Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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10.

In den nächsten Tagen wurde die schöne Ilda beladen, wie es sich gehörte, alle Vorräthe in den ungeheuren Bauch gepackt, und endlich am Mast eine Anzahl Eisenbarren aufgeschichtet, die Helgestad gekauft hatte. Der Gildevorsteher war besonders froh gestimmt. Er theilte Marstrand heimlich mit, daß der dänische Windbeutel wirklich die Stadt verlassen habe, und wünschte ihm mit einem derben Fluche glückliche Reise. Am folgenden Abend gaben die Kaufleute den anwesenden Gaardherren und Capitainen einen Schmaus in dem alten Thurmsale, wo einst Christian der Zweite, dieser grausame Feind des Adels, der ihn dafür den Tyrannen nannte und im Kerker vermodern ließ, zuerst die schöne Dyveke gesehen und mit ihr getanzt hatte. Diesmal wurde aber nicht getanzt. Die Damen von Bergen hielten sich von diesem Feste fern, dafür wurde aber ungeheuer viel gegessen und bis in die Nacht hinein gezecht. Fandrem bediente seine Gäste mit solchem Eifer, daß er vor Mitternacht schon von Marstrand sich nach Haus begleiten ließ, der froh dem 209 wüsten Gelage zu entkommen, für seine Enthaltsamkeit Spott und Gelächter erndtete.

Helgestad kam erst, als der Morgen tagte, aber eine so unverwüstliche Lebenskraft lag in seinen festen Sehnen und Adern, daß er nach einer Stunde Schlaf schon wieder an seinen Geschäften war und nicht eher aufhörte, bis seine Yacht fix und fertig auf der Mitte des Hafens lag, alle Kabel gerollt, alle Segel in Ordnung, das ganze Fahrzeug bereit, zu jeder Stunde mit der Ebbe den Fjord hinab zu laufen.

Den Tag über hatten mancherlei Leute am Bord gearbeitet, Boote hatten Lebensmittel und Geräthe gebracht und endlich führte der alte Speculant Marstrand in die Kajüte und zeigte ihm deren neue Einrichtungen. Er hatte ein besonderes Kabinet darin erbauen lassen mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet, die damals zu haben waren. Ein Bett mit Vorhängen war in der Wand angebracht; ein Spiegel und ein Tisch, ein Teppich und ein artiger Schrank sammt mehreren weichen Lehnsesseln bildeten einen ungewöhnlichen Schmuck der schönen Ilda. Das rohe Holz war überall mit farbigem Baumwollengewebe behängt, selbst mancherlei Blumen und Zierrath hatte Helgestad nicht vergessen.

Nuh, sagte er, vergnügt mit dem Finger über seine Nase fahrend, soll Niemand sagen, daß es einem Nordländer an Geschmack fehlt. Will der stolzen Jungfrau zeigen, daß wir Leute sind, mit denen sich leben läßt, und wenn es ihrem Herzen wohlthut, soll Björnarne an seinem Hochzeitstage zeisiggrüne Hosen anziehen und einen rothen Rock mit Litzen, wie ein Junker am Hofe.

Er lachte auf, als er aber sah, daß sein Zögling nicht einstimmte, nahm er einen ernsteren Ton an und ersuchte Marstrand, heut' am letzten Tage seine Gedanken für sich zu behalten und ein frohes Gesicht zu machen. – Weiß es wohl, sprach er, daß Fandrem's Tochter Euch nicht gefällt und müßt' lügen, wenn ich besonderes Behagen an ihr hätte; habe jedoch die Sache nochmals nach allen Seiten überlegt und weiß gewiß, daß, was ich thue, recht gethan ist.

Ich will es wünschen, erwiderte Marstrand, aber –

Bleibt mir mit allem Aber fort, rief Helgestad, ihn unterbrechend, kenne die Weiber besser. Ihr seid ein feiner Herr mit 210 weißen Händen gewesen und habt in kurzer Zeit Lust an dem wunderbaren Leben in Klippen und Fjorden gewonnen, sie ist mit ihrem Blut daran gekettet. Macht Euch an sie, erzählt ihr davon und seht zu, ob sie es nicht gern hört. Ihr habt die ganze Reise über Zeit, Euch angenehm zu machen, wie es junge Herren gern thun. Möchte ungern, daß die Leute sagen, gezwungen hätte sie mein Haus betreten. Nun kommt, um zum letztenmale Fandrem's Brod zu essen und seinen Wein zu trinken.

Dazu war alle Aussicht vorhanden, denn als sie das Landhaus erreichten, hatte der Gildevorsteher den Tisch schon mit reichen Vorräthen besetzt und er selbst saß davor, doch keineswegs als ein überglücklicher Wirth mit lachendem Gesichts er schien vielmehr in tiefen Gedanken zu sein und aufzuschrecken, als er Helgestad's Stimme hörte. An der anderen Seite saß seine Tochter und zwischen Beiden lag ein Brief, den Hannah aufnahm und damit in's Haus ging.

Nuh, rief Helgestad, als er vor seinem Verwandten stand, Alles fertig zum Auslaufen, Uve, denke in der ersten Frühe meinen Anker aufzuheben. Warum geht Hannah davon?

Sie wird wiederkommen, sagte Fandrem. Wir haben Briefe von meinem Sohn, in drei Monaten spätestens wird er bei uns sein.

Calculire, antwortete der Nordländer, willst ihn künftig hier behalten?

Denke, bin alt genug dazu, um Hülfe zu verlangen, murmelte der Handelsherr. Er hat Sehnsucht nach seiner Schwester, schreibt ihr so zärtlich, wie ein Liebhaber, und macht mir allerhand Vorstellungen, sie gut zu halten und abzuwarten, bis er im Hause sei.

Marstrand hatte sich entfernt, die beiden Alten waren allein. Helgestad nahm seinen Glanzhut ab, wischte den Schweiß von seiner faltigen Stirn und kreuzte die Beine, während seine scharfen Blicke den Gildevorsteher musterten.

Nuh, sprach er dann mit dem Kopf nickend, denke, habe Alles begriffen und kann ein offenes Wort mit dir reden. Glaubst, Uve, daß ich nicht wüßte, was die Leute in Bergen sich in die Ohren flüstern? Habe davon gehört und weiß mehr noch, ist aber meine Sache nicht, mich um Dinge zu kümmern, die besser verschwiegen bleiben.

211 Was sagen die Leute in Bergen? Was wissen sie? rief der gereizte Mann.

Mag es nicht wiederholen, antwortete Helgestad ruhig, mag meine Hände nicht in Theer tauchen, wenn ich es lassen, kann. Ist aber ein Factum, Uve. Hannah muß fort, wenn Rede und Gelächter aufhören sollen.

Der kleine dicke Kaufmann stieß einen schweren Seufzer aus, ohne eine andere Antwort zu geben.

Merke nun aus deinen Worten, sprach Helgestad, daß Hannah sich an ihren Bruder gewandt hat und sehe deinem Gesicht an, der junge Herr hat ihr Recht gegeben. Ist eine üble Sache mit Kindern, Uve, die unter fremdem Volke vergessen lernen, was sich schickt. Wächst ein anderes Geschlecht jetzt herauf in der Welt, ist nicht mehr so wie zur Zeit, wo wir jung waren. Will das Ei klüger sein wie die Henne, kommt aber darauf an, ob ein Vater zu denen gehört, die ihr Haus in Ordnung halten und ihre Kinder Zucht und Sitte lehren.

Hast Recht, hast Recht! murmelte Fandrem.

Sollst wissen, fuhr Helgestad fort, indem er sich zu ihm beugte, daß Ilda wohl auch einen andern Mann lieben möchte, als den ich ihr bestimmt habe.

Fandrem wandte sich suchend nach Marstrand um, der in Begleitung Hannah's durch den Garten ging und blickte dann seinen Verwandten an, der ihm leise zunickte und seine grellen Augen listig zusammenkniff.

Habe meine Gedanken darüber gehabt, fuhr Helgestad fort, ist aber nie ein Wort über ihre Lippen gekommen und wird nie eines aus ihrem Herzen dringen. Was ich will, weiß sie, ist ein gesegneter Verstand in dem Kinde. Was bestimmt ist, findet sie bereit, habe nun die Brautringe hier in meiner Tasche, Uve, wenn ich an den Lyngenfjord heim bin, soll's keine vier Tage dauern, bis Ilda ihn an Paul Petersen's Finger steckt.

Muß so sein, wo des Vaters Segen kommen soll, sagte der Gildevorsteher salbungsvoll.

Hast Alles in deinen Händen, sprach Helgestad und magst thun, wie es dir Recht dünkt. Alte Freundschaft und Blutsbande, altes Versprechen sammt neuem Handschlag und Gelöbniß stehen rechts, deiner Kinder Willen links, mußt wählen zwischen beiden.

212 Denke, du kennst mich, antwortete Fandrem; habe mein Wort noch nie gebrochen.

Dann thu' wie ein Mann, sagte Helgestad. Hör' nicht mehr auf Winseln und Stöhnen wie ein Weib. Rufe sie her, will ihr sagen, was geschehen soll.

Fandrem schlug in die Hände und Hannah verließ ihren Begleiter, der ihr langsam folgte.

Tritt hierher, Mädchen! begann Niels, seine grobe Hand nach ihr ausstreckend, ist eine ernsthafte Sache zwischen uns. – Er eröffnete ihr mit dürren Worten, daß er um zehn Uhr an Bord gehen, und daß sie ihn begleiten müsse. Alles sei zu ihrem Empfang bereit und ehe der Tag dämmere, würde die Yacht den Signalthurm hinter sich lassen.

Einen Augenblick schien Hannah's Gesicht bleicher zu werden. Sie blickte ihren Vater an, der ihr zuwinkte und gewaltsam freundlich lachte. – Ist nothwendig und unerläßlich, Hannah, sagte er. Mußt deinem Bräutigam entgegen und kommst blühend zurück, wie eine Rose. – Haha! wie eine Rose; Niels. Fordere sie von dir zurück, wie eine Rose. Behüt dich Gott, Hannah, behüt dich Gott! Ist abgemacht, fest abgemacht.

Es hilft also nichts, Vater? fragte sie.

Es hilft nichts, Hannah, Alles zu deinem Glücke, Kind, Alles zu deinem wahren Glücke.

Und meines Bruders Bitten, meine Bitten, Vater, fuhr sie fort, ihre Hände aufhebend.

Es hilft nichts, Hannah! schrie Fandrem an seine Perrücke fassend. Hoffe, du wirst deines Vaters Willen ehren, wirst wissen, was sich für dich schickt.

Ja, Vater, das weiß ich, antwortete sie ruhig. Ich weiß, daß es vergebens sein würde, mich zu sträuben, und bin zu jeder Stunde bereit.

Ist eine Folge der guten Erziehung, grinste Helgestad. Hast deinen richtigen Verstand von Gott bekommen, pack also deine Schätze zusammen, Hannah, und fürchte dich nicht. – Will dich behüten, Mädchen, wie mein eignes Leben; bringe sie dir zurück, Uve, wie eine Rose, frisch und roth; soll kein Wurm ihr nahen, will ihn 213 zertreten. Wollen eine Reise machen, Hannah, an die du all dein Lebtag denken sollst. Feines Wetter und feiner Wind, ein feines Schiff und ein fein Kämmerchen darin; dazu auch ein feiner Herr, der geschworen hat, zu deinen Diensten zu sein, wie einer edlen Dame Kammerjunker. So schlage ein, Hannah, und laß uns die letzten Stunden froh genießen.

Froh genießen! schrie der Gildemeister. Froh und glücklich für alle Zeit!

Das hoffe ich, Vater, ja das hoffe ich, Vetter Helgestad, antwortete Hannah. Hoffe, unser Wiedersehen soll froher sein als der Abschied.

Da Fandrem sah, daß seine Tochter weniger Umstände machte, als er erwartete, ging sein Herz in Freude auf. Er zog sie in seine Arme, küßte sie, und sagte ihr allerlei Versprechungen und Tröstungen in's Ohr. – Es kommt mir hart genug an, sprach er dann wieder laut, dich von mir zu lassen, aber es muß so geschehen, und nun setze dich hier an meine Seite, Hannah, Alles soll vergeben und vergessen sein. Kommst mit Björnarne zurück und feiern deine Hochzeit hier. Gott soll mir die ewige Seligkeit versagen, wenn es nicht eine Hochzeit wird, wie sie niemals in Bergen gesehen wurde! Sollen Kinder und Kindeskinder davon erzählen, wie Uve Fandrem's Tochter unter Krone ging und wie er seine Gäste bewirthete, den Armen gab und Hospital und Kirche bedachte.

Was er zu thun gelobte und was geschehen sollte, gab Stoff zu vielen andern Ausrufungen und Betheuerungen. Inzwischen wurde ein langes Mahl gehalten, der Wein nicht gespart und unter Scherz und Lachen die letzten Abreden genommen. – Jungfrau Hannah hatte ihre Koffer im Voraus fast fertig gepackt, was Helgestad mit vieler Befriedigung bemerkte, und ihr noch ein Hochzeitskleid versprach, so schön und so theuer es irgendwo in der Welt aufzufinden sei. – Endlich kamen ein paar Nordländer von der Besatzung der Yacht, die Helgestad herauf bestellt hatte, und trugen die Reisekasten in's Schiff, zuletzt aber, als es ganz dunkel war, setzte der Kaufmann vom Lyngenfjord seinen Glanzhut auf den Kopf, und tippte Hannah auf die Schulter.

214 Nuh, sagte er, nimmt Alles in dieser Welt ein Ende und das ist das Beste daran. Komm denn, Mädchen, nimm dein Mäntelchen und gib dem Alten da die Hand. Sag' kein Wort weiter, gib ihm einen Kuß und deine gute Nacht, wie du immer thust. Bist in wenigen Monden wieder hier; thust dann, als kämst du von einer Lustfahrt in's Haus zurück.

Ist auch eine Lustfahrt, ist eine Brautfahrt, laßt es eine lustige Fahrt sein, schrie Fandrem. Alle Jahre muß ich dich haben. Kommst mit der ersten Reise zu deinem alten Vater, und bleibst bei ihm, bis Björnarne dich im Hochsommer wieder abholt. Das Alles schreiben wir in die Heirathspakten, Hannah, und jetzt geh, mein Kind, ich muß mich trösten wie ich kann. Wenn ich dich wiedersehe, wird er, der dich liebt, hier bei dir stehen, und will Euch Beide in meine Arme nehmen und so lange festhalten, wie ich kann.

Und deinen Segen für mich und ihn, flüsterte die Tochter, ihren Kopf an seine Brust legend.

Nimm ihn, Kind, nimm ihn auf allen deinen Wegen, antwortete Fandrem, seine Hände auf ihre Brust legend.

Helgestad unterbrach diesen Abschied, indem er Hannah zurückzog und Fandrem's Finger zwischen den seinen quetschte.

Gute Nacht, Uve, sagte er. Leg' dich auf's Ohr, hast für heute genug, mußt morgen deinen Wein allein trinken.

Grüß mir alle am Lyngenfjord, schrie der Kaufmann, in seinen Sitz zurückfallend, und eile dich mit den Fischen, Niels. Je schneller sie hier sind, je besser, erste Preise, beste Preise. Laß gut sortiren beim Abnehmen. Vierzig Zoll Rundfisch – hoffe sind gespalten. Glückliche Fahrt, Herr Marstrand. Bringt den Balsfjord zu Ehren, und seht zu, daß Euch kein Schaden geschieht. Leuchte ihnen, Lars, bis an den Thurm. Sind oben schon? Um so besser. Er streckte sich im Stuhl aus, deckte die Hände auf seinen runden Bauch und lachte still vor sich hin; dann füllte er sein großes Glas ein-, zwei- und dreimal und trank es aus, Schluck für Schluck, das Glas gegen das Licht gekehrt, schmunzelnd und pustend und die goldige Farbe des Weins mit seinen klaren pfiffigen Augen beschauend, die immer runder und schwimmender wurden. – Es muß so sein, murmelte er, das Mädchen mußte fort, konnte das unbehagliche Gesicht nicht länger 215 ertragen. Muß abgemacht sein, ehe Christi kommt, muß sich Alles schicken wie es soll. Helgestad ist der Mann dazu, Alles in Ordnung zu bringen. Wird's in Ordnung bringen, wird's thun, hat größere Dinge vor. Ist der reichste Mann in den Finnmarken und wird reicher werden. Marstrand – der dänische Narr – ist schade um ihn – haha! Wollte ich hätte den Königsbrief, ist aber an den Richtigen gekommen, und Hannah wird ihr Theil daran haben. Alles gut, Alles wie Gott will! – Hier legte der würdige Gildevorsteher seinen dicken Kopf auf die gepolstertete Lehne und schlief so fest ein, daß seine Haushälterin und sein alter Diener Lars ihn nach einiger Zeit nicht ohne Mühe wecken und in's Bett bringen konnten.

Und noch färbte der Morgen kaum die höchste Spitze des Floyfjelds, als die Ankerwinden der schönen Ilda sich drehten und bald darauf die Yacht mit der ersten Kühlte unter dem Signalthurm fortschwamm. Alles war noch still im Hafen; Halbdunkel lag auf der schweigenden Stadt, der Fjord stieß leichte Nebel aus, die an den Felsengestaden hinzogen und die Fischerhütten umrauchten. Die lieblichen kleinen Thäler verbargen sich noch im Schatten der Nacht und wie das große Fahrzeug mancherlei Bogen und Schlangenlinien beschrieb, bald durch enge Wasserpässe lief, bald große Seebecken durchschnitt, weckte es das schlafende Meer auf, dessen flüsternde Wellen an die Klippen und Planken pochten und zu fragen schienen, wohin es wolle und warum es seine Ruhe störe? – Helgestad in seiner großen geölten Kappe und dem dichten Schifferwams stand am Steuer und lenkte die Yacht durch diese Labyrinthe. Dann und wann that er einen Blick über niedere Klippen fort, wo die Kirche von Hammer schon ihre Spitze zeigte und der Alvesund sich vor ihnen aufthat. Ein leichter Wind trieb das Schiff durch diese Felsenmassen ziemlich rasch vorwärts. Hinter ihm blitzte die Sonne auf die hohen Eiskuppeln am Hardangerfjord und schickte ihre Strahlen auf Wälder und kühne Felsmassen, welche ihre Füße nackt im Meer badeten und um ihre Köpfe leichte flatternde Wolkenschleier trugen. Der Tag stieg herauf und Helgestad horchte befriedigt in die Katte hinab, wo sich noch nichts regte. – Nuh, murmelte er, ist ein gutes Zeichen ein gesunder Schlaf. Wünschte, sie schliefen Beide, bis die alte Kirche von Lyngen sie mit ihrer Glocke aufweckte.

216 Dieser Wunsch ging nun freilich nicht in Erfüllung, aber es war doch heller Tag geworden und vom Bergenfjord nichts mehr zu entdecken, als endlich Marstrand sich blicken ließ und Hannah ihm bald darauf nachfolgte.

Bist willkommen, Mädchen, rief Helgestad, ihr die Hand bietend, kannst die See vertragen, wie ich merke. Und hast dich danach angethan, fügte er wohlgefällig hinzu, als er ihr dunkles Wollenkleid und den Hut von Glanztaffet ansah, den sie aufgesetzt hatte.

Ich denke, Vetter Niels, erwiderte sie, du sollst mit mir zufrieden sein.

Und blickst nicht rückwärts, Hannah? Frägst nicht, wo Bergen liegt?

Ich blicke Vorwärts, antwortete sie, und ihre Augen hoben sich muthig auf. Was hinter uns liegt, muß vergessen sein.

Ist ein Faktum! rief er, hab's richtig calculirt. Nur erst hinaus mit dir in Wasser und Luft, so wird dein Blut aufwachen, dein nordländisches Blut, Mädchen, das sich nach Freiheit sehnt.

Nach Freiheit, Vetter Niels, das ist das rechte Wort. Es ist mir, als fühlte ich sie schon in den Adern und als wäre mir wohler und leichter.

Bist also gern hier, Hannah?

Gern, ja, war ihre Antwort, und denke es bald noch lieber zu sein. – Es ist schön hier. Welche seltsame Natur! Welche zahllose Klippen! Und wie gewaltig diese Felsmassen, wie grün diese Schluchten und Thäler!

Wirst noch Schöneres sehen, weit Schöneres, Mädchen, sagte er zufrieden nickend. Je weiter gegen Norden, je allmächtiger diese Schöpfung. Wirst nicht von ihr lassen können, Hannah, wird sich an dich drängen, wie die unsichtbare Kette der Trolle Osla, die jeden, der sie berührt, umschlang, ohne daß er es merkte, und ihn hinabzog in ihre Grotte. Sollst die tiefe Höhle sehen am Lyngenfjord, wo die Hexe gewohnt hat, oder noch wohnt, fuhr er lachend fort. Björnarne soll dich zu dem reißenden Strudel fahren, wo die Wasser in den Schlund wirbeln, Niemand weiß wohin, und kein Boot ist je wiedergekehrt, das da hinunterschoß.

217 Hannah's Lippen zuckten, sie mußte sich fortwenden und versteckte ihre Bewegung unter Fragen nach fernen und nahen Gaardstellen, Kirchen und hohen Felsen, die einen Riesenwall vor dem Schiffe zu bilden schienen.

Helgestad stellte einen Mann an's Steuer, ließ Tisch, Stühle und Frühstück auf's Deck bringen und erzählte und erklärte dann in aller Ruhe, was sie wissen wollte. Ein halbes Jahrhundert hatte er dies Meer befahren, nichts darin war ihm unbekannt. Jedes Haus zeigte er ihr, jede Familie, die dort wohnte, wußte er zu nennen. Alle diese zahllosen Fjorde, Sunde und verschlungenen Meeresspalten waren ihm alte Freunde und es gab kein Felsenhaupt, das er nicht bei Namen kannte.

Er lachte dazu, als Hannah meinte, die Yacht würde sich in diesen Labyrinthen verirren, irgendwo stecken bleiben, weder vor- noch rückwärts können. – Sieht zuweilen wohl so aus, Kind, sprach er, ist aber damit wie mit dem Menschenleben. Liegen auch oft Klippen und düstere Wände um uns her, vor denen das Herz bangt und verzagend ruft: Da ist kein Ausweg. Wer aber muthig bleibt und die Hände rührt, die Augen wach und den Kopf oben hält, findet immer wieder eine Straße und kommt zuletzt auf breites Wasser. Ist's nicht so?

Es ist so, sagte Hannah. Niemand soll verzweifeln.

Nuh, sprach Helgestad, sind hier vor der Indre Sulen, wilde Felsen ohne Zahl, und geht dort hinein in den großen Sognefjord, der viele Meilen tief, bis nach Justedals Eisbräen, das Land zerspaltet. Haben zahlreiche Könige da immer gewohnt, Norwegens Geschichte ist hier gemacht worden. Hat König Nor sein Reich dort gegründet nach der großen Schlacht gegen die Aasen, König Harald Harfager die blutigen Wickinger besiegt und den großen Jarl von Mar, und wohnen noch jetzt viele gute Leute an diesem gesegneten Wasser. Außen ist es eng und voller Klippen, drinnen aber herrlich und voll Fruchtbarkeit. Soll Niemand also den rauhen Anfang fürchten, Hannah, ist, was sich hinter ihm birgt, oft um so lieblicher anzuschauen.

Mit mehr Kenntniß als ihm zuzutrauen war, sprach Helgestad von der Geschichte seines Vaterlandes und erzählte seinen Zuhörern 218 manche Mähr aus jener alten Zeit, wo das Innere dieser großen Fjorde sammt den Inseln und Eilanden von jenem wilden und streitbaren Geschlecht bewohnt waren, das, von Seeraub lebend, den fürchterlichen Namen der Normänner weit durch Europa verbreitete. – Mehrere Stunden vergingen so, während welchen die Yacht durch die Inselkette der Indre Sulen schwamm und zum Erstaunen wie zum Schrecken des jungen Mädchens zuweilen auf jähe Felsenmassen losrannte, die es fast mit seinem Bugspriet berührte, ehe eine plötzliche Wendung des Steuers das mächtige Schiff in eine unbemerkte schmale Gasse lenkte, durch welche die Gewalt der Strömung und der Segeldruck es in ein neues Meeresbecken und in neue Irrgänge zerklüfteter Klippen lenkte.

Endlich aber dehnte sich der Wasserspiegel auf Meilen aus. Die hohe Küste trat zurück, waldige Berge bildeten tiefe Buchten und westlich lag eine Kette von Inseln und Inselgruppen, zwischen denen die Wogen des atlantischen. Meeres mit größerer Macht herein rollten. Hier war es, wo plötzlich ein anderes Fahrzeug sichtbar wurde, das, nahe an der Küste hinsteuernd, hinter flachen nackten Felsen zuerst zwei schlanke Masten zeigte, bis es unter höheren Ufern verschwand und nach geraumer Zeit wieder zum Vorschein kam.

Hannah's Augen entdeckten es zuerst. Da ist eine Yacht, sagte sie, mit dem Finger darauf deutend.

Helgestad warf einen Blick hinüber und lachte dazu. Nuh, rief er, kommst mir vor, wie der Nordländer in Kopenhagen, der, als er Goldfische in des Königs Teiche schwimmen sah, zu seinem Begleiter sagte: Peter, sieh die Häringe hier an, sind wie bei uns, nur etwas kleiner; aber bei St. Olaf's Bart! sie haben die armen Thiere roth angestrichen. – Wie der ehrliche Bursche jeden Fisch, den er nicht kannte, für einen Häring hielt, hälst du jedes Seeboot für eine Yacht. Wirst aber den Unterschied kennen lernen, Mädchen, hast gute Augen. Denke, es ist so?

Und wie nennst du das Schiff? fragte Hannah.

Helgestad sah noch einmal hin, dann spie er grämlich aus und zog seine Kappe um den Kopf. Ist eines von denen, sagte er, die wie Haie auf und ab streichen und wo sie sich blicken lassen, danken ehrliche Leute Gott, wenn sie ohne Schaden davon kommen.

219 Wie, ist es ein Seeräuber? rief Hannah.

Nuh, rief der Kaufmann, möchte es glauben, daß der Bursche Raub im Sinne hat, wenn es angeht. Schau hin, da schießt es aus der Bucht hervor. Ist lang, spitz und schmal wie ein Schelm und flattert ihm oben am Kopf sein Warnungszeichen, daß Jeder sich vor ihm hüten soll.

Es ist ein Küstenwächter, der hier umherkreuzt, sagte Marstrand, welcher die Regierungsflagge erkannt hatte.

Ein Spürhund, antwortete Helgestad, wie sie viele jetzt ausschicken, armen Leuten das Leben sauer zu machen.

In seinen Aerger stimmten damals Viele ein, denn die Regierung hielt die Einfuhr unter bedeutendem Zoll und ließ mehr als je streng darüber wachen, daß von Deutschland und England herüber nicht Pascherhandel getrieben, Waaren aller Art, namentlich Branntwein, eingeschmuggelt wurden, was an diesen tausendfach zerrissenen Küsten schwer zu vermeiden war. Die Küstenwächter hatten das Recht, jedes Fahrzeug anzuhalten, wenn sie wollten, dessen Ladung zu untersuchen und mit den Ausweisen zu vergleichen. Die dänischen Lugger und Sloops waren darum auf's Tiefste verhaßt, und eine Reihe von Vermuthungen begleiteten auch jetzt den raschen Segler, der von seiner großen Raa am Hauptmast den Dambrog flattern ließ und scharf an den Wind liegend auf die Yacht hielt.

Wie ein Raubvogel, der seine Beute umkreist und betrachtet, lief er in weiten Bogen um das schwere Schiff. Auf dem Deck des Luggers standen ein paar Offiziere, welche mit ihren Gläsern die Yacht musterten und eine Zeit lang schien es, als ob sie sich damit begnügen würden; plötzlich aber wandte der Küstenwächter um und zu Helgestad's schwerem Mißmuth war er bald dicht an seinen Fersen und rief den Nordländer an.

Wollt' es Euch sagen, wenn ich Euch hätte, wo ich wollte, murmelte Helgestad, indem er antwortete, aber sein Aerger steigerte sich, als ein Boot des Luggers vom Stern herabgelassen wurde, in welches ein halbes Dutzend Matrosen und zwei Männer in der Uniform der Steuerbeamten sprangen, die sogleich auf die Yacht losruderten, deren Segel fallen mußte. – Der Küstenwächter legte sich inzwischen auf Kabellänge an den Nordländer; sein Deck war gut besetzt und der 220 lange Vierundzwanzigpfünder auf Drehzapfen, den er vorn führte, flößte die gehörige Beachtung seiner Befehle ein.

In der nächsten Minute war die Hälfte der Seeleute mit ihren Anführern an der Knotenleiter der Yacht aufgestiegen, die wie ein Riese gegen den kleinen flachen Lugger aus dem Wasser aufragte. Wie ein gebundener Riese gehorchte auch Helgestad, als der erste Offizier des Küstenwächters ihn aufforderte, seine Papiere zu zeigen. Mit mürrischen Blicken stieg er in die Kajüte hinab, gefolgt von dem Beamten, der scharf umhersah und jeden Winkel musterte.

Sein Begleiter blieb auf dem Deck und während die Mannschaft mit den fremden Matrosen sprach, beliebte es ihm, sich dem Fräulein und Marstrand zu nähern. – Ein Fall oder eine Wunde mußte ihm eine Beschädigung im Gesicht zugezogen haben, denn ein schwarzes Pflaster deckte ein Auge zu und ein buschiger rothbrauner Bart lief breit über seine Backen hin.

Wir wissen, sagte er im rauhen Tone, daß dies Schiff voll gefährlicher Contrebande steckt. Sie würden wohlthun, nichts zu verheimlichen.

Sieht der Herr mich etwa dafür an? fragte die junge Dame.

Ach, Hannah, erwiderte er mit flüsternder Stimme, wie gern würde ich diese Contrebande gleich an mein Herz drücken und mitnehmen. Nun wahrlich, fuhr er leise lachend fort, meine Maske muß gelungen sein, daß selbst die Liebe sie nicht sogleich durchschaute.

Henrik, antwortete sie, zitternd vor Freude und Furcht, welche Ueberraschung und welcher Uebermuth! Ich erwartete dich nicht hier, nicht heute, am wenigsten in der Gestalt eines Zollbeamten.

Alles, was helfen kann, muß dienen, sagte der Capitain. Ich mußte dich sehen, Hannah, mußte dir sagen, daß ich bereit und dir nahe bin. Der eigentliche Küstenwächter kreuzt an der Mündung des Sognefjord, Lieutenant Hansen, mein Freund, dem es Vergnügen macht uns zu helfen, hatte die alten Kleider der Zollwächter noch an seinem Bord, und als wir dein schwimmendes Gefängniß erblickten, kam er auf den Einfall einen Besuch bei dir abzustatten. Es ist gelungen, theure Hannah, er wird den alten Taugenichts bei den Papieren so lange aufhalten, wie es angeht. Sei bereit, mein Leben. Schlafe diese Nacht süß und fest, aber morgen wache und hoffe.

221 Marstrand, mein Freund und Bruder, steh ihr bei, fuhr er fort, indem er sich zu diesem wandte. Der Wind ist gut und wird stärker werden. Die Yacht wird morgen Abend an der Mündung des Eidfjord sein, dort erwarte ich sie. Sie wird während der Nachtstunden ankern, denn dieser schwerfällige Kasten wird in der Finsterniß nicht durch das Klippengewirr von Staatenland schleichen, oder in's freie Meer hinaus wollen. Dann sei bereit, meine Hannah, ich komme. Alles ist eingerichtet zur raschen Flucht nach Christianssund.

Du sollst mich finden, Henrik, sagte sie, seine Hand festhaltend; aber ohne Antwort ließ er sie los, denn eben wurde Helgestad's Kopf über dem Kajütenbau sichtbar.

Ich hoffe, Herr Helgestad, rief der Beamte, der hinter ihm war, Sie halten es dem strengen Dienst zu gut, daß Sie belästigt wurden. Ich will nicht weiter untersuchen. Segel auf, Boot fertig. Glückliche Reise, Herr!

Ohne Aufenthalt sprangen die beiden Beamten in die wartende Jolle, und mit einigen Dutzend Ruderschlägen waren sie am Bord des Luggers, der sogleich seine Geitaue fallen ließ und vor der Yacht hinschoß. Die höflichen Beamten grüßten hinüber, Hannah dankte sittsam, und Helgestad, der seine Kappe ziehen mußte, murmelte laut genug, daß sie verdammt sein möchten, sammt allen diesen naseweisen nichtsnutzigen Aufpassern, die aus lieber Langeweile und Uebermuth ehrlichen Leuten den Weg verlegten.

Das kleine Abenteuer war so schnell vorübergegangen und so lustig verlaufen, daß es bald vergessen war, als der Lugger, hart an den Wind gelegt, zurückeilte und in der nächsten halben Stunde verschwand. Die Yacht setzte den ganzen Tag über ihre Fahrt fort, Helgestad mischte sich seinen Grogh und war guter Laune, daß Wind und Wetter die Fahrt so leicht und angenehm machten. Verschiedentlich durchschnitt die schöne Ilda offene Meeresstellen, wo sie von größern Wogen gefaßt und geschaukelt wurde, aber bald verlor sie sich wieder zwischen den endlosen schmalen Sunden, bis zuletzt die Dunkelheit kam und Helgestad es für das Beste hielt, seinen Anker in einer stillen kleinen Bucht fallen zu lassen.

Hannah konnte sich nicht über Mangel an Aufmerksamkeit und Freundschaft beklagen. So viel als möglich war der Schiffsherr 222 sorgsam mit ihr beschäftigt und Marstrand immer bereit zu Gespräch und Unterhaltung. – Was der Gegenstand derselben war, ist leicht zu errathen. Wo es nur geschehen konnte, verhandelte das Fräulein ihren Plan, Helgestad zu täuschen, und wie es am Besten zu ermöglichen sei, bei Nachtzeit auf das Deck der Yacht zu kommen. Das Kabinet, in welchem Hannah schlief, bildete den innersten Raum der Kajüte. Sie mußte durch diese gehen, um nach der Thür zur Treppe zu gelangen. Eine Lampe brannte dort an der Decke und rechts und links schliefen Helgestad und Marstrand. Die meiste Hoffnung, die Gefahr zu überwinden war, wenn sie mit List oder Beharrlichkeit auf dem Deck zu verweilen suchte, bis Helgestad von Ermüdung bewogen, sein Lager suchte und den Verbündeten freies Spiel ließ.

Um dies ausführen zu können, legte Hannah schon heute Hand an's Werk. Nach dem Abendessen, als der alte Schiffer seinen Schlaftrunk genommen hatte und schweigsam sich reckte, band sie den Hut von Neuem auf und forderte Marstrand's Begleitung zu einer Promenade auf dem Deck.

Bist närrisch, Mädchen, sagte Helgestad grämlich lachend. Ist dunkle Nacht draußen. Liegen hier zwischen jähen Klippen und fallen die Nebel schwer wie Blei auf die Brust.

Ich liebe die Nacht, antwortete sie. Es ist trostvoll und schön mitten im Meere von eines Sternes Licht überzittert zu werden, ihm zu vertrauen, wenn die bösen Geister in Nebeln niederfahren, wenn Funken aus den Wolken sprühen und die hohlen Töne des Windes wie Geisterstimmen aus Klüften und Felsspalten sprechen.

Nuh! rief Helgestad boshaft grinsend, hört sich der Unsinn gut genug an. Nennen es poetisch und ist gemacht von Leuten, die Zeit dazu haben, sich die Dinge, wie sie sind, so einzubilden, wie sie sein könnten. Wirst aber bald davon geheilt werden, Hannah, wirst die rauhe Wirklichkeit schon fühlen und das sichre Haus und Bett suchen, wenn draußen der Stern nichts bleibt als ein zuckend Gefunkel ohne Heil und Frieden. – Geht mit ihr, Herr Marstrand, und zeigt, daß Ihr auch noch etwas von der Schwärmerei in Euch habt, von welcher Paul Petersen ein Kapitel zu erzählen weiß; aber seht zu, daß Ihr sie richtig wieder abliefert, wenn ihr die Unterröcke zu feucht werden.

223 Mit dieser derben Spötterei ließ er Beide laufen und lag in festem Schlaf, als Hannah nach einigen Stunden an seinem Lager vorüberschlich und Marstrand leise gute Nacht sagte.

Der nächste Tag verging wie der erste. Das Wetter blieb schön, aber der Wind wehte dann und wann breite Wolkenmassen herauf und blies dabei mit doppelter Kraft in die Segel. Die Meeresbecken zeigten sich heute auch mannichfaltig belebt. Seehunde und Tümmler umschwärmten das Schiff, aus den Brütplätzen der Seevögel flatterten Schwärme schreiender Raben und Alken auf, ein Finnfisch sprützte seine hohen Fontainen in die Luft und verkündigte Häringsschaaren, mit deren Fang sich zahlreiche Fischerboote beschäftigten. – Hummer und rothäugige Ure kaufte Helgestad von einem solchen Boote für den Mittagstisch und durch seinen Spott und seine Künste nöthigte er Hannah selbst sich in der Küche zu versuchen, was sie zu Haus nie gethan, sondern der erfahrenen Wirthschafterin ihres Vaters überlassen hatte.

Wirst es lernen, Kind, sagte er; ist der Mensch darum auf der Welt, Alles zu lernen, und gebe denen Recht, die da meinen, Noth sei die beste Lehrerin. Wirst an Ilda sehen, wie man ein Haus regiert und hast etwas in deinem Gesicht, was mir sagt, kannst Vieles, wenn du willst. Liegt in deinen Augen ein stolzer Ausdruck nirgend zurückzustehen und Keinem zu weichen.

Die Spötterei des alten Speculanten trug insofern ihre Früchte, daß Hannah, um ihr zu entgehen, wirklich Hand an's Werk legte und sich geschickt genug als Anfängerin benahm. Theils mochte sie Helgestad freundlich erhalten wollen, theils war es ein Zeitvertreib, oder sie beschwichtigte damit die Unruhe ihres Herzens, die sie immer wieder antrieb, in jeder Bucht und jedem Felsenspalt umherzusuchen und mit Helgestad's Glas am Auge alle fernen Inseln und Sunde zu durchforschen, ohne jemals die hohen spitzen Segel des Luggers zu entdecken.

Je näher der Abend kam, um so höher stieg ihre Bangigkeit. Wo war das rettende Boot geblieben und was sollte aus ihr werden, wenn es nicht erschien? Marstrand beruhigte sie, so gut er konnte. – Mir ist es nicht zweifelhaft, sagte er, daß der Lugger in der Nacht uns vorbeigegangen ist und an dem bestimmten Platze in irgend einem Versteck uns auflauert.

224 Und wenn er ausbleibt? Wenn ich vergebens hoffte? Wenn ihm Unheil begegnet ist? murmelte sie angstvoll.

So wird er morgen kommen oder uns Botschaft schicken.

Er muß kommen, wenn ich nicht verzweifeln soll, war ihre Antwort. Ich würde es nicht ertragen, keinen Tag mehr mich verstellen können mit dieser Angst im Herzen.

Hat Helgestad falsch gesehen, fragte Marstrand, wenn er Ihnen große Willenskraft zuschreibt?

Sie schwieg und sagte dann ruhiger: Er kennt mich nicht, aber er hat Recht, von mir etwas zu erwarten. Ich habe allen Muth nöthig, um nicht vor seinen Blicken zu erstarren, die mich zuweilen eiskalt überlaufen.

Die Dämmerung war tiefer geworden, rothe Abendwolken lösten sich von einem dunkeln Wolkenrand los und zogen über den Himmel hin. Die Yacht flog rascher vor dem Winde und vor ihr öffnete sich ein breiter Meeresarm mit kleinen Felseninseln und Felsenbrocken übersäet, hinter denen eine langestreckte Küste in duftiger Ferne auftauchte. Zur Linken aber rollte die unermeßliche See in breiten Wogen, auf deren schäumigen Gipfeln das Abendlicht funkelte.

Helgestad stand am Steuer, Wind und Wellen musternd. – Nuh, sagte er, indem er Hannah angrinste, die sich neben ihn gestellt hatte, wirst bald einen Tanz erleben, bei dem es lustig hergeht. Sieh hin, dort die lange dunkle Leiste, an der die Brandung auffliegt, das ist Staatenland. Müssen ab davon und in's hohe Meer hinaus, wo der Südwest der schönen Ilda Eins aufspielen wird.

Die Fahrt an Norwegens Küste geht fast immer zwischen den unzähligen Inseln und Felsengruppen hin, welche aus den Revolutionen der Natur übrig geblieben sind und jene wunderbaren Straßen und Sunde bilden; zuweilen aber hören diese auf; die Wogen des atlantischen Oceans und des nördlichen Eismeeres rollen dann ungebrochen gegen die mächtigen Felsenmassen des Festlandes, und oft müssen die schwerfälligen Yachten viele Tage in irgend einem Schlupfwinkel warten, ehe sie den gefährlichen Weg über das stürmische Meer wagen.

Auch Helgestad wollte es nicht unternehmen, bei Nacht Staatenland zu umschiffen, obwohl der Wind halb und nicht zu heftig war. 225 – Sollst ruhig schlafen, Kind, sagte er, will alle Sorge für dich tragen; hoffe, wirst morgen ruhiger in deinem Bett bleiben, wenn draußen das Sprützwasser über die Buge schlägt. Siehst dort die spitzen Felsen vor uns? Ist das Eiland Silden. Hat kein Mensch dort eine sichere Wohnung, ist aber dennoch Gottes Wohlthat und von seiner Hand gebaut, denn in der Bucht können zwanzig Yachten auf einmal, wie in Abrahams Schooß geborgen liegen.

Nach einer halben Stunde trat die schöne Ilda unter den Schutz der hohen Wände von Silden, alle Bewegung hörte auf, und leise vom Windzuge an die sichere Stelle geführt, wurde das Schiff an einem der großen Eisenringe befestigt, die in den Fels eingelassen waren; ein Beweis, daß dieser Platz häufig als Nothhelfer benutzt wurde. Noch aber war die Mannschaft der Yacht damit beschäftigt, als, fast unkenntlich in der Dunkelheit, dicht vor der Bucht ein Boot sichtbar wurde, das seine Segel zusammengezogen hatte und von zwei Männern gerudert ward. Ein Dritter stand in der Spitze und schrie die Yacht an: Gottes Friede mit Euch, rief er. Wo kommt Ihr her?

Helgestad lehnte über das Tafarell und blickte scharf nach dem Boote. Von Bergen, war seine Antwort. Seid spät auf dem Wasser.

Sind's gewöhnt, schrie der Mann zurück. Sind Fischer von Sellöen.

Hast Fische, Mann? Bring' sie her, forderte der Nordländer.

Wollen unsern Fang erst machen, versetzte der Bootsführer. Liegen unsere Netze fertig und um eilf Uhr kommt die Flut.

Helm und Stern! lachte Helgestad, müßt gute Augen haben. Rath' Euch, fahrt nach Haus, wird eine wilde Nacht werden.

Nacht oder nicht, war die Antwort, finden im Dunkeln was wir suchen.

Ein Gelächter begleitete diese Worte, das am Bord der Yacht wiederholt wurde, während das Boot in dem Kanal verschwand, der aus der Bucht zwischen den Felsen hinlaufend sich in eckigen Windungen gegen das Meer öffnete.

Sind tapfere Bursche, sagte Helgestad. Ist ein schweres Werk, um ohne Zagen daran zu gehen; werden von Glück zu sagen haben, wenn der Morgen sie frisch und fröhlich findet.

226 Hannah drückte sich leise zitternd an Marstrand, und als Helgestad sich entfernt hatte, flüsterte sie in heftiger Aufregung: Er war es, es war seine Stimme! Jetzt, Herr Marstrand, jetzt gilt es allen Muth zu bewahren. Was haben wir an der Zeit?

Es ist in der zehnten Stunde, erwiderte er.

Um eilf wird Henrik hier sein, fuhr sie fort. Noch eine lange Stunde, eine bange lange Stunde! Mein Herz will mir zerspringen, aber es soll gehorchen; hört mich an: Wenn wir am Tische sitzen, trinkt mit ihm, haltet ihn fest, verwickelt ihn in Erzählungen, sprecht von Euren Planen, unterhaltet ihn, wie Ihr könnt, und wenn ich hinausgehe, bleibt sitzen. Wendet alle Kunst an, daß er nichts hört, nichts sieht als Euch.

Ihr sollt thun, was ich Euch sage, fuhr sie fort, als Marstrand Einwendungen machte. Ihr bleibt in seiner Gewalt und dürft keinen Antheil an meiner Flucht nehmen.

Ich würde meinen Antheil nicht verläugnen, wenn er ihn wissen will, sagte Johann.

Er wird keinen Verdacht schöpfen können, wenn Ihr nicht bei mir seid, antwortete sie. Beschäftigt ihn, das soll der einzige Antheil sein, den ich verlange. Und nun, werther Herr, laßt uns hinab gehen. Denkt von mir das Beste. Und wenn ich Euch jemals wiedersehe, laßt mich Eure dankbare Freundin sein.

In der Kajüte stand der Tisch mit Speisen besetzt und auf dem Ofen brodelte der Theekessel, mit dem sich der alte Schiffer angelegentlich beschäftigte. Er war zärtlicher und aufmerksamer als je gegen Hannah, legte die Hand auf ihre Stirne und fühlte ihre Hände. Nuh, rief er aus, glüht dein Kopf wie Feuer, Mädchen, und deine Finger sind eisig anzufassen. Mußt dich vor Schaden bewahren, Kind, um mit rothem Gesicht an den Lyngenfjord zu kommen; aber habe hier ein Mittel gegen Frost und Fieber.

Er deutete auf den Napf, in welchem er den nordischen Nektar, den Punsch, bereitete, während Hannah sich herbei machte, die Teller ordnete, das Fleisch zerschnitt, Brod aus dem Wandschrank holte und eine so emsige Geschäftigkeit entwickelte, daß Helgestad sein lustigstes Gebrumme hören ließ.

227 Geht dir flink von der Hand, rief er vergnügt zuschauend. Wirst sie Alle ausstechen. Macht das Blut, Hannah. Geht nichts über das reine nordische Blut, thut mehr wie alle Erziehung.

Ich hoffe, mir heute deine volle Zufriedenheit zu erwerben, Vetter Niels, erwiderte sie ihm zulächelnd.

Hast sie erworben, Mädchen, hast ein richtiges Gefühl, rief er. Will dich dafür pflegen, wie eine gute Tochter. Nimm dein Glas und stoß an, sollst immer so glücklich sein, wie heut. Mögen alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen!

Morgen wie heut, und bis an's Ende! erwiderte sie, herzhaft anstoßend und ihr Glas leerend.

Nach Gottes Willen, Amen! sagte Helgestad. Sehe in deine Augen mit Freude, Hannah, blitzen wie die Sterne am Himmel. Kommt der Wunsch tief aus deinem Herzen? Denke, ja. Ist's nicht so?

Ja, Vetter, recht aus meiner Seele wünsche ich, daß mein Glück auch dein Glück sein möge.

Calculire, muß so sein, rief er, den Finger über seine Nase legend und schlau blinzelnd. Siehst aus wie deine Mutter, Hannah, schmuck und kräftig und voll Treue. Fehlt nichts, wie der grüne nordländische Rock und die Faltenschürze.

Ich will beides tragen, sobald ich in Nordland bin, erwiderte sie.

Halt' dich beim Wort, Mädchen! schrie er auf. Wirst eine Zierde sein in Tromsöe und auf den Märkten.

Unter solchen frohen Gesprächen und Scherzen saßen sie an dem Tische und Helgestad stellte den dampfenden Napf vor sich hin, schenkte tapfer ein und spottete über Marstrand's ernstes Gesicht, das nach seiner Behauptung aussah, wie ein Eislager vom Kilpis.

Nuh, spottete er, weiß nicht, was Euch plagt, muß aber schwer zu ertragen sein. Kommt zurück an den Balsfjord wie ein Mann, der an seine Taschen schlagen mag wo er will, es klingt gut. Habt Eure Fische klug festgehalten, habt den richtigen Blick gehabt, bringt eine Yacht voll Waaren heim, und steht Euer Haus wohl schon fix und fertig da, braucht nur hinein zu treten und Euch niederzusetzen. Aber merke wohl, fuhr er fort, indem er sich zu Hannah wandte, ist 228 ein banges Gefühl in ihm wegen des Alleinseins, das vor Gott und Menschen nicht wohlgefällig ist. Müssen für ihn sorgen, Hannah; wollen uns alle zusammen thun, daß wir Eine finden, die ihm die Falten von der Stirne streicht, und wenn's nicht glücken will, ihm das Herz weich zu machen, muß Afraja kommen und ihm einen Hexenbrei beibringen.

Marstrand wurde durch diese Spötterei aus seiner Schweigsamkeit aufgeweckt. Er war seit den zwei Tagen in Zwiespalt mit sich selbst. So lebhaften Antheil er auch an seines Freundes Glück nahm, und so herzlich er wünschte, daß dessen gewagtes Spiel gewinnen möge, so fühlte er doch eine tiefe Abneigung vor dem Gedanken, dabei ein Helfer und Verbündeter zu sein. Er verachtete die Beweggründe, welche Helgestad leiteten, er kannte seinen Plan, sich diese Schwiegertochter zu verschaffen, und empfand das äußerste Mitleid, sowohl für Hannah wie für Björnarne; allein sein Rechtsgefühl sagte ihm dennoch, daß er nichts gegen diesen Mann thun dürfe, dem er so viel verschulde. Bei allem Mißtrauen gegen Helgestad schien ihm dies ein Akt der schlimmsten Undankbarkeit, und was er sich auch als Entschuldigung anführte, immer kam die Stimme wieder, daß er Böses mit Bösem hindern und vergelten wolle. – Er würde seinem Charakter nach Hannah jeden Beistand geleistet haben, wenn sie in offener Weise Helgestad Widerstand geleistet hätte, ebensowohl wie er den Sohn gegen den Vater unterstützt haben würde, wenn Björnarne ihn dazu auffordern wollte; doch durch heuchlerische List den alten Speculanten zu betrügen, dünkte ihn, mit diesem sich auf gleiche Stufe stellen.

Und dennoch sagte er sich selbst, daß es das einzige Mittel sei, um Helgestad's Willen zu brechen, daß es für die Liebenden nur dies eine Mittel gebe, um zur Vereinigung zu gelangen. Mochten die Folgen sein, welche sie wollten, er war gewiß, daß er in Henriks Lage wohl eben so handeln könnte, nicht weniger gewiß aber schien es ihm, daß kein Entkommen mehr für Hannah sein würde, wenn Helgestad sie erst am Lyngenfjord habe. Er fühlte das Elend, das ihrer wartete, fühlte sich auch gebunden durch seine Versprechungen, dennoch aber war er herzlich froh, daß seine Verbündete seinen thätigen Beistand ablehnte, wenn sie ihm auch eine andere nicht minder einflußreiche Rolle übertrug.

229 So war er mit sich selbst übereingekommen, Hannah gewähren zu lassen, und dachte eben darüber nach, wie er am Besten in der entscheidenden Zeit Helgestad beschäftigen könnte, als dieser ihm mit seinen Spöttereien den Weg zeigte.

Afraja, sagte er aufblickend, ist allerdings der Mann, dessen Beistand mir erwünscht wäre. Und da wir von ihm sprechen, Herr Helgestad, beantworten Sie mir eine Frage: Was denken Sie mit Gula zu thun, wenn Ihr Haus leer wird?

Nuh, erwiderte Helgestad ihm schlau zunickend, denke, sie bleibt wo sie ist, wenn sie es nicht vorzieht, nach dem Balsfjord auszuwandern.

Marstrand lachte. Ich habe neulich einen Traum gehabt, sagte er, der, wenn Afraja wirklich ein Zauberer ist, mir gewiß von ihm geschickt wurde.

Will's nicht abschwören, antwortete der Alte. Ist mit Träumen eine sonderbare Sache; kommen oft als geheime Zeichen in des Menschen Seele und werden von einer Macht gesandt, welche Niemand kennt. Erzählt den Traum, Herr Marstrand.

Ich träumte, sagte dieser, daß ich am Balsfjord wohnte, wohl eingerichtet war und viele Arbeit hatte, aber auch voller Sorgen saß. Es hatte sich gefunden, daß die kleinen Thäler umher alle fruchtbar waren. Mancherlei Kolonisten konnten darin angesiedelt werden. Doch, was hauptsächlich meine Aufgabe blieb, den Wald an der Balself nutzbar zu machen, das wollte mir nimmer gelingen. Es ergab sich, daß die Bäume aus der Wildniß nicht fortgeschafft werden konnten. Der Strom mit seinen vielen tiefen Fällen ließ sie nicht schwimmen, nirgend wollte eine Sägemühle passen, und nach einer Reihe fruchtloser Versuche, die viel Geld kosteten, sah ich alle Mühen scheitern.

Kann's denken, kann's denken! rief Helgestad spöttisch auflachend, indem er sein Glas leerte.

Ich befand mich in einer üblen Lage, fuhr Marstrand fort, und sonderbarer Weise kam es mir vor, als streckten sich von allen Seiten Hände nach mir aus und als hörte ich Stimmen, die mich hart schalten und einen Thoren nannten. Alle hatten mich verlassen, da sah ich, wie in einer dunklen Nacht, in der ich kein Licht erkennen konnte, 230 es plötzlich hell um mich wurde und ich erkannte Afraja, der an meinem Bette stand und dessen kleine rothe Augen wie Feuer funkelten.

Kenne sie, sagte der Kaufmann, kenne die Diebsaugen des grauen Luchses.

Er grinste mich an und tanzte um mich her mit wunderlichen Sprüngen. Bist ein weiser Mann von dem großen weisen Volke, das sich klüger dünkt wie wir, schrie er mit seiner heiseren Stimme, will dir aber zeigen, Väterchen, will dir zeigen, wie du es machen mußt, um deine Bäume zu schleifen und deine Sägemühle zu bauen. Und er führte mich zu einer Stelle, schwang seinen langen Stab und plötzlich stand eine Mühle mit doppeltem Rade über dem Wasser. Dann winkte er in den jähen Felsengrund hinab und ich sah einen seltsamen Bau von Balken auf festen Stützen stehend, der von einem Quell schlüpfrig naß gehalten wurde und auf dieser Rinne schossen die Bäume blitzschnell von der Felsenwand hinunter, daß man sie ohne große Mühe auf das Sägewerk bringen konnte.

Helgestad hing mit seinen Augen am Munde des Erzählers. Ist ein mächtig sonderlicher Traum, murmelte er, aber ist wüst und schwer, ich kann das Hexenwesen nicht begreifen.

Ich will es Ihnen klar machen, sagte Markstrand, denn mir schweben alle Einrichtungen, die ich sah, so deutlich vor, daß ich sie aufzeichnen kann.

Bin begierig, rief Helgestad, den Tischkasten aufziehend und Schreibzeug sammt Papier suchend. Laßt sehen, was der Hexenmeister aufbaute.

Mit ihm zugleich stand Hannah auf. Leise nickte sie Marstrand zu, und wie Helgestad den Kopf vom Suchen aufrichtete, war sie hinaus.

Malt es hierher, sagte der Kaufmann und Marstrand nahm die Feder und zeichnete das Felsenthal, die Balself und den Strom in der Schlucht; dann von der schroffen Felswand hinunter einen künstlichen Bau, der nichts andres war als eine Holzrutsche, wie sie jetzt vielfach in Bergländern angewendet werden, um Baumstämme von hohen Gipfeln herunter zu schaffen. – Seht hier, sprach er erklärend, hier werden die Bäume gefällt, von ihren Aesten befreit und dann auf diese glatte schiefe Ebene geschafft, in welche Wasser geleitet ist, damit 231 das Holzwerk sich nicht erhitzt. In kalter Zeit mag es frieren, auf dem Eise werden die Bäume noch besser rutschen und wohlbehalten an diesem Punkte ankommen, wo die Sägemühle erbaut werden muß. Es ist offenbar die beste Stelle, denn sie liegt vor den Fällen der Elf, die von hier aus bis an den Fjord nur wenige Schwierigkeit bietet.

Helgestad hatte sich weit über den Tisch gelegt und betrachtete die Zeichnung mit gieriger Aufmerksamkeit. Ist richtig, sprach er darauf hinstarrend, calculire, muß gelingen. War ein weiser Traum, Herr Marstrand, mag er gekommen sein, woher er will. – Er richtete sich auf und sah seinen Genossen lauernd an. Seid ein kluger Mann! rief er aus, muß Euch loben; seid ein treuer wahrer Freund, der mir nichts verschweigt. Denke, ja. Ist's nicht so?

Gewiß, gewiß! erwiderte Marstrand ein wenig verwirrt.

Was fiel da auf dem Deck? rief der alte Schiffer sich aufrichtend.

Ich habe nichts gehört, sagte Marstrand.

Helgestad war an der Thür. Bleibt! rief er und seine Augen nahmen einen wilden Ausdruck an. Habt Euch erhitzt, könntet Euch erkälten.

Laßt mich reden, Herr Helgestad, hört mich, schrie Johann nach seinem Arm fassend; aber ehe er ihn erreichen konnte, hatte Niels die Thür zugeschlagen und den Schlüssel im Schloß umgedreht.

Rasch sprang er die steilen Stufen hinauf. Der Himmel war mit schweren Wolken bedeckt, der Wind wimmerte durch Top und Takel der Yacht, die an den langen Tauen schwankte, und draußen, an den Felswänden von Silden, flog die Brandung brüllend auf. In der Dunkelheit schlich Helgestad bis in die Mitte des Schiffes, bis an den Mast, wo er stehen blieb, denn auf Armeslänge vor ihm sah er eine Gestalt, an welche eine andere sich dicht anschmiegte.

So laß uns eilen, Hannah, sagte eine männliche Stimme. Das Boot liegt dicht an der Seite; eine Leiter ist angeknüpft. Alles ist bereit.

Auch ich bin bereit, mein Henrik, antwortete sie. O! Gottes ewigen Dank, daß ich dich habe.

Hierher, flüsterte Dahlen, gib mir deine Hand. Wo ist der alte Schuft? Hat ihn Marstrand fest gemacht? Wohl bekomm' es ihm!

232 Halt ein, schrie er plötzlich auf und klammerte sich fest, denn in demselben Augenblick fühlte er sich von hinten umfaßt und in die Luft gehoben. Hannah war von seiner Seite gerissen, kräftige Arme hielten ihn, trotz seines heftigen Ringens. Seine Finger glitten von der Brüstung der Yacht ab und mit einem Schrei, der schnell erstickte, sank er in das finstere wogende Grab, das über ihm zusammenschlug.

Mit einem Sprunge war Helgestad bei den Eisenbarren am Maste. Dort faßte er ein mächtiges Stück mit beiden Händen und warf es mit voller Gewalt dicht am Bord seines Schiffes hinunter. Ein Krachen und Brechen folgte dem Wurfe nach; ein Hülferuf drang von unten herauf und durch den Himmel zuckte ein rothes Feuer, dessen blendender Schein an den Felsenwänden hinfuhr und das schwarze Wasser einen Augenblick hell machte.

Die Stücke eines Bootes trieben darauf umher; ein paar Ruderstangen schaukelten auf einer hohen Woge, die eben schäumig und zersplittert in den Kanal geworfen wurde. Ein wüthender Windstoß folgte ihr nach und ein Arm ragte aus der Tiefe, eine Hand streckte sich krampfhaft aus und versank. – Helgestad blickte hinab, sein Gesicht war voll Hohn, voll gesättigter Rache und voll Triumph. Wohlbekomme es dir selbst, du Narr! sagte er grimmig und ein langes Gelächter folgte. Dann wandte er sich um. Hannah lag ohne Lebenszeichen in den Armen des Bootsmannes, der sie hielt.

Hoho! Ole, murmelte der Schiffer, hälst sie zu fest, mein Junge, hast ihr den Athem ausgedrückt.

Glaub's selbst, Herr, antwortete der langhaarige Mann. Sie rührt kein Glied.

Helgestad nahm den schlaffen Körper wie ein Kind in seine Arme. Rufe die Männer, sagte er, lös die Taue los, reeft die Segel doppelt, ich komme sogleich.

Er trug Hannah die Treppe hinab, stieß die Thür auf und schob sich hinein. Marstrand saß an dem Tisch, den Kopf in die Hand gestützt. Als er Helgestad sah und der Lichtschein auf das blasse Gesicht des Mädchens fiel, sprang er auf und blieb stehen ohne ein Wort zu sagen. Angst und Entsetzen schnürten ihm die Kehle zu.

Niels legte seine Bürde auf die Bank an der Wandseite. Nehmt Wasser, rührt die Hände, Herr, helft ihr, oder legt sie auf ihr Bett.

233 Was ist geschehen, was thaten Sie!? fragte Johann heftig.

Laßt es Euch erzählen, zum Lohn für Eure Mühe, antwortete der rauhe Mann, mit der Hand sein schweißnasses Haar zurückstreichend. Dankt Gott für seinen gnädigen Beistand, Herr. Die Yacht ist unter Segel, ich muß an meinen Posten. Kann ein Zoll zu viel rechts oder links uns zu denen legen, die da unten ein tiefes nasses Lager haben.

Er stülpte die ölgetränkte Kappe auf, ging hinaus und warf die Thür in Schloß und Riegel. – Marstrand beugte sich über die Ohnmächtige, er wußte nicht, was er beginnen sollte. Gepolter und Geschrei war auf dem Deck, Laternen brannten, schwere Füße eilten hin und her.

Plötzlich schlug Hannah die Augen auf und blickte dem Helfer starr in's Gesicht.

Redet, Jungfrau, sagt mir, war Henrik bei Euch und wo ist er? fragte der Junker angstvoll.

Sie sah ihn mit irren Blicken an, dann aber, als sie den Namen hörte, schnellte ihr Körper krampfhaft auf. Ein Schrei rang sich aus ihrer tiefsten Brust, ihre Hände klammerten sich wie zum Gebet zusammen, sie wollte aufspringen und sank zurück.

Ein Pfeifen und Schreien mischte sich mit diesem Schrei. Die Yacht stürzte wie von einem Berge in einen Abgrund; ihre Balken zitterten, die Planken ächzten und knarrten, schwere Stöße donnerten gegen ihre Wände und durch die Deckfugen tröpfelte Wasser nieder.

Das Schiff war aus dem schützenden Kanal in's offene Meer gelaufen. 234


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