Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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21.

Als es mitten in der Nacht war, standen in den Steinen der Saita mehrere Männer, die sich leise unterredeten.

Wir werden ohne Zweifel den Hals brechen, sagte der eine, der Paul Petersen war, und ich wollte, Egede bräche ihn zuerst, so kämen wir vielleicht mit einem Arm- oder Beinbruch davon.

Wo ist er geblieben? fragte Olaf.

Er ist dort am Felsen hinuntergeklettert, antwortete Paul, weil sein Hund, oder sein Teufel ihn dazu antrieb und ihm den Weg zeigte. Da kommt er. Bist du es, Egede?

Ja, ja, Herr, flüsterte der Quäner. Eine wichtige Entdeckung. Stufen führen hinunter, unten ist eine weite Höhle durch die der 462 Wind pfeift. Der Hund zog mich an der Leine fort, ich folgte ihm, endlich hörte ich Bäume und Wasser rauschen. Da stand er still und knurrte; ich kehrte um.

Es muß das Thal sein, das du gesehen hast, Olaf, sprach der Schreiber. Hinter der steilen Wand muß es liegen, sagst du, und gerade da, wo man allein hinüber kann, hat Afraja sich mit seinen klaffenden Hunden und dem ganzen Gesindel festgesetzt. Ich will meinen Kopf wetten, daß die Prinzessin da unten steckt.

Björnarne, der auf dem Opfersteine saß, stand auf und sagte: Geh' voran, die Zeit eilt.

Mein guter Junge, lachte Paul, indem er ihn festhielt, du kommst früh genug dazu, entweder deinen Kopf selbst zu zerschlagen oder ihn dir zerschlagen zu lassen. Steh' also ein paar Minuten still und laß uns überlegen. Es ist möglich, daß dies ein geheimer Eingang in die waldige Schlucht ist, von der wir vermuthen, daß der alte Schlaukopf dort sein geraubtes Töchterchen verwahrt, es ist also möglich, daß wir sie finden, aber es scheint mir nicht glaublich, daß sie, ohne von Drachen und Hexen und anderen schrecklichen Geschöpfen umringt zu sein, allda in Frieden schläft, und wäre es auch nur, daß vielleicht der liebliche Mortuno mit einigen andern jungen galanten Herren an ihrer Schwelle lagerte, so könnten wir gewiß darauf rechnen, durch ein paar unangenehme Löcher unsere Hüte oder Röcke verderben zu sehen.

Weshalb sind wir hierher gekommen, wenn wir uns fürchten wollen? antwortete Björnarne. Ich will es auf jeden Fall versuchen.

Nach kurzem Kriegsrath ward der Beschluß gefaßt, eine nähere Untersuchung anzustellen und als sie glücklich die tiefe Schlucht erreicht hatten, fanden sie bestätigt, daß dort ein Gang durch die Felsen führe. Bald hörten sie, was ihr Führer gehört hatte; sie standen an dem Ausgange und unter ihnen fuhr der Wind durch Baumwipfel, Wasser rauschten, der dumpfe Lärm der Kaskaden tönte zu ihnen her.

Nach einer neuen Berathung blieb Olaf in einer tiefen Ecke des Gewölbes stehen; seine Hand lag am Gewehr, Ohren und Augen hielt er nach allen Seiten offen. Die Andern kletterten über den Schuttsturz hinunter, bis sie auf die Sohle des Thales und an den polternden Bach gelangten, wo Egede's Spürhund nicht recht zu 463 wissen schien, was zu beginnen sei, denn sowohl nach links wie nach rechts hin schien er Verborgenes zu wittern.

Der Himmel war mit weißlichen Dunststreifen bedeckt, durch welche an verschiedenen Stellen die Sterne sichtbar wurden und mitten durch diese leichte Umhüllung des Firmaments huschte dann und wann ein falber, krauser Schein, der wie eine Locke zusammengeringt im nächsten Augenblick feuriger zusammenzuckte und auseinander flatternd mit Gedankenschnelligkeit verschwand. In dem matten Blitzen ließen sich zuweilen die waldbewachsenen Wände des Thales erkennen, sammt dem Felsenwalle, welcher dies zu verschließen schien, und Petersen flüsterte lächelnd: So ist dies Teufelsfeuer doch wenigstens dazu gut, uns zu zeigen, wo wir sind. Es muß ein liebliches Plätzchen sein; dort hinauf dürfen wir nicht, da müssen ihre Gammen stehen.

Sie schlichen vorsichtig zur Linken an dem Bache fort und als ein helleres Leuchten über das Thal zuckte, sagte Paul: Was ist das? Es war mir, als sähe ich eine Hütte, ein Haus mit Fenstern. Bei Gott! da steht es noch einmal. – Der röthliche Schimmer fiel auf die leuchtende Birkenrinde, sie sahen es alle deutlich, dann verschwand es. Es war, als habe eine dämonische Macht ihnen den Weg zum Bösen zeigen wollen, denn das Nordlichtzucken hörte auf.

Vorsichtig folgten die drei Männer den Windungen des Wassers. Egede hielt seinen Hund fest, der ein leises Knurren hören ließ, so schlichen sie über den Grasplatz und standen vor der Hütte still, in welcher sich nichts regte.

Wer mag darin sein? murmelte Paul. Nichts!

Fühlt her, wie sein Haar hoch steht, sagte der Quäner, der die Hand auf Hals und Rücken seines Hundes legte. Lappen schlafen darin – Afraja! Mortuno! Ich will sie wecken.

An der linken Seite hing ihm in der Lederscheide sein Messer, das er leise lachend herauszog und horchte.

Narr! sagte der Schreiber, Afraja schläft in keinem Hause von Holz; ist jemand hier, so ist es Gula. Für diese zarte Schönheit haben sie den Palast gebaut.

Zu gleicher Zeit hielt er Björnarne fest, der seine Hand nach der Thür erhob. Steh' still, wenn du nicht Alles verlieren willst, fuhr 464 er flüsternd fort. – Hier ist die kleine Laterne, hier die Zunderbüchse; mach Feuer, Egede, du verstehst es am besten.

Der Quäner vollzog den Befehl mit größter Gewandtheit. In einem Augenblick brannte der Schwefelfaden und mit der Klappe wurde der Lichtschein der Laterne so gut zugedeckt, daß nur ein schmaler Streif auf die Thür fiel, die weder Schloß noch Riegel hatte. Ohne Widerstand drehte sie sich geräuschlos in den Schlingen von Birkenruthen und mit der aufgehobenen Leuchte in der Hand trat Paul herein, dicht gefolgt von seinen Gefährten. Er ließ den Schimmer umherfliegen und seine Augen flogen ihm nach. Da war der Herdstein, da stand ein Tisch mit Geräthen, da Kasten, aber plötzlich streckte er schweigend den Finger aus und deutete auf eine Ecke, wo aus Kissen und Fellen eine Lagerstätte bereitet war, auf welcher ein menschliches Wesen sanft und fest schlief. Der Lichtblitz lief über dunkles, lang aufgelöstes Haar, der Kopf ruhte auf einem Arm, so daß das Gesicht nicht gesehen werden konnte, der andere Arm streckte sich über den weichen Luchspelz aus und schimmerte fein und wohlgeformt. Wer es war, ließ sich nicht verkennen und wenn ein Zweifel noch gewesen wäre, so wurde er augenblicklich beseitigt, denn Gula, vielleicht durch das Licht beunruhigt, oder von einem ahnenden Gefühl gefaßt, drehte sich um und schlief weiter.

Bei ihrer Bewegung hatte Paul die Laterne gänzlich geschlossen. Nach einigen Minuten öffnete er sie wieder, hielt sie so, daß der Schein nicht auf Gula fiel und blieb stehen, als er sah, daß Björnarne sich dem Lager nahte, daran niederkniete, sich auf seine Hände stützte und die Schlafende betrachtete.

Ein unermeßlicher Hohn erfüllte sein Gesicht. Björnarne war bleich und abgemagert, aber in diesem Augenblick war er roth vor Aufregung und seine Augen glänzten vor Freude und Hoffnungen. Da lag sie vor ihm, leise athmend und wie sein Hauch sie berührte, lächelten ihre Lippen und die schwarzen, kühn gebogenen Brauen zogen sich aufwärts, als erblickte sie einen Gegenstand, der ihr Entzücken erregte. Ein Zittern lief durch Björnarne's Herz. O! wie schön war sie! Ihre kleinen weißen Zähne glänzten ihn an, muthwillig zogen krause Fältchen sich aus ihrer Stirn zusammen, er sah sie wie in den frohsten, schönsten Tagen seines Lebens, wenn er Abends 465 heimkehrte und sie aus der dunklen Ecke ihm entgegen sprang, um ihn zu erschrecken. Bebend von seinen Erinnerungen und hingerissen von seinen Empfindungen faßte er die Hand, die vor ihm lag, zugleich sagte Paul mit gedämpfter aber doch lauter Stimme, in welcher sein verhaltenes Gelächter hörbar war: Küsse sie wach, du verliebter Narr, denn wir haben keine Zeit zu verlieren!

Er begleitete seine Worte mit einer raschen Wendung der Laterne, deren volles Licht er jetzt auf die arme Verrathene fallen ließ.

Die Wirkung erfolgte augenblicklich. Wie von einem elektrischen Funken getroffen, zuckte Gula zusammen und saß im nächsten Augenblicke aufrecht. Ihr Haar flog zurück, ihr Auge fiel auf Björnarne und damit zugleich schallte die Hütte von einem gellenden entsetzlichen Schrei.

Stopf' ihr den Mund! rief Petersen und Egede schleuderte ihr eine der Decken über den Kopf, warf sie nieder und griff mit seiner mörderischen Faust ihr nach der Kehle. Ehe jedoch Björnarne ihn davon zurückhalten konnte, erhielt Jener von der andern Seite einen so gewaltigen Stoß, daß er köpflings zu Boden stürzte und über ihm richtete sich ein weißer Kobold auf, der unter seltsamem pfeifenden Grunzen mit außerordentlicher Schnelligkeit auf ihm herumschlug und trat. – Es war Gula's Rennthier, das aus seinem Winkel aufgesprungen, seiner unglücklichen Herrin Beistand leistete und einige Minuten lang geschah dies in wirksamster Art ganz in der Weise, wie Rennthiere in ihrer Wuth es machen, die mit dem Kopf den Angegriffenen niederrennen und mit den Füßen auf ihn loshämmern.

Egede war so erschrocken, daß er lautlos still lag; sobald er aber seinen Gegner erkannte, war auch sein Messer dem getreuen Geschöpf durch die Rippen gefahren, das sogleich von ihm abließ, sich umwandte, an Gula's Lager wankte und ohne einen Laut zu thun, auf seine Vorderfüße zusammensank.

Höre mich an, Gula! sagte Björnarne. Du sollst mich hören, ich bitte dich. Sei ohne Furcht, ich bin es ja, Björnarne, dein Freund. Liebe und Frieden über dich, Niemand will dir ein Leid thun!

Blut! Blut! schrie das arme Mädchen, die den fürchterlichen Quäner und das sterbende Thier ansah.

466 Wechselbalg! murmelte Egede grimmig, sei still oder ich schneide dir den Hals ab.

O! habt Erbarmen, Erbarmen! rief Gula auf ihren Knieen, dann stieß sie einen neuen durchdringenden kläglichen Schrei aus, der damit endete, daß sie mit derselben Heftigkeit: Johann! Johann! Johann! schrie und einen Versuch machte, sich von Björnarne zu befreien.

Mach' ein Ende, sagte Petersen hervortretend, wenn es mit uns kein Ende nehmen soll. Dies Geschrei muß ein Lappenohr auf eine Meile hören. Willst du still halten, Schätzchen, oder soll Egede seine sanften Finger an deine Kehle bringen? Zieh die Jacke an, rasch! Das Tuch hier um den Mund, die Hände auf den Rücken. Vorwärts! Und wenn du einen Laut von dir gibst – Egede! greif an ihren Arm und halt dein Messer bereit.

Aber Gula schien die Stimme und jede Macht zum Widerstande verloren zu haben. Sobald sie die Gegenwart des Schreibers bemerkte, war ihr Blut zu Eis geronnen. Ein Schauder ging durch ihr Herz und eine entsetzliche Angst trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Sie warf einen unaussprechlich flehenden Blick auf Björnarne, allein ihr Hülfsschrei: Johann! hatte diesen so mit Wuth und Haß erfüllt, daß er regungslos mit geballten Fäusten und wilden Mienen zusah, wie Paul und Egede ihre Arbeit verrichteten. In der allerkürzesten Zeit war das Mädchen in den Kleidern, gebunden und ihr Mund verstopft.

Nichts regte sich draußen. Petersen horchte hinaus, kehrte noch einmal um, und leuchtete durch die Hütte. Das sterbende Rennthier machte einen letzten Versuch, sich aufzurichten, um seiner Herrin zu folgen, es war vergebens. Der Strahl der Laterne fiel in seine sanften stillen Augen, und Paul flüsterte spottend: Nehme sich doch jeder ein Beispiel an diesem verständigen Geschöpf, wie man sich in Unvermeidliches finden und mit Anstand selbst sterben kann. Ein Rennthier mit der Wunde im Herzen klagt niemals unnützer Weise, so mache denn auch du keinen Versuch dazu, später weine oder schreie so viel du willst, mein Wort darauf, du sollst volle Freiheit dazu haben. Während er dies sagte, untersuchte er die Kasten und was er fand, setzte ihn in Erstaunen. Es lagen Waffen in dem einen. Mehr als zwei Dutzend kurze Büchsen, alle im guten Stande und neu. In 467 dem andern fand er zwei Fäßchen gefüllt mit Pulver und eine Anzahl Bleibarren. Die Pulverfässer trugen Marstrand's Namen und Paul starrte sie einen Augenblick an; schnell rief er Egede, der sie nehmen und in den Bach werfen mußte, und als dies Alles schnell geschehen war, schloß er die Blendlaterne. Er ging voran, dann brachte der Quäner die Gefangene, Björnarne folgte hinterher. Olaf stand unter dem finstern Bogen und wurde von dem glücklichen Erfolg benachrichtigt. Er selbst hatte Nichts gehört und Nichts gesehen und betrachtete ziemlich gleichgültig Gula's bleiches, entsetztes Gesicht, als der Schreiber dies beleuchtete.

Was sollen wir nun mit ihr beginnen? fragte er.

Das wirst du bald hören, mein guter Junge, antwortete Paul. Vor der Hand ist nichts nöthiger, als so schnell wie möglich zu unsern Pferden zu kommen. Du hast sie doch sicher versteckt, Egede, und kannst sie wieder finden?

Sicher, Herr, sagte der Quäner. Ihre Füße sind gefesselt und so leicht wird weder Wolf noch Bär sie besuchen.

Dann fort mit uns! Zwei Stunden haben wir vollauf zu thun. Wenn der Morgen anbricht, muß das Püppchen im Sattel sein, es hat zarte Füße. Trage sie die Stufen hinauf.

Egede hatte keine Lust zu diesem Dienst. Sie kann gehen, sagte er rauh. Die Brut aus solchem Neste kommt mit gebundenen Flügeln fort.

Er stieß sie vor sich hin, aber Björnarne gab ihm sein Gewehr, hob selbst das Mädchen auf und trug sie schweigend die Felsentreppe hinauf, bis in die Saita Jubinal's.

Von hier ab ging es an der schroffen Wand hinunter, dann mußte der See eine Strecke lang durchwatet werden und endlich durch Sümpfe und Büsche, dehnte sich die wilde Hochebene aus, von zahllosen Quellen und Bächen durchzogen und von Jauren und zerklüfteten Felsmassen unterbrochen.

Nach der Rast weniger Minuten nahm Björnarne nochmals die Last auf seine Schultern. Ihr leichtes Sträuben war bald überwunden. Es war, als wollte Gula das Band zerreißen, das ihre Arme fesselte, und wie sie sich an dem Opferstein niederwarf, kamen 468 die dumpfen Worte unter dem dicken Tuche hervor: Jubinal! Allvater! Hilf, o hilf mir!

Haha! lachte Paul; da der Herr Johann nicht helfen kann und der Herr Jesus auch keine Lust dazu zeigt, so soll es nun der Herr Jubinal thun. Pfui, du kleine Heidin, schäme dich und werde verständig. Suche dich nicht an dem verdammten Opferstein festzuklammern. Reiß' sie los, Björnarne, und kehre dich an kein Gewimmer. Verwünsche uns so viel du willst, du Hexe, ich sage dir, Björnarne will Nichts als Liebes und Gutes und deinen rächenden Jubinal lachen wir aus.

Von der Höhe des Kilpis ließ sich ein Krachen hören, ein dumpfer Donner folgte nach; dann fuhr ein Windstoß heulend um die Zinken und Zacken des Gebirgs und unten brauste der See.

Ruf' den Teufel und die Gespenster nicht wach, sagte Olaf.

Thor, so lang du bist! spottete Paul. Es war Nichts als ein Stein, der von oben herunter in's Wasser stürzte, oder meinst du, Jubinal sei aufgewacht von diesem Jammer, habe sein Kopfkissen zurecht gerückt und sich die Nachtmütze über die Ohren gezogen? Eine Feder ist aus dem Kissen gestäubt, die hat den Spektakel gemacht. Jetzt hierher, Björnarne, halt' dich fest an mich. Niemand ist würdiger wie du, diese Prinzessin Tausendschön durch Fels, Wald und Wasser vor der Sünde zu erretten. Sorge dafür, ihr ein besseres Christenthum beizubringen. Wehe über den frommen Klaus! Was wird er sagen, wenn er einst hört, daß sein Schäfchen, das so gläubig blöckte, in seiner Noth zum goldenen Kalbe betete.

So spottete er weiter, obwohl seine Gefährten Nichts dazu sagten.

Die steile Wand war ohne Unfall zurückgelegt, bald ging es durch See und Sumpf und endlich durch das zerrissene Land so rasch und schweigsam wie möglich. Björnarne ließ seine Geliebte nicht los; er trug sie stundenlang mit der zähen Kraft eines Mannes, der große Beschwerden zu bestehen gewohnt ist und dem eine fieberhafte Erregtheit den Willen stählt. Endlich schien durch die graue Färbung des Himmels ein Licht zu dringen, vor dem die Dunkelheit der Nacht unmerklich zerfloß. Einzelne Spitzen und Felsgruppen ragten erkennbar aus der unwirthlichen Oede hervor; dann tauchte zur Seite eine lang hinlaufende, nackte und zackige Masse auf und als Petersen sich 469 umwandte, sah er den ungeheuren, roth funkelnden Kopf des Kilpis aus Wolken und Nebeln treten.

Dort liegt die Pitsasjaure, rief er aus, und hier herum in dem Grunde müssen unsere Pferde stecken. Jetzt setze dein Schätzchen endlich ab und ruhe aus von der süßen Anstrengung, Egede wird ihr einen vierbeinigen Träger schaffen.

Aber Egede folgte dem Gebote nicht. Er stand still und horchte, denn sein Hund, der bisher folgsam an seinen Fersen gewesen war, streckte die Nase in die Luft, murrte und zeigte seine Zähne.

Was ist das? sagte Paul. Ist das Teufelsgesindel uns auf den Fersen? Fort mit Euch hinter die Steine! Die Pferde her, du Maulaffe! Suche sie auf, so schnell du kannst. Sieh da, wahrhaftig, – nein, ich täusche mich nicht – Mortuno, so wahr ich lebe! Komm' heran, mein lieber Mortuno. Bei Gott! Er ist allein, ich sehe keinen Anderen. Er hat sich nicht Zeit gelassen und läuft wie ein junger Luchs. Wir müssen ihn lebendig haben, wenn es sein kann. Sollte er aber ungezogen werden, dann, Olaf, denke an das Loch in deiner Mütze.

Paul Petersen stand auf einem freien Raum, hinter welchem ungeheure Steinblöcke zerstreut umher lagen. Ein Arm des Snibotjoks, der von der Jaure herunterkam, wand sich durch dies Labyrinth rauschend und polternd in einem tiefen Bette. An dem Rande dieses Wüstenflusses war eine menschliche Gestalt sichtbar geworden, die sogleich in der Tiefe verschwand, bald darauf aber auf der entgegengesetzten Höhe zum Vorschein kam und wirklich kein Anderer war, als Afraja's Neffe. Er lief gerade auf den Schreiber los und dieser machte sich bereit, ihn in Empfang zu nehmen, doch dreißig Schritte von ihm stand der Lappe plötzlich still und suchte Athem zu schöpfen.

Wie? schrie Paul, bist du es, mein süßer Freund, der uns in frühster Frühe aufsucht? Wo hast du deine Mütze gelassen und wie sehen deine Komager aus?

Wo hast du deine Brüder? Wo hast du sie? rief Mortuno.

Komm' her, ich will sie dir zeigen, sagte Paul. Setze dich zu uns, unser Feuer soll dich wärmen.

Wo hast du Gula gelassen? fuhr der Lappe fort, indem er seine Büchse aufhob.

470 Ist dir dein Schätzchen davongelaufen, du armer Junge? antwortete der Schreiber. Suche sie dir, ich will dir helfen.

Falscher Mann, du hast sie gestohlen! schrie der Lappe. Gib sie heraus! Wo ist sie?

Hier! Mortuno, hier! Was du für ein närrischer Junge bist und wie schrecklich du deine Augen verdrehst. Gula hat uns selbst eingeladen, sie hat uns Nachricht von ihrem Aufenthalt gegeben, wie hätten wir sie sonst auffinden können? Ihr innigster Wunsch ist wieder bei uns, bei ihrem Wohlthäter Helgestad und bei ihrem Freund Björnarne zu leben. Wie kannst du darüber so böse sein?

Du lügst! schrie Mortuno. Ein Geschrei hat mich aufgeweckt; ich habe das Thier gefunden, Gula's treues Thier, das du gemordet hast. Wohin dein Fuß tritt ist Blut, wohin dein Auge sieht, verdorrt Gras und Blume.

Ich habe es immer gesagt, lachte Paul, indem er langsam sein Gewehr aufhob und den Hahn spannte, daß du ein Poet bist, und du hast mir einen Gesang versprochen. Den will ich jetzt haben, mein guter Junge, oder ich will dich anders singen lehren. Rühr' dich nicht, ich bitte dich darum, denn so wie du den Arm aufhebst, so wie du eine Bewegung machst, gibt es ein Unglück. Heda, Egede, Olaf! geht zu ihm und reicht ihm Eure brüderlichen Hände.

Indem er dies sagte, hörte Mortuno einen gellenden Schrei. Er stand der Büchsenmündung des listigen Schreibers gegenüber, der auf ihn angelegt hatte, und zweifelte nicht, daß die geringste Bewegung ihn niederstrecken würde. Bei dem Schrei jedoch rollten seine Augen nach dem Steine hin. Er sah Gula nicht, aber es war ihre Stimme, und mit Blitzesschnelle duckte er sich zusammen, machte einen Sprung dem Versteck entgegen und drückte seine unbehülfliche Waffe in demselben Augenblicke auf Paul ab, wo die Gefangene zwischen den Steinen hervor ihm entgegen lief. Paul schoß mit einem Fluche nach dem Lappen, der jedoch ohne Zweifel unverletzt geblieben wäre, hätte nicht fast zugleich noch ein Schuß geknallt, welcher besser traf. – Mortuno stürzte lautlos nieder und Gula warf sich über ihn hin, ohne einen weiteren Versuch zur Flucht zu machen, die nicht gelingen konnte, denn Björnarne war dicht hinter ihr und Olaf sprang mit seinem rauchenden Gewehr an ihr vorüber. Aber Alle blieben stehen, 471 und selbst Paul, so boshaft und unrührbar er war, sagte kein freches Wort, als er das arme Kind an der Seite des unglücklichen Jünglings knien sah. Sie hatte ihm das Haar zurückgestrichen; ein paar kleine blutige Rinnen liefen über seine Stirn. So blickte sie in seine starren, gebrochenen Augen, ihre zitternden Hände auf seinem Kopf, und plötzlich schien ihr eine Hoffnung zu kommen. Der Körper regte sich, die Füße zuckten, als wollte er sich aufrichten; es war, als gewönnen seine Blicke noch einmal Leben und Verständniß.

O! wache auf, rief sie ihm zu; hörst du mich, Mortuno, hörst du mich? Hat mein Ruf, den du über Seen und Wolken hören wolltest, keine Macht an deinem Ohr?

Der Sterbende that seine Augen noch einmal auf und indem er sie tief und starr ansah, lag er als Leiche vor ihr.

Helft ihm, helft ihm! schrie Gula kläglich. Ihrem Schrei folgte ein Wimmern, als sie den Kopf an sich preßte und ihn aufzurichten suchte.

Warum habt Ihr sie schreien und laufen lassen, sagte Paul zornig. Wäre das nicht gewesen, so hätten wir ihn lebendig bekommen.

Sie hatte Björnarne flehentlich gebeten, ihre Arme loszuschnüren, antwortete Olaf, und wurde wie toll, als sie den Burschen hörte.

Sie wird ihn niemals mehr hören, murmelte der Schreiber. Einen guten Zoll tiefer hast du ihm seinen Meisterschuß durch deinen Hut zurückgegeben, das reicht hin für alle Zeit. Aber, wahrhaftig, fuhr er fort, indem er an seine Seite faßte, ich glaube, der Schelm hatte nicht allein dir den Hut, sondern mir Rock und Hemd verdorben.

Er merkte jetzt erst, daß Mortuno eine Kugel in seinem Lauf gehabt und als er in seine linke Seite faßte, brachte er die Finger blutig zurück.

Olaf sah hin und sagte dann: Die Haut ist fortgerissen; ein ziemlich langes Stück Fleisch und Fell sind verloren gegangen.

Wie kann man so niedrig rachsüchtig sein, spottete Paul, einem Menschen, der so wenig Fleisch übrig hat, noch dies Wenige verkürzen zu wollen. Jetzt aber müssen wir dieser Scene ein Ende machen. Da kommt Egede mit den Pferden, gib Acht auf sein liebenswürdiges Lächeln, wenn er den Burschen, den er so lange haben wollte, ohne 472 ihn je bekommen zu können, jetzt als einen stillen Mann vor sich sieht, der ihm nie wieder entspringen wird.

Hier trennt sich unser Weg, fuhr er fort. Ich muß geradeaus an den Lyngenfjord, wo morgen der Markt eröffnet wird, du wirst mit Egede und dieser betrübten Puppe linkswärts auf die hohe Jaure losziehen, die so eben im Morgenschein sich sehen läßt. Es ist die Reisajaure, hinter ihr liegt der Quänarnerfjord. Egede ist dort gut bekannt, er hat eine Art Vetter oder Freund an der Lachself wohnen, dessen Boot Euch zu Diensten steht.

Und dann? fragte Olaf.

Dann in Gottes Namen den Fjord hinunter und nach Loppen, wo wir vor der Hand das Schätzchen bergen wollen.

Du willst sie nicht mitnehmen? Nicht Helgestad geben?

Nein, sagte Paul, ich habe es anders überlegt und habe meine Gründe dafür. Erst muß der Markt vorüber sein. Brächten wir Gula dahin, es würde Lärm und Geschrei entstehen; morgen früh gäbe es keinen Stein in den Finnmarken, der nicht davon erzählte. Sie muß verschwinden, bis wir den alten Schelm in unserer Macht haben und je geheimer wir es halten, um so eher wird es geschehen.

Und Björnarne?

Ich nähme ihn am liebsten mit mir, antwortete der Schreiber, aber er wird nicht gehen wollen. Du mußt mit, Olaf, denn Egede würde dem armen Dinge den Hals umdrehen, ehe sie den Quänanger sähe. Björnarne aber muß wiederum dich bewachen, setzte er hinzu, damit die feurigen Augen der kleinen Hexe keinen Schaden anrichten.

Höre, erwiderte Olaf mit einem finsteren Blicke, ich bin kein Mann für deine Witzeleien. Ich habe den Burschen niedergeschossen, weil ich nicht anders konnte, weil er auf dich losbrannte und weil er es verdient hat, aber lachen kann ich weder darüber, noch über den Jammer und die Noth der Dirne. Alles Böse in dieser Sache fällt auf dich.

Kannst du nicht lachen, so weine meinetwegen, sagte Paul, im Uebrigen nehme ich alle Folgen auf mich. Wo hast du das Götzenbild, das der alte Schuft dir verkaufte?

In meiner Tasche.

473 Gut, verwahre es wohl. Jubinal wird trefflich für uns sorgen. Mond gibt es vollauf, der Himmel sieht danach aus. Zu meiner Hochzeit bist du jedenfalls wieder in Oerenäesgaard. Ilda würde den besten Tänzer vermissen, obenein da der galante Junker fehlt.

Der Nordländer fühlte etwas von dem Spott, der durch seine dicke Haut drang und seine bösen Leidenschaften reizte, aber er schwieg, denn eben schlug Egede ein wahrhaft höllisches Gelächter auf und verdrehte die Augen dazu, daß nur das Weiße zu sehen war.

Er stand jetzt vor dem Todten, gegen den er die Fäuste ballte, in die Luft sprang, in wahnsinniger Lustigkeit auflachte und eine Reihe der schändlichsten Hohn- und Schimpfworte ausstieß, die Mortuno nicht mehr hörte. Wohl aber hörte sie Gula, welche noch immer auf ihren Knieen leise betete und weinte, plötzlich aber aufstand und vor den Leichnam trat.

Schamloser Mann, sagte sie, wagst du es ihn anzusehen? So lange er lebte, hattest du Furcht vor ihm, solange er lebte, verachtete und verlachte er dich. Geh' und laß diesen Todten, dem du einst Rede stehen mußt vor Gottes Richterstuhl!

Die Würde und Gewalt ihrer Worte waren so überraschend, daß der Quäner davor erschrak, und obwohl er die Fäuste ausstreckte und seine Zähne fletschte, doch zurückwich, denn der Gedanke an Gottes Richterstuhl hatte wenigstens eine augenblickliche Wirkung hervorgebracht.

Bravo, kleine Moralistin! rief Paul, der alte Klaus hätte es nicht besser machen können. Zieh dich zurück, Egede, du hast genug bekommen und du, Björnarne, setze die Prinzessin auf das beste Pferd und macht Euch davon, oder willst du mich begleiten und Olaf die Sorge überlassen?

Ich selbst, kein Anderer, erwiderte Björnarne, sage meinem Vater was du willst.

Paul nickte ihm zu. Vorwärts also! rief er mit seinem falschen Lachen. Nimm sie hin und sei glücklich.

Wohin? fragte Gula zurückweichend und als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie fort: Wer gab Euch das Recht mich gewaltsam fortzuschleppen? Was habe ich gethan? Wo ist ein Gesetz oder Gebot? Als Räuber habt Ihr mich im Schlaf überfallen, Räubern gleich habt Ihr Blut vergossen. Antworte du, der du ein Richter sein sollst. 474 Schande über dich! Schande über Euch alle, daß ihr ein wehrloses Weib binden, schlagen und mißhandeln könnt.

Allerliebst, lachte der Schreiber, der alte Klaus hat Recht, sie hat etwas von ihres Vaters Geist. Wir wollen deine Fragen ein ander Mal beantworten; jetzt gib dich zufrieden und geh' mit Björnarne.

Wenn Ihr in Eurer Gewalt beharrt, sagte Gula, so führt mich zu Helgestad und Ilda. Dahin will ich, an keinen andern Ort. Habe ich einen Fehler begangen, als ich sein Haus verließ, so will ich ihm sagen, was mich dazu trieb. Ich bin jedoch frei geboren, Niemand hat ein Recht auf mich. Ihr Alle seid des Königs Unterthanen, auch für mich gelten die Gesetze. Strenge Befehle gegen deine Willkür, Schreiber, sind erst neulich angekommen. Glaube nicht, daß ich schweige. Ich werde Freunde finden, die mir beistehen.

Der Junker vom Balsfjord! schrie Paul.

O! daß er hier wäre! antwortete das arme Kind, indem es seine brennenden Augen nach allen Seiten ausschickte, du würdest zittern, wenn du seinen Schritt hörtest. Aber nein, fuhr sie fort, nein! Du würdest mit deinen grausamen Helfern ihn zu Mortuno legen, und dann lachen, wie du jetzt lachst. Bewahre ihn, Gott im Himmel! Bewahre ihn!

Die verliebte Hexe thut so, als könnte der tapfere Johann plötzlich aus Luft und Stein springen, sagte Paul. Zaubere ihn her, du verruchter Balg, wir wollen ihn würdig empfangen. Aber ich rieche keinen Schwefel und sehe Nichts.

Wenn Niemand dich sieht, antwortete Gula, Einer sieht dich. Wenn Niemand dich hört, Einer hält sein Ohr offen. Wenn Niemand dich findet, du schrecklicher Mann, Einer wird dich finden, ehe du es denkst.

Jubinal, oder dein feuriger Teufel, der garstige Pekel, oder du selbst, du kleine Schlange.

Allmächtiger Vater aller Dinge! sprach das Mädchen auf ihre Kniee sinkend und ihre Hände faltend und emporhebend, gib es nicht zu, daß er dich verspottet. Schütze mich, hilf mir, strafe ihn! Zeige ihm, daß du dich nicht verspotten läßt!

Zum Henker! rief Petersen, was steht ihr hier wie alte Weiber und hört dem Salbader zu! Verfluche mich so viel du willst, ich 475 habe dir die Erlaubniß längst gegeben. Doch jetzt legt Hand an, es ist hell geworden. Greif zu, Egede, wenn Björnarne es nicht kann. Aufs Pferd mit ihr und stopf ihr den Mund!

Björnarne stieß die griffige Faust des Quäners zurück und nahm Gula's Hand. Er sah sanft und niedergeschlagen aus, seine Augen waren scheu und unsicher. Komm, liebe Gula, komm mit mir, sagte er leise. Ich verlasse dich nicht, Niemand soll dich anrühren, du hast Nichts zu fürchten.

O, Björnarne! antwortete sie, ist es denn möglich, daß du bei diesen Männern bist? Erbarme dich meiner Noth, bringe mich zu meinem Vater, laß mich meinen Vater sehen. Lieber Björnarne, o! lieber, lieber Björnarne!

Sie sah flehend zu ihm auf, er stand bleich und stumm, aber an seiner Stelle rief Paul: Geh mit ihm, er bringt dich in's Paradies und setzt sich mit dir unter den Apfelbaum.

Ich kann dich nicht zu deinem Vater bringen, Gula, sagte Björnarne. Ich habe es geschworen.

Geschworen, Björnarne? Geschworen, Böses zu thun!

Gutes, murmelte er, ich kann nicht anders. Du sollst Alles hören; laß Trost in dein Herz kommen und glaube mir.

Und wenn er dich nicht tröstet, so schicken wir dir den Junker Johann, rief Paul.

O! er, schrie sie auf. Wenn er es wüßte, er stände bei mir. Wie schlecht seid ihr Alle, niedrig und schlecht. Johann! Johann! Zur Hülfe! zur Hülfe!

Sie wird wahnsinnig! schrie Petersen. Bist du ein Mann, Björnarne?

Björnarne's Gesicht glühte jetzt, Wuth funkelte in seinen Augen. Wie eine Feder hob er den leichten Körper auf, als wollte er ihn an einem der kantigen Steine zerschmettern. Aber in der nächsten Minute hatte er Gula auf den Sattel gesetzt und den Zaum ergreifend, lief er mit dem Pferde rasch durch das trümmervolle Fjeld der Reisajaure zu.

Egede sprang mit seinem Hunde voran und suchte den besten Pfad, Olaf folgte, und als sie ein Stück entfernt waren, bestieg Paul das andere Thier und klopfte befriedigt dessen Nacken. Los 476 wären wir sie, sagte er, und nun trage mich zu meinem Liebchen, alter Nik, damit ich heute Abend ein süßes Willkommen feiere. Er warf einen Blick auf den Todten, vor dem das Pferd zurückprallte. Bist ein Narr, Nik, ein todter Lappe beißt nicht; er ist gerade so viel werth, wie ein todter Normann. Lieben und erreichen, was wir wollen, das ist es. Und nun habe ich sie, Helgestad's Geld, Afraja, den elenden Dänen – ich habe sie Alle in meinen Fingern. Bei Jubinal und Pekel! Keine Macht soll diese Finger öffnen!

Er horchte auf, denn es war ihm, als hätte er fernes Geschrei gehört; dann trieb er sein Thier an, und da dies jung und gelenkig war, arbeitete es sich rasch durch Geröll und Gestrüpp, bis der Reiter über die moosbedeckten Fjelder am Snibotjok im vollen Lauf hinjagen konnte.


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