Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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13.

Welche schöne Tage verlebte Marstrand nun in dem stillen Gaard allein mit den beiden Freundinnen. Als er am nächsten Morgen erwachte, fiel Sonnenschein in seine Kammer, dieselbe, welche er früher bewohnt hatte. Wie sauber, hell und freundlich war Alles, wie lautlos war es im Hause; wie lag der grüne Vorplatz mit seiner Einfassung von Birkengebüschen schimmernd vor ihm und nirgend störender Lärm, nirgend Helgestad's rauhe Stimme, kein Hämmern und Klopfen in den Packhäusern, kein Geschrei am Fjord, überall das röthliche Sonnenlicht und Himmelsbläue, so rein und mild, als wäre durch ein 290 Wunder dies nordische, kalte Land weit in den Süden getragen worden. Lange stand er an dem kleinen Fenster und nie war ihm diese einsame Niederlassung so schön vorgekommen. Plötzlich sah er Ilda aus dem Hause treten und eben stieg das große goldene Tagesgestirn über die narbigen Felsen am Kaafjord und warf seine Strahlen auf das Gärtchen, auf die Blumen darin und auf die Jungfrau, welche ihre Hände gefaltet, die Augen auf das erhabene Rundgemälde richtete. Der lichte Schimmer umspielte ihre langen, braunen Flechten, die schlanke Gestalt in dem dunklen Kleide stand in andächtiger Ruhe, bis der Ernst in ihrem Gesichte einem Lächeln Raum gab, mit dem sie Blumen pflückte und diese zu einem Strauße ordnete. Nach wenigen Minuten war sie wieder im Hause verschwunden, dann hörte Marstrand leise Schritte auf der Treppe und im Nebenzimmer, und als er die Thür öffnete, fand er auf dem Tische ein Glas, aus welchem die farbigen Blüthen ihm entgegen dufteten.

Mit Blicken voll Rührung betrachtete er sie. Da waren Nelken und Reseda, rothe dunkle Levkojen und in der Mitte ein Busch hell schimmernder Vergißmeinnicht. Er beugte sich zu ihnen nieder; plötzlich drückte er seine Lippen darauf und sah dann scheu umher, ob es auch Niemand bemerkt habe. – Ein stilles Entzücken erfüllte sein Herz; mehrmals war er im Begriff, eine der Blumen an seinen Rock zu stecken, aber er legte sie wieder fort, und als er endlich die Treppe hinabstieg und Ilda ihn scheltend über sein langes Schlafen empfing, sagte er leise: Ich stand bei deinen Pfleglingen, die zu mir sprachen, und was sie mir sagten, war so lieb, daß ich Alles darüber vergaß.

Vergessen darfst du nichts, antwortete sie, aber laß uns heiter sein. Die Tage gehen und kommen, und wenn sie Freude für uns haben, sollen wir Trost daraus schöpfen gegen das Leid, das ihnen nachfolgt.

Und fünf Mal kam die Sonne und verlor sich in kurze Nacht, welche jetzt wieder eingezogen war, denn der August war da; aber die Tage blieben mild wie schöne Sommertage und wenn das Dunkel mit weichen Schatten am Fjord heraufstieg und die Spitzen der höchsten Felsen allein noch ihre Rosenkränze trugen, trat der Mond über das finstere Horn des Kilpis und wunderbar klar und glänzend streute 291 er sein feines geheimnißvolles Licht über den schwarzen Wasserspalt, und seine dreifache Schattenstille über alle Klüfte und Tiefen.

Kein Mensch kam während dieser Zeit in den Gaard. Die Männer waren alle entweder mit Helgestad nach Bergen, oder mit Björnarne nach Loppen gefahren. Was von alten Fischern in der Nähe übrig blieb, trieb Seyfang in den Strudeln von Alöen. Im Hause aber gab es nur ein paar Mägde und da auf den Gütern in diesem hohen Norden von Ackerbau so wenig die Rede ist, wie von Viehzucht, Helgestad's drei Kühe und zwei Pferde in den Bergschluchten umher unter Aufsicht eines Knaben weideten, der sie aus- und eintrieb, mochte das Wetter sein wie es wollte, so war von wirthschaftlicher Arbeit auch nicht viel die Rede. Die Vorrathshäuser standen dicht verwahrt, der Kramladen machte kein Geschäft. Die Hirten auf ihren Alpen hatten was sie bedurften eingekauft, erst auf den Herbstmärkten versorgte sich das Volk mit allen Vorräthen für den Winter, so blieb denn in dieser Zeit der Ruhe für fleißige Frauen und Jungfrauen nichts zu thun, als Leinenzeug, Betten und Geräthe in Ordnung zu bringen, die Schränke auszustatten mit dem Nöthigen, oder mit Männern und Brüdern Reisen zu machen und Vergnügungen zu genießen, so viel es deren geben mochte.

Während der Vormittage unterstützte Johann bald hier bald dort seine Freundinnen, die ihn neckend zu kleinen Diensten aufforderten, oder er saß in der breitblätterigen Laube von Schminkbohnen und las in einem der Bücher, die kürzlich Klaus Hornemann aus Tromsöe geschickt hatte. Damals waren Holberg und Tullin die gefeierten Lieblingsschriftsteller der Dänen. Holberg, durch seine Geburt in Bergen ein Norweger, wurde schon um dessentwegen im Lande mit Begeisterung verehrt, und nun sandte der gute Priester zum ersten Male an den Lyngenfjord eine Anzahl Bände voll Lustspiele, Gedichte und den satyrischen Roman: Nicolaus Klimm's unterirdische Reise, den Holberg lateinisch geschrieben hatte, von welchem jedoch sogleich eine Uebersetzung gemacht worden war.

Mit Entzücken fiel Marstrand über diese Schätze her, denn wie lange hatte er das Vergnügen entbehrt, Bücher zu lesen, und die Zeitung von Kopenhagen zu durchblättern, welche zwei Mal wöchentlich in einem ganz kleinen halben Bogen erschien, von denen 292 Hornemann mehrere beigelegt hatte. Den geistvollen Professor Holberg kannte er persönlich und mit wie vieler Beredsamkeit erzählte er seinen aufmerksamen Zuhörerinnen Züge aus dem Leben dieses originellen, witzigen Gelehrten. Waren die häuslichen Arbeiten abgethan, so las er eines der drolligen, scharf charakteristischen Lustspiele vor, das von Gelächter und Fröhlichkeit bis zum Schluß begleitet wurde. Kam dann der Abend, so machte er mit den beiden jungen Mädchen Spaziergänge über die Felsen am Fjord, oder er ergriff die Ruder und trieb das kleine Boot über das spiegelglatte Meer, bis zu einem schönen Wasserfall, oder zu irgend einem Vorgebirge, auf dem ein einsamer Raum stand, wo man weit bis zu fernen Inseln und auf die Schneeberge von Senjenöen blicken konnte. Dann kam die Dunkelheit wohl früher als die Heimkehr und wenn der Mond heraufzog, im leisen Windzug die Fluth, wie von Geisterhand gefaßt, in silbernen Kaskaden an dem Gestein aufsprang und das kleine Fahrzeug vor sich her trieb, legte er die Schalten fort und saß traulich sprechend und scherzend bei Ilda und Hannah. Die Zither klang dann süß und leise über die schweigenden Wasser und Lieder flogen darüber hin, bei deren Schall die armen Fischer und ihre Frauen aus dem Schlafe erwachten und wohl meinten, die Meerweiber und Trollen stiegen aus ihren Krystallpalästen und Grotten und schaukelten singend auf den Wellen.

Während dieser schönen Tage konnte es nicht fehlen, daß Marstrand bald mit Ilda, bald mit Hannah Stunden lang auch allein war, aber er mochte so wenig dann von seinen eigenen Angelegenheiten sprechen, wie an andern Verhältnissen rütteln, die von Zeit zu Zeit plötzlich, allen Dunst zerstreuend, ernsthaft genug vor ihn hin traten. Endlich jedoch, als er einst mit Hannah in der Laube saß, fragte er mit halblauter Stimme, ob die Herzen der beiden Verlobten sich nun mehr genähert hätten?

Sie fragen mich nach meinem Herzen? antwortete Hannah, nachdem sie geschwiegen und die Nadel eingefädelt hatte. Was ich je davon besaß, liegt im Meere und kein Fischer holt es je herauf, mag seine Angel auch tausend Haken haben.

Haben Sie nichts seither aus dem Süden gehört? fuhr Marstrand fort, indem er einen andern Gegenstand berührte.

293 Weniges, erwiderte sie. Vor zwei Wochen kam eine Schlupp nach Tromsöe und brachte einen Brief meines Vaters mit einem anderen von meinem Bruder, der jetzt wieder in Bergen ist. Mein Vater gab mir seinen Segen zu allen meinen kindlich guten Entschlüssen, mein Bruder schrieb mir, daß er bedauere nicht zur Stelle gewesen zu sein, als man mich, wie er meint, mit Zwang fortgeschleppt habe. Auch daß er mich nicht begreife, stand darin, wie ich Björnarne heirathen könne, und wenn mir irgend Gewalt drohe und ich ihm antworten wolle, würde Nichts ihm zu schwer, Nichts zu theuer sein, um mir zu helfen! Der gute Christian hat mich immer zärtlich lieb gehabt, aber er begreift gar Vieles nicht.

Und was haben Sie ihm geantwortet?

Was sollte ich ihm antworten? Ich habe einen Zettel nach Tromsöe geschickt, der mit der Schlupp zurückgeht. In dem Zettel steht: »Sei ohne Sorge, mein Christian, ich bin Björnarne's Verlobte aus freiem Willen, in großer Treue und sehne mich nach dem Tage, wo Helgestad's Sohn mein Gatte sein wird. Dann kommen wir zu Euch nach Bergen, wo du selbst sehen magst, wie es mit mir steht.«

O Hannah! murmelte Marstrand.

Was soll dies warnende Wort, mein Freund Johann? erwiderte sie. Mein Leben ist an das Leben Björnarne's gefesselt, und was geschrieben steht, muß erfüllt werden. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen. Mir nahm er und gab er. Und was sagen die heiligen Bücher? »Ehret den Willen eurer Väter, damit es euch wohlgehe und ihr lange lebet auf Erden!« Was sagen die Sitten und Gesetze der Menschen? Sie fordern Unterwerfung und wissen nichts von Herzensgefühlen. Nun wohlan denn, wir sind da, um uns zu beugen. Helgestad – sie hielt inne und holte tief Athem – ich habe ihn gesehen, als ich in jener fürchterlichen Nacht am Boden lag und ein Schrei zu meinen Ohren drang, den ich noch jetzt mitten im Wachen, am hellen Tage höre. Sein Gesicht war über mir, seine Augen voll Feuer; sein Athem heiß, wie die Hölle auf meiner kalten Stirn, weckte mich und ich hörte ihn lachen, hörte ihn deutlich sagen: Jetzt bist du mein, und wenn Gott oder Satan käme, sie sollten dich 294 doch nicht haben. Aus Oerenäesgaard kömmst du nicht fort, denn als Björnarne's Frau. Ist ein Faktum!

Sehen Sie, Johann Marstrand, sagte sie, ihre Züge neu belebend, diese Worte stärkten mich damals wunderbar und stärken mich noch. Helgestad's gierige Augen, sein grimmiges Lachen, der eiserne, gottspottende Wille dieses gewaltigen Mannes, machten den tiefsten Eindruck auf mich. Wenn Gott es dulden kann, sagte eine Stimme in mir, so mußt du es dulden. Richte dich auf und gehorche ihm. Das habe ich treu gethan bis auf diese Stunde.

Und Björnarne?

Ein triumphirendes Lächeln spielte um ihre Lippen. Der arme Björnarne, sagte sie, ich glaube, alle meine Freundlichkeit hat bis jetzt wenig bei ihm gefruchtet, denn je mehr ich mich ihm zu nähern suche, um so weiter zieht er sich zurück. Jetzt hängt er sich ganz an seinen Freund Paul Petersen, der ihn auch zu der Reise nach Loppen bewogen hat und in allen Dingen sein geheimer Rath ist.

Dann seien Sie auf Ihrer Hut, Hannah; seien Sie sicher, daß Unglück kommt.

Was könnte mich denn treffen? erwiderte sie. Ich bin die demüthige, arbeitsame Magd und warte ab, was Gottes Wille ist. Laß den kommen, der sich zum Herrn meines Schicksals gemacht hat. Ich bin kein Opfer, Johann Marstrand, ich bin ruhig wie eine Priesterin. Opfer leiden Qualen, ich leide nicht, ich bin wie Sie sehen, fröhlich und gutes Muthes. Ich preise Gottes Weisheit und Gnade, blicke um mich und erkenne den Weg des Herrn. Die da Opfer sind in diesem einsamen Hause, und die ich dulden sehe, gehören nicht zu mir. Ilda – sie sah ihn mit den großen Augen durchdringend an –, sie hat das edelste, treuste Herz.

Ein starkes Herz, das nie zu heiß wird und ergeben tragen wird, was Gott schickt, murmelte Marstrand.

Auch das stärkste Herz kann brechen, sagte Hannah. Ilda ist unglücklich.

Unglücklich!

Sehen Sie es nicht? Steht das Geheimniß nicht, trotz aller Macht es zu verbergen, deutlich auf ihrer Stirn?

Welches Geheimniß? fragte er verwirrt.

295 Daß sie liebt, wo sie hassen und daß sie haßt, wo sie lieben soll!

Marstrand blieb stumm sitzen, als Hannah ihn verließ.

Spät am Abend fuhr er mit Ilda in dem kleinen Boote allein über den Fjord, zu einem wunderbaren Schlund, in welchem die Wasser einen Wirbel bildeten, der sich in einer tiefen Felsenhöhle verlor. Der Mond beleuchtete das stille Meer, sein feines, klares Licht funkelte um den düsteren Spalt, wo allein die Wellen brandeten und tanzten. Ein dumpfes Stöhnen drang aus der Höhle hervor, bald schwoll es an und war wie Donner zu hören, bald ward es wieder zu einem leisen Rauschen, in welches sich sanfte, klagende Töne mischten. Draußen war Alles lautlos still, nur das blaue, geheimnißvolle Licht der Nacht floß an den ewigen, riesengroßen Wächtern dieser Schöpfung, an den Felsen nieder, welche seit langen Jahrtausenden hier standen und allein wußten, was in ihren finsteren Eingeweiden geschah.

Eine Zeit lang schwamm das kleine Fahrzeug vor dem Spalt umher, leise in den kleinen Wellen schaukelnd. Marstrand hatte die Ruder fortgelegt und saß neben Ilda. Beide hörten auf die wunderbaren Stimmen, welche zu ihnen drangen.

Ich erinnere mich, sagte Johann endlich, daß eine Sage über diese Höhle erzählt wird, die ich schon gehört habe. Ist es nicht eine unglückliche Meerfrau, die dort unten seufzt und weint?

Eine arme, schöne Fee, die ein Riese in Ketten hält, welche niemals reißen, antwortete Ilda.

Jetzt weiß ich es. Der Riese hatte die schöne Fee geraubt und sie mit Gewalt gezwungen sein Weib zu sein. Es war ein wilder, tückischer Gesell, aber er war mächtig und groß, ein König in dem tiefen Riesenreiche dort unten. Zuweilen erlaubte er ihr, aus der Höhle herauszugehen, die den Eingang zu seinem Krystall- und Goldpalast bildet, und dann saß sie im Mondschein auf dem Felsengipfel, wand Kränze von Halmen und kleinen Blumen, sang süße Lieder und freute sich der Himmels- und der Erdenluft, bis der finstre Gatte sein Horn hören ließ, und sie traurig wieder hinunterfahren mußte. Da traf es sich, daß ein junger Fischer sie fand und jede Nacht, wenn die schöne Königin auf den Felsen stieg, saß er an ihrer Seite. Dann sah er in ihre sanften, klaren Augen, streichelte ihr goldiges 296 Haar, lächelte ihr zu und betrachtete ihre kleinen, weißen Hände. Er sprach kein Wort mit ihr, von dem was sein Herz erfüllte, aber sie wußte es wohl, und wenn das dumpfe Horn klang und sie traurig aufstand, wußte auch er, daß sie ihn liebte.

Während Marstrand so sprach, hatte er Ilda's Hand ergriffen, die er festhielt, und sich zu ihr neigte.

Da geschah es, fuhr Ilda leise fort, daß, als sie einstmals beisammen saßen, sie den Klang des Horns nicht hörten.

Weil, fiel Marstrand ein, die schöne Wasserfee ihren Kopf an die Brust des Jünglings gelegt hatte, der sie mit beiden Armen umschlang.

Und als zum drittenmale vergebens der Ton erscholl, daß die Berge bebten, streckte sich ein Arm aus der Höhle, und ein ungeheurer Kopf folgte ihm nach. Der Riese richtete sich auf, er reichte bis weit über alle Felsen und mit einem Finger zermalmte er den armen Fischer, mit einem Griff zog er die Ungetreue in den schwarzen Schlund.

So war es, sagte Marstrand, aber es geschah nur, weil die Fee sich nicht entschließen konnte, frei und glücklich zu sein. Ich liebe dich, hatte der Jüngling ihr zugeflüstert, komm, begleite mich. Siehst du dort den grauen Streif im Osten? Bald wird er roth sein, bald ist die Sonne da; die Kinder der Nacht haben dann keine Gewalt mehr über dich. Vertraue mir, meine Arme sind stark, ich trage dich; laß uns leben und glücklich sein! Sie aber dachte an ihren Eid, den sie dem Bösen geschworen, sie zögerte bis die schwarze Hand sie faßte, und nun liegt sie dort unten in weißglühenden Ketten, klagt und weint, und der höllische Riese lacht und brüllt dazu.

Mit sanfter Gewalt löste Ilda Johann's Hand von ihrem Gürtel, denn er hielt sie in seinen Armen. – Sie hat Recht gethan, sagte sie, und ihre Strafe war nicht unverdient. Nimm deine Ruder, wenn du nicht willst, daß wir in den Wirbel gerathen und darin zerschmettert werden.

In den Tod mit dir, Ilda! murmelte er hastig.

Sollte das dein Ende sein, Johann? erwiderte sie. Hast du nichts mehr zu wünschen und zu hoffen und glaubst du nicht, daß Gott noch Vieles von dir zu fordern hat?

Du willst leben! rief er laut und bitter.

297 Ja, antwortete sie, ich will leben, weil es meine Pflicht ist; weil ich Leben empfangen habe, um Gutes zu thun und keine Sünde begehen mag.

Er sah in ihre Augen, in welche das Mondlicht fiel. Bittend groß und tröstend schaute sie ihn an. Plötzlich hörten sie über ihren Köpfen ein Gelächter und eine Stimme begann zu reden, die Marstrand bis in's Mark ging. – Bei Gott und beim heiligen Olaf! schrie ein Mann, der auf der Höhe des Felsens stand, es ist Ilda, die vor der Hexenhöhle umherschwimmt. Hierher, Björnarne, komm' herauf! Es ist deine Schwester, die Nornensprüche für unser Glück betet. Und wer ist das? Herr Marstrand, so wahr ich lebe! Glück in's Haus, Herr, oder vielmehr Glück in Ihre Hand! Führen Sie Ihr Schifflein aus den Wirbeln und Klippen, und bewahren Sie mir meinen theuren Schatz, bis ich ihre frischen Lippen küssen kann.

Du bist es, Paul, rief Ilda hinauf. Wo kömmst du her? Wo ist die Schlupp?

Ist sie noch nicht hier, antwortete der Schreiber, so wird sie kommen. Wir sind in Maursund an's Land gestiegen, weil ein Schiff ohne Wind wie ein Weib ohne Herz ist, kalt und langweilig. Bitte, Herr, legen Sie dort in dem Einschnitt an, und nehmen Sie mich mit. Björnarne läuft davon, er will nicht hören, ich aber bin müde; wir haben einen üblen Weg zum Halsbrechen gemacht.

Mit innerem Bedauern, daß es nicht dazu gekommen sei, lenkte Marstrand das kleine Fahrzeug an die bezeichnete Stelle, und nur ein so gelenkiger, leichtfüßiger Mann wie Paul, mochte wohlbehalten in der glatten Felsenrinne herunterrutschen und mit einem festen Sprung das Boot erreichen.

Er warf Gewehr und Ledertasche von sich und nahm den Platz neben Ilda ein, den Marstrand verlassen hatte, weil er die Ruder gebrauchte. Ohne Umstände schlang er die Arme um seine Verlobte, küßte sie unter allerlei scherzhaften Fragen und zärtlichen Schwüren und schüttelte nebenher Marstrand die Hand, indem er Erkundigungen über dessen unverhofften Besuch einzog.

Fünf Tage sind Sie schon hier! rief er dann. Wenn ich es geahnet hätte, würde ich weniger besorgt und geängstigt gewesen sein. So plagte mich immer der Gedanke an den Lyngenfjord und an 298 Oerenäesgaard, wo meine geliebte Ilda einsam trauerte. Wie oft habe ich Abends auf den hohen Klippen von Loppen gestanden und in die Weite geschaut. Es war mir dann, als könnte ich dich sitzen sehen, die Augen voll Andacht und das Herz voll Sehnsucht nach deinem getreuen Paul, statt dessen aber, glaube ich nun, daß der lang ersehnte Gast dir die Zeit nicht lang werden ließ.

Wir haben vergnügte Stunden verlebt, sagte Ilda.

Ei, das will ich meinen, lachte Paul, ich weiß, daß Herr Marstrand Damen zu unterhalten versteht und keine unbezaubert bleibt. Sogar die kleine Gula gerieth in Gefahr, zur Salzsäule zu werden. Haben Sie nichts von ihr gehört, werther Freund? Ist sie nicht plötzlich einmal am Balsfjord zum Vorschein gekommen?

Ich weiß nichts von ihr, sagte Marstrand so gleichgültig wie möglich, um seinen Aerger zu verbergen. – Er hatte bis jetzt kein Wort über Gula erwähnt, Ilda hatte ihn nicht gefragt, sie hatte Ursache, es nicht zu thun.

Jetzt mischte sie sich ein und forschte nach dem Verlauf der Reise und nach dem Aufenthalt auf Loppen, während der Junker kräftig ruderte.

Bist du je dort gewesen? fragte Paul.

Niemals.

Bei Gott, ein gesegnetes Plätzchen! Steile hohe Klippen rings umher, an welchen eine grauenvolle See brandet. Eine einzige Stelle zum Landen und im Innern die Felsen zerklüftet und zerspalten, wie von zahllosen Donnerkeilen. Ich wollte einen Menschen in diesen Höhlen und Löchern zehn Jahre lang verstecken und Niemand sollte ihn finden. Süße Ilda, wie froh bin ich, wieder bei dir zu sein, dich an mein schmachtendes Herz zu drücken und über diesen spiegelblanken, phantastisch vom Mond beleuchteten Fjord zu fahren. Herr Marstrand, Sie kommen mir vor, wie Saturn, der Amor und Venus durch das Lebensmeer fährt; nur etwas langsamer möchte ich bitten, damit wir das Vergnügen nicht zu schnell genießen.

Ich habe mir den Amor etwas anders vorgestellt, erwiderte Marstrand trocken.

Paul lachte auf. Was sagst du dazu, meine Venus? rief er. Du liebst mich und wenn man liebt, wird selbst ein Lappe zum Amor.

299 Ich sage, antwortete Ilda, daß wir das Boot umwerfen, wenn du dich nicht ruhig verhälst.

Das wäre romantisch, poetisch, dramatisch! schrie der Uebermüthige. Was meinen Sie zu einer solchen Abkühlung, Herr Marstrand?

Gibt es Bären in Loppen? fragte dieser.

Der Henker hole alle Bären!

Es gibt keine dort, sonst wäre der tapfere Paul zu Haus geblieben, rief Hannah, die auf der Ufertreppe am Packhause stand und das Boot erwartete, das jetzt nahe war.

Empfangen wie immer, erwiderte der Schreiber auflachend, von meiner großmüthigen Freundin mit einem etwas abgenutzten Witze.

Der immer noch gut genug ist, antwortete diese, indem sie sich umwandte und mit dem lauten Ruf: Björnarne! dem Manne entgegeneilte, welcher so eben in den Hofplatz trat.

Bald saßen sie zusammen in der Stuga, wo Petersen eine unterhaltende Beschreibung der Reise und der Vögeljagden auf Loppen lieferte. Die Schlupp, welche erwartet wurde, war mit Federsäcken gefüllt, denn in diesem Jahre war der Fang ungemein gut ausgefallen. Die großen dreizehigen Möven, die Alken, die mancherlei Entengeschlechter, die Eis- und Sammetvögel, die nordischen Pelikane, sammt den unzähligen Tauchern, Seetauben, Rotten und Lummen hatten reiche Beute geliefert. Paul erzählte in lebendiger Weise den gefährlichen Fang der Vögel auf den höchsten, steilsten Klippen, wo die Jungen in den Nestern gerupft, die Nester selbst ihres weichen Federfutters beraubt und die Alten mit Stangen zu Tausenden in der Luft todtgeschlagen werden. Denn, sagte Paul, diese albernen Geschöpfe sind so dumm, in dichten Wolken laut schreiend ihre Nester zu umkreisen, statt ihre Häupter weislich in Sicherheit zu bringen.

Es ist ein feiges, unrühmliches Morden, rief Hannah aus; ich weiß nicht, wie Männer daran Gefallen finden können. Jagt den Wolf, fangt den Luchs, ereilt das schnelle Rennthier und meßt Euch mit dem Bären – aber der Bär, Paul Petersen, der Bär ist ein entsetzliches Geschöpf, dem man nicht nahe kommen darf, ohne die schnellsten Beine zu haben.

Paul ließ sich auslachen und lachte mit, aber in seinen falschen Augen funkelte der Hohn über die Spötterei. – Künftig, sagte er, 300 wollen wir dich nach Joppen schicken, weise Jungfrau, du wirst den versammelten Vögeln eine Rede halten, damit sie sich selbst rupfen und braten.

Jeder behalte, was sich für ihn schickt, erwiderte sie. Ein Weib wird sich am wenigsten dazu hergeben, angstvolle Mütter in's Unglück zu bringen.

O zartsinnige Tochter des Häringskönigs von der deutschen Brücke! rief Paul lachend, wie bewundere ich dein edles Herz! Zur Stärkung deiner Nerven mußt du wirklich nach Loppen reisen und bei Anga, dem Weibe des wackeren Egede Wingeborg, Unterricht nehmen, die eine Virtuosität im Kopfumdrehen und Hautabziehen besitzt, wie keine sich rühmen kann.

Wer ist Anga und wer ist Wingeborg? fragte Hannah.

Wingeborg wird sich dir morgen vorzustellen die Ehre haben, wenn die Schlupp kommt. Er ist der alleinige Herrscher auf Loppen, zum Regenten und Vicekönig von Helgestad dort eingesetzt, ein Mann, dem ich ohne Zweifel mein Leben danke, denn ohne ihn wäre ich an den Felsen zerschmettert.

Dann soll Wingeborg gesegnet sein, sagte Hannah. Wir wären vor Gram gestorben.

Paul verneigte sich spöttisch.

Du warst in Gefahr? fragte Ilda.

Ein wenig, erwiderte er, aber Gott war mir gnädig und Egede nahe, Beide erhielten mich dir. – Du weißt, fuhr er fort, daß die Lummen in Felsenlöchern nisten, an senkrechten Wänden, oft tausend Fuß tief an der Klippe hinab und tausend Fuß vom Meeresspiegel hinauf. Da sitzen sie in tiefen Spalten zu Dutzenden und Schocken bei einander und hat man die erste am Hals, so hat man sie alle. Die eine beißt die andere in den Schwanz, und die ganze Kette läßt sich so herausziehen, bis auf den letzten Mann stirbt die Kameradschaft. Solch ein Fang ist entzückend, man kann dabei naturhistorische Studien machen und nebenbei die Natur selbst aus der Vogelperspective bewundern. – Ein Seil von zwölfhundert Fuß Länge ist oben auf der Klippe über ein Rundholz gelegt, auf einer Art Knebel sitzt der Jäger, unter ihm schwebt ein Korb, um die Vögel 301 hineinzuwerfen, und sechs oder acht Männer lassen ihn so weit herunter, bis er vor den Brütlöchern hängt. Kann er mit seinem Arm die Thiere nicht erreichen, so sitzt im Korbe ein kleiner Hund, den schickt er in den Spalt, um den ersten Vogel zu packen und vorzuzerren, bis des Jägers Hand ihn fassen kann. Ist es so weit, so ist Alles geschehen, der Jäger zieht den Hund, des Hundes Zähne sitzen in dem Lummenhals, das Uebrige findet sich.

Nun aber, fuhr er fort, ist allerdings die Sache nicht ohne Gefahr. Die Männer oben werden nicht so leicht loslassen, obwohl es auch schon vorgekommen ist; der Jäger wird sich an seinem Querholz fest zu halten suchen, wenn auch manchmal Einer das Gleichgewicht verliert und den Hals bricht; das Uebelste aber bleibt es, wenn das Tau sich zu drehen anfängt und der Jäger, wie ein Kreisel, umher wirbelt, bis er im Schwindel sinnlos hinabstürzt oder den Kopf an irgend einer Felsenkante zersplittert. – Und das wäre mein Loos gewesen! rief Paul, hätte Egede mich nicht gehalten. – Ich hing an einer Klippe, an siebenhundert Fuß Seil; unter mir hatten zehn Mastbäume Raum, als ein Windstoß kam und ich zu drehen anfing. Anfangs lachte ich, dann fluchte ich, endlich schrie ich einen Todesschrei, denn um mich her wurde es schwarz, als plötzlich ein Mann an dem Seile herunterfuhr und mit seinen Beinen rechts und links auf dem Querholz stand, mir den Hakenstock aus der Hand riß, die Spitze in einen Felsenspalt stieß und mit einem Sprunge auf dem Absatz der Klippe stand, nicht breiter wie eine Hand. – Im nächsten Augenblick hatte er das Seil dicht herangezogen und hielt es fest, dann wandte er es behutsam hin und her und ließ sein rauhes Gelächter hören. Eine Minute darauf stand ich neben ihm, ich weiß selbst nicht, wie es kam. Wir gingen auf dem Grat fort, bis dieser etwas breiter wurde. Da waren Löcher und Risse, Alken und Lummen in ganzen Schaaren, es war eine wunderbare Jagd. Ueber uns die zersplitterte Wand, unter uns die glänzende See; schreiende Vögelschwärme um unsere Köpfe, mit Flügeln und Schnäbeln auf uns los wie Teufel und wir Beide mit Blut bespritzt, fangend und schlagend, bis Alles still war. – Dann band Egede mich fest, gab das Zeichen und ich fuhr ohne ein Hinderniß hinauf. Ihn holten wir dann nach und er brachte noch einen Korb voll Leichen mit, so 302 viel, daß Anga nicht wußte, was sie mit allen Braten machen und wie sie die gute Speise bewahren und einsalzen sollte.

Anga ist also, wie ich merke, die Hausfrau des Herrn Wingeborg, deines ehrenwerthen Freundes? fiel Hannah ein.

Es ist die reizendste dickköpfigste Schönheit aus ächtem Quänerstamm, die je ohne Hemd und Strümpfe in einer Blouse von Hammelfellen in den Finnmarken umhergelaufen ist, lachte Paul. Sie müssen wissen, Herr Marstrand, daß es auf den Außeninseln oft wie im Paradiese hergeht, und nach Loppen kommt, Jahr aus Jahr ein, kein Mensch, der Anstoß daran nähme. – Mein Freund Wingeborg, seine Anga und fünf Buben, einer zottiger wie der andere, wohnen dort in ungestörter Freiheit. Anga brauchte selbst die Hammelfelle nicht, sie könnte eingehüllt in ihren wilden Haaren gehen, wie einst die schöne Gräfin Genovefa, und Wingeborg hat keinen Grund, eifersüchtig zu werden. Das ist ein prächtiger Kerl. Wären wir Griechen, so würden wir ihn in Marmor meißeln, und wenn er morgen kommt, mag sich jedes zarte Herz in Acht nehmen.

An diesen Gesprächen, welche noch lange fortgesetzt wurden, nahm Björnarne wenigen Antheil, nur zuweilen mischte er sich ein, wenn er dazu aufgefordert wurde, aber Alles, was er sagte, war kurz und klang so, als koste es ihm Anstrengung. Marstrand sah er kaum an und für die freundlichen Aufmerksamkeiten Hannah's zeigte er sich gleichgültig und that zuweilen, als höre er ihre Fragen nicht, wenn er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und lieber die Augen zumachte. – Es hatte sich also nichts geändert oder, wie Marstrand meinte, es war sogar noch schlimmer geworden. Mit geheimer Betrübniß sah er seinen jungen Freund an, der sonst so fröhlich lachen und in so glücklicher Sorglosigkeit seine Tage verleben konnte. Seine Züge waren spitzer geworden, seine Augen lagen tief und ihr Blick hatte etwas Unstätes und Ruheloses, er konnte sie nicht lange auf einen Gegenstand festhalten.

Diese Bemerkungen, welche Marstrand schon am Abend gemacht hatte, konnte er am nächsten Morgen fortsetzen. Keine theilnehmende Frage kam über seine Lippen, er wich dem Gaardherrn am Balsfjord aus und verschwand in den Packhäusern, wo er umherkramte, indem 303 er es Paul Petersen überließ, auszuforschen, was den unbequemen Besuch denn eigentlich an den Lyngenfjord gebracht habe?

Marstrand war zurückhaltend, allein der Schreiber war zu klug, um nicht bald aus den Antworten, die er hervorlockte, sich ein Bild von der Lage der Dinge zu machen. Er wußte zudem viel mehr wie Marstrand selbst und sah mit heimlichem Vergnügen, wie weit Helgestad's Plane vorgerückt waren; – weiter, wie er es gehofft hatte;

Es war keine Ordnung und Eintheilung in der neuen Niederlassung, die Vorräthe waren verschleudert, das Geld verthan, Marstrand war gekommen, um Hülfe zu begehren, und der Dummkopf, Olaf, hatte ihn hergeschickt, während er selbst seine herkulischen Schultern anstrengte, um einiges Geschick in die Verwirrung zu bringen. Mit vieler Theilnahme hörte Paul zu, ertheilte guten Rath, stellte Zweifel auf, und weil er ganz richtig schloß, daß Marstrand gerade das Entgegengesetzte von dem glauben würde, was er ihm empfahl, unterstützte er lebhaft die Ansichten, welche Olaf ausgesprochen hatte.

Ich kann es mir denken, sagte er, daß der ehrliche Junge mit Entsetzen Ihre Arbeiten und Ihre Ausgaben betrachtet hat und wahr ist es, Herr Marstrand, daß wenige Leute im Lande sind, die das ganze Unternehmen nicht für abenteuerlich halten.

Eine Meinung, der Sie jetzt beizupflichten scheinen, fiel Johann geringschätzig ein.

Sie haben Recht, erwiderte Paul. – Ich dachte früher vielleicht anders, jetzt sehe ich praktischer und schärfer.

Ich danke Ihnen für alle Belehrung.

Ei! werther Herr, versetzte der Schreiber spottend, ich gebe es gern und meine, Rath und Erfahrung kann ein jeder brauchen, selbst wenn er außerordentlich viel davon gesammelt hat.

Der Unmuth des jungen Ansiedlers würde ihn zu einer noch heftigeren Antwort verleitet haben, wäre nicht eben jetzt die erwartete Schlupp auf dem Fjord sichtbar geworden. – Das Haus und die umliegenden Hütten geriethen in Bewegung; Weiber und Kinder schrieen den Ankömmlingen entgegen, denn auf dem Verdeck standen die sechs Männer, welche die Besatzung bildeten, und als das Tau geworfen wurde, entstand eine der üblichen Bewillkommnungsscenen. Jeder hatte für seine Familie etwas mitgebracht, Federsträuße und 304 Vögelbälge, auch ganze Fässer gesalzenes Vogelfleisch, das nicht besonders einladend roch und wahrscheinlich noch schlechter schmeckte. Auch Marstrand näherte sich dem Ausschiffungsplatze. Seine Freundinnen wurden von Paul und Björnarne begleitet, er empfand verdüstert, wie sehr sich Alles mit einem Male geändert hatte und gern wäre er jetzt an den Balsfjord zurückgekehrt. Gleichgültig sah er der Landung zu und erst nach einer Weile bemerkte er, daß ein großer aber kurzbeiniger Mann, der zu seinem kräftigen Untertheile sehr schmale Schultern, ungeheure lange Arme und einen dünnen Leib bekommen hatte, bei dem Schreiber stand, der dies seltsame Geschöpf zu Ilda führte. Der große Kerl trug einen schwarzen Glanzhut auf dem Kopf, unter welchem sein wirres, schmutzig gelbes Haar herunter fiel, und dieser Kopf war viel dicker und vierkantiger, als es zu dem schmalen Körper nöthig gewesen wäre. Sein rothes von Pockennarben zerrissenes Gesicht hatte eine Stumpfnase, einen Mund mit wulstigen Lippen und zwei Reihen langer weißer Zähne, welche er wie ein Affe zeigte. Häßlich war er genug, aber am häßlichsten waren seine Augen, die völlig verkehrt standen und mit großer Geschmeidigkeit von einer Ecke in die andere fuhren, so daß Niemand wissen konnte, wohin er eigentlich sah.

Hier, Ilda, ist Wingeborg; mein Freund Egede, theuerste Hannah, rief Paul lachend. Ein ausgezeichneter Mann durch die verschiedenartigsten Eigenschaften seines Kopfes und Herzens, wie seiner Arme und Beine! – Seht diese Beine an, dürr, behend, unermüdlich, wie die Läufe einer Bergziege, die auf dem schärfsten Grat lustig umherspringt, als sei er so breit wie der Lyngenfjord; betrachtet diese Arme, die in einen Brunnen reichen könnten und so anziehend sind, daß sie die Alkenketten aus den tiefsten Löchern holen. Und nun schaut diesen unvergleichlichen Kopf an, den ein Diplomat auf seinen Schultern tragen sollte, um vollkommen unergründlich zu sein. Damit harmonirt der wunderbar bewegliche Schwanenhals und was sein Herz betrifft, so können wir zwar nichts davon sehen, allein der einzige Umstand, daß er die tiefste Abneigung gegen das unwürdige Geschlecht der Lappen hegt, mit keinem Fischlappen oder Bölappen Gemeinschaft hält, niemals erlaubt, daß einer der elenden Rennthierhirten nach Loppen übersetzt, um seine Heerden dort zu weiden, oder 305 gar eine Hütte zu erbauen, um ein Kolonist zu werden, beweist, daß er hohe Gefühle und viele Empfindungen in sich trägt.

Während dieser Spötterei des Schreibers hatte Wingeborg seine Augen von einer Ecke in die andere rollen lassen und seine weißen Zähne gefletscht. Dann und wann griff er mit seinen rauh behaarten Fingern, die wie die Finger einer Seespinne biegsam und gelenkig waren, in sein blaubuntes Halstuch und endlich drehte er den Glanzhut ein paar Mal um seinen Kopf und lachte behaglich.

Höre, Sorenskriver Petersen, sagte er, von Allem was du sagst, verstehe ich wenig, aber ich danke dir dafür.

Ich bitte dich, Freund Wingeborg, fiel Paul ein, mache keine Umstände, es ist herzlich gern geschehen.

Gut, so thue was du willst! sagte der Quäner, aber was du von mir und den Lappen sagst, das sollen die beiden Jungfrauen gern glauben. Ich habe mit den gierigen Dieben mein Lebtag viel zu schaffen gehabt und rieche auf Meilen weit, wenn einer in der Nähe ist.

Und was du nicht riechst, theurer Beherrscher der Luftbewohner, erwiderte Paul, das wittern deine getreuen Leoparden. Wo hast du sie?

Hier, sagte Wingeborg, indem er auf den Sack deutete, der zu seinen Füßen lag und den er ausschüttete, wodurch zwei kleine gelb und dunkel gefleckte Hunde zum Vorschein kamen, die so wunderlich aussahen, wie ihr Herr. – Sie hatten wieselartig spitze Köpfe, lange äußerst schlanke Leiber, kurze, breite Füße, abgestutzte Ohren, merkwürdig lange Schwänze und waren von großer Behendigkeit in allen Bewegungen.

Seht da! rief Paul, sind das nicht köstliche Geschöpfe? Es ist die echte Race der Vogelfänger, die Gott der Herr in seiner Weisheit einzig dazu geschaffen hat, die Brütlöcher auszuspüren und denen er eine Nase gab, wie sich kein Zollinspektor rühmen kann. Gieb diesen kleinen Schlauköpfen irgend einen Lappen, einen Schuh oder Strumpf von einem menschlichen Wesen, mag es auch lange her sein, daß es ihn einst trug, wenn von dem Eigenthümer eine Spur zu finden ist, werden sie ihn bald haben.

306 Die beiden kleinen Hunde wurden Gegenstand neugieriger Fragen und Liebkosungen und sie vergalten diese durch Freudensprünge und Schmeicheleien; plötzlich aber wurden sie vergessen, denn auf der Höhe des Fjeldes zeigte sich ein Wanderer, der im Sonnenschein auf einer steilen Klippe stille stand, seinen Hut schwenkte und ein lautes Hoho! hören ließ. – An seinem weißen langen Haar, dem schwarzen Pilgerrock, dem breitgekrämpten Hut und dem Stab erkannten Alle sogleich den guten Klaus Hornemann. Ilda eilte mit Hannah ihm entgegen, der Sorenskriver aber lachte laut auf und legte sich auf Björnarne's Schulter.

Wahrhaftig! rief er, wir sind gesegnete Leute. Kaum zu Haus, erscheint auch die Frömmigkeit und – die Langeweile, fügte er leise hinzu, als Marstrand weiter ging, als ob wir noch nicht genug davon hätten. Ich sage dir, Björnarne, wir müssen eilen, daß wir diese Bursche los werden, oder Etwas erfinden, um uns vor ihnen zu sichern.

Vielleicht, murmelte Björnarne vor sich hinblickend, erfahren wir Manches von dem Priester.

Glaubst du, daß er die Wahrheit sagen wird? Hüte dich vor ihm, sei munter, zeige ihm ein frohes Gesicht, oder er wird sich an dich nesteln mit allerlei Moral und Sittensprüchen. Ich sage dir, der alte Bursche mit seiner salbungsvollen Weisheit wird uns zu schaffen machen. Gestehst du ihm ein Wort, so bist du verloren. Sei klug, Björnarne, denn ich möchte wetten, du wirst ihn schnell genug auf dem Halse haben.

Sie gingen über den Grund fort und trafen auf den Geistlichen, als dieser eben die Felsenstufen herunter kam, von den Mädchen geführt und von Marstrand bewillkommnet.

Da bin ich wieder, meine lieben theueren Freunde! rief der Greis, und Gott der Herr meint es gut mit mir, daß ich gleich beim Eintritt in diesen gastlichen Gaard Alle froh beisammen finde.

Wir sind in Oerenäes wohl aufgehoben, erwiderte Hannah, haben Freude und Liebe, Scherze in Fülle und obenein den witzigen Paul, aber Sie, ehrwürdiger Mann, schonen sich nicht, laufen und klettern bei dieser schwülen Sommerhitze in den Wüsten umher, ohne an Ihr weißes Haar zu denken.

307 Nein, wirklich, antwortete Klaus mit liebenswürdigem Lächeln, daran denke ich nicht, gutes Kind, und weil ich nicht daran denke, muß es wohl keine besondere Anstrengung für mich sein. – Ich komme, fuhr er fort, diesmal mit einigen Umwegen von Tromsöe. Ich bin auch am Balsfjord gewesen, Herr Marstrand, und habe dort Olaf als einen redlichen Hüter Ihres Hauses vorgefunden, endlich bin ich über die Halbinseln und Fjelder gepilgert, bis hinauf zur Kilpisjaure und komme von dort, um, wenn mein Töchterchen Ilda es mir gestattet, mich einige Tage hier unten am kühlen Fjord auszuruhen.

Wer hieße Euch nicht willkommen, lieber Herr, antwortete Ilda. Ruht aus und bleibt zu unserer Freude so lange es angeht.

Die beiden jungen Männer waren nun auch herangekommen, freundliche Worte wurden gewechselt. Der alte Priester, sein Ränzchen von Leder am Riemen um die Schultern gehängt, ging mit ihnen dem Hause zu, wo auf der Vorbank Egede Wingeborg Platz genommen hatte; kaum aber hatte Hornemann diese Stelle erreicht, als die beiden kleinen Hunde des Vogeljägers mit lautem Gebell auf ihn zusprangen, ihm die Zähne zeigten und widerspenstig knurrend endlich dem Pfiff ihres Herrn Folge leisteten, der sie zurückrief.

Ei, Wingeborg, sagte der Greis lächelnd, das ist ein übler Empfang.

Mag sein, erwiderte der dickköpfige Quäner, aber eines Thieres Natur stammt auch von Gott. Der Empfang gilt nicht Euch, Herr, sondern Eurer Gesellschaft. Seid Ihr nicht vor kurzer Zeit noch mit Lappen zusammengewesen? Ist's nicht so?

Ja, war Hornemann's Antwort. Mortuno begleitete mich und trug mein Ränzchen bis dort oben, wo er mich verließ.

Seht Ihr wohl! rief Wingeborg triumphirend. Meine Hunde wittern, daß ein Lappe bei Euch war. Es ist eine Götterstimme, die aus den Thieren spricht.

Guter Freund, fiel Hornemann ein, laß die Götterstimme aus dir selbst sprechen, die da sagt: Liebet alle Menschen, denn sie sind Gottes Ebenbild. – Doch, was thust du hier am Lyngenfjord?

Wingeborg erzählte, daß er seine jährliche Federsammlung abliefern und Helgestad's Rückkehr erwarten wolle, um Rechnung mit 308 ihm zu halten und Ankäufe zu machen. Nach einigen andern Fragen blieb Egede draußen sitzen, im Hause aber sammelte sich die ganze Bewohnerschaft um den guten Priester, der für jeden freundliche Worte hatte.

Klaus Hornemann's Anwesenheit war aber auch für Marstrand tröstend. Unverhofft führte ihm sein guter Stern den Mann zu, bei dem er Rath und mancherlei Beistand suchen konnte und dessen Nähe selbst Paul Petersen bescheidener oder zurückhaltender machte. – Es war gewiß, daß der Schreiber vor diesem alten Mann mehr Scheu empfand, als vor irgend Jemand, er wagte es nicht, die mancherlei lehrreichen Gespräche mit denen der Abend ausgefüllt wurde, zu unterbrechen, wagte auch nicht, über die Moral des Priesters und Heidenbekehrers zu spotten und seine gutherzigen Aussprüche lächerlich zu machen. Der alte Priester hatte nichts als seinen freudigen Gottesglauben, seine klaren Augen, seine sanfte Stimme und sein weißes Haar. Paul Petersen erachtete ihn als einen Narren und elenden Phantasten, der nur von Dummköpfen verehrt werde, aber der Nimbus dieser Verehrung lag so geheimnißvoll um den Greis, daß Paul, mochte er thun, was er wolle, sich der Ansteckung nicht entziehen konnte.

Er saß stumm in der Ecke und grübelte über seine Pläne. Sobald er konnte, entfernte er sich und Björnarne folgte ihm nach, endlich aber blieb Klaus mit Marstrand allein, der ihm sein Herz ausschüttete, und ihm bis tief in die Nacht seine Angelegenheiten mittheilte.

Freund Johann, sagte endlich der Priester, ich bin kein praktisch befähigter Mann für solche Dinge, mein Rath kann daher ein nur zweifelhaftes Gewicht für Sie haben. Hätten Sie früher sich an mich gewandt, so würde ich allerdings dagegen gewesen sein, daß Sie, jung und unerfahren, sich auf so große, weitaussehende und kostspielige Unternehmungen einlassen wollten. Helgestad hat Sie dazu ermuntert, seine Pflicht ist es somit, Sie kräftig zu unterstützen, und wie ich ihn kenne, wird er es thun, da Sie überzeugt sind, daß Ihre begonnenen Arbeiten eben so nöthig wie nothwendig waren, um zum Ziele zu führen.

Ich bin auf's Bestimmteste überzeugt, antwortete Marstrand, daß ich mehr ausgeführt habe, als Helgestad erwarten konnte und zweifle 309 nicht im Geringsten daran, daß im nächsten Sommer schon ein Erfolg möglich ist, der alle Spötter zum Schweigen bringt.

Dann arbeiten Sie rüstig fort, und kehren Sie sich nicht an die tadelnden und verdammenden Stimmen. Ich muß Sie immer wieder mit mir vergleichen, fuhr er sanft lächelnd fort. Sie stehen freilich vor mir da in blühender Jugendkraft und in Ihren Augen wie in Ihrem ganzen Wesen ist eine Energie, die mein altes Herz erwärmt. Aber wir sind uns dennoch ähnlich. Wie mich Unwissenheit und Böswilligkeit schmähen und verläumden, so fallen die Zungen der Menschen, die nur für das Gewöhnliche und Hergebrachte Sinn und Verstand haben, über Sie her. Mit allen Vorurtheilen, die ihre engen Seelen hegen, höhnen sie, was sie nicht verstehen. Seien Sie darüber ruhig, mein junger Freund. Selbst wenn ein Theil der Vorwürfe wahr ist, die Ihnen gemacht werden, selbst wenn Sie über Ihre großen Entwürfe Manches vergessen, was nahe liegt, ist dennoch nichts verloren. Sind wir denn nicht Menschen, die fehlen und irren müssen? Ist Licht möglich ohne Schatten? Tüchtige Geister irren zumeist und bedürfen der Prüfungen, dann thun sie in einem Tage mehr, wie andere in einem langen Leben. Gehen Sie Ihren Weg, er wird ein guter sein, ich weiß es gewiß.

Meine Fehler, erwiderte Marstrand, hat Olaf Ihnen gezeigt. Ich habe für mein Haus bisher zu wenig gesorgt, meine Ausgaben sind zu groß gewesen, es ist Vieles in Verwirrung und Unordnung, weil ich mich nicht darum kümmern konnte. Das soll von jetzt an geschehen.

Es ist zu viel für Sie, sagte der alte Priester, indem er sich zu ihm beugte und die Hand auf seine Schulter legte. Ihr Haus sicher aufzurichten, gibt es nur ein Mittel – eine wackere, tüchtige Frau, die Frieden und Ordnung mit sich bringt.

Marstrand machte ein abwehrendes Zeichen, indem er die Augen durch das stille Zimmer laufen ließ, als fürchte er, daß es Jemand höre.

Ich könnte Ihnen eine Mittheilung machen, fuhr Klaus fort, doch muß ich glauben, Ihnen damit wehe zu thun, indem ich Erinnerungen aufwecke, die nicht angenehm für Sie sind.

Erinnerungen, die nicht angenehm sind? wiederholte Marstrand mit einem Seufzer an seine Stirn fassend; deren habe ich mancherlei.

310 Es handelt sich um ein armes, getäuschtes Mädchen, sagte der Priester nach einem augenblicklichen Schweigen – nicht durch Sie absichtlich getäuscht – nein, so ist es nicht gemeint, sondern durch ihr eigenes Herz irre geführt. Ach! es ist eine unglückliche Geschichte, eine Geschichte des Jammers, traurig und trostlos, denn es ist keine Hülfe dafür. Kinder tragen die Sünden ihrer Väter, ein Fluch erbt fort von Geschlecht zu Geschlecht und die von Haß und Verachtung Getroffenen müssen leiden vom Unrecht, mag ihre Seele auch rein sein von aller Schuld.

Von wem reden Sie? fragte Marstrand, dessen Gesicht sich ahnungsvoll röthete.

Von Einer, erwiderte der Greis mit sanfter Stimme, deren Herz mit Ihrem Bilde gefüllt ist, weil Sie zuerst dort den göttlichen Funken weckten, und ihr als ein Erlöser erschienen.

Ich rede von Gula, fuhr er fort, als Marstrand schwieg. Ich habe sie gesehen.

Gesehen! Und sie ist unglücklich?

Glauben Sie, daß Gula glücklich sein kann?

Ihre Stimme klingt vorwurfsvoll, sagte Marstrand und ich verdiene es; aber Gott weiß es, meine Schuld ist nicht so groß. Mitleid mit ihrem Geschick, Dankbarkeit für ihre Theilnahme, ein menschliches Empfinden für das verlassene Kind, Wohlwollen für sie, haben mich verleitet, ihr Gefühle zu erregen, die ich erkannte, als es zu spät war.

Ich weiß Alles, antwortete der Priester, und ich beschuldige Sie nicht, aber Gula lebt und sie hofft.

Wie kann sie hoffen? murmelte Johann düster vor sich hin.

Weil sie liebt, sagte der alte Mann. Die Liebe ist eine Blume, die nicht stirbt, auch wenn ihr Licht und Luft entzogen werden. Sie senkt wohl ihr Haupt und ihre Blätter neigen sich, aber in ihr waltet ein göttliches, ewiges Keimen. Sehnsüchtig träumt sie von vergangenem Glück und mit unwandelbarer Treue glaubt sie an eine Zukunft. Wenn Sie das arme Kind sehen sollten in ihrem Leid, nur von einem Gedanken aufgerichtet, in ihrer einsamen Trauer, abgehärmt und doch strahlend vor Freude, wenn sie von Ihnen spricht, Sie würden tiefen Schmerz empfinden.

311 Wo ist sie? Wo verbirgt sie Afraja? fragte Marstrand.

Was kann es helfen, wenn ich Ihnen den Ort nenne?

Ist sie in dem Thale, das Olaf entdeckt hat?

Lassen Sie mich davon schweigen, erwiderte der Priester. So hart es ist, so darf doch nichts geschehen, was neue Hoffnung erregen könnte. Nein, die Blume dieser Liebe muß ausgerissen werden, und Sie selbst müssen dies thun. Afraja will, daß seine Tochter Mortuno heirathen soll; ich habe mich überzeugt, daß dies ein gerechter und vernünftiger Wunsch ist. Gula wird ihren Widerstand aufgeben, sobald ihr thörichter Glaube an Sie nicht mehr besteht. Sie selbst aber bedürfen zu Ihrem eigenen Heile einer Lebensgefährtin. Armer, junger Freund! Ich weiß, was Sie früher im Herzen nährten; doch ist denn unter den Jungfrauen, welche Sie kennen lernten, nicht Eine, die Ihnen Ersatz bieten mag? Wählen Sie und ich selbst will Ihre Wahl unterstützen. Alles, was ich vermag mit Rath und That, soll zu Ihren Diensten sein. Eine treue Hausfrau wird Ihr Haus zieren und erhalten, zugleich aber wird Gula gerettet werden. Sie wird nicht länger in unfruchtbarem Gram, in unerfüllbarer Sehnsucht sich verzehren.

Sie wird sterben, sagte Marstrand, sein Gesicht bedeckend.

Nein, nein! antwortete der Greis, sie wird leben, wenn der einzige Mensch unter dem fremden, stolzen Volke sich auf ewig von ihr scheidet, der sie an seine Brust gedrückt und meine Gula genannt hat.

Und damit soll ich ihr ein freudloses, schreckliches Dasein erkaufen? Mein Vater, könnten Sie in meine Seele sehen!

Der Priester senkte das weiße Haupt, seine Hände falteten sich. Gottes Wille hat es so gefügt, flüsterte er, Leiden und Schmerzen schickt er seinen Kindern. Gelobt sei der Herr!

Nicht Gott! sagte Marstrand im schönen Zorn, nicht er, der die Liebe ist, nein, diese elenden Menschen mit ihrer Habgier, ihrem Haß, ihren Qualen, mit des Teufels Verdammniß in ihren Leibern, sie tragen die Schuld.

Und wo sind die Reinen und Gerechten? fragte der Greis seinen Finger aufhebend.

312 O, ich fühl's! Ich fühl's! murmelte der junge Mann seine Augen niederwendend, doch was hält mich ab gerecht zu werden?

Klaus Hornemann schwieg, aber seine Blicke ruhten voll Güte auf seinem Freund. Erst nach einem langen Bedenken sagte er im warnenden Tone: Versuchen Sie Gott nicht zum zweiten Male! Wer den Vorurtheilen seiner Zeit trotzen will, muß mit siebenfachem Erz gerüstet sein. Wo aber ist der Panzer, der nicht vor diesem Feuer von Spott, Haß, Verachtung und Schande schmelzen würde? Liebe allein kann da widerstehen.

Ich liebe nur Eine, erwiderte Marstrand ernst, neben ihr hat keine Zweite Raum. Diese Eine ist für mich verloren!

Der Priester sah ihn betrübt an. – Ich hoffe, sagte er endlich leise, daß Sie diese Leidenschaft mit männlichem Sinn überwinden, um so mehr, da die Jungfrau ihrem Verlobten zu gefallen strebt, und wir Alle es innig wünschen müssen, daß Björnarne's Herz sich zu ihr wendet.

Björnarne? antwortete Marstrand sich aufrichtend. Sie sind im Irrthum, damals wie jetzt. Nie habe ich an Hannah Fandrem anders denn als Freund gedacht. Es ist eine Andere, mein Vater, Eine, die mich liebt – ja, die mich heiß und innig liebt, ich weiß es, und deren Besitz mich mehr beglücken würde, als wollte eines Königs Tochter mir ihre Hand reichen. Doch das ist unmöglich! Zwischen uns steht ihr Vater und ein elender, gemeiner Mensch, ein Schelm, dem ich das Schlechteste zutraue. Ihm hat sie sich zuschwören müssen, ihm wird sie angehören.

Steht es so, mein armer, junger Freund! murmelte der alte Priester. Ich habe es mir vorgestellt und doch nicht daran geglaubt. Ilda –

Still! sagte Marstrand aufstehend, rütteln wir nicht weiter daran. Ich kann den Namen nicht hören, ohne tiefen Schmerz zu empfinden. Schöne Tage haben wir verlebt, Tage des Vergessens und der Hoffnung, bis wir plötzlich aus unseren Träumen aufgeweckt wurden.

Seid wach und gerüstet, wenn der Versucher naht, sagte Klaus ihm die Hände drückend.

Wach und gerüstet, ja, erwiderte der junge Mann. Sie kennen das strenge Pflichtgefühl des unvergleichlichen Mädchens, aber glauben 313 Sie mir, sie verachtet den jämmerlichen Buben, den man ihr aufzwingt, mehr noch, wie ich es thue. Björnarne ist in seiner Hand. Wissen Sie, was diesen fröhlichen, guten Jungen so heruntergebracht hat?

Klaus Hornemann machte ein beistimmendes Zeichen. Ich weiß Alles, sagte er. Gula entfloh, um sich vor seiner Leidenschaft zu retten.

Und diese Leidenschaft wird noch jetzt genährt und aufgestachelt von Petersen, fuhr Marstrand fort. Ich kenne seine Plane nicht, aber sie müssen auf Björnarne's Verderben gerichtet sein. Wollen Sie ein gutes Werk thun, so öffnen Sie ihm die Augen.

Ich bin gekommen, um auch mit ihm zu sprechen, sagte der Priester.

Dann zögern Sie nicht, antwortete Marstrand, indem er ihm die Hand reichte. Ich will bedenken, was Sie mir mittheilten.


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