Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Am zweiten Morgen nach diesem Feste hob die schöne Ilda von Oerenäes ihre Anker und steuerte durch den Sund von Hindöen dem Norden zu. Den ganzen Tag über hatte Niels Helgestad seine Geschäfte abgethan und war damit zu spät fertig geworden, um noch die Fluth brauchen zu können. Er hatte sein Salz verhandelt, seine Yacht mit großen Tonnen voll Leberthran und Fischköpfen vollgestopft, dann hatte er seine Fischgerüste besichtigt, hatte Marstrand's Vorräthe ihrem Eigenthümer überwiesen, dem er dabei manchen guten Rath ertheilte und seine Erfahrung uneigennützig zum Besten gab, bis endlich am Abend Alles zur Einschiffung bereit war, und in der ersten Frühe des jungen Tages die Yacht ihr ungeheures Segel aufspannen konnte. Björnarne blieb mit den Booten und Fischgeräthen zurück, die er auf der zweiten Yacht seines Vaters nach Haus führen sollte.

Als Marstrand das Deck betrat, lagen die Lofoden schon in weiter Ferne hinter einer Wand düsterer Nebel, aus dem die Spitze der Felsenmütze des Greises von Ostvaagöen hervorragte. Alles kam ihm fast wie ein Traum vor. Er konnte sich nur mit Mühe einbilden, daß dort hinter den Klippen seine Stockfische auf den Gerüsten schwankten; als aber ein wildes Schneegewirbel losbrach und Meer und Land in Schrecken einhüllte, fühlte er alle Besorgnisse eines Eigenthümers und die Angst um den Besitz trieb ihn nachdenkend das Deck auf und ab.

Nuh, rief der alte Helgestad wohlgefällig, als er endlich auch heraufstieg und Marstrand betrachtete, der einen Rock von Leder mit grünem Fries gefüttert und eine gewaltige Mütze von Rennthierfell, nach Sitte der Handelsherrn, auf Ilda's Antrieb in Ostvaagöen gekauft hatte, seht jetzt aus wie ein anständiger Mann, Herr; ist wohlgethan, was Ihr thut. Habt die Tracht abgelegt, die nicht hierher paßt, mögt sie im Kasten aufheben, zur Erinnerung für Eure Kinder.

44 Schnee und Sturm werden arge Wirthschaft treiben auf den Lofoden, Herr Helgestad, sagte Marstrand dagegen.

Faßt Euch die Sorge schon? versetzte der alte Kaufmann lachend. Ist ein wacker Zeichen, werdet Euer Gut im Auge behalten; ist jedoch keine Noth darum. Kommen bis zum Juni hin Schneestürme und wilde Wetter, hängen jedoch Eure Fische so sicher, wie in Abrahams Schoos.

Und fürchtet Ihr nicht, daß fremde Hände sie fortnehmen oder vertauschen?

Wer soll sie nehmen? rief Helgestad ungeduldig. Weiß Jeder hier was sein ist; haben in Nordland keine Furcht vor Dieben und Räubern, wäre die größte Schande und Schmach, die ein Mann sich anthun könnte.

So beruhigt konnte Marstrand um so friedlicher den Tag und noch drei andere verleben, wo er am Bord der Yacht durch die Sunde und Fjorde schwamm, bis endlich das schwere Schiff mit Strömung und Wind durch die Straße von Tromsöe schoß, wo bald die Kirche, umringt von einer kleinen Zahl roth angestrichener Block- und Holzhäuser, welche einen Anhang von Erdhütten hatten, vor den Blicken der Reisenden erschien.

Wollen unserer Hauptstadt nicht vorüberfahren, ohne Voigt Peter Paulsen Euren Brief unter die Nase zu halten, sagte Helgestad, denn unter uns gesagt, meine, es wird das Beste sein, wenn wir die Registrirung gleich auf der Stelle abmachen können, ehe Paul Petersen wieder in seines Onkels Haus ist. Er kniff die Augen schlau zusammen, und fuhr dann fort: Ist ein feiner Besuch, Herr, und Voigt Paulsen ein Mann, der ein sauber Kleid zu achten weiß. Zieht also Euren besten Rock an und steckt das Ding an die Seite, das Ihr da unten zu stehen habt. Könnt später einen hübschen Fischspeer daraus machen lassen.

Halt zu Land, Niels! rief er mit seiner gewaltigen Stimme dem Mann am Steuer zu, und macht schnell, Herr, dürfen keine Zeit verlieren.

Als Marstrand das goldbetreßte Kleid eines königlichen Gardelieutenants angelegt und den Degen an der Seite, den Federhut in der Hand, wieder in die große Kajüte trat, saß Jungfrau Ilda auf der Bank am Herde das Essen behütend und zu gleicher Zeit an dem Pelzmantel Ihres Vaters nähend. Ihre vier Wollröcke bildeten einen 45 weiten Kreis um sie. Den Kopf tief niedergebeugt auf die Arbeit, hielten ihre großen Finger die Nadel, mit der sie emsig wirthschaftete. Plötzlich hob sie das Gesicht auf und ein Blick des Erstaunens lief über Marstrand's Gestalt; aber es war ein kalter, widerwilliger Blick, der den dänischen Herrn verletzte.

Er hatte Ilda in diesen Tagen oft gesehen und viel mit ihr gesprochen, ohne ihr doch im Geringsten näher zu treten, als beim Beginn ihrer Bekanntschaft. Der Ernst ihres Wesens, dessen Zurückgezogenheit unveränderlich blieb, bildete die Grenze des Vertrauens zwischen Beide. Einsilbige Antworten erfolgten auf alle seine Fragen, seine Erzählungen hörte sie ruhig an, ohne viel zu erwiedern, und nur zuweilen, wenn Marstrand sich seinen Gedanken überließ, glaubte er zu bemerken, daß Ilda ihn theilnehmender betrachtete. Bei Gott! sagte er vor sich hin, wenn er stundenlang auf dem Verdeck umherlief, es ist unheimlich in der Nähe dieser eisigen Jungfrau. Wenn Schweigen die Zierde der Frauen ist, wie die alten Griechen es schon behaupteten, so könnte diese als Ideal gelten. Sie rührt kein Auge, bewegt keinen Zug ihres Gesichts, und doch ist sie verständig. Wenn sie spricht, liegt etwas darin, was mich erregt, allein im nächsten Augenblick wird meine Abneigung um so größer.

Als er jetzt in seinem rothen blitzenden Kleide vor ihr stand, hatte eine geheime Stimme der Eitelkeit ihm zugeflüstert, es müsse seine stattliche Gestalt und Tracht Eindruck auf sie machen. Er wußte nicht recht, weßhalb er ihr gefallen wollte, und fühlte nun einen inneren Aerger, als er sie so gleichgültig sitzen, ihn anstarren und nach einem Augenblick von Neuem mit ihrer Arbeit beschäftigt sah.

Marstrand ging stumm an ihr vorüber der Thür zu. Als er sie öffnete, blickte das Mädchen auf. Lebe wohl, Jungfrau Ilda, sagte er.

Du gehst nach Tromsöe? fragte sie.

Ich will dem Voigt meinen Schenkungsbrief vorzeigen. Es kann sein, daß ich bei ihm bleiben muß.

So lebe wohl, Herr. Gottes Friede begleite dich.

Marstrand sprang die Treppe hinauf, empört über diesen Abschied und mit allem guten Willen in Tromsöe zu bleiben. Oben stand Helgestad, ihn erwartend, in seinen Lederkragen eingewickelt, und 46 machte ein grinsendes Gesicht, als er den Junker beschielte. Nuh, rief er, St. Olaf behüte uns! Seht aus, wie ein abgekochter Hummer, möchte den Anblick um vieles Geld nicht immer haben; weiß nicht, wie es der König aushalten kann. Werdet aber auch froh sein, wenn Ihr die närrische Tressenjacke wieder vom Leibe habt, fuhr er dann fort, wollen daher so schnell wie möglich mit Voigt Jansen abrechnen. Müßt jedoch einen Kragen umnehmen, laufen uns sonst die Jungen nach, denken, hat Niels Helgestad einen wilden Menschen in der Wüste gefangen und will ihn sehen lassen. Ist's nicht so?

Er lachte herzlich über seinen Witz und stieg in das Boot hinunter, während die Yacht langsam ihre Segel reffte und dicht unter Land ihren Anker fallen ließ. Marstrand folgte ihm und mit schnellen Ruderschlägen flog das Boot einer Ufertreppe zu, an der ein Haufe Arbeiter, Fischer und Zollbeamte sich gesammelt hatten.

Helgestad war wohl bekannt in diesem damals letzten Handelsemporium Europas. Seine Yacht war die erste, welche von den Fischplätzen zurückkehrte, und mit Freudengeschrei wurde er empfangen. Man drängte sich um ihn, fragte, ließ sich erzählen, und drückte das Vergnügen über die guten Nachrichten durch ein dreifaches Hurrah aus, in welches Lappen, Quäner und Normänner einstimmten. Dann begleitete der ganze Schwarm den Kaufmann, der seinen Gefährten am Arm nahm, und ihn durch die Schlucht der Packhäuser und Hütten fortführte, bis wo ein Halbkreis von Häusern bessern Ansehens stand, von denen eines das Haus des Voigts war.

Damals besaß Tromsöe nicht, wie jetzt, Stadtrechte, aber es war doch der erste Ladeplatz und Stapelplatz der Finnmarken, obwohl kaum 600 Menschen dort wohnten. Die Finnmarken hatten auch keinen Amtmann, sondern der Voigt von Tromsöe war die erste Magistratsperson, welche von den Lofoden bis zum Nordkap das ganze Küstenland auf hundert Meilen beaufsichtigte, die Lappenhorden in Tribut hielt, den Quänern oder Finnländern, welche vom bottnischen Meerbusen hinüberwanderten und sich ansäßig machten, die Erlaubniß dazu ertheilte, und ihnen Wohnplätze anwies, zugleich aber auch die Handelsleute in den Fjorden überwachte und überall Polizei und höchste Gerechtigkeit handhabte. Der Voigt von Tromsöe war daher der Gouverneur des Königs, Statthalter und Oberrichter, eine wichtige einflußreiche Person, 47 deren Dienste nicht sowohl durch ein bedeutendes Gehalt, wie durch bedeutende Nebeneinkünfte aller Art belohnt wurden, und dessen Gunst häufig nur durch große Geschenke zu erlangen war.

Jetzt laßt mich machen, murmelte Helgestad mit einem schlauen Blick, indem er Marstrand die Stufen hinaufschob, welche zu dem hölzernen Palaste des Voigts führten. Trifft sich alles gut so, wird wenig Umstände machen. Denke ja; ist's nicht so?

Bei diesen Worten öffnete er die Thür und trat durch den Vorflur in das Wohnzimmer, indem er es seinem Begleiter überließ, ihm zu folgen. Marstrand blieb an der Thürschwelle stehen und überblickte das große wüst aussehende Gemach, dessen hölzerne Wände mit dunkelrother Oelfarbe bestrichen waren. Eine Anzahl mächtiger Stühle von nordischem, festen Birkenholz standen um einen Tisch voll Gläser und Flaschen und hinter diesen saßen zwei Männer, von denen der eine im dunklen Gewande, das faltige ehrwürdige Gesicht von glänzend weißem Haar umflossen, ein Geistlicher zu sein schien. Der Andere, welcher einen Pelzrock von Wolfsfell trug, war ohne Zweifel der hohe Beamte, welcher die Finnmarken regierte. Seine trotzigen grauen Augen, blickten unter einer niedern Stirn hervor, und aus der kupfrigen Röthe auf Nase und Wangen hätte man schließen können, daß das dampfende Punschglas, welches vor ihm stand, im Laufe der Jahre jene Färbungen bewirkt hatte.

Als Helgestad die Thüre öffnete, blickte der Voigt auf. Seid Ihr's, Niels Helgestad? rief er mit lauter harter Stimme. Seid willkommen, Niels! Kommt von Lofoden. Ist ein glückliches Jahr, das Euch blankes Geld bringen wird.

Will's Gott, ja, erwiederte der Kaufmann, die Hand des Voigts schüttelnd.

Habt meinen Neffen gesehen, Niels? fuhr dieser fort.

Freilich, Voigt, und hat meine Ilda mit ihm getanzt bis an den lichten Morgen.

Ist ein schneller Bursch, erlebt Freude an ihm, Voigt, fuhr er fort. Wüßte nicht, wen ich lieber hätte.

Setzt Euch nieder, Freund Niels, rief der Voigt. Nehmt ein Glas Punsch und versucht meinen holländischen Knaster.

Denke, habt mit dem Pfarrer da schon Versuche genug angestellt 48 erwiederte Helgestad. Ist das ganze Haus voll Rauch, kann den ehrwürdigen Herrn kaum erkennen.

Nein, nein! sagte der Voigt lachend. Klaus Hornemann will von dem duftigen Gewächs nichts wissen. Er ist überhaupt ganz anders, wie unsere Pfarrer sonst sind, die ein gefülltes Glas nicht stehen lassen. Kennt ihn ja, Niels. Aber wen habt Ihr da mitgebracht? fragte er abbrechend, indem er Marstrand bemerkte. – Ist ein dänischer Herr, Voigt, erwiederte der Kaufmann, der im Lande Geschäfte hat. Brachte ihn von den Lofoden mit, hat dort mit Eurem Neffen Freundschaft geschlossen und will nun des Onkels Haus nicht vorbeigehen.

Seien Sie willkommen im Hause, sagte der Voigt, der, als er in seinem Besuch einen Offizier erkannte und aus dem weitern Verlauf des Gesprächs erfuhr, daß ein Kammerjunker des Königs und Mitglied eines altadeligen Geschlechts darin steckte, sich sichtlich geschmeichelt fühlte. Mit nordischer Gastfreundschaft nöthigte er zu Speise und Trank, doch seine Freundlichkeit nahm merklich ab, als Helgestad sagte: Denke, werdet den Herrn oft sehen, Voigt, und ein heißes Glas mit ihm trinken. Will im Lande bleiben, und hat einen Königsbrief dazu mitgebracht. Nuh! wünscht ihm Glück bei der Sache; ist's nicht so?

Der Voigt maß den jungen Herrn mit einem mißtrauischen Blick.

Bei Gott! rief er dann, hätte nicht geglaubt, daß es da hinaus wollte. Ist ein schweres Unternehmen für weiße Hände. Haben Sie einen Plan, Herr Marstrand, wie Sie das Ding beginnen wallen?

Der Junker sah seinen Beschützer an, der eine, leise verneinende Bewegung machte.

Ich habe keinen Plan, Herr Voigt, erwiederte er, und bin ganz unbekannt mit den Verhältnissen.

Ein gieriger forschender Blick des hohen Beamten flog über ihn hin. Wo haben Sie den Schenkungsbrief? fragte er.

Hier ist die Urkunde, erwiederte Marstrand, indem er sie hervorzog.

»Soll sich nach seinem Willen das Land aussuchen, wo es ihm behagt,« murmelte der Voigt lesend, »auch Handelsstellen darauf anlegen, Mühlen errichten, und Fischerei und Handel treiben dürfen« – Was die Herren in Kopenhagen nicht Alles verschenken und vergeben, 49 schrie er dann auflachend – Ist aber sehr allgemein gehalten, dieser Schenkungsbrief. Er blickte Marstrand von Neuem forschend an. Hat mein Neffe Paul ihn auch gelesen?

Freilich hat er, erwiderte Helgestad an Marstrand's Stelle, hat ihn zweimal gelesen.

Und was hat er gesagt? fuhr der Voigt fort.

Er hat mich ersucht, ihn in Tromsöe zu besuchen und Ihren Rath zu hören, versetzte Marstrand ungeduldig.

Herzlich gern, Herr Marstrand, sagte der Voigt, wir wollen es reiflich überlegen, ich will dazu nach besten Kräften helfen. Es gibt jedoch der Schenkungsbriefe viele, auch haben wir Gesetze und Vorschriften, die beobachtet werden müssen. Heut zu Tage will Jeder sein Recht behaupten, sogar die Lappen machen Ansprüche darauf. Denkt Euch, Helgestad, fuhr er fort, kommt eben deßwegen Pastor Hornemann nach Tromsöe. Führt Klage, daß das Volk mißhandelt werde von Kaufleuten und Gerichtsboten; daß man ihm seine alten Weideplätze nehme, es obendrein beraube, ungerechte Steuern erhebe, es pfände, plündere, verspotte, quäle und seine Rechte mit Füßen trete. Ich habe schweren Aerger genug mit anderen Leuten, um mich mit solchem Unkraut einzulassen, das widerspenstig und tückisch alle Obrigkeit, Sitte und Ordnung verachtet.

Sie thun den armen geplagten Menschen Unrecht, erwiderte der Geistliche mit sanfter Stimme. Gott hat sie geschaffen, wie er uns schuf und wenn wir höher stehen in Bildung und Sitte, ist es doppelte Pflicht, ihnen zu helfen. Unsere heilige Religion befiehlt mir, um Menschenliebe und Gerechtigkeit für sie zu bitten.

Thut für Christen, was Ihr wollt, Herr, schrie der Voigt, bekehrt auch meinetwegen diese Rennthiertreiber, daß sie nicht mehr in den Gebirgen zu Jubinal und Pekel beten, aber macht Euch nicht zum Abgesandten des alten Schurken Afraja, der ein so verschmitzter Hallunke ist, wie je einer auf Rennthiersohlen ging. Es gibt keine größere Plage für die Finnmarken, als diese verderbte, von allen Lastern befleckte Race.

Diese letzten Worte richtete Herr Paulsen an Marstrand, der unmuthig über seine harten Aeußerungen gegen den Geistlichen, den er hochzuschätzen begann, im ernsten Tone erwiderte: Es sind Unterthanen des Königs, Herr Voigt, sicher aber liegt es in den Absichten 50 Seiner Majestät, daß selbst dem Geringsten kein Unrecht geschehe, sei er Christ oder Heide, heiße er Däne, Normann oder Lappe.

Der Voigt sah dem Sprecher erstaunt und finster in's Gesicht und seine Augen erhielten einen rachsüchtigen, spöttischen Ausdruck. Habe ein Wort mit Euch zu reden, Voigt, rief Niels Helgestad dazwischen und mit der einen Hand ergriff er den Arm des gestrengen Herrn, mit der andern nahm er den Schenkungsbrief vom Tisch und führte Paulsen in die fernste Ecke an ein Fenster, wo er ein flüsterndes Gespräch mit ihm begann. Wenige vereinzelte Worte drangen zu Marstrand herüber, der jedoch nicht zweifeln konnte, daß Helgestad bemüht war, den Voigt zur Anerkennung der Schenkungsakte, zu ihrer Registrirung und zur Ausstellung der Erlaubniß zu bewegen, daß er sich das Land, was er zu haben wünsche, auswählen möge.

Welche Gründe er dafür geltend machte, blieb ihm verborgen, aber daß sein Beschützer keinerlei Ueberredungen sparte und dennoch schwer durchzudringen vermochte, ergab sich aus dem langen Widerstande des Beamten, der durchaus nicht geneigt schien, darauf einzugehen.

Endlich aber mußte Helgestad dennoch durchdringen. Er streckte seine mächtige Hand aus, in welche der Voigt einschlug und sagte halblaut: Denke, Ihr kennt mich, Voigt, nehm's auf mich, bürge dafür.

Gut, Niels, sagte der Voigt, will's dem Herrn zu Gefallen thun, wenn es auch Pflicht wäre, vorsichtig zu sein. Müßte vor allen Dingen meinen Neffen Paul abwarten, der die Sache versteht. Kommt herein in meine Schreibstube, wollen es auf der Stelle abmachen.

Beide entfernten sich, und als sie fort waren, drückte der Geistliche Marstrand's Hand. Haben Sie Dank für Ihr mildes Wort, sagte er; es thut meinem Herzen wohl, einen Mann kennen zu lernen, der für den Unterdrückten seine Stimme erhebt.

Möchte es mehr sein, als was ein Wort thun kann, erwiderte der Junker, denn ich fürchte, daß Niemand hier den Willen hat, Ihren edlen Eifer zu unterstützen.

Sie haben Recht, mein junger Freund, sprach der Geistliche seufzend. Leider gibt es nur wenige Menschen in diesem Lande, die nicht Fluch und Verachtung für den unglücklichen Volksstamm hätten, der verlassen und verwildert unter uns wohnt; aber es gibt doch noch 51 einige gute Seelen, denen der Himmel Liebe und Erbarmen in's Herz gelegt hat. – Sie werden unter uns leben; versprechen Sie mir, immer ein Beschützer und Vermittler zwischen den Verfolgten und ihren Verfolgern zu sein.

Ich verspreche es gern, sagte Marstrand, denn ich hasse das Unrecht.

Und ich, fiel der Pfarrer lächelnd ein, mühe mich seit vierzig Jahren, um auf diesem harten Felsenboden das Gefühl des Rechts und der Christenliebe aufzuwecken.

Da der Voigt von Tromsöe selbst so wenig Sinn für Gerechtigkeit hat, kann diese nicht auf den Schutz seiner Untergebenen hoffen, erwiderte der junge Mann.

Still, still! flüsterte Klaus Hornemann begütigend, wir wollen nicht mit den Schwächen der Menschen rechten. Nichts ist schwerer, als der Kampf gegen die Vorurtheile der Zeit, und gibt es denn nicht der Ausgestoßenen Viele auf Erden? Leiden nicht Millionen Wesen bitteres Unrecht? Ach! verblutete nicht der Gerechteste und Reinste aller Sterblichen sein Leben am Kreuz? Die Zeit wird kommen, wo die Menschen besser werden, wo es ihnen Ernst wird um Wahrheit und Licht. Wir müssen streben, sie dahin zu leiten, das ist unsere Aufgabe.

Hier wurde das Gespräch unterbrochen, denn der Voigt und Helgestad traten wieder herein, und so höflich er konnte, trat Herr Paulsen auf Marstrand zu, dem er die Schenkungsakte und ein besiegeltes Papier einhändigte.

Ich habe die Richtigkeit Ihres Begehrens anerkannt, Herr Marstrand, sagte er, und den Brief Seiner Majestät in die Register eingetragen. Es ist Ihnen die Erlaubniß ertheilt, drüben im Lande, wo Sie wollen, das Land auszuwählen nach Ihrem Belieben; so bald es geschehen ist, soll die Besitzakte Ihnen zugestellt werden. – Somit viel Glück, Herr Baron, ich glaube es Ihnen wünschen zu können. Brauchen Sie guten Rath, so kommen Sie nach Tromsöe. Sie sind jedoch in den besten Händen. Niels Helgestad wird's thun, ohne mich, Sie konnten sicherlich keinen klügeren Mann finden.

Sein Blick glitt von Marstrand auf den alten Kaufmann, der schweigend seinen Hut nahm und zugleich das volle Glas ergriff. 52 Stoßt an, Voigt! rief er. Ein Schiff im Sturm weiß nicht, ob es den Hafen findet, soll aber Jeder die Augen offen halten vor Klippen und Bänken, und nun laßt uns trinken darauf, daß alle unsere Wünsche sich erfüllen mögen.

Recht, Niels, schrie Paulsen herzlich lachend, alle unsere Wünsche sollen sich erfüllen! Wollt also nicht bei mir bleiben?

Nein, Voigt, kann nicht sein.

So fahrt mit Gott, Niels, alles Heil mit Euch. Grüßt Jungfrau Ilda; ich will wetten, Paul hält es nicht lange bei mir in Tromsöe aus. Verdreht allen jungen Burschen die Köpfe, das hübsche Kind. Sie haben es besonders glücklich getroffen, Herr Marstrand, in solcher Gesellschaft zu fahren; aber nehmen Sie das Herz in Acht, Herr, ist ein gefährlich Ding damit. – Noch ein Glas, Niels, auf das Wohl der Jungfrau Ilda. Zehntausend Tonnen Teufel! noch ein Glas; Paul vergibt es uns nicht, wenn wir Ilda nicht leben lassen.

Es mußte geschehen, was der Voigt begehrte, der sich erst nach einer neuen Reihe Weigerungen entschließen konnte, seine Gäste zu entlassen, denen er bis an die Ufertreppe Geleit gab und in die sinkende Nacht hinaus ihnen noch Grüße an Ilda nachrief.

Helgestad musterte inzwischen die Packhäuser und Gebäude und schien seinen Gedanken nachzuhängen, bis er endlich sagte: Steht Euch nun nichts mehr im Wege, Herr Marstrand, könnt Eure Sache machen, wie Ihr wollt, ist aber Euer Verdienst nicht, daß Ihr in der Tasche habt, was Ihr haben mußtet, um Eurem Brief die Gültigkeit zu sichern.

Ich weiß, wie vielen Dank ich Ihnen schuldig bin, erwiderte der Junker.

Nuh! rief der Kaufmann, war keine Hexerei, aber konnten es leichter haben, wenn Ihr klüger gewesen wäret. Wer heißt Euch ein Advokat für die Lappen sein? Denke jedoch, seid angesteckt worden von dem frommen Klaus Hornemann, der die Narrheit von Jugend auf gehabt hat, in den Gammen bei dem Gesindel zu liegen, um ehrliche, ordentliche Menschen aus ihnen zu machen. Werdet sie kennen lernen und wird Euch die Lust dazu vergehen, Tagedieben und Gaunern das Wort zu reden.

Das Boot lief an Bord der Yacht an, und jetzt, als er auf 53 der Leiter stand, überkam den Junker ein Gedanke an Ilda. Er erwartete den alten Helgestad nicht, sondern sprang ihm voraus zum Kajütenhause, wo er die Stufen leise hinabstieg und durch die angelehnte Thür blickte. Die Jungfrau saß noch bei ihrer Arbeit, doch die Nadel ruhte in ihrer Hand. Ihre Finger hatte sie verschränkt, schweigend blickte sie in tiefem Nachsinnen vor sich nieder, und dieser melancholische Ernst gab ihrem Gesicht einen edlen, verschönenden Ausdruck. Bei dem Geräusch an der Thür blickte sie auf und sah ihn stehen.

Ein Schein der Freude flog plötzlich durch ihre Züge und wie er ihr die Hand reichte, meinte er, er fühle ein leises Zittern.

Da bin ich, Jungfrau Ilda, rief er ihr zu, herzlich froh, dich wieder zu sehen.

Sie sah ihn lächelnd an, als wolle sie die Wahrheit erforschen. Ich bin so froh, wie du, erwiderte sie dann.

Und wie ich denke, werde ich dich sobald nicht wieder verlassen, fuhr er fort. Meine Schenkungsakte ist eingetragen, dein Vater hat es auf der Stelle bewirkt. So kann ich denn mein Land suchen, wo ich will, und mein Haus bauen, wo es mir gefällt. In deiner Nähe, wenn du mich nicht forttreibst.

Du weißt, wir sehen dich alle gern, erwiderte sie.

Und wie seltsam ich mir vorkomme in diesem rothen goldnen Kleide, fuhr er fort. Dein Vater hat Recht, mir wird heiß und bange darin. Der Pelzrock und der Lederkragen, das ist die Tracht, die sich für mich schickt und mit Ungeduld sehe ich der Zeit entgegen, wo ich aus diesem unnützen Schwert mir selbst eine Harpune schmieden kann.

Die Blicke des großen Mädchens wurden freundlicher, während er redete. Ein sanfter Glanz belebte ihre dunkelblauen Augen und mit sichtlicher Theilnahme erwiderte sie: Das höre ich gern von dir, Johann Marstrand. Du wirst dich an dein neues Vaterland bald gewöhnen.

Wie es scheint, Jungfrau Ilda, sagte er, gefalle ich dir auch besser in der Lederjacke, wie im rothen Goldkleide.

Die kalte Ruhe ihres Wesens trat sogleich wieder an die Stelle der Freundlichkeit, und indem sie die Nadel ergriff, sagte sie: Da 54 kommt mein Vater, er wird sich wundern, dich noch in dem blitzenden Rocke zu finden, der dir selbst so lästig ist, wie du sagst.

Marstrand stand auf und entfernte sich verdrießlich über Ilda und über sich selbst, als er aber in seinem nordländischen Wamms gekleidet wieder hereintrat, wurde er mit Wohlgefallen von Helgestad empfangen. Ilda hatte inzwischen den Tisch bestellt und während die Yacht von einem frischen Winde getrieben durch die mondhelle Nacht schwamm, saßen die Reisenden spät beisammen, denn Helgestad verstand es, durch Mittheilungen der verschiedensten Art die Aufmerksamkeit des Junkers wach zu halten.

Vielleicht aber war es nicht ganz zufällig, daß er dabei auch von seinen häuslichen Verhältnissen sprach und ziemlich genau bestätigte, was Paul Petersen von ihm erzählt hatte. – Ist ein eigen Ding mit der Menschen Verstand und Tüchtigkeit, sagte er, gibt nicht Viele, die genau calculiren, was sie thun, laufen darum in's Verderben, ehe sie es denken. Nuh! ist jedes Mannes eigene Sache, wäre mir aber das größte Herzeleid auf Erden, leichtsinnig flittrig Werk an meinen Kindern zu erleben.

Ilda hob den Kopf auf und sah ihren Vater fragend an.

Nuh, fuhr der Alte fort, weiß wohl, wird nicht geschehen. Habe auf Sitte und Gehorsam gehalten von früh an; werde niemals dulden, was dawider läuft, habe meine Grundsätze offen erklärt. Kam im letzten Jahre ein Mann zu mir, war ein wackerer Mann, kann's nicht leugnen, weiß seine Speculationen zu machen und hat einen guten Grund gelegt. Seht mich an, Niels Helgestad, sprach er, sagt's heraus, bin ich ein Mann für Eure Tochter? Denkt Ihr? fragte ich. Ich denk's, meinte er. Ich nicht, sagte ich. Warum nicht? fragte er darauf. Will's Euch sagen, erwiderte ich ihm und führt' ihn an's Fenster, zeigt' ihm schweigend meine Yachten im Fjord, meine Packhäuser dazu, schlug mein Buch auf und zeigt' ihm, was drinnen stand, schloß meine Schränke auf und ließ ihn hineinsehen. Nun wißt Ihr's, sagte ich, denke, habt's verstanden. Hab's verstanden, erwiderte er, aber was sagt Jungfrau Ilda? Lachte das Mädchen dazu und sprach: Hat mein Vater recht calculirt, denke, Ihr kennt mich; wißt, was sich für mich schickt. Ist's nicht so, Ilda?

Ist genau so, Vater, erwiderte Ilda, denke, werde es immer wissen.

55 Als der Mond herunter ging, ankerte die Yacht in einem Sunde, denn unmöglich ist es, auch für den kundigsten Mann, in diesen Felsenlabyrinthen bei finsterer Nacht einen Fuß breit zu steuern.

Marstrand lag eine Zeit lang schlaflos in seinem Bett und bedachte, was er gehört hatte. Nun wahrlich, dachte er endlich, wenn das eine Notiz für mich sein sollte, so ist sie nicht auf dürren Boden gefallen. Ich will diese calculirende Schönheit fortan vor allen Bedenklichkeiten sicher stellen. Thorheit wäre es, wenn ich durch meine Schuld mir die einzigen Freunde rauben wollte, die ich besitze.

Am Morgen erwachte er spät; es war heller Tag und über seinem Kopf schien es geschäftig herzugehen. Er sprang auf, schlüpfte rasch in die Kleider und trat in die Kajüte, aber diese war leer. So eilte er denn auf das Deck und kam eben zurecht, um das Fahrzeug in eine breite Bucht einlaufen zu sehen, an deren Ende zwischen niederen Felsen eine Yacht und mehrere Boote ankerten, vor denen ein großes Packhaus sichtbar ward, das auf seinem Pfahlwerk über dem Wasserspiegel schwebte.

Ilda stand im Vorderschiff und nickte ihm freundlich zu, als er ihr näher trat.

Du hast zu lange geschlafen, sagte sie, sonst hättest du den Lyngenfjord betrachten können. Ganz fern erblickst du noch die Kirche von Lyngen und hier kömmt der Snibotsjok mit seinen schäumenden Wassern von den lappischen Alpen herunter.

Und dort hinter der Felsenspitze, fiel Marstrand ein, liegt ohne Zweifel das Haus deines Vaters.

Du hast es gerathen, erwiderte sie; es ist der Gaard von Oerenäes. – Gefällt es dir?

Der Junker betrachtete die zackigen Felsenwände, welche schwarz und zerklüftet aus Eis und Schnee hervorstarrten. Oben lag der Schnee, hoch und schwer in blendenden Linien und Feldern zu nackten Gipfeln aufsteigend. Er gab keine Antwort.

Du wirst es schön finden, wenn der Sommer kommt, sagte Ilda. Wenn überall die Birken grün werden, Gras und Blumen unsern kleinen Bach umringen und die Schneehühner braun von den Bergen kommen.

In dem Augenblick wendete sich die Yacht um die Felsen des 56 Vorgebirgs und zeigte dicht in der Nähe das Haus des Kaufmanns. Es lag hinter den Packhäusern auf einem Abhange zwischen Felsen mit Birken besetzt, die hinter ihm sich im Halbkreis zusammenschlossen. Roth angestrichen, mit weißen Fenstern, ein Dutzend kleinere Balken und Erdhütten zur Seite und vor sich die großen Vorrathsgebäude, hatte es ein stattliches Ansehen. Von seinem Dache aus Birkenrinde wehte eine große Fahne zur Bewillkommnung des Hausherrn, und als die Yacht sich dem Pfahlwerk näherte, erhob sich ein Freudengeschrei von den Schiffen und Booten. Alle Bewohner des Gaards und alle Angehörigen warfen sich in die Fahrzeuge und ruderten den ersehnten Heimkehrenden entgegen. In den nächsten Minuten kletterten ein Dutzend Weiber und Kinder an den Bordseiten in die Höhe, und Marstrand glaubte, nie so seltsame Menschengestalten erblickt zu haben, als diese, die dämonisch sich über das Schiff ergossen.

Es waren die Familien der Fischer, welche mit dem Handelsherrn nach den Lofoden gezogen waren und die nun ihre rückkehrenden Väter und Männer voller Jubel empfingen. Die langen gelben und zottigen Haare der Meisten fielen in starkknochige Gesichter; Jacken und Röcke von Fellen schlossen ihre Körper ein. Die Gaardmänner in ihren Lederkragen und Pelzmützen und die Schiffsleute zwischen ihnen in breiten Seemannskappen und braunen Wämsern vollendeten den bunten Knäuel, der sich nicht eher entwirrte, bis die Yacht am Pfahlwerk lag und nun Alle freudig an's Land eilten, um in Ruhe von ihren Abenteuern zu erzählen. Helgestad hatte genug zu thun, um die nöthigen Befehle zu ertheilen und die Berichte seines Schaffners anzuhören, der die wichtigste Person unter dem Schwarm war. Jungfrau Ilda wurde inzwischen von Anderen begrüßt und beschäftigt, schweigend folgte Marstrand ihnen nach. Fragende neugierige Blicke hefteten sich wohl auf den fremden Mann, aber Niemand kümmerte sich weiter um ihn, und die tiefen Kehllaute dieser halb wilden Bevölkerung, welche ihm fast unverständlich blieben, vollendeten den Eindruck der Verlassenheit, den er empfand.

In der Nähe des Hauses erst richtete er seine umherschweifenden Augen auf einen Gegenstand, der seine Theilnahme erregte. Ilda's laute Stimme ließ sich aus dem Haufen vernehmen und plötzlich sah Marstrand, wie ein Mädchen, das hastig über den abschüssigen Grund 57 herbeilief, beide Arme um Ilda's Nacken schlang und sie mit Küssen und Liebesbezeugungen bedeckte.

Gottes Friede in's Haus, liebe Gula! sagte die Tochter des Kaufmanns, als der erste Sturm vorüber war. Wie ist es dir ergangen?

Gut, Ilda, gut, meine geliebte schöne Schwester, erwiderte sie mit erneuter Zärtlichkeit, und Ihr Alle seid wohl auf, du und Björnarne?

Alle wohl, Gula. Björnarne kommt mit den Yachten. Es war ein großer Fang, Gula, wir haben viele Freude gehabt. Kein Faß ist leer geblieben; auch komme ich nicht allein zurück, fuhr sie fort, als sie Marstrand neben sich erblickte. Wir bringen einen Gast mit, einen dänischen Herrn, der eine Zeit lang bei uns wohnen wird.

Gula hob den Kopf auf und sah den Fremdling forschend und verwundert an. Ihre schwarzen großen Augen drückten ein Uebermaß von Erstaunen aus, bis sie verlegen und unsicher sich abwandten und ein flüchtiges Roth über ihr Gesicht zog. Auch Marstrand war betroffen; er hatte sich das Lappenmädchen, von dem er so Manches gehört, ganz anders gedacht. In den Mittheilungen der Normänner lag ein solcher Abscheu gegen Alles, was Lappe hieß, daß es fast unmöglich war, sich ein Glied dieses unglücklichen Stammes anders zu denken, als ein von der Natur verwahrlostes, affenartiges Geschöpf, dessen Häßlichkeit Ekel erregt; aber Gula strafte diese Vorurtheile Lügen. Sie war klein, doch ungemein zierlich und im richtigen Ebenmaß gebaut. Ihre dunkeln Röcke schlossen dicht um die Hüften, wo mit einem breiten Gurt sich ein Mieder anlegte, das faltig hoch bis an den Hals reichte. Darüber trug sie eine Jacke von seinem Seeotterfell, deren Besatz aus der weißen Federhaut nordischer Strandvögel gemacht war. Eine Kette von Schaumünzen hing um ihren Hals und ihre glänzend schwarzen Zöpfe mit dunkelrothem Band umflochten hingen weit auf den Rücken nieder. – So war es das gefällige Bild einer hübschen jungen Dirne, die man gern betrachtet, und dieser schmale feine Kopf mit lebhaften Augen war trotz der gelblichen Hautfarbe so wohlgeformt und in allen Theilen so passend zusammengesetzt, daß Jeder wohl sie lieblich und reizend finden mußte.

Ei, rief Ilda lächelnd, indem sie mit ihrer Freundin dem Hause zuging, du hast auch heute deinen ganzen Sonntagsstaat angelegt.

58 Dir zu Ehren, Ilda, erwiderte die Kleine, und weil ich glaubte, Ihr kämt zusammen heut'; Björnarne, der Vater, kurz Alle, Alle!

Der Vater ist hier, rief Helgestad, der es gehört hatte. Grüß' dich Gott, Gula, mein Mädchen, hast dich herausgeputzt, wie eine Seeschwalbe. Schade, daß Paul Petersen es nicht sehen kann, würde seinen Spaß daran haben. Nuh! fuhr er dann fort, indem er Marstrand die Hand schüttelte, seid willkommen im Gaard von Oerenäes, Herr, und jetzt tretet ein und seht zu, was Gula uns auf den Tisch gestellt hat. Müßt hungrig und durstig sein, weht ein frischer Wind von den Hörfjeldsklippen. Ist's nicht so?

Er schob seinen Gast vor sich her in's Haus und in das große niedrige Gemach, wo der gedeckte Tisch bereit stand. Gula sprang in die Küche und brachte eine dampfende Schüssel herein, in welcher ein mächtig Stück Fleisch in stark gewürzter Brühe schwamm. Dazu wurde Lachs und Dorsch aufgestellt; auch deutsche Kartoffeln, wie sie die Yachten aus Bergen mitbrachten. Haferbrod in dünnen harten Scheiben lag in einem großen Korb und an der Ecke des Tisches stand die gefüllte Flasche Genever, den die Brennereien in Flensburg für die Kaufleute in den Finnmarken lieferten.

Helgestad sprach allen diesen guten Dingen so wacker zu und fand so willige Helfer, daß während des Mahls wenig gesprochen wurde. Erst als der Hausherr, dankend für die Gnade des Herrn, der ihn wohlbehalten in den Lyngenfjord zurückgeführt und gesättigt hatte, sein Glas erhob, wurde die Unterhaltung lebendiger und wandte sich bald auch ganz natürlich auf Marstrand's Zukunft.

Sollt nun lernen, sprach Helgestad, wie es im Hause eines nordischen Kaufmanns hergeht, denke, seid bei mir in guter Schule. Bis Björnarne zurückkommt, wird's gut sein, wenn Ihr mir helfen wollt in allerlei Geschäften, beim Thranpressen und im Waarenhause, wie auch im Verkauf und Handel mit den Fischern und andern Nachbarn. Lernt dabei etwas calculiren, wird Euch gut thun. Ist's nicht so?

Ich sehe ein, daß ich lernen muß, erwiderte Marstrand, gebt mir Arbeit so viel Ihr wollt.

Nuh, sagte Helgestad, seid ein tüchtiger Mann, wird besser geh'n, wie Ihr glaubt. – Wenn Björnarne zurück ist, wollen wir weiter 59 reden. Müssen jetzt nach der Yacht sehen, die Fässer herausschaffen, die Lebern unter die Pressen bringen. Ist eine schlimme Arbeit, muß aber gethan werden, thut sich nichts in der Welt von selbst.

Marstrand zeigte sich sofort bereit und bald war er mit Helgestad auf der Yacht und im Packhause in voller Arbeit. Einige Dutzend Männer, Weiber und Kinder wanden die Fässer aus dem Bauch des Schiffes, beförderten ihren Inhalt unter die Thranpressen und stapelten, was nicht sogleich gebraucht werden konnte, in den Vorrathskammern auf. Marstrand ließ es nicht an Eifer fehlen und hatte allen guten Willen nöthig, um bei der häßlichen Arbeit nicht den Muth zu verlieren. Aber es war, wie Helgestad gesagt hatte: es ging besser, wie er dachte. Er lernte die Vortheile und Handgriffe kennen und der alte Kaufmann ließ es nicht an Belehrung fehlen, wie der klare weiße Leberthran zuerst abgegossen, dann die erste Pressung von der zweiten genau gesondert werden müsse und welche höheren Preise beim Verkauf man haben könne, wenn Alles aufmerksam und ordentlich geschehe. Die Arbeit nach langer Unthätigkeit war ein Genuß für den jungen rüstigen Mann; dazu war der Tag ein stärkender und anregender. Der Himmel hing blau über dem düstern Fjord, welcher zwischen hohen wilden Klippen sich geheimnißvoll verlor. Frische Luftströme kamen von den schneeigen Fjellen, die Fische im Meere sprangen und große graue Möven schwärmten schreiend um die Schiffe.

So lange es Tag blieb, dauerte die Arbeit munter fort und endete erst, als aus dem Gaardhause Lichtschein durch die tiefe Dämmerung leuchtete. – Die Yacht war merklich geleert und Helgestad schüttelte dem fleißigen Gehülfen froh gelaunt die Hand.

Nuh, rief er, ist genug für heut. Sitzt sich gut jetzt am warmen Ofen, das Glas in der Hand. Ist's nicht so?

Sie gingen in's Haus und traten in die Vorhalle, welche die Räume zu beiden Seiten theilten. Die eine Hälfte enthielt den Kramladen des Kaufmannes, der mit Vorräthen der verschiedensten Art gefüllt war. Helgestad führte den Junker hinein, ließ ihn umherschauen und zeigte ihm die Angeln und Fischgeräthe, sammt Kleidern und Geschirr, wie sie Fischer und Jäger brauchen. Die großen Kisten und Schränke waren mit Mehl und Hülsenfrüchten gefüllt, Eisengeräthe, Tassen, Töpfe, die verschiederartigsten Dinge lagen und standen auf 60 den Gerüsten; Hanfschnüre, Tisch und Leinenzeug, Zwirn, Band und Weiberputz war hier neben Pelzwerk, Messer, Scheeren, Beilen und Gewehren aufgehäuft, kurz es gab nichts, was in diesem Lande gebraucht wurde, was nicht hier zu haben gewesen wäre.

Ist ein Kramladen wie er sein soll, sprach der Kaufmann wohlgefällig, könnt ein Beispiel daran nehmen. Wollen sorgen, daß es auch in Eurem Hause so aussieht.

Marstrand lächelte zweifelhaft. Er konnte noch immer nicht recht begreifen, daß er Lappen und Fischern aufwarten sollte, aber er verschluckte seine Bedenklichkeiten, und Helgestad führte ihn weiter durch die Seitenkammern, zeigte ihm die Herrlichkeiten, welche sie enthielten, sogar den großen braungebeizten Nußbaumschrank, den er erst vor zwei Jahren aus Bergen mitgebracht, und ließ ihn einen Blick in die Fächer thun, wo ein beträchtlicher Geldvorrath ruhte. Endlich, nachdem sie durch das Balkengebäude die Runde gemacht, bei welcher Helgestad voranleuchtete und Marstrand vor Kisten, Kasten und Säcken warnte, kehrten sie in den Wohnraum zurück. Dort war es am behaglichsten. Die Balken waren mit Verschalungen überkleidet, welche einen weiß und blauen Anstrich hatten; die Dielen von nordischem Fichtenholz glänzten überaus weiß und rein. Eine Art Teppich von Rennthierfellen lag in der Nähe des Feuerplatzes, wo Tische und Stühle standen. Rund an den Wänden liefen Leisten hin, auf denen in langen Reihen glänzendes Geschirr von englischem Zinn aufgepflanzt war, das wie Silber blitzte, und unter dieser Borte standen Reime und Bibelsprüche, von kunstfertiger Hand geschrieben. Ein paar buntgemalte Schränke und große Kasten mit Messingbeschlag, in denen die Weiber ihre Mitgift in die Ehe bringen, ein holländischer Spiegel in Goldrahm und eine alte englische Pendeluhr bildeten das Geräth, zu dem auch der ungeheuere Ofen von Backsteinen gehörte, welcher die halbe Seitenwand einnahm.

Helgestad streckte sich in dem Großvaterstuhl behaglich aus, und nöthigte Marstrand, den Platz ihm gegenüber einzunehmen. – Schiebt uns den Tisch hierher, Mädchen, rief er Ilda und Gula zu, sind hier müde Männer, welche Speise, Trank und Wärme begehren.

Nach wenigen Minuten stand der Tisch am Ofen, Speisen wurden aufgesetzt, Gula brachte den Theekessel und bereitete Gläser voll 61 heißen Toddy. Sie verstand ihr Geschäft vollkommen; dabei hatte die geschmeidige freundliche Weise, mit welcher sie das Amt des Mundschenks verwaltete, etwas so Einnehmendes, daß Marstrand mit Theilnahme zusah, wie schnell und dienstfertig sie hin- und herlief, wie geschickt sie die Arbeit verrichtete, und wie aufmerksam sie dabei zu Werke ging. Ihre dunkeln Augen blitzten schalkhaft, wenn Helgestad Zug um Zug sein leeres Glas hinreichte, und während Ilda Wolle von der Spindel drehte, flüsterte sie ihr Bemerkungen zu, die gewiß sehr belustigend waren, denn die ernsthafte Jungfrau verzog den Mund zum Lächeln und wollte nichts weiter hören.

Nuh! rief der Kaufmann, als Hunger und Durst endlich befriedigt schienen, sehe, Ihr macht eine Pause, Herr Marstrand, können also die Zeit auf andere Art ausfüllen. – Er winkte Gula, die genau verstand, was das heißen sollte, denn sie flog nach einem Schranke und kam im nächsten Augenblick mit einem Kästchen von Porzellan und zwei holländischen Thonpfeifen zurück.

Glaubt Voigt Paulsen allein das ächte Kraut zu besitzen, sagte Helgestad, werdet jedoch finden, daß er im Irrthum lebt. Ist ächter Virginia, Herr Marstrand, stopft und trinkt Euer Glas aus. Steht das arme Kind, die Gula, seit einer Viertelstunde auf der Lauer, und thut ihr den Gefallen nicht. – Marstrand reichte sein Glas dem geschmeidigen Mädchen hin. Du bist allzu aufmerksam, liebe Gula, sagte er; kein König wird von seinem besten Pagen so zierlich und trefflich bedient.

Ist ein Lob, das Gula zukommt, fiel Helgestad ein. Muß es bestätigen, ist eine wackere Dirne; hat mein Haus verwaltet mit Einsicht und Verstand, während wir auf den Lofoden waren. – Hier brach er ab, denn was er zu sagen im Begriff stand, dünkte ihm trotz seiner rauhen Unempfindlichkeit nicht recht und langsamer fuhr er fort: Wollte es wäre in meiner Macht, ihr zu beweisen, daß ich sie lieb habe; denke aber, sie weiß es. Ist's nicht so?

Ja, Herr, erwiderte Gula leise und ihr lächelndes Gesicht erhielt einen schönen Ausdruck. Ich weiß, daß du mich lieb hast und Alle mich lieben; weiß auch, wie vielen Dank ich dir schulde.

Nuh, sprach Helgestad, große Dampfwolken aufblasend, bist eine Seltenheit, die man in ganz Lappland nicht wieder findet. Sind die 62 Lappen die undankbarsten Geschöpfe, die der Herr in die Welt gesetzt hat.

Mir scheint es, erwiderte Marstrand, als bemühe man sich auch eben nicht besonders, ihnen Dienste zu erweisen, die Dankbarkeit erwecken könnten. – Oho, rief der Kaufmann, habt es Euch in den Kopf gesetzt, das Volk zu loben.

Ich lobe es nicht, sagte Marstrand, aber warum sollte ich es schelten und verdammen? Ist Gula eine Tochter dieses verlassenen Volks, und ist sie so gut und verständig, warum sollte es nicht Viele geben, die so wie sie wären, wenn wackere Leute sich ihrer erbarmten? Gott hat allen seinen Wesen, die den Menschennamen tragen, die Keime seines Geistes mitgegeben, es kommt nur darauf an, daß sie gepflegt und genährt werden, und wer sich besser weiß und klüger, der hat vor Allen auch die Pflicht, sich seiner Mitmenschen anzunehmen.

In Gula's Auge funkelte ein Strahl unaussprechbaren Dankes. Ilda sah von der Spindel auf und blickte aufmerksam den Junker an, Helgestad aber trank sein Glas aus und rief mit seinem gewöhnlichen Grinsen: Nuh! spricht wie ein Prediger oder wie ein Mann, der die Sache aus dem Gemüth betrachtet, werdet aber bald anderen Sinnes werden, wenn Ihr sie kennen lernt und daran wird es nicht fehlen. Laßt's gut sein, fuhr er dann fort, wollen uns die Zeit nicht verderben. Haben hier Wein und Weiber, fehlt uns noch der Gesang, müssen ihn auch haben. – Hole deine Zither, Gula, müssen dem Herren zeigen, daß es in Kopenhagen nicht allein feine Stimmen gibt.

Gula lief in die Nebenkammer und kam gleich darauf mit einer Zither der einfachsten Art zurück. Ueber den krummen Hals des Instruments waren fünf Saiten gespannt, deren Dräthe man in unvollkommener Weise hinter den Schalllöchern befestigt hatte. Mit einem Holzstäbchen wurde sie geschlagen und die hervorgelockten Töne klangen in ihrem leisen Verhauchen nicht unangenehm.

Sing' uns den Preis des Nordens, sagte Helgestad, als Gula ihrer Freundin die Zither in den Schooß legte.

Ilda legte gehorsam die Spindel nieder, und begann dann eines jener tieftönenden in langen klagenden Rythmen sich bewegenden Volkslieder, in denen die Schönheit, Größe und wilde Majestät Norwegens gepriesen wird. Das Meer, die Felsen, die Wälder und Wasserfälle 63 und das freie Leben der Hirten, Jäger und Fischer füllten die Strophen, deren jede mit einem feurigen Lobe auf das herrliche, edle nordische Land endete. Helgestad schlug mit dem Glase den Takt dazu, bis er endlich die letzten Strophen mitsang und am Schluß ein Lebehoch für Norwegen ausbrachte, dem Jeder Bescheid thun mußte.

Das ist ein Lied, rief er, hat kein Volk auf Erden ein gleiches, weil kein Volk solch Land besitzt. Nuh! singt Ilda es auch wie ein ächtes normannisches Mädchen, hat ein Herz in der Brust dafür. Ist's nicht so?

Marstrand drückte seine Beistimmung aus, die Helgestad mit väterlichem Stolz aufnahm. – Seid ein Kenner, sprach er, aber könntet durch ganz Finnmarken fahren und würdet es nicht so singen hören.

Hat Gula nicht auch von solcher Lehrerin singen gelernt? fragte Marstrand. – Sollt hören, was ein Mädchen kann, erwiderte der Alte, die aus einem Volke stammt, das nicht drei Töne in der Kehle hat. Werdet es kennen lernen, wenn die Geiker vor den Gammen im Kreise sitzen und einen Höllenspektakel machen, daß ein Christenmensch davon toll werden könnte. Laß uns eines von deinen Liedern hören, Gula; einen ächten Lappengesang, wie er in der Kilpisjaure gehört wird, wenn sie Abends ihre Rennthiere heim treiben.

Gula ließ das Stäbchen über die Saiten schwirren, und ihre leise Stimme sprach dazu schnell sich folgende unbekannte Worte. Nach und nach belebten sich ihre Züge, ihre dunkeln Augen irrten suchend umher, ihre Brust hob sich rascher, die scharfen klagenden Töne wurden bang und zitternd, bis sie plötzlich aufhörte, das Stäbchen fallen ließ und den Kopf tief niedersenkend vor sich hinblickte.

Was fehlt ihr? fragte der Gast theilnehmend.

Es ist nichts, sagte Helgestad gleichgültig sein Glas leerend. Sie hat Euch Etwas vorgesungen von der braunen Heerde, wie sie unter jungen Birken an der Quelle lagert, wo wilde Hühner schreien, der Wind rauscht durch die Zweige, die Kälber springen herbei und lecken die Hände, Altmutter aber sitzt am Feuer und rührt den Brei. – Er lachte spottend auf. Ist eine eigene Art von Poesie, Herr Marstrand, dreht sich Alles um die Wüste da oben, um Rennthiere und Gammen, wenn aber ein Lappe davon hört, und wäre er tausend Meilen weit, 64 und lebte er in eines Königs Schloß, kommt dennoch die Sehnsucht nach dem glücklichen Leben auf den Alpen über ihn. Hätte aber doch gedacht, fügte er kopfschüttelnd hinzu, daß das Mädchen da verständiger wäre.

Wo ist ein Mensch, sprach Marstrand erregt, der nicht an seinem Vaterlande mit geheimnißvollen Banden hinge!

Nennt Ihr das ein Vaterland? schrie Helgestad. Werdet es bald sehen, das süße Ländchen und wird Grauen über Euch bringen. Doch genug für heut. Müßt müde sein vom Tagewerk, will Euch in Eure Kammer bringen.

Er führte den Gast in das obere Stockwerk, wo in einem kleinen sauberen Gemach ein mächtiges Bett von der Wandseite winkte.

Schlaft in Frieden, sagte der Kaufmann, denke, Ihr werdet es weich genug finden. Sehe, die Dirnen haben Euch die Federn von einem paar tausend Eiderenten untergepackt, wie es ein Fürst sich kaum beschaffen könnte.

Marstrand fiel tief in die elastischen Daunen, welche sich ihm wohlthuend anschmiegten, und bald ergriff ihn ein fester Schlaf, der erst von ihm wich, als heller Sonnenschein durch das kleine Fenster drang, und die braunen Balkenwände der Kammer beleuchtete.


 << zurück weiter >>