Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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20.

Wie lieblich war jetzt das versteckte Thal, das von der Mittagssonne warm und duftig gemacht wurde! Mit einem Freudenschrei flog Gula ihrem Freunde entgegen, als dieser unter dem Felsengewölbe hervortrat. All sein Unmuth und sein Bangen verblaßte vor ihrem glücklichen, beseelten Gesicht.

Gula hatte sich geschmückt, wie sie es lange nicht gethan. Ihr norwegisches Pelzjäckchen, den Faltenrock und die weiße Schürze hatte sie in Helgestad's Gaard zurückgelassen; Afraja hätte seine Tochter auch niemals darin sehen mögen; jetzt kam sie ihm in der romantischen Tracht entgegen, welche die jungen Mädchen auf den Alpen zuweilen noch jetzt tragen, wenn sie zu den eleganten Modedamen des Gebirgs gehören und reiche Erbinnen sind, die den Staat bezahlen können.

Sie hatte ihr üppig dunkles Haar mit rothen Bändern durchflochten und auf ihrer Stirn lag rund um den Kopf ein goldener Reif, der es festhielt. Ihr kurzer Rock von blauem, leichten Wollenzeug war mit rothen Fäden zierlich gestickt und um den Leib eine rothe, langfallende Schärpe gewickelt. Weiße Höschen gingen bis auf die Halbstiefel von feinem, weichem Rennthierleder und diese waren mit buntfarbigen Streifen besetzt. Am Gürtel hing ein Federtäschchen der 450 allerfeinsten Art und um den Hals trug die Schöne ein Band von großen Goldperlen auf dem die Sonnenstrahlen blitzten.

Aber strahlender, entzückender war Nichts, als Gula's Gesicht voll Liebe und Zärtlichkeit. Ihre Augen strömten ihres Herzens Seligkeit aus; sie funkelten vor Entzücken, als sie sah, wie Johann's Blicke mit dem Ausdruck steigenden Wohlgefallens über sie hinglitten. O! sie wollte dem Geliebten gefallen; sie forderte sein Lächeln, seine Bewunderung, sein Lob, und zitternd preßte sie seine Hände zusammen und hing an seinen Lippen mit der inbrünstigen Gläubigkeit einer Heiligen, die ihres Gottes Gebot erwartet.

Wo warst du? rief sie. Wie lange habe ich dich erwartet, mich geschmückt und mich gefragt, ob ich bin wie ich damals war, als ich dich zuerst sah. Ach! damals war ich besser anzusehen. Ist es nicht so? Sage es mir, ob du mich lieber hattest?

Nein, Gula, antwortete Marstrand, nie habe ich dich lieber gesehen, wie jetzt, nie dich schöner gefunden.

O, wie du gut bist! rief sie mit dem unnachahmlichen Ausdruck der Liebe, die sie ganz erfüllte; wie du Trost und Stärke in mein banges Herz bringst. Nun komm', ich will dir meine Wohnung zeigen und den Wasserfall, du wirst gern dort sitzen. Als Klaus Hornemann bei uns war, hat er auch lange dort hinaufgeschaut und dann gerufen, es sei das Schönste, was ein Menschenauge sehen könne. Aber du wirst müde sein? Dein Auge ist dunkel und dein Mund lacht nicht. Habe ich dir wehe gethan? oder schmerzt dich Etwas? Hat mein Vater dich gekränkt?

Niemand hat mich gekränkt, du am wenigsten, antwortete er.

Sie war zufrieden und führte ihn weiter. Afraja war zurückgeblieben; er ließ sie gehen und folgte langsam nach.

Das Thal zog sich in Bogenform dem Gebirgsabfall des Kilpis zu und stieg langsam zu einer großen Höhe auf. Ueberall behielt es sein gartenartiges Ansehen. Ueppiges, dichtes Gras bedeckte den Boden, und da es sich nach Süden öffnete, war es voll Sonnenlicht, das überall Wärme verbreitete. Kräftige Bergfichten wechselten mit Birkenstämmen und hinter einem schönen Rasenplatze lag unter schützenden Felsen ein kleines, festes Haus, ähnlich den Balkenhäusern der normannischen Handelsleute, aber ungleich zierlicher anzuschauen. Seine 451 Außenseite war mit Birkenrinde bekleidet, die blattförmig und schuppig übereinander fiel. Marstrand erblickte eine Thür, über welcher eine Reihe gewaltiger Rennthiergehörne prangte, ein paar Fenster erhöhten sein Erstaunen und Gula sagte lächelnd: Das Alles hat Mortuno mühsam für mich gezimmert und gerichtet. Er hat die Fenster theuer gekauft und hergeschafft, so fand ich es, als ich kam. Aber hier sieh, was schöner ist, fuhr sie fort. Setze dich auf diese Bank zu mir, wie damals in Ilda's Garten; hier ist Niemand, der uns stört.

Sie hatte ihn bei dem Hause vorüber durch das Birkenwäldchen geführt, wo der Bach schäumend vorüberstürzte und schon ehe er das Wunder erblickte, das er sehen sollte, hörte er den dumpfen Donner eines großer Wasserfalls, der jetzt in seiner ganzen Herrlichkeit vor ihn trat. Einige hundert Fuß höher als das Thal, fiel der Strom von einer Wand des Kilpis, einer geschmolzenen Silbermasse gleich herab, und stürzte in einen schwarzen Felsenkessel, aus dem der Wasserstaub aufwirbelte. Im Sonnenglanz sprühten Millionen glänzende Funken auf, die in Regenbogenfarben Brücken und Bogen der prächtigsten Art bildeten. Es war zauberhaft zu sehen wie die funkelnden Wolken an der Wand hinflogen, wie ohne Rast und ohne Ende der glänzende Schaum an den Felsen niedersank, wie immer neue Donner durch die Luft dröhnten, immer neue, wechselnde, bunte Farbenbilder durch das Thal flogen und zerrannen. Und rund umher hatte der feuchte Staub eine üppige Pflanzenwelt hervorgerufen. Alpenblumen sproßten dort, wie Marstrand sie nie gesehen hatte. Er blickte in einen Garten voll blauer und herrlich brennend rother Beete und seine Seele füllte sich mit Staunen und Freude, seine Augen hingen entzückt an dem erhabenen Schauspiel, das er nie in solcher Schönheit gesehen hatte.

Auf der Bank, der schwarzen Grotte gegenüber, in welcher die zerstäubten Wasser sich sammelten, um dann kaskadenartig ihren letzten Sprung zu machen, saß er und hörte Gula reden und erzählen. Hier hatten die Götter ihres Volkes gewohnt, hierher hatte Jubinal's mächtige Hand seine Geliebte gerettet, als die Riesen und der böse Pekel ihren Kampf begannen und dort oben in geheimen, tief verborgenen Gärten lebte der Allvater noch mit seligen Geistern, die im seinen Mondlicht nächtlich niederstiegen und durch das Thal schwebten.

452 Träumerisch lächelnd hörte er zu, sah zu den versteinten Gebilden hinauf, denen Gula Gestalt und Deutung gab und blickte in ihr belebtes Gesicht, das so voll von Frieden und voll Glück war. Es kam ihm vor, als könnte er immer so sitzen und sie anschauen, als könnte er Allem entsagen, was außerhalb dieser Welt lag, als müßte Jubinal's Götterarm und Wille diese Felsen plötzlich überall unersteiglich glatt verschließen, daß er dies Thal niemals wieder verlassen könnte. Er athmete auf und blickte umher, ob es nicht schon geschehen sei und legte seinen Arm um das geschmeidige Kind, das sich an ihn schmiegte. Ein sanftes Wehen ging über sie hin. Die Bäume wiegten sich leise, es flüsterten Stimmen darin und vom Wasserfall erhob sich eine funkelnde Wolke und schwebte bis zu ihnen her.

Gula deutete auf den Regenbogen, der über ihnen stand. Gott spricht zu uns, sagte sie, das ist sein Zeichen.

Und was sagt er dir?

Daß ich dich nie und nimmer verlassen soll.

Soll ich bei dir wohnen? fuhr er lächelnd fort, unter den Birken sitzen, deine Hände halten und vor aller Welt verborgen dich mit Blumen schmücken?

Die Blumen verwelken, antwortete Gula, der Bach erstarrt, das Thal füllt sich mit Schnee und Afraja zieht fort an die Seen der Tana. Ich gehe, wohin du willst.

Ach! arme kleine Gula! rief er aus, weiß ich doch selbst nicht, wo meines Bleibens sein wird. Du hast gehört, wie es mit mir steht.

Sie neigte sich zu ihm, legte ihre beiden Hände auf seine Brust und sah ihn mit den glänzenden Augen muthig an.

Mußt du denn am Balsfjord wohnen? fragte sie. Mußt du in diesem rauhen Lande unter so harten Männern leben?

Die Mahnung kam ihm unerwartet. Wohin sollte ich gehen? sagte er überrascht.

In dein Vaterland, erwiderte sie. Ist es wahr, was ich einst von Paul Petersen hörte, daß Niemand mich dort verachten und verspotten wird, wenn ich Reichthum mitbringe?

Geld! rief Marstrand, gibt überall Ansehen und Glanz.

453 So ist Alles gut, sagte sie zuversichtlich. Afraja wird dir geben, so viel du willst. Wir steigen in ein Schiff und fahren nach Süden. Du hast mir so viel von Kopenhagen erzählt, nun werde ich es sehen. Sie klatschte in ihre kleinen Hände und ihre Augen verklärten sich bei den Gedanken, die ihren Kopf füllten. – Alles will ich lernen, rief sie, du sollst sehen, daß ich kann, was ich will. Sage nur, was ich thun soll, befiehl nur, wie es recht ist. Gott segne dich! O Gott segne dich, du lieber, guter Johann!

Wie hätte er einen schwarzen Tropfen in diesen Strom hoffender Liebe schütten können? Das Glück, das er erwecken konnte, warf seinen Schimmer auf ihn zurück und halb vor sich hin, indem er sie mit einem langen zärtlichen Blicke betrachtete, sagte er: Vertraue auf mich. Was ein Mensch thun kann, will ich thun, um deine treue Freundschaft zu vergelten.

Du wirst mich nimmer verlassen und verstoßen, rief sie im Tone des unerschütterlichsten Vertrauens. Heute, als ich dich wiedersah, fiel der Gedanke mich an wie ein wildes Thier und eine entsetzliche Angst mischte sich in meine Freude. Jetzt weiß ich gewiß, daß er kindisch und thöricht ist. Ich könnte es auch nicht ertragen, fügte sie leise lächelnd hinzu.

Aber was wird dein Vater sagen, wenn du ihn verlassen willst? Wird er darin willigen?

Er wird, er muß! antwortete sie, lebhaft aufspringend. Dort steht er und erwartet uns. Sprich mit ihm auf der Stelle, er wird dich gern hören.

Marstrand sah bald, daß sie von ihres Vaters Planen nichts wußte, aber er beruhigte sie leicht mit der Versicherung, daß er am nächsten Tage über alle Dinge mit ihm reden werde, da Afraja selbst ihn ersucht habe, erst morgen über seine Angelegenheiten zu sprechen.

Er will dich froh sehen, sagte Gula, und ich kann nichts denken, als dich allein. Was du thust, ist gut, das ist Alles, was ich weiß.

Hand in Hand unter frohem Geplauder führte sie ihn zu der Hütte, vor welcher der greise Mann im Sonnenschein saß und mit den beiden Hunden, die vor ihm standen und mit gespitzten Ohren zu ihm aufsahen, Zwiegespräche zu halten schien.

454 Es sind kluge Thiere, Herr Marstrand, sagte er, sie fragen mich eben, warum kein Feuer auf dem Herdstein zu sehen ist, da doch die Sonne schon lange Schatten wirft, und ich antworte ihnen, es ist nicht gut sein da, wo es Menschen gibt, die von Worten satt werden. – In seiner Art lachend, streichelte er dabei seiner Tochter weiches Haar und in seinem kantigen Gesicht leuchtete etwas, was wie zärtliches väterliches Wohlgefallen aussah. Blumen leben vom Thau, fuhr er dann fort, Fische von Wasser und Mädchen von Liebe, aber bei alledem bleibt es wahr, daß jedes Wesen auch Speise haben will, die den Magen in Ordnung hält, ohne den nichts in der Welt bestehen kann.

Gula lief in das Haus und Marstrand setzte sich zu Afraja, der ihm Vieles von seinen Wanderungen erzählte, die sich auf mehr als hundert Meilen nördlich und in's Innere des Landes erstreckten. Er schilderte die Familieneinrichtungen, das häusliche Leben und die Arbeiten und sprach mit einem gewissen Stolze davon, daß in diesem Lande ohne Gesetz, ohne Beamten und Häscher, doch fast nie ein Verbrechen begangen werde.

Sie schelten uns Diebe, Räuber und Betrüger, sagte er, und doch weiß ich niemals, daß ein Diebstahl oder Raub begangen wurde, es sei denn von den Küstenleuten. Da gibt es armes, schlechtes Volk, gedrückt und geplagt, Knechte, die mit Noth armselig ihr Leben fristen. Hier findest du nur freie Männer, die keinen Herrn über sich haben, als den Allerhalter, und Niemanden unter sich, denn Alle sind gleich. Wir leben in einer Gamme, essen aus einem Kessel, kleiden uns mit demselben Kleide; wir sind Brüder, die Alles theilen und nie von ihrer Freiheit lassen mögen.

Er konnte so sprechen. Hatte doch selbst Helgestad diese unzähmbare Freiheitsliebe anerkannt und daß kein Lappe um alles Wohlleben und alle Gaben eines Königs seine Alpen, seine Heerde und seine Gamme vertauschen möchte. Und dieser alte Mann wollte davon ablassen, wollte die Feinde seines Volks vertreiben, um deren Plätze am Rechenbuche und im Kramladen einzunehmen. Wie sonderbar war es, das zu denken, wie unmöglich es zu glauben. Afraja selbst, der ein langes Hirtenleben gelebt, konnte sich unmöglich in einen Fischhändler und Seefahrer umwandeln, und wer konnte es 455 sonst? Wie viele Jahrhunderte brauchte ein kräftiges, begünstigtes Volk, um aus Jägern und Hirten zu Ackerbauern zu werden, wie konnte dieser entwürdigte Stamm einen Platz unter den Völkerfamilien einnehmen? Sinnend blickte er mit Achtung auf den Greis, der in seiner Verlassenheit das denken und beginnen konnte. Da saß er in seinem braunen groben Kittel, den Riemenschuhen und den verbogenen Knöcheln, ärmlicher und nackter wie der ärmste Bettler am Schloßthore der Christiansburg und doch war er auch ein König, und wenn das Schicksal ihn auf einen mächtigen Thron gestellt hätte, würde er, wie Klaus Hornemann behauptete, ein großer und weiser Fürst gewesen sein. Welch ein Unterschied zwischen diesem greisem Häuptling in Rennthierfellen und dem sammtenen, bestickten und bebänderten Monarchen in Kopenhagen! Wo waren hier die Garden, die Trabanten, die üppigen Schlösser und Gärten, die Damen in schleppenden Brokaten, die Pagen und Kriegsleute in Scharlach und Gold! Nichts als Männer in Holzschuhen, Weiber zottig und wild wie die gelben Hunde; Nichts als Fels und Getrümmer, der zackige Wald der gehörnten Heerden, und Prinzessin Gula in ihren blauen, flatternden Röcken durch das Thal fliegend, die weiße Hirschkuh ihre einzige Begleiterin.

Was aber würde König Christian gegeben haben, wenn er einen einzigen Wasserfall, wie jenen dort, einen einzigen Felsen, wie der majestätische Kilpis, in seinen Park verpflanzen könnte? Das zu vollbringen stand in keines Menschen Macht, doch Gula konnte verpflanzt werden. Gula konnte ihre reichen Haare in Locken kräuseln, ihren zierlichen Wuchs in Atlas und Purpur hüllen, ihre kleinen Füße in Schuhe mit rothen Hacken stecken. War denn überhaupt der Unterschied zwischen einem wilden und einem zahmen König, zwischen einer Prinzessin hinter Spiegelwänden und dieser hinter dem Herdstein, so unermeßlich groß? Legt ihr Juwelen an, durchflechtet ihr schimmerndes, schwarzes Haar mit weißen Perlenschnüren, und laßt uns sehen, wer seine Rolle besser spielt. Bekleidet diesen Greis mit Hermelin, setzt auf seine breite Stirn eine Krone, wie werden die Junker und alles Volk ihn anstaunen. Und er hat Geld, viel Geld, trotz seiner Lumpen, was läßt sich nicht mit Geld machen? Wer fragt noch nach mir? Wo ist die Hand, die mich sucht? Was hält mich noch? – Ha, Ilda!

456 Während Johann dies Alles in sich hineinmurmelte und mit offenen Augen wunderbare Dinge träumte von Schlössern und von Festen und eitler Pracht und Herrlichkeit, fuhr Afraja fort die Zustände des Landes und wie es vor alter Zeit damit hergegangen, zu schildern, ohne daß sein einziger Zuhörer viel davon merkte.

Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts hatte sich die dänische Regierung fast gar nicht um die Finnmarken gekümmert. Erst als die Fischplätze größere Wichtigkeit erhielten, als der Stockfischhandel zunahm und die Ansiedler sich beträchtlich vermehrten, kam eine geregeltere Verwaltung mit Voigten, Schreibern, Beamten aller Art, Priestern und steigenden Abgaben. Die Lappen blieben diesen hingeworfen; doch alles Bemühen ging dahin, die herrenlosen Vagabunden in die Presse zu nehmen, und dazu kamen die Bekehrungen zum Christenthum und die damit verbundene Verfolgungssucht.

Schon der ritterliche König Christian der Vierte, der eine romantische Reise bis an's Nordkap machte, erließ im Jahre 1599 einen scharfen Befehl, daß alle Lappen ihre heidnischen Götter abschwören und Christen werden sollten, Zauberer aber solle man einfangen und lebendig verbrennen.

Und das hat man gethan? fragte Marstrand.

Sicherlich ja, antwortete Afraja. Viele sind verbrannt worden, ein Jahrhundert lang und darüber, und viele Priester kamen und schütteten Wasser auf die Köpfe der Heiden. Aber das Wasser trocknete und die Priester starben. Bis auf diese Stunde hat die Lehre deines Gottes wenig bei uns ausrichten können, denn was wollen Priester thun, die unsere Sprache nicht verstehen; was wollen Bücher, die wir nicht lesen können? Noch stehen die heiligen Saitas überall im Gebirge und kein Lappe, wäre er auch ein Christ und getauft, wird an Jubinal's Opferstein vorübergehen, ohne seine Stirn darauf zu legen.

Du willst kein Christ werden?

Der greise Mann krümmte sich an seinem Stab zusammen. Sind die sich Christen nennen, denn so gut und gerecht, fragte er, daß sie mich verlocken könnten?

Mein Gott ist stark und gerecht, erwiderte der Junker christlich unwillig; die an ihn glauben, beschirmt er gnädig und hilft aus 457 Rohheit und Gewalt. Schon jetzt verbrennt man keine Menschen mehr wegen Zauberei, und glaubt nicht länger an solchen Wahn. Mildere Sitten bringen mildere Gesetze, und edle, tugendhafte Priester, wie Klaus Hornemann, werden nicht vergebens deinem Volke predigen.

Afraja schwieg eine Zeit lang, dann antwortete er sanftmüthig: Laß uns nicht streiten. Halte fest an deinem Glauben und hindere Niemanden. Du siehst, Gula ist eine Christin, Mortuno betet mit dem alten Klaus, wenn er zu uns kommt, niemals habe ich mich widersetzt. Aber wisse, Jüngling, besser sind deine Christen nicht, wie die Kinder Jubinal's, grausamer und härter sind sie. Sie morden und brennen noch, wenn sie es können und üben Gewalt und Qual, so viel es eben ihre mildere Sitte zuläßt, wie du es nennst. Er lachte vor sich hin und fuhr dann fort: Du lernst an dir selbst kennen, was sie Gesetz und Recht heißen; hüte dich davor, du kannst noch Manches erleben.

Jetzt sprang Gula wieder aus der Thür. Erhitzt und freudig rief sie, daß ihr Tisch bereit sei und eben kam Mortuno am Bache entlang und näherte sich seinem Oheim, mit dem er einige Worte wechselte. Der arme Bursche sah heute noch ernster und bedächtiger aus. Von seinem raschen, lustigen Wesen war so wenig übrig geblieben, wie von dem eitlen Putz, den er sonst an sich verschwendete. Demüthig und schweigsam stand er da und sah mit einem langen Blicke der geschwätzig fröhlichen Gula nach, die Marstrand fortführte und die ihn gar nicht zu bemerken schien.

Der Raum in welchen der Gast trat, war Küche und Wohnzimmer zugleich. Auf dem Herdsteine brannte helles Feuer und aus dem Kessel darüber stieg ein gewürziger Duft auf. Der Fußboden war mit frischen Blättern bestreut, ein niedriger Tisch stand in der Mitte, hölzerne Teller und Löffel lagen darauf und an beiden Seiten Mooskissen. Obwohl sonst nichts weiter in dem bescheidenen Gemache zu sehen war, als ein paar Bretter mit nothwendigem Hausrath und einige Kisten, die in den Ecken standen, so gewährte es doch einen freundlichen Anblick; denn es war sauber und geschmückt, weil Gula Tannenzweige an die Fenster gesteckt und an diese lange Ketten von blauen und weißen Schlüssel- und Glockenblumen befestigt hatte.

458 Das also war ihr Palast, ihre einzige Besitzung. Was nützte diesen Menschen Geld, die es in der Erde verscharrten, denen diese Hütte schon ein unbequemer Luxus schien und deren Leckerbissen die schwarzgraue Speise war, welche jetzt von Gula aus der Tiefe des Kessels auf die Teller geschöpft und von ihren Verwandten mit Begier erwartet wurde. Das weiße Rennthier und die zottigen Hunde lagerten sich um die einladende Hebe, die für ihren Freund das Beste aussuchte. Ihm war in diesem patriarchalischen Kreise zu Muthe, als säße er in der Arche Noa mitten in der Sündfluth, doch es kam keine Taube mit dem Oelzweig, er sah kein Land wohin er sich retten konnte. Ein Schauder kam ihn vor diesem Mahle an, vielleicht noch mehr wie vor Björnarne's Lieblingsgericht, allein es ging ihm, wie es Jedem geht, dem die kräftige Hirtenkost vorgesetzt wird. Nachdem er die ersten Bissen überwunden hatte, fand er, daß das wunderliche Gericht gar nicht so übel sei. Es bestand aus dem Blut des Thieres, das ihm zu Ehren geschlachtet worden war, aus Herz und Leber und den saftigsten Fleischstücken, die mit fetter Milch, Mehl und gewürzigen Kräutern gekocht waren.

Bald ging es ganz behaglich an dem Tische her. Gula war unermüdlich in ihrer emsigen Sorgsamkeit für den lieben Gast und voller Genugthuung, daß es ihm schmeckte. Von Afraja hörte dieser, daß überhaupt die Waldlappen von nichts weiter lebten, als von dem Fleisch und der Milch, dem Blut und den Eingeweiden ihrer Thiere, und wenn er damit das jammervolle Leben der armen Fischer verglich, schienen ihm diese Söhne der Wildniß lukullische Mahlzeiten zu halten. Er dachte auch dabei an die Bauern und armen Leute in Dänemark und in andern Ländern, die von Civilisation und Kultur kaum etwas weiteres hatten, als das Glück von Fürsten, adeligen Herrn und Beamten so ausgepreßt zu werden, daß kaum das armseligste Leben übrig blieb. Damals war noch überall das Landvolk in Leibeigenschaft und Hörigkeit, jeder Mensch mußte wie eine Sache, seinen Herrn haben und der unerträgliche Kastengeist und Kastenzwang zog seine eisernen Schranken zwischen jeden Stand und jedes Geschlecht.

Waren denn also diese freien Hirten nicht vielfach beneidenswerth, die auf ihrem unermeßlichen Jagd- und Weidegebiet nichts von den Plagen civilisirter Völker wußten? Marstrand sprach dies lebhaft aus 459 und die Schilderungen, welche er von den Bauern und den armen Leuten in den Städten, von den Vorzügen des Adels und der fürstlichen Allgewalt und Allmacht entwarf, schienen Afraja wohl zu behagen.

Er hörte lange zu und sagte dann mit einem eigenthümlichen Glanz seiner lauernden Augen: So fällt die Ratte über die Blindmaus her, der Marder über die Ratte, der Wolf über den Marder und der Bär über alle. Es ist im Wasser, in der Luft und wohin man sehen mag, überall dieselbe Gewalt, aber Trost ist es, daß ein Räuber von dem anderen gefressen wird und endlich schickt Jubinal seinen schwarzen Boten, vor dem die allerwildesten und stärksten zittern. Bringe uns einen Trunk, Mädchen. Laß' uns trinken, daß die Ungerechten sich so lange selbst verschlingen, bis keiner von allen übrig bleibt.

Gula brachte hölzerne Becher und zu Marstrand's Verwunderung eine Flasche so guten, alten Madeira, wie er niemals nur schlechten hier vermuthet hatte. Afraja hatte sie mit einigen anderen auf dem letzten Markt gekauft, und bald strömte das duftige Feuer durch alle Adern und regte Hirn und Nerven auf.

Die Sonne sank inzwischen und das tiefe Thal füllte sich mit Schatten. Sie saßen beisammen und die Stunden vergingen, die Sterne stiegen am Himmel auf. Der Wasserfall donnerte und blitzte weißleuchtend durch die Nacht; Marstrand ging durch den fliegenden Staub, der sein heißes Gesicht kühlte. Seine Augen suchten Gula's Augen, die glühend an ihm hingen, wenn er von seines Vaters altem Schlosse auf Seeland sprach, und von Tagen, die da kommen sollten; von den Jagden in Buchenwäldern, die von lieblichen Hügelwänden sich im blauen Oeresund wiederspiegelten, von Rossen mit falben Mähnen, auf welchen Damen reiten, von prächtigen Sälen voll Krystallleuchter und von schmetternder Musik, durch Mohren mit silbernen Halsbändern um den Armen und Perlen in den Ohren ausgeführt.

Gula sah das Alles. Sie sah die Thürme und die Brücken, die glänzenden, schönen Männer und die Damen mit langen Schleppen. Sie sah die gläsernen Paläste und hörte Pauken und Trompeten, die zum Feste riefen; dann sah sie sich am Arme des geliebten Mannes und wie sie die Stirne aufhob und der Nachtwind ihr welke Blätter darauf warf, meinte sie schwere Goldketten und Diademe zu fühlen.

460 All' ihr Denken und Sinnen war damit beschäftigt. Unermeßlich glücklich saß sie bei dem geliebten Mann und bemerkte den armen Mortuno nicht, der sie aus dem Winkel betrachtete und jedes Lachen, jede ihrer Bewegungen stumm verfolgte. Endlich holte sie auf Johann's Wunsch ihre Zither und sang ihm Lieder vor, die so süß und lieblich klangen, und welche sie mit so ausdrucksvollen Blicken und Geberden begleitete, daß Marstrand, obwohl er die Worte nicht verstand, doch den Inhalt deutlich errieth.

Es sind Liebeslieder, sagte er.

Es sind die Klagen und Bitten eines Mädchens, die ihren Geliebten erwartet, antwortete sie.

Marstrand sah zu Mortuno hinüber. Er hatte seinen Kopf vorgebeugt, als höre er Etwas, das ihn entzückte. Seine Hände waren gefaltet, sein Gesicht wurde von dem Herdfeuer erhellt, es schien sich zu vergrößern und zu verschönern, ein Lächeln wie Johann es nie an ihm bemerkt hatte, schwebte auf seinen Lippen. Afraja dagegen hatte sich nach seiner Gewohnheit zusammengekrümmt, er rauchte aus seiner kleinen schwarzen Lappenpfeife und stierte in die Flammen, die seine eckigen grimmigen Züge roth und scharf machten.

Nach einigen Augenblicken sagte Marstrand: Nun, Mortuno, wie steht es mit dir? Willst du nicht noch einmal das Lied singen, das ich gestern hörte, oder hast du ein neues gedichtet?

Mit demselben sanften, lächelnden Gesicht nickte ihm der arme Bursche zu; dann stand er auf, nahm die dreisaitige Zither aus Gula's Hand und begann einen Gesang, von welchem Johann noch lange nachher sich einer Strophe erinnerte.

»Nimm die Blume des Kilpis«, sang er, »ach! ich sehe wohl sie blüht für dich. Wenn die jungen Birken wieder grün werden, wird meine Hand sie nicht pflücken, wenn die Lämmer schreien und ihre Mütter umspringen, werde ich sie nicht mehr hören. Nimm die Blume des Kilpis und verwahre sie an deinem Herzen. Keinem würde ich sie geben, dir gebe ich sie. Was ist Menschenwille, was ist Gottes Wille! Seine Stimme spricht zu mir. Fliege, weiße Taube, fliege über See und Wolken, meine Augen werden dich begleiten, meine Seele wird bei dir sein!«

461 Bei seinen letzten Worten ließ Afraja sein heiseres Lachen hören und richtete sich auf. Er steckte die Pfeife in seinen Gürtel, schenkte die hölzernen Becher noch einmal voll und reichte seinem Gaste den einen hin.

Nun ist's genug für heut, sagte er, ich bringe dir den Schlaftrunk. Morgen laß uns sehen, ob die weiße Taube auf deiner Schulter sitzt.

Aber es mußte wirklich ein starker Trunk gewesen sein, den der Junker bekommen hatte. Er fühlte seinen Kopf schwer wie Blei werden, fühlte kaum, daß Gula's Arme ihn noch einmal fest hielten; ihre zärtlichen Wünsche kamen wie aus weiter Ferne. Er lachte als er strauchelte und Mortuno ihn unterstützte, dann ging er mit den beiden Männern und sie führten ihn, wie er meinte, durch die Schlucht, die Stufen hinauf in das Zelt, das wieder in der Saita aufgeschlagen war. Er glaubte die Lampe brennen zu sehen, oder war es ein flammender Holzspan, der vor seine Augen gehalten wurde. Dann kam es ihm vor, als werde er aufgehoben und getragen, als sitze er auf dem ungeheuren Rennthier, auf welchem Jubinal allnächtlich die Erde umreitet; plötzlich fiel er schwindelnd in einen unermeßlichen Abgrund. Er wollte sich halten und empfand nichts mehr.


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