Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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4.

Wie dieser erste Tag im Gaard von Oerenäes vergangen war, so folgten manche andere mit demselben Wechsel von Arbeit und Ruhe. Vom Morgen bis zur Dämmerung währte die Geschäftigkeit in den Waarenhäusern und Yachten, Abends aber saß die Familie beisammen um den großen Ofen unter Erzählungen und Mittheilungen der verschiedensten Art, aus denen Marstrand vielerlei erfuhr, was ihm fremd war.

Der Gaard oder Hof des alten Helgestad war von einem Dutzend Erdhütten umringt, in welchen theils die Dienstleute des Hauses wohnten, theils die Familien normannischer Fischer, oder auch Quäner, d. h. vom Finnland eingewanderte Leute, welche von dem Kaufmann 65 abhängig waren, und seine nächsten Vasallen bildeten. Sie sowohl, wie alle Anwohner an diesem tiefen Arm des Lyngenfjord, lieferten an Helgestad ab, was sie fingen und erhielten dafür von ihm, was sie an Kleidern, Mehl, Branntwein, Angeln und allem Bedarf nöthig hatten. Jeder besaß sein Conto in dem dicken Schuldbuche, bis zum Fischfange auf den Lofoden, nach dessen Ende die jährliche Abrechnung stattfand. Jetzt war diese Zeit gekommen, und Marstrand, der für seinen Stand ungewöhnlich gut zu schreiben und zu rechnen verstand, fertigte unter Helgestad's Anweisung die Noten für die Fischer an, und lernte dabei genau kennen, wie es bei diesem Handel herging. Was Jeder das Jahr über aus dem Kramladen entnommen, stand auf der einen Seite, auf der andern aber besagte die Gegenrechnung, was er dafür geliefert. Für alle Waaren gab es hohe Preise und reichlichen Gewinn, für die abgenommenen Fische wurde der Preis durch die von Kaufleuten und Fischern auf den Lofoden ernannten Commissarien niedrig genug festgestellt, so daß die Meisten kaum aus ihren Schulden kamen, Viele im Rückstande blieben und Wenige ein Sümmchen zu fordern hatten, das ihnen jedoch nicht ausgezahlt, sondern gutgeschrieben wurde.

Sehe wohl, sagte Helgestad, daß Ihr Euch über diese Art von Abrechnung wundert, würde jedoch aller Handel und Wandel aufhören in den Finnmarken, wenn es nicht so wäre. Darf das Fischervolk sein Lebtag niemals Geld in die Hände bekommen, weil's sonst keine Hand mehr rühren thäte. Gebe Euch die Lehre, Herr Marstrand: habt immer ein wachsames Auge darauf, daß, wer einmal in Eurem Schuldbuche steht, nie wieder daraus fortkommt, es sei denn, daß Ihr ihn nicht mehr haben mögt, weil er alt und schwach wird, und kein Fang auf den Wellen ihm mehr gelingen will.

Aber ich sehe doch Einige in Eurem Buche, erwiderte Marstrand, die frei von Schulden sind und Etwas zu gut haben.

Nuh, rief der Kaufmann mit seinem schlauen Lächeln, wird nicht eine Woche dauern, so sind sie wieder in meinen Händen. Kommen jetzt von den Lofoden zurück, sind wild und leichtsinnig von dem lustigen Leben. Ist aber ohnehin Regel und Gebrauch unter uns, daß kein Kaufmann einem Fischer borgt, wenn er mit einem andern Kaufmanne im Verkehr stand. Keiner nimmt ihn auf, wenn sein bisheriger 66 Versorger es nicht erlaubt, endlich aber, – seht umher an den Sunden und Fjorden, alle die kleinen Fischerstellen, die Hütten und die paar Ellen Land und Weide dazu, sind sämmtlich in unsern Händen. Entweder haben wir sie gekauft und die Leute verpflichtet, die darin wohnen, oder wir haben Geld darauf geliehen und können sie alle Tage hinauswerfen, wenn sie nicht wollen wie wir. Können ihre Kuh verkaufen und ihr Boot nehmen, können sie elend und arm machen, daß nichts übrig bleibt, als das Meer und ein rascher Sprung, um die Rechnung zu schließen. – Er lachte zufrieden auf, fuhr mit dem Finger über seine mächtige Nase und grunzte vergnügt dazu.

Und dies geschieht wahrscheinlich nicht selten, antwortete der Junker.

Nuh, grinzte Helgestad, so lange ein Mann arbeiten kann, ist es auch möglich, daß er seine Schulden bezahlt, und so lange dies möglich ist, wird kein Kaufmann so leicht einem guten Kunden den Hals zuschnüren. Sieht aber Jeder, wie es Recht ist, nach seinem Eigenthum, faßt zu, wo er Gefahr erblickt, borgt nicht weiter und ruft den Sorenskriver zu Hülfe, wenn er denkt, daß es richtige Zeit sei.

In dieser Weise, sagte Marstrand, dessen Rechtsgefühl sich empörte, müssen freilich die Fischer und arbeitenden Leute vollständig ausgesogen werden, ohne je aus ihrem Elende zu kommen. – Helgestad blickte grämlich zu ihm auf. Sprecht den Narren nach, rief er, die da sagen, die Handelsleute in den Finnmarken seien die Geißel des Landes! Habt auf den Lofoden schon darüber einen Faden gesponnen, jetzt aber seid Ihr selbst ein Kaufmann, werden die Augen Euch aufgehen, daß es so sein muß und nicht anders. Müssen die Fischer und Küstenleute, Normann, Quäner und Lappe unsere Diener sein, müssen alle in Abhängigkeit und Armuth gehalten werden, weil wir sonst nicht bestehen könnten. Ist ein Faktum, Herr! Wer die Kunst nicht versteht, so zu rechnen, daß dem faulen leichtsinnigen Volke nichts übrig bleibt und ohne Schonung mit ihm verfahren kann, wenn nichts mehr zu bekommen ist, thut am Besten den Handel zu lassen.

Marstrand sah ein, daß er schweigen müsse, und was konnte er auch einwenden? Helgestad war nicht besser und nicht schlechter, als alle diese Händler. Jeder hatte dasselbe Ziel, jeder preßte und 67 übervortheilte seine Gaardleute, Nachbarn und wen irgend sein Schuldbuch erreichen konnte, nach Möglichkeit; aber diese Fischer, Jäger und Hirten bildeten auch eine wüste, faule und rohe Masse, die nur durch Hunger und Noth von der Wiege bis zum Grabe zur Arbeit gezwungen wurde.

Unter fortgesetzter Thätigkeit kam der Sonntag heran und Marstrand war froh, diesen Tag der Ruhe ohne Rechenbuch und Stockfischbündel verleben zu können. Am Abend vorher, als er vom Fjord herauf kam, fand er Gula an der Thür stehend, die ihn freundlich grüßte. Du bist spät fleißig, sagte sie, morgen wirst du dafür einen frohen Sonntag halten.

Gibt es einen Tanz? fragte er scherzend.

Einen Tanz? behüte Gott, Herr! war die Antwort, Tanz ist selten im Oerenäesgaard. Du sollst zur Kirche fahren.

Marstrand wandte sich zu dem Meeresarm um, über dessen Nebelhülle in der Ferne die hohe Spitze des Kirchleins von Lyngen sichtbar wurde. – Der Fjord treibt schwere Eisschollen, sagte er, dabei stürmt es. Ich bleibe lieber im warmen Hause.

Du bist kein frommer Mann, erwiderte Gula, schelmisch lachend. Jungfrau Ilda wird es dir noch besser sagen. Es wird ein Dankfest im Gotteshause gehalten, wobei Niemand fehlen darf.

Du begleitest uns also auch?

Ich? Nein, war ihre lustige Antwort.

Ich bin keines Mannes Kind, der Yachten und Handelsstellen besitzt. Ich bleibe daheim, doch wenn du für mich beten willst, will ich mich für dich wärmen.

Du bist eine kleine Heldin, wie ich merke, die Kirche Kirche sein läßt, scherzte Marstrand, lieber am Herde hockt und die Töpfe benascht.

Wenn du zur Mittagszeit zurück bist, sagte sie, und der Tag gut wird, will ich dich an ein schönes Plätzchen führen, wo du weit über Meer und Land schauen kannst, bis an den Kilpisgipfel, wenn es hell ist.

Ich halte dich beim Wort, rief er ihr nach, denn Gula sprang in's Haus, weil Helgestad drinnen die Thür öffnete und seinen Kopf herausstreckte.

68 Jungfrau Ilda saß am Tisch und nähte an ihres Vaters seidener Weste, der Kaufmann aber hielt den neuen breitrandigen Hut in der Hand, den Björnarne ihm aus Trondhjem mitgebracht hatte.

Denke eben an Euch, rief er dem Junker zu, und an unsere Kirchfahrt. Wird in Lyngen Pastor Sture eine prachtvolle Dankrede halten für den reichen Fang auf Lofoden. Müßt uns dahin begleiten, Herr Marstrand. Seht dort alle gute Leute beisammen von nah' und fern. Ist nöthig, daß Ihr Bekanntschaften macht, so viel Ihr könnt.

Die Einladung war nicht auszuschlagen und den ganzen Abend über blieb das Kirchfest der Inhalt des Gesprächs. Am nächsten Morgen aber, als es noch dunkel war, schallte das hölzerne Gebäude von den Tritten und Stimmen der reiselustigen Gaardleute, und kaum war Marstrand mit seinem Anzuge fertig, als er zum Frühstück gerufen und zur Eile gemahnt wurde.

Er hatte sich stattlich ausgeschmückt. Ein grüner Rock mit goldner Tresse, wie er in Kopenhagen damals von Herrn in der Gesellschaft getragen wurde, schloß sich eng an seinen schlanken Wuchs und hinderte ihn nicht, den kurzen Pelz von Blaufuchsfellen überzuwerfen, den er von Helgestad gekauft hatte. Sein dunkelblondes Haar, von einem Bande lose zusammengehalten, fiel in reichen Ringen auf seine Schultern, und seine Erscheinung war bis auf die hohen Stiefeln hinab so angenehm, daß Helgestad ihn beifällig betrachtete.

Nuh! rief er, versteht es, Eure Sache vorzutragen. Werden die Mädchen aus dem Koofjord und von Alöen mehr auf Euch blicken, als nach dem frommen Henrick Sture, mag er schreien, daß die Balken zittern. Denke, habe Recht, Ilda. – Ist's nicht so?

Jungfrau Ilda in ihrem schwarzen, hohen Faltenrock von Wolle, der feinen Federjacke und der Pelzkappe, die sie über drei Viertheile ihres Kopfes gezogen hatte, wendete sich zu dem Junker um und nickte ihm ernsthaft lächelnd zu. Denke ja, Vater, antwortete sie dann, und denke, Herr Marstrand wird nicht böse darüber sein, wenn die hübschen Dirnen den Priester vergessen, um nach ihm zu schauen.

Helgestad lachte mit vollen Backen und Marstrand stimmte ein, aber in Ilda's Worten lag ein Vorwurf, den er heraus fühlte, wie mild er auch angedeutet war. – Er half der strengen Jungfrau die Ufertreppe hinab in das wartende achtruderige Boot und beantwortete 69 etwas einsilbig ihre Fragen, ob er gut sitze und seine Füße dicht in die Pelzdecke eingeschlagen seien.

Der Morgen war dunkel und feucht; der Nordwestwind stieß vom Meere herein in den Fjord und brachte eiskalte Nebel und große Eisschollen mit, die rasselnd über einander und an die Felswände schlugen, wo sie barsten und brachen. Helgestad stand am Steuer, acht Männer führten die Ruder. Eine Anzahl Gaardleute mit ihren Frauen kauerten auf den niedern Bänken, vor dem Helmstock aber, wo der Raum am breitesten war, lagen die Kissen und Decken für Jungfrau Ilda und den dänischen Herrn.

Nachdem das große Boot lange Zeit gegen den Wind gerudert und jeden Felsenvorsprung zum Schutz benutzt hatte, leitete es Helgestad mit Geschicklichkeit mitten durch die hohen Wellen des Fjords. Die Dämmerung verschwand inzwischen, rothe Wolken traten aus den Nebeln, bis diese selbst endlich von dem dampfenden Meeresarm fortgeweht wurden und ein weithin eilender Blitz des Himmelslichts auf die wogenden Wasser fiel. – Mit diesem Siege des Tages über die Nacht ward es lebendig im Boote und rings umher. Man konnte die Ufer erkennen, die Hütten, aus welchen da und dort Rauch aufringelte, und die Kirche von Lyngen auf ihrer Felsenhöhe. Die Leute erzählten, lachten und schauten vergnügt in die verschlungenen Seitengassen des Fjord, aus denen nun auch andere größere und kleinere Boote hervorruderten, die dem gleichen Ziele zueilten. Alle waren mit Menschen gefüllt. Die hochrothen Tücher der Weiber flatterten lustig im Morgenwinde; junge Bursche sprangen auf die Bänke, um Hüte und Kappen zu schwenken. Grüße wurden gewechselt, Neckereien herüber und hinübergerufen und nebenher ein Wettfahren gehalten, denn jedes Boot wollte das erste am Landungsplatze sein.

Nach zwei Stunden hartem Rudern war man dicht unter Lyngens Kirche angelangt und Helgestad hatte Zeit genug, seinem Gaste alle die wackern Familien zu nennen, welche hier versammelt waren. Die ganze Aristokratie der Kaufleute und Gaardherren, welche in diesem Bündel von Sunden und Fjorden wohnte, zu denen der große Lyngenfjord gleichsam den Knoten bildet, waren gekommen und standen meist schon mit Söhnen und Töchtern auf dem Kirchplatze im Sonnenschein. Die Willkommen, Grüße, Fragen und Händedrücken wollten kein Ende 70 nehmen, doch bald war Marstrand, wie es nicht anders sein konnte, der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit. – Einige hatten ihn schon auf den Lofoden gesehen und bis in die tiefsten Schlupfwinkel dieser wild gezackten Küsten hatte sich die Nachricht verbreitet, daß Helgestad einen fremden Herrn mitgebracht habe, der sich im Lande ansäßig machen wolle. Durchdringende Blicke musterten ihn daher vom Wirbel bis zur Zehe; Abneigung und Mißtrauen traten auf manches Gesicht, den Meisten jedoch schien der stattliche Mann wohl zu gefallen. Mehrere der jungen Herren hatten große Lust, über den Dänen zu spotten, und unterzogen seine Stiefel und seinen Rock einer scharfen Kritik, aber Niels Helgestad führte ihn bei den reichsten und ansehnlichsten Leuten mit solchen Lobeserhebungen ein, daß die Spötter es für klüger hielten, sich still zurückzuziehen und zu schweigen. Nuh, sagte der Besitzer von Oerenäes so laut, daß es Jeder hören konnte, ist Herr Marstrand zwar ein vornehmer Herr bis jetzt gewesen, von der Art, wie wir sie kennen, muß aber gestehen, daß ich nie einen Mann gesehen habe, der so viel Geschick und guten Willen mitgebracht hätte, um Alles selbst anzufassen, zu lernen und einzurichten, wie dieser da.

Ein solches Zeugniß war hinreichend, um das Urtheil über Marstrand zu bestimmen. Die besten Männer schüttelten ihm die Hand, luden ihn zum Besuch ein und forschten aus, was er wohl beginnen möchte. Die jungen Mädchen fanden ihn wünschenswerth und vertieften sich in Betrachtung seiner Person und seiner Tracht, die Mütter endlich speculirten, wie alle Mütter thun, mögen sie in Lappland oder Deutschland wohnen. Heimliches Geflüster lief umher, welche Absicht wohl Helgestad mit dem Dänen und seinem Königsbrief habe? Unter den Weibern und Mädchen: Wie Jungfrau Ilda gesonnen sei und ob wohl gar diese stolze Erbin, der Keiner gut genug scheine, als allenfalls der Neffe des Voigts von Tromsöe, dem schönen Junker aus Dänemark ihre vielbegehrte Hand reichen wolle? – Es verging eine volle Stunde, ehe der Geistliche erschien, und während dieser Zeit wurden in der Vorhalle der kleinen wetterschwarzen Holzkirche, ja selbst drinnen auf den Bänken, viele höchst weltliche Dinge verhandelt. Käufe und Verkäufe von Fischen, Vieh, Thran und Lebensmitteln wurden abgeschlossen, Verabredungen der allerverschiedensten Art 71 genommen, gestritten, gelacht, gezankt und getrunken, kurz es war ein Stelldichein des Volkes auf viele Meilen, das diese Gelegenheit benutzte, neben dem Himmel auch allen seinen irdischen Bedürfnissen zu dienen.

Endlich kam der Pfarrer von Lyngen, ein großer breitschulteriger Mann im Lederrock, mit grünem Fries gefüttert, einen Wolfspelz darüber gezogen. Nachdem er einige Dutzend Handschläge gewechselt, Damen wie Herren genügend komplimentirt hatte, zog er den Chorrock an und bestieg die Kanzel, um eine endlos ermüdende Predigt zu halten. Er hatte das Thema vom Fischzuge des Gläubigen gewählt, der, des Herrn Wort vertrauend, seine Netze auswarf, und wendete es auf den reichen diesjährigen Fang an, unter Lobpreisen und Anrufen des gnadenvollen Gottes für die vielen fetten und großen Fische, welche auf sein Gebot in den Westfjord schwimmen mußten, um allda in die Hände so vieler wackerer norwegischer Männer zu fallen.

Ermüdet und gelangweilt von diesem Einerlei richtete Marstrand bald seine Aufmerksamkeit von dem Redner auf die Gemeinde, die ihm weit größeren Antheil erweckte. Die Kaufleute mit ihren Familien nahmen den Vorderraum ein, und die ernsthaften, breiten und schlauen Gesichter der Normänner ließen vielerlei Betrachtungen zu. Im Allgemeinen konnte er der Behauptung nicht Unrecht geben, daß durch langen Aufenthalt in diesem unwirthlichen Norden unter Eis und Nebeln und brandenden Wogen auch die Schönheit und Kraft des normannischen Stammes Schaden leide. Die wetterharten, lederfarbenen Gesichter der Meisten bezeugten den fortgesetzten Kampf mit einer Natur, die keine zarte Organisation duldet und selbst die festeste und stärkste oft genug zu Grunde richtet. Zu den dicken Pelzen und Lederröcken paßten Menschen mit Köpfen und Gliedern, rauh und schwer genug, um dauernden Widerstand zu leisten. Hier wohnte Niemand zum Vergnügen, Keiner hätte hier leben können und leben mögen, wenn die Fische nicht im Meere wären. Der Fischgeruch, welcher jedes Haus und jede Hütte füllte, füllte auch diese Felsenkirche. Es kam Marstrand vor, als schwebe dieser Duft wie Weihrauch über allen Häuptern, und dieser Priester selbst, dessen rothes Gesicht im Toddyfeuer strahlte und dessen Augen vor Entzücken glänzten, als er von den fetten Fischen sprach, schien ein ächter Diener des großen 72 Fetisch zu sein, von dem alles Heil dieses Landes kam und dem alle Verehrung geweiht war.

Einzelne lebhafte junge Männer mit kühnen stolzen Zügen zeichneten sich unter jener Masse calculirender Fisch- und Thranspeculanten eben so vortheilhaft aus, wie einzelne junge Damen, die in ihren Federjacken und Goldnadeln ihrer Reize sich bewußt waren. – Hinter ihnen an den Wänden der Kirche saßen die Fischer mit ihren Weibern, starr wie Bildsäulen, unter lang herabfallenden Haaren stier vor sich hin blickend. Riesenhafte Quäner von den Inseln und aus den neuen Ansiedelungen, häßliche stumpfnasige Gesellen mit kleinen funkelnden Augen kauerten in den Winkeln, Weiber mit bunten Röcken und farbigen Tüchern; und Kinder, ebenso häßlich, rothblond und affenartig saßen an ihren Seiten. Aus dem Dunkel der großen ledernen Kaputzen begegneten sich Blicke voll Neid und wüster Rohheit.

Unter allen den Frauen im Schiff der Kirche aber, die modisch in Hauben, Mützen und Bändern prangten, welche ihre Väter und Männer in Bergen für sie gekauft hatten, konnten sich wenige mit Ilda Helgestad vergleichen.

In ihrem schwarzen feinen Wollenkleide, ein Sammetband durch ihr reiches Haar geschlungen, das von einem silbernen Pfeile gehalten wurde, saß sie neben Marstrand, der sich eingestehen mußte, daß sie das schönste Mädchen in dieser Versammlung sei. Hier erst, wo viele Frauen beisammen waren, entdeckte und würdigte Marstrand ihre Vorzüge; und war es, daß sein Auge sich gewöhnt, oder daß dies nun erst ihm geöffnet wurde, niemals war ihre hohe Gestalt, die breite gewölbte Stirne, die regelmäßige Bildung ihres Gesichts und diese großen milden Augen ihm so preiswürdig vorgekommen. Er verlor den Maßstab, den er sonst von Schönheit gehabt, und erhielt dafür in der Welt, in der er lebte, einen andern.

Im Lande der Blinden ist der Einäugige König, sagte er endlich heimlich spottend zu sich selbst. Nimmermehr werde ich mich doch überreden wollen, daß Jungfrau Ilda, wie sie da vor mir sitzt, groß und prächtig, starkgliedrig und ohne mit den Augen zu zucken, ein so reizendes Wesen ist, um Blut und Nerven in Bewegung zu bringen. Seine Gedanken flogen von Ilda's kaltem strengen Gesicht in den von Oerenäes, und er lächelte noch stärker, denn vor seinen 73 Blicken sprang Gula leichtfüßig, ihre weißen Zähne zeigend und ihm zunickend, über den Grasplatz. Ja, wenn sie nur Etwas von diesem Kinde hätte, murmelte er, wenn die Salzsäule lebendig werden könnte, würde Leben auch Leben wecken.

Inzwischen predigte der geistliche Herr wacker fort, endlich aber, als Marstrand das Ende glücklich nahen sah, hatte seine Rede noch einen besondern Anhang, denn plötzlich ging er beim letzten Amen auf seine eigenen Angelegenheiten über, und hielt in eindringlichster Weise der Gemeine vor, daß es ihre Pflicht und Schuldigkeit sei, nach solchem gesegneten Fischfang auch reichlich an ihn zu denken.

Heut ist der Tag des Opfers! schrie er auf die Kanzel schlagend, ich ermahne Euch also, nicht filzig und knauserig zu sein, wie es Verschiedene unter Euch schon seit längerer Zeit waren. Ich will keine Namen nennen, die es trifft, werden mich verstehen und dafür sorgen, daß ich mein Glas Toddy auf ihr Wohl trinken kann. Bedenkt das, liebe Freunde und Nachbarn; bedenkt, daß ich große Mühe und Sorge Euretwegen habe, und daß ich ein Normann aus gutem Blute und aus guter Familie bin, nicht etwa ein Lappe, der von Fischköpfen und gefrorenem Käse leben kann. Faßt in die Taschen und holt heraus, was Ihr für mich bestimmt habt, legt zu, wenn es zu wenig ist, und macht es besser wie das letzte Mal, wo es eine wahre Schande für Lyngenfjord's Kirchspiel war, wie leicht ich nach Hause ging. Und nun empfangt den Segen, denn ich hoffe, daß Ihr Euch anständig gegen Euren Freund Henrick Sture benehmen werdet.

Marstrand hatte Mühe ein lautes Gelächter zu unterdrücken, aber in der Gemeinde ließ sich ein beifälliges Grunzen hören und Niemand schien Anstoß an den Ermahnungen des Pfarrers zu nehmen. Die Geldbeutel wurden gezogen und mit großen Speciesthalern geklappert. Einer sah auf die Finger des Andern und maß seine Gaben darnach ab. Marstrand bemerkte, daß ein Wetteifer im Geben entstand, und seine Lustigkeit ließ sich nicht länger zurückhalten als er sah, daß auch Ilda ihre Tasche hervorholte und eine reiche Spende in den Opferstock legte, neben welchem der Geistliche mit dankbarem Grinsen stand.

Auch du hast dein Gemüth von dem Segen des frommen Henrick erweichen, lassen, sagte er spottend, als sie beide hinausgingen.

74 Glaubst du, daß ich Unrecht that? fragte sie mit dem strafenden Lächeln, das sie so oft für ihn hatte. Gestehe, daß du ein leichtfertiger Mann bist.

Leichtfertig? Warum?

Hast du die Predigt gehört? Hast du nicht lieber in alle Stühle und alle Winkel der Kirche geblickt, statt deinen Sinn zu sammeln und zu bedenken, daß Gottes Hülfe dir nöthig ist auf deinen Wegen? Du spottest über Henrick Sture und kümmerst dich nicht um unser Urtheil. Du solltest wissen, daß es in Norwegen Sitte und Gesetz ist, dreimal im Jahre dem Priester zu opfern, der daraus den größten Theil seiner Einkünfte zieht. Du wirst noch mancherlei dänisches leichtes Wesen ablegen müssen, lieber Herr, wenn du willst, daß ich Unrecht haben soll.

Marstrand suchte sich zu entschuldigen, und Ilda ging versöhnlich mit ihm umher, und hörte wohlgefällig zu, als er in höflicher Weise Gespräche anknüpfte, Fragen beantwortete und mancherlei Beifall erwarb. Es dauerte lange, ehe an die Rückfahrt gedacht wurde, denn nach nordischer Sitte standen neben der Kirche eine Anzahl Kirchenhäuschen, d. h. Hütten von starken Bohlen erbaut, die den verschiedenen ansehnlichen Familien gehörten, welche an schlimmen Tagen dort Zuflucht fanden, und zuweilen wohl gar eine Nacht darin zubringen mußten, wenn etwa ein plötzlicher Orkan, ein Schneewehen oder anderes gefährliches Unwetter die Kirchfahrer überraschte. Heut aber war der Tag so mild und sonnig geworden, daß alle Familien auf dem Kirchplatze beisammen saßen, wo junge Grasspitzen aus dem gesäuberten Boden sproßten und unter Gelächter und Scherzen das mitgebrachte Frühstück verzehrt wurde. Die jungen Leute sprachen von der schönen Zeit, wo es leicht war sich Besuche zu machen, wo das Frühlingsfest hier gefeiert ward, und um Mitternacht im Sonnenschein getanzt wurde. Die Alten saßen beisammen und calculirten, wie die Bergenfahrten in diesem Jahre ausfallen möchten, bis endlich doch das letzte Glas geleert war, und die Boote mit den Kirchfahrern sich nach allen Richtungen zerstreuten.

Der Wind blies voll in das große Segel, das Helgestad aufziehen ließ, Ruder waren nicht nöthig, der schlanke Kutter schoß Schaum über seine Buge werfend, den Fjord hinab.

75 War eine schöne Predigt und ein wackerer Tag, sagte Helgestad, als Alles im Gange war, und wird Henrick Sture prächtig bekommen. Nimmt seine Taschen voll Silber mit nach Haus, wie es ihm lange nicht geschehen ist. Nuh, Glück für ihn, daß die Herzen ohne Sorgen vor Sturm und Schneewehen sind, gibt da Mancher mehr, als er morgen gut finden möchte. – Er blickte zum Himmel hinauf, der mit langen lichten Streifen bedeckt war und machte ein pfiffiges Gesicht, das errathen ließ, er sei klüger gewesen, als viele seiner Nachbarn, von denen er seinem Gaste nun allerlei Mittheilungen machte, bis endlich das große Boot wohlbehalten an das Packhaus von Oerenäes stieß.

Marstrand half Ilda die schlüpfrigen Felsenstufen hinauf, und beide sahen sich vergebens nach Gula um. Sie hat Besuch bekommen, sagte der Schaffner, der lachend herbeikam, und mag vor Schreck wohl das Gehen verlernt haben.

Welchen Besuch, fragte Ilda.

Da sitzt er an der Thür, antwortete der Mann. Sieh hin, Jungfrau, du wirst ihn erkennen.

Afraja! rief Helgestad, der hinter ihnen war. Was will der alte Schelm? Könnte ihn riechen, wenn ich ihn nicht sähe.

Ist seltsam in dieser frühen Jahreszeit, Vater, sagte Ilda. Was kann es sein?

Niels zog die Stirnfalten zusammen und ging mit großen Schritten weiter. Weiß es nicht, murmelte er, will aber gehängt sein, wenn das Ungeziefer Gutes bringt.

Sie näherten sich dem Hause, und Marstrand betrachtete neugierig den Mann, dessen Namen er schon so oft gehört hatte. Zusammengekrümmt und den Kopf tief gebeugt, saß der greise Hirte auf der Bank neben der Thür. Ein brauner Kittel von grobem Wollenzeug hüllte seinen anscheinend hinfälligen Körper ein, darüber trug er einen offenen Pelz von Rennthierfellen und eine Kappe von gleichem Stoff, die er abgenommen und auf seine Kniee gelegt hatte. Seine beiden mageren, sehnenvollen Hände umfaßten einen langen Stock, dessen scharfe Eisenspitze am Boden glänzte. Zu seinen Füßen aber lagen zwei kleine gelbzottige Hunde, deren wachsame Blicke sich bald auf ihren 76 bewegungslosen Gebieter, bald auf die nahenden Fremden richteten, die sie mit leisem Knurren empfingen.

Erst als Helgestad dicht bei ihm war, hob der alte Lappe den Kopf in die Höhe und eine demüthige Freundlichkeit lief durch sein verwettertes Gesicht, das mit tiefen Falten und Runzeln bedeckt war. Halb ergrautes Haar fiel in Büscheln auf seine niedrige Stirn, seine Nase war mongolenartig platt, seine Zähne ungewöhnlich lang, scharf und weiß wie die Zähne eines Wolfs. Unter der grauen Mähne, die der Wind über sein Gesicht warf, blitzten die kleinen Augen, wie Sonnen, die in blutiger Abendröthe untergehen, aber ihre scharfen Strahlen hatten etwas ungemein Schlaues und Lauerndes.

Der alte Stammführer beugte sich tief vor dem Kaufmann und stand von seinem Sitze auf. Sei im Frieden, wo du sein magst, sagte er in dem schlechten Dänisch der Küstensprache, deine frohen Tage sollen wie Schneeflocken sein.

Nehm's an, antwortete Helgestad, kann jeder Christenmensch deinen Gruß brauchen und hast ihn sicher weit hergetragen. Dein Gürtel ist zusammengeschrumpft in der Nässe und deine Komager sind hart mitgenommen. Er deutete auf die Halbstiefel von Rennthierfell, welche Afraja nach finnischer Sitte fest um seine dünnen Beine geschnürt hatte. Habe dich seit der Herbstzeit nicht gesehen, fuhr er dann fort, glaubte dich weit in den Jauern.

Du sagst es, Vater, sprach der Lappe beifällig nickend. Meine Thiere haben an der Tana geweidet und jenseits bis zum großen Meer.

Und was, bei Sanct Olaf's Bart! hat dich durch den Winterschnee an den Lyngenfjord getrieben? rief der Kaufmann erstaunt. Muß eine fürchterliche Reise gewesen sein! Wo hast du deine Schlitten, deine Pulks?

Afraja sah nach dem Gebirge hinauf und mit einem gewissen Stolze, nicht ohne Würde, strich er die Haarbüschel aus seinem Gesicht.

Du weißt, sagte er, daß ich viele Thiere besitze. Mein Schwestersohn, Mortuno, rastet mit einer Heerde an den Quellen des Setzjok, den ihr Altenfluß nennt. Ich kam zu ihm, um nach meinem Eigenthum zu sehen und seine Sommerweide zu bestimmen. Von dort war es nicht so weit bis zu dir, Vater; doch wie darfst du dich wundern, daß ich komme, da Wolf und Bär selbst ausgehen, um ihre Jungen 77 zu suchen? Mein Kind wohnt in deinem Hause. Ich bin alt und schwach, mein Herz sehnt sich nach ihr.

Dein Herz? lachte Helgestad. Hast also auch ein Herz, alter Schelm?

Mein Herz, erwiederte Afraja mit einem funkelnd strengen Blicke, verlangt nach meinem Kinde, das mein größter Schatz ist.

Nuh! sagte der Kaufmann seine Kappe ziehend, so schaue deinen Schatz an, ist nichts daran zu Schaden gekommen. Bleib bis morgen, wenn du willst.

Afraja schüttelte den Kopf. Meine Zeit ist kurz, sagte er. Ehe es Nacht wird muß ich weit sein. Gula soll mich begleiten, ich fordere sie von dir zurück, Herr.

Einen Augenblick sah Helgestad den Finnen starr und überrascht an, dann hatte er seinen Entschluß gefaßt. – Kommst also dessentwegen, antwortete er seine Stirn düster faltend, habe wohl gedacht, daß es nichts Gutes sein würde. Kann aber nimmermehr geschehen; bist ein Mann von schlechtem Gedächtniß, Afraja. Hast mir das Mädchen für immer gegeben, kostet fünf Pfund Tabak und drei Pinten Branntwein.

Du bist ein Christ, sagte der alte Mann, nachdem er einige Minuten stumm auf seinen Stock gestützt gestanden hatte, dein Gott sieht und hört Alles. Er weiß, daß ich mein Kind nicht verkaufte; ich ließ es dir, weil du es so wolltest. Du gabst mir ein Geschenk, ich nahm es, weil du es gabst. Nimm es zurück, sprich aus, was du forderst. Meine Gamme ist öde, fuhr er bittend fort, mein Auge wird dunkel. Ich frage dich, Vater Niels, was würdest du thun, wenn dein Kind dir genommen würde?

Habe keine Zeit, deinen Unsinn zu hören, schrie Helgestad seine Pelzmütze um den Kopf ziehend. Calculir's ihm vor, Ilda. Habe das Mädchen aus dem Elend gezogen, Herr Marstrand, habe eine Christin aus ihr gemacht, könnte es vor Gott und Menschen nimmer verantworten, wenn es von Neuem in die Wildniß hinein sollte, unter Rennthiere, Hunde und heidnisch gräulich Volk. Ist ein Faktum, will es auf keinen Fall dulden. Will aber deine Lappentasche da mit Tabak füllen, und deine Branntweinflasche bis oben an; wird darauf deine Sehnsucht zur Ruhe kommen. Denke ja. Ist's nicht so?

78 Afraja hob mit zorniger Verachtung die Augen zu ihm auf, und sagte mit erzwungener Ruhe: Du weißt, Niels Helgestad, daß ich kaufen kann, was ich brauche. Ich habe dir Gula gelassen, so lange es mir gefiel, ich verlange mein Kind von dir. Man rühmt dich als einen gerechten Mann. Du wirst nicht nehmen wollen was mein ist.

Nimm was ich dir biete, antwortete der Kaufmann, und sei kein Narr. Wo wäre ein Lappe, der für Tabak und Branntwein nicht Frau und Kinder zum Dienst an die Küste verkaufte? Gula bleibt hier! Das ist mein letztes Wort. Jetzt schicke dich oder mach' daß du fortkommst.

Hast du ein Recht mich von deiner Thür zu weisen? fragte der alte Mann.

Klage beim Voigt in Tromsöe, rief Helgestad verächtlich. Packe dich fort, oder ich will dir den Weg weisen.

Er ging in's Haus, und ließ Afraja stehen, der still vor sich nieder sah und Ilda's vermittelnde Worte nicht zu hören schien. Du weißt, sagte sie, daß ich dein Kind wie meine Schwester liebe. Was willst du mit ihr auf den öden Alpen? Sie würde krank werden und sterben, ihr Leben kann dort oben nicht mehr gedeihen. Kannst du die Birke auf die Fjellen des Kilpis verpflanzen? Sieh, da ist Gula. Laß sie bei mir bleiben, wo sie froh und glücklich ist.

Gula war herbeigekommen, ihre Beschützerin hielt sie in ihren Armen. Afraja richtete seine Augen auf sie und streckte seine Hand nach ihr aus.

Was sagst du, Mädchen, sprach er langsam. Möchtest du vom Herde dieser Fremden nicht aufstehen, um deinem Vater zu folgen? Möchtest du nicht bei ihm sein, wenn er krank ist und deinen Namen ruft?

Mit einer heftigen Bewegung preßte Gula ihren Kopf an Ilda's Brust und krampfte ihre Hände so fest zusammen, als fürchtete sie, von ihr gewaltsam getrennt zu werden.

Du siehst, alter Mann, sagte Marstrand von Mitleid bei diesem sonderbaren Auftritt ergriffen, deine Tochter zieht es vor, hier zu wohnen.

Ein Blick voll Haß und Kummer war die Antwort. – Jubinal sitzt auf seinem Wolkenthron, antwortete Afraja dann langsam und nachdrücklich, indem er die Augen zum Himmel erhob, er sieht und 79 straft die Ungerechten. – Ohne Gruß und Abschied wandte er sich um und stieg an den Felsen, die hinter der Bucht und Helgestad's Haus einen Halbkreis bildeten, mit größerer Leichtigkeit empor, als sein hinfälliger Körper dies vermuthen ließ. Seine Hunde folgten ihm nach und nach einigen Minuten war er verschwunden.

Ist er fort, der alte Schelm? fragte Helgestad, den Kopf zum Fenster hinaussteckend. Kommt herein, Herr Marstrand, der Tisch wartet auf uns; dürfen eines Lappen und seiner Flüche wegen die Gottesgabe nicht kalt werden lassen.

Nach einigen Zwischenreden wurde das Tischgebet gesprochen, und während der Kaufmann Gula lobte, ihre Kochkunst pries und ihrer Gelehrigkeit wie seiner Erziehung gemeinschaftliche Komplimente machte, verging geraume Zeit, wo er fast allein das Wort führte.

Endlich drückte Marstrand seine Verwunderung aus, daß der Greis allein gekommen und ohne alle Waffen gewesen sei.

Nuh, sagte Helgestad, sein Schneestock ist eine Waffe, mit der ein Mann, wenn er es versteht, sich wohl vertheidigen kann; seid aber sicher, daß er seine Büchse, seinen Schlitten, seine Zugthiere und vielleicht ein Halbdutzend seiner spitzbübischen Gesellen in irgend einer Schlucht dort oben versteckt hat.

Wenn aber die Lappen so sichere kühne Schützen sind, fuhr der dänische Junker fort, und ein plötzlicher Gedanke überkam ihn dabei, müssen dann nicht die Bewohner einsamer Gaard's Furcht vor ihrer Rachsucht haben?

Wer? schrie Helgestad lachend. Wir hier in unsern Häusern? Nuh, kennt das elende Volk nicht, aber ich sage Euch, ein Lappe ist noch weit feiger und vorsichtiger, wie er boshaft und tückisch ist. In seinen Alpen ist er Gebieter, und wer zu ihm hinauf geht, mag sich vorsehen. Ist mehr als Einer dort auf immer verschwunden. Hier unten aber ist unser Reich und sind wir so sicher darin, wie der König in seinem Schlosse.

Nachdem der Gaardsherr von Oerenäes sich mit Fleisch und Fischen vollgestopft und soviel alten Portwein darauf gesetzt hatte, wie er vertragen konnte, suchte er sein Lager auf, um einen gesegneten Schlaf zu halten. Marstrand blieb bei den beiden jungen Mädchen im Zimmer sitzen, die heimlich flüsternd sich eine Zeitlang 80 unterhielten, den rothen Sonnenschein betrachteten, der die Stirnen der hohen Felsen am Fjord einfaßte und das seine Wetter belobten; als der dänische Junker aber gar nicht darauf hören wollte und Gula hinausgegangen war, unterbrach Ilda seine Betrachtungen.

Ich glaubte, sagte sie, daß meine Freundin versprochen hat, dich, wenn der Tag schön bliebe, auf einen Spaziergang zu begleiten. Ist es dein Wille noch, so geh', Gula erwartet dich; es wäre nicht recht, wenn du sie allein ließest.

Willst du nicht mit uns gehen? fragte Marstrand.

Nein, war ihre Antwort. Ich habe allerlei zu schaffen. Gula wird dich zu einer Stelle führen, die sie meinen Garten genannt hat. Es ist schön dort, ein andermal werde ich mit dir sein. Heute hast du keine Zeit zu verlieren, wenn du zur Abendandacht im Hause sein willst.

Sie nickte ihm zu, als er ging. Gula stand auf dem hohen Gestein am Fjord und ließ ihr weißes Schürzchen wehen, als er aus dem Hause trat. – Wie anders, sagte er gedankendüster vor sich hin, wie freundlich und zutraulich ist dies arme Mädchen gegen jene einsilbige Jungfrau. Mit jeder neuen Stunde fühle ich, daß ich je eher je lieber den Gaard verlassen muß, aber wohin soll ich ohne den Beistand dieser Menschen, die meine einzigen Freunde sind, und mich doch mit Mißtrauen erfüllen?

Folge mir nach, Herr, rief Gula von ihrem Felsen herab, als er daran emporklomm. Der Weg ist steil und mühsam, aber du wirst belohnt werden. – Als Marstrand oben anlangte, war sie ein gutes Stück voraus.

Das felsige Ufer des Fjord hob sich jäh zu einer beträchtlichen Höhe, und bildete einen rauhen schmalen Pfad, der zur anderen Seite in eine Schlucht niedersank, in welcher ein Bach dem Meeresarm zurauschte, der nahe bei Helgestad's Hof mündete. Jetzt hatte der schmelzende Schnee ihn hoch angeschwellt; schäumend sprang er über Klippen und Risse und bildete ein paar prächtige Wasserfälle, deren Donner und Wasserstaub die Luft erfüllte.

Es ist ein Omnisjok, wie wir ihn nennen, sagte Gula, die bei dem schönsten Falle stehen geblieben war und sich über Marstrand's Verwunderung freute. Siehst du das glänzende beschneite Felsenhaupt 81 dort oben? Das ist der Kilpisgipfel, von ihm kommt er herunter. Wir werden ihn besser sehen, wenn du weiter folgen willst; doch nimm dich in Acht, Herr, in deinem Lande weiß man nichts von solchen Wegen.

Leichtfüßig sprang sie voran, und trotz aller Mühe vermochte Marstrand nicht ihr zu folgen. Es war ein mühsames Klettern, das Gula nicht zu fühlen schien, während der Däne endlich athemlos still stand. Sie kam zurück und bot ihm die Hand. Sieh dort, sagte sie tröstend, an den schwarzen Steinen führen Stufen hinauf. Björnarne hat sie fest zusammen gelegt; stütze dich auf mich, in wenigen Minuten werden wir oben sein.

Und so geschah es. Ueber Felsenblöcke, die eine natürliche Treppe bildeten, führte Gula ihren Freund auf einen kleinen Gebirgsabsatz, der plötzlich, als sie, wie durch ein mächtiges Thor, durch einen Spalt der Klippe getreten waren, eine überraschende Aussicht bot. An tausend Fuß senkrecht unter ihnen lag der Fjord, dessen Schlußstein diese nackte Wand bildete, und weit über Lyngen's Kirche hinaus, bis zu fernen Sunden und Außeninseln schweifte der Blick in das seltsame Gewirr düsterer, nackter und schneeglänzender Felsen und Wasserspiegel. Zu ihren Füßen erblickten sie den Gaard von Oerenäes, seine Packhäuser und Erdhütten sammt Helgestad's große Yachten, wie lilliputanische Kunstwerke; über ihren Häuptern dagegen thürmte sich eine andere hohe Felswand auf, deren gewaltige Blöcke überhängend und phantastisch zerrissen, jeden Augenblick nieder zu stürzen drohten.

Sie fallen nicht, sagte Gula lachend, als sie Marstrand's Blicken folgte. Die hängen dort seit diese Welt geschaffen wurde, und bilden die tiefe Höhlungen in der wir oft schon Schutz vor wildem Wetter fanden. Aber sieh dort hinaus, Herr, fuhr sie fort, indem sie linkswärts deutete, dort kannst du über die Halbinsel schauen, welche den Lyngenfjord vom Ulvsfjord trennt. Sieh wie hell seine Felsen uns entgegen leuchten, und dort wo die hohen spitzen Gipfel stehen, dort kommt die Balself aus ihrem tiefen Thale voll hoher schöner Bäume und bringt ihr weißes klares Wasser von der prächtigen Tanajaure herab.

Du sprichst ganz entzückt, liebe Gula, fiel Marstrand lächelnd ein.

82 Ich spreche vom Lande meiner Väter, erwiderte sie. Setze dich auf diese Bank, die Björnarne gemacht hat, und sieh nach jener Seite, du kannst die Berge von Tromsöe erkennen, wenn die Luft recht klar ist, sammt Hvalöen und das große ewige Meer. Ist es nicht schön, Herr? Aber vor allen schön der Ulvsfjord und der Balsfjord neben ihm. Ich will dir erzählen warum es dort so grün ist, wenn alles Land rund umher noch unter Eis vergraben liegt.

Marstrand setzte sich und gab ihr Recht. Die Sonne stand über den hohen Zinken im Westen und beleuchtete sinkend die beiden einsamen Menschen. Erzähle mir, liebes Mädchen, warum dieser Fjord so gesegnet ist, sagte Marstrand ihre Hand nehmend, und welche gute Gottheit ihm sein grünes Kleid gegeben hat.

Du hast von meinem Volke gewiß viel Böses gehört, begann Gula nach einem kleinen Schweigen. Es ist ein armes, verlassenes und unwissendes Volk, einstmals aber war es groß und mächtig und ihm gehörte alles Land, bis weit in den Süden. Damals soll es schöner hier gewesen sein als jetzt. Blumen blühten hoch an den Bergen, große Bäume füllten die Thäler und viele Menschen wohnten am Meere überall. Von Zeit zu Zeit, so spricht eine alte Sage, stieg Jubinal von seinem Wolkensitze herab und wanderte durch das Land, um selbst zu sehen, ob seine Kinder glücklich seien. So kam er auch einst an den Ulvsfjord und fand einen alten Mann mit seiner Tochter, denen Alles dort gehörte. Gula, wie ich, soll das Mädchen geheißen haben, und wunderbar schön soll es gewesen sein. Die Ufer des Meeresarms waren mit Gras und Blumen bedeckt, Waldblumen spiegelten sich in seinem Wasser, das ganze Thal war ein Garten mit sprudelnden Quellen, und mitten darin stand die Gamme unseres Altvaters Afraja, so schön und herrlich, wie es keine mehr gibt.

So war der Herrscher am Ulvsfjord aus deiner Familie? fragte Marstrand.

Ja, Herr, antwortete sie unbefangen. Jubinal, der Gott, dem Himmel und Erde gehörte, soll lange bei ihm gewohnt und endlich seinen Himmel ganz vergessen haben. Denn er heirathete Gula, aber Niemand wußte, daß er ein Gott sei. Durch seine Macht weckte er die Liebe im Herzen des Mädchens; dem reichen Vater zeigte er Silber und große Heerden, die vom Kilpis herunterkamen, als dichter Nebel 83 ihn bedeckte. Du mußt nicht lachen, rief sie, indem sie selbst lachte. Als ich klein war, habe ich die Geschichte oft erzählen hören und fest daran geglaubt; ja, mein Vater und Alle, die um ihn sind, glauben noch daran, obwohl mein Vater klüger ist wie Viele, die über ihn spotten.

Aber du glaubst es jetzt nicht mehr? fragte Marstrand.

Bin ich nicht eine Christin, Herr? erwiderte sie schalkhaft, ihre schwarzen Augen aufhebend. Was würde Ilda sagen, wollte ich an Jubinal, an Ayka oder Pekel glauben!

Doch höre weiter, fuhr sie fort. Als einige Jahre friedlich vergangen waren, und Gula einen Sohn in ihren Armen trug, kam die Stunde der Leiden, von der sie Nichts geahnt hatte. Pekel, der böse Gott, der die Menschen haßt, sie zur Sünde treibt, und ewig darüber brütet, wie er die Welt vernichten möge, hatte meinem Volke und diesem Lande Verderben geschworen. Er haßte Jubinal noch mehr, weil dieser Gula liebte, ein armes irdisches Weib. Mit den Riesen, den Kindern der Nacht, die tief im Meere wohnten, hatte er ein Bündniß geschlossen, und als Jubinal davon erfuhr, war es zu spät es zu ändern.

Die Riesen bereiteten in ihren Höhlen ein Feuer, daß die Felsen barsten und schmolzen und verzehrende Flammen bis über deren Gipfel schlugen. Pekel, der böse Gott aber verwandelte sich in einen Sturmwind, der das Meer vor sich hertrieb, daß es Norwegen so zertrümmerte und zerriß, wie man es jetzt noch sieht. Es wäre ganz verschlungen worden, wenn Jubinal es nicht geschützt hätte, so viel er vermochte. Als er die Wasser und die Flammen kommen sah, wuchs seine Gestalt auf bis in die Wolken. Afraja und Gula warfen sich zitternd vor ihm nieder, aber wie Federn vom Eidervogel hob er sie auf, sammt ihren Heerden und Knechten, und setzte sie auf den Gipfel des Kilpis nieder. Ich bin Jubinal, sagte er, fürchtet euch nicht, ich will euch erretten. Bleibt auf diesem heiligen Berge, bis ich die bösen Geister bekämpft habe. Mit dem Blitz in der Rechten stürzte er die Riesen in ihre Höhlen hinab, mit der Linken schleuderte er das Meer zurück. Donner und Dampf umhüllten das Land meiner Väter neun Wochen lang, als aber der Gipfel des Kilpis aus dem Rauch stieg, als die Sonne wieder schien, sahen Afraja und Gula die schreckliche Verwüstung. Alles Land war fortgerissen, alle fruchtbare Erde 84 verschwunden; schwarze nackte Felsen ragten überall auf, und seit jener Zeit war es kalt und düster hier. Stürme und Nebel hatten Gewalt bekommen, Eis und Schnee lagerten auf den Bergen. Jubinal erschien den Verlassenen nicht wieder, allein seine Stimme sprach zu ihnen: Ziehet hinab, sagte er, in euer Land an den Balsfjord und Ulvsfjord, sie sollen grün und lieblich sein, wie sie waren und eurem Stamme gehören für ewige Zeiten. Wohnet dort, ich will euch segnen, und so lange das Land euch gehört, soll Afraja's Volk nicht verderben. So ist es geschehen. Der böse Pekel schickte ein Volk aus Süden, das die Finnen vertrieb und tödtete, daß sie mit ihren Thieren in die Eisberge fliehen mußten. Arm und verachtet verblieb ihnen Nichts als die Freiheit ihrer Alpen, wo sie noch heut die Herren sind. Aber das Land am Balsfjord ist bis auf diesen Tag Afraja's Weideland, jährlich ziehen seine Heerden die Balself hinab und lagern sich bis zum Herbst unter den duftigen Birken und an silbernen Quellen.

Jubinal's Segen ist also noch immer mit deinem Stamm, liebe Gula, sagte Marstrand, und du selbst bist eine Erbin des wankelmüthigen Gottes?

Wir Alle sind Gottes Kinder, erwiderte sie lächelnd. Auch Helgestad und Ilda erklären es so.

Aber wunderbar genug, fuhr Marstrand nachsinnend fort, daß die schlauen Männer aus dem Süden sich die Weiden und Quellen am Balsfjord nicht längst angeeignet haben?

Jubinal hat ihre Augen mit Blindheit geschlagen, antwortete Gula lachend. Es sollen wenige Fische dort sein, weil das Wasser zu süß ist, oder es ist zu warm, weil die Riesen unten im Grunde noch immer an ihren feurigen Essen arbeiten. Vor langer Zeit versuchte es einmal der Vater des Voigts von Tromsöe, ein Haus dort zu bauen, allein es war kaum fertig, als in der Nacht die Erde sich zu schütteln anfing, daß alle Balken stürzten und den grausamen Voigt todtschlugen.

Ein Erdbeben also, antwortete Marstrand. Und seit dieser Zeit ist der Balsfjord verlassen geblieben?

Es ist Afraja's Land. Alle wissen es, erwiderte Gula, und Alle fürchten ihn als einen großen Zauberer. Frage den Voigt in Tromsöe, er schwört noch heute, daß sein Vater durch meines Vaters schwarze Künste umgekommen sei; frage alle Fischer und selbst die 85 Gaardherren und die Priester, sie werden dir schreckliche Geschichten erzählen.

Aber auch unter seinem eigenen Volke gilt Afraja, wie ich gehört habe, für einen Mann, der mit Geistern und Teufeln Umgang hat, fiel der Junker spottend ein. Hast du Etwas dergleichen gesehen?

Gula schlug in ihre Hände und schüttelte belustigt den Kopf. Ehe sie jedoch antworten konnte, ließ sich ein leiser scharfer Ton hören, wie der Ruf eines Schneehuhns, das über ihren Köpfen hinflog.

Das Mädchen sprang von der Bank auf und sah scheu nach allen Seiten umher.

Erschrickst du vor einer Ripe? fragte Marstrand lachend. Siehe, dort sitzt ein ganzer Haufe auf dem Felsen.

Laß uns gehen, antwortete sie. Das Schneehuhn schreit, wenn die Nacht kommt; der Weg ist glatt und Ilda könnte bangen um dich. Hastig sprang sie die Stufen hinab. Die Vögel flatterten auf und flogen schreiend über den Fjord; dann verbarg sich die Sonne rasch hinter einer Wand düsterer Wolken, die der Wind, der in Stößen zu erwachen begann, rasch über den Himmel ausdehnte. Ein matter, falber, verschwindender und wiederkehrender Schimmer lief über die Spitzen der hohen Fjelder, als Beide den Gaard erreichten, aus dessen großer Stuga ihnen helles Licht entgegenglänzte.


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