Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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2.

Björnarne war seelenvergnügt über den Verlauf der Angelegenheit seines Freundes, den er zehnmal versicherte, es hätte nie besser kommen können und seines Vaters Rath sei ein guter Rath. Du hast ihm gefallen, sagte er dann. Er ist ein Mann, der seinen Weg zu gehen weiß und sich wenig um anderer Leute Wege kümmert, es sei denn, er hielte etwas von ihnen. Nun hat er deine Sache auf seine Schultern genommen, die eine Last tragen können. Er wird es schon machen, daß er nicht damit fällt. Sei also außer Sorgen, Johann Marstrand, komm, laß uns essen und lachen, meine Schwester Ilda liebt auch ein freundliches Gesicht. Das ist ein Mädchen, rief er, die steht fest auf ihren Beinen und hält den Kopf stolz im Nacken. Du sollst mit ihr tanzen heut', drüben in Ostvaagöen, denn heute Abend ist Ball im Gaardhause. Da wirst du erfahren, wie flink sie sich dreht.

Als sie hinunter kamen, war Ilda über den Kasten an der Wandseite und holte heraus, was dazu diente, den Tisch zu bestellen. Es ging ihr rasch von der Hand und doch schienen alle ihre Bewegungen abgemessen und langsam. Eine kalte Ernsthaftigkeit lag auf ihrem Gesicht, das nur dann und wann von ihres Bruders munterem Geplauder sich belebte, doch bald von Neuem seine natürliche Ruhe und Würde erhielt. Sicher schritt sie in dem schwankenden Schiffe auf und nieder, ohne je das Gleichgewicht zu verlieren. Sie kam und ging, um in dem Küchenverschlage das Mahl zu bereiten, brachte Geräth herein und schuf Ordnung in dem beschränkten Raume. Marstrand's Fragen und höfliche Reden beantwortete sie eintönig, meist ohne ihn anzusehen, was einen geheimen Unwillen in ihm rege machte, und spottend wiederholte er sich Björnarnens Worte: Die steht fest auf 20 ihren Beinen; was aber das flinke Drehen anbelangt, so hege ich einige bescheidene Zweifel.

Endlich war der Tisch bereit, auf welchem eines der Nationalgerichte, eine Grützsuppe mit Backpflaumen und Häringen, aufgetragen wurde. Björnarne's Gesicht verklärte sich. Prächtig so, Schwester Ilda, rief er, das hast du uns herrlich gekocht. Ich habe es lange entbehren müssen, liebes Mädchen, das schönste Essen, was ein Mensch erfinden kann; es geht nichts darüber. Laß uns zulangen, Johann Marstrand, du wirst auch hungrig sein.

Das war der junge Edelmann allerdings, aber seine Züge strafften sich nicht vor Begier nach dem kostbaren Schmause. Er fühlte ein innerliches Grausen davor, dennoch ergriff er den Löffel und tauchte ihn in die Schüssel, als plötzlich Ilda ihre Hand auf seinen Arm legte und mit einem ihrer strengen Blicke sagte: Erst laßt uns das Gebet sprechen, wie es schicklich ist.

Hab's wirklich vergessen, Ilda, rief Björnarne lachend, war zu lange von Haus. Auf den Schiffen, wo Wind und Welle schaukelt und die Zeit knapp ist, geht's oft nicht an. Hast aber Recht, Schwester Ilda, laß uns beten.

Er faltete die Hände und warf einen listigen Blick auf seinen Gefährten, der seinem Beispiele folgte und das Lächeln erwiderte. Ilda jedoch sprach das Tischgebet und ihr Gesicht drückte eine strafende Mißbilligung aus, die von den beiden Spöttern nicht unbemerkt blieb.

Du mußt wissen, sagte Björnarne, als die Teller gefüllt waren, daß Ilda eine sittliche Jungfrau ist, die alle Theile der Bibel kennt und von keiner Kirchfahrt zurück bleibt, mag das Wetter noch so bös sein. Und das ist kein Spaß, fuhr er fort, in Winterzeit über den Fjord zwei Meilen zur Kirche fahren im offenen Boot, wenn es stürmt und Eis treibt. Steht die Kirche tief in der inneren Bucht, so verteufelt weit, der Finnen wegen, die auf den Bergen wohnen. Mancher Mann riegelt da seine Thür zu, schürt das Feuer auf dem Herdstein und läßt den Pastor predigen, was er Lust hat. Kommen dafür die Lappen zuweilen von den Fjellen herunter, hören es an und verstehen kein Wort. Gehen so dumm nach Haus, wie sie hergekommen sind.

Du bist ein ungerechter Mann, Björnarne, sprach Ilda mißbilligend. – Nuh, rief der Bruder lachend, weiß, was du sagen willst. 21 Ich will dir klar machen, Johann, was Ilda meint. Die hat ihr Christenthum tief im Herzen, das treibt sie, es andern Menschen auch mittheilen zu wollen. Nun haben wir einen Pastor im Lande, Klaus Hornemann heißt er, der hat es sich in den Kopf gesetzt, das heidnische Finnenvolk, die Rennthierhirten und Fjeldlappen, welche auf- und abziehen in der unermeßlichen Wildniß, zu bekehren und zu taufen. Meine Schwester da hilft ihm getreulich bei der harten Arbeit und hat den Vater so lange gebeten, bis er es erlaubte, daß die Tochter eines alten, verwetterten Kerls, der unter seinem Volke etwas gilt und sogar als ein Hexenmeister bekannt ist, in unser Haus kommen durfte. Der alte Afraja hat es ungern genug gethan; schnitt Gesichter, wie ein Wolf in der Schlinge, denn sie haben meist eine so große Abneigung gegen uns, wie das Wasser vor dem Feuer, und es kostete einen guten Theil Tabak, auch Branntwein und harte Drohungen dazu, ehe er die Dirne herabziehen ließ. Jetzt haben wir sie im Hause und Ilda hat sie zahm gemacht, hat sie stricken und lesen gelehrt und ihr allerlei Künste beigebracht. Du wirst sie sehen, Johann Marstrand, es ist eine anstellige Dirne, die eine Sache begreift, und das können sie meist Alle, denn Gott im Himmel hat sie nicht ohne Verstand in die Welt gesetzt. Weil aber diese aus der Art schlägt, und weder faul, noch schmutzig, noch diebisch und verderbt ist, sondern gut und freundlich, daß man sie gern ansieht, meint Ilda, ich höhne mit Unrecht das Volk, das kein Normann anrührt, sondern den Fuß nimmt und es von sich stößt.

Wer eines Christen Namen trägt, sagte Ilda, und ihre Augen glänzten hell, indem sie sprach, der soll die Liebe walten lassen, daß er den Menschen, wo er ihn auch finde, als seinen Bruder achte und ihm die Hand reiche.

Die Lappen sind keine Menschen, rief Björnarne. Es sind Thiere, schlimmer als Schweine oder Rochen.

Schäme dich, Bruder, schäme dich! fiel das große Mädchen ein; was du sprichst, ist ohne Nachdenken gesprochen und das thun meist Alle, die es machen, wie du. – Dennoch aber, fuhr sie fort, und ein leises Lächeln zuckte auf ihren Lippen, meinst du es nicht so böse. Bist du doch mit Gula in die Fjellen hinauf gegangen, hast 22 in der Gamme ihres Vaters gesessen, sein Fleisch gegessen, seine Milch getrunken und hast freundlich mit ihnen geredet.

Eine Wolke von Verlegenheit lief über Björnarne's Gesicht. Er zog die Hand darüber hin und rief endlich lachend: Was du nicht Alles weißt und ausplauderst, Schwester Ilda. Als ob man nicht einmal in einer Gamme sitzen und Rennthierfleisch und Milch mit einem Lappen essen könnte, der Heerden von Tausenden zu eigen hat, und obenein eine Art Fürst und Altvater, ein Weiser und Schwarzkünstler unter seinem Volke ist. – Doch während wir hier sitzen, vergeht die Zeit und unserm Gaste scheint aller Hunger vergangen zu sein, er läßt die Suppe kalt werden.

Der junge Edelmann hatte den Löffel niedergelegt, denn die süße Suppe und der Salzfisch dazu wollte seinem Geschmack in keiner Weise zusagen. Björnarne lachte laut auf, als er den Ausdruck des Abscheu's bemerkte, der in Marstrand's Gesicht lag. Ihr wißt nicht, was gut schmeckt, Ihr Dänen, sagte er. Das ist ein schönes altnordisches Gericht, wonach Jeder von uns meilenweit geht, wenn er weiß, wo es zu haben ist.

Ich beneide ihn nicht und wünsche ihm den vollsten Napf, erwiderte der Junker. Als Däne aber mußt du mich entschuldigen, wenn ich aufhöre.

Wer sein Vaterland verläßt und zu einem fremden Volke kommt, um bei ihm zu wohnen, muß Sitte und Gebrauch, Speise und Getränk annehmen, wie er es findet, erwiderte Ilda. Du thust nicht recht, Herr, wenn du unter uns ein Anderer sein willst, als wir selbst.

Es lag etwas Strafendes in ihrem Blick, doch ein so muthwilliges, einladendes Lächeln begleitete den Verweis, daß Marstrand, er wußte selbst nicht warum, den Löffel wieder aufnahm und mit erneuerter Herzhaftigkeit sich über das Gericht hermachte, bis endlich sein Teller leer war.

Das laute Gelächter der Geschwister, als er sich von dieser Arbeit aufrichtete, wie ein Held, der eine kühne That gethan, erweckte auch seine Lustigkeit. Er stimmte fröhlich mit ein, antwortete auf das spottende Lob und fand, daß die Tochter des Kaufmannes aus den Fjorden ihm viel größeres Vertrauen schenkte, als vorher.

23 Du hast gezeigt, sagte Ilda, daß dir der gute Wille nicht fehlt, es uns gleich zu thun, darum nimm nun auch von Fisch und Fleisch, wie wir es bieten können, damit wir dich mit unserm Tisch aussöhnen.

Das Mahl wurde jetzt in viel besserer Stimmung beendet, als es angefangen hatte. Björnarne brachte Gläser aus der Kiste und eine Flasche alten Madeira. Es wurde angestoßen auf das Willkommen im Lande, auf gutes Glück und Gedeihen, auf stete Freundschaft und endlich auch darauf, daß Johann Marstrand sein Haus in der Nähe des Lyngenfjord bauen und als guter Nachbar sein Leben lang, gesegnet und in Frieden, darin wohnen möge.

Gib Acht, rief Björnarne, es wird dir gefallen, ehe du es denkst, und hast du einmal diese Felsen und wilden Wasser lieb gewonnen, so kann nichts mehr dich davon losreißen. Ich habe es oft gehört und selbst gesehen, daß Männer zu uns kamen, die im ersten Jahre nahe daran waren, ihrem Leben ein Ende zu machen, weil es ihnen gar zu schrecklich dünkte, hier bleiben zu sollen. Bald aber wurden sie wieder froh, und endlich fanden sie es so schön, daß nichts sie bestimmen konnte, in ihr Vaterland zurückzukehren, obwohl sie Geld und Gut genug dazu besaßen.

Marstrand blickte vor sich hin. Er konnte es nicht glauben, daß, wer Geld erworben, nicht eilig aus diesen Wüsten entfliehen sollte. Das ist seltsam, murmelte er, sehr seltsam!

Es ist einfach zu erklären und ganz natürlich, erwiderte Ilda. Die Männer, welche kamen, waren fremd und verlassen. Einsamkeit und Entbehrungen bedrückten ihr Gemüth. Nach und nach erwarben sie Freunde, ihr Wohlstand mehrte sich, sie arbeiteten und fanden Frieden und Ruhe in ihrer Familie. In der Welt, aus welcher du kommst, Johann Marstrand, leben die Menschen in mancher Zerstreuung und vielerlei Geselligkeit; bei uns hast du nichts, als dein Haus. Darin mußt du all dein Glück finden, das dir auf Erden gegeben ist.

Was sie sagte, war wahr, das fühlte der junge Mann. Nichts, als den engen Kreis des Hauses, ein verborgenes stilles Leben in einer Wildniß, wo Wochen und Monate vergehen, ehe ein fremder Fuß die Schwelle berührt, das war es, was er im besten Falle erreichen konnte, 24 und Ilda sprach es aus mit der Gewißheit und der Kälte eines Propheten, doch in einem Tone, als sei es das Höchste und Schönste, was ein Mensch erreichen könne.

Meine Schwester hat wirklich Recht, sagte Björnarne, so ist es bei uns. Wer hieher kommt, muß die Einsamkeit ertragen lernen und alle Sehnsucht aus seinem Herzen reißen. Eine Frau hast du nicht zu Haus gelassen, Johann Marstrand, aber vielleicht eine Braut?

Nein, erwiderte der Junker lächelnd.

Oder ein Mädchen, das du lieb hast, wie deine Augen? fragte der unermüdliche Normann weiter.

Auch das nicht, Björnarne. Die Mädchen bei uns – er schüttelte lächelnd den Kopf – es würde so leicht keine einem Manne folgen, der sie in diese Einöden voll Eis und Fische führen wollte.

Als er aufsah, begegnete er Ilda's Augen. Sie waren auf ihn mit dem Ausdruck der Verwunderung gerichtet, aber sie glänzten sanft und freundlich, als wollten sie ihm Trost zusprechen, und mit ihrer tiefen festen Stimme sagte sie: Ich denke, du irrst, Herr. Jungfrauen haben überall Gottes Stimme im Herzen, die ihnen sagt: Folge dem, den du lieb hast, wohin es auch sei auf Erden, wie es in der heiligen Schrift geschrieben steht.

Dann, erwiderte er, hat mich wenigstens keine noch so lieb gehabt, daß sie also sagte; überhaupt aber – es mag auch an mir gelegen haben. Mit dem Königsbrief in der Tasche bin ich hergekommen, um das Glück zu suchen. Mag es mir nun erscheinen wie es will, als Walfisch, als Rennthier, als Bauer, der sein armes kleines Feld bestellt, oder als Kaufmann, im tiefsten Dunkel der Fjorde, ich will es fassen und festhalten, und vielleicht gelingt es mir, wie Jungfrau Ilda sagt, mein Haus und meinen Frieden dort zu finden.

Als er schwieg, rief Björnarne: Du bist ein tüchtiger Mann, dir wird es von der Hand gehen. Ich denke, dein Haus wird gebaut sein, so bald du willst. Denkst du nicht, Ilda?

Wer seines Hauses Frieden gründen will, sagte das große Mädchen, muß die Ruhe dazu in sich tragen; wer aber leichtsinnig ist in Sinnen und Trachten, ist auch wankelmüthig und heut' scheint ihm recht, was er morgen unrecht nennt. Dein Freund, Björnarne, muß 25 erst einig mit sich selbst werden und uns kennen lernen, ehe wir weiter darüber urtheilen. Damit stand sie auf und rief: Da kommt der Vater zurück, ich höre ihn rufen. Sein Boot liegt schon an der Leiter.

Und so war es wirklich, denn nach einigen Augenblicken schallten die schweren Tritte des Kaufmannes auf dem Deck und mit einiger Hast arbeitete er sich zwischen den Päcken und Fässern die Kajütentreppe hinunter.

Nuh, rief er, als er eintrat, habt leeren Tisch gemacht, während ich fort war; aber trag' wieder auf, Ilda, nehme mit den Resten vorlieb und bring' eine neue Flasche, Björnarne, bin hungrig und durstig vom Geschäft und vom Sprechen. Ist nichts ohne Mühe in der Welt, Herr Marstrand. Er nahm seine Kappe ab, zog einen Sessel an den Tisch und strich sein gelbgraues, langfallendes Haar mit beiden Händen aus dem faltigen Gesicht. – Einige Minuten saß er still, als wolle er erst genau bedenken, was er rede; dann richtete er den Kopf auf und sagte zu Marstrand: Ist also abgemacht der Handel. Zweitausend Vaage guten Fisch haben sie ausgesucht für Euch und trocken gehängt, macht tausend Species baar zu zahlen auf heutigen Tag in der sechsten Abendstunde, dort drüben in Ostvaagöen.

Gut, sagte Marstrand, das Geld soll bereit sein.

Stoßt an! rief Helgestad freundlich, wird Euch nicht gereuen der Handel. Könnt das Fünf- und Sechsfache damit verdienen, wenn Ihr Glück habt; und wie das erste Geschäft eines Kaufmanns ausfällt, so geht es auch meist mit den folgenden. Glück gibt Muth und Muth Glück! Ein Verzagter kommt zu nichts, ein Mann aber muß sich selbst vertrauen und hier im Lande ist vor allen Dingen nöthig, die Augen vorn oder hinten zu haben, wie's am besten paßt. Der listige Blick, mit dem er sein Glas aufhob und anstieß, gab seiner Lehre die entsprechende Bedeutung, dann begann er ein langes Verhör mit seinem Schützling, aus dem er durch tausend Kreuzfragen mit merkwürdiger Schlauheit Alles was er wissen wollte herauslockte. Er ließ sich den Schenkungsbrief zeigen, las Silbe für Silbe und schien ihn förmlich zu studiren, während er vom Handel erzählte, von Dänemark sprach und von den Verbindungen mit den deutschen Provinzen, die damals von Flensburg aus einen sehr lebhaften Antheil am Verkehr mit 26 Nordland und den Finnmarken besaßen. Alle seine Anmerkungen waren scharf und bestimmt, und zeigten ebensowohl von Kenntniß des Gegenstandes, wie von eigenem Nachdenken über die Verhältnisse der beiden vereinigten Königreiche. Die schlechte Finanzwirthschaft und die auflösende Unordnung der Verwaltung in Kopenhagen, die Verschwendungen des Hofes und die trägen, anmaßenden Beamtenschaaren wurden ebenso wahr, wie schonungslos von dem Kaufmann aus den Fjorden jenseits des Polarkreises kritisirt, der selbst seinen Gast, mit dem er ein Glas nach dem andern lehrte, keineswegs schonte und Vergnügen daran zu finden schien, ihm zu erklären, was er gewesen und was er nun sein müsse.

Habt feine Hände mitgebracht, rief er endlich lachend, indem er seine eigenen groben Fäuste ausstreckte, werdet aber die weißen Finger bald verlieren, wenn ihr vorwärts kommen wollt. Nuh, wird sich Alles machen. Seid ein Mann, der wissen muß, daß hier kein Königsschloß steht mit Marmorsäulen und Musikanten darin. Sind die alten Fjellen da unsere Schlösser und Burgen, stehen, so lange die Welt steht. Haben Hallen und Säulen genug, hat sie kein Kaiser und Sultan so groß, und der Sturm macht Musik darin, mehr als gut thut.

Ich weiß, sagte Marstrand, daß manche Arbeit mich erwartet, und ich will arbeiten, Herr Helgestad, verlassen Sie sich darauf.

Recht, erwiderte der Alte, arbeiten müssen wir Alle. Ein Glück für die Menschheit, wenn's so viele nicht vergessen hätten. Habe gelesen in einem Buche, war ein gutes Buch, ein schnurriges Buch; stand darin, daß kein Mensch geboren werde mit einem Sattel auf dem Rücken und andere mit Sporen an den Füßen, um aufzusteigen und zu reiten; sind aber die meisten dennoch die Lastthiere und fühlen ihr Lebelang Peitsche und Zügel. Nun seht, Herr, werden hier auch geritten und reichen die Zügel und Zäume dreihundert Meilen weit über's Meer, bis in den blauen Oeresund, wo Kopenhagen gebaut ist, hat aber doch nicht die Art so, wie in Eurem Lande, wo feine Sitte gilt, wie man's nennt. Ist hier Alles mehr eins und dasselbe. Hat jeder sein gleiches Recht; gehören die Fische im Meere und die wilden Rennthiere, Bären und Luchse auf dem Gebirge Jedem, der sie fangen will, und sein Leben daran setzen mag.

Aber, fiel Marstrand bedeutungsvoll ein, es ist dennoch ein großer 27 Unterschied zwischen dem Kaufmann Helgestad und dem Fischer oder dem Lappen an der Küste.

Nuh! rief der Alte mit einem grämlichen Blick auf den Junker, sprecht wild in den Tag hinein, ohne Nachdenken. Ist's nicht so? Lappen sind Thiere, ohne Haus, ohne Heimath; sind, wie die Wüste, sonder Frucht, ohne Nutzen für die Welt; gehören nicht zu ihr, sind unfähig für Handel und Wandel. Können aber dennoch fischen und jagen, eben so gut, wie Quäner und Normann, der freilich meist so faul und betrunken ist, wie sie, und arm bleibt, weil er nicht reich werden will. Müßten Alle verhungern hier, fuhr er fort, wenn der Kaufmann nicht wäre, der das ganze Jahr über borgt und die Fische dafür nimmt, die sie fangen.

Armseliges, trauriges Dasein! murmelte Marstrand vor sich hin.

Lustiges Dasein, rief Helgestad, ist lustig bei allem Elend und möchte sicher keiner tauschen mit Euren Bauern und unfreiem Volk. Haben das ganze Jahr nichts zu thun als auf den Wellen zu schwimmen. Vertrauen dem Glück und sind freie Leute, die sich aus Voigt und geschwornem Schreiber, sammt dem andern Pack nicht allzuviel machen. Er that einen langen Zug aus dem Glase und sagte dann: Müssen freilich auch ihre Steuern zahlen, darauf versteht sich die Regierung in Kopenhagen, wie keine in der Welt; weiß dem Geringsten sein Kopfgeld abzupressen. Nehmen Hütte und Haus, Kuh und Boot; schicken uns Leute her, die das gelernt haben. Der Fischer aber findet doch immer wieder Arbeit und Credit, Mehl und Branntwein und wenn er nur Branntwein hat, ist er glücklich, ist der frohste Mann in der Welt. Werdet das kennen lernen, Herr Marstrand, ehe ein Jahr umgeht.

Und was rathet Ihr mir, Herr Helgestad, in diesem Jahre weiter zu beginnen? fragte der Junker.

Will's Euch sagen, wie ich's calculirt habe, erwiderte der Kaufmann vertraulich. Habe mein Haus in Lyngenfjord, das wißt Ihr. Ist eine feine Stelle, Zulauf von allen Seiten. Drei Märkte im Jahr dicht dabei, wo Quäner kommen und Fjeldlappen von den Bergen, auch sonst Verkehr genug mit dem Fischervolk rund umher. Ist aber ein Gewirr von Sunden dort, schießen ein Dutzend wie Strahlen zusammen gegen die Lappmarken hin und liegt manch gesegnetes Plätzchen allda noch wüst und leer. Weiß einen vor allen darunter, wo 28 ein tüchtiger Mann sein Haus aufrichten kann und reichlich Fortkommen finden wird.

Und dort soll ich mich ansiedeln? fragte Marstrand.

Denke ja, sagte der Alte. Tritt Seyfisch und Syld bis an Eure Thür. Gibt auch verständige Leute nahebei, die man brauchen kann. Könnt nach Tromsöe in einem halben Tage mit Wind und Fluth; ist ein geschütztes, glückliches Paradies. Felsen und Inseln voll Möven, Skarve und Alken, auch Eidervögel und Brütplätze an den Klippen. Gibt einen Federhandel, der Geld bringt. Dabei in den Schluchten Holz genug, mehr als genug – große mächtige Bäume. Er neigte sich zu dem Gaste hin und flüsterte mit einem schlauen Stirnfalten: Denke Ihr versteht's; ist's nicht so? – Holz genug, Herr.

Marstrand sah ihn starr an; er begriff den Vorzug nicht recht, aber Helgestad zwinkte die Augen zusammen und fuhr listig fort: Müßt in Tromsöe die Sache rasch abmachen. Voigt Paulsen ist ein Mann, der zu fassen ist, wenn Ihr wollt. Müßt Euren Brief ihm dicht unter seine Nase halten, daß er lesen kann, was darin steht. Wollen das in's Werk setzen, je eher je lieber.

Ich soll mir also das Land geben lassen, wo Ihr meint?

Denke ja, rief Helgestad ungeduldig. Sollt im Lyngenfjord inzwischen bei mir wohnen, bis Alles klar ist und Ihr eingerichtet seid. Bauen ein Haus und ein Packhaus daneben; kaufen Boote und Fischerzeug sammt einer Yacht für die Bergenfahrten. Müßt Euch selbst holen, was in den Kramladen paßt. – Eine plötzliche dunkle Röthe überzog Marstrand's Gesicht. Einen Kramladen soll ich halten? schrie er halb lachend, halb entsetzt vor dem Gedanken. Einen Kramladen für Lappen und Quäner?!

Einen Kramladen, ja, erwiderte Helgestad kaltblütig, oder denkt Ihr etwa als Kammerjunker hier zu leben? Hättet zu Haus bleiben sollen im seidenen Röckchen und rothen Höschen, wenn's Euch besser paßt.

Es ist unmöglich! rief der junge Edelmann, die Hände zusammenschlagend. Ich kann's nicht denken. Bleibt mir mit dem Kramladen vom Halse.

Müßt ihn dennoch haben, haben ihn Alle; ist nothwendig, wenn Ihr vorwärts wollt, sprach der Alte unerschütterlich. Sind Manche hier, die Euch fünfzig oder hundert tausend Species auf den Tisch 29 zählen können, halten aber dennoch den Kramladen offen. Könnt später mit der Stelle machen, was Ihr wollt; ist theures Gut, das hoch bezahlt wird. Kennt die Sache nicht, werdet es kennen lernen.

Aber, wenn ich auch wollte, sagte Marstrand, bauen, kaufen und einrichten kostet Geld, und ich habe keins.

Habt einen Freund im Lyngenfjord, fiel der Kaufmann mit Nachdruck ein, soll Euch nichts fehlen, was Ihr braucht. Habe Geld genug und Waaren genug, Euch einzurichten, wie es Noth ist.

Nun, in Gottes Namen denn! rief Marstrand mit verzweiflungsvoller Entschlossenheit, ich will thun, was Ihr rathet, weil ich denke, Ihr müßt es am Besten verstehen. Meinetwegen also ein Kramladen, ein Blockhaus, eine Yacht voll Fische und ein Creditbuch. Kein Mensch kann wissen, wozu er Befähigung besitzt und was das Schicksal aus ihm machen kann.

Denke, habt Recht, sagte Helgestad, ist ein guter Lehrmeister, das Schicksal, macht klug und verständig, gibt helle Augen und stärkt den Verstand. Seid Ihr ein tüchtiger Mann, wie ich glaube, werdet Ihr das Ding so gut zu wenden wissen, daß Ihr bei keinem Fall aufs Gesicht zu liegen kommt; seid Ihr's nicht, ist es Eure Schuld, wenn Andere die Aepfel essen, die für Euch gebraten waren.

Er stand auf und zog eine ungeheuer dicke Uhr aus der Tasche, die an langer Silberkette unter der Weste hervorsah. Ist Zeit, daß wir uns aufmachen, sagte er, kommen gerade noch zurecht in den Gaard von Ostvaagöen das Geschäft abzuthun, ehe der Ball beginnt. Holt Euer Geld hervor, Herr Marstrand, und eilt, oder Björnarne und Ilda sind eher da als wir. Würden um Alles in der Welt keinen Fandango oder Hopser versäumen.

Marstrand öffnete seinen Koffer und nahm den Beutel mit dänischen Goldmünzen gefüllt heraus, welcher seine irdische Habe enthielt. Er öffnete die Schnur und überzählte die Stücke, bei deren Klang Helgestad vergnügte und gierige Blicke zu ihm hinsandte, während er in Gedanken mitzählte und die Louisd'ore in Silberspecies berechnete.

Nun fort, sagte er, und haltet den Beutel nicht in der Hand fest, sondern verwahrt ihn in Eurer tiefsten Tasche, ehe wir in's Boot steigen. Unglück ist wohlfeil und das Meer gibt nichts zurück, was es hat. Liegt Manches da unten begraben bis zum jüngsten Tage.

30 Der vorsichtige Kaufmann trieb die Besorgniß für seinen jungen Freund fast zu weit, denn er gab ihm auf dem Deck noch eine Ermahnung, nicht zu hastig in's Boot hinabzuspringen, weil er leicht in's Wasser stürzen könne und als er neben ihm in der Jolle saß, erzählte er schreckliche Geschichten von Fischern und Matrosen, die von Schiffen gefallen, unter den Kiel der Fahrzeuge geriethen, oder plötzlich von Grundhaien gefaßt, diesen zur Beute wurden; denn die großen Haie des atlantischen Meeres finden oft ihren Weg bis in die innersten Gewinde der Fjorde und Buchten. Marstrand lachte dazu, aber es that ihm wohl, daß ein so tüchtiger vielgeachteter Mann so lebendigen Antheil an ihm nahm. Er fühlte sich nicht mehr allein in dieser fremden Welt, er hatte Menschen gefunden, die um ihn sorgten. Dieser alte Kaufmann, mit seinem rauhen harten Wesen, hegte eine seltene Zärtlichkeit für ihn und drüben am Tafarell der Yacht lehnten dessen beide Kinder, an deren freundlicher Zuneigung er eben so wenig zweifeln konnte.

Während das Boot, von zwei stämmigen Fischern gerudert, dem Lande zueilte und zwischen Klippen und Felsenbänken in der Bucht an manchen Fischplätzen vorüberschoß, nannte Helgestad die Namen der Kaufleute, welchen der Fang gehörte und erzählte von ihren Wohnsitzen, ihrem Vermögen, ihren Familien, Schicksalen und Lebensverhältnissen, daß man wohl sah, er war in Allem bewandert, was auf hundert Stunden auf- und abwärts seit manchem Jahr geschehen war. Er kannte aber nicht allein die Herren, sondern auch die fischenden Leute, von denen er Viele bei Namen rief, ihre Grüße erwiderte, oder muntere Fragen an sie richtete, welche Lust und Lachen erregten. Und Helgestad grinste mit und sagte dann zu dem jungen Edelmann: Nuh, ist die größte Lust hier, ist es nicht so? Denke, werdet dies Jahr lange im Kopf haben und manche harte Stunde darüber vergessen. Ist eine schöne Sache um die Erinnerung an schöne Tage, Herr Marstrand; tröstet den Menschen in der Noth, gibt ihm Hoffnung und sind Alle gleich in der Welt darin. Denkt der Eine dies, der Andere das. Denkt Ihr an Eure Feste in Kopenhagen, an schöne geputzte Damen und Prinzen, der Fischer da an den größten Kabeljau und das gefüllteste Netz; ich an den Nutzen vom Thran in Bergen. Ist Alles einerlei, ist vergnügte Erinnerung!

31 Marstrand lachte laut auf, zur Genugthuung Helgestad's, der seine philosophischen Betrachtungen damit schloß, daß er mit doppelter Stärke rief: Ist eine schöne Sache das, muß aber Jedermann sorgen, daß seine Erinnerungen ihm behagen. Ist's nicht so, Ole Gormson? Denke ja. – Halt ab von den Steinen, Ole.

Das Boot flog an den Klippenrand und als Marstrand umblickte, standen drei Normänner dort in ihren langen dunkeln Röcken und breiten Kappen, die das Fahrzeug festhielten und über's Geröll zogen.

Eine alte hölzerne Treppe mit zerbrochenen Stufen führte auf die Felsen, wo der Gaard von Ostvaagöen stand. Es war ein Balkenhaus, roth angestrichen mit kleinen Fenstern, einem Dach von Erde und festen Baumstämmen, auf denen zur Sicherheit gegen Stürme, große Steine lagen. Aus dem schmutzigen Vorderraume wand sich ein finsterer schmaler Weg zwischen Fässern, Netzen, Angeln und Fischspeeren in eine Halle, die fast den ganzen innern Raum des Hauses einnahm und als Wohn- und Gaststube dem Besitzer des Gaard von Ostvaagöen zu gleicher Zeit diente.

An der Seite stand ein brauner Schrank mit Flaschen, Krügen und Gläsern besetzt; Tische und Bänke waren an der Wand gegenüber aufgestellt, und einige Männer saßen dort mit aufgestämmten Fäusten, markige schwere Gestalten in Lederwämmsern, über die ihre langen Haare fielen. Die bedächtige Klugheit ihres Wesens verleugnete sich nicht, als Helgestad und sein Begleiter eintraten. Ein paar forschende Blicke auf den Fremden, der in ungewohnter Tracht in ihrer Mitte erschien, reichten hin sich zu verständigen; dann schienen sie sich kaum weiter um den Handel zu bekümmern, der dicht bei ihnen besprochen und abgeschlossen wurde, obgleich sie sicher kein Wort verloren und mit leise zuckenden Lippen und Augenzwinken den Vorgang überdachten.

Habt hier drei von den besten Männern, sagte Helgestad, nachdem er Marstrand mit den Verkäufern bekannt gemacht hatte. Ist ihr Wort, wie Odin's eisernes Pferd, schlägt die Welt in Stücke, wenn's so sein muß. Also zur Sache. Kauft von Olaf Gödvad achthundert Vaage Fische, von Henrik Nielsen sechshundert, von Gullick Stefenson sechshundert, sind im Ganzen zweitausend, nach meiner Wahl ausgesucht und mir für Euch überwiesen. Schlagt ein, Herr Marstrand, seht her, halten Euch die Hände hin, und jetzt nehmt Euren Beutel, 32 Herr, und zahlt hier auf den Tisch, hat mancher blanke Species schon auf ihm gelegen. Mary, altes Weib am Feuer, schrie er dann mit lustiger Heftigkeit der Frau zu, die am Herdstein in einem Kessel rührte, bring Punsch, heißen Punsch! müssen trinken auf den gedeihlichen Handel. Wird eine kalte Nacht; liegen die Sturmstreifen weiß am Himmel und an Saltens Nadeln. Oder wollt Ihr lieber einen Madeira-Toddy? Bring Madeira-Toddy, Mary, ist besser für Euch zugeschnitten, Herr Marstrand. Habt ein feines Gesicht mitgebracht, schade darum, wenn es roth und braun wird.

Unter dem Lachen der Gäste tischte Marstrand sein Geld auf, das vorsichtig nachgezählt und mit scharfen Blicken geprüft wurde, ehe die groben Hände der Fischhändler es zusammenscharrten und in ihre tiefen Taschen verschwinden ließen. Als Marstrand den leeren Beutel einsteckte, kam eine Bangigkeit über ihn, die ihn fast bereuen ließ, was er gethan. Wie, wenn diese unbekannten Männer im Verein ihn um das Wenige betrogen, was er besaß? – Er hatte recht gut bemerkt, wie sie heimlich sich ansahen und mit schlauen Blicken sich verständigten, wie spöttisch die Augen der Zuschauer ihn zu messen schienen. Der alte Helgestad selbst sah so ziemlich aus, wie Einer, der ein weites Gewissen besitzt, und die Art, wie er mit gierigem Schmunzeln den klingenden Goldstücken nachsah, hatte viel von der Freude eines Gauners, dem ein hübscher Streich geglückt ist. Dem dänischen Junker blieb jedoch nicht Zeit, sich diesen trüben Empfindungen hinzugeben, die übrigens auch nichts helfen konnten, denn sein Geld war fort, und er allein im Kreise von Männern, welche gewiß nicht mit sich scherzen ließen. Jetzt kam der Punsch und der Toddy. Kurze, holländische Pfeifen und Tabak wurden auf den Tisch gelegt; man trank ihm zu und schüttelte ihm die Hände, that Fragen an ihn, wie sie die Neugier eingab, und als das Eis des ersten Bekanntwerdens gebrochen war, sammelten sich die Kaufleute und Fischer um den Ankömmling, der aus der dänischen Hauptstadt vieles zu erzählen wußte, was aufmerksam gehört wurde.

Die Zeit verging somit rasch genug für Marstrand, der auch seinerseits manches erfuhr, was neu und belehrend für ihn sein mußte. Die Handelsverhältnisse dieses weiten Küstenlandes waren im Wachsen, der Fischverkehr war nie so lebhaft gewesen, daher richtete die dänische 33 Regierung auch ihre vermehrte Aufmerksamkeit auf die Finnmarken und suchte durch Verkäufe von Privilegien, Handelsstellen und nutzbaren Boden ihre Finanzquellen zu vermehren.

Nach und nach fand sich eine größere Anzahl Gäste ein, Alle voll Lust über den glücklichen Fang und geneigt ihrer Freude Raum zu geben. Der Wirth von Ostvaagöen und seine Kaufleute hatten genug zu thun, um die Gläser mit Punsch und Toddy wieder zu füllen, welche unablässig geleert wurden; Lärmen und Lachen, Geschrei und Tabaksqualm füllten das große Zimmer und mischten sich mit dem Fisch und Fettgeruch, welchen die Männer vom Wirbel bis zur Zehe aushauchten. Der Abend dunkelte tief und auf den Tischen brannten wohl ein Dutzend rohgezogener Lichter, die auf leere Flaschen gesteckt wurden, allein ihr schwacher Schimmer reichte nicht hin, die Finsterniß zu überwältigen. Die Masse der Händler, Schiffscapitaine, Bootsführer und Gaardsbesitzer drehte sich in der Mitte des Raumes wild durch einander. Von den Inseln und der Küste her waren mehrere Voigte, Sorenskriver und andere Beamte gekommen, ihre Freunde zu sehen oder Geschäfte zu machen. Alle tranken die starken Getränke wie Wasser, Alle lärmten und jubelten, und zwischen den Rauchwolken öffneten sich dann und wann Spalten, durch welche man an den Wänden gereiht, die ernsten starkknochigen Gesichter der Kaufleute aus den Fjorden erblickte, welche langsam ihre Gläser leerten und im Geheimen die Vortheile bedachten, welche sie wohl jetzt noch von dem Einen oder Andern der Anwesenden ziehen könnten.

Nach einiger Zeit entstand eine Stockung in diesem Getümmel. Ein sechs Fuß hoher Nordländer sprang in's Zimmer und indem er die zunächst Stehenden rechts und links zurückstieß, schrie er mit markiger Stimme: Platz für die Musik! Hier kommt die Musik! Fort Ihr da in dem grünen Rock, laßt die Musikanten an ihre Stelle.

Der junge Herr aus dem Nordland schien zu den Angesehensten zu gehören, denn er trug ein neues blaues Wamms und ein breites buntes Halstuch, aber er faßte Marstrand so unsanft an, daß dieser sich losriß und den Angreifer derb von sich abschüttelte. Der Nordländer kehrte sich jedoch nicht im Geringsten daran, er blickte gleichgültig in das zornige Gesicht des dänischen Junkers. Kannst du nicht hören und nicht sehen, Mann? schrie er ihm zu. Scher' dich fort da, es 34 soll an's Tanzen gehen, oder sind deine Beine am Boden festgewachsen, wie Birkenwurzeln?

Weder meine Beine noch meine Arme, sagte Marstrand.

Der Nordländer schien sich zu besinnen, ob er recht verstanden habe, dann ballte er langsam seine mächtigen Hände zusammen und sagte mit einem übermüthigen Blick auf seinen Gegner: Willst einen Holmgang mit mir machen, so komm; aber erst pack dich fort da, wenn du Verstand genug dazu in deinem Kopf hast.

In diesem Augenblick trat Björnarne mit Ilda und einem anderen jungen Manne herein.

Holla, Olaf, mein Junge, rief Björnarne; Friede sei mit dir, Olaf! Ist ein Jahr bald, daß wir uns nicht sahen. Und hier ist meine Schwester Ilda, die dir den ersten Tanz versprochen hat, den zweiten will Paul Petersen haben, so muß ich selbst mit dem dritten vorlieb nehmen.

Prächtig, Björnarne, sagte der Nordländer, seine Hand schüttelnd, bist wieder hier, freue mich dich zu sehen, aber – er blickte nach Marstrand hin, der inzwischen zurückgetreten war – habe hier einen Streit abzuthun.

Meinst den Mann, der hier stand? fragte Björnarne. Laß gut sein, Olaf. Ist ein Däne; ist ein fremder Mann, der nicht weiß was Brauch ist.

Gut, laß den dänischen Affen laufen, rief der Nordländer. Da ist die Musik; gib mir deine Hand, Jungfrau Ilda; Niemand soll sagen, der Ball im Gaard von Ostvaagöen sei von einem andern eröffnet worden, als von Jungfrau Ilda Helgestad und Olaf Veigand.

Und mit einem Arm umfaßte er Ilda's Leib, mit dem andern wirbelte er den Ballen der Fischer und Seeleute auseinander und brachte richtig einen freien Raum zu Stande, in welchem sich nun drei oder vier tanzende Paare nach den Klängen der Musik drehten, deren schrillernde Töne von dem Jauchzen der halbberauschten, begeisterten Zuschauer begleitet wurden.

Zwei Violinen, eine Trompete und eine Art Pickelflöte bildeten eine Tanzmusik der seltsamsten Art. Die beiden Männer, welche die Saiteninstrumente auf ihren Knieen bearbeiteten, waren ohne Zweifel Künstler aus dem Hardangergebirge, wo die Bauern diese Violinen 35 selbst verfertigen und mit den Fingern und ganz kleinen Bogen zu spielen wissen. Der Trompeter, welcher in langen Stößen zwischen das Geklimper schmetterte, schien ein abgedankter Soldat aus einer Küstenstadt zu sein, der Flötenbläser endlich war offenbar ein Sohn des ausgestoßenen Volks der Wüste, ein Lappe, dessen schief liegende Augen und breit hervortretende Backenknochen das mongolenartige Aeußere seiner Race nicht verläugneten. Die gellenden Töne seiner Pfeife hielten den Takt aufrecht und führten die Melodien der Tänze durch, und um ihn sammelte sich ganz besonders ein Haufe von Zuhörern, die hocherfreut über seine enorme Kunstfertigkeit ihm ihre Zufriedenheit durch kräftige Lobpreisungen und noch kräftigere Gläser voll heißer Getränke zu erkennen gaben.

Das war der Ball im Gaard von Ostvaagöen, der bis tief in die Nacht währte und allgemeines Entzücken verbreitete. Die Töchter und Frauen der Kaufleute und Voigte, sammt den Mädchen und Weibern aus der Umgegend waren unermüdliche Tänzerinnen. Sie drehten sich im Zweitritt und in den Reihentänzen nach alter Sitte mit ungeheurer Geschwindigkeit, während die jungen Bursche lebensgefährliche Luftsprünge bis an die Decke des Wirthshauses machten und mit fürchterlicher Gewalt auf die Dielen stampften. Nach und nach ergriff die Lust Alt und Jung. Da war Keiner, der nicht einen Dreher versuchte. Selbst die alten Handelsherren sprangen von ihren Sitzen und suchten sich eine Tänzerin zu verschaffen, sollte es auch die bejahrte Wirthin sein. Es war ein wildes Toben, Marstrand schien der Einzige, der Widerwillen davor empfand. Er lehnte lange in einer Ecke und sah dem Treiben zu, denn Niemand kümmerte sich um ihn. Björnarne tanzte wie besessen und Jungfrau Ilda war von vielen Verehrern begehrt, denn ohne Aufhören wirbelte sie auf dem Platze. Plötzlich aber faßte der alte Helgestad über den Tisch den Arm des Junkers und zog ihn aus dem Winkel hervor. Nuh, sagte er, steht hier wie ein Bild von Stein. Gefällt Euch das Treiben nicht? Kann's mir denken, und will Euch Einen zeigen, dem es auch nicht behagt. Steht dort der Neffe von Voigt Peter Paulsen in Tromsöe, sein Schreiber und Gehülfe; ist ein Mann von Eurem Schnitt, aber Einer, der nicht allen Leuten gefällt. Muß Euch das sagen, Herr, ehe wir gehen, fuhr er fort. Ist eine Art Roche, muß sich Jeder hüten, 36 ihn mit bloßer Hand anzufassen. Könnt ihn aber brauchen, wenn Ihr Euren Brief in Tromsöe vorlegt. Sollt darum seine Bekanntschaft machen, werdet am besten wissen, wie Ihr Euer Fangnetz gebrauchen müßt.

Er war bei diesen Worten, indem er Marstrand's Hand festhielt, quer durch das Gemach geschritten, wo in der Nähe der Thür auf einer Bankecke neben einigen andern Personen derselbe junge Mann saß, welcher mit Ilda und Björnarne gekommen war. Er schien im eifrigen Gespräch mit seinem Nachbar zu sein und Helgestad mußte ihn schütteln, ehe er sich umdrehte und sein gelblich bleiches, von Blatternarben arg heimgesuchtes Gesicht auf den Kaufmann richtete. Ein Wald von dunkelrothem Haar stieg von seiner Stirn auf und seine runden, stark hervortretenden Augen blitzten unter langen röthlichen Wimpern hervor. Mit zunehmender Freundlichkeit stand er jedoch auf und reichte Marstrand die Hand, als Helgestad auf diesen deutend sagte: Höre, Paul Petersen, hier ist ein Freund, der dich kennen lernen will. Ist ein Mann aus dem Süden, aus Kopenhagen, wo es dir so gut gefallen hat. Denke also, werdet zusammen passen und gute Freundschaft halten. Ist's nicht so?

Herr Marstrand, sagte der junge Mann höflich, ich habe von Ihrer Ankunft gehört und würde Sie schon aufgesucht haben, wenn Freunde mich nicht festgehalten hätten. Sein Sie willkommen im Lande, dessen größte Herrlichkeit, der Fischfang auf den Lofoden, Ihnen hier sogleich entgegentritt. Ich darf nicht fragen, wie er Ihnen gefällt, fuhr er lachend fort. Man muß starke Nerven zu solchen Genüssen mitbringen; wenn es aber wahr ist, daß Sie bei uns bleiben wollen, werden Sie jene bald erhalten und vielleicht nach einigen Jahren mit demselben Vergnügen sich hier umdrehen, wie alle diese guten Leute, die das ganze Jahr über davon zu erzählen wissen und sich auf's nächste Mal schon jetzt freuen.

Er warf einen spähenden Blick auf den Kreis der Tänzer und lud den Junker ein, auf der Bank Platz zu nehmen, wo ein Paar Voigte und Sorenskriver saßen, deren nähere Bekanntschaft zu einem langen Gespräch über Kopenhagen und über das Leben und Treiben in der Hauptstadt führte, von der Paul Petersen Manches zu erzählen wußte. Er hatte sich einige Jahre dort aufgehalten, die Rechte 37 studirt, war darauf Praktikant in Christiania gewesen und hatte endlich zur Unterstützung seines Onkels sich nach Tromsöe begeben, wo er, wie es schien, gut gestellt war. Seine lebhaften Erzählungen und seine Freundlichkeit blieben nicht ohne Eindruck auf Marstrand. Hier war endlich ein Mensch, der gebildet sprach, der sich in der Welt umgesehen hatte und dessen überlegener Geist sich in Allem, was er that und sagte, bemerklich machte. – Während Marstrand mit sämmtlichen Voigten und geschworenen Schreibern Punsch und Toddy trinken mußte, empfand er ein wachsendes Gefühl der Zuneigung für den Neffen des Voigts von Tromsöe und endlich konnte er sich nicht enthalten, ihm dafür die Hand zu schütteln und sein Vergnügen auszudrücken, eine so werthvolle Bekanntschaft unverhofft gemacht zu haben.

Es kann Ihnen nicht lieber sein wie mir, Herr Marstrand, versetzte Petersen. Erst wenn Sie länger hier sind, werden Sie empfinden, was es heißt, einen Mann kennen lernen, mit dem man von Welt und Menschen reden kann.

Und wie haben Sie es ausgehalten, fragte der Junker, sich Jahre lang nur von Stockfisch, Thran, Häringen und Eidergänsen zu unterhalten?

Paul Petersen warf einen lächelnden Blick auf seine Nachbarn, welche die sonderbare Frage nicht gehört hatten. Dann sagte er: Ich denke, wir machen uns aus diesem heißen, nach Fett, Tabak und Branntwein riechenden Ballsaal, um einige Minuten draußen frische Luft zu schöpfen. Der Mond steht hell über dem Westfjord und beleuchtet Salten, die Insel und die ganze Küste. Das ist ein herrlicher, wunderbarer Anblick. Ich will Sie auf eine Holmspitze führen, Herr Marstrand, und denke, der kleine Gang wird uns Beiden wohl thun.

Als sie draußen standen, war es so, wie der Schreiber gesagt hatte. Nicht zehn Schritte vor der Thür des Hauses spielte das Meer mit seinen stillen Wassern und warf diese leise klingend an die mondbeglänzten Klippen. – Die Fischplätze, wo am Tage so viel Leben geherrscht, lagen jetzt wie todt in der glänzenden Flut. Keine mordgierige Hand stellte den Geschöpfen nach, die unter dieser silbernen Decke auf- und abzogen. Friede war in der Natur, Friede am Himmel und auf Erden, Friede selbst in diesem großen nassen Reich der 38 Tiefe. Eine erhabene heilige Stille herrschte überall und nur in dem kleinen Hause dort lärmten die barbarischen Töne der Trompete und Flöte und das Geschrei und Stampfen der unermüdlichen Menschen. An der Schwelle hielt Paul Petersen seinen neuen Freund fest und zog ihn zu einem der erleuchteten Fenster. – Sie haben mich gefragt, sagte er, was mich bewegt, bei diesen Leuten da zu leben? Ich will es Ihnen sagen. Mich fesselt dasselbe Gelüst an diesen öden Felsenboden, welches Jeden ergreift, der ihn betritt. Sehen Sie den Mann dort in der Ecke? Es ist der Sorenskriver von Steilöe, eine Klippe am Ende der Lofodengruppe, wo er seit zehn Jahren wohnt. Es ist eine Wildniß, öder und schauerlicher ist keine, und der Mann lebte sonst in Christiania und gehört zu einer angesehenen Familie. Aber seine Stelle bringt ihm wohl fünftausend Species jährlich ein, darum bleibt er und scharrt einen Geldhaufen zusammen. Sehen Sie seine Nachbarn, die Voigte von Salten und Hindöen, sie haben doppelt so viel Einkommen, wie die besten Voigtstellen in ganz Norwegen und nun merken Sie sich das, Herr Marstrand: Wer hierher kommt, will Geld gewinnen, will reich werden und Gott weiß es! dieser Trieb muß aus den Fjellen und Gletschern dringen, oder er liegt in Luft und Licht der Finnmarken. Selbst der elende Lappe, der seine Rennthiere in der Wüste treibt, ist davon erfüllt. Er sammelt die Silberspecies, um sie zu vergraben. So thut Jeder, was er kann. Auch Sie, Herr Marstrand, auch Sie werden diesen wunderbaren Trieb empfinden und sind schon davon ergriffen.

Bis jetzt verspüre ich noch wenig davon, sagte Marstrand lachend.

Oho! rief der Schreiber, ich bestreite es. Sie haben heut erst den Fuß auf Lofoden gesetzt und schon Ihre ganze Baarschaft an ein gewagtes Handelsgeschäft hingeworfen. Sie, ein Mann aus ritterlichem Geschlecht, das gewiß stets mit Verachtung auf den Fischhändler blickte, sind von der Handels- und Speculationswuth angesteckt worden, die in allen diesen Händlern und Kaufleuten wohnt. Darum noch einmal, Herr Marstrand, hier ist Keiner, der nicht reich werden will, der dies nicht auf jede Weise versuchte, und ich sage es Ihnen vorher, Sie werden von derselben Gier getrieben, an diesen Klippen festkleben, wenn Ihnen gelingt, was Sie begonnen haben.

Und wie soll es gelingen, Herr Petersen? erwiderte Marstrand.

39 Ich bin hierher gekommen mit der Absicht, mich anzusiedeln, und denke, der Rath des Mannes, der mich zu meiner ersten Speculation aufforderte, war ein guter Rath.

Kann sein, versetzte der Schreiber, Niemand kann es wissen. Bei solchen Dingen entscheidet allein das Glück oder der Zufall. Seien Sie aber versichert, fuhr er lächelnd fort, Niels Helgestad thut nichts, wo er seinen Nutzen nicht deutlich vor sich sieht.

Welchen Nutzen konnte er davon erwarten?

Paul Petersen schwieg, denn beide gingen auf einem schmalen abschüssigen Steig zwischen hohen Klippen hin, die im nächtlichen Dunkel lagen. Plötzlich stand der Schreiber still und sagte: Wenn nun zum Beispiel Niels Helgestad auf seiner Yacht eine Ladung Salz aus Trondhjem erhalten hätte, die er hier theuer an Leute verkaufen könnte, welche zwar Fische, aber kein Geld besitzen, und wenn er nun diesen Männern einen Käufer für zweitausend Vaage Fisch zum guten Preis verschaffte, hierauf aber von ihnen das Geld für sein Salz einstrich, so könnte es doch sein, Herr Marstrand, daß er seinen Nutzen sehr gut erkannte.

Hat Ihr Beispiel Wahrheit im Hintergrunde? fragte Marstrand.

Ich will es nicht behaupten, Gott bewahr's! antwortete der Schreiber. Aber unter den vielen Schlauköpfen, die wir hier besitzen, ist Niels Helgestad der schlaueste. Er hört, wie seine Freunde sagen, das Gras wachsen, und Niemand hat noch da geerntet, wo er säete. – Sie sind mit Björnarne von Trondhjem gekommen. Das ist ein guter ehrlicher Junge, doch gänzlich abhängig von dem Willen des Alten; das Mädchen dagegen, Jungfrau Ilda, hat viel mehr von ihres Vaters Verstand. Die weiß ihre Vortheile zu berechnen und ist doch dabei so fromm und sittsam, daß sie als Musterbild für alle Mädchen im Lande gilt.

Ein Gefühl des Unwillens gegen den Schreiber regte sich in Marstrand.

Es scheint, sagte er, als theilten Sie diese Ansicht nicht.

Ich? fragte sein Begleiter lachend. Kann sein, daß ich anders denke, wie Viele, und die Dinge in meiner Weise betrachte; aber es ist ein gescheidtes und verständiges Mädchen, kalt, klug und stolz. – Es kann sich Keiner von ihr einer Gunst rühmen, wie Viele sich auch 40 darum beworben haben. Freilich ist Jungfrau Ilda auch ein kostbares Ziel, denn Niels Helgestad wird auf weit mehr als Hundert Tausend Species geschätzt. Stand, Rang und Titel verlacht man hier, Herr Marstrand, man liebt dafür die blanken Thaler, die Yachten und Handelsstellen. Ich habe gehört, Sie wollen mit Helgestad in den Lyngenfjord fahren?

Er hat mich dazu eingeladen, erwiderte der Junker.

Haben Sie schon einen Plan für Ihre Zukunft gemacht? fragte sein Freund.

Marstrand dachte an Helgestad's Warnung. Bis jetzt weiß ich nichts Bestimmtes darüber, antwortete er.

So kommen Sie nach Tromsöe, sagte Petersen. Was ich thun kann, um Ihnen nützlich zu sein, soll mir Freude machen. Ich gelte etwas bei meinem Onkel, der vielleicht den richtigen Weg weiß, für Sie zu sorgen. Eine Handelsstelle kaufen, fuhr er fort, wäre das Beste, aber die Stellen sind theuer und neue können nicht vergeben werden, ohne den bestimmtesten Befehl der Regierung. Der Kramhandel in den Fjorden, der Fisch- und Federhandel bringen Geld, wenn die Speculationen glücken, doch muß man Geschick dazu besitzen und oft vergehen mehrere Jahre, ehe es zu etwas Rechtem kommt. Lassen Sie sich in Tromsöe nieder, die Regierung will einen Handelsplatz daraus machen. Legen Sie eine Thranbrennerei an, oder treiben Sie Commissionsgeschäfte, vielleicht gelingt es Ihnen mit der Zeit, Geld zu erwerben, dann können Sie aus diesem Lande der Stockfische und Häringe entfliehen und nach dem schönen Kopenhagen zurückkehren, was ich Ihnen so bald als möglich wünsche.

Marstrand schwieg, denn eben jetzt traten sie zwischen den Klippen hervor und standen nun am Rande der Bucht, dicht am Westfjord. Vor ihnen schaukelten sich die Handelsschiffe schwarz und gewaltig in den leise rollenden Wogen. Der Mond stand über den spitzen Felsennadeln von Salten und beleuchtete die Kette dieser wilden Gebirge sammt ihren blinkenden Eisrücken und Schneefeldern. Dies ungeheure Panorama von Land zu Meer, eingewiegt von Nacht und Schatten, und doch aufgethan vor den Blicken der Lebendigen im geisterhaft zitternden Glanze, lag unbeweglich und undurchdringlich vor ihnen. Die Stille des Todes hatte sich darüber gelagert und nur 41 von Zeit zu Zeit sprang eine Welle an einer tiefen Klippe im Meere auf und verspritzte in Schaum und Gischt, oder von den jähen Wänden des Gebirges brach ein Stein polternd herab und mit dumpfem Stöhnen fuhr ein Windstoß durch die Spitzen des Greises von Vaagöen und wimmerte leise in dem Takelwerk der Yachten und Briggs. Nach einem langen Schweigen sagte Paul Petersen: Es soll in der ganzen Welt nichts Wilderhabeneres geben, als diesen Westfjord und die Lofoden, diesen schrecklichen Kreis von Klippen, Gletschern, schwarzen Felsen und Meer. Aber ich habe es oft gesehen, Herr Marstrand, und auch Sie werden den Anblick vielleicht öfter genießen, als Ihnen lieb ist. Lassen Sie uns umkehren.

Der dänische Junker beachtete diese Mahnung nicht. Er setzte sich auf einen Felsblock und schlug die Arme über seiner Brust zusammen. Wollen Sie hier bleiben? fragte der Schreiber.

Ja, lassen Sie mich allein.

Gut, sagte Petersen, aber gleiten Sie nicht aus und vergessen Sie über das Philosophiren nicht die Wirklichkeit. Dicht an diesem Felsen ist das Meer vier hundert Fuß tief. Und nun noch einen Rath, Herr Marstrand. Hüten Sie sich vor allen Grübeleien. Hier zu Lande muß Jeder die Augen aufmachen, von poetischen Träumen weiß man nichts. Der zackige Felsen dort ist ein Stein, die Gletscher da oben kaltes Eis und das Meer Salzwasser, in welchem der nützliche Kabeljau schwimmt. Er betrachtete den Junker, dessen Gesicht der Mond beschien und fuhr lächelnd fort: Kommen Sie bald nach, nehmen Sie ein heißes Glas Toddy und tanzen Sie einen nordischen Fandango mit Jungfrau Ilda; der Beifall wird nicht ausbleiben.

Bei Gott! ich glaube, daß er Recht hat, rief Marstrand, als er allein war. Hier steht Jeder auf seinen eigenen Beinen und nur ein Thor kann glauben, ein Anderer würde ihm die seinen leihen. Es ist kein Zweifel, daß der alte Helgestad mein Geld kaperte, um sein Salz loszuwerden und nicht das geringste Gewissensdrücken wird er fühlen, wenn ich bis auf den letzten Heller ausgeschält werde. Vorwärts also und die Augen aufgethan. Ich will es ihnen so schwer machen, wie ich kann, und dieser Narr von Schreiber, der mich für einen Nebenbuhler hält, welcher im Stande wäre, den verwegenen Gedanken zu hegen, Jungfrau Ilda's eisernes Herz zu erweichen – Er brach ab, 42 lachte vor sich hin und starrte in die flatternden Wolken, welche sich von Saltens Felsen ablösten und in weißen Dunstgebilden dem Süden zuschwammen. Ich wollte, rief er dann laut, ich könnte euch begleiten, und doch ist mir so, als müßte ich bleiben. Als hätte der schlaue Bursche auch darin Recht; ich könnte schon nicht mehr fort von diesem verzauberten Boden, wo man lebt und liebt mit der gierigen Lust nach Geld und Gut, um es zwischen öden Klippen aufzuhäufen!

Jetzt hörte er ein Rauschen hinter sich und als er aufblickte, stand Jungfrau Ilda dicht bei ihm.

Ich habe dich aufgesucht, Johann Marstrand, sagte sie, weil Paul Petersen mir erzählte, du säßest hier an der Klippe, sprächst mit dem Mond und riefst die alten Nornen an, mit ihren Zaubergesängen den Kummer von deinem Herzen zu scheuchen.

Paul Petersen ist ein Narr, erwiederte Marstrand, und eine dunkle Gluth trat in sein Gesicht.

Er ist kein Narr, fuhr Ilda fort, er weiß genau was er thut; aber du mußt ihm nicht Gelegenheit geben, über dich zu spotten.

Immerhin, erwiderte Marstrand, mag er spotten, spotte ich doch selbst über mich.

Sie trat ihm näher und sah ihm ernsthaft in die Augen. Der Mond erhellte ihre klaren, festen Züge, und leise schüttelte sie den Kopf, als sie im strafenden Tone erwiderte: Das darfst du nicht. Wer über sich selbst spottet, muß sehr leichtsinnig, oder sehr unglücklich sein. Du bist Beides nicht.

Und wenn ich es wäre, Jungfrau Ilda?

Die Männer aus dem Süden sollen flüchtigen Sinnes sein, erwiderte sie lächelnd, doch du hast etwas in deinen Augen, was dagegen spricht. Unglücklich bist du nicht, denn du bist ein Mann, der die schwere Bürde des Lebens zu tragen weiß. Du willst eine neue Heimath gewinnen, dazu gehört Muth und Männerstärke. Morgen fahren wir in den Lyngenfjord, du wirst sehen, es ist schön bei uns. Wir wollen Alle sorgen, daß es dir gefällt.

Auch du willst sorgen? fragte Marstrand, ihr die Hand reichend.

Ob ich will? erwiederte sie zutraulich, gewiß will ich es.

Sie standen sich gegenüber. Dankbar blickte er in ihr Gesicht, das der Mond hell beleuchtete. Du mußt mich jetzt begleiten, sagte 43 Ilda. Sei froh mit uns. Ich fordre dich zum Tanz auf, du wirst es mir nicht abschlagen.

Gewiß nicht!

So komm, sagte sie, man hat dich schon vermißt. Er ging mit ihr, und der Ball in Ostvaagöen hatte bald einen Tänzer mehr.


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