Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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22.

Als Marstrand aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, geschah dies, weil ihm eine Flüssigkeit auf die Lippen getröpfelt wurde, deren scharfer Geruch und Geschmack seine Lebensgeister aufregten. Er öffnete die Augen und überzeugte sich nach und nach, daß er in einem weiten, hohen Raume sei, dessen Umfang sich in's Unbegrenzte verlor. Ein seltsam zackiges, düsteres Gewölbe hing über ihm, durch Nacht und Schatten blitzte zuweilen ein rothes Licht, doch Nichts unterbrach das lautlose Schweigen.

Nach einigem Besinnen und Betrachten erinnerte sich der junge Mann, was zuletzt mit ihm geschehen sei; aber dies war nicht das Zelt in den Saitasteinen, nicht Gula's Hütte, nicht das Thal, der Wald, der Bach. – Er saß in der Ecke eines Felsenpfeilers am Boden, in einem Spalt flammten ein paar Fichtenzweige und vor ihm hockte eine Gestalt, in welcher er ohne Mühe Afraja erkannte. Die wüste Schwere in seinem Kopfe verließ ihn und je mehr er seine Gedanken sammelte, um so mehr war er überzeugt, daß er sich in einer mächtigen Höhle befinde. Zugleich fiel ihm ein, was er verschiedentlich von dem Vorhandensein solcher Höhlen gehört hatte und 477 mit neugierigem Erstaunen ließ er seine Blicke umherschweifen, die unbefriedigt zu dem schweigsamen Gefährten zurückkehrten.

Bist du es, Afraja? fragte er, indem er sich aufrichtete.

Ich bin es, war die Antwort.

Und was ist das? Wo sind wir? In einer Höhle?

Du sagst es, antwortete der greise Mann.

Was soll ich hier? Wie bin ich hergekommen?

Jubinal's Boten trugen dich, er wollte es so. Stehe auf und folge mir. Sprich nicht, frage nicht, aber laß deine Augen sehen und dein Ohr hören.

Er nahm die brennenden Spähne aus dem Spalt, zog einige andere hervor, die im Vorrath waren, und schritt voran. Der leiseste Ton schallte verzehnfacht von dem Gewölbe wider, der Fackelschein fiel in Klüfte und Gänge. In der Nähe funkelten die tiefhängenden Wände, als wären sie mit zahllosen Diamanten oder Sternen besetzt. Krystalle schossen aus gelblichen Steinmassen hervor und bildeten Tafeln, Spitzen, haarförmige Netze der seltsamsten Art, und jetzt spaltete sich die Felsenwand und Afraja leuchtete in einen abwärts führenden Gang, während sein Begleiter einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken konnte.

Es war ihm, als hätte er in den glänzenden Laden des größten Juweliers auf Erden geschaut. Von dem strahlenden Gefunkel wurden seine Augen geblendet; das war Metall, schweres vollwichtiges Metall – das war Silber, das reine krystallinische Silber! Er hatte von Mährchen gehört, von Grotten, wo Alles Silber war, wo Blumen und Bäume von Silber wuchsen, wo silbernes Moos aus dem Boden sproßte, hier sah er das Wunder staunend vor sich. Von der Decke hingen Blätter und Ranken nieder, große strahlende Blumen und Gewinde. Aus den zackigen Wänden ragten sie und umgitterten gediegene Stufen, die darunter wie in Netzen und Grotten lagen. – Ungeheure Reichthümer waren hier ohne alle Mühe zu sammeln. Dieser unförmige Greis besaß mehr, als je in eines Königs Schatzkammer gelegen. In seinen Lumpen, seinen Lappen ging er zwischen diesem glänzenden Erz, für welches die Welt zu haben ist, und was wollte er dafür kaufen? Eine entsetzliche Wüste ohne Haus und Baum, die Freiheit, in dieser Wüste wild umherzuirren.

478 Afraja neigte seine Fackel nieder und beleuchtete schweigend eine Reihe großer Töpfe und alter Kasten, die unter der Wölbung standen. Sie waren mit großen Geldstücken gefüllt, grün und blind von Feuchtigkeit und Schmutz. Er trat mit dem Fuß auf den größten Haufen und rührte darin umher. Das mußte der Schatz sein, den seine Vorfahren seit Jahrhunderten aufsparten; aus diesen alten Töpfen mußte er die Speciesthaler an den Balsfjord geschafft haben, ohne daß sein Vorrath sonderlich abgenommen hatte. Ohne ein Wort zu sprechen, sah er Marstrand an, und sein triumphirendes Lachen bewies, daß er mit dem Eindruck zufrieden war.

Es ist kein Traum! sagte Johann, an seine Stirn fassend. Ich sehe es wirklich! Das sind meine Hände, das ist mein Kopf. Kannst du zaubern, Afraja? Ist es Blendwerk oder Wahrheit?!

Ueberzeuge dich, antwortete der Greis, indem er nochmals an den Kasten stieß. Nimm, was du willst, betrachte es im Sonnenschein. Er riß eines der Geflechte los und legte es in Marstrand's Hand. Was du siehst, fuhr er fort, ist nicht das Beste, was ich weiß. Im Enare Traesk gibt es andere Höhlen, größer als diese, ganz von Silberadern durchzogen, und Alles sollst du haben, Alles soll dein sein. Du hast gesehen, was noch nie ein Mensch sah. Ich habe dich hierher geführt, damit du erkennen kannst, daß ich Mittel besitze, mein Werk zu vollenden. Hilf mir, du bist kühn, ich liebe dich. Dankbarer will ich dir sein, wie dein eigener Stamm.

Was ich sehe, ist wunderbar! rief der Junker. Ich stehe erstaunt und kann es nicht fassen; doch läge alles Silber der Erde hier beisammen, und sollte mein sein, so würde ich es dennoch glühend finden und fortwerfen, ehe ich thäte, was du wolltest.

Du willst nicht? fragte der Lappe, nachdem er seine rothen Augen lauernd starr auf ihn geheftet hatte.

Ich kann nicht, antwortete Johann. Ich begehe kein Verbrechen.

Hier straft dich Niemand, flüsterte Afraja.

Aber mein Gewissen! Ich bin ein Mensch, ein Christ! Ich habe dir geschworen, zu allem Guten dir zu helfen. Ich will nach Trondhjem, nach Kopenhagen eilen, will dem Könige mich zu Füßen werfen, will ihm deine Geschichte erzählen und was die Gewalt der Wahrheit und des Rechts nicht thut, das wird dein Silber vermögen. Laß ab, 479 Afraja. Du wirst dich und alle verderben, die mit dir sind. Du bist klug, du mußt mit Klugheit handeln.

Der alte Mann lächelte arglistig und ungläubig. Er schien es nicht begreifen zu können, daß Marstrand auch jetzt nicht wollte, nachdem er ihm das kostbare Gut gezeigt hatte, um welches die Menschen Alles thun. Er betrachtete ihn genau und scharf und hob die Fackel hoch, indem er ihm nochmals seine verführerischen Worte zuflüsterte.

Ich gebe dir Alles, sagte er. Was ich besitze, was ich weiß, soll dein sein. Wo ist Hülfe für dich? Du mußt verderben. Du wirst mächtig vor ihnen stehen, wirst Rache nehmen an deinen Feinden, sie hassen dich, sie verrathen dich, Jüngling. Willst du dich zertreten lassen, bist du ein Mann?! Du räthst mir Klugheit, sei selbst klug. Du willst nicht? Und Gula, – denkst du an Gula?

Nein, nein! rief Johann, daß es schallte und dröhnte, auch um Gula's Willen sollst du mich nicht haben!

Afraja schüttelte zornig den Kopf. In dem rothen Schein seiner Fackel sah er wie einer der tückischen zauberkundigen Zwerge aus, die einst in solchen Höhlen und Klüften des Nordens wohnten. Vielleicht waren es auch Zaubersprüche, die er vor sich hinmurmelte, während er unverwandt die rollenden, blitzenden Augen auf den Widerspenstigen richtete, der ein unheimliches Grausen davor empfand.

Laß uns gehen, sagte Marstrand, ich will Alles thun, was ich kann.

Du willst mich verrathen? schrie Afraja.

Niemals, ich bin kein Verräther.

Habe ich dir nicht Gutes gethan und bist du kein Normann?

Ich hoffe dir zu beweisen, daß ich dankbar bin.

Du sollst nicht fort! schrie der Lappe.

Marstrand stand still. Das wilde, drohende Gesicht des Häuptlings ließ ihn Böses ahnen. – Was willst du thun? fragte er, indem er nach seinem Arm griff.

Aber mit jugendlicher Gelenkigkeit sprang Afraja zurück und indem er die Fackel über sich schwang und ein entsetzliches Gelächter ausstieß, floh er aus dem Gange in das weite Gewölbe, und plötzlich war überall dort Nacht und tiefes Schweigen.

Nach wenigen strauchelnden Schritten hatte Marstrand die Verfolgung eingestellt. Er tappte bis an die Wand der Höhle und legte 480 seine Hand auf einen der vorspringenden Krystalle. Der Gedanke ergriff ihn, daß er hier elend mitten unter Schätzen umkommen könne, aber er schwieg und unterdrückte die aufkeimende Verzweiflung, da es ihm nicht denkbar schien, daß Afraja seine Gewalt bis zur äußersten Grausamkeit treiben würde. Nirgend war ein Lichtschimmer zu entdecken, nirgend ein Spalt, durch den ein Hoffnungsstern herein schien, nirgend ein Luftzug, der die Nähe eines Ausgangs verrathen hätte. Er hatte keine Ahndung, wo er sich befand, ob nah ob fern vom Kilpis. Ob in den Eingeweiden dieses heiligen Berges, ob in der Tiefe eines Fjelds. Sein Nachdenken brachte nichts heraus, er hörte auch kein Geräusch, während das leiseste sich hier bemerklich gemacht hätte. Mit steigendem Entsetzen dachte er daran, daß Afraja sich wirklich entfernt haben könnte.

Ich weiß nicht, ob du mich hörst, sagte er endlich, so gefaßt er es vermochte, aber ich hoffe es von deiner Redlichkeit. Ich bin als dein Gast zu dir gekommen und selbst diejenigen, welche deinen Stamm hassen und verachten, loben seine Gastfreundschaft und Treue. Welche Schmach wäre es für dich, wenn du mich hierher gelockt hättest, um mich zu verderben! Du willst mich erschrecken, doch du wirst nichts dadurch erreichen; lieber will ich tausend Mal umkommen, ehe ich mein Seelenheil verliere. Ich kann nicht und darf nicht. Wisse aber, daß diese That dich verfolgen wird, und was wird Gula sagen, wenn du vor ihr stehst? Was willst du antworten, wenn sie dich nach mir frägt?

Er schwieg und es verging eine geraume Zeit, ohne, daß ein Laut zu hören war. Der Verlassene wagte es nicht, die Stelle wo er stand aufzugeben. Er wußte nicht, ob er beim nächsten Schritte nicht schon in eine Tiefe stürzen, oder, wenn er einen Ausweg suche, sich unrettbar in diesen unterirdischen Hallen verlieren könne, die ihm unermeßlich groß schienen. Je mehr er überlegte, um so weniger konnte er sich darauf besinnen, wie er hierher gelangt sei; nur so viel war ihm gewiß, daß Afraja ihm irgend ein schwer betäubendes Getränk gereicht haben mußte, und daß er dann seine Bewußtlosigkeit benutzt hatte, um ihn an diesen verborgenen Ort zu bringen. Vielleicht war er dicht bei dem Thale, vielleicht ganz in Gula's Nähe, hinter der Wand ihrer Hütte und sie konnte seinen Ruf vernehmen. 481 Von dieser Vorstellung ergriffen, rief er plötzlich mit großer Gewalt ihren Namen, der von den Echos wiederholt wurde.

Zu mir, meine Gula, zu mir! – Oh! du hörst mich nicht. Du die Einzige, die mich nie verlassen und betrügen würde.

Komm! sagte Afraja, indem er ihn am Arm ergriff. Er mußte dicht neben ihm gestanden haben.

Dies einzige Wort goß einen neuen Lebensstrom durch Johann's Adern. In diesem Augenblick erst empfand er das Grausige seiner Verlassenheit und mit einem fieberhaften Griff packte er den treulosen Lappen.

Du rufst nach Gula, sagte der Alte, ich will dich zu ihr führen. Mag sie dein Herz erweichen, du starrsinniger Mann, dessen Kopf härter ist, wie die Eisenberge im Enare Traesk.

Es wäre überflüssig gewesen, etwas darauf zu erwidern. Marstrand überließ sich der Leitung seines Führers, der trotz der dichten Finsterniß rasch und sicher vorwärts schritt und keine Anstalt machte, sich Licht zu verschaffen. Er hatte ohne Zweifel seine Gründe dafür und der mißtrauische Gefangene errieth diese. Afraja wollte ihm jede Kenntniß über sein Gefängniß und dessen Aus- und Eingänge unmöglich machen. Er folgte geduldig und unterdrückte Fragen und Vorwürfe, denn was hätten diese ihm geholfen, da ein Messerstich oder ein Stoß hingereicht haben würde, ihn für immer los zu werden.

Lange Zeit wurde der Weg von Beiden schweigsam fortgesetzt, und danach zu urtheilen, mußten diese Gewölbe eine große Ausdehnung haben. Bald schienen es weite Hallen zu sein, bald enge Gänge. Ein paar Mal streiften Kopf und Schultern des Dänen an die niedrige Decke und dann wieder hörte er aus dem Schall, daß eine viele Klafter hohe Wölbung über ihm sei. Zuweilen tappte er aufwärts, um an anderen Stellen hinunter zu steigen, endlich aber glaubte er zu bemerken, daß der schlaue Lappe ihn denselben Weg öfter machen lasse, um ihn noch mehr zu verwirren, und erst als er annehmen mochte, es sei dafür genug geschehen, leitete er ihn durch einen schmalen jäh abwärts führenden Spalt, aus welchem Marstrand plötzlich ein scharfer Zugwind entgegen wehte. Gleich darauf erblickte er über sich einen Stern. Er athmete auf, Himmel und Luft hatten ihn wieder. Die Dunkelheit der Nacht war jedoch noch immer groß. 482 Zu beiden Seiten stiegen glatte Felswände auf, und bald wurde die Sohle der Schlucht, die sich fortgesetzt senkte, das Bett eines kleinen Wassers, dessen Rauschen man hören konnte, ohne es zu sehen. Endlich blieb nichts übrig, als in dies Gerinn hinabzusteigen und darin fortzuwaten, bis Afraja in einen anderen Spalt einbog und durch hohe Steine, Buschwerk, tiefe kleine Thäler und verwachsene Schluchten endlich eines der moosigen und sumpfigen Fjelder erreichte. Hier drang das erste Morgengrau durch die Finsterniß, aber vergebens suchte Johann zu errathen, wo er sei. Das Fjeld senkte sich wieder in das steile Thalbett einer Elf, und als eine neue Höhe gewonnen war, ließen aufsteigende dichte Nebel nichts erkennen. Es wurde Tag, doch diese Nebelwand ließ das Licht nicht ein. Grau und naß zog sie mit den Wanderern weiter, als habe Jubinal sie ausgesandt, um die Augen des Unfolgsamen mit Blindheit zu schlagen. Marstrand wußte nicht woher er gekommen war und wohin er gehe, und schon öffnete er den Mund, um eine Frage zu thun, als eines jener Wunder geschah, die man im Norden nicht selten schauen kann. Die Nebel trennten sich und verschwanden mit ähnlicher Schnelle, wie der Vorhang einer Schaubühne aufgezogen wird. Der Wind faßte die bleifarbigen Dünste, löste sie auf oder warf sie in die tiefen Einschnitte des zerrissenen Landes und plötzlich that sich dies auf und zeigte die hohen Alpen, und das rothglänzende Haupt des Kilpis; Felsenstirnen von langen röthlichen Schleiern eingehüllt und eine unermeßliche Menge großer und kleiner düstrer Jauren, Steinmassen und buschige von Sümpfen umringte öde Berggewinde.

Bei allem Schrecken dieser unermeßlichen Wüste sah sie dennoch in ihrem purpurnen Morgenkleide erhaben und schön aus. Am Himmel zog feuriges und blutig düsteres Gewölk, das seinen Widerschein in allen Färbungen auf Gräser und Blüthen, wie auf die Riesenköpfe des Gebirgs drückte. Wie Kriegs- und Feuersgluthen schien es an den Wänden des alten Göttersitzes aufzulodern, aber unheimlich mischten sich Schatten hinein, als werde ein schwarzes ungeheures Tuch aus dem Himmel herabfallend langsam über die Erde ausgespannt.

Von welcher Seite er hergekommen war und welches die Jaure sein könne, in deren Höhlen es ihm so seltsamlich ergangen, konnte Johann aber auch jetzt nicht herausfinden. Afraja hatte ihn so kreuz 483 und quer geführt und Nacht und Nebel hatten so gut mitgewirkt, daß er sich gestehen mußte, die Schatzkammer könne eben so gut wirklich der Kilpis sein, wie dieser jetzt mehrere Stunden entfernt ihnen gerade gegenüber lag. Der alte Häuptling führte ihn diesem Ziele nun zu, und noch immer schritt er schweifend voran, bis er plötzlich stillstand und auf seinen langen Stab gestützt in die Ferne horchte.

Wohin soll ich dir folgen, Afraja? fragte Marstrand.

Zu der, die dich erwarten wird. Hörtest du Nichts?

Nein, sagte Johann.

Es war ein Schrei, murmelte Afraja. Noch einmal! Hörst du noch Nichts?

Es war mir, als fiele ein Schuß, allein der Wind steht uns entgegen. Es kann Täuschung sein.

Eine der großen braunen Möven mit weißer Brust, die von den Fjorden bis an die Seen hinaufziehen, flog schreiend gegen den Wind her, umkreiste ihre Köpfe und schwang sich höher und höher, bis sie mit ihrem klagenden wilden Rufe wieder dieselbe Richtung nahm, aus welcher sie gekommen war. Der Lappe sah ihr eine Zeit lang nach. Wer schickt dich? sagte er dann. Bist du ein Bote Ayra's, des finsteren Gottes, der die Schlinge des Unglücks in seiner Hand hält, oder war es eine Seele, die mir ihren Scheidegruß bringt?

Marstrand wunderte sich nicht über diese Frage. Er hatte von dem Aberglauben der Lappen gehört, nach welchem die Seele eines einsam Sterbenden in den Leib eines Thieres fährt, um seinen Verwandten seinen Tod anzuzeigen, ehe Jubinal's Himmel sich ihr öffnet; allein er folgte unwillig, als er sah, daß Afraja, statt auf den Kilpis weiter loszuschreiten, dem Fluge des Vogels folgte und ohne sich an seinen Ruf zu kehren oder seine Vorstellungen zu beachten, einen sehr beschwerlichen Weg durch ein hoch aufsteigendes Fjeld voll Geröll und Blöcken nahm. Alle Lappen sind rüstige und ausdauernde Fußgänger, und selbst mit schweren Lasten klimmen sie leicht die steilsten Höhen hinauf. Oefter schon sah Johann, daß diese anscheinend schwächlichen Männer es darin den stärksten Küstenleuten zuvorthaten, und auch diesmal fand er, daß der alte Mann rüstiger und gelenkiger war, wie er selbst. Er fühlte sich ermüdet, abgemattet, von den nächtlichen Abenteuern und der mehrstündigen Wanderung erschöpft, hungrig und 484 durstig, während Afraja's Kraft sich verdoppelt zu haben schien, so rasch eilten seine Füße über die scharfen Steine.

Wohl eine Stunde verging. Es war völlig Tag geworden, Afraja hatte einen großen Vorsprung gewonnen und verschwand auf der Höhe des Fjelds, während sein verdrossener Begleiter sich die besten Stellen zur Nachfolge suchte. Als er endlich oben stand, war Niemand zu sehen. Gewaltige Trümmer und Rollsteine, die vor Jahrtausenden von einem zerstörenden Naturereigniß oder von Pekel's Riesen hier umhergestreut wurden, bedeckten diese weite Hochebene. Düstre, verwetterte Massen aus Sumpf aufstarrend oder seltsam über einander geworfen, hier eingesunken in zermalmten Schutt, dort auf die Spitze gestellt oder über einander gelehnt hemmten seinen Weg. Bleiches Grün, Flechten und Moose, klammerten sich um ihre Füße und Rücken, doch wohin irgend ein belebender Lichtstrahl drang, hatte er den Halm aufgeweckt und Wurzeln in den dürren Stein geschlagen.

Als Johann eine Zeit lang vergebens nach seinem Begleiter umhergesehen und gerufen hatte, glaubte er dessen Spur in dem weichen Boden zu erkennen, der die Gasse zwischen den nächsten Steinlagern füllte. Er ging darin fort, kletterte über ausgewaschene Blöcke und stand plötzlich vor einem kleinen Grund, in dessen Mitte Afraja saß und eine menschliche Gestalt betrachtete, die ausgestreckt vor ihm lag. Das war der Platz, wo kurze Zeit vorher Mortuno geendet hatte; Johann stand auf derselben Spitze, wo vor weniger als einer Stunde Paul Petersen stand.

Als er in das blutige Gesicht des Todten sah, stieß er einen Schrei des Entsetzens aus. Wer konnte ihn erschlagen haben? Wer hatte diese That vollbracht? Wie kam Mortuno hierher?! – Sein zersplitterter Schädel, das Blut, das eine Lache bildete, und der rund umher zertretene Boden bewiesen, daß Kampf und Tod auf dieser Stelle erfolgt sein mußten.

Eine Ahndung kam über ihn, aber er mochte sie nicht aussprechen. Afraja's Gesicht war ernst und würdig, sein Schmerz mußte groß sein; doch er wußte ihn zu tragen. Während er den Leichnam betrachtete, schien er in Nachdenken versunken, bis er zuletzt nach der Sitte seines Volkes eine Todtenklage zum Lobe des Geschiedenen begann.

485 Da liegst du, sagte er, und gestern noch sah ich dich so froh und leicht über die Haide gehen, wie der junge Hirsch, wenn die Morgensonne ihn weckt. Wer hatte Füße wie du, wer hatte Augen wie du, wer hatte dein Herz voll Muth und Treue? O! Mortuno, warum bist du von uns gegangen, warum hat Jubinal dich nicht behütet?! – Wehe über meinen alten Kopf! Wehe über deine Wunden! Weinen wird über dich, wer Thränen hat; deine Thiere selbst werden Thränen vergießen, nur deine Mörder werden sich freuen. Fliege, Seele, fliege in die Arme Jubinal's, er wird dich in den ewig blühenden Garten führen, wo seine Töchter dich umringen, aber sorge nicht – sorge nicht – die dich schlugen, werden geschlagen sein; ihren Leib sollen Schlangen verzehren, ihre Seelen sollen Eis werden!

An wen denkst du? Wer soll es sein? rief Marstrand.

Afraja erhob sich und deutete auf die Spuren verschiedener Füße. Sieh' hier, sagte er, das waren Männer, die feste Sohlen an ihren Stiefeln trugen, und hier erblickst du Hufe von Pferden. Es waren zwei Pferde und drei, vier Männer. – Er blickte aufmerksam hin, verstummte, stand auf und bückte sich. Dann ging er auf das Felslager, betrachtete es und sah die Blutstropfen an, welche den Stein benetzten. Mortuno schoß, murmelte er, aber sein Kopf war schwer. Noch einmal kehrte er zu der Leiche zurück, und nach ihrer Lage schien es ihm gewiß zu werden, daß die tödtliche Kugel von einer anderen Seite kam.

Nun lief er nach dem Felsstück, hinter welchem Olaf gezielt, hatte, und plötzlich nahm er etwas auf, das im Winkel lag. Es war ein kleines blaues, mit rothen Fäden gesticktes Tuch; auf der Stelle erkannte er, wem es gehört hatte. Der Stab fiel ihm aus den Fingern, er hielt den Fetzen mit beiden Händen vor sich ausgestreckt, gedankenlos, stier und als könne er nicht glauben, was seine Augen sahen.

Da bellten Hunde an der Elf, und aus der Tiefe ihrer Schlucht sprangen Männer in braunen Kitteln. Die Hunde heulten laut, wie sie an dem alten Häuptling aufsprangen, als wollten sie ihm Unheil verkündigen; die Männer sahen wild und entsetzt aus.

Guter Vater! schrie der vorderste, was ist geschehen – o! was ist geschehen!? Deine Gamme ist leer, deine Tochter haben Räuber 486 genommen. Alles liegt zerschlagen, das weiße Thier, das Gula's Freude war, hat ein Messer gestochen. O! wehe, wehe! was sollen wir thun?

Da brach Afraja's Muth zusammen. Seine Fäuste ballten sich und streckten sich in ohnmächtiger Wuth zum Himmel. Hohn, Grimm und Verzweiflung malten sich in seinem Gesicht. Seine Augen wurden groß und flammend, seine Lippen zitterten, er konnte keine Worte finden. – Verflucht ihr Alle! kreischte er endlich. Verflucht in deinem Himmel! Verflucht auf deinem Wolkenthron! Verräthst du dein Geschlecht, falscher Jubinal, so helft mir, die ihr im Erdfeuer wohnt! – Er stieß einen wirren Schrei aus, fiel mit dem Gesicht zu Boden und faßte mit seinen Händen in Stein und Staub.

Was halfen da Trostworte und Klagen. Endlich hob ihn Johann auf, der alte Mann schien in einem fast fühllosen Zustande zu sein. Er antwortete auf keine Anrede; seine Diener trugen ihn dem Kilpis zu. Andere verfolgten mit ihren Hunden die Spuren der Räuber. Marstrand schloß sich voll Zorn und Abscheu ihnen an.


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