Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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27.

Nach einem Monate war die Untersuchung in Tromsöe beendet, bei deren Schluß Voigt Paulsen in ein Regierungsschiff gepackt und nach Trondhjem geführt wurde, wo er eine Zeitlang auf der Klippe von Munkholm gefangen saß und eines Morgens erhängt gefunden wurde. Sein Neffe war eher, als er, von dieser Welt abgerufen worden. Am zweiten Tage nach Ankunft der Untersuchungskommission starb er in Raserei. Die Wunde, welche Mortuno's Kugel ihm beigebracht hatte, beschleunigte seinen Tod durch Fieber und Brand, und seine letzten Stunden waren die schrecklichsten, die ein Mensch ertragen muß.

551 Als er todt war, suchte Jeder das ganze Gewicht seiner Mitschuld auf ihn zu wälzen, selbst der Voigt that dies, wenn auch ohne Erfolg.

Niels Helgestad war jetzt vollends stumpfsinnig geworden. Er wurde an den Lyngenfjord zurückgebracht, da ihn eine schreckliche Angst folterte, wenn er Dahlen erblickte, obgleich dieser selbst ihn zu beruhigen suchte, ihm gelobte, daß Alles vergeben und vergessen sei und ihm immer von Neuem erzählte, wie er in jener gefahrvollen Nacht entkommen war.

Er hatte sich an einem Stück des zertrümmerten Bootes über Wasser gehalten, bis es ihm gelang, an der steilen Wand des Fjord emporzuklimmen. Am Morgen kam Hülfe, lange aber lag er krank, und als er endlich nach Trondhjem kam und seinem Beschützer, dem Gouverneur, sich anvertraute, schlug dieser ihm jeden Beistand für fernere Thorheiten ab. Plötzlich aber erschien Hannah's Bruder, Christi, in der nördlichen Hauptstadt und suchte ihn auf. Von ihm erfuhr er Hannah's Lage, zugleich auch, daß Fandrem, unter seines Sohnes Einfluß, ein ganz anderer, bereuender Mann geworden sei. Selbst das Reugeld wollte er zahlen, wenn er sein Kind zurück bekommen könne, und nun wollte es das Glück, daß zu derselben Zeit neue dringende Klagebriefe und Bitten von Klaus Hornemann bei dem Gouverneur eintrafen, welche inständig flehten, endlich einen Kommissarius in die Finnmarken zu schicken und welche über Voigt und Schreiber in Tromsöe die schlimmsten Beschwerden führten. In einem langen Privatbriefe an seinen Freund, den Gouverneur, hatte Klaus auch die Verhältnisse Marstrand's und Hannah's erörtert, Helgestad geschildert, und die Befürchtung ausgesprochen, daß der edelmüthige und leichtgläubige Kammerjunker ein Opfer der geheimen Intriguen zwischen Voigt und Schreiber und dem habgierigen Kaufmann werden würde, der nach dem Besitz am Balsfjord trachtete. In diesem Briefe war aber auch Afraja's Geschichte enthalten und Björnarne's Leidenschaft für Gula erzählt, so daß der alte General, als er Alles gelesen, seinen Adjutanten kommen ließ, ihm die Schriften gab und dann sagte: Vorwärts, mein junger Freund, holen Sie sich die Braut, reißen Sie Ihren Freund aus den Klauen der Spitzbuben und sehen Sie zu, was sonst Gutes für ihn geschehen kann. Vor allen Dingen aber 552 klopft mir den schuftigen Schreiber zusammen, bringt die Fischhändler zur Raison und schafft den unglücklichen Rennthierhirten eine menschliche Behandlung. In zwei Tagen soll die Expedition fertig sein.

So war Dahlen's heißer Wunsch plötzlich erfüllt und er kam zur rechten Zeit, um wenigstens seinen Freund zu befreien. Die beiden rechtsgelehrten Beamten, welche ihn begleiteten, traten einstweilen an die Spitze der Verwaltung und erließen strenge Befehle, sandten Berichte nach Trondhjem, von wo ihre Vorschläge weiter nach Kopenhagen gingen. Schon im nächsten Jahre kam von dort die Aufhebung aller alten Gesetze wegen Götzendienst und Hexerei, sammt Abschaffung der Folter und jeder Marter, um die Wahrheit zu erpressen. Am 29. März 1743 aber folgte ein königlicher Brief, der bei strengen Strafen gebot, den Lappen niemals ihren irrigen Glauben und ihr Gewerbe vorzuwerfen, auch niemals ihnen zum Vorwurf zu machen, daß sie Lappen seien, weil sie den übrigen Unterthanen Seiner Majestät vollständig gleichgeachtet werden sollten.

Doch was helfen königliche Befehle, wenn die Verachtung in den Herzen der Menschen ist! Niemand kann Achtung erzwingen; glücklich wenn er mächtig genug ist, Schonung und Duldung zu handhaben. – Die Finnmarken erhielten eine andere Organisation; ihre Privilegien wurden geändert und gestrichen, neue Eintheilungen gemacht, neue Richter und neue Voigte eingesetzt, Gewalt und Abgaben vermehrt und die störrig Widerstrebenden gestraft. – Viele Lappen aber zogen mit ihren Heerden tief in's Land nach Schweden hinüber und von Afraja's großem Eigenthum, von seinen Thieren und seinen Gammen wurde nichts weiter vernommen.

Lange aber, bevor dies geschah, fuhr an einem schönen Herbsttage, als die Sonne an dem schwarzen Kilpisgipfel glänzte, ein Boot über den Lyngenfjord und in der alten Kirche legte Klaus Hornemann segnend Ilda's Hand in die Hand Johann Marstrand's und gab Hannah an Henrick Dahlen. – Ihr Bruder Christi stand dabei, sammt einigen Offizieren und Freunden und Niels Helgestad saß in seinem Stuhle, wie ein Kind, grinsend und nickend.

So saß er noch Jahre lang auf der Bank vor dem Gaard, sah über den Fjord hinaus und murmelte dann und wann vor sich hin: »Wollte, Björnarne wäre hier, wäre doch gut, wenn er käme!«

553 Marstrand's Geschlecht war ein zahlreiches und auf Strömmen baute er ein großes Haus. Sein Name war weit bekannt und viel gelobt. Ehre, Ansehen und Glück hatte er in Fülle. – Nur die Schätze, die Helgestad ihm an der Balself vorgespiegelt, wollten nicht kommen. Aus dem schwierigen Holzgewinn ließ sich kein großer Nutzen ziehen, und als er dies unter vielen Kosten endlich erkannte, gab er es auf, und baute die kleinen Thäler des Fjord dafür um so besser und nutzvoller an.

Afraja's Schätze hat nie ein Mensch gefunden. Viele Sagen sind geblieben von den Wundern der Silberhöhlen im Enare Traesk, und oft schon sind kühne Männer ausgezogen, sie zu suchen, doch immer vergebens.

Wenn der alte fromme Priester von seinen Wanderungen aus den Gammen zurückkehrte, ruhte er im Lyngenfjorde aus und las die Briefe, welche Hannah Dahlen aus Trondhjem geschrieben hatte. Ihr Vater war versöhnt; er hatte das übermüthige Wort ihres Gatten wahr gemacht, denn an seiner Hand hatte er ihn in sein Haus geführt und selbst zur Taufe seines ersten Enkels war er gekommen.

Jetzt liegen sie Alle längst tief unten in ewiger Ruhe: Haß und Liebe hat das Grab verschlungen. Wenn du aber durch die labyrinthischen Sunde und Wasserpässe fährst, eine Yacht dir entgegen kommt, deren gewaltiges Segel von einem schwarzen Saume umrandet ist, und du frägst, was dies Trauerzeichen zu bedeuten habe, dann taucht die alte Mähr wieder auf.

Vor mehr als hundert Jahren, erzählt dir dann der Steuermann, lebte hier ein alter frommer Priester. Der hat des Guten und Gerechten so viel gethan und alles Volk, groß und klein, war so voll Liebe zu ihm, daß sie ihn nimmer vergessen konnten. Als er starb umsäumten sie, voll Trauer und Weh, ihre Segel mit dem schwarzen Streif und den tragen nun ihre Schiffe, fort und fort, und nach hundert und hundert Jahren erzählen die Enkel noch von dem greisen, guten Klaus und von des ganzen Volkes Jammer, das seiner Liebe und Treue ein so seltnes Denkmal setzte.


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