Mägde?

93 Sie schlafen, sagte Gula demüthig. Ich habe an ihren Thüren gehorcht, die Riemen von den Riegeln genommen. Niemand hat ihnen ein Leid gethan.

Will's glauben, erwiderte der Kaufmann. Schlafen am anderen Ende des Hauses und tobt das Wetter, daß ich selbst keinen Schritt der Schelme hörte, bis ich Arme und Beine nicht rühren konnte. War Alles finster um mich her, konnte nichts sehen und nichts hören, fühlte nur ihre spitzbübischen Finger an meiner Kehle und merkte auf der Stelle, mit wem ich es zu thun hatte. Ist ein Meisterstreich von dem alten Höllenkerl, fuhr er mit einem gewissen Wohlgefallen fort, hat mehr Witz unter seinem Hirndeckel wie mancher Normann. Will es ihm aber doch eintränken, murmelte er dann, die blutig unterlaufenen Ringe an seinen Händen betrachtend – soll erfahren was es heißt, Niels Helgestad wie ein altes Segel zusammenzuschnüren. Hätte es nimmermehr geglaubt, Herr Marstrand, daß ein Lappe es wagen würde, hätte es nicht geglaubt und wenn es der heilige Olaf selbst gesagt hätte.

Er schien von diesem Erstaunen sich lange nicht erholen zu können, stierte vor sich hin und schüttelte den Kopf; nachdem er jedoch Alles erfahren hatte, was Gula und Marstrand erzählen konnten, drückte er seinen Dank aus.

Sage es alle Tage, sprach er zu seinem Gaste, habt Herz und Kopf auf dem rechten Flecke; habt einen Sprung zur richtigen Zeit gemacht. Säße Gula sonst jetzt in dem kleinen Schlitten und jagte durch Sturm und Schnee den Kilpishöhlen zu, ich aber hätte hier bis an den Morgen liegen können, hätte Lärm und Gelächter gegeben durch ganz Finnmarken. – Ist ein wunderlich Abenteuer, Herr Marstrand; darf Niemand etwas davon erfahren. Mag's aber sein. Werde ein paar Tage blaue Flecken davon haben, sonst nichts.

Mit dieser Beruhigung fand er sich getröstet und war bereit, den Rest der Nacht nicht unnützerweise mit Schelten und Aergern über etwas zu verbringen, woran sich nichts ändern ließ. Nehmt das Licht, sagte er, und wenn Ihr Euch keinen Schlaftrunk mitnehmen wollt, schließt alle Thüren zu und sucht Euer Bett. Können morgen am Tage weiter betrachten, was wir thun müssen; hoffe, schlafen jetzt gesegnet und sicher.

94 Marstrand schlief jedoch nicht. Als der Morgen kam, lag er im Fieber. Seine Füße waren verstaucht und geschwollen, heftige Schmerzen peinigten ihn. Helgestad kam zu ihm herauf und untersuchte seinen Zustand. Muß Jedermann in den Finnmarken sein eigener Doctor sein, sagte er, haben im ganzen Lande keinen studirten Herrn. Kuriren uns selbst und befinden uns wohl dabei. Salz, Essig und Thon werden Eure Füße heilen, Enzianthee und Zitronensaft das Fieber fortschaffen und nach drei Tagen wird Euch besser zu Muthe sein, als hätte der Leibmedicus des Königs Euch in Händen gehabt.

So geschah es, wie Helgestad gesagt. Die Füße des Kranken wurden eingewickelt und fest umbunden, den bitteren Thee mußte er in Masse verschlucken. Gula reichte ihm einen kühlenden Trank und blieb seine unermüdliche Pflegerin. Ab und zu kam auch der Gaardherr, legte einen neuen Verband an und erzählte ihm dabei, daß kein Mensch gemerkt habe, was in der Nacht vorgegangen. Ein Schneestock und ein Lappenmesser sei Alles, was die Spitzbuben zurückgelassen, dagegen fehle nicht ein Nagel an seinem Eigenthum.

Nuh, sagte er dann, denke, Ihr werdet schweigen, Herr Marstrand. Wäre mir ein Ekel, bekennen zu müssen, daß Lappenfinger mir an Leib und Gesicht gekommen wären. Lacht schon Ilda mich aus, was würden Andere thun.

Marstrand gelobte Verschwiegenheit, doch während dieser Tage, wo draußen das stürmische Schneewetter forttobte, würde er seine ungewisse Lage schwer empfunden haben, wäre Gula nicht seine Freundin und Wärterin gewesen. Den größten Theil ihrer Zeit brachte sie bei ihm zu, erzählte und erheiterte ihn, las ihm aus Büchern vor, die Ilda gehörten, und als das Fieber am zweiten Tage wich, sang sie ihm Lieder und spielte auf der Zither, welche sie mit vieler Gewandtheit zu gebrauchen wußte. Sie war wißbegierig und empfänglich; ihre Fragen über tausend Dinge, von denen sie gehört hatte, waren unerschöpflich. Stunden lang konnte Marstrand ihrem Geplauder zuhören, das ihn erquickte. – Wenn Gula kam, brachte sie regelmäßig Grüße und Verhaltungsregeln von Ilda mit, diese selbst aber erschien nicht in dem Krankenzimmer, denn es schickt sich nicht für sie, sagte Gula entschuldigend, als er eine Bemerkung machte.

95 Ilda weiß immer, was sich schickt, erwiderte Marstrand lächelnd, doch du weißt es auch, kleine Gula. Du kommst zu deinem kranken Freunde und legst deine kühle Hand auf seinen fieberheißen Kopf. Habe Dank, liebes Mädchen! In aller Noth wollen wir uns treulich beistehen. Willst du?

Er reichte ihr die Hand. Ein Strom von Freude brach aus Gula's dunkeln Augen, als sie diese nahm. Ich will, o ich will, rief sie lebhaft, aber Gott wende alle Noth von dir!

Ein Freudengeschrei erhob sich am Fjord und unterbrach ihr Gespräch.

Gula lief an's Fenster, schaute hinaus und schrie dann zurück: Sie kommen, die Yachten kommen von den Lofoden. – Sie kommen alle, die Fischer, Björnarne, Alle! – Sie stürzte nach der Thür, allein plötzlich blieb sie stehen und mit einem Blick, der Verzeihung forderte, setzte sie sich nieder und ergriff ihre Spindel.

Du mußt deinen Freund Björnarne willkommen heißen, sagte Marstrand. Bringe ihm auch meinen Gruß; du darfst nicht fehlen.

So trieb er sie nach manchem Sträuben fort und als sie endlich ging, versuchte er selbst zum erstenmale seine Kräfte und fand, daß er seine Füße erträglich gebrauchen konnte. Er setzte sich an's Fenster und sah der Landung zu. Die beiden Yachten kamen mit vollen Segeln den Fjord herauf. Boote, mit Menschen gefüllt, fuhren ihnen entgegen. Tücher, Hüte und Flaggen wurden geschwenkt; was der Gaard und die Umgegend an Menschen besaß, lief herbei und machte seiner Freude Luft mit Geschrei und Sprüngen. Endlich lag die vorderste Yacht am Bollwerk und Marstrand sah, wie Björnarne mit einem Satze oben stand, wie sein Vater ihm die Hände schüttelte, wie er Ilda um den Hals fiel und wie er Gula dann mit beiden Armen in die Luft hob und sich mit ihr rundum drehte.

In demselben Augenblick wurde er gewahr, daß zwei andere Männer von Helgestad empfangen wurden, und er erkannte in ihnen sogleich den Neffen des Voigtes von Tromsöe, den Schreiber Paul Petersen, und jenen eisenfesten Nordländer, Olaf Veigand, der ihn beim Ball in Ostvaagöen so unsanft behandelt hatte.

Der Schreiber unterhielt sich mit Ilda in vertrauter und, wie es schien, lustiger Weise. Alle vergnügten sich an seinem Scherzen. 96 Laut sprechend und lachend näherten sie sich endlich dem Hause, wo Marstrand vom Fenster zurückwich, da er merkte, es sei von ihm die Rede.

Wie viel Glück hat er, daß er krank geworden, hörte er den Schreiber sagen. Ich beneide ihn, daß er in deiner Pflege sein durfte.

Dann thätest du besser, dich an Gula zu wenden, antwortete die Jungfrau, sie trägt für ihn die meiste Sorge.

Eine prächtige Pflegerin, die kleine gelbe Prinzessin, rief Paul laut lachend; und welche würdige Gesellschaft für den Kammerjunker Seiner Majestät!

Die Anderen kamen herbei, Marstrand hörte nichts mehr. Voll Zorn über den unverschämten Schreiber setzte er sich auf sein Bett. Bald aber polterten Schritte die Treppe herauf und in der nächsten Minute sprang Björnarne lustig herein, dem Paul und Olaf folgten.

Grüß' dich Gott, Johann Marstrand! rief Björnarne in seiner herzlichen Weise. Es kann mir nichts so leid sein, als dich krank zu finden; hoffe aber, ist keine Gefahr dabei.

Gar keine Gefahr, erwiderte der Kranke. Nichts als ein falscher Sprung, Björnarne, morgen schon werde ich aufstehen können.

Sagte ich es nicht, fiel Paul Petersen ein, indem er ihm die Hand bot, daß Sie in diesem holperigen Lande vor allen falschen Schritten und Sprüngen sich zu hüten haben? Ich hoffe, Herr Marstrand, daß die Erneuerung unserer Bekanntschaft mir Gelegenheit gibt, Ihnen noch andere nützliche Rathschläge zu ertheilen.

Die drei jungen Männer setzten sich nun an Marstrand's Bett und unterhielten ihn eine Zeit lang von den Begebnissen ihrer Reise, die nichts Besonderes darbot. Sie hatten Björnarne begleitet, um einige Zeit im Gaard von Oerenäes zu leben, und mochten Beide ihre besonderen Absichten dabei haben. Olaf Veigand war ein wohlhabender Grundbesitzer aus Bodöen und gehörte zu einer angesehenen Familie. Der Schreiber von Tromsöe aber hatte, wie er erzählte, mit seinem Oheim es abgemacht, so lange in Helgestad's Haus zu bleiben, bis er nicht länger darin gelitten würde.

Sie, Herr Marstrand, fügte er dann hinzu, werden im Gegentheil sagen, ich will fort, sobald ich irgend kann; allein ich denke, wir 97 werden noch manche vergnügte Woche zusammen leben, ehe Sie Ihr neues Reich aufsuchen.

Sobald der Schnee schmilzt, muß es geschehen, antwortete der Junker.

Das kann Ende Mai kaum der Fall sein, rief Paul; aber haben Sie Ihre Domaine schon ausgesucht?

Noch nicht, war die einsilbige Antwort.

Nun, wo es auch sein möge, es wird ein warmes Plätzchen werden, das allerlei Streit kostet, lachte Paul, denn wo es noch eine Weide gibt und wo ein Quell rinnt, behaupten die Lappen, es sei ihr uralt Eigenthum und schreien über Unrecht und Gewalt. Indeß, fuhr er fort, wir haben ja hier im Hause die Tochter des mächtigen Herrn Afraja, durch dessen Gunst viel geschehen kann.

Du bist ein Narr, Paul Petersen, sagte Olaf, der bis jetzt geschwiegen hatte.

Meiner Treu, erwiderte Paul, ich weiß nicht, wo die Narrheit anfängt oder die Weisheit aufhört. Wenn ich das beste Stück Land ohne Mühe haben und schnell reich werden wollte, würde ich Afraja zu meinem Schwiegervater machen.

Ein allgemeines Gelächter folgte.

Es ist mein Ernst, rief der Schreiber. Der alte Hexenmeister hat wenigstens sechstausend Rennthiere, dazu bewahrt er Schätze in verborgenen Höhlen, mehr als ein König von Norwegen jemals besessen hat. Alles, was seine Urväter und Väter sammelten, hat er mit Hülfe seiner Zauberkünste entdeckt, dazu gethan, was er selbst zusammenscharrte, und, wenn man den Leuten traut, die es erzählen, kennt er die reichen Silberschachte, die hoch oben in der Wüste sein sollen, von denen alte Sagen melden. Zuweilen verschwindet er wochenlang. Die Lappen glauben dann, er arbeite mit seinen Geistern in unterirdischen Bergwerken und Niemand wagt es ihm zu folgen. Zwei- oder dreimal sind Neugierige, die den Versuch machten, ihn zu belauschen, nicht wiedergekommen.

Eitel Lügen und Märchen, sagte Björnarne.

Meinetwegen, antwortete Paul, glaubt, was Ihr wollt, allein Niemand wird läugnen können, daß Prinzessin Gula eine so prächtige Partie ist, daß sie mancher Baron sich wünschen möchte.

98 Schäme dich, Paul, schäme dich! antwortete Olaf. Wer möchte ein Lappenmädchen heirathen?

Du nicht, ehrlicher Olaf, und wir Alle nicht, lachte der Schreiber; aber die aufgeklärten Leute in der großen Welt würde es wenig kümmern, ob der alte Afraja Komager an den Beinen trägt und mit seinem Leitthiere durch die Sümpfe der Jauren watet, wenn er nur sein Silber und sein Gold gibt, um mit der kleinen stumpfnasigen Gula in Karossen zu fahren, Feste zu veranstalten und in einem Palaste zu wohnen. Da ist Herr Marstrand, fragt ihn, ob nicht Grafen und Freiherren zufassen würden, wenn Gula mit einer Yacht voll Geldsäcken nach Kopenhagen käme.

Es geschieht wohl zuweilen, daß Männer aus vornehmen Familien des Geldes wegen reiche Bürgerstöchter heirathen, sagte Marstrand lächelnd, aber löblich wird solch Thun nicht genannt.

Nun also! rief Paul Petersen im hohen Grade belustigt, indem er Marstrand boshaft betrachtete. Da hört Ihr es, was reiche mächtige Herren, Kammerherren und Kammerjunker zu thun im Stande sind. Welcher Unterschied ist doch zwischen Aufklärung und Rohheit, zwischen feiner Sitte und stupider Gemeinheit! Hier würde Gula mit all ihrem Reichthum und ihrem netten Gesichtchen kaum bei dem ordinärsten Fischerknechte ankommen, in Kopenhagen würden die nobelsten Männer zu ihren Füßen liegen, und ich gebe mein Wort darauf, sie würden sie lieber nehmen, als eine reiche Kaufmanns- oder Brauerstochter, denn Gula ist vom ältesten Adel, der bis in die Zeiten Odin's oder noch weiter hinaufreicht, weil Jubinal und die Liebesgöttin Ayka noch früher dagewesen sind. Ein Mädchen mit solchem Stammbaum, von den Göttern abstammend, könnte einen Fürsten bekommen. Könige würden sie für ebenbürtig erklären, denn in Europa ist es nicht einmal Mode von den Göttern seinen Ursprung abzuleiten. Selbst die Stolzesten begnügen sich mit irgend einem Bauer oder Jäger, der, wenn es hoch kommt, bei Noah im Kasten gesessen hat. Ist's nicht so, Björnarne? rief er, seinen Freund auf die Schulter schlagend.

Was gibt's? sagte dieser zusammenschreckend.

Nun, bei allen Stockfischen in Westfjord! lachte der Schreiber, ich glaube, er hat kein Wort gehört. Wo warst du denn mit deinen 99 fünf Sinnen, mein Junge? Tanzten sie etwa auf der Hochzeit der Prinzessin Gula mit einem dänischen Baron?

Eine dunkle Röthe bedeckte Björnarne's Gesicht. Er stand auf und sagte heftig und verlegen: Halte deine böse Zunge im Zaum, Paul. Ich will es nicht leiden, weder daß du mich, noch irgend einen Anderen verspottest. Halte Frieden in meines Vaters Hause.

Der Schreiber lachte was er konnte. Närrischer Björnarne, erwiderte er, was zankst du mit mir? Ich rede nichts wie Liebes und Gutes selbst von denen, die verachtet werden, dafür feindet Ihr mich an. Aber Ihr versteht keinen Scherz, so laßt uns andere Dinge verhandeln. – Mit Leichtigkeit wandte er das Gespräch auf die anwohnenden Familien, welche er kannte und besuchen wollte, sprach von den Landstellen und ihren Eigenthümern und verband mit genauer Kenntniß der Gegenstände, über welche er urtheilte, so viel gute Laune und gute Späße, daß die Einigkeit bald wieder hergestellt war. Erst nach Stunden, als es dunkel wurde und der gastliche Tisch des Gaardherrn sie erwartete, verließen die drei jungen Männer das Bett des Kranken und wünschten ihm ein fröhliches Wiedersehen auf morgen.

Am folgenden Tage gelang es Marstrand wirklich in dem Familienkreise zu erscheinen. So gut es ging, stieg er die Treppe hinunter und wurde in der Stuga mit Freuden empfangen. Der Wirth saß mit seinen Gästen beim Frühstück; alle waren in der heitersten Stimmung, Helgestad machte ihm Platz an seiner Seite. Jungfrau Ilda sagte ihm freundliche Worte, noch herzlicher that dies ein ehrwürdig blickender, greiser Mann, der in seinem schwarzen Kleide den Ehrensitz am Ofen eingenommen hatte.

Nuh, sagte Helgestad, denke, habt den Pastor Klaus Hornemann nicht vergessen, Herr Marstrand. Ist von Tromsöe gekommen und will bei uns bleiben, bis er hinaufkann zu seinen Pflegkindern, die ihn mit Sehnsucht erwarten, wie junge Birkenreiser.

Sie müssen wissen, Herr Marstrand, sprach der Prediger lächelnd, daß ich wohl seit zwanzig Jahren die Finnmarken zur Sommerzeit bereise und jetzt von der Regierung den Auftrag erhalten habe, mit einigen anderen Gehülfen die Bekehrung des unglücklichen, verlassenen Volkes zu vollenden, das diese unwirthlichen Hochlande bewohnt.

Die Finnen sind also noch nicht alle bekehrt? fragte Marstrand.

100 Dem Namen nach könnte man es vielleicht behaupten, antwortete der Geistliche. Man hat ihnen verboten zu ihren alten Göttern zu beten, die meisten mögen auch folgsam sein, aber wer trägt Sorge um sie? Wer pflegt ihr Christenthum? Wo ist die Liebe, die ihnen hülfreich zur Seite stände? In Kautokaino und Karasjok hat man Kirchen erbaut und Geistliche eingesetzt, welche die Lappen während des Winters dort versammeln und ihnen Lehre und Unterricht zuwenden sollen. Was hilft das aber? Der Geistliche versteht seine Zuhörer so wenig, wie diese ihn. Mühsam muß, was er sagt, übersetzt werden, so gut es geht. Wie können Priester lehren, die in fremden Zungen reden? Wie kann der Same des Heils gedeihen in solcher Weise?

Nuh, brummte Helgestad, werdet doch keinem Christen zumuthen wollen, Finnisch zu lernen. Ist ihre Sache, sich das richtige Norwegisch anzugewöhnen.

Ein sanftes Lächeln schwebte um den Mund des alten Priesters. Da hören Sie es, sagte er, Niemand will sich herablassen, diesen Ausgestoßenen einen Finger zu reichen, und doch möchten sie Alle nehmen, was jene geben können.

Was kann aber geschehen und wahrhafte Hülfe bringen? fragte Marstrand.

Wenig für jetzt, ich gebe es zu, antwortete Hornemann, aber doch Etwas. Die Regierung hat mich beauftragt, ihr Berichte darüber zu erstatten, ob im Innern des Landes noch einige Kirchen erbaut werden müßten; ich werde es widerrathen. Die Lappen ziehen mit ihren Heerden auf und ab, auch im Winter wechseln sie ihre Lagerplätze und nur in der allerschlimmsten Zeit rasten sie einige Monate da, wo sie ihre Thiere am geschütztesten glauben. Daher können Kirchen nichts nützen, sie stehen neun oder zehn Monate im Jahr verödet, und welche schreckliche Wirkung Einsamkeit und Verlassenheit auf die dort hingesandten Priester ausüben, davon haben wir leider die traurigsten Beispiele. Drei Priester sind in Kautokaino stumpfsinnig und wahnsinnig geworden.

Das ganze Gesindel ist nicht werth, daß ein wackerer Mann so schmählich verderbe, sagte Olaf.

Ich werde der Regierung rathen, statt Kirchen zu bauen, fromme Diener unseres Gottes auszusenden, die sein heiliges Wort reisend 101 und pilgernd verkündigen, fuhr der Geistliche fort. Solchen Männern, die mit frohem Glaubensmuthe kommen und von ihrem heiligen Berufe erfüllt, keine Mühen und Beschwerden scheuen, kann Manches gelingen. Sie können von Familie zu Familie wandern und mit ihnen ziehend von Lager zu Lager, können sie hülfreich den Leidenden beistehen und die Schwachen beschirmen, bis endlich der Kern gelegt ist, aus dem ein fruchtbringender Baum erwachsen kann.

Paul Petersen hatte bis jetzt geschwiegen, aber er lachte dann und wann spöttisch vor sich hin und sagte nun: Sie sind ein verehrter und frommer Mann, aber können Sie wirklich glauben, daß aus diesen Rennthierhirten und Jägern des Gebirgs jemals etwas Rechtes gemacht werden könnte? Da wohnt und lebt und zieht jede Familie für sich, heute ist sie hier, morgen dort. Mit ihren Zelten wandern sie ihren Rennthieren nach; kein Trieb ist in ihnen nach einer festen Wohnstätte, nach einem Hause, nach gesitteter Weise und geordnetem Leben. Ueber ihre Freiheit, wie sie es nennen, geht ihnen Nichts, und nur die sich gar nicht mehr helfen können, kommen an die Küste und werden Fischer, oder sie bitten um eine Kolonistenstelle und die Regierung gibt sie ihnen. Dort sitzen sie dann und beneiden bis zum bittersten Hasse ihre Brüder, die Waldlappen; laufen aber gern wieder hinauf, wenn sich irgend eine Möglichkeit zeigt, auf den Alpen zu leben. Rennthiere und Lappen sind, wie die alten Centauern, zusammengewachsen; Thier und Mensch haben sich zu einem Wesen vereinigt, das untrennbar vereint leben und sterben muß. Ihr werdet sie weder besser machen, noch Etwas daran ändern können, sie werden gemeinsam untergehen. Im vorigen Jahrhundert soll das Volk noch über hunderttausend Köpfe gezählt haben, jetzt ist kaum mehr die Hälfte vorhanden; im nächsten Jahrhundert wird es der vierte Theil sein und endlich wird der letzte Lappe sterben.

Und wer, Herr Petersen, ist Schuld an diesem Untergange eines Volksstammes? fragte der Geistliche mild.

O! ich weiß, antwortete der Schreiber, Ihr gebt uns die Schuld. Wir haben ihnen ihre Weiden genommen, haben ihnen den Branntwein und die Pocken gebracht, haben sie ausgesaugt und mißhandelt, aber das Alles ist eitle Träumerei. Statt der untergehenden rohen Hirten haben Normänner und Quäner sich vermehrt und mit jedem 102 Jahre kommen neue hinzu, die fleißige Hände mitbringen, handeln und Geld erwerben. Tromsöe wird bald eine artige Stadt sein, und in hundert Jahren können an allen Fjorden und Sunden Häuser stehen und Kirchen erbaut werden. Mag ein Hirtenstamm, der sich nicht ausbilden kann, immerhin untergehen; es muß das auch Gottes Wille sein, Herr Hornemann, sonst würde es nicht geschehen. Ihr müßt es als ein Gottesgesetz anerkennen, denn es wiederholt sich überall. Die Civilisation erobert und macht sich Platz, wohin sie kommt; untergeordnete Wesen tritt sie zu Boden, weil diese nichts Besseres verdienen, als ausgelöscht zu werden, weil ihre Organisation nicht mehr zu ihrer längeren Erhaltung paßt.

Und damit, antwortete der Missionär, läßt sich alle Grausamkeit rechtfertigen, die in der Welt begangen wurde. So haben die Spanier in Amerika gewüthet, mit solchem Rechte schleppt man Menschen in Sklaverei und behandelt sie als Waare und Lastthiere.

Die Lappen sind niemals so behandelt worden, fiel der Schreiber ein.

Nein, sagte der Geistliche, man könnte es nicht einmal mit ihnen also machen, wie es in manchen gesitteten Ländern Europa's mit Bauern und der großen Masse des Volks gemacht wird – sie sind weder Leibeigene noch hörige Leute, denn glücklicher Weise besitzen sie keine Hütte und kein fruchtbares Feld. Ihnen gehört allein die unermeßliche Felsenwüste, wohin so leicht kein Landvoigt und kein Steuerempfänger folgen mag. Aber man überläßt sie ihrem Elende, verachtet sie mit einer Härte, die schlimmer ist wie der schlimmste Haß, und dennoch ist dies Volk gelehrig, verständig, zum Nachdenken geneigt, mit vielen geistigen Anlagen und mancherlei Geschicklichkeiten ausgerüstet. Es gibt Männer dort, die, wenn sie in anderen Verhältnissen geboren wären, den Ruhm großer Klugheit und Weisheit haben würden.

Sie meinen Afraja, Herr Hornemann, rief Petersen lachend, und ich gebe Ihnen zu, daß der alte Bursche listiger und verschlagener ist, als alle Anderen, obwohl es keinem an Tücke und Schlauheit fehlt, sobald es gilt einen Normann zu betrügen; allein Sie sollten diesen zähen Heiden am Allerwenigsten loben, da es bekannt ist, wie wenig er an Christi Wort glaubt, und erst nach 103 schwerer Strafahndung dahin gebracht werden konnte, keine Opferfeste mehr in den Saitas Jubinal's und der übrigen gräulichen Götzen zu veranstalten.

Der Prediger neigte mit einem schmerzlichen Lächeln sein greises Haupt und sagte, den Schreiber anblickend: Wenn wir alle bessere Christen wären, würde Afraja längst einer sein.

Petersen's Gesicht war voll Hohn. Da fällt mir eine Geschichte ein, die ich vor einiger Zeit von ihm gehört habe, sagte er, mit den Händen durch sein rothes Haar fahrend, was er immer that, wenn er einen Streich ausüben wollte. Afraja sollte einmal bekehrt werden. Ein frommer Mann, ich weiß nicht wie er hieß, gab sich die größte Mühe sein verstocktes Gemüth zu erweichen. Er erläuterte ihm einen langen Tag über die Lehren des Christenthums und erzählte ihm die Wunder des Herrn, um ihn in Erstaunen und Ehrfurcht zu versetzen. Aber Afraja blieb so ungläubig, wie er war. Er lachte dazu und sagte endlich ganz gelassen: Denkst du, Priester, daß ich solche närrische Geschichten für wahrscheinlich halten soll? Sie stehen in deinen Büchern, aber Papier ist geduldig, wer hat von diesen Wundern jemals etwas gesehen? Was alte Sagen den Lebendigen berichten, ist meist nicht so viel werth, wie ein Rennthierschuh; ist dein Gott aber ein so mächtiger wie du sagst, und bist du sein Werkzeug, so zeige mir, was ihr beide könnt – verwandle diesen Stein in Brot. – Dabei stieß er mit seinem Fuße an einen großen Stein und schnitt ein boshaftes Gesicht wie ein Affe, denn er sah die Verlegenheit des frommen Mannes, der in eine üble Klemme gekommen war. Da war jedoch kein Besinnen. Der Priester warf sich auf sein Angesicht und auf den Stein, den er mit seinem weiten Rocke bedeckte. Er betete lange voll heiligen Eifers und schrie endlich erfüllt vom Muthe des wahren Glaubens, indem er aufsprang: Im Namen Gottes! Stein, ich befehle dir, werde Brot! Und siehe da! Der alte Hexenmeister wurde starr vor Schreck und Staunen, denn der Stein war fort und ein großes Brot lag an seiner Stelle. Bist du jetzt überzeugt, verstockter Zweifler? fragte der Gottesmann. Erkennst du nun, was es heißt ein Christ sein? Statt der Antwort bückte sich Afraja, nahm das Brot auf brach es durch und richtig, es war nicht blos ein Brot, es steckte 104 auch ein gebackener Fisch darin, wie dies die Leute an der Küste thun, wenn sie auf Reisen gehen wollen. Wahrlich, Priester, rief der Heide, dein Gott ist ein großmüthiger Herr, er gibt mehr, als man von ihm bittet. Nimm was er dir bescheret hat und geh! Dein Weg ist lang, du würdest Hunger leiden, wollte ich mir dein Wunder zu Nutze machen, doch vorher sieh, was meine Götter vermögen. Bei diesen Worten nahm er einen andern Stein auf, und wie er ihn mit einer Hand in seinen Pelz steckte, zog er mit der anderen einen großen Rennthierkäse daraus hervor. Mein Stein ist Käse geworden, sagte er, ganz so, wie dein Stein Brot geworden ist. Nimm ihn und danke Jubinal. Er wird dir ohne Zweifel vortrefflich schmecken, denn er ist von der besten Sorte.

Ein schallendes Gelächter belohnte den Schreiber, der vergnüglich den alten Geistlichen anblinzelte. Doch Klaus Hornemann verlor seine sanfte Duldsamkeit nicht; er schüttelte leise den Kopf und sagte betrübt: Eine Antwort auf Ihre Geschichte werden Sie nicht von mir erwarten, Herr Petersen; aber wenn ein Christ und ein Richter wie Sie, das Hohe und Heilige so arg verspotten kann, was soll der heidnische Finne thun, der doch so verächtlich in Ihren Augen ist?

Ehrwürdiger Mann, erwiderte der Schreiber, Ihr schwarzer Rock gibt Ihnen das Recht, grob sein zu dürfen. Ich frage nicht viel danach, wenn man mich tadelt, in diesem Falle jedoch kann ich meinen Spott, wie Sie es nennen, rechtfertigen. Es ist schwer, ernsthaft zu bleiben, wenn man sieht, wie seit einiger Zeit die Lappen gehätschelt und gestreichelt werden. Man stellt sie der Regierung als verfolgte unglückliche Wesen dar, denen man die herrlichsten Eigenschaften andichtet. Vor allen Dingen sollen sie Christen werden, dann will man weiter gehen, will ihre Talente ausbilden und in kurzer Zeit werden wir aus diesem erwählten Volke nicht allein Kaufleute und Grundherren, sondern auch Richter und Voigte, Lendsmänner und Schulmeister hervorgehen sehen, bis zuletzt der ganze normannische Stamm von ihnen aus dem Lande gejagt wird. Was sagen Sie dazu? Ist es nicht so?

Wäre doch einige Wahrheit in Ihrer Rede, antwortete Hornemann lächelnd, mein Herz würde sich daran laben.

105 Und ist es nicht wahr, schrie Petersen boshaft nickend, daß Sie an den Gouverneur von Trondhjem und nach Kopenhagen schreckliche Berichte über die Trübsal und Gräuel gesandt haben, welche wir über dies edle Volk bringen? Haben Sie nicht besonders dabei auch des Voigts von Tromsöe und seines Neffen, des geschwornen Schreibers, gedacht, die Beide erbitterte Feinde und Widersacher Ihrer unglücklichen Pflegekinder sind?

Mein Amt, versetzte der alte Mann würdig aufblickend, gebietet mir, zu helfen und zu bessern, wie ich vermag, die Uebel aufzudecken, wo ich sie finde; anschuldigen jedoch ist meine Sache nicht. Ich bin kein Richter und kein Rächer. – Seine Ruhe und der strafende Ernst seiner letzten Vertheidigung machten selbst auf Petersen Eindruck. Die hohe, kräftige Gestalt des Greises, sein langes, graues Haar, das in fast weißen Locken auf seine Schultern fiel, seine leuchtenden, freundlichen Augen und die schöne stolze Stirn gaben ihm ein Ehrfurcht gebietendes Ansehen.

Paul mochte nichts mehr fragen, er stand auf und sprach von etwas Anderem. Bald darauf ging er mit Helgestad hinaus, der ihm ein Paar Rechtshändel mittheilen wollte; Björnarne hatte auf den Yachten zu thun, die ausgeladen wurden, sein Freund Olaf versuchte es, Ilda Gesellschaft zu leisten, nur Marstrand blieb bei dem alten Priester sitzen, der lehrreich über viele Dinge mit ihm sprach, seine Geschichte hörte, seine Entschlüsse belobte und ihm manche nützliche Rathschläge ertheilte.

Die Anwesenheit des Missionärs im Hause des Kaufmanns bildete aber schon an diesem Tage eine eigenthümliche Trennung zwischen zwei verschiedenen Parteien der Gesellschaft aus, welche hier beisammen lebte. Helgestad und der Schreiber hatten ersichtlich wenig Wohlgefallen an dem alten Geistlichen, denn so bescheiden und friedfertig dieser auch war, wußte er doch sein Ansehen zu behaupten und seine Aussprüche zu vertheidigen; Ilda dagegen war ihrem alten Lehrer und Freund mit so vieler Herzlichkeit zugethan, als ihr ernster Sinn es zuließ, und mit ihr vereinigte sich Gula, die eine zärtliche Verehrung und Sorgfalt für Klaus Hornemann hegte. Der ehrwürdige Priester mit seiner Menschenliebe und Milde, seinem Gottvertrauen und der Kraft, die aus diesem stammte, war aber sicherlich eine herzgewinnende 106 tröstende Erscheinung auch für Marstrand. Wie weit stand er mit seinen Anschauungen über Helgestad und allen diesen nur auf Geldgewinn gierigen Eigenthümern der Fischplätze und Fjorde, und welchen erhebenden Gegensatz bildete sein entsagungsvolles Leben zu den groben Ausschweifungen dieser Männer, die meist nur in Trunk und Völlerei Ersatz für ihre Beschwerden fanden?! Der reiche Gaardherr würde seinen Mißmuth über den längeren Aufenthalt des alten Narren, wie er ihn nannte, vielleicht deutlicher gezeigt haben, wenn nicht viel Volk diesem fast abgöttisch angehangen und die Regierung ihn so mächtig unterstützt hätte. In welcher Hütte oder in welchem stattlichen Hof der Priester auch einkehren mochte, es wäre Schimpf und Schande gewesen, ihm nicht mit Freuden den besten Platz am Ofen eingeräumt zu haben. Daß er zu den Kindern des verachteten Stammes in die Gebirge hinaufstieg, sie in ihren tiefsten Schlupfwinkeln aufsuchte, um auch ihnen Liebe, Trost und Hülfe zu bringen, vermehrte bei den Meisten die Heiligkeit seines Namens und wer etwa darüber spotten und lachen mochte, that es selten ohne eine Entschuldigung, daß Klaus Hornemann's gutes Herz ihn zu weit führe, so daß er keinen Unterschied mache zwischen Mensch und Mensch. Aber Klaus Hornemann war sowohl für die Fischer an den Küsten, wie für die Kolonisten und für Alle, die in Noth geriethen, ein treuer Freund und Helfer. Er schlichtete die Streite, half den Verschuldeten auf, bewog die Schuldner zur Milde, schloß Vergleiche, unterstützte die Armen, gab willig, was er besaß, und setzte so manche Verbesserung in den Verhältnissen der verschiedenen Klassen der Bevölkerung durch, daß kein Mann im Lande ein solches Ansehen besaß wie dieser arme Greis, dem Nichts gehörte, als sein Pilgerstab und seine Reisetasche. Zwar besaß er eine einträgliche Pfarre gerade an der Grenze zwischen Nordland und Finnmarken, allein den größten Theil des Jahres benutzte er zu seinen Wanderungen, da die Regierung, die damals noch keinen Bischof in Tromsöe hielt, ihn zugleich als ihren Agenten und General-Vicar der Finnmarken bestellt hatte, der die geistlichen Visitationen abhielt, Berichte erstattete und Vorschläge machte. So war auch seine amtliche Stellung wichtig genug, um die Beamten im Lande, die Voigte, die Sorenskriver, Landrichter und Untervoigte von manchem Uebermuth abzuhalten und seine Freundschaft zu suchen, um so mehr, 107 als man wußte, daß Hornemann ein genauer Freund des Gouverneurs in Trondhjem, des alten General Münte, war, der das ganze mehr als hundert Meilen lange Küstenland regierte und in Kopenhagen in hohem Ansehen stand.

Der ärmliche Greis war somit keine ganz unbedeutende Person in diesem äußersten Thule. Er war eben sowohl ein Gegenstand der liebevollsten Anhänglichkeit und Verehrung wie geheimer Abneigung, die in letzter Zeit bei manchen Beamten und reichen Kaufleuten merklich gestiegen war, seit man wußte, daß Hornemann's Berichte sich in ihren Darstellungen der Sachlage entschieden tadelnd ausgesprochen. Der Schreiber hatte diese Abneigung deutlich genug erklärt und seine eigene Gesinnung nicht zurückgehalten.

In den nächsten Tagen, als das Wetter milder wurde, besuchte der Geistliche die verschiedenen Niederlassungen an beiden Ufern des Lyngenfjord und mehreremale begleitete ihn Marstrand auf diesen Ausflügen, die sich endlich weithin erstreckten und im Boote unternommen werden mußten. Der junge Ansiedler war froh, in dieser Weise der Gesellschaft des Schreibers zu entkommen, der ihn mit seiner Theilnahme belästigte und dessen zunehmende Herrschaft im Gaard von Oerenäes ihm unangenehm war. – Der Grund, um mit Hornemann zu wandern, war nicht schwer zu finden, da einige Familien, die ihre Handelsstellen am äußeren Fjord, auf der Insel Alöen und bis an Maursund und auf Kargöe besaßen, ihn öfter schon zum Besuch eingeladen hatten. Der alte Helgestad konnte nichts dagegen einwenden, Björnarne, welcher in der Mitte beider Parteien stand, fand es gerechtfertigt, Land und Leute kennen zu lernen, seine Schwester sagte wie immer, nichts dazu und die Einzige, deren betrübte Augen ihm folgten, war Gula.

Wirst du auch wieder kommen? fragte sie, als er von ihr Abschied nahm.

Gewiß, sagte er, meine ganze Abwesenheit wird höchstens zwei Wochen dauern, dann ist der Mai nahe und in den Gründen wird es grün.

Es wird einsam hier sein, wenn du fort bist, erwiderte sie leise.

Einsam, liebe Gula, rief er lachend. Es wird fröhlicher hergehen, sollte ich meinen. Björnarne hat seine Arbeiten fast vollendet, 108 Paul Petersen alle Rechenbücher nachgesehen und die Schuldner zur Ordnung angehalten, der gutmüthige, lustige Olaf will fischen, jagen und spazieren gehen und die Nachbaren haben Besuche versprochen. Der Voigt von Kaafjord will mit seinen Töchtern kommen, Pfarrer und Gaardherren mit Frauen und Kinder werden einsprechen; ihr werdet tanzen und singen, und die Abende werden nun lang, die schönen, von dir so oft ersehnten hellen Nächte schimmern schon durch die Fenster.

Was habe ich damit zu thun? erwiderte sie mit ihrer eigenthümlichen Heftigkeit. – Der gute Greis, der mich liebt, geht fort und nimmt dich mit. Es wird einsam sein für mich. Ich werde deine Stimme nicht mehr hören, er wird des Abends nicht mehr mich unterrichten; ich werde allein in meiner Ecke sitzen und weinen, wenn der Schreiber über mich spottet.

Er wird dich nicht verspotten, sagte Marstrand tröstend. Björnarne, dein Freund, ist bei dir und Ilda.

Björnarne, flüsterte sie, er ist gut, dennoch aber – sie schüttelte den Kopf und sah vor sich nieder. Wir werden alle traurig sein, fuhr sie fort, auch Ilda, sie hat dich lieb.

Ihre schwarzen Augen schlugen zu ihm auf, er lächelte und sagte ruhig: Ilda hat Andere lieber als mich, und wenn ich wieder komme, meine kleine Gula, wird es ihr nicht größere Freude machen, als wenn ich fortbleibe. Du aber wirst an mich denken und mich wie einen Freund empfangen.

Ich will immer an dich denken, rief sie lebhaft, und will nicht traurig sein, weil ich weiß, daß du wiederkehrst. Wo du auch sein magst, wirst du die hohen Klippen des Kilpis sehen können, und wenn du sie erblickst, willst du dann dich auch an Gula erinnern?

Er gelobte es, und sie war zufrieden gestellt. Hornemann kam herein, sprach lange und freundlich mit ihr und legte endlich mit milden Blicken seine Hände auf ihre Stirn. Sehen Sie, Herr Marstrand, sprach er, auch dies Kind ist ein Trost für mich. Ihr Anblick ruft mir zu, daß ich nicht ganz umsonst gelebt habe, und daß es nicht eitel Lüge ist, wenn ich zu Gottes Ehre Zeugniß ablege, wie er keines seiner Geschöpfe verstoßen und vergessen hat. Aus eines großen Bildners Hand ist dies Mädchen hervorgegangen mit Schönheit und Verstand geschmückt, weil eine gütige Seele sich ihrer annahm. Und 109 warum könnten nicht Viele oder Alle ihr ähnlich sein, wenn sie ähnliche Liebe und Sorge fänden? Darum verweile ich gern in diesem Hause, wo ich den Erfolg meiner Bestrebungen vor mir sehe. Freilich gehört dazu eine so edle verständige Jungfrau wie Ilda ist, die als wahrhafte Christin im Geiste unseres Gottes zu handeln weiß; auch gehört dazu ein so begabtes Kind wie Gula, die mit schnellem Fassungsvermögen ausgerüstet, lernt und begreift, was Anderen schwer oder unmöglich wird; aber ach! wenn es viele gute Lehrer gäbe, würden die Schüler auch besser sein, und was den Stamm betrifft, zu welchem Gula gehört, so sind darin gar manche aufgeweckte Köpfe, die wenigstens eben so weit kommen würden wie wir, wenn wir uns ihrer nur recht annehmen wollten.

Am nächsten Morgen schwamm das Boot den Fjord hinauf und brachte die beiden Männer zur nächsten Handelsstelle, wo sie mit Freuden empfangen und mit nordischer Gastfreundschaft bewirthet wurden. Neben dem Handelsgeiste, der Gier nach Gewinn und Besitz und eingefleischten Vorurtheilen, fand Marstrand überall auch die Tugenden des norwegischen Volkes wieder. Einfache stille Sitten, ein arbeitsames Leben, einen gastlichen Herd und eine offene Hand für den Freund und Bedrängten. Wenn Hornemann durch die Hütten wanderte, um Rath zu geben, Klage zu hören und Hülfe zu leisten, wurde Marstrand, der bei den Gaardbesitzern zurückblieb, häufig über seine Verhältnisse zu Helgestad ausgeforscht, und mehr als Einer schien Lust zu haben, den Dänen in seine Hände zu bekommen, wenn nicht die Scheu vor Helgestad entgegengewirkt hätte. – Habt Euch an ihn gewandt, war der Schluß aller dieser Unterredungen, und ist ein Mann, der eine Sache zu Ende zu führen weiß. Wird Euch rathen, was gut ist, denn ist Einer im Lande, der Schwieriges auszuführen versteht, so ist es Niels Helgestad. Bei solchen Gelegenheiten hörte Marstrand auch mehrmals die Vermögensverhältnisse seines Beschützers beurtheilen und übertriebene Meinungen darüber äußern. Damals war der Handel nach Bergen noch fast ganz ein Tauschhandel und die Kaufleute in Bergen machten es mit den Fisch- und Thranlieferanten aus den Finnmarken meist nicht viel besser, wie diese mit ihren abhängigen Untergebenen. Sie nahmen ihnen ihre Produkte ab, aber blanke Silberspecies gab es nicht dafür, sondern Waaren aller Art, 110 mit denen die Yachten vollgepackt wurden. Jeder Fischhändler und Handelsstellenbesitzer hatte sein Conto und seinen Credit bei einem der großen Häuser in Bergen, die alle fest zusammen hielten und dadurch die Stockfischlieferanten in die Unmöglichkeit versetzten, sich von dem Uebergewicht der Kaufleute zu befreien. Die Preise wurden gemeinsam festgesetzt, keiner der reichen Herren auf der deutschen Brücke gab einen Pfennig mehr als der Andere, und wo ein Widerspenstiger sich zu sehr aufthat, ereilte ihn Bann und Acht. Kein Kaufmann nahm ihm seine Waare ab, bis er flehentlich bittend und durch Schaden klug gemacht, Besserung und Gehorsam gelobte. – Dieser Tyrannei der Berger Handelsherren hatte Helgestad sich zu entziehen gewußt. Er hatte den Bann ausgehalten und zu Einrichtungen Anstalt getroffen, die Schrecken in Bergen verursachten. Mit Kaufleuten in Flensburg hatte er Verbindungen angeknüpft und sie aufgefordert, Branntwein, Getreide, Mehl und vielerlei Waaren in die Finnmarken zu führen. Der Handel mit der unternehmenden Hafenstadt in Schleswig war bald aufgeblüht und gewinnbringend geworden. Helgestad wurde ihr Agent und belud die Flensburger Schiffe mit seinem Salzfisch und Stockfisch, der nun direkt in die südlichen Länder nach Spanien und Italien wanderte. Schiffe dieser Nationen wurden dadurch zuerst bis auf die Fischplätze der Lofoden gelockt und die Berger Kaufleute geriethen in nicht geringe Furcht, daß ihnen der größte Theil des wichtigen Handels entrissen werden könnte.

Hätten die nordischen Kaufleute Helgestad's Unternehmungsgeist und Thätigkeit besessen, so wären die Herren in Bergen wirklich in eine üble Lage gerathen, allein die meisten waren zu träge, zu sehr an die alte Gewohnheit und Bequemlichkeit gewöhnt, oder nicht wohlhabend genug, um die Sache durchzusetzen. Es hätte wenigstens dahin kommen können, wohin man jetzt, ein Jahrhundert später, gekommen ist; man hätte die Berger Despoten zwingen können, baar in Silber zu bezahlen und Niemandem ihre Waaren aufzudrängen, denn dahin kam Helgestad. Um ihn still zu machen, wurde ihm endlich durch Uebereinkunft bewilligt, daß er verkaufen und kaufen könne bei wem er wolle, und er wählte sich seinen Mann aus, in dessen Handlung er selbst ein Stück Geld warf, sein Geschäftstheilnehmer wurde, so billig wie möglich seine Waaren durch ihn bezog und alljährlich 111 bedeutende Geldvorräthe an den Lyngenfjord zurückbrachte. Mit seinen Speciesthalern konnte er dort bei allen Käufen und Geschäften großen Gewinn machen, und so war er der Mann geworden, dem man nachrühmte, daß er nicht mehr wisse, wie reich er sei und was er mit seinem Geld anfangen solle. – Viele Capitale hatte er ausgeliehen, große und kleine Leute waren in seinen Händen, Land und Stellen besaß er bis an den Quänarnerfjord und so auf den Inseln. Auf dem Felseneiland Loppen, das damals schon wegen seiner zahllosen Vögelschwärme berühmt war, die den besten Federhandel möglich machten, hatte er einen Hof angelegt, und jenen Handel zumeist in seine Gewalt bekommen; seine Schluppen fingen zur Sommerzeit Haifische und Robben an den äußersten Klippen von Hvalöen und bis nach Spitzbergen hatte er einst seinen Sohn Björnarne ausgesandt, um Wallrosse zu schlagen. Alles dies und manches Andere erfuhr Marstrand umwickelt mit einem Gemisch von Bewunderung, Hochachtung und Furcht vor dem alten Helgestad, der als der reichste, schlaueste und kühnste Speculant im Lande galt und dessen Ansehen eben sowohl begründet war, wie man sein Uebergewicht an Verstand und seine weitgreifende Geldgier scheute. – Björnarne ward dagegen als ein junger fröhlicher und gutmüthiger Mann gepriesen, der seinem Vater ganz unterthänig und von ihm abhängig, eifrig in aller Arbeit sei, die ihm aufgetragen wurde. Eine weit zweifelhaftere Stellung in der Meinung der Nachbarn nahm jedoch dessen Schwester ein. Sie wurde viel gelobt, als eine Jungfrau, die noch ein halbes Kind damals, als ihre Mutter starb, ihres Vaters Hauswesen mit Ernst und Kraft vorgestanden hatte. Auch war sie viel besser unterrichtet, als andere Mädchen weit und breit. Sie konnte schreiben und Handelsbücher führen, besser als Björnarne und der alte Helgestad zusammengenommen, las alle Schriften, dänisch oder schwedisch, spielte die Zither und sang dazu, war mild und gütig gegen Arme und solche, die durch ihres Vaters Härte litten, dennoch aber hörte Marstrand aus allem Lob ihrer Tugenden und Vorzüge recht gut heraus, daß man noch viel mehr Tadel für sie vorräthig hatte.

Als er gegen seinen Begleiter einst diese Bemerkung machte, sagte der Geistliche lächelnd: Sie dürfen sich nicht wundern, solche Urtheile über ein Mädchen, wie Ilda, zu vernehmen. Es ist hier so, wie in 112 der ganzen Welt: die Menschen urtheilen nach sich selbst, was sie nicht verstehen, verwerfen sie. Helgestad ist ein Mann von großer Lebensklugheit, die er oft bewiesen hat und welche seine Freunde sowohl, wie seine Feinde fürchten. Björnarne ist wacker und treugesinnt, eben so offen und herzlich, wie sein Vater verschlagen und berechnend, was aber Ilda betrifft, so steht diese mit ihrer sicheren Verständigkeit und der Kraft und Güte ihrer Seele so hoch über den Meisten, daß sie ihnen Gegenstand der Scheu und abgünstiger Urtheile sein muß.

Sie rühmen nicht allein den Verstand, sondern auch die Gefühle dieser kalten Jungfrau, antwortete Marstrand lächelnd, aber wie ist es möglich, daß Ilda – nun, fuhr er stockend fort, man kann es ohne Scheu sagen – wie ist es möglich, daß sie an dem Schreiber von Tromsöe Gefallen finden kann?

Findet sie denn Gefallen an ihm? fragte Hornemann.

Sie nimmt seine niedrigen Huldigungen an, sagte Marstrand. Er ist beständig in ihrer Nähe, sie hat das beste Ohr für seine Späße, das beste Auge für seine Wünsche. Meinen Sie nicht, daß ein Unbefangener leicht sehen kann, wenn ein Mann begünstigt wird?

Sind Sie denn ein Unbefangener, lieber Freund? fiel der Geistliche mit einem klaren Blicke seiner großen Augen ein.

Marstrand konnte eine gewisse Verwirrung nicht unterdrücken. Ich glaube es, erwiderte er, doch, ist es nicht wahr, daß Ilda dieses Mannes Frau werden will?

Sie gebrauchen das rechte Wort nicht. Sagen Sie, dessen Frau sie werden soll.

Der dänische Junker blickte lebhaft auf und murmelte dann, daß er nicht denken könne, ein Mädchen von solcher Willensstärke und solchem Einfluß auf ihren Vater, könne zu einer Heirath gezwungen werden, die ihr nicht behage.

Sie sind im Irrthum, war Hornemann's Antwort. Helgestad ist seit einigen Jahren schon mit dem Voigt von Tromsöe darüber einig, der ihm damals einen wichtigen Dienst leistete. Durch Paulsen's Vermittelung erhielt Helgestad damals ein Privilegium auf den Besitz der Insel Loppen und deren einträglichen Federhandel, während zugleich damit ein kostspieliger Prozeß niedergeschlagen wurde. Der Voigt ist überdies eine zu wichtige Person, um nicht noch manche andere Dienste 113 von ihm zu hoffen, und was seinen Neffen betrifft, der jedenfalls auch sein Nachfolger sein wird, so ist dieser der einzige Mensch, welcher sich neben Helgestad stellen kann und ihn wohl noch in Manchem überragt.

Ich glaube, daß Sie Recht haben, murmelte Marstrand verächtlich.

Wo zwei solche Männer zusammentreffen, muß es feindlich geschehen, wenn sie es nicht vorziehen sollten, gemeinschaftliche Sache zu machen, fuhr der Missionär fort. Beide kennen ihre Vortheile und beide verbergen vielleicht ihre wahren Gesinnungen, doch Helgestad wird niemals nein sagen, sobald der Schreiber um seine Tochter anhält. Ilda aber kann sich nicht weigern, denn die Verbindung ist ehrenvoll; kein Mädchen in den Finnmarken würde sich besinnen. Die Kinder in diesem Lande, Herr Marstrand, sind zudem daran gewöhnt, dem Willen ihrer Eltern unbedingt zu gehorchen. Es wäre Abscheu erregend, wollte Eines sich widersetzen und sich etwa auf Abneigung berufen. Davon weiß man hier nichts. Sitte ist heiliger als alle Gesetze. Ich selbst würde mein ganzes Ansehen verlieren, wenn es mir einfallen könnte, ein solches Kind zu schützen oder zu vertheidigen. – Ueberlegen Sie dies Alles, so werden Sie Ilda anders beurtheilen. Ich weiß nicht, ob sie mit ihrem Loose zufrieden ist, aber ich weiß, daß sie verständigen Sinnes thun wird, was ihr nach reifer Prüfung das Richtige scheint. Sie wird den Mann, der ihr bestimmt wurde, zu gewinnen suchen, wird glauben, daß seine Fehler durch ihre Liebe wenigstens gemildert werden können und da sie weiß, daß sie einst seine Gefährtin sein soll, ist es ihre Aufgabe, das Glück ihrer Zukunft zu sichern, so viel sie es vermag. – So, sagte er, seine Worte schließend, denke ich mir Ilda's Handeln, dem ich meine volle Zustimmung ertheile.

Die beiden Wochen waren auf den Streifzügen am Fjord vergangen, als der Geistliche zu dem Entschlusse kam, seine Wanderungen weiter auszudehnen, wie er sich vorgesetzt hatte. Das Wetter war so außerordentlich mild und warm geworden, daß er mit weniger Mühe seine Besuche bis in das Gewimmel der Sunde und Fjorde ausdehnen konnte, die hier in seltsamster Weise wie Strahlen zusammen schießen. Marstrand mochte ihm nicht dahin folgen. So lieb er den Greis 114 gewonnen hatte und so gern er in seiner Gesellschaft war, wurde ihm doch die Einförmigkeit dieses langen Ausfluges lästig. Die beiden Männer stiegen daher gemeinsam an den Felswänden empor, welche den schmalen Maursund einschließen, und nach einigen Stunden befanden sie sich auf der Höhe eines Gebirgszuges, welcher zwischen den beiden großen Fjorden den lappischen Alpen zuläuft. – Die nassen Wände des Kilpis glänzten in durchsichtiger Ferne und zum erstenmale erinnerte sich Marstrand seines Versprechens an Gula zu denken.

Hornemann deutete zu beiden Seiten des Fjeldes hinab. Dort, sagte er, sehen Sie den Wasserspiegel des Lyngenfjords, hier geht es hinunter an den Quänanger, wohin ich meine Schritte lenken muß, um mein Amt zu erfüllen. – Rüstig, wie Sie sind, werden Sie, ehe der Abend sinkt, im Gaard von Alöen sein und morgen schon können Sie an Helgestad's Herde sitzen. Ich denke, fuhr er mild lächelnd fort, Sie empfinden einige Sehnsucht danach. Habe ich Recht?

Ich will es nicht leugnen, erwiderte Marstrand, aber wo ist meine Heimath? Was wird aus mir? Ich bin voll Unruhe und voll Mißtrauen über den Ausgang meines Unternehmens.

Aller Ausgang ruht in Gott, sagte der Greis, ihm die Hand reichend, aller Frieden ist sein Werk. Ich sehe Sie wieder, mein junger Freund, wenn ich in einem Monat spätestens zurückkehre. Was ich mit Rath und That thun kann, wird Ihnen niemals fehlen und was den Rath betrifft, so nehmen Sie gleich einen zum Abschiede. Lernen Sie in Oerenäes so viel Sie können, nehmen Sie Helgestad's Beistand an, aber vergessen Sie nie, daß es ein calculirender Kaufmann ist, mit dem Sie es zu thun haben. Je eher Sie selbstständig sind, um so besser, je mehr Sie ihm zeigen, daß Sie, um mit seinen Worten zu reden, das Ding verstehen, um so geneigter wird er zur Aufrichtigkeit sein. Mit Freuden, Herr Marstrand, sehe ich Sie in diesem Lande, dem es an edeldenkenden und gebildeten Männern nur zu sehr fehlt. Unter dem Eis scheinen auch die Herzen zu erstarren, aber nein! – nein! rief er, seine Augen erhebend, es wird besser werden, wir gehen nicht zurück, wir kommen vorwärts! Die Sitten werden milder, die Menschen gerechter, und dazu – so sagt mir eine innere Stimme – hat der Herr auch Sie hierher gesandt, um Gutes und Großes an uns zu thun.

115 Was könnte ich thun, sagte Marstrand, verlassen und arm, wie ich bin.

Ein Mann wie Sie kann Vieles thun, erwiderte der Priester, und mit seinen leuchtenden Augen sah er ihm ermuthigend in's Gesicht. Sie sind jung, verständig, hochgesinnt, das wird Ihnen Ansehen verschaffen. Ihr Name, Ihre Abkunft, Ihr Glück werden dazu helfen. Schauen Sie umher, weit über diese Inseln, über Berge und Küsten und über diese tobende See. Ach! fuhr er mit einem sanften Lächeln fort, ich bin der Verführer nicht, der Sie auf eine hohe Klippe stellt und spricht: Hänge mir an und dies Alles soll dein sein. Keine Länder und keine Macht habe ich zu vergeben, aber dennoch fordere ich dich auf, junger Mann, der du in dies wilde, einsame Land gekommen bist, wo es soviel des Unrechts und des Elends gibt – ich fordere dich auf, wie ein rechter und wahrer Mensch dich der Verlassenen anzunehmen, kein Unrecht zu dulden, wo du es hindern kannst, und wo du es vermagst für den Fortschritt des Guten dich zu erheben! – Ich verlange keine Antwort. Was hilft auch ein Ja oder ein Nein, wo die Kraft fehlt und die That. Streben Sie nach Wahrheit, mein edler junger Freund, und Gott wird mit Ihnen sein auf allen Ihren Wegen.

Bei diesen Worten drückte er Marstrand's Hand noch einmal und ging dann am Rande des tief sumpfigen Fjeldes hin, bis er von Stein zu Stein springend an einer Senkung vorsichtig niederstieg.


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