Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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19.

Marstrand hatte inzwischen auf seiner vereinsamten Niederlassung mit mancherlei schweren Sorgen zu kämpfen. Er besaß jetzt Geld genug, allein es fehlte ihm an Vorräthen und diese waren selbst durch silberne Mittel nicht leicht herbeizuschaffen. Er selbst konnte den Gaard nicht verlassen, ohne die größten Verwirrungen zu fürchten. Was sich thun ließ, um in Tromsöe und an anderen Orten das Mangelnde zu beschaffen, unternahm er mit größter Anstrengung, doch mit jedem Tage mehr wurde er inne, daß Mißtrauen und Mißachtung sich unter seine Arbeiter und Hausleute ausbreite. Bisher hatte er als Freund und Vertrauter des großen Handelsherrn vom Lyngenfjord gegolten, der im ganzen Lande der Erste war, jetzt hatte dieser sich mit offenem Hohn und Haß von ihm getrennt und bald liefen allerlei Gerüchte umher, daß der gräuliche alte Hexenmeister Afraja das Geld zum Bau liefre, der dänische Junker sich ihm dafür zugeschworen habe und von Christum wie von allem Recht und aller Ehre abgefallen sei. Die Folge war, daß der größte Theil, der schon den dänischen Herrn nicht mochte, jetzt diesen als Afraja's abhängigen erkauften Genossen verspottete und verschmähte. Alles Ansehen war verloren. Wo Marstrand tadelte, erhielt er kecke Antworten, wo er antreiben wollte, fand er Widerstand und Grobheit und nach zwei Wochen war es damit so weit gekommen, daß die Meisten trotzig ihr Geld forderten und unter harten Drohungen davon gingen, weil sie nichts mehr mit einem Mann zu thun haben wollten, der mit Lappen Umgang und Gemeinschaft hielt. Es blieben kaum Einige, denen der junge Gaardherr in seiner Noth Vertrauen schenken konnte; nur der Abhub, der nicht wußte wohin er sollte, hielt des Geldes wegen aus, ohne irgend zu nützen. Uebler noch war es, daß die Ansiedler und Kaufleute in den benachbarten Fjorden und Handelsstellen ihm ebenfalls den Rücken kehrten. Er sah bei jedem Versuche, daß er überall Widerwillen statt Hülfe fand. Die sonst freundlich waren, schlossen jetzt ihre Thür vor ihm und nun erst wurde er inne, was Helgestad's wiederholte Warnung zu 418 bedeuten habe, sich davor zu hüten, daß er nicht zu den Aussätzigen gerechnet werde. In civilisirten Ländern, in großen Städten, findet der Makelvollste doch immer Freunde und Genossen, hier aber wandten die sogenannten ehrlichen Leute sich nicht allein verächtlich von ihm ab, es waren damit auch andere Nachtheile verbunden. Niemand kaufte von ihm oder wollte ihm verkaufen. Kein Arbeiter mochte trotz guter Bezahlung sein Mann sein, Hohn und Schande wurden auf ihn geworfen und die, denen er Gutes erzeigt hatte, waren zumeist bedacht ihn zu kränken, Schaden zu stiften und zu lästern.

Es war gewiß, daß er seine Arbeiten nicht fortsetzen konnte, und was sollte aus ihm werden, wie sollte er Einsamkeit, Entbehrungen und Ungemach ertragen? Kein Freund würde an seine Thür klopfen, kein menschliches Wesen ihm Theilnahme bezeigen, das öde Haus würde seine einzige Zufluchtsstätte sein. Es war zweifelhaft, ob selbst die wenigen Hausleute bei ihm aushielten und wenn dies der Fall war, wie sollte er diese und sich ernähren?

Blickte er dann weiter hinaus auf den Februar hin, wo halb Finnmarken zum Fischfang auf die Lofoden zog, welchen Trost konnte er daraus schöpfen? Es schien ihm unmöglich, daß er daran Theil nehmen könne, denn was gehörte zu einer Ausrüstung mit Booten und Yachten voll Geräthe der verschiedensten Art und hauptsächlich voll Lebensmittel zum Unterhalt der Mannschaften? Hätte er Kolonisten in seine Thäler und Uferstellen gesetzt, hätte er für seinen Gaard gesorgt und den Wald liegen und stehen lassen, bis zu Zeiten, wo er ohne Gefährde sich in Speculationen einlassen durfte, so wäre es anders mit ihm gekommen. Helgestad würde nicht gewagt haben, ihn in so gutem, sichern Besitz anzugreifen; hätte er es jedoch gethan, so wäre Hülfe leicht gewesen. Mehr wie einer der reichen Kaufleute hätte ihm dann Geld vorgestreckt; nun aber war er im ganzen Lande verlacht und als ein dänischer Narr verhöhnt, der eben so kopflos wie sinnlos gewirthschaftet hatte. Er bedachte das Alles, sah und erkannte Alles, aber es war zu spät!

Es gehörte der äußerste Muth und eine zähe Energie dazu, um in solcher Lage nicht zu verzweifeln. Der einzige Freund, von welchem Johann wahrhaftes Mitgefühl und allen möglichen Beistand erwarten konnte, war Klaus Hornemann. Wo aber befand sich der alte 419 Gottesmann? In welcher Wildniß, vielleicht am äußersten Kap oder an der Tana mochte er sein! Und wenn er wirklich an den Lyngenfjord kam, wenn er die Doppelehe in Helgestad's Haus einsegnete, konnte er läugnen und lügen, daß er von Afraja Geld genommen, konnte der Priester ihn mit dem allgemeinen Hasse aussöhnen, konnte er ihm Achtung und Ansehen, die Mittel verschaffen, um seinen mächtigen Feinden zu widerstehen? Diesen nicht zu weichen, sich nicht berauben und aus dem Lande jagen zu lassen, war noch immer Marstrand's fester Entschluß. Die Ueberzeugung, daß kein Makel seine Ehre belaste und sein Gewissen frei von Vorwurf sei, hielt ihn aufrecht. Er sann hin und her, irgend ein Hülfsmittel zu entdecken, aber in seiner Verlassenheit fand er auch nicht eines, das erfolgreich schien. Afraja's Geld nützte ihm nichts und doch war dieser alte Mann immer wieder der Schlußpunkt seiner Betrachtungen, doch führten alle seine Grübeleien auf ihn zurück und wenn er schlaflos lag und der Wind die Fenster rüttelte, sprang er freudig auf, weil er den Zauberer vermuthete, der sich nicht blicken ließ.

Eines Tages jedoch, als er das Balselfthal hinauf ging und bis jenseits der Wasserfälle gegangen war, hörte er plötzlich hinter sich ein leises Rufen und durch das Felsgetrümmer, in welchem die Bäume wurzelten, sah er Mortuno springen, gewandt wie ein Hirsch, mit Büchse, Alpenstock und Jagdhemd, seine Mütze mit den Adlerfedern keck auf das schwarze Haar gedrückt. Mortuno war voller Freude, als er sich näherte, und schon von weitem rief er: Alles Glück sei mit dir, Herr, doch Glück auch für mich zu deinen Diensten.

Ich habe dich lange nicht gesehen, Mortuno, sagte Marstrand.

Du siehst mich jetzt, antwortete der Lappe, weil Einer mich schickt, der es so will.

Afraja!

Du sagst es, fuhr Mortuno fort. Er hat dir Wichtiges zu vertrauen. Darum bittet er dich, zu ihm zu kommen und ihn zu hören. Willst du mir folgen?

Marstrand versprach es sogleich. Mortuno setzte sich auf einen Stein und sagte: So will ich dich hier erwarten. Sage deinen Hausleuten, daß du ein paar Tage fortbleiben willst und noch Eines. Du wirst an deiner Thür zwei Männer finden, die Essig und Pulver von 420 dir kaufen wollen. Gib ihnen, was du hast, es sind Afraja's Diener: In den Tragkörben ihrer Thiere bringen sie dir Fleisch zum Geschenk, deine stolzen Gaardleute werden nicht böse darüber sein, einen Rennthierbraten zu verzehren.

Er streckte sich lachend aus, und Marstrand fand wirklich vor seiner Thür zwei Lappen, die sein Pulver begehrten, ein ganzes Fäßchen von fünfundzwanzig Pfund kauften, allerlei andere Einkäufe an Nadeln, Scheeren, Essig, Leinwand und Beilen machten, und endlich, nachdem sie Fleisch und Käse in den Kauf gegeben, Alles einpackten und abzogen.

Nach zwei Stunden, als die Sonne zu sinken begann, war der Junker bereit zu seiner Reise. Er empfahl sein Hauswesen der Magd, der er vertrauen durfte, gab vor, an den Malangerfjord hinüber zu wollen, um zu sehen, ob dort Mehl zu haben sei und fand an der Elf den wartenden Mortuno, der sogleich aufsprang, als er ihn kommen sah, und ohne ihn abzuwarten, an der Felsenwand aufstieg.

Oben erst, wo das Fjeld begann, stand er still und nun führte er den dänischen Herrn mehrere Stunden lang östlich durch die stille Wüste. Es war wundersam anzuschauen, wie das rothe Sonnenlicht und blaue goldig durchzogene Nebel sich um die ungeheure Kuppe des Kilpis legten und dessen wetterschwarze Schluchten und Wände schön machten. Der Wind wehte scharf über das weite durchbrochene Land, das bald mit Moos reich bewachsen, bald mit nickenden Blumen und Halmen bestickt, bald wieder ein unermeßlicher Sumpf war, in welchem Marstrand vorsichtig von einem Grasbüschel zum andern sprang, um sich trocken zu erhalten. Mortuno hatte darin weit größere Gewandtheit und machte diese geltend. Er strauchelte niemals und während sein Begleiter sich bald erhitzte und in Geröll und Schutt müde wurde, lief er mit gemsenartiger Sicherheit an den steilen Rändern der Bäche nieder, die hier überall sich enge, tiefe Thäler ausgewühlt hatten, und kletterte mit demselben leichtfüßigen Geschick wieder daran auf.

Der Kilpis rückte dabei den Wanderern näher, allein er war noch immer entfernt genug, als die Nacht einzubrechen begann. Die unermeßlichen Linien der lappischen Alpen lagerten sich übereinander aufsteigend, bis an die fernen Grenzen des Horizontes und hüllten sich in Duft und Schatten. Da und dort stieg eine riesige 421 Felsenmasse auf, keine Spitzenerhebung, sondern wie die Natur dieses Landes ist, ein mächtiger Gebirgsstock, gewaltig und düster, mit glatten Wänden, oben aber wiederum ein weit gestrecktes Fjeld tragend, oder einen gigantischen Kegelgipfel. Zur anderen Seite aber lag der rothfunkelnde Schild des Meeres, eine strahlende Feuermasse, in welche die Sonnenkugel stürzte, ein seltsames von keinem Auge zu fassendes Gewirre von Inseln, glanzvollen Wasserstreifen, Gletschern und fernen Eisfeldern, die unentwirrbar in einander gewickelt schienen.

Marstrand betrachtete einige Minuten lang das edle Schauspiel, dann fragte er Mortuno über das Ziel ihrer Wanderung. Er hatte ein Recht dazu, denn wenn diese Wüste schon beim Tageslichte nur mit Vorsicht zu durchkreuzen war, so nahmen die Schwierigkeiten in der Finsterniß noch weit mehr zu. Gegen den Kilpis hin lag eine jener furchtbaren Sumpf- und Steinwildnisse von tiefrandigen Abstürzen durchschnitten und von seeartigen Wasserbecken unterbrochen, wie diese sich häufig am Fuße hoher Bergmassen finden und die Sammelplätze der Quellen und schmelzenden Schneelager sind. Hier nächtlich zu wandern, wo jeder Fehltritt das Leben kosten konnte, war erschreckend genug für einen Neuling, aber Mortuno hatte guten Trost bei der Hand.

Das ist freilich kein Land für deine Füße und für deine Augen, Herr, sagte er lachend, doch gedulde dich noch kurze Zeit, so wird es uns an Hülfe nicht fehlen. – Damit schritt er vorwärts und Marstrand folgte ihm, so gut er konnte in das dämmernde Dunkel, das nach und nach alle Fernen und Nähen einhüllte. Eine Stunde mochte dann vorüber sein, als sie in ein tiefes Gesenk hinabstiegen. Hier wuchs Birkengestrüpp und knorriges Buschwerk, das schwer zu durchdringen war, bald aber hörte Johann Hunde bellen und dann das eigenthümliche Grunzen, das, wie er wußte, Rennthiere hören lassen, wenn sie beisammen sind. Hier also mußte ein Lager sein, hier mußte eine Heerde weiden, mußten Menschen und Zelte gefunden werden, doch erkennen ließ sich nichts. Als sie an dem Wasser standen, das in der Schlucht floß, bat Mortuno seinen Begleiter zu warten, allein kaum waren einige Minuten vergangen, als er schon wiederkehrte und ein gehörntes Thier am Riemen mitbrachte.

Hier bringe ich dir ein Reitpferd, sagte er, das beste und stärkste, das weit umher zu haben ist. Steige auf, es wird dich sicher tragen.

422 Unser Abenteurer ließ sich nicht nöthigen. Es lag ein weiches Kissen auf dem Rücken des sonderbaren Renners; ein Glöckchen hing um dessen Hals, das seine leisen Töne durch die Abendstille klingen ließ und Mortuno gab ihm einen sanften Schlag, indem er ihm zugleich ein paar unbekannte, rauhklingende Gurgel- und Kehllaute zurief. Das Thier bahnte sich seinen Weg durch die Büsche nach der Höhe, der junge Finne sprang voran und Marstrand glaubte, daß dies dasselbe mächtige Ren sei, auf welchem er einst Afraja im Balselfwalde gesehen hatte.

So war denn Alles zu seinem Empfange vorbereitet worden und heimlich belustigte es ihn, daß der alte Zauberer ihm sein eigenes Leibroß entgegen geschickt hatte. Mortuno war darüber sehr schweigsam. Johann konnte überhaupt wenig von ihm erfahren, kaum gab er zu, daß wirklich in der Schlucht eine Heerde Afraja's ihr Lager habe.

Du wirst schon sehen, wo du bist, sagte, er, wenn es Tag wird. Afraja wird dann bei dir sein und dir viele Rennthiere zeigen.

Du führst mich also zu seiner Gamme? fragte Marstrand.

Afraja wohnt überall, antwortete Mortuno. Wohin er kommt, hat er, was er braucht und will.

Diener, Zelte und Reitpferde, lachte sein Begleiter. Aber sind Eure Rennthiere so stark, so wundert es mich, daß Ihr nicht alle auf den Fjeldern umherjagt.

Du bist im Irrthum, sagte der Lappe. Selten findet sich ein Thier, das nicht nach kurzer Zeit mit seinem Reiter sich am Boden wälzte. Dies hier ist eine Seltenheit. Es stammt vom weißen Meere, wo eine Insel liegt, Kola genannt, von dort kommen die größten und stärksten. – Du darfst überhaupt nicht glauben, fügte er hinzu, daß die Rennthiere, so sanft und geduldig sie scheinen, sich alle Unbill gefallen lassen, die Einer ihnen anthun mag. Sie ertragen es lange wenn man sie zwingt Lasten zu schleppen, Schlitten zu ziehen, oder wenn Geräthe und Zeltstangen auf ihre Rücken gebunden werden, sobald es ihnen jedoch zu viel wird, gerathen sie in Zorn, gehen mit Hörnern und Füßen auf ihren Herrn los, verfolgen ihn und werfen ihn zu Boden. – Er lachte, auf und schrie dann lebhaft: Das Rennthier ist klüger wie wir, es schafft sich sein Recht, und Gott mag 423 wissen, wo wir unsere Augen hatten, sonst hätten wir längst viel von ihm lernen können.

Ist es weit noch bis zu dem Orte, wo dein Oheim uns erwartet? fragte Marstrand, der Mortuno nichts Anderes antworten mochte.

Du bist ihm näher wie dem Balsfjord.

Und Gula wird bei ihm sein?

Mortuno schwieg. Nach einem Weilchen aber erhob er seine Stimme und begann ein Lied zu singen, das gar nicht übel klang. Es schien ein Lied zu sein, das ursprünglich in seiner Muttersprache gedichtet war, aber er übersetzte es, indem er es sang, in's Norwegische, gewiß in der Absicht, daß Marstrand es verstehen sollte.

»O Sonne,« begann es, »wenn du am Himmel ständest mit deinem goldenen Lichte, würde ich den Urevand sehen können, den blauen, wellenschlagenden See, aber ich sehe die Sterne, sie scheinen in sein klares Wasser und Eine weiß ich, die schaut zu ihnen hinunter und fragt wo ich bin.«

»Wenn ich von dem hohen Gipfel der Fichte in das verborgene Thal sehen könnte, wollte ich hinaufsteigen, um zu lauschen, unter welchen Blumen mein Liebchen schläft. Ich wollte alle Sträuche, die dort wachsen, ausreißen, wollte alle Zweige, diese grünen Zweige, abhauen, wenn sie mich hinderten.«

»Es mangeln mir Flügel, es mangeln mir Füße, Flügel des schnellen Vogels, Füße des schlanken Rens, die mich zu ihr bringen könnten, und ach! sieht sie mich nicht, hört sie mich nicht? Ich weiß es nicht. Aber mein Auge sieht sie, ob die Nacht auch dunkel sei, mein Ohr hört ihren Athem.«

»Ich habe auf dich gewartet so viele, viele Tage, so viele gute Tage; ich habe gewartet deine allerschönsten Augen zu sehen, und drin liebliches, sanftes Lächeln; aber ach! wie ist so bleich dein Gesicht, wie so matt dein Fuß, der doch so leicht und zierlich war, wie der Fuß des jungen Luchses.«

»O, sage mir, Holde, was dir fehlt. Fliehe nicht vor mir, denn wohin du auch flöhest, ich würde eilen dich zu haschen. Was kann stärker binden als ein Seil gewundener Sehnen, was hält fester als Ketten von Eisen? Stärker, stärker, Mädchen, bindet die Liebe mir Kopf und Glieder, hindert mich zu denken, macht mich schwach.«

424 »Des Kindes Wille, des Windes Wille, der Jugend Gedanken sind eitle Gedanken. Wollte ich mit ihnen rechten, sie würden mich von dem richtigen Wege verlocken. Doch du allein sollst entscheiden. Thue was du willst, schließ' deine Augen zu, höre mich nicht! Wie mein Herz auch zittern mag, es soll gehorchen.«

»Frieden sollst du haben, Geliebte, Trost und Frieden! Deine Wange soll wieder roth werden, dein Fuß fröhlich und leicht über die nickenden Blumen eilen, dein Herz soll klopfen wie in schönen Tagen. Noch einen Rath weiß ich, den will ich annehmen, mit ihm hoffe ich den rechten Weg zu finden.«

Hier schwieg Mortuno, nachdem seine Stimme zum leisen Flüstern gesunken war.

Du hast dies Lied gemacht? fragte Marstrand.

Ja, Herr.

Noch nicht lange hast du es gemacht?

Gestern war es.

Sie zogen weiter durch die Nacht. Der Himmel hing darüber mit zahllosen Sternen. Das Rennthier plätscherte durch Wasser, das ein weites Becken zu füllen schien, in welchem der Schimmer der Gestirne widerspiegelte.

Und dies ist der Urevand? fragte Marstrand wieder.

So nennen ihn die Männer deines Volkes, antwortete Mortuno, es ist Jubinal's heiliger See. – Plötzlich flimmerte ein rother Schein in der Ferne und das Thier stieg mit seinem Reiter aus dem Wasser auf festen Boden, der immer höher und steiler sich erhob. Hunde bellten laut, aber Marstrand fragte nicht mehr, denn er wußte, daß er jetzt in Afraja's Nähe war. Nach einiger Zeit kamen mehrere Männer mit großen, brennenden Holzspänen ihnen entgegen und wechselten ein paar Worte mit Mortuno, der den Leitzaum des Rennthiers ergriff und es zwischen gewaltigen Felsblöcken zu einem spitzen Zelte führte.

Als Marstrand abstieg, leisteten sie ihm Beistand. Mortuno führte ihn höflich in die braune Gamme. Der Boden derselben war mit Birkenblättern dicht bestreut; ein Feuerplatz befand sich in der Mitte, über welchem an einer langen Kette eine eiserne Doppellampe schwebte. An der einen Seite befand sich ein Sitz von Birkenreisern, 425 an der anderen ein weiches Lager von Moos mit Linnentüchern bedeckt, daneben lag eine Anzahl warmer Decken und Pelze.

Verweile hier, sagte Mortuno, Afraja ladet dich zur Ruhe ein.

Und wo ist er? fragte der Junker.

Wer mag es wissen? Wenn es Zeit ist, wird er bei dir sein. Bist du müde, so schlafe unbesorgt, hast du Hunger oder Durst, so findest du hier, was wir geben können. Er deutete dabei auf den Herdstein, wo Brod und Speisen sammt Flaschen und Krügen standen, und verließ dann das Zelt, indem er seine Bitten wiederholte, Marstrand möge geduldig seinen Oheim erwarten und dessen Gastfreundschaft sich gefallen lassen.

Was blieb in dieser Lage auch weiter übrig? Es war tief in der Nacht und der lange, mühsame Weg hatte den Reisenden nicht wenig angestrengt. Er setzte sich auf den großen Stein und kostete von der fetten, frischen Milch und dem Fleisch, dann gab er sich seinen Betrachtungen hin und horchte von Zeit zu Zeit auf, wenn ihm war als höre er draußen Geräusch und Schritte. Aber es war Nichts als das hohle Rauschen des Windes und als er das Zelt öffnete und hinaustrat, fand er nur Dunkelheit und tiefes Schweigen. Kein Gegenstand war zu erkennen, er wußte auch nicht, wo er sich befand. Kein Wächter war zu bemerken, kein Laut verrieth die Nähe eines Lebendigen. Marstrand sagte sich lächelnd, daß er fester hier gefangen sei, wie ein Mensch, den man in der civilisirten Welt hinter Mauern und Riegel einsperrt. Glückt es dem seine Fesseln zu brechen, so weiß er wohin er flieht, hier aber hinderte anscheinend Nichts ein Entweichen und doch war kein Schritt ohne Gefahr. Listig hatte Afraja es veranstaltet, daß sein Gast bei Nacht zu ihm geführt wurde, und wo war er nun, wo war Gula? Warum ließ er ihn allein und was wollte er von ihm? Eine lange Reihe von Fragen knüpfte sich an diese ersten, endlich aber, als ersichtlich Geduld hier durchaus geübt werden mußte, warf er sich auf das Mooslager, drückte seinen Kopf in die weichen Felle und schlief ein. Einigemale erwachte er wieder, sah scheu umher, suchte den alten Schirmherrn, horchte und fiel zurück, endlich aber wurde sein Schlaf fester und als er aufsprang, war die Lampe am Verglimmen und der Tag graute herein.

426 Seine Neugier war groß als er die Zeltdecke aufhob, um die unbekannte Welt zu betrachten, doch verwundert sah er, daß er auch jetzt sich ganz allein befand. Nirgend war ein Rennthier, nirgend eine Gamme, Nichts als kahle, gebrochene, furchtbar öde Wildniß. Er wandte sich und hob den Kopf in die Höhe. Hinter ihm lag der kantige, ungeheure Felsen des Kilpis, sein riesiges, schwarzes Haupt von der ersten Morgenröthe angehaucht. Als er forschender um sich blickte, bemerkte er, daß der Ort, wo er sich befand, ein Gebirgsabsatz am Fuße des mächtigen Stockes sei, von welchem er durch eine tiefe Kluft getrennt wurde. Nach drei Seiten hin fiel das kleine Fjeld mit fast senkrechten Wänden in einen ziemlich großen See, der zwischen Trümmern und Felsenzungen sich ausbreitete, mit der vierten hing es mit einem hohen Gebirgssattel zusammen, an welchem das gehörnte Pferd in der Nacht mit seinem Reiter aufgeklettert sein mußte, nachdem es einen Theil des Sees durchwatet hatte. Wo war es aber nun? Wo war Mortuno? Wo war die braune Heerde? Und wo vor Allem war Afraja und sein Kind?

Marstrand sprang auf einen der hohen Blöcke und mit Erstaunen sah er, daß der Kreis derselben, in welchem das Zelt stand, sehr regelmäßig aussah. Alle diese Felsenstücke schienen kantig behauen und mit sonderbaren Linien und Rinnen versehen, die nicht willkürlich oder zufällig sein konnten. Er hatte öfter schon von den Zauber- und Opferkreisen der Lappen im Gebirge gehört und zweifelte nicht, daß dies eine Saita sei, die irgend einer der vielen Gottheiten gehöre. Zu gleicher Zeit aber fiel es ihm auf, daß Afraja hier ein Zelt erbaute und ihn darin geherbergt habe. Gewiß war der gewaltige, flache Stein, auf dem er sein Mahl gehalten, kein Herdstein, sondern ein Opferstein, und dort, wo er schlief und wo er stand, war den heidnischen Göttern, vielleicht noch kurz zuvor, gräulicher Zauberdienst geleistet worden.

Alle diese Muthmaßungen führten jedoch zu Nichts. Der Tag war heller geworden, die fernen Nebelwälle theilten sich und Marstrand blickte über ein weites Stück Land, ohne irgend eine neue Entdeckung machen zu können. Als er jedoch an der Schlucht hinging, die zwischen dem Vorsprung und der hohen Wand des Kilpis lag, kam es ihm vor, als wären dort die Steine stufenartig übereinander 427 gelegt, so daß ein Hinabsteigen an einer Stelle möglich wurde. Er säumte nicht einen Versuch zu machen, der über Erwartung gut gelang, und als er auf den Grund gelangte, sah er, daß dieser sich weithin in eine Kluft fortsetzte, die wie ein tiefes, höhlenartiges Thor den Kilpis und die anlehnende Gebirgsmasse durchbrach. Von oben konnte man unmöglich etwas davon entdecken, hier jedoch wölbte sich die Schlucht zu einem Gange und füllte sich in der Tiefe mit wunderbarem Glanz, der, wie Marstrand bald inne wurde, nichts anderes war, wie heller Sonnenschein, der ihm entgegenschimmerte. Er war überzeugt, daß ein natürlicher Verbindungsweg mitten durch den mächtigen Felsensattel führte, welcher steil an dem Kilpis auflief und längst schon glaubte er, daß dies die Wand sein müsse, vor der Olaf bei seiner Entdeckungsreise stillstand, als er eben in ein großes Thal schaute. Voller Verlangen schritt er vorwärts. Eine Ahndung sagte ihm, dort müsse Gula wohnen, hier werde er auch Afraja finden, und dennoch, als er nun aus dem Gang heraustrat, stand er überrascht und zögernd still, denn was er erblickte, übertraf alle seine Erwartungen.

Er sah ein Thal vor sich liegen, grüner und lieblicher, wie er jemals eines in diesem Lande gesehen. Eine mildere, glücklichere Natur schien darin zu walten, eine wärmere Sonne ihr Licht darüber auszugießen. Nirgend trat der Felsboden hervor, überall war fruchtbare Erde, überall wurzelten schöne, große Bäume, die Birke und die nordische Fichte zwar, doch nicht so schwarz und traurig, wie diese an den düsteren Fjorden stehen, sondern kraftvoll, buschig und grün, wie sie südlicher wachsen. Mitten durch das Thal strömte ein Bach, dessen Rand mit Gebüsch besetzt war, das sich über ihn hinneigte. Dichtes Gras wuchs in Fülle, Moosblumen in mancherlei Farben sproßten dazwischen auf und wohin Marstrand blickte, überall schien es ihm schön zu sein, überall glaubte er einen Garten zu erblicken, der von sorgsamer Hand gepflegt wurde. Plötzlich hörte er, eben wie Olaf damals, ferne Glöckchen klingen, aber wie schlug sein Herz, als er aus dem dichten Geblätter, hinter welches er sich zurückgezogen, ein Mädchen kommen sah, das sich dem Bache näherte und kein anderes war, als Gula selbst.

Marstrand's ganze Theilnahme erwachte, eine zitternde Freude lief durch sein Herz. Die kleine zierliche Gestalt war in ein langes 428 lichtbraunes Gewand gehüllt; ihr Gesicht war sichtlich abgezehrt und krank, ihr langes schwarzes Haar fiel auf die Schultern nieder und neben ihr ging ein weißes gezähmtes Rennthier, dessen rothes Halsband ihre Hand berührte. Sie sah vor sich nieder und ging der Sonne entgegen, die eben ihre ersten Strahlen über die Felsen sandte; plötzlich stand das Thier vor dem Gebüsch still und wie sie langsam den Kopf aufhob, sah sie den fremden Mann vor sich stehen.

Gula! rief Marstrand seine Arme ausstreckend, und ihre Augen leuchteten auf, ihr Schrecken verwandelte sich in jähes Entzücken; ihre Lippen öffneten sich sprachlos, zitternd eilte sie ihm entgegen und klammerte sich an ihn so fest als glaubte sie nicht, daß er wirklich da sei. Ihre großen Augen blickten ihn unaussprechlich flehend an, Thränen rollten daraus hervor. Sie hatte keine Worte, ein schmerzhaftes Zucken flog durch ihr Gesicht und durch den ganzen Körper, dann kehrte die süße Gewißheit zurück. Der Augenblick mit aller seiner Seligkeit faßte das arme verlassene Kind, und während Johann zu ihr redete, hing ihr Kopf weit über im Nacken, ihr Blick an seinen Mund festgebannt, als wollte sie nie und nimmer von ihm lassen.

Liebe theure Gula, sagte Marstrand ergriffen von diesem Empfang, wie lange habe ich mich danach gesehnt, dich wieder zu finden. Sage mir wie es dir geht? Sage mir, ob du krank bist? Aber wenn du lachst, dein Auge ist hell, du lebst in Frieden!

Frieden mit dir und mir! antwortete sie. Ich sehe dich und ich fühle nichts. Aber was ist das? fuhr sie fort, indem sie ihn betrachtete. Du bist bleich geworden, dein Gesicht drückt Kummer aus. O! mein Vater hat es mir gesagt, sie verfolgen dich, weil du besser bist, wie sie. Sie haben dich verrathen, Helgestad hat dich betrogen, Alle, Alle sind gegen dich!

So weißt du also was mir geschehen ist? fragte er, und wie dein Vater mir Beistand geleistet hat?

That er das? rief sie lebhaft, Gottes großen Dank dafür! Nein, Herr, ich weiß es nicht, erst gestern sprach er von dir. O, nun erkenne ich, warum er es that. Er wollte mich auf deine Ankunft vorbereiten, er erzählte von dir, lobte dich und da bist du nun, ehe ich es dachte.

Nach seinem Willen, antwortete Johann, nachdenkend und lächelnd.

429 Und nach deinem Willen, sprich nach deinem Willen! fiel sie ein. Sagtest du nicht, daß du Sehnsucht hattest? Frägst du nicht, wie ich viele viele Tage betete, wie ich jeden Tag zu dem Kilpis hinauf sah, wenn der feurige Hauch an ihm hing und wie es mein Trost war, wenn ich dachte: Jetzt wohl blickt er hier herauf und erinnert sich an die arme kleine Gula. Nenne mich wieder so, rufe mich, daß ich es höre. O! – o! Du weißt nicht, wie deine Stimme mir so wohl thut; du weißt nicht, was ich in Einsamkeit gelitten habe, flüsterte sie zagend. – Sie hing in seinen Armen, ihr Lächeln, ihr Blick war Liebe, neues Hoffen und jene göttliche Gläubigkeit, die alle Zweifel von sich wirft. Er küßte ihre Lippen, er nannte ihren Namen, nannte sie seine kleine liebe Gula; was hätte er ihr sagen können? Was wäre der Muth gewesen, diese tiefe hingebende Liebe von sich zu stoßen!

Du sollst nicht leiden, sagte er. Haben wir nicht einen Bund gemacht, daß wir treu uns beistehen wollen?

Sie nickte ihm mit leuchtenden Augen zu. Ich bin dir treu, rief sie. Sage mir, was ich thun muß, ob ich leben oder sterben soll, aber verlaß mich nicht, verstoße mich nicht! Sie deckte eine Hand auf ihre Stirne, als erinnere sie sich an etwas, dann fuhr sie fort: Mein Vater will dir wohl, er ist mächtig reich, reicher als Helgestad. Fordere von ihm, was du willst, er wird es dir gewähren.

Wo ist dein Vater?

Hier! antwortete eine Stimme vor der Höhlung der Felsenwand und da stand Afraja, die Hände um seinen großen Stock gelegt, die spitze Lappenmütze auf seinem häßlichen dicken Kopf und blickte ihn mit den verschmitzten Augen boshaft an.

Sei gegrüßt, Jüngling, in meinem Lande, sagte er, und habe Dank, daß du gekommen bist. Er reichte seinem Gaste die Hand und lachte in seiner Weise. – Du hast den Weg gefunden, der schwer zu finden ist, fuhr er dann fort, aber ich dachte wohl, daß er dir nicht verborgen bliebe. Nun bist du hier in Jubinal's Paradies, möge es dir gefallen.

Hat Jubinal einst hier gewohnt? fragte Marstrand.

Er wohnt noch hier, antwortete Afraja ernsthaft. Er läßt die Blumen wachsen und streckt seine Hand über Alles aus, was in diesem Thale lebt. Wenn der Kilpis in Eis und Schnee begraben 430 liegt, alle Quellen erstarrt sind, fließt der Bach, wie er jetzt fließt, und meine Heerde findet Nahrung, so viel sie bedarf.

Marstrand hätte dagegen mancherlei Zweifel einwenden können, denn er wußte gewiß, daß dies versteckte Thal sich eben sowohl mit Schnee füllen mußte, wie alle anderen, aber ein liebliches, geschütztes Plätzchen war es gewiß und gern gestand er seine Ueberraschung, die der alte Stammführer beifällig zu hören schien.

Du sprichst gerecht und gut, antwortete er dann, es gibt jedoch manches Andere, was dir noch besser gefallen wird. – Seine Augen blitzten auf Gula und indem er mit der Hand über ihr Haar strich, murmelte er ihr einige Worte zu und fuhr dann laut fort: Wir wollen gehen, ich will dir meine Thiere zeigen, während dessen soll das Mädchen sorgen, daß sie dich aufnehmen kann, wie es schicklich ist.

Gula eilte, dem Winke folgend, mit einem heißen Blick auf ihren Freund davon. Das zahme weiße Thier lief ihr nach, Afraja dagegen führte den Gast durch die Windungen des Thales, überstieg dann mit ihm einen hohen Wall von Schutt und Gestein, an dessen Seite sich das rauschende Wasser seinen Weg in eine tiefe bewachsene Schlucht brach, und jetzt sah Marstrand sich auf der moosigen Hochebene, den Saitasteinen gegenüber, in welchen er die Nacht zugebracht hatte. Das Zelt war dort verschwunden, es war nur für ihn aufgeschlagen worden, aber zu seinen Füßen am Rande der Waldschlucht erhoben sich fünf andere Zelte und vor diesen zog sich ein Gehege von Birkenstämmen und Geflechten hin, innerhalb deren es von gehörnten Milchkühen wimmelte.

Zum ersten Male war er mitten in der Alpenwirthschaft eines Lappenlagers, dessen ganze fröhliche Geschäftigkeit sich vor ihm aufthat. Die große Heerde innerhalb des Geheges war mehr als tausend Köpfe stark und heute wurde die Herbstmusterung gehalten. Wohl ein Dutzend Männer und Weiber schienen mit Melken beschäftigt, mehrere andere führten die sich sträubenden Thiere herbei. Denn nur ein Theil derselben kam willig von selbst, um die strotzenden Euter leeren zu lassen, andere suchten sich davon zu machen, aber kein Indianer Südamerika's mochte sicherer seinen Lasso schleudern, wie diese Hirten ihre vierzig bis fünfzig Fuß langen Schlingen, die jedesmal, ohne je zu fehlen, über das Gehörn des scheuen Geschöpfes fuhren, 431 das sie treffen sollten. Dann wurde es widerstandslos an die Geflechte gezogen, dort gemolken und frei gelassen, oder Mortuno, der mit zwei erfahrenen Gehülfen umherging, bestimmte es wegen seines Alters, Fleischgewichts und Fettes zum Verkauf auf den nächsten Markt und schnitt ihm ein Zeichen in's Haar. Die jungen Thiere standen in einem dichten Haufen, die Kälber umsprangen ihre Mütter, stießen sich und jagten sich, schrieen vor Lust und wurden durch den warnenden Ruf der Alten gelockt, die ungeduldig den Augenblick erwarteten, wo sie aus den Hürden in's Freie gelassen würden. Die Glocken der Leitthiere schlugen melodisch an und die Männer und Weiber sangen bei ihrer Arbeit. Gelächter und Frohsinn schienen überall zu walten. Da liefen die Hirten mit großen Gefäßen voll Milch nach der Vorrathsgamme, die das größte Zelt bildete, dort wieder in ein doppelt an einander gebautes, welches das Familien- und Wohnhaus zu sein schien und aus dessen zurückgeschlagener Decke heller Feuerschein unter einer Rauchsäule hervorzuckte. Alle diese Zelte oder Gammen waren sehr einfach gebaut, denn sie bestanden aus nichts, als aus sieben oder neun ziemlich hohen Stangen, welche in einer zusammengebundenen Spitze sich vereinten, unten aber einen Kreis bildeten. Eine Decke von grober brauner Leinwand hing über den ganzen Bau, der durch einige Stricke aus gedrehtem Leder und Pflöcke verstärkt war, um Sturmstößen besser zu widerstehen. Bei einigen Gammen war die Zeltdecke geölt, alle waren in gutem Stande und nahe der größten hingen an mehreren Pfählen Geräthe und Decken, Holznäpfe und Kleidungsstücke. Marstrand sah mit neugierigem Gefallen dies Hirtenleben und Treiben.

Der Tag war heiter, der Himmel so schön blau, wie in der besten Zeit, und die Sonne wärmend, gelbstrahlend, trotz der Morgenfrühe und der Windbewegung. Afraja überließ ihn seinem Nachdenken, denn er wurde bald von Mortuno und den andern Männern abgerufen, um bei der Auswahl der Thiere zu entscheiden.

So vergeht ein Menschendasein, sagte Johann, nachdem er lange auf einem Stein gesessen und zugeschaut hatte, dort in Palästen, da in Hütten, bei den Einen auf seidenen Kissen, hier auf rauhem Fels und Schnee, und was dem Verwöhnten fürchterliches Elend scheint, ist dem Natursohne Genuß und Glück. Aber ich kann jetzt begreifen, 432 fuhr er fort, als Afraja zurückkam, warum die armen Bö- und Fischlappen an der Küste Euch so sehr beneiden. Es ist eine Herrlichkeit um solch freies Hirtenleben gegen das dumpfige Wohnen in einer Erdhütte.

Die dort unten, erwiderte Afraja stolz, sind Bettler, die sich von Almosen nähren. Ich habe hundert Thiere aus dieser Heerde gewählt, die ich am Markttage verkaufen will, sammt Federn, Häuten und Geweihen. Meine anderen Heerden werden mir nicht weniger einbringen, meine Taschen werden voll blanker Thaler sein und dabei fehlt es uns nicht an guter Speise aller Art, Jahr aus Jahr ein. Wir wandern in unserem weiten Lande auf und ab, leben, wo es uns gut dünkt, leiden keine Noth, kennen keine Entbehrung. Wie vielfach ist die Plage der Männer, die sich weiser und besser dünken? Wie groß sind ihre Bedürfnisse? Und je weiter du blickst, um so mehr wirst du finden, daß ich Wahrheit spreche. Die Menschen sind gerecht gewesen, so lange sie wenig bedurften, je weiter sie in schlauen Künsten kamen, um so gieriger und gewissenloser wurden sie. Wir leben noch wie unsere Väter vor langen Jahren. Wir wollen Nichts von fremdem Gut, aber dein Volk hat uns bedrückt, hat uns genommen, was uns gehört und gibt uns keinen Frieden.

Wenn das wahr wäre, was du sagst, antwortete Marstrand, würde es auf der ganzen Erde nur Hirten und Jäger geben. Wir würden wie die Thiere des Waldes sein. Doch der Mensch hat von Gott den Sinn erhalten, weiter zu streben, zu lernen und zu schaffen und seinen Verstand zu gebrauchen.

Muß er ihn gebrauchen, um Unrecht zu thun? fragte Afraja.

Nein, erwiderte der Junker, Aufklärung soll uns bessern, soll uns milder und gerechter machen.

Dann sieh, sagte der alte Mann, was aus denen geworden ist, die da meinen, ihr Gott sei der Gott der Wahrheit. Doch komm, fuhr er fort, meine Heerde geht auf ihre Morgenweide. Du wirst durstig sein, brich mit uns dein Brod und danke dem Allvater, dem jedes Geschöpf gehört.

Während er sprach, hatte sich die dicht gedrängte Thierschaar in Bewegung gesetzt. Ein Dutzend der kleinen, zottigen Hunde, die bisher wachsam den ganzen Trupp umstanden und jedes Ren 433 zurückgewiesen hatten, das sich entfernen wollte, begann ein lautes Gekläff. Die Leitthiere setzten sich an die Spitze ihrer zahlreichen Familien und nun ging es hinaus in die thauige, moosige Haide, erst zu dem See hinab, um zu trinken, dann in die waldige Schlucht, wo reiches Futter war. Es war ein fröhlicher Zug in's freie Leben. Die Thiere muthig springend, die Hunde mit frischem Gebell, die Hirten mit langen Stäben und gellendem Geschrei nach allen Seiten; die Zurückbleibenden aber sammelten sich in dem großen Zelte, wo ein Kessel von oben herab an der Kette über dem Feuer auf dem Herdsteine hing, und eine alte Frau, häßlich wie eine Hexe, die fette, frische Rennthiermilch zum Frühstück kochte.

Weiber, Kinder und Männer hockten da im Kreise, empfingen ihr Theil, aßen die Mehlkuchen dazu, welche heiß von dem heißen Steine kamen und sahen mit scheuen, lauernden Blicken den fremden Herrn an, der ihren ausgezeichneten Appetit beobachtete.

Afraja nahm eine der Holzschalen, die alte Frau füllte sie mit dem Tranke, dann reichte er sie seinem Gaste. Du mußt nehmen, sagte er, was wir geben können, hier ist Niemand, der Besseres oder Schlechteres hätte.

Die Holzschale sah nicht eben einladend aus, aber die süße Milch schmeckte vortrefflich. Eine belebende Wärme kam über ihn; er fühlte sich erfrischt und erquickt, Afraja nickte beifällig, als er dies bekannte.

Ich hoffe, sagte er, du wirst noch besser mit unseren Speisen zufrieden sein, denn selbst Männer wie Helgestad verschmähen diese nicht.

Dieser Name erinnerte den Gaardherrn an den eigentlichen Grund seines Kommens. – Du hast mich zu dir gerufen, sagte er, und ich erfüllte mein Versprechen um so lieber, weil ich deines Rathes bedürftig bin. Du weißt gewiß, wie es mit mir steht, daß mein Haus verlassen ist, meine Arbeit stockt und daß ich in Wahrheit kein Mittel kenne, um mich aus der bedenklichen Lage zu reißen, in welche ich durch Helgestad's Falschheit gerathen bin.

Ich weiß, antwortete Afraja, und dann sah er nachdenkend in die Ferne, als überlege er seine nächste Antwort, bis er plötzlich auf einen Gegenstand deutete, der an der Kette von felsigen Hügeln sichtbar wurde, die jenseits des See's hinzogen. Weidenbüsche wucherten 434 dort und war es Täuschung oder Wirklichkeit, Marstrand glaubte Olaf zu erkennen und neben ihm stand der Schreiber, hinter den Beiden Björnarne.

Helgestad's Sohn! rief er überrascht.

Der Lappe nickte, er schien weder erschrocken noch besorgt zu sein. Seine Augen waren scharf, und wie er sich vorbeugte, schien es, als hielte er sein Ohr ihnen entgegen und als könnte er hören, worüber sie sich besprachen. Nach wenigen Minuten stiegen die drei Männer die Hügel hinab und näherten sich rasch den Zelten.

Sie dürfen mich nicht finden, sagte Marstrand. Was wollen sie?

Afraja hob mit seinem Stabe das Linnen des dicht anstoßenden Zelttheiles auf. Verbirg dich dort, sprach er, so wirst du hören, was sie zu uns führt.

Auf seinen gellenden Pfiff kam Mortuno mit einigen Männern aus der Vorrathsgamme und kaum hatte er die drei Normänner erblickt, als seine Augen funkelten und sein Gesicht einen wilden und rachsüchtigen Ausdruck annahm. Johann konnte nicht verstehen, was der Inhalt des Gespräches war, das Onkel und Neffe führten, allein er verstand aus Geberden und Winken, daß Afraja Ruhe und Vorsicht gebot und endlich mit Nachdruck etwas zu befehlen schien, als Mortuno nach dem Gewehr griff, das am Pfosten neben dem Eingange hing.

Gehorsam hing er die Waffe wieder an ihren Ort und hörte mit den anderen Männern schweigend an, was das Stammhaupt gebot. Gleich darauf entfernten sich Alle und Afraja setzte sich neben den Herdstein auf die Birkenreiser, bis Hundegebell und nahe rauhe und lachende Stimmen die Ankunft seiner Gäste verkündeten.

Ruf deine Bestien an dich! schrie der Schreiber, als er Afraja bemerkte. Dulde nicht, daß sie deine besten Freunde und Gönner anfallen. Da sitzt der weise Hohepriester auf dem Streubündel, fuhr er lustig fort, und bemerkt unsere unbedeutende Gegenwart kaum.

Afraja that einen anderen gellenden Pfiff und sogleich ließen die Hunde ab. Nun, wahrhaftig, sagte Paul, indem er bis an das Zelt vordrang, da haben wir ihn wirklich und unsere Sehnsucht ist gestillt. Friede mit dir, glorreicher Afraja; der Himmel schütze dein theures Haupt! Du blickst uns mit stoischer Unbeweglichkeit an und doch bist du jedenfalls neugierig, wie du zu der Ehre 435 kommst, uns in dieser gesegneten Gamme zu sehen. Das will ich dir in wenigen Worten mittheilen. – Gestern früh haben wir den Lyngenfjord verlassen, um eine Herbstjagd zu machen, da es fette Vögel jetzt in Fülle gibt, Rypen und Schnepfen, auch mannigfaches Wild. Unsere Jagd ist glücklich gewesen, ein voll beladenes Pferd läuft mit der Beute am Omnisjok hinab; wir aber streiften weiter durch die Pitsasjauren, haben dort geschlafen und kamen so bis an den Kilpis. Als wir deine Zelte erblickten, weiser Altvater, war es unerläßlich, dir einen Besuch zu machen, um uns deiner Freundschaft zu empfehlen.

Seid willkommen, sagte Afraja, ich sehe den Sonnenschein gern in meiner Gamme. Setzt Euch zu mir, Alles, was ich habe, gehört Euch.

Ihr habt es gehört! schrie Paul lachend. Alles, was er hat, gehört uns. Wir nehmen dich beim Wort, hier stehen die Zeugen. So bekenne denn, du alter Geizhals, wo du deine Schätze verbirgst?

Suche sie, antwortete der Lappe, in die Lustigkeit einstimmend, und nimm, Väterchen, was du findest.

Also auch dazu giebst du deine Erlaubniß, rief der Schreiber, nun wer weiß, was geschehen kann. – Er hob die Zeltwand auf, sah in die Nebenabtheilung, erblickte nichts darin, als Decken und Geräthe und fragte dann: Wo hast du deine Leute? Sind deine Gammen ausgestorben? Wo ist der liebenswürdige Mortuno, der doch sonst flink bei der Hand ist, wo er einen normannischen Hut sieht.

Meine Thiere weiden im Thale, antwortete Afraja, und meine jungen Leute sind bei ihnen. Laßt mich sehen, was ich meinen Gästen vorsetzen kann.

Er ging bis vor die Zeltthür und klatschte in die Hände, was einige Weiber und Kinder herbeirief.

Wenn der alte Schuft wirklich allein wäre, sagte Olaf leise, so könnten wir ein ernsthaftes Wort mit ihm reden.

Mache keinen schlechten Spaß, mein guter Junge, antwortete Paul, der seine Augen rastlos umher spüren ließ, ich dächte, du wüßtest genau, was eine Lappenkugel zu bedeuten hat. Nein, Friede und Freundschaft mit dem Hexenmeister, der auf keinen Fall mißtrauisch werden soll. Laßt uns seine Milch trinken und stört mich nicht in meinen Einfällen. – Sei munter, Björnarne! denke an dein 436 süßes Liebchen Hannah, das dich morgen sehnsüchtig empfangen wird und du, Olaf, fange keinen Streit an, denn dort sehe ich ganz, wie ich es dachte, Mortuno's gelbes Gesicht aus der Vorrathsgamme schielen. Afraja wird gewiß so galant sein, ihn nicht in deine Nähe zu bringen, also Ruhe und kaltes Blut, um den guten Humor nicht zu verderben.

Die drei jungen Männer hatten sich um den Herdstein gesetzt, ihre Jagdtaschen und Büchsen neben sich niedergelegt und Paul hatte eine gut gefüllte Flasche hervorgezogen, die er dem wiederkehrenden Afraja entgegenschwenkte. – Nimm diesen Göttertrank, rief er, den Jubinal nicht verschmähen würde, du bist ein Kenner, ich weihe ihn dir. Aechter Rak, Afraja, aus dem Feuerlande im Süden. Weigere dich nicht, würdiger Häuptling. Da bringen deine Sklaven Milch, Rennthierfleisch und Mehlkuchen, wir können dich vor der Hand mit nichts Weiterem belohnen, allein unsere Schuld soll abgetragen werden, sobald wir uns wiedersehen. Du kömmst doch auf den Lyngenmarkt in eigener Person?

Ich komme, Väterchen, komme! antwortete der Lappe, vergnügt grinsend. Bringe Rennthiere, mehr als hundert. Er zählte seine anderen Waaren auf und ein Gespräch über die Märkte kam in Gang, während drei Lappenweiber und mehrere Kinder Speisen brachten und diese vor die Gäste stellten.

Marstrand lag versteckt unter den Decken und konnte jeden Laut hören, der nebenan gesprochen wurde, aber was er erwartete, geschah nicht. Mit keinem Worte wurde seiner gedacht, keinerlei Anspielung oder Nachforschung über die plötzliche Geldhülfe kam vor. Die Jäger waren hungrig und durstig, ließen es sich schmecken, lobten das saftige Fleisch und lachten über Petersen's Scherze, der die zarten Finger hoch leben ließ, die es bereitet und gebracht hatten.

Du mußt auf den Lyngenmarkt kommen, sagte der Schreiber mit vollem Munde, und wirst dir dadurch sogar den Dank des Voigts von Tromsöe erwerben. Allerlei Streitigkeiten sind vorgefallen, Raufereien, kleine Diebstähle, Ueberfälle und andere Ungebühr. Die Wahrheit zu sagen, Afraja, so bin ich auch deswegen zu dir gekommen. Du hast Einfluß bei deinen Landsleuten. Halte sie in Ordnung, damit sie keinen Uebermuth begehen. Du bist ein 437 nachdenkender, verständiger Mann, kannst somit zumeist die Folgen ermessen.

Du wirst mir keine Schuld geben, Väterchen, antwortete Afraja.

Niemand gibt dir Schuld, fuhr Paul fort, aber dein eigener Neffe macht schlimme Streiche. Wo ist er? Hast du ihn hier?

Nicht hier, lachte der alte Mann nach Lappenweise. Thue ihm nichts, er ist jung, wird sich bessern.

Wenn er eine Frau bekommen hat, sagte Paul, oder hat er sie schon? Hat er Jungfrau Gula heimgeführt oder nicht?

Afraja schüttelte sich vor Lachen und that einen tüchtigen Zug aus der Rumflasche. – Es ist ein weiter Weg bis zum Enare, rief er, Mortuno hat Zeit, den Topf zu zerschlagen, wenn der Winterschnee gefallen ist.

Das heißt also in der Sprache gesitteter Menschen, Gula hast du am Enaresee versteckt und Hochzeit soll sein, sobald du dein Winterlager bezogen hast?

Du bist ein weiser Mann, Väterchen, ein weiser Mann! lachte der Lappe.

Warum hast du Gula aus meines Vaters Haus gestohlen?! fragte Björnarne ungeduldig.

Was zum Henker! fiel der Schreiber ein, darin gebe ich ihm Recht, jeder Vater hat über sein Kind zu gebieten. Was sollte sie denn auch in Oerenäesgaard? Ilda kann sie nicht mitnehmen, ich möchte sie in Tromsöe nicht haben; deine junge Frau kann sie eben so wenig brauchen. Es bliebe also Niemand übrig, als Olaf, der sie als Haushälterin nach Bodöen mitnehmen könnte. Wirst sie ihm geben, Afraja?

Laß ihn am Enare ihre Gamme suchen.

Lieber Bären und Wölfe, als solche Brut! antwortete Olaf.

Nimm es nicht übel, Afraja, sagte Paul, es ist mit diesem unempfindlichen Mann wie mit einer Nuß, seine Schale ist hart, aber sein Kern ist süß. Er liebt dich mehr, wie du denkst, und würde dich auf seinem Rücken an den Lyngenfjord tragen, wenn du es erlauben wolltest. Vorläufig aber hat er eine andere Bitte an dich. In wenigen Tagen wird er eine weite Reise antreten, dazu bedarf er feines Wetter und guten Wind. Du bist ein Zauberer, alle Welt sagt es und in alten Büchern steht schon von den Saidmännern oder 438 Hexenmeistern, die König Olaf verbrennen ließ, daß sie Wind und Wetter besprechen, Sturm und Sonnenschein machen können. So sage uns denn, weiser Afraja, ob du wirklich zu den »Vielkönnigen« gehörst, wie sie die alten Sagas nennen. Rücke heraus mit der Wahrheit, sitze nicht so nachdenklich da. Willst du meinem guten Freund Olaf hier seinen Wind zaubern und ihm rasche Fahrt verschaffen?

Afraja schüttelte mit einem schlauen Lachen den Kopf.

Warum willst du nicht, alter Gauner? fragte Olaf, seinen Büchsenkolben aufstoßend. Schreib deinen Hokuspokus, ich will dir einen Thaler dafür geben.

Du nennst es so, antwortete der Lappe, was willst du also damit?

Kümmere dich nicht darum, fiel Paul ein; glaubt er nicht an deine Wunder, so thue ich es, und bitte dich, bekehre ihn. Fischer haben mir erzählt, daß du ihnen gute Mittel verkauft hast und immer ist ihr Fang reich und glücklich gewesen. Ist es nicht so? Sage selbst, ob es wahr ist?

Afraja lachte vor sich hin, dann nahm er, ohne etwas zu erwidern, aus der Tasche, die an seinem Gürtel hing, ein eckig geschnittenes Stückchen Messing, das fast wie ein menschlicher rohgeformter Kopf aussah. Er faßte es an ein Ende, das andere mußte Olaf festhalten und während er etwas vor sich hinmurmelte, umwand er es mit einer dünnen Sehne, die er gleichfalls aus der Tasche holte. Als dies geschehen war, band er drei Knoten darauf und bei jedem hatte er einen Spruch, dann überreichte er es dem Nordländer, der zu der ganzen Ceremonie ein höchst ungläubiges Gesicht machte.

Was soll ich mit dem Bettel thun? fragte Olaf.

Trage es bei dir, sagte Afraja, Wind und Wellen werden dir zu Diensten sein.

Unsinn! schrie der handfeste Mann. Denkst du alter Narr, daß ich deinen Betrug glauben soll? Genug mit dem Spaß, laßt uns gehen.

Er war im Begriff, das Amulet in die qualmende Herdasche zu schleudern, als der Schreiber seinen Arm festhielt und nachdrücklich sagte: So sollst du Afraja's Bereitwilligkeit, uns durch seine 439 Zauberkunst zu dienen, nicht lohnen. Du sollst es dankbar annehmen und kannst versuchen, was es dir nützt.

Er steckte es in Olaf's Rock und setzte seinen Hut auf. Gib Afraja deinen Thaler, fuhr er fort, und dann fort mit uns, wenn wir noch zur Nachtzeit den Lyngenfjord erreichen wollen. Auf Wiedersehen auf dem Markt, Afraja. Du sollst zufrieden sein.

So gingen sie aus der Gamme, nachdem Händeschütteln und die lustigen Späße des Schreibers Frieden und Freundschaft besiegelt hatten. Afraja begleitete sie. Als Marstrand aus seinem Versteck hervortrat, sah er sie alle an der waldigen Schlucht stehen, wo die Rennthiere weideten. Sie schauten in die Tiefe und Petersen's Augen verfolgten den Lauf des Wassers und die hohe Felsenmauer, welche gegen den Kilpis aufstieg. Endlich schien Afraja ihnen Rathschläge über ihren Weg zu ertheilen, dann gingen sie quer über das Fjeld und verschwanden zwischen den Steinmassen jenseits des Wassers.

Marstrand war beunruhigt über dies sonderbare Zusammentreffen. War es wirklich bloßer Zufall, der seine ehemaligen Freunde hierher führte, oder welche geheime Absicht hatte sie dazu angetrieben? – Sie sind fort, rief er Afraja entgegen, weißt du gewiß, daß sie mich nicht hier vermuthen und hast du keine Sorge über sie?

Sie wissen nichts von dir, erwiderte der alte Mann, und leise lachend setzte er hinzu: Mich wollen sie auf ihren Markt haben und Afraja wird kommen – kommen wird er, und mit dem weisen Voigt seine Rechnung machen.

Hüte dich! sagte Marstrand, dem eine Ahndung überkam, als er in Afraja's unheimliches Gesicht blickte. Hohn und Ingrimm hatten sich in den tiefen Falten und Runzeln getheilt, seine röthlichen Augen sahen nach der Stelle hin, wo die Normänner verschwunden waren.

Laß mich wissen, sprach er, was dein Wille ist. Ich bin dir verpflichtet und will mein Wort lösen, aber ich will nicht länger in Ungewißheit darüber bleiben, was du von mir begehrst.

Afraja stand auf. Du bist ungeduldig, sagte er, laß uns zu Gula gehen, sie wird dich erwarten.

Erst sprich, wenn ich gehen soll.

Nicht hier, antwortete der Alte; komm', folge mir. Er schritt voraus und dicht an der steilen Wand, an den Absturz hin, den der 440 See bespülte, führte er ihn über den Grat hinab nach dem Felsenvorsprung, auf welchem der Kreis mächtiger Blöcke lag, in welchem Marstrand die Nacht verlebt hatte. Als er den ersten erreichte, neigte er sich demüthig und schlug seine Arme über seine Brust, etwas vor sich hinmurmelnd, was ohne Zweifel ein Gebet oder eine Anrufung war. Dann kniete er an dem flachen, tafelförmigen Opfersteine in der Mitte nieder, und laut sprechend hob er den Kopf zu dem schwarzen Kilpisgipfel empor, der im Sonnenlichte jetzt fast aussah wie ein ungeheures Haupt mit langflatternden Haaren und weit offenem Munde, aus dem das rothe Sonnenlicht zurückstrahlte.

Setze dich hierher zu mir, Jüngling, sagte Afraja. Du bist an einem Orte, der weder Lüge noch Verstellung duldet. Dies ist die heilige Saita Jubinal's, wo der Vater aller Dinge seit vielen vergangenen Zeiten verehrt worden ist. Jubinal's Hände haben die Steine dahin gesetzt, wo sie stehen, sein Auge sieht in die Herzen derer, die kommen und ihn anrufen, sein Ohr weiß, was sie denken, ihm ist nichts verborgen.

Der Greis schien, indem er sprach, kräftiger geworden, seine Stimme klang ernst und feierlich und was er sagte, war einfach und eindringlich, ganz entfernt von der gewöhnlichen Redeweise der Lappen.

Ich rede zuerst von dir, fuhr er dann fort, um dir zu beweisen, daß ich aufrichtig bin. Du bist hierher gekommen in ein Land des Streites und der Noth, um dich zu denen zu gesellen, die nichts kennen, als ihre Gier nach Geld und Gewinn. Sie pressen jeden aus, der zu ihnen gehört, wie viel mehr uns, die wir, ehe sie kamen, dies Land besaßen. – Du bist erfahren in Büchern und Schriften, so wirst du auch gehört haben, daß einst dies unermeßliche Land unserer Väter Eigenthum war. Noch werden im fernen Süden an den Ufern des Ostmeeres ihre Gebeine in Felsengräbern gefunden, wir aber ziehen auf diesen baumlosen Fjeldern umher, doch selbst diese Einöden gönnen uns die harten Männer nicht.

Glaube nicht, daß dies immer so war, fuhr er nach einem schwermüthigen Schweigen fort; glaube nicht, daß das Rennthier unsere einzige Pflege und einzige Nahrung ausmachte. Viele Sagen haben sich erhalten, daß wir einst in schönen, hellen Thälern lebten, wo Fruchtbäume standen und reiches Korn wuchs. Gewalt hat uns daraus vertrieben; wir 441 wurden gejagt und verfolgt, bis uns nichts übrig blieb, als die öde Wüste und das Geschöpf, das allein darin zu leben vermag. Aber höre ihre Bücher, was sie erzählen, höre, wie ihre Weisen zu den Finnen gingen, um zu lernen, was diese wußten; laß dir erzählen, wie die Königin Gunnhild bei zwei finnischen Brüdern ihre Zauberkunst lernte, und wie sie diese, ihre Pfleger, verrieth, um König Erich's Weib zu werden. Damals noch waren die Finnen nicht verachtet, ihre Marken gingen über Nordland hinaus bis nach Helgeland.

Das Alles war so, sagte er, sein Haupt aufhebend, aber was helfen Klagen! Jedes Geschlecht hat schlimmere Zeiten gesehen und wenn es so fortdauert, muß es ein Ende mit uns nehmen. Unsere besten Weiden sind verloren, weder Recht noch Gewissen ist in unsern Verfolgern, unser Anblick reicht hin, uns zu verspotten, unser Name reicht hin, uns zu verachten. Wo ist Gerechtigkeit zu finden bei Denen, die uns weniger werth halten, wie das schlechteste Thier und die uns abschlachten würden, wo sie uns greifen könnten, wenn sie auf den Märkten nicht doppelten Vortheil von uns hätten, im Kaufen und Verkaufen.

Du Jüngling, sprach er mit einem dankbaren Blick, bist mit mildem Herzen geboren worden. Deine Seele wurde von Jubinal's Hand berührt, die in das Feuer der Gerechtigkeit getaucht ist. Du nahmst dich der Verstoßenen an und was ist dir dafür geschehen? Der, welcher dich in dein Haus lud, that es, um dich zu verderben. Die Männer, welche das Land regieren sollen, verbanden sich mit ihm, dich hinaus zu jagen zu Denen, die gejagte Thiere sind, und als ich dir meine Hand reichte, spieen sie dich an, als Einen, dessen Nähe schlimmer ist, als Tod.

Wahr! Alles wahr, was du sagst! fiel Marstrand ein, aber wo ist Hülfe? Sprich, was ich thun kann, um diesen Ränken und Gelüsten ein Ende zu machen?

Afraja schwieg eine Zeit lang, dann antwortete er: Du wirst mit Allem, was du thun magst, ihrer Rache nicht entgehen. Du wirst Keinen finden, der dir seine Hand reicht, jede Thür wird sich vor dir schließen, Niemand, der mit dir handeln, Niemand der dein Brod essen 442 mag. Für deine Dienste wirst du nur elend Volk finden, das dich betrügt; Fische kannst du nicht fangen, wo du dich zeigst, wirst du ausgestoßen sein und was du unternimmst, wird beschädigt und zerstört werden.

Du kannst recht haben, antwortete Johann bitter erregt, böser Wille und Unvernunft fallen über mich her, nur zu viele Proben habe ich schon vorzuzeigen; doch mit Ruhe und Besonnenheit läßt sich Manches thun, um ihre Bosheit zu Schanden zu machen.

Thue, was du willst, sagte der alte Mann, sie werden schneller sein wie du. Voigt und Sorenskriver sind die mächtigsten Männer in den Finnmarken; sie sind deine Feinde, so wird nirgend Ruhe für dich sein. Sie werden Dinge aussinnen, die dich verderben, werden auf ihre Gesetzbücher schlagen und dich ausplündern, greifen und arm machen. – Er lachte heiser vor sich hin und sagte dann: Du weißt, ja, was Richter und Gesetze bei deinem Volke vermögen. Wen man elend machen will, den überliefert man der Gerechtigkeit; wem man nehmen will was er hat, dem schickt man den Sorenskriver in's Haus. Sei sicher, Paul Petersen hat den Strick schon gedreht, der dich vor seinen Stuhl bringt, und Helgestad hält den Knoten zusammen.

Und gibt es kein Mittel, um dieser schändlichen Sippschaft zu entgehen?

Ein Mittel, antwortete der Lappe, ihn starr ansehend, ja, ein Mittel gibt es. Dies eine Mittel hilft uns beiden, es gibt kein anderes. Höre zu! Wie viele Kaufleute wohnen in den Sunden und Fjorden? Nicht fünfhundert. – Wer liebt sie? Niemand! – Sind es tapfere, starke Männer, die Wolf und Bär jagen können? Sie sind träge, trinken, zählen Geld, rechnen und sitzen in ihren Häusern am Herde. – Was sind wir dagegen? Ein Volk, das mehr als zehntausend Männer hat, Männer, deren Büchsen niemals fehlen, die nie müde werden, mag die Last groß sein und die in Sturm und Nebel niemals verzagen.

Wie? rief Johann erstaunt und erschreckt, willst du Aufruhr anstiften! Gegen König und Obrigkeit Krieg beginnen?

Nicht gegen König und Obrigkeit, sagte Afraja, aber gegen unsere Feinde, die in deines Königs Namen jede Gewalt verüben.

443 Er weiß Nichts davon. Wüßte er es, oder wüßte es der Gouverneur in Trondhjem, es würde Vieles nicht geschehen. Hoffe, daß Klaus Hornemann's Bemühungen bald wirksame Hülfe bringen.

Weiß er es nicht, sagte Afraja, um so schlimmer für ihn. Wie kann er auch so viele hundert Meilen von hier König sein wollen? Nein, Herr, ich hoffe Nichts. Nichts von deinem König, Nichts von seinen Dienern und Nichts von dem alten Priester, der da meint, Christen müßten wir werden, so sei der Himmel für uns offen, in welchen Alle, die uns quälen, eingehen wollen. Ich mag nicht da sein, wo sie sind, und wenn dein Gott ein mächtiger wäre, wie könnte er es dulden, solche Kinder zu haben?

Marstrand hatte Zeit gefunden sich zu bedenken. Ich nehme an, daß deine Erbitterung aus dir spricht, antwortete er, daß aber deine Klugheit wohl überlegt, was die Folgen sein würden. Die Kaufleute und Ansiedler, die Quäner und Fischer werden sich nicht so leicht überwältigen lassen. Dein Volk lebt zerstreut über den ganzen Norden, bis an das Eismeer hin. Du hast keine Gewalt darüber. Selbst die paar hundert Familien an diesen Fjorden sind jede für sich, oft in Feindschaft sogar, und nirgend ein Band, das sie vereinigen könnte. Glückte es dir aber auch, an einigen Orten Häuser zu verbrennen und siegreich zu sein, ja, glückte dir, was nimmer glücken kann, die Niederlassungen überall zu zerstören, so würden bald genug Schiffe voll Soldaten und Kriegsvolk kommen, die fürchterliche Rache nähmen.

Afraja lachte vor sich hin. – Laß sie kommen, antwortete er dann, weit ist es bis an den Enare Traesk, weit bis an den Bumanafjord. Aus jedem Stein kann eine Lappenkugel kommen und deine Soldaten sind nicht Männer, die viele Tage durch Sümpfe waten und durch die Jauren steigen können, ohne gute Speise und guten Trank zu haben.

Der Junker mußte dies zugeben, aber je mehr er einsah, daß Afraja wirklich im Ernst sprach, um so mehr lehnten sich seine Gefühle dagegen auf. – Wenn ich wüßte, sagte er endlich, daß du zu solchen blutigen und verderblichen Thaten greifen könntest, so würde ich thun, was meine Pflicht wäre, um es dir unmöglich zu machen.

Afraja antwortete mit einem Blicke, dessen Bedeutung Marstrand auch ohne seine Worte verstanden hätte. Du würdest, sprach er 444 langsam, den Lyngenfjord nicht wieder finden, wenn du den verrathen wolltest, der dir Gutes gethan. Aber du kannst es nicht, auch wenn du möchtest.

Willst du mich zwingen? Gefangen halten!?

Du hast in Jubinal's heiliger Saita dein Haupt gelegt, erwiderte der Greis, du hast von seinem Opfersteine dein Brod genommen. Ich habe den Allvater nicht vergebens gefragt, ob du sein Werkzeug sein sollst, alle Zeichen haben geantwortet, daß er dich aufgenommen hat in seinen Bund.

Was geht mich dein gräulich heidnisch Zauberwesen an! antwortete der junge Mann heimlich schaudernd. So wenig ich deinem Gotte dienen will, so wenig will ich Etwas mit deinen unsinnigen Entwürfen zu schaffen haben.

Du bist bestimmt dazu, sagte Afraja unerschütterlich, und wirst das Gebot erfüllen. Glaube nicht, daß ich vernunftlos leichtsinnig mich in Gefahr begebe. Mortuno ist ein furchtloser Mann. Die junge Mannschaft aus allen Gammen ist bereit ihm zu folgen. Wir haben Waffen und Pulver, sammt Allem was dazu gehört.

Und beim ersten Schuß werden sie davonlaufen, rief Johann, der an seinen eigenen, nächtlichen Kampf dachte.

Du, sprach Afraja, du wirst bei ihnen sein und ihren Muth anfachen.

Wer? Ich!? schrie Marstrand, eher möge meine Hand verdorren! Aber höre auf mit deinem Scherz, fuhr er ruhiger fort, indem er sich wieder auf den Felsblock setzte. Willst du mich versuchen, so mußt du einsehen, daß ich niemals dir beistimmen kann, obwohl ich zu deiner Hülfe in allen guten Dingen bereit bin.

Du bist kriegskundig, sprach Afraja, ohne darauf zu achten, und Viele fürchten dich. Wenn meine Brüder dich bei sich sehen, werden sie standhaft sein, aber du bist auch mächtig in deinem Lande und kannst dort deine Stimme hören lassen. Man sagt, daß in Kopenhagen Der Alles vermag, der silberne Arme hat; nun wohl, Jüngling, Jubinal wird dir diese Arme geben. Du sollst ihrer Gier Schätze zuwerfen, so viel sie haben wollen. Laß sie fordern und den Preis bestimmen, um den sie uns unserer Väter Land verkaufen wollen.

445 Wenn du so viel Geld besitzest, sagte der Junker erstaunt, so läßt sich allerdings durch Unterhandlungen Vieles bewirken. Jedenfalls eine bessere und gerechtere Verwaltung, Gnadenbriefe, Privilegien und eine strenge Aufsicht über Kaufleute und Voigte.

Afraja schüttelte hohnvoll seinen Kopf. Fort sollen sie Alle, wir wollen sie nicht länger dulden. Gäbst du ihnen unser Silber in Säcken, so würden sie morgen kommen, um mehr zu holen. Hast du nicht selbst gerathen, daß wir ihnen Furcht einflößen müßten, wenn sie uns achten sollten? Sie sollen Furcht lernen, denn du hast wahr gesprochen, Jüngling. Jubinal's Kinder werden zu ihnen hinunter steigen, Jubinal soll seine Opfer haben!

Die grimmigen Blicke, welche er auf den Stein warf, der manches blutige Opfer gesehen haben mochte, erschütterten den dänischen Mann. Ein schrecklicher Gedanke flog durch seinen Kopf, daß er vielleicht selber dem schwarzen Götzen geschlachtet werden könnte, wenn er sich weigere, Afraja's Willen zu erfüllen, allein sein Stolz und seine Ehre sträubten sich vor einer heuchlerischen Unterwerfung. Er begann darum mit vieler Ruhe, Afraja nochmals von jeder Gewaltsamkeit abzumahnen und stellte eine kaltblütige Untersuchung über die Möglichkeit des Gelingens eines Aufruhrversuchs an, die damit endete, daß er bewies, jener könne nicht glücken. Dagegen aber schilderte er mit eindringlicher Wahrheit die Folgen, welche sich daran knüpften. Alle gehässige Verläumdungen, alle Anschuldigungen gegen den unglücklichen Volksstamm würden dann erst vollen Glauben finden. Niemand würde mehr seine Stimme erheben können, um ihn zu vertheidigen; alle Schrecken einer fanatischen Verfolgung würden nun erst einbrechen und eine Vernichtung unter den größten Gräueln das Ende sein.

Du willst dein Silber bieten, um dein Vaterland frei zu kaufen, sagte er zuletzt, und doch gestehst du selbst ein, daß damit nur neue, gierige Gelüste aufgeweckt würden. Wenn es wahr wäre, daß, wie Paul Petersen behauptet, im Schooße dieser Gebirge reiche Silberadern verborgen liegen, die du allein kennst, so hüte dich, das Mährchen glaubhafter zu machen. Um Peru's Silber haben die Spanier ganze Völker geschlachtet, und geldgierig ist der Voigt von Tromsöe nicht allein, er würde Genossen genug finden, auch in Kopenhagen. Ganze 446 Banden würden kommen, um diese Schätze zu entdecken, und was hülfe es dir, die Fischhändler zu vertreiben, um weit schlimmeren Nachfolgern Platz zu machen.

Afraja hatte aufmerksam zugehört und verschiedentlich schien er die Gründe seines Gastes anzuerkennen. – Habe Geduld, so schloß dieser seine Rede, wie auch ich Geduld habe. Meine Lage ist wahrlich unglücklich genug und du hast mir keinen Trost geben können, hast mir im Gegentheil gezeigt, daß ich ein verlorener Mann bin. Dennoch verzweifle ich nicht. Ich will auszudauern suchen, und Gott, der die Hülfe der Schwachen ist, wird mich den Weg erkennen lassen, den ich gehen muß. Ich werde Hülfe finden, werde mich selbst nach Trondhjem und Kopenhagen wenden, und sei dann überzeugt, Afraja, daß ich auch für dich meine Stimme erheben werde, so weit sie irgend reicht.

Der alte Stammführer verharrte einige Minuten lang im Schweigen, dann begann er, als habe er von Marstrand's Betheuerungen Nichts gehört, da fortzufahren, wo er aufgehört hatte.

Wenn wir diese vertrieben haben, sagte er, dann ist es Zeit dafür zu sorgen, daß keine Anderen kommen. Deine Worte sind in meinem Gedächtniß und du hast Recht, wir können dies Land nur besitzen, wenn wir selbst Handel treiben und in festen Wohnsitzen wohnen. Aber, sage mir, warum wir es nicht könnten? Wir verstehen mit den Netzen eben so wohl umzugehen wie mit der Hirtenleine und dem Gewehr des Jägers. Wir haben unseren Verstand von dem Allvater erhalten und wissen ihn zu gebrauchen. Unsere Hände sind geschickt zu vielen Dingen. Wer näht so feine Schuhe, wer macht so bunte Gürtel, wer fertigt so schöne Taschen und Kragen? Warum sollten wir keine Schiffe und Häuser bauen? Warum sollten wir nicht zum Fischfang auf die Lofoden und bis nach Bergen fahren können? Warum sollten wir nicht gedeihen und gern gesehen werden?

Marstrand blickte ihn voll Verwunderung an. Was Afraja sagte klang gerecht und gut, aber dennoch war es ein Traum, ein Mährchen, unmöglich zur Wahrheit zu machen, unmöglich auszuführen. Wie sollten diese halbwilden Rennthierhirten, diese Jäger des Gebirges, dieser tief verachtete, herabgewürdigte, seit uralten Zeiten verkümmerte 447 Menschenstamm sich zu der Civilisation erheben, die nöthig war, um ein handeltreibendes, fischendes, ackerbauendes Volk daraus zu machen?

Ein Gefühl des tiefsten Mitleides ergriff den jungen Mann, denn Afraja's Fragen hatten etwas Rührendes. Sein Gesicht hatte sich veredelt, aus seinen Augen leuchteten die Gedanken, die seinen Kopf erfüllten.

O Afraja! rief er aus, wollte doch Gott, ich könnte glauben, daß das Alles wirklich geschehen könnte, daß es dein Volk vermöchte, sich aus der Niedrigkeit aufzurichten. Ja, wären sie Alle wie du und wie Mortuno, doch sieh hin wie die Meisten sind – laß ab davon, alter Mann, es ist zu spät!

Zu spät! murmelte der Greis, indem er sein Haupt sinken ließ; dann aber sah er hinauf zu der schwarzen Kilpisklippe und deren sonnenrothen Mund und sagte entschlossen: Jubinal hilft dir und mir, du darfst nicht verzagen. Du hast Gula's Herz gewonnen, ihre Lippen sind blaß geworden, ihre Augen dunkel von Thränen. Du hast den Weg zu ihr gefunden, weil Gott es so wollte. Nimm sie als dein Weib mit Allem was ich habe und gib mir deine Hand zum Pfande, daß du treu sein willst. – Er streckte seine Hand aus, doch Johann blieb regungslos sitzen.

Höre mich an, sagte er, und zürne nicht. Gula ist mir lieb, ich könnte Vieles für sie wagen, aber mein Weib kann sie nicht sein – niemals!

Afraja sah ihn stier an, seine röthlichen Augen erhielten einen wilden Glanz. – Was that sie dir? fragte er.

Nichts! Ich ehre sie, halte sie werth wie eine Schwester, und nun frage nicht mehr – ein anderes Weib hat meine Liebe und wird sie haben, bis ich todt bin.

Du stößt sie von dir, die dein Mund geküßt hat? murmelte der alte Mann, die Hände faltend.

Du verstehst mich nicht, antwortete Johann. Ich will selbst mit ihr reden; sie wird mir Recht geben.

Halt! rief Afraja, indem er ihn am Arm ergriff. Bist du ein Wolf, der seine Zähne in ihr Fleisch schlägt, ohne ihren Jammer zu hören? Sprich nicht zu ihr, sie würde davon sterben!

448 Er setzte sich wieder auf den Stein und verfiel in tiefes Nachsinnen, aber seine Augen rollten unruhig umher und seine Lippen flüsterten leise Worte. Marstrand unterbrach ihn nicht; er wünschte sich weit fort von dieser unheimlichen Stelle. Wie konnte er Gula von diesem Vater nehmen, welcher sie ihm als Belohnung für einen Verrath anbot, der ihn für immer entehren und in diese Wüsten zu Lappen und Rennthieren stoßen mußte? Wäre eine Alles vergessende Liebe in ihm gewesen, so hätte diese ihn in Afraja's Hände geliefert. Björnarne hatte Recht, nur die glühendste Leidenschaft konnte einen Normann in die Lappengamme bringen. Marstrand hatte Nichts als Wohlwollen, Mitleid und was man Freundschaft nennt.

Trostlos ließ er den Kopf sinken. Afraja begann zu ihm sanftmüthig zu sprechen. – Du weißt es, sagte er, ich habe nur dies eine Kind und ich bin alt. Wie lange wird es dauern, bis Jubinal seinen Boten sendet? Auf des alten Priesters Verlangen, und weil ich glaubte, es sei gut, daß sie Mancherlei lerne, hatte ich Gula Helgestad überlassen. – Es war nicht wohlgethan. Du weißt, Herr, was geschah. Gula floh, aber ihr Herz war bei dir, und ich sah sie bleich werden, sah Hangir, den dunklen Todesboten, über ihrem Haupte die weiße Blume zerpflücken und auf ihre Lippen streuen, da warf ich mich nieder vor dem Allvater und schlug meine Stirn an seinen heiligen Stein. Er sprach zu mir; mein Opferrauch stieg hoch und gerade ohne zu schwanken, seine Befehle erfüllten meinen Kopf.

Ich hatte Mortuno zu meinem Erben bestimmt, ich wußte, daß er den Thau von den Halmen küßte, die Gula's Fuß gebeugt. Ich sagte ihm Jubinal's Gebot, zeigte ihm den Weg, den er gehen sollte, und ohne Klage ging er. Ich sandte ihn zu dir, um den Mann zu holen, nach welchem Gula's Augen suchten.

Unterbrich mich nicht, fuhr er fort, höre mich an. Jubinal lügt nicht, sein Wille ist mächtiger als Menschenwille. Ich könnte Vieles sagen, um dich zu verlocken oder dich zu rühren, könnte dir zeigen, daß ich Gewalt habe, aber Frieden und Liebe sollen immer mit dir sein. Sprich freundlich mit Gula, morgen werde ich dich wieder fragen. Jubinal ist allmächtig, er wird dein Herz wenden. Schweige, Jüngling, und laß uns gehen, Gula wird bange und voll Sehnsucht sein.

449 Das war ein Ausweg, eine Frist bis morgen, die von Marstrand begierig ergriffen wurde. Was sich ändern konnte, wußte er zwar nicht, aber er behielt Zeit zum Ueberlegen, Zeit um sich vorzubereiten.

Ich will nachdenken, sagte er, will mich prüfen, wenn aber deines Gottes Allmacht Nichts über mich vermag, dann laß dein Wort wahr werden, Afraja, laß Frieden und Liebe immer mit uns sein.

Mit einem arglistigen Lächeln nickte ihm der Lappe Gewährung zu. – Ayka, die Liebesgöttin, wird sich an dein Haupt stellen, sagte er, und wenn du erwachst wird sie vor dir schweben. So sprechend, ging er voran, die Felsenstufen hinab.


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