Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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6.

Marstrand erreichte erst am dritten Tage den Gaard, wo er als vielvermißter Gast freudig aufgenommen wurde. Helgestad selbst kam ihm mit den lebhaftesten Aeußerungen seiner Gewogenheit gleich am Pfahlwerke des Packhauses entgegen. – Nuh, sagte er, nach dem ersten Bewillkommnen, habe inzwischen für Euch gewirkt. Habe mit Zimmerleuten und Arbeitern vom Fjord und aus Tromsöe gesprochen, die uns helfen sollen Euer Haus aufzurichten. Trockene Balken und Bretter sind gekauft für den inneren Ausputz, dazu ist ein Dutzend Männer gemiethet, um inzwischen Bäume zu fällen und zuzurichten, damit der Bau im Hochsommer beginnen kann.

116 Marstrand ließ sich Alles erzählen, bis er zuletzt lachend fragte, wo denn eigentlich sein Haus aufgerichtet werden solle?

Bauen es auf am Balsfjord, erwiderte Helgestad, am schönen Balsfjord, der mit dem Ulvsfjord zusammenstößt, und nehmen das Land dort in Besitz, kraft Eures Königsbriefes. Bleibt das Wetter gut, wollen wir hinüber, sobald Ihr ausgeruht habt. Sollt das Plätzchen sehen, Herr Marstrand, wird Euch behagen. Nuh! sage nichts mehr. – Er wandte sich um und deutete auf seine größte und neueste Yacht, die am Packhause lag und tief beladen schien. Seht hin, fuhr er dann fort, ist die schöne Ilda, die Ihr schon kennt, hat aber diesmal kein Salz unter ihren Rippen, sondern Faß an Faß klaren Leberthran. – Er erzählte wohlgefällig wie viel Tonnen er mehr als im vorigen Jahre gepreßt habe, und wie er dennoch hoffe, der Erste auf dem Platze zu sein und guten Preis zu machen. – Die Yacht sollte in einer Woche spätestens nach Bergen gehen, unterwegs bei den Lofoden anfahren, um nach den Fischgeräthen zu schauen, um, was in Unordnung sein könnte, zu verbessern. Aus einigen schlauen Winken mochte Marstrand entnehmen, daß es dort nicht an allerlei Unfällen gefehlt habe, endlich aber schloß Helgestad mit der Aufforderung an seinen Schützling, ihn auf dieser Reise zu begleiten, für seine Fische selbst Sorge zu tragen und in Bergen den wichtigen Handel kennen zu lernen. Habt dann Eure Lehrzeit durchgemacht, sagte er, als sie dem Hause zugingen, und mögt weiter für Euch sorgen, wie es Euch beliebt.

Ist das Haus leer? fragte der Däne, als er Niemand am Fenster und an der Thüre sah.

Helgestad grinste ihn an. Habt, wie es scheint, kein Ohr jetzt für das Wichtigste, wollt andere lustige Dinge hören und sollt sie haben. Sind Alle dort hinauf nach Ilda's Bank. Calculire, habe ein gutes Auge und feines Ohr. Wird Euch nicht verborgen sein, daß Olaf und Paul ihre Absichten haben.

Denke wohl, erwiderte Marstrand lächelnd.

Sind beide wacker und ist schwer zu sagen, wer besser wäre, fuhr Helgestad bedächtig fort. – Olaf besitzt auf Bodöen reiches Gut, Paul Petersen wird, wenn's Gott will, bald Voigt sein und der Voigt in Tromsöe kann Amtmann werden, wenn die Finnmarken ihre eigene 117 Verwaltung erhalten. Paul ist ein feiner, gelehrter Mann, hat mächtigen Verstand und fixe Sinne, ist nicht Einer im Lande, der ihm gleich kommt. Olaf hat's weniger in den Kopf wie in Arme und Beine bekommen, ist ein Arbeiter wie drei es ihm kaum gleich thun, dabei gerecht und treu. Bin in vielen Zweifeln, Herr Marstrand, brummte er kopfschüttelnd, hab's hin und her bedacht manche Stunde; ist wie der Faden an einer Kabel, die in Kreis gelegt wird, ist kein Ende zu finden.

Aber das Ende muß doch gefunden werden, antwortete Marstrand.

Weil Ilda nur einen Mann brauchen kann, lachte Niels. Calculire, ist ein richtiger Schluß, möchte aber Ihren Rath hören in dieser Sache, Herr Marstrand.

Der junge Mann war durch Helgestad's Mittheilung und Aufforderung überrascht. Es kam ihm vor, als solle er aus besonderen Gründen mit solcher Zumuthung beehrt werden. Helgestad that nichts ohne Absicht. Ein Verdacht stieg in dem Junker auf, daß es darauf abgesehen sei, auszuforschen, ob er nicht selbst Lust habe, sich als ein dritter Bewerber zu melden.

Nach augenblicklichem Besinnen schien es ihm daher das Beste, auf Helgestad's Denkweise einzugehen. Wenn ich in dieser Angelegenheit wirklich Rath ertheilen soll, sagte er, so würde es mir scheinen, man müsse zwei so würdigen Bewerbern Zeit lassen, sich gegenseitig zu messen, bis einer sich vielleicht freiwillig zurückzieht, weil der andere entschiedene Vortheile gewonnen hat. Beide sind nützlich und vielfach zu gebrauchen, beide beobachten sich und wetteifern, um ihr Bestes zu thun; warum also so nützliche Freunde beleidigen und den einen wohl gar zum Feinde machen? Ein kluger Mann wird nichts übereilen, wo er weiß, daß abwarten nichts verderben kann. Bis nach der Bergenfahrt mag Jungfrau Ilda prüfen, wer die beste Stelle in ihrem Herzen verdient.

Nuh, rief Helgestad, der während Marstrand sprach, ihn immer zufriedener angeblickt hatte, seid ein Mann, der den klaren Blick besitzt, um wie König Salomo zu richten. Setzt Euch her, Herr, mischt Euch ein Glas zum Willkommen und stoßt an auf gutes Glück! Ist und bleibt das Beste, was ein Mensch haben kann auf Erden und dazu 118 gehört eine Frau wie sie sein soll, die das Haus im Stand hält und Etwas hineinbringt.

Er that nun mancherlei Hin- und Herfragen nach den Familien, welche Marstrand gesehen und besucht hatte, tadelte und lobte, rühmte den Wohlstand bei einigen, die gute Erziehung bei andern. – Und ist keine Jungfrau darunter, die es Euch anthun könnte? fragte er endlich lachend.

Der Gast ging darauf ein und eine Zeitlang wurde ein lustiges Gespräch geführt. Meine Lage ist so eigenthümlich, sagte der junge Mann endlich, daß ich mich wohl hüten werde eine Frau zu nehmen, ehe ich es mit Fug und Recht thun kann. Ich habe wohl bemerkt, daß man mich mit Mißtrauen beobachtet. Die angesehenen Familien werden abwarten wollen, wie es mit mir wird, sie werden sich nicht mit mir einlassen; die, welche es thäten, möchten mit mir speculiren. Für's Erste also will ich allein bleiben, will zeigen, was an mir ist, dann wird die Zeit kommen, wo ich vor Eine hintreten kann, die mir gefällt und deren Vater nicht nein sagt, wenn ich anklopfe. Mögen auch Jahre darüber vergehen, ich bin jung und habe Muth. Was Einer kann, kann ich auch; Ihrem Rath, Herr Helgestad, will ich treulich folgen und Ihrer Hülfe mich werth machen, so viel ich immer vermag.

Calculire, sagte Helgestad, ihm zunickend, daß Ihr Recht habt. Läßt sich für jetzt kein vorsichtiger Mann mit Euch ein, aber wohnt erst am Balsfjord in dem neuen Hause, habt Zulauf da, setzt Euch fest, macht ein paar Schläge, die gut ablaufen, und Ihr könnt sie Euch aussuchen, die Ihr haben wollt.

Die Hauptsache bleibt, antwortete Marstrand, daß ich von Ihrem Beistande fortgeholfen werde, denn ich weiß, daß ich ohne Sie nichts anfangen kann.

Nuh! rief Helgestad, hat noch Niemand von mir gehört, daß ich Einen verlassen hätte, der Wort und Handschlag darauf nahm. Soll Euch an nichts fehlen am Balsfjord, sollt auftreten, daß ein Fortgang dabei ist. Doch da kommt Ilda mit den Anderen, sprach er weiter, indem er aufstand. Wird große Freude sein, Euch wieder zu haben.

Dies war denn auch schon nach wenigen Minuten der Fall, und dieser Abend wurde so fröhlich begangen, als es im Gaard von 119 Oerenäes möglich war. Marstrand mußte erzählen, der Schreiber warf seine lustigen Einfälle dazwischen und Ilda schien durch die Rückkehr ihres Gastfreundes heiterer und gesprächiger zu sein. Vergebens aber suchte dieser sich seiner Freundin Gula zu nähern. Sie wich ihm aus und wandte schüchtern die Augen von ihm ab. Er konnte nicht ohne Mühe wenige Worte mit ihr sprechen und während des ganzen Abends war sie so geschäftig und emsig bedacht, in der Nähe ihrer Beschützerin zu bleiben, daß es unmöglich war, auch nur einen verständigenden Blick zu erlangen.

Am nächsten Tage bewegte sich die Arbeit des Hauses in gewohnter Weise. Marstrand half Björnarne und Olaf in den Packhäusern und beim Beladen der Yacht.

Paul Petersen war um Helgestad beschäftigt und Marstrand machte die Bemerkung, daß der Einfluß des Schreibers sich während seiner Abwesenheit bedeutend vermehrt hatte. – Er gab den Ausschlag in allerlei Anordnungen und Helgestad fügte sich seinem Willen nachgiebiger, als von ihm zu erwarten war.

Die kleine Reise an den Balsfjord sollte jetzt ausgeführt werden, denn das Wetter war gut und der Ansiedler drängte dazu, weil er je eher je lieber seine Niederlassung mit eigenen Augen sehen und für seine Zukunft arbeiten wollte. Am nächsten Morgen sollte der Zug beginnen, so waren denn mancherlei Vorbereitungen dazu nöthig. Von Lyngenfjord mußte ein beschwerliches hohes Fjeld überschritten werden, das den Ulvsfjord davon trennt. Man mußte zwei Pferde mit Geräthen und Lebensmitteln beladen, um auf einige Tage Vorrath zu haben. Marstrand half daher am Nachmittage Ilda allerlei Waaren und Dinge einpacken, die auch für die Holzfäller mitgenommen wurden.

Es ging lange Zeit schweigsam zwischen den beiden Beschäftigten her, denn es war Etwas zwischen ihnen, das ihre Lippen schloß. Wenn Marstrand die Jungfrau ansah, fiel ihm plötzlich der Schreiber ein und was Hornemann ihm erzählt hatte. Eine Wolke geheimen Unmuths fiel, er wußte selbst nicht warum, auf sein Herz und schnürte ihm die Kehle zusammen. Auch Ilda sprach nur, was nöthig war, um ihre gemeinsame Arbeit zu fördern.

120 Wer geht dort oben? fragte er endlich, zum Fenster hinausschauend, als der rothe Abendhimmel seinen Widerschein hereinwarf und er ein paar Gestalten auf dem Felsen am Fjord erblickte.

Es ist Gula und mein Bruder, erwiderte Ilda.

Ist Gula krank? fuhr er fort. – Ilda sagte nein und Beide schwiegen wieder, bis die Körbe gefüllt waren, dann nahm sie die Frage nochmals auf. Gula ist nicht krank, begann sie, allein ich kann mir denken, was dich antreibt, sie dafür zu halten. Sie hat früher mit größerem Vertrauen sich dir genähert, jetzt findest du ihr Benehmen geändert. Sie weicht dir aus, das befremdet dich.

So ist es, erwiderte Marstrand, doch was kann sie dazu bewegen?

Mein Rath und ihr eigenes verständiges Einsehen, war die Antwort. Du mußt wissen, fügte sie hinzu, während sie ruhig eine neue Arbeit begann, daß ihr Eifer für dich Gespött über sie gebracht hat. In ihres Herzens Einfalt und bei deiner Güte für ein armes verlassenes Wesen hatte sie nicht daran gedacht, wie falsch die Menschen allzugern urtheilen. Als du uns verlassen hattest, kam tiefe Traurigkeit in ihr Gemüth. Sie, die sonst so gern lacht und leichtfüßig auf und ab springt, konnte weinen über jedes Wort und jeden Scherz. Nach einigen Tagen sprach ich mit ihr und wie ich denke, habe ich gut daran gethan. Ich zeigte ihr, daß ihr Verhalten thöricht sei, und glaube damit auch dir einen Dienst erwiesen zu haben. Erkläre dir jetzt, warum sie dich vermeidet, und störe sie nicht darin. Gibst du mir Recht?

Ich muß es wohl thun, antwortete Marstrand, der bewegt zugehört hatte.

Denke darüber nach, sagte Ilda mit derselben Ruhe, und du wirst finden, daß, wenn du Gula's Freund bist, du streng gegen sie sein mußt. – Marstrand schwieg. Wie hart ist es doch, sprach er endlich halblaut und leise seufzend; das einzige Wesen, das dankbar und voll Vertrauen in diesem Lande mir entgegen kommt, soll ich von mir stoßen.

Sie schlug die Augen zu ihm auf, ohne ein Wort zu erwidern, aber es war ein beredter strafender Blick. Du wirst morgen an den 121 Balsfjord gehen, begann sie endlich, wenn du zurückkehrst, erwartet dich die Yacht segelfertig. Sechs Wochen wirst du zur Bergenfahrt brauchen, dann ist dein Haus in voller Arbeit und du verläßt uns auf lange Zeit. Ich hoffe, daß während du fern bist, Klaus Hornemann in Oerenäes einspricht. Gula ist sein Liebling, er wird jede Sorge für sie tragen.

Mit diesen Worten verließ sie ihn. Nach einiger Zeit ging Marstrand auf den Vorplatz hinaus und lehnte sich über die Brüstung des Pfahlwerks am Packhause, indem er die schwarzen Wasser und die schwarze Yacht betrachtete. Er war allein, die Arbeiter hatten aufgehört und ungestört überließ er sich seinem Nachsinnen. – Was Ilda ihm mitgetheilt, war ein ziemlich offenes Geständniß, daß dies arme Kind, diese Tochter der Wildniß, ihm ihr Herz geschenkt hatte. Darum also war ihr Gesicht so blaß, darum ihre dunkeln Augen so unstät und hohl. Darum mied sie ihn und wandte ihre Blicke, darum, auf Ilda's Gebot, hatte sie diesen ganzen Tag über das Zimmer kaum betreten. Grollend dachte er daran, was Ilda ihr streng vorgehalten haben mußte, um ihr dies Benehmen einzuschärfen. Sein Blut erhitzte sich, er fühlte einen Zorn gegen die kaltherzige Weisheit dieser Richterin, die sich unberufen einmischte, um ihm gute Lehren zu geben, eitles Mitleid für das arme Kind, das unter ihren harten Fingern scheu und fremd geworben war, und dennoch lauerte ein Gedanke in ihm, der Ilda Recht gab und ihn versöhnte. Wenn Gula ihn liebte, was sollte er mit solcher Liebe beginnen? Wie sollte er sie von sich stoßen, oder wie eine Leidenschaft nähren, deren Unheil an seiner Seele vorüber lief? Sonderbare Träumereien kamen über ihn. Er dachte an das, was Paul von dem alten Afraja und seinen Schätzen erzählt hatte, aber er lachte spöttisch auf und schrack dann zusammen, als er plötzlich nicht weit von sich Helgestad's Stimme hörte, der mit dem Schreiber an der offenen Bodenluke des Packhauses erschien. Marstrand stand unter dieser, die Dämmerung war tief und er rührte sich nicht, während sie über die Tagesgeschäfte, über die Reise und über Arbeiten sprachen, welche in Helgestad's Abwesenheit geschehen sollten.

Wo ist denn unser Junker? fragte Paul endlich. Sitzt er noch immer an Ilda's Seite fest und lernt Packpapier glatt legen?

122 Helgestad lachte. Bist blind in deiner Eifersucht, Paul, erwiderte er, habe gemeint, ihr würdet gute Freunde werden, sehe aber, ist nichts damit.

Nicht? sagte der Schreiber belustigt, warum denn nicht? Er hat mir von Anfang an gefallen; allein als ich ihn zum erstenmale sah, schrie eine Stimme mir in's Ohr: Nimm dich vor dem in Acht, er wird dir zu schaffen machen.

Bist ein Narr, Paul, antwortete Helgestad, der sich an seines Lieblings Aerger zu ergötzen schien. Johann Marstrand ist ein Mann, der allen Mädchen gefällt, fein von Gestalt und dabei sein Gesicht noch nicht vom wilden Wetter zersprungen und rauh geworden. Hast aber nichts von ihm zu besorgen. Hab' ihm auf den Zahn gefühlt und Alles in Ordnung gefunden.

Ich wollte, erwiderte der Schreiber in mürrischem Tone, Ihr hättet damals nicht in Tromsöe Euer Spiel auf eigene Rechnung spielen wollen. Hättet Ihr meinen Onkel nicht dazu beredet, den Königsbrief in die Register einzutragen, so könnten wir ein ander Lied mit ihm singen. Seid aber auf Eurer Hut, Helgestad, daß der Vogel Euch das Netz nicht zerreißt, wenn Ihr es zuziehen wollt. Es ist ein hartnäckiger Bursche, der seinen Weg zu gehen weiß und dem Hülfe kommen kann, ehe Ihr es denkt.

Nuh, antwortete Helgestad, weiß wirklich nicht, Paul, was du calculirst. Biete dem Dänen meine Hand, stelle ihn hin, wo er stehen soll und verlange nichts von ihm, als was Recht ist.

Der Schreiber schlug ein höhnisches Gelächter auf und indem er Helgestad auf die Schulter schlug, rief er in seiner übermüthigen Weise: Ich will nur Eines sagen, Niels, das merkt Euch. Niemand muß zu klug sein wollen, sonst geht es ihm wie König Olaf Trygweson, der Bogen bricht ihm in der Hand und sein Pfeil fällt in's Wasser. Führt ihn morgen an den Balsfjord, laßt ihn seinen Gaard aufbauen, nehmt Besitz von dem ganzen Waldstrich dahinter, wir wollen ihm in Tromsöe rasch den Titel ausfertigen; aber, wenn Ihr Euch dennoch täuscht, dann kommt zu mir und wir wollen weiter reden.

Sie traten beide von der Luke fort und Marstrand hörte nichts mehr. Als er zurückging, fand er den ehrlichen Olaf an der Thür 123 des Gaard, der mit seiner Büchse und seinem Jagdsack beschäftigt war. Petersen trieb seine Scherze mit ihm und putzte dabei ebenfalls an einem Gewehr, dem er viele vorzügliche Eigenschaften beilegte und das wenigstens seinem Aeußeren nach eine stattliche Waffe zu sein schien. Sie war, wie der Schreiber erklärte, von deutscher Arbeit von einem berühmten Meister gefertigt, um hohen Preis in Kopenhagen von ihm gekauft und bei mancher Jagd erprobt, wo sie Wunder gethan haben sollte. Marstrand hörte nun erst, daß beide junge Männer sich entschlossen hatten, die Reise an den Balsfjord mitzumachen, wovon bisher nicht die Rede gewesen war, und heimlich lachte er über Helgestad's Pfiffigkeit, der entweder beide oder keinen im Hause bei Jungfrau Ilda lassen wollte.

Am frühen Morgen begann der Zug, unter den Glückwünschen der Zurückbleibenden. Noch lange schallte Björnarne's kräftige Stimme dem Boote nach, lange noch flatterte Ilda's weißes Tuch, bis das Fahrzeug um die Felsenecke bog und nach der Kirche von Lyngen seinen Weg nahm. Dort fanden die Reisenden die beiden Pferde, welche Helgestad schon am Abend vorher hinüber geschickt hatte, und nun ordnete sich die kleine Caravane zum Marsch über das hohe Fjeld. Die Pferde wurden bepackt und zwei Führer ihnen beigegeben; Helgestad in seiner Lederjacke, den langen spitzen Stab in der Hand ging vorauf, die jungen Männer mit Büchsen und Jagdsäcken machten den Beschluß. Der Morgen war frisch, aber der Himmel blau und rein. Die Wände des Kilpis glänzten im Frühsonnenlicht, und von den Seiten der Gebirgswände braus'ten zahlreiche Bäche nieder, unter deren Donner und Wasserstaub nach und nach das Fjeld erklommen wurde. Die Halbinsel, welche die beiden Fjorde trennt, ist nicht so hoch, um den Schnee am längsten zu behalten. Meist war er geschmolzen und bildete in der Mitte einen weiten See, aus dem die Bäche sich tränkten, während an den Rändern schon Moose und Gräser aufschossen, und da und dort einen feinen weichen Teppich bildeten. Ueber diesen hin und abwechselnd durch Sumpf, Wasser und Geröll, durch Spalten und jähe Zerklüftungen arbeiteten sich die einsamen Wanderer auf und ab, bis sie endlich an den hohen Bord des Ulvsfjord gelangten, der tief unter ihnen seinen schönen Wasserspiegel ausdehnte.

124 Es war ein langer und beschwerlicher Weg, dennoch aber wurde er frohen Sinnes zurückgelegt. Die jungen Männer trieben mancherlei Scherz. Paul Petersen war immer heiterer Laune und wenn er nicht Geschichten erzählte, die mit irgend einer Spötterei oder einer lustigen Thorheit endeten, oder wenn er seinen Witz nicht an Olaf erprobte, zog er eine Pickelflöte aus der Tasche und machte Musik, die den müden Beinen neue Beweglichkeit verschaffte. Je schmaler der Fjord wurde, um so wilder wurden seine Ufer, die sich jäh und zackig erhoben und eine furchtbare Zerstörung in übereinander gerollten Felsenblöcken zeigten. Zuweilen sah es aus, als hätten ungeheuere Arme sie zusammen getragen, dann öffnete sich plötzlich zwischen diesem nackten Chaos ein kleiner freundlicher Grund mit einzelnen mächtigen Bäumen und Birkengebüsch, dicht daneben aber hingen die dunkeln Steinmassen um so drohender und zerklüfteter nieder. – An einem dieser lieblichen Gesenke, das größer war als alle, hielt die Gesellschaft eine kurze Rast, dann wurde der Weg fortgesetzt, denn Helgestad trieb zur Eile, wenn der Balsfjord vor Anbruch der Nacht erreicht werden sollte. Denn vor den Wanderern lag noch ein steiler Gebirgskamm, der überschritten werden mußte und dessen Spitzen gewaltige Schneelager trugen.

Nur gutes Muthes, Herr Marstrand, sagte Paul lachend, jenseit dieser weißen Mauern liegt das Paradies. Wenn wir oben sind, denke ich, wird Ihnen zu Sinne sein, wie den Kindern Israels, als sie das gelobte Land erblickten.

Ich wünsche, erwiderte der Junker, daß Ihr Paradies wenigstens etwas wohnlicher aussieht wie dieser düstere unheimliche Fjord.

Bah, lachte der Schreiber, es kommt Alles darauf an, mit welchen Augen man eine Sache betrachtet. Fragen Sie die Lappen, sie werden Ihnen sagen, daß es nichts Herrlicheres gibt als dieses Plätzchen. Es gibt eine Sage – vielleicht hat Ihnen die kleine Hexe Gula schon davon erzählt – nach welcher dies Land einst ein reizender Garten war, in welchem Jubinal, ganz ähnlich wie Zeus in Arkadien, seine Schäferstunden verlebte. Die bösen Geister, Kinder der Nacht und anderes Gesindel, machten es wie die Giganten der griechischen Fabel. Sie wollten Jubinal's Reich vernichten, der sie zwar auf's Haupt schlug, aber nicht hindern konnte, daß sein Eden 125 zerstört ward. Feuer brach aus der Erde und die Riesen schleppten diese Felsenstücke herbei, unter welchen sie die ganze Herrlichkeit begruben. Bei alle dem aber versprach der Gott seinen Lieblingen, das heißt den Lappen, daß dieser Fjord und die wüste Halbinsel ihnen dennoch werth und nützlich bleiben sollte, und ein Gott muß Wort halten. Die Lappen ziehen zur Sommerzeit auf diesen wilden Bergen gern umher; es soll ihren Rennthieren hier nie an Futter fehlen und ihnen besonders gut bekommen. Zu gleicher Zeit ist das Wasser des Fjords so wunderbar beschaffen, daß es die gehörnten Milchkühe am liebsten trinken, kurz es ist ein heiliger Boden, der von den abergläubischen Dieben in hohen Ehren gehalten wird.

Man störte sie also nicht in ihrem Besitz? fragte Marstrand.

Sie sehen ja, daß hier kein ehrlicher Mensch wohnen kann, erwiderte Paul lachend, und überdies ist der Fjord entweder zu kalt oder zu warm, oder er riecht noch nach Jubinal's umgekommenem Volke, was es also auch sein mag, die Fische sind so klug, nicht hinein zu gehen, wenigstens sagt man es allgemein, und dies ist Grund genug, daß auch die Fischer fortbleiben, denn wie der Lappe dem Rennthiere, so zieht der Normann den Fischen nach. Mein Großvater allein hat den Versuch gemacht, im Balsfjord an der Strömmenbucht ein Haus zu bauen, allem es ist ihm übel bekommen, er hat es mit seinem Leben bezahlt.

Er ist getödtet worden? fragte Marstrand.

Erschlagen vom grimmen Jubinal und seinen Geistern, oder von Schuften, die unbekannt geblieben sind. Felsenstücke rollten auf sein Haus und begruben es. Seit dieser Zeit ist der Fjord für die Meisten ein Gegenstand des Grauens und da zugleich Wenige Lust haben neue Handelsstellen zu suchen, so hat sich Niemand sonderlich darum bemüht. Ich hoffe, Sie fürchten sich nicht, Herr Marstrand?

Wenigstens nicht vor Jubinal und Gespenstern, antwortete der Junker.

Recht, lachte Paul, man muß mit solchen Wesen umzugehen wissen. Afraja und seine liebenswürdigen Gesellen werden Ihnen schon den nöthigen Zeitvertreib verschaffen.

Unter diesen Gesprächen stiegen sie den Felsensattel hinauf, der jäh und schneegefüllt manche Anstrengung kostete, oben aber strömte 126 den Ermatteten bald eine mildere Luft entgegen, die aus dem Balsfjord heraufwehte, dessen klarer Wasserspiegel zwischen grünenden Ufern sichtbar ward. Nach einiger Zeit, als sie auf der Höhe hinzogen, erblickte die Gesellschaft dann das kleine düstere Thal, in welchem einst der verschüttete Gaard des alten Voigt's gestanden hatte. Ungeheuere Blöcke lagen darin umher gestreut und eine Stelle, welche mit Schutt und Trümmern hoch bedeckt war, wurde als der Platz bezeichnet, wo Petersen's Großvater so unglücklich geendet hatte. Melancholische Tannen neigten sich schwarz mit tiefhängendem Gezweig darüber hin; hohes Gestrüpp wucherte aus den Spalten auf, öde, wild und lautlos lag der verlassene Platz von geborstenen Felswänden eingefaßt, vor sich den gekräuselten Meeresarm und jenseits nackte finstere Berge. Ein Schauder kam über Marstrand, den seine Gefährten zu theilen schienen, denn sie schwiegen sämmtlich, da sie vorüber gingen, als seien sie bange die Todten zu stören, oder böse Geister aufzuwecken.

Bei alledem, sagte der Schreiber endlich, ist es sonderbar, daß noch immer geglaubt wird, Afraja sei der Urheber dieser Gräuel. Seine Künste sollen die Felsen in jener Schreckensnacht heruntergestürzt haben und seit dieser Zeit, obwohl er damals noch ein sehr junger Mann war, gilt er als ein Hexenmeister, der eben so sehr verabscheut wie gefürchtet wird.

Glauben Sie an seine Hexerei? fragte Marstrand.

Narrenspossen! erwiderte Paul. Wenn das alte Ungeheuer hexen könnte, würden wir sämmtlich bald genug bei meinem Großvater liegen, der die Thorheit beging, sich unter losen Felsenmassen anzubauen, die in einer Sturmnacht, oder bei einem Erdstoß ihm über den Kopf rollten. Aber, was ist das? fuhr er fort. Ist es nicht ein Mensch, der dort unter den Tannen auf dem höchsten Steine sitzt? Marius auf den Trümmern von Carthago, oder Afraja auf dem Siegesdenkmal seiner Rache! Mein Großvater hat ihn in Tromsöe peitschen lassen und gejagt, wo er sich blicken ließ, jetzt lacht er ihn aus und macht es sich bequem.

Alle sahen hin und Allen kam es vor, als sitze eine menschliche Gestalt auf den Trümmern in dem Halbdunkel der alten Bäume. Olaf's scharfe Augen wollten sogar Mütze und Haar erkennen, aber 127 Helgestad hinderte jede nähere Untersuchung. Er trieb zur Eile an, um vor Einbruch der Nacht die aufgeschlagene Hütte zu erreichen, welche weit am Ende des Fjords stehen sollte und machte auf die Schwierigkeiten aufmerksam, in Dunkelheit den Weg zurückzulegen.

Sind aber ohnehin eitle Possen, sagte er. Wie soll ein Mensch jetzt hierher kommen, und am wenigsten ein Lappe, die mit ihren Heerden noch tief in den hohen Jauren stecken. Sehe so klar wie Einer unter Euch, und sehe nichts als Bartmoos, Steine und falbe Tannenzweige. Haben kaum eine Stunde noch Tag und müssen sie brauchen, um an der Strömmenbucht hinaufzusteigen, bis wir die Balself und ihren Wall vor uns sehen. – So geschah es denn, und eben fiel der letzte rothe Schein auf die hohen Felsenstirnen, als sie den schäumenden Strom erblickten und zu ihren Füßen sich ein Panorama ausbreitete, das romantisch genug war, um durch seine Gegensätze selbst diese Männer zu entzücken. In der Tiefe lag der Balsfjord mit breiter offener Fluth und sanften Ufern, die mit Gras schön bestickt, sich zu Matten und Gehängen ausdehnten. Glänzende und schäumende Bäche stürzten milchweiß aus vielen Schluchten hervor und von Felswänden nieder; hohe Bäume begleiteten den südlichen Saum des Meeresarms, an dessen Ende die Balself brausend aus ihrem Thale sich ergoß und hier irrte das Auge bald über viele kleine Gründe und Einsenkungen, bald über ein ausgedehntes Waldrevier, aus welchem da und dort der Strom und seine Fälle sichtbar wurden, bis endlich hoch hinaus im Osten und Norden sich die unermeßlichen Linien der lappischen Alpen mit ihren Schneelagern ausdehnten und mit den Wolken des Himmels vermischten.

Nuh, rief Helgestad, als die mancherlei Ausrufungen vorüber waren, sollt hier wohnen, Herr Marstrand, und denke, ist ein glückliches Plätzchen für einen Mann, der es versteht. – Hat sich Mancher angebaut da und dort, ist aber niemals was Rechtes geworden. Was das Beste ist, ließen sie liegen, hatten auch keine Eigenthumsrechte, blieben lauter kleine Stellen und fand sich bis auf den heutigen Tag keiner, der die Augen aufthat und den Beutel aufthun konnte.

Was Handelsstellen anbelangt, sagte Olaf, so ist an vielen Orten wohl besseres Geschäft zu machen. Da habt Ihr in der Nähe den großen Malangerfjord, wo ganz andere Plätze zu finden sind.

128 Helgestad antwortete mit einem verdrießlichen Grunzen, und während die Gesellschaft sich der Hütte näherte, die roh aus Trümmergestein und Balken für die Holzfäller aufgerichtet war, setzte Olaf seine Einwände fort, zu denen endlich auch der gehörte, daß die Ufer des Balsfjord uraltes Weideland der Lappen seien, die gegen eine Besitzergreifung sich heftig beschweren würden.

Was das betrifft, erwiderte der Schreiber, so ist die Sorge nicht groß. Herr Marstrand's Königsbrief ist unbeschränkt, er kann sich Land aussuchen so viel er will, Handelsstellen anlegen, wo es ihm beliebt, natürlich ohne in das Eigenthum anderer guten Leute zu greifen. Den Lappen auch wird dabei nichts verkürzt, denn was ihre Heerden bedürfen, finden diese überall. Wald und fruchtbarer Boden ist den Umhertreibern eben so wenig nothwendig, wie Fischplätze und Brütplätze. Wenn Herr Marstrand mir morgen sagt, hier will ich mein Haus bauen, das Thal der Balself soll mein sein, sammt den anliegenden Gründen, so weit deren Wasser der Elf zuläuft, so steht ihm nichts entgegen. In zwei Wochen soll er die Bestätigung aus der Voigtei von Tromsöe haben.

Aber Klaus Hornemann und der Gouverneur von Trondhjem? erwiderte Olaf hartnäckig, was werden die dazu sagen? – Es ist ein weiter Weg bis Trondhjem, lachte Paul. Fünf Monate höchstens im Jahre können Befehle zu uns kommen, aus Kopenhagen nur einmal. In diesem Falle jedoch möchten der Gouverneur wie der klagesüchtige Priester nichts thun können, denn ein Königsbrief, der anerkannt und registrirt ist, kann niemals angetastet werden.

Als die Hütte an der tiefen Bucht des Fjord erreicht war, entdeckten die Nahenden eine Anzahl großer Baumstämme, welche zum Theil von ihren Aesten befreit, zum Theil an den Seiten behauen an den Stellen lagen, wo die Axt sie gefällt hatte. Ein Dutzend rüstiger Männer kam nach und nach herbei und bewillkommnete den unerwarteten Besuch mit großer Freude. Ein Boot, das am Ufer lag, wurde sogleich mit Netz und Angeln ausgeschickt, um zu fischen, und während Anstalten getroffen wurden, die Gäste und Pferde unterzubringen, die Körbe auszupacken und ein Abendessen zu bereiten, hörte Marstrand die Erzählungen der Arbeiter, welche seit Wochen hier beschäftigt waren.

129 Alle waren zufrieden mit ihren Erfolgen. Der Fjord hatte reichlich Fische geliefert, Niemand hatte sie gestört und weder Lappe noch Normann war von ihnen gesehen worden. Ein einzigesmal war ein Bär während einer Nacht an ihrer Hütte gewesen, der sich aber in die Wälder der Balself zurückgezogen hatte, als Lärm entstanden war; und von diesen Wäldern, ihren mächtigen Bäumen und verwachsenen Gründen, erfolgten Schilderungen, zu denen Helgestad zufrieden lachte.

Nuh, sagte er, denke, sehen morgen selbst, was Gottes Allmacht hier geschaffen hat; calculire, kommen zu einem guten Schluß. Jetzt tragt auf, was Ihr habt, laßt uns essen und den Körper ausruhen, denn ein müder Leib hat keinen Raum für einen wachen Geist.

Nach einem langen und gesegneten Mahle und manchem herzhaften Trunk folgte ein Schlaf, welcher den Anstrengungen des Tages gemäß war. – Marstrand mochte der Einzige unter Allen sein, der noch wachte, als ein heftiges Schnauben der Pferde ihn völlig ermunterte, die in einer Seitenabtheilung der Hütte untergebracht waren. Er richtete sich auf seinem Lager empor und stützte den Kopf auf den Arm. Der Mond war am Himmel aufgegangen und warf durch Ritzen und Spalten im Dach und in der Thür sein helles Licht herein. Ein Strahl dieses seinen bläulichen Lichtes beleuchtete die Bretterwand von halber Mannshöhe, hinter welcher die Thiere standen. War es nun Täuschung oder Wirklichkeit, der erschrockene Lauscher glaubte ein Gesicht zu erkennen, das über die Schälung fortsah und die Schläfer bewegungslos und stier betrachtete. Langes Haar fiel über seine Stirn, Runzeln und Falten machten dies schreckliche Nachtgespenst medusenartig, und einige Minuten lang schien es einen erstarrenden Zauber auch auf Marstrand auszuüben, der unfähig war, sich zu regen. Es kam ihm vor, als hefteten sich ein Paar glühende Augen auf ihn, die wie die Augen eines Raubthieres funkelten, ehe er jedoch den Schrecken abschütteln konnte, hatte der fortgesetzte Lärm der Pferde ein paar andere Männer geweckt, welche sogleich aufsprangen und die Ueberzeugung aussprachen, daß ein Wolf oder Bär in der Nähe sein müsse. Mehrere griffen zu ihren Waffen und untersuchten die Umgebung, Andere beruhigten die Pferde; nach einiger Zeit, als man nichts entdeckt hatte, kehrte die Ruhe zurück 130 und endlich schlief auch Marstrand ein, der sich hütete zu sagen, was er gesehen haben wollte, da man ihm schwerlich geglaubt haben würde.

Am Morgen war die nächtliche Störung Gegenstand der Frühstücksunterhaltung. Es war ausgemacht, daß in den Wäldern an der Balself mancherlei starke Räuber ihre Schlupfwinkel hatten, und obwohl Bären nicht wie Hasen umherlaufen, und mancher in einem Lande, wo sie eben nicht selten sind, leben und sterben kann, ohne je einen gesehen zu haben, so hörte der Junker doch jetzt viele schreckliche Geschichten von Jagden und Abenteuern, die zuweilen einen verzweifelten Ausgang genommen hatten. Der graubraune Bär, welcher in diesem hohen Norden lebt, gehört zu der stärksten und gefährlichsten Art. Paul Petersen erzählte, wie ein solches Ungeheuer mit Leichtigkeit über alle Meeresarme schwimmt und darum zuweilen unerwartet selbst auf den äußersten Inseln erscheint, wo er Kühe und Pferde tödtet und oft unglaubliche Stärke und Kühnheit beweist. Die Fischer und Ansiedler, Kolonisten und Quäner besaßen aber damals so wenig, wie jetzt, Feuergewehre im Hause. Ganz unähnlich den jagdlustigen norwegischen Bauern im Süden, die sich selbst ihre Büchsen schmieden, wie ihre Väter sich einst ihre Schwerter geschmiedet haben, verstanden sie nur ihre Netze zu flicken. Die Gaardbesitzer allein hielten Gewehre und unter ihnen fanden sich einzelne junge Männer, die, wie Björnarne oder Olaf, gut damit umzugehen wußten, und gelegentlich wohl auch einen Jagdzug auf wilde Rennthiere oder Raubthiere unternahmen. Im Allgemeinen aber blieb auch der Gaardherr bei seinen Rechenbüchern in dem Kramladen und bei seinen Yachten und Geschäften, griff höchstens zur Waffe, um eine Möve oder Schnepfe zu schießen und ließ seine Büchse nur warnend knallen, wenn er benachrichtigt wurde, daß ein Bär sich in der Nähe seines Hauses gezeigt habe.

Marstrand dachte darüber nach, welcher große Unterschied doch zwischen diesen stolzen Handelsleuten sammt ihrem Anhange und den verachteten Lappen sei, von denen jeder sein Feuergewehr besaß, und deren Schützenkunst er so oft schon rühmen hörte. Worin lag denn das Uebergewicht dieser Fischhändler über jenen herabgewürdigten Hirtenstamm, der unverzagt mit den wildesten Thieren und der 131 wildesten Natur kämpfte? Unter den zwanzig Männern von reinem Blute, die hier beisammen waren, konnte er wenige herausfinden, welche nicht auf der untersten Stufe menschlicher Bildung und Gesittung standen.

Was waren denn auch diese Holzfäller, Fischer und Arbeiter anders als dürftige Knechte, die ein kümmerliches Leben hinschleppten, im Dienste derer, die sie ernährten und auspreßten und was waren diese rohen Aristokraten selbst wieder, im Vergleich zu den Bürgern und Kaufleuten der großen Städte und der Hauptstadt? Was endlich aber wäre auch deren Pracht und Uebermuth gegen den glänzenden Adel und den Hof des Königs? Alles war Knechtschaft, doch der Eine plackte hochmüthig den Andern, stellte den Fuß auf dessen Nacken und wurde wieder geplackt und verachtet. Ein Ekel kam über Marstrand. Er blickte zu der blauen Eiswüste der Alpen auf und es kam ihm in den Sinn, als sei deren wilde Freiheit die einzige auf Erden. – Während der frühe thauige Morgen anbrach, die Sonne mit rothem Lichte die hohen Schneefelder einfaßte und dann immer weiter hinab aus Wald und Thal die Nebel jagte, gingen die Genossen am Ufer des Fjord hin. Die Luft war scharf und erquickend, die Natur reich an großartiger Herrlichkeit, die Wasserfälle rauschten und donnerten von den Felsenstufen. Aus einem tiefblauen klaren See stürzte die Balself in den Fjord, wo große Fische aufsprangen. Jugend und Freiheitslust füllten Marstrand's Seele. Er fühlte sich wohl und leicht. Sein Gewehr in der Hand, vor sich den Wald, keinen Herrn über sich, keiner Zeit Rechnung tragend, von keines Menschen Willen abhängig, tauchte ein Glück in ihm auf, das er zum erstenmal empfand. War denn das Leben jener freien Hirten so elend? Verdiente es den Ekel und die Verachtung der Leute, die in ihren dumpfen Häusern saßen, oder sich abquälten, den Fischen nachzustellen? Ein Lappe, der mit seiner Heerde von Alp zu Alp zieht, der an der Quelle lagert, wo seine Thiere rasten, der mit seiner Büchse im Arm einsam wacht, wenn die Sterne am Himmel stehen, der die mitternächtliche Sonne und das Schneehuhn belauscht und der die unermeßliche Wüste rastlos durchpilgert, war das nicht ein ganz anderes poetisches Bild als Helgestad, wenn er calculirend vor seinen Thranpressen stand, oder im 132 Lederstuhle das Toddyglas an seine Lippen setzte? – Der junge Abenteurer empfand etwas von der Sehnsucht dieser freigebornen Männer, die um keinen Preis hinuntersteigen mochten zu ihren Drängern und Bedrückern, und wie der sonnige Bergwald erreicht war mit seinem bunten Moosteppich und seiner lautlosen Einsamkeit, war er fest entschlossen, hier zu leben, und entzückt von dem Gedanken, daß dies Alles ihm gehören sollte.

Der Wald, welcher das Thal der Balself bedeckte, war ein nordischer Urwald, den selten eines Menschen Fuß berührt, nie eine Axt angetastet hatte. Hier gab es keine riesenhaften Mangoli- oder Akajoubäume, wie in den Wäldern der heißen Zone, keine Schlingpflanzen von wunderbarer Kraft und Schönheit, keine Blumen mit ungeheuren Kelchen und kein frisches seltsames Geblätter. Die Bergfichte allein hielt die beiden Thalwände und das breite Gesenke zwischen ihnen besetzt, durch welches in einer ausgewaschenen Kluft der wilde Alpenstrom mit rasender Eile stürzte. Bald sah ihn das Auge als eine Kaskade erscheinen, die über ungeheure Felsenstücke fiel, bald von Gischt und Flocken umhüllt in einen Abgrund gezwängt, aus dem eine Staubwolke hochaufwirbelte; bald wieder leuchtete er mit dem schönen Blau seines Gletscherwassers halb besänftigt aus einem breiten Gerinne, und hier verschwand er unter Felsenlagern, um weiterhin in einem milchweißen Kleide von Schaum aus schwarzen geheimnißvollen Bogen und Höhlen hervorzuspringen. Marstrand hatte noch nie die Wunder eines nordischen Alpenstroms in solcher Pracht und Herrlichkeit erblickt wie hier, seine Sinne wurden davon gefesselt, seine Seele von diesem edlen Schauspiele ergriffen; er konnte sich von der Fülle dieser malerischen Bilder kaum losreißen, um seinen Gefährten zu folgen, die ganz andere Dinge beobachteten.

Das Waldrevier begleitete den Strom auf Meilenlänge und schlang seinen dunklen Gürtel um dessen schnellfluthende Glieder. Jahrtausende mochten vergangen sein, seit hier Bäume wuchsen, aus deren Moder nach und nach eine Erddecke erzeugt wurde, die von Regengüssen und schmelzendem Schnee fortgespült, nie so hoch sich ablagern konnte, um den Felsboden gleichmäßig zu bedecken. An einzelnen Stellen, in Senkungen und Höhlungen war dies vollkommen geschehen und hier strebten gigantische Tannen auf, die ihre schwarzen 133 Häupter kühn und breit den Wolken und Stürmen entgegen trugen. Schwächere Gefährten lehnten sich an sie und wurden von den Mächtigen gehalten. Dichte Reihen der prachtvollsten Stämme bildeten Linien und Wälle des allerschönsten Holzes, wie es nirgend besser gefunden werden konnte. An andern Orten war die Noth des Wachsens und der Erhaltung größer. Ueber moosige Steine und Blöcke klammerte sich ein Netz von Wurzeln, von welchem schlanke Bäume mühsam getragen wurden; in alle Fugen und Spalten steckten sie ihre zähen Finger, auf den Spitzen und Kanten zackiger Trümmer standen sie mit seiltänzerischer Kühnheit und in der Mitte des kochenden Stromes, auf seinen jähesten Klippen, hatten sie sich festgenistet. – Das ganze Grauen und das innerste Wesen dieser Schöpfung, ihre ewig gebährende Kraft und ihre ewige Vernichtung, zeigten sich in allen Abstufungen. Uebereinander gestürzt, zerbrochen, geborsten und verwittert lagen zahllose Stämme, wie der Tod sie ereilt hatte. Manche hatten ihm lange getrotzt, bis ihre Stunde kam, andern war er früh erschienen. Hier ruhten sie in dichter Gemeinschaft, dort hatte ein Riese, aus der Höhe niederfallend, zerschmettert, was seinen Sturz aufhalten wollte. Mit königlichen Leibern bedeckten sie die Felsen, an denen ihre Kronen zersplittert waren, wankend und seufzend standen andere mit zerrissenen losgetrennten Wurzeln und erwarteten den Stoß, der ihrem Dasein ein Ende machen sollte. Von vielen, die einst mächtig und gewaltig, war nichts übrig geblieben, als eine faulige zerstörte Masse; über sie hingestreckt lagerten ihre Kinder und Enkel, an denen der Wurm der Vernichtung noch frischer nagen konnte. Hier fehlten die Aeste, dort die Rinde, da war der Splint noch frisch, dort alle Hülle abgefallen, bis auf's tiefste Mark, während neben ihnen, ihr Elend verhüllend, grüne saftige Gefährten ruhten, die gestern noch frische Zweige in die Lüfte schickten, auf denen ein irrender Vogel Schlaf und Frieden suchte, der schreiend aufflatterte und floh, als Geister der Nacht heulend durch die Schlucht stürmten und den lebenslustigen Gesellen zu den Todten warfen.

Es war keine leichte Arbeit für die neugierigen Wanderer, fortgesetzt über diese Haufen schlüpfriger Baumstämme und über die unwegsamen Steintrümmer zu klettern, aber Helgestad war nicht so bald zu ermüden und eingesponnen in seine Betrachtungen, welche 134 Vortheile dieser Wald dem Besitzer bringen müßte. Während Petersen und Marstrand in die Tiefe des Thals vordrangen und die Balself verfolgten, ging er mit Olaf der Höhe zu, um einen freieren Punkt zu gewinnen, von dem aus sich das ganze Gebiet übersehen ließ. Der nordländische Eigenthümer war kein Speculant und seinem mäßigen Erwerbstriebe wollte die Benutzung dieser Holzschätze durchaus nicht recht einleuchten. Er bedachte die Schwierigkeiten sowohl, wie die bedeutenden Kosten, welche es machen müßte, um hier Bäume zu fällen und bis an den Fjord zu bringen, und entwickelte seine Gedanken darüber, daß es immer billiger bleiben werde, Holz aus dem Süden kommen zu lassen, wo es im Ueberfluß wachse. Helgestad hörte still zu und schlug dann und wann mit seinem großen Stocke an die mächtigsten Bäume.

Kannst es nicht begreifen, sagte er endlich. Gehörst zu denen, die sehen müssen, ehe sie glauben, und hat auch sein Gutes, ruhig in Empfang zu nehmen was da ist, und sich nicht auf Grübeln und Trachten einzulassen. Magst es aber als gewiß annehmen, Olaf, daß du in Jahr und Tag finden wirst, es sei das leichteste Ding von der Welt, den ganzen Wald zu Brettern und Bauholz zerschneiden zu lassen, und nichts sei bequemer, als am Balsfjord Yachten zu beladen, die es bis nach Nordland und selbst nach Holland führen.

Olaf sah den Sprecher verwundert an und erwiderte kopfschüttelnd: Es ist möglich, daß es Mittel gibt, aber viel Geld und große Mühen sind dazu nöthig. Gehörte das Land Euch, so würde ich glauben, Ihr könntet es wagen, daran noch reicher oder ärmer zu werden; dieser dänische Herr aber wird so leicht nicht an so große und schwierige Speculationen denken, und schwerlich wird er Einen finden, der Narr genug wäre, ihm dazu große Summen vorzustrecken.

Keinen Narren außer mir, sagte Helgestad ihm pfiffig zunickend.

Wie? rief der Nordländer, das wolltet Ihr wirklich thun! Verlockend mag es aussehen, aber ich warne Euch. Ihr habt mehr als Viele erworben und seid in Jahren, wo man ausruhen soll.

Nuh, antwortete Helgestad grinsend, habe wirklich geglaubt, würdest mit beiden Händen zugreifen, wenn dir ein Antheil am Geschäft geboten würde. Wird Geld kosten, wie du sagst, aber werden die Vortheile auch groß sein. Sieh hier, gibt zwanzig Stellen, die 135 gut sind für Schneidemühlen, und schwimmt das geschnittene Holz über alle Fälle der Balself fort, bis an den Fjord, wo es aufgefischt wird. Müssen jetzt alles Bauholz von Trondhjem, und selbst von Bergen holen. Werden es künftig besser und jedenfalls billiger haben. Denke, begreifst es, Olaf. Ist nicht so?

Aber es war nicht so. Olaf erklärte mit vieler Bestimmtheit, daß er mit dieser Speculation nichts zu thun haben wolle; mochte nun Helgestad auch behaupten, daß solche Bäume in ganz Finnmarken nicht weiter zu finden seien, daß die besten Schiffe daraus gebaut werden könnten, obenein aber die kleinen Thäler an den Seiten des Fjord so geschützt lägen und voll fruchtbaren Bodens seien, daß Kolonisten überall sich darinnen anbauen könnten, er schüttelte beharrlich den Kopf und widerrieth das ganze Unternehmen.

Plötzlich aber wurde ihr Gespräch von einem wilden Schrei aus der Schlucht unterbrochen. Im nächsten Augenblick folgte ein Schuß, dessen Donner alle Echos weckte, dann ein Gebrüll, das Entsetzen erregen konnte und gleich darauf ein neuer Büchsenknall. Rauch stieg zwischen den Bäumen auf, ein Mann floh in größter Hast über die Steine und Trümmer und schrie im Laufen laut um Hülfe. Alles das geschah fast zugleich, doch Olaf sowohl wie Helgestad wußten es Beide zu deuten.

Der Nordländer rannte mit dem Gewehr in der Hand dem Flüchtling entgegen, welcher kein anderer war, als der Schreiber, und als er ihn erreicht hatte, hielt er ihn halb mit Gewalt fest, denn Paul Petersen schien vor Schreck Athem und Besinnung verloren zu haben. Sein Gesicht drückte Entsetzen aus, er hatte seinen Hut auf der Flucht verloren, sein Haar flog ihm um den Kopf und seine Augen blickten verwildert umher.

Steh' still! rief Olaf. Was war's? Wo ist Marstrand?

Der Bär! schrie der Schreiber – er hat ihn zerrissen.

Und du, feiger Mann, du läufst davon! antwortete Olaf, ihn zurückstoßend. Schande über dich! Mit diesen Worten sprang er den Thalrand hinunter, um dem verlassenen Freund zu helfen oder ihn zu rächen. Mehrmals rief er mit aller Kraft Marstrand's Namen und hörte endlich zu seiner Freude eine Stimme antworten. – Wo der Strom einen weiten Bogen machte, lag ein fast ebener Grund, 136 der von drei Seiten durch einen zerklüfteten überhangenden Fels wie von Mauern umschlossen war. Dichtes Birkengestrüpp, wilde Ranken und junge Tannen umwucherten die Höhlungen, der freiere Raum davor war mit jung aufschießendem Gras bewachsen und in der Mitte desselben fand Olaf Marstrand auf sein Gewehr gestützt stehen. Mit einem Blick sah er, was hier vorgefallen war. – Zu Marstrand's Füßen lag ein gewaltiger Bär in seinen letzten Zuckungen. Blut floß über seine schwarze Zunge und strömte aus der Todeswunde. Der wackere Olaf jubelte laut auf und schüttelte Marstrand's Schulter mit rücksichtsloser Heftigkeit. Meiner Treu! schrie er, der feige Schreiber mochte immerhin davon laufen, du hattest ihn nicht nöthig; hast genau die rechte Stelle gefunden, wo das Luftloch für das zähe Leben eines Bären gemacht werden muß. Der aber, weiß es Gott! gehört zu den größten und stärksten, die ich je gesehen habe. – Er maß die Körperlänge des Thieres mit neuer Bewunderung, unter Lobsprüchen und Geschrei nach Helgestad, der auch endlich herbeikam und Paul Petersen führte, welcher eine entschuldigende Beschreibung des Vorganges jetzt mit vieler Fassung gab. Er war mit Marstrand bis auf diesen Plan gekommen und näherte sich ohne Ahnung dem Felsen, als er plötzlich dicht hinter sich ein tiefes Brummen hörte und umblickend den Bären gewahrte, der seinen gewaltigen Kopf aus dem Gestrüpp streckte, gleich darauf aber auf den Hinterbeinen stand, wie solch' Thier jedesmal thut, wenn es seinen Angriff beginnt.

Ich schrie laut auf, sagte Paul, griff nach meinem Gewehr und schoß. Daß ich nicht gefehlt habe, beweist die Wunde an Kopf und Hals. Aber er war nicht todt. Er stieß ein furchtbares Gebrüll aus, während ich lief, um Hülfe zu suchen und es Marstrand überließ, ihn vollends zu tödten.

Das hat er wirklich gethan, fiel Olaf spöttisch ein, obwohl du ein Held ohne Gleichen bist.

Helgestad hinderte Streit und Vorwürfe, indem er dem Schreiber Recht gab, zugleich aber Marstrand allen Ruhm zusprach. Leib und Leben an ein nichtsnutziges Geschöpf zu setzen, sagte er, das in jetziger Jahreszeit nicht einmal einen guten Braten liefert, da es mager und zähe ist, wird kein vernünftiger Mann gut heißen. 137 Nuh, hat der Herr Alles zum Guten gewendet, wenn es Einem aber zukam, sich an das Ungethüm zu machen, so mußte es Johann Marstrand sein, dessen Kühe dafür künftig hier um so sicherer weiden können. – Mit dieser Wendung war die Sache beigelegt und es blieb nur übrig, in die Hütte an den Fjord zurückzukehren und den erlegten Feind dort hinschleppen zu lassen, was wenigstens mit seiner Haut und seinen besten Stücken geschah, denn kaum hatten die Holzfäller die Mähr vernommen, als sie alle eifrig sich an's Werk machten, um die gute Beute vor Füchsen oder Wölfen in Sicherheit zu bringen. Nach wenigen Stunden schon kochte das Bärenfleisch im größten Kessel und Marstrand war gezwungen, die Geschichte ein halbes Dutzendmal zu wiederholen und eben so oft seinen Sieg mit Händeschütteln und Gesundheittrinken zu bekräftigen. Das Freudenmahl währte den ganzen Abend über, einen wirklichen Vortheil aber gewährte es Marstrand, daß Paul Petersen merklich stiller und bescheidener geworden war. Theils in Folge der überstandenen Angst, theils aus Furcht vor Olaf's Spott, fand er es am Gerathensten, so viel als möglich zu schweigen und sich eben so wenig einzumischen, als Helgestad mit Marstrand vor der Hütte auf und ab ging und ihm nochmals alle Vorzüge dieser Niederlassung schilderte. Wißt nun auch, sagte er zuletzt, nachdem ihm der junge Ansiedler in den meisten Behauptungen beigepflichtet hatte, daß wir durch Paul Petersen das Ding in Ordnung bringen können, ehe ein Mensch davon wissen kann. Glauben die Narren nicht alle mehr, daß der Balsfjord keine Fische nährt, weil Jubinal ihn seinem Volke gegeben hat. Seht die grünen Streife dort im Wasser, da steht Häring; Schwärme von jungen Seyfischen spielen an den Steinen und Lachse springen auf an allen Stellen. Gehört aber auch zum Fjord die flache Insel Strömmen an der Meeresstraße dicht vor Tromsöe und diese wichtige Insel muß Euch mit verschrieben werden.

Ist das nackte Eiland denn so wichtig? fragte Marstrand.

Nuh, rief der Alte, den Kopf schüttelnd, ist das beste Stück vom Ganzen. Seid ein Mann, der klar zu sehen versteht, müßt bemerken, daß kein Schiff nach Tromsöe kann, das nicht dicht vorüberfährt. Ist der beste Platz zu einer Niederlage. Habt damit auch den Fischfang in der Strömung und im ganzen Sunde. Ist 138 eine Stelle, wo die Steine Silber werden, wenn man es versteht; könnt von dort mächtigen Holzhandel treiben nach allen Seiten hin, bis nach Nordland hinauf und weiter.

Im Ernst, Herr Helgestad, erwiderte Marstrand, ich habe dennoch verschiedene schwere Bedenken, die Olaf mir verstärkt hat.

Weil sein dicker Kopf nicht denken kann, sagte der Kaufmann. Ihr meint das Geld – seid darum ruhig. Habe eine gute Anzahl Species für Euch liegen, wenn es nicht reicht, wird mehr da sein. Fangt an, wenn Ihr wollt; könnt zehn tausend haben, sobald wir von Bergen wieder kommen.

Gegen welche Sicherheit? fragte der junge Mann.

Gegen einfachen Schuldschein, will nichts weiter, antwortete Helgestad. Vertraue auf Euren Kopf. Sollt Credit finden gegen acht vom Hundert, Jahr aus, Jahr ein, bis der Strom zurück in Eure Tasche fließt.

So lockend das ist, erwiderte Marstrand zögernd, ist es doch nicht das Geld allein, was mich drückt. Hat die Regierung nicht versprochen, den Lappen ihre Weiden zu erhalten und sehen diese nicht gerade diese Fjorde und Halbinseln als ihr uraltes Eigenthum an? Der Generalgouverneur Münte hat sich feierlich verbürgt, daß dem verfolgten Volke kein Leid mehr zugefügt werden soll; der Voigt von Tromsöe ist mit genauer Noth schon früher einmal der Rechenschaft entgangen und Klaus Hornemann –

Helgestad ließ ihn nicht weiter reden. Will Euch ein Wort sagen, sprach er, sein hartes Gesicht aufhebend, indem er zwischen den Felsentrümmern still stand. Dränge Euch nicht mit der Antwort, kann warten bis morgen, dann aber, ehe wir gehen, müßt Ihr Euch entscheiden. Wollt Ihr Euer Haus nicht am Balsfjord bauen, wißt Ihr Besseres, so thut nach Eurem Willen. Nehmen die Arbeiter dann mit und was geschehen ist, mag geschehen bleiben; überrede Euch zu nichts. Wollt Ihr aber ein Mann sein, der hierher paßt, und begreift, was er thun muß, so legt Eure Hand fest auf das, was Ihr haben wollt. Weichlich denken und schwächlich überlegen dürft Ihr nicht. Was schiert Euch das unnütze Gesindel auf den Alpen, das hin und her wandert und dem kein Fleck der Erde gehören kann? Was kümmert Euch der alte General, der in Trondhjem 139 und Briefe schreibt, die Stücke Papier sind? Was endlich habt Ihr mit dem Priester zu thun, der alte Weiber zu Thränen bringen mag, aber keinen Mann von dem, was er will? – Seht hin, Herr Marstrand, das Alles könnt Ihr haben und keine Macht kann es Euch nehmen. Im Nothfalle schreibt nach Kopenhagen, oder geht selbst, mit Geld ist dort Alles zu machen. Lacht zu dem Geschrei über Gewalt und Unrecht, wenn es erhoben wird, denn Ihr könnt es. Ist der Besitzbrief in Eurer Hand, so laßt sie Arme und Stimme erheben und wenn es Engelsstimmen wären, es soll nichts helfen. Bedenkt das Alles, dann sagt mir ja oder nein; weiter ist nichts nöthig.

Marstrand blieb zwischen den Steinen zurück, die moosig und mit Gestrüpp bedeckt chaotisch wild das Ufer des Fjord bedeckten. Der Abend kam und brachte Nebel mit, die, schwer geballt, langsam über den Meeresarm sich fortwälzten, das letzte Tageslicht auslöschten und an den Blöcken aufkletterten. Das Wasser schlug dumpf grollend über die klippigen Wände hin, und seinem Nachdenken überlassen sah der Junker lange still darauf nieder. Mit der einen Hand bot Helgestad ihm alle Mittel, um Reichthum zu gewinnen, mit der anderen wies er ihn von seiner Thür, wenn er sein Geld nicht wollte. Die Vortheile, welche er ihm gezeigt, waren keine Täuschung; er begriff vollkommen, was dieser Besitz werth war und dennoch sagte eine Stimme in ihm, daß alle rechtlichen Menschen ihn darum verdammen würden; eine andere Stimme jagte sein Mißtrauen auf und trieb ihn endlich zu den halblaut ausgestoßenen Worten: Er betrügt mich! Es kann nicht anders sein – das ist seine Absicht.

Plötzlich hörte er zusammenfahrend eine Antwort! Sei sicher, Jüngling, daß du Wahrheit sprichst, sagte Jemand fest und deutlich, hinter ihm, und wenige Schritte entfernt auf einem Stein sitzend erblickte er eine menschliche Gestalt, von Nebel und Dunkelheit ungewiß eingehüllt.

Einige Minuten lang betrachteten sich die beiden Männer schweigend. Marstrand zweifelte nicht, wem der greise Körper gehörte, der bewegungslos auf einen Stab gestützt selbst ein Steinbild zu sein schien. Der Nachtwind trieb sein langes Haar und langsam wiederholte er mit voller ernster Stimme diese Worte: Sei sicher, daß du 140 Wahrheit sprichst, denn Niemand kann sich rühmen, von Niels Helgestad nicht betrogen zu sein.

Afraja, erwiderte Marstrand, ich danke dir heut mein Leben. Du warst es, der den Bär tödtete, deine Kugel durchbohrte ihn, als ich ihn verwundet hatte. Ich kam hierher mit der Absicht, dies Land für mich zu nehmen, niemals soll es geschehen. Ich will nicht in deine Rechte greifen, ich will dich schützen, so viel ich es vermag. Der Greis nickte leise und hob die Hand auf, als wollte er den Dank abwehren. So viel du vermagst, sagte er dann, aber du vermagst nichts. Dein Herz ist mild, ich habe es erfahren. Du verachtest nicht die Söhne Jubinal's. Ich wußte, daß Helgestad dich an den Balsfjord führen wollte und erwartete dich. Ich war bei dir, als der Bär dich bedrohte und schützte dein Leben, ich werde bei dir sein und dich schützen gegen deine Feinde. Wohne hier in Frieden, weil es gut ist. Wenn du gingest, würde bald genug ein Schlechterer kommen, denn die Gewinngier dieser harten Männer ist aufgeweckt. Der Voigt von Tromsöe, sein schlechter Neffe und Niels Helgestad ersannen schon einen anderen Plan, wenn du ihnen entgehen wolltest.

Afraja sprach ruhig und drückte sich zur Verwunderung Marstrands in der dänisch-norwegischen Sprache vollkommen gut aus.

Welchen Plan, wie du es nennst, haben sie mit mir ersonnen? fragte er.

Dein Königsbrief, versetzte der alte Mann, ist ein zu kostbares Gut, um Helgestad und seine Genossen nicht lüstern darnach zu machen. Seit vielen Jahren weiß er, daß der Balsfjord reich ist an Holz, an fruchtbaren kleinen Thälern und an Fischen. Er hat dich in sein Haus genommen, dir wohlgethan und wird dir ferner helfen, bis der Tag gekommen ist, wo er dich hinausjagen darf, nackt und bloß, und was du dein nennst, dir nehmen kann.

Du hassest ihn, Afraja! rief Marstrand.

Ich hasse ihn, antwortete der Lappe, doch ich sehe durch seine Augen in seinen bösen Geist. Er wird dir sein Geld geben, du wirst damit den Wald fällen und Handel treiben, doch du bist unerfahren, du wirst verlieren und in Noth gerathen. Das ist die Zeit, die er erwartet. Dann wirst du seine Hand fest geschlossen finden; er wird 141 dir deine Schuldbriefe zeigen und wird dich vertreiben mit Hülfe des Voigts, der die Beute mit ihm theilt.

Wäre es wirklich so? rief der junge Mann lebhaft – wäre das sein Weg – seine arglistige Hülfe zu meinem Verderben ersonnen! Es ist möglich, Afraja, vielleicht dachte ich selbst schon Aehnliches, aber Helgestad ist geachtet, der Erste im Lande.

Glaubst du, fragte der Lappe, daß, wenn du ein Bettler bist, er weniger geachtet sein wird? Sein Ruhm wird größer werden, sie werden ihn noch höher preisen, sein Ansehen wird wachsen mit seinem Gute, dich wird Niemand beklagen. Sie werden über dich lachen, denn nach ihrem Rechte ist dir Recht geschehen.

Ha! murmelte Marstrand, indem er die Faust ballte und den Arm heftig aufhob, sie sollen nicht lachen.

Er dachte an Ilda und es war, als ob der alte Hexenmeister seine Gedanken wüßte. – Wähne nicht, fuhr er fort, daß Helgestad's Kinder dich beschützen könnten. Sie würden dir sagen: Du hattest Augen und Ohren, du hörtest manches Wort und sahest manches Zeichen, warum warst du kein Mann, der fest auf seinen Füßen stand? – Björnarne ist ein einfältiger Tropf, der seinem Vater blind gehorcht. Das Mädchen ist von besserer Art, aber hochmüthig ist ihr Sinn, und ihres Vaters Wille wird sie zum Weibe des Schreibers machen, der endlich einstreicht, was Helgestad dir nimmt.

Er soll mir nichts nehmen. Bei Gott – er soll nicht! sagte Marstrand. Ich will keine Hülfe von ihm.

Nimm sie an, flüsterte der Lappe.

Und sein Geld – ich mag es nicht!

Laß ihn geben, soviel er gibt, Jüngling.

Wie kannst du mir solchen Rath ertheilen? fragte Marstrand unmuthig, da du selbst mir zeigst, wohin er führt.

Afraja schwieg einen Augenblick. Seine Gestalt war in Mitte der dunklen Steine kaum mehr sichtbar und sein heiseres Lachen drang geisterhaft zu dem dänischen Herrn, der wild um sich blickte, als Helgestad's Stimme in der Ferne seinen Namen rief.

Nimm das Geld des gierigen Mannes, flüsterte der Lappe, und gebrauche es unbesorgt. Was kann er dir geben, was Afraja nicht zehnmal geben könnte? Geh zu ihm und sprich: Ich will hier 142 wohnen, will thun was du sagst. Ich sehe deine zornige Mienen durch die Nacht, du sollst nicht zornig sein, Jüngling. Afraja ist dein Freund. Willst du Silberthaler, du sollst sie haben. Die Stunde wird kommen, wo ich dich führen werde – deine Augen sollen sehen, was nie ein Mann deines Stammes sah. Betrüge den Betrüger und sei muthig. Meine Götter werden dir helfen, mächtiger sind sie als dein ungerechter Gott.

Lästere nicht, alter Mann, lästere nicht! rief Marstrand. Wo bist du? Antworte mir!

Er tappte umher, der Lappe war verschwunden. Wann werde ich dich wieder sehen? rief er lauter. – Er erhielt keine Antwort. Ein Windstoß fuhr von dem hohen Fjellen nieder, schüttelte das Gestrüpp und ließ die Wogen des Fjords aufrauschen. Zu gleicher Zeit polterten Helgestad's eisenbeschlagene Sohlen über das Gestein. – Holla! schrie er, wo bleibt Ihr, Herr? Steht da zwischen Nebel und Dunkelheit und ruft die alten Nornen und Trollen an, Euch zu sagen, was gut sei. Ist's nicht so?

Marstrand trat ihm entgegen, beide gingen der Hütte zu, deren Feuerschein ihnen leuchtete.

Freilich ist's so, antwortete er auf Helgestad's Spott eingehend. Ich habe mit den Geistern der Nacht gesprochen und ihren Rath gehört.

Nuh, sagte der Kaufmann, und was haben sie Euch gerathen?

Daß ich am Balsfjord wohnen soll und daß sie mir helfen wollen, mein Haus ganz mit Silber anzufüllen.

Wacker gerathen, rief Niels, hoffe sie machen es wahr; bis dahin aber, wo die guten Kobolde und Zwerge Euch Geld schleppen, nehmt es von mir, und nun, Herr, schlagt ein in meine Hand. Ist die Sache abgemacht. Johann Marstrand vom Balselfgaard wird bald ein Mann sein, der Klang im Lande hat.

Am nächsten Tage wurde der Weg an den Lyngenfjord ohne Fährlichkeit zurückgelegt und spät am Abend traf die Gesellschaft wohlbehalten wieder in Oerenäes ein, wo Ilda und Björnarne ihre Freunde froh empfingen. Die Erzählung der großen und kleinen Abenteuer füllten die Stunden aus, Marstrand erhielt neues Lob über seine tapfere Fällung des Bären, und Olaf verfehlte nicht 143 manche derbe Spötterei über die Flucht des Schreibers loszulassen, welche dieser jedoch wenig mehr achtete. – Ich denke, mein guter Olaf, sagte er, daß es keine besondere Heldenthat ist, einen Bär todt zu schießen, wenn man ein gutes geladenes Gewehr in der Hand hat und wenn die Bestie zehn Schritte von mir steht. Dagegen aber wäre es eine unverzeihliche Thorheit sich zerreißen zu lassen, wenn man seine Sache schlecht gemacht hat und keine Waffe mehr besitzt. Lache auf meine Kosten diesmal so viel du willst, wir gleichen ein andermal die Rechnung aus, nichts aber wird mich hindern zu glauben, daß das, was ich that, das Klügste blieb.

Und Niemand wird zweifeln, sagte Marstrand, daß unser Freund Paul immer das Klügste thun wird.

Damit bin ich zufrieden, rief der Schreiber, seine grauen Augen auf den Sprecher richtend. Wer immer das Klügste zu thun weiß, wird Bären und Wölfen nicht allein entgehen, sondern auch den Zähnen der Menschen entkommen, die zuweilen noch viel schlimmer sind.

Helgestad mischte sich ein, wie er immer that, und leitete das Gespräch auf Marstrand's Sache. Er verkündigte dessen Entschluß am Balsfjord sich niederzulassen, die kleinen Thäler mit Anbauern und Dienstleuten zu besetzen und seinen Königsbrief zu der Besitznahme des ausgedehnten Landstriches zu gebrauchen, indem er den Schreiber aufforderte, für die schnelle Erledigung der Rechtsförmlichlichkeiten, wozu dieser sich angeboten, nun wirklich Sorge zu tragen.

Paul Petersen gab die bündigsten Zusicherungen. Ich nehme Alles auf mich, sagte er Marstrand's Hand schüttelnd, und denke Ihnen bald zu beweisen, wie werth Ihre Angelegenheit mir ist. Reisen Sie unbesorgt, Herr Marstrand, noch ehe Sie aus Bergen zurückkehren, soll der Rechtstitel berichtigt sein und Niemand ihn anfechten können. Ich will selbst nach Tromsöe, sobald Jungfrau Ilda mir Urlaub gibt. Mein Oheim wird so zu Diensten sein, wie ich es bin. 144


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