Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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18.

Am Abend erreichte der Zug den Lyngenfjord. Helgestad hatte sich mit seinem Schwiegersohn und Olaf verständigt, von den Vorfällen zu schweigen, die nicht für Weiberohren paßten und dabei ein Wort fallen lassen, daß der dänische Junker ein viel zu süßes Herrchen sei, um nicht ein mitleidig Gedächtniß hinterlassen zu haben.

Wißt wohl, wie Mädchen sind, sagte er, lieben ein glattes Gesicht und lispelnde Sprache; wer höflich mit ihnen umgehen kann, hat sie gewonnen. Und dergleichen Dinge versteht ein Däne besser wie 403 wir, müssen zurückstehen, Olaf sowohl wie selbst Paul, so fein und wohlgebildet er ist.

Die Spötterei entging dem Schreiber nicht, aber er lachte dazu. Das Ende lobt den Meister, sagte er, und der praktische Erfolg den Mann. Was der dänische Junker hier geseufzt und gelispelt hat, soll mich wenig kümmern. In wenigen Wochen ist Hochzeit, mein Haus in Tromsöe ist bestellt, aber aus dem Lande soll er, und wenn er in meine Finger geräth, wie ich hoffe, wird er sich über meine Höflichkeit nicht zu beschweren haben.

Hast einen Plan fertig? fragte Niels, als sie beisammen ritten und Olaf voraus war.

Mehr als einen, antwortete Paul, und – setzte er mit einem schlauen Blicke hinzu – ist ganz derselbe, den Ihr habt.

So, sagte Helgestad schmunzelnd, kennst also meine Gedanken?

Genau, sprach sein Begleiter. Haltet die Bürgschaft fest, sie wird uns nützlich sein. Ich denke, es soll nicht lange dauern, so haben wir den Junker, den wir beide so zärtlich lieben, an einen schönen Ort gebracht, wo ihm kein Zauberer helfen kann.

Willst ihm also hart an den Leib?

Nicht doch, lachte der Schreiber, ich will seinen Leib und seine unsterbliche Seele vor allem Schaden behüten; obenein soll er seinen Freunden nahe bleiben, die ich nicht von ihm trennen will.

Nuh, murmelte Helgestad, sehe wohl, sind auf einem Wege, ist aber doch noch nicht klar in mir, wie das richtige Ende kommt.

Das Ende muß kommen, wie wir es machen, sagte Paul. Ich habe mit meinem Oheim im Voraus allerlei Abrede genommen. Man muß die Vögel fangen, wenn sie flügge sind und dazu ist es Zeit. Laßt die Lappen jetzt treiben, was sie Lust haben, stört sie nicht, droht nicht weiter, seid freundlich, so viel Ihr könnt. In drei Wochen kommen die großen Märkte, herunter müssen sie dann von ihren Felsen und Wüsten, um Wintervorräthe einzukaufen, bei dieser Gelegenheit können wir uns die Böcke aussuchen, die wir haben wollen.

Fängst den Afraja so leicht nicht, erwiderte Niels.

Nein, sagte der Schreiber, den alten Schlaukopf müssen wir uns holen. Soldaten haben wir nicht, aber an tüchtigen Armen und Beinen fehlt es uns deswegen doch niemals. Ich habe ganz in der 404 Stille schon mit einer Anzahl entschlossener Männer gesprochen, die zu aller Hülfe bereit sind, und kann auf mehrere noch rechnen.

Helgestad grinste beistimmend. Sieh gut zu, was du thust, sagte er.

Gewiß, sprach Paul. Ich habe meine Spione unter den Lappen selbst. Kenne einen Burschen, der mir genau Nachricht geben wird, wo das Lager des Wolfs ist und denke, ihm nächstens einen ehrbaren Besuch abzustatten. Eine Jagdpartie! rief er lachend, mit Olaf und Björnarne an den Kilpis hinauf, dort steckt er. Wir wollen ihn in seiner Gamme aufspüren und ich denke dabei Alles so einzuleiten, daß er uns nicht entgehen soll.

Niels nickte beifällig. Und dann der Junker, murmelte er, nimmst sie Beide an einem Strick auf den Markt.

Das Feuer, das den Zauberer brennt, lachte Paul, soll auch ihm wenigstens Haut und Haar versengen.

Bei diesen Worten wurde Helgestad ernsthaft. Treib's nicht zu weit, sagte er. Ein Lappe ist ein Ding, das man zu Tode peitschen oder mit einem Stein an dem Hals in den Fjord stürzen kann, wird sein Schrei nicht weit gehört werden; der Junker aber hat eine Stimme, die weit über das Wasser geht, und Art läßt nicht von Art. Mag er mit Hohnlachen von seines Gleichen aus dem Lande gestoßen sein, werden ihm seine Genossen doch beispringen, wenn ihm Uebles von uns geschieht.

Sei ohne Sorge, Vater Niels, sagte der Schreiber. Wo sind die, die ihm helfen könnten? Wer hat dem Narren geholfen, der zwischen Sildens Felsen in dein Schiff stieg? Wer fragte noch nach ihm, obwohl er auch ein Junker war?

Schweig still! fiel Helgestad mürrisch ein, habe Gut und Leben damals vor einem Räuber bewahrt.

Es ist die Frage, ob man es glauben würde, wenn ein Kläger gegen dich aufträte. Ich möchte nicht an deiner Stelle sein, wenn sie dich vor dem Halsgericht in Kopenhagen hätten. Du bist jedoch vierhundert Meilen davon und wenn hier eine Anklage erhoben würde, könnte sie nur von diesem Marstrand oder von Hannah ausgehen. Das Mädchen hast du sicher, den Burschen aber müssen wir schon dessentwegen unschädlich machen.

Was willst du mit ihm machen? fragte Helgestad.

405 Mit ihm? Was man mit einem Hochverräther macht.

Nuh! rief der Kaufmann erstaunt aufblickend.

Das ist der Weg, fuhr der Schreiber leiser fort, der den Balsfjord sicher in deine Hände bringt und uns von aller Sorge befreit. Als Hochverräther muß der naseweise Junker verurtheilt werden, dann schicken wir ihn in Ketten nach Trondhjem sammt allen Akten und was dazu gehört; oder auch nicht, murmelte er. Du trittst mit deiner Bürgschaft auf. Es wird Keiner kommen, der dem Schwiegervater Paul Petersen's Land und Recht streitig macht. Sprich nichts dagegen. Die Sache ist wohl überlegt, auch will ich meinen Hals verwetten, hast so ziemlich Dasselbe calculirt.

Hast den rechten Blick, Paul, erwiderte Helgestad bei dem Gelächter seines Genossen, geht durch Herz und Nieren und bleibt ihm nichts verborgen. Habe daran gedacht und muß sagen, stimmen zusammen. Greif den verdammten Hexenmeister und preß' ihm ein Geständniß aus, was wir brauchen können.

Ich glaube wahrhaftig, sagte Paul, mein Oheim hat sich die alten Daumschrauben schon darauf angesehen, hat sie geputzt und eingeschmiert.

Braucht sie richtig, fuhr Niels fort, und Afraja wird seinen Mund aufthun, wird gesprächig werden über die Silberschätze in der Wüste. Hast heute ein Pröbchen gesehen von dem Reichthum des alten Schelms.

Paul Petersen's Augen funkelten vor Spott. Es ist merkwürdig, sagte er, wie wir in Gedanken und Absichten zusammenstimmen.

Helgestad reichte ihm die Hand, der Schreiber schlug ein. Sie sagten nichts mehr, aber sie sahen sich Beide wohlgefällig an und doch war in ihren tiefsten Herzen weder Liebe noch Treue.

Im Gaard wurden sie freudig empfangen und Hannah brachte einen Brief, der von Tromsöe eben angelangt war. Er kam von ihrem Vater, und nach allerlei Neckereien und Weigerungen ließ sie ihn lesen. Der Gildemeister hatte mit wahrhaftem Wohlgefallen vernommen, daß ihr nicht allein die Luft am Lyngenfjord ausnehmend bekomme, sondern daß sie auch ihrem herzallerliebsten Björnarne mit besonderer Hinneigung zugethan sei. – Ich habe das immer erwartet, Mädchen, stand darin, und sehe es jetzt aus deinem eigenen 406 Bekenntniß, sagte es mir aber auch Helgestad und alle Nachrichten, die ich sammle, daß deine zärtliche Freudigkeit für den prächtigen Schatz über alle Maßen groß ist. Ich käme zur Hochzeit, Hannah, wenn es mit meinen Beinen besser ginge, kann aber kaum mehr den Signalbacken herauf und herunter und werde nothgedrungen ein Karriol anschaffen müssen, was allerlei Kosten macht. Nun freue ich mich aber wie ein König darauf, dich hier zu sehen, und wenn es zu spät wird in der Herbstzeit zur Rückkehr, dich und den wackern, schmucken Eidam den Winter über bei mir zu behalten. Herze ihn und drücke ihn für mich mit; kann Christi, dein Bruder, zur Hochzeit kommen, so kommt er, aber bei der Nachfeier in Bergen bleibt es und sollen keine Kosten gespart werden, Kind; soll Helgestad auch nichts sparen und scheuen, deinen Tag zu verherrlichen. Hast Geld genug, Hannah, bist Uve Fandrem's Tochter und liegt in meinem Kasten so viel für dich bereit, daß Keiner in Bergen ist, der Björnarne nicht beneiden soll. Ich will seine Yacht vollpacken mit dem Besten was ich habe, Kisten und Kasten und prächtigem Geräth; du bist aber dennoch selbst das Schönste und Erste von allem Gut und denke, hält Björnarne dich auch das Liebste auf Erden.

Bei diesem letzten väterlichen Wunsche blickte Helgestad auf, denn eben trat sein Sohn herein, der die Worte gut gehört hatte. Hannah ging ihm entgegen und zog ihn näher.

Ich kann bestätigen, was mein Vater schreibt, sagte sie. Björnarne hat mich so lieb, wie ich ihn habe.

Recht, Mädchen! rief Helgestad, ist Weibes Sache, den Mann zu schirmen und sein Herz warm zu halten. Wirst neben ihm stehen, daß er gern sich an dich lehnt. Drei Wochen noch sind kaum bis zum großen Markt, eine Woche darauf soll Hochzeit sein. Dann fahrt in Gottes Namen nach Bergen hinab und bleibt, wenn es sein soll, den Winter über im Hause auf der deutschen Brücke. Wird dem Burschen da gut bekommen, wenn er bei den feinen Leuten lebt, und sich ausmustert, wie eine Seeschwalbe, die südwärts fliegt; wird aber Sehnsucht haben, ehe der Sommer kommt und heimwärts ziehen, wenn er Nachts den Schrei von Lofoden hört.

Unter solchen Gesprächen verging die Zeit. Björnarne war still wie immer und suchte bald den Annäherungen seiner Braut zu 407 entkommen, indem er mit Paul hinausging, ihm die mancherlei Arbeiten und Vorbereitungen zu zeigen, welche für den Lappenmarkt begonnen waren. Helgestad erzählte von Marstrand im Allgemeinen, daß er ihn wohl gefunden und forderte Olaf zum Zeugen auf, daß der Junker mächtige Wirthschaft treibe und eine wunderbare Thätigkeit entwickelt habe, die ihre Früchte tragen müsse.

Der Nordländer konnte dazu wenigstens nicht nein sagen, aber er hatte es in der Verstellungskunst nicht weit gebracht. Seine Antworten waren rauh und kurz und sein ganzes Benehmen bezeugte, daß es übel in ihm aussah.

Die Verständigung zwischen Paul und Björnarne erfolgte, sobald sich Beide in dem Waarenhause allein befanden. Björnarne faßte leidenschaftlich seines Freundes Arm und sagte mit bittenden, verzweiflungsvollen Blicken: Ich halt' es nicht länger aus; geschehe was da wolle, ich kann es nicht ertragen. Schaffe mir Hülfe, Paul, du bist der Einzige, der helfen kann. Seit den zwei Tagen, wo ihr fort wäret, habe ich erst ganz empfinden lernen, wie elend ich bin. Vom Morgen bis zur Nacht war sie in meiner Nähe, und wie zum Hohn, als ob sie meine Angst kennte, hörte sie nicht auf zu spotten, zu necken und von unserer Zukunft zu erzählen.

Du hättest ihre Zärtlichkeit belohnen sollen, antwortete der Schreiber. Warum befolgst du meinen Rath nicht?

Weil er mir unmöglich ist! rief Björnarne. Es ist Etwas in ihr, ich weiß es nicht; doch mein Herz zieht sich zusammen, wie meine Haut, wenn sie ihre Hand auf mich legt.

Und doch ist es eine feine, zarte Hand, du Thor, lachte Paul. Man kann weit und breit nichts Lieblicheres sehen.

Glaube mir, sagte Björnarne, sie weiß was ich denke, denn sie ist zu klug, um nicht zu sehen, was vorgeht. Aber je düsterer mein Gesicht wird, um so freundlicher ist sie, um so sanfter wird ihre Stimme und ihr Mund fließt von Scherzen und Gelächter über.

Sie will dich zwingen, so glücklich zu sein, wie sie es ist.

Nein, murmelte Björnarne, sie haßt mich, aber sie lügt. Sie kann mich nicht lieben. Wie kann ein Weib lieben, die da weiß, daß sie verachtet wird? Und diese da wurde hierher geschleppt; mein Vater hat sie gezwungen, ihr Vater dazu. Sie kann nicht fort und hat sich 408 in ihr Schicksal ergeben, aber wie ein Wolf sich ergibt, wenn der eiserne Ring um seinen Nacken liegt. Ich habe ihre Augen gesehen, wie sie mich betrachteten und es war mir, als wäre sie eine Hexe, die mein Blut aussaugen wollte. Gestern hielt sie mich bei der Hand fest, als ich es nicht mehr ertragen konnte bei ihr zu sein. Du bist ungeduldig, sagte sie, ich bin es auch. Gib dich zufrieden, mein lieber Freund, was können wir Beide dafür, wenn die Anderen es uns nicht zu Dank machen? Kinder müssen gehorsam sein, aber es steht auch geschrieben, sie müssen ihrer Eltern Sünden tragen. Tragen müssen wir's, du bist Helgestad's Sohn, ich Fandrem's Tochter. Sei so ingrimmig wie du willst, mußt mich auf deine Schulter nehmen, es sei denn, du hättest mehr Muth wie ich glaube.

Nun, das war deutlich gesprochen, lachte Paul. Das heißt, tritt hin und sage offen, ich will dich nicht.

Björnarne schwieg und ließ den Kopf sinken. Ich kann nicht, murmelte er, kann meinem Vater nicht entgegen treten.

Du bist ein zu guter Sohn, antwortete Paul, darum thust du hinter seinem Rücken, was seine Augen beleidigen könnte. Nun, ich will dir helfen, so viel ich kann und damit frische Farbe in dein Jammergesicht steigt, so wisse, daß ich alle Vorbereitungen getroffen habe, um Prinzessin Gula in deine Arme zu liefern.

Die Augen des jungen Helgestad belebten sich bei dieser Zusicherung, sein Vertrauter aber legte die Hand auf seinen Arm und sagte warnend: Kein Wort, keine Silbe, wenn nicht Alles schief gehen soll. Ueberlaß die ganze Sache meiner Sorge, ich nehme Alles auf mich. Wo das Mädchen steckt, weiß ich jetzt, Olaf weiß es und Egede soll uns suchen helfen. Ich habe mit deinem Vater von einer Jagdpartie nach dem Kilpis gesprochen, um Afraja zu suchen. Die wilden Rennthiere sind jetzt fett, die Bären auch, Afraja ist noch fetter, das heißt an Schätzen, denn Fleisch hat der alte Schuft nicht ein Loth. Gedulde dich noch zwei Wochen, etwa dann brechen wir auf, was wir fangen, ist unsere Sache. Auf dem Wege sage ich dir Alles. Sprich mit Niemanden, aber halte dich bereit. Was dein Vater sagt, damit sei einverstanden und vertraue deinem treuen Paul.

Als er allein war, dachte Paul eine Minute lang nach und sagte dann: So muß es gethan werden. Wenn ich dem Tölpel nicht 409 helfe, so geschieht Nichts. Bei aller Noth und aller Abneigung wagt er doch nicht, sich Helgestad's Willen zu widersetzen. In den Fjord springt er auch nicht, fortlaufen wird er nicht, das Ende vom Lied würde somit sein, daß er das hochmüthige Püppchen nähme und das soll er nicht. Er soll das elende Gewürm haben, bis zuletzt – hier hielt er inne und flüsterte in sich hinein: bis zuletzt Alles in meine Hände fällt.

Der Gaard war nun voller Regsamkeit des nahen Marktes wegen. Die Waarenvorräthe wurden untersucht und allerlei kleine Reisen in die Nachbarschaft unternommen, um mit anderen Kaufleuten Verabredungen wegen der Preise zu nehmen, Tauschgeschäfte zu schließen und Vortheile vielleicht schon im Voraus zu sichern. Helgestad hatte ungeheure Massen Mehl und Lebensmittel in Bergen gekauft, welche er jetzt theilweise mit beträchtlichem Gewinn für Hanf und Eisenwaaren losschlug, die er brauchen konnte; so kam er denn vergnügt von den kleineren Handelsstellen zurück, die ihm tributpflichtig waren, weil er sie für den Markt unterstützte und die Procente dafür festsetzte. Nach und nach wurden die Waaren ausgewählt, welche nach Lyngen hinübergeschafft werden sollten, Boote beladen und das Kirchenhaus des Kaufmanns mit den verschiedensten Dingen gefüllt, die am Sorgfältigsten behandelt und vor Nässe geschützt werden mußten. Dann kam eine Yacht an die Reihe, welche alle gröberen Gegenstände enthielt. So vergingen die Wochen voller Arbeit.

Inzwischen reiste der Schreiber nach Tromsöe und kehrte von dort zurück. Olaf hatte ihn begleitet und Helgestad wie alle seine Hausgenossen glaubten, daß er sich entfernt habe, um nicht wieder zu kommen; allein Paul Petersen wußte eben so gut Mittel ihn mit sich zu nehmen, wie ihn wieder zu bringen. Olaf war weiches Wachs in seiner Hand geworden, das er knetete und formte wie es ihm beliebte. Er mischte sein eifersüchtiges Mißfallen mit den dringenden Bitten, die den Nordländer bald bestimmten mit ihm zu reisen; in Tromsöe aber stellte er ihm mit vieler Herzlichkeit vor, wie traurig Ilda sein würde, wenn er jetzt den Lyngenfjord verlasse, und daß es nicht schicklich sei, vor der Hochzeit heimzukehren.

Ich weiß, guter Olaf, sagte er dann, welche Wünsche du gehegt hast und bei Gottes Thron! wenn ich es nicht selbst wäre, ich gönnte 410 sie dir am Liebsten. Ich weiß auch was ich weiß, fügte er dann mit einem langen Blick hinzu, aber ich kann es nicht ändern. Du kennst Helgestad, weißt was geschehen ist. Möglich, daß Ilda anders wählen würde, ich mag es nicht läugnen; die Verhältnisse haben es aber so bestimmt und kein Freund soll uns darum verloren gehen.

So kehrte Olaf zurück und es war ihm lieb, denn seine Sehnsucht zog ihn nach keinem andern Ort in der Welt. Bei der Rückreise aber wandte Paul jede mögliche Art von Schmeichelei an, um alles Mißtrauen aus dem ehrlichen Gemüth vollends herauszubringen.

In einem Punkte stimmten sie Beide überein, in dem Hasse gegen Marstrand, und hierauf gestützt baute der Schreiber seinen Plan, Olaf's Hülfe für sein nahes Unternehmen zu erhalten. Nachdem er ihn gehörig bearbeitet hatte, sagte er ihm, was er sich ausgesonnen. – Ich will dir mittheilen, begann er, wie ich den übermüthigen Junker in seinen eigenen Schlingen fangen und züchtigen will. Du weißt, wie es die Lappen jetzt machen, kein Mensch ist mehr seines Lebens sicher, wenn er sein Haus verläßt; du selbst hast ihre Frechheit kennen gelernt.

Der Hund Mortuno soll's nicht umsonst gethan haben! rief Olaf, der immer gereizt wurde, wenn man ihn an seine Abenteuer erinnerte.

Ich denke, du sollst ihn haben, fuhr Paul fort, aber mehr als das, du sollst dich auch an seinem Helfershelfer Marstrand rächen, ohne den der elende Bursche nimmermehr dich beleidigt hätte. Marstrand steckt mit Afraja unter einer Decke und alle Schandthaten, die das alte Scheusal ausheckt, werden von ihm unterstützt. Ich habe ihn sagen hören, daß er sich nicht wundere, wenn die Lappen von Verzweiflung getrieben, sich selbst Recht zu verschaffen suchten. Diese Zustände müßten ein Ende nehmen, Schutz müsse den Unterdrückten werden.

Will er sich etwa an ihre Spitze stellen? fragte Olaf.

Bah! antwortete der Schreiber, so unsinnig dumm ist er nicht. Aber erinnere dich, was ich sagte, als ich ihn zuerst sah. Prinzessin Gula will er nehmen, nach Kopenhagen mit ihr gehen, dort Himmel und Erde in Bewegung setzen und ich weiß, was man allda mit Geld machen kann. Ich sage dir, laß Afraja sein Schiff mit Silber 411 bepacken und du sollst sehen, wie die Raubvögel angezogen kommen, um über uns herzufallen.

Olaf sah ihn ungläubig an. Paul Petersen aber sagte im ernsten Tone: Afraja besitzt ungeheure Schätze, er besitzt sie wirklich. Theils hat er Reichthümer an gemünztem Geld, was seine Vorväter und er gesammelt haben, theils aber, und das will weit mehr bedeuten, gibt es Silberminen da oben in der Wüste, die Niemand kennt, als er allein. Was ich dir sage, weiß ich von Männern, denen man Glauben schenken muß; Afraja's eigene Leute erzählen davon die seltsamsten Geschichten.

Olaf war Normann genug, um eine plötzliche Gier nach dem Silber zu empfinden, die sich in seinem Gesicht ausdrückte.

Du siehst, mein Junge, rief Paul, ihm auf die Schulter klopfend, daß wir den alten Burschen haben müssen, wenn wir ihm seine Geheimnisse abfragen wollen. Dazu ist das beste Mittel, Gula einzufangen; dann kommt er und liefert sich selbst an's Messer. Zugleich zerstören wir alle Pläne des edlen Junkers und werden auch mit ihm fertig. Darum hinauf in die Kilpisjauren, dort sitzt sie. Du mußt uns führen, sollst uns das Thal zeigen, wo dich Mortuno fand und sollst einen Hauptspaß erleben!

Das Uebereinkommen zwischen den beiden jungen Männern wurde bald zum Abschluß gebracht. Olaf sagte seinen Beistand zu. Tapfer und abenteuerlustig war es ihm recht, den alten Hexenmeister zu jagen, oder Gula zu entführen und in Helgestad's Gewalt zurück zu liefern, Paul dagegen gab ihm zu verstehen, daß Afraja's Schätze redlich getheilt werden sollten und legte ihm zuletzt das tiefste Schweigen auf, um vor allem Verrath sicher zu sein.

So kamen sie an den Lyngenfjord zurück mitten in die Geschäftigkeit des Gaards und Helgestad war wohl damit zufrieden, denn Olaf s starke Arme konnten bei der Arbeit gebraucht werden und Paul's Kopf und Rechenkunst waren für guten Rath in der Schreibstube von vielem Nutzen.

Nun, sagte er, als er mit Niels allein war und ihm einen Bericht über seine Reise gemacht hatte, es steht, wie Ihr seht, Alles gut in Tromsöe, Schwiegerpapa. Mein Onkel hat mir sein halbes Haus 412 abgetreten und lange kann es nicht dauern, so wird er mir das ganze überlassen.

Meinst also bald sein Nachfolger zu werden? fragte Helgestad.

Der Schreiber lächelte. – Er fühlt es häufig selbst, daß er alt wird. Wohne ich erst mit meiner jungen Frau bei ihm, so kann ich alle Geschäfte wieder auf meine Schultern nehmen, wie ich es sonst schon gethan habe. In Trondhjem aber sowohl, wie in Kopenhagen weiß man, daß ich die Verwaltung leite, und wenn ich recht berichtet bin, wird die neue Organisation, zu der ich nach Aufforderung der Regierung einen Plan eingesandt habe, mich nicht unberücksichtigt lassen.

Nuh, sagte Helgestad, willst Amtmann werden, ist mir angenehm, das zu denken. Kann es der Hand, die arbeitet, nicht verdenken, wenn sie den Lohn fordert, der ihr zukommt. Wirst für deinen Onkel Sorge tragen.

So viel ich immer vermag, antwortete Paul. Im Uebrigen wißt Ihr ja, daß mein Oheim genug besitzt, um täglich so viel Toddy Punsch und Genever zu trinken, wie irgend hineingeht.

Helgestad nickte, lange lachten die beiden Männer und ihre schlauen Augen begegneten sich. Und nun, fuhr Petersen fort, können wir morgen oder übermorgen auch unsere Jagdpartie nach dem Kilpis beginnen. Ich habe Alles wohl vorbereitet; für Afraja ist gesorgt, er wird uns in's Garn laufen, um das Wie? bekümmert Euch vor der Hand nicht.

Bin zufrieden, wenn du dich seiner annimmst, grinste Helgestad. Werde schweigen und warten.

Der Schreiber strich durch sein rothes Haar und fuhr dann lächelnd fort: Noch ein anderes Geschäft ist zwischen uns abzumachen. Die Sitte bringt es einmal so mit sich, daß, wenn ein Mann heirathet, er auch nach der Mitgift fragen muß. Daß Niels Helgestad dafür gesorgt hat, ist nicht zu bezweifeln, doch festgestellt ist bis jetzt Nichts.

Ist recht, antwortete Niels, würde es eben so machen, aber sieh hier. Er zog einen Kasten auf und zeigte ihm dessen silbernen Inhalt. Sind zehntausend Speciesthaler darin, sagte er, nimmst sie mit nach Tromsöe in dein Haus, gebe aber, so lange ich lebe, zweitausend 413 jährlich in deine Wirthschaft und wenn es Gottes Wille ist mich abzurufen, wird Ilda reichlichen Theil an meinem Erbe finden.

Ich hoffe, sagte Paul, Ihr habt darüber feste Bestimmungen getroffen, da des Menschen Ende ungewiß ist?

Hab's getroffen und kannst einen Blick darauf thun, erwiderte Helgestad, indem er ein anderes Fach öffnete und eine Schrift herausnahm. Paul sah hinein. Sein Schwiegervater deutete auf mehre Stellen und sagte dann: Denke wirst zufrieden sein?

Ich bin zufrieden, war die Antwort, nur in einem Punkte möchte ich etwas einwenden. Ihr habt allerlei Grundbesitz an Ilda vererbt, Loppen nicht. Laßt die Insel auf uns übergehen.

Helgestad schüttelte grämlich den Kopf. Ist schwer erworbenes Gut, sagte er, soll bei meines Namens Erben bleiben.

Aber wenn ich Euch bitte, Schwiegervater, lachte Paul. Loppen ist eine rauhe Klippe. Vermindern sich die Vögel, ist sie gar nichts werth. Nehmt Anderes zurück, gebt mir den Felsen und bedenkt dabei, er wäre nimmer an Euch gekommen, wenn wir nicht geholfen hätten.

Helgestad wurde unmuthig. Kommst mir vor, sagte er, wie ein Wal, der vor einem Häringsschwarm liegt. Je mehr ihm in den offenen Rachen laufen, um so weiter sperrt er ihn auf und scheint doch nimmer satt zu werden. Hast deiner Hülfe bei dem Streit um Loppen überhaupt zu danken, daß Ilda dein ist.

Und damit meint Ihr, sei ich hinlänglich belohnt, rief Paul belustigt. Ich denke, die Ehre, mich zum Schwiegersohn zu haben, ist wenigstens für Euch eben so groß. Laßt uns aufrichtig sein und ohne alle Erhitzung sprechen. Ihr habt Unglück mit Euren Kindern, Niels, denn Ihr verheirathet sie zwar nach Euren klugen Berechnungen, aber gegen die Stimme in ihren Herzen. Bah! fuhr er fort, als er Helgestad's finsteres Gesicht sah, ich tadle Euch nicht, Ihr calculirt wie ein erfahrener Mann, dessentwegen bleibt nicht minder wahr, was ich sagte. Ich weiß, daß ich durch mancherlei Eigenschaften nicht im Stande bin Ilda's besonderes Wohlgefallen zu erregen. Das ist ein Schicksal, das mancher Mann mit mir bei seiner Frau theilt. Gut, ich muß es tragen und sehe im Voraus, meine Ehe wird keine besonders zärtliche sein.

414 Meinst, Ilda bringt Noth über dich? fragte der Schwiegervater gereizt. Kannst es lassen, da es noch Zeit ist.

Ihr seid im Irrthum, Helgestad, antwortete Paul lächelnd, die Zeit ist vorbei, Niemand kann zurück, weder Ihr noch ich. Ihr braucht mich, ich brauche Euch, Ilda und diese Heirath sind das Mittel uns zu verbinden. Ich frage den Henker danach, ob dieser dänische Junker sich in Ilda's Herz eingenistet hat, weiß ich doch sie wird als meine Frau gehorsam ihre Pflichten erfüllen, aber daß Ihr sie glücklich macht, fügte er mit einem Blick voll Hohn hinzu, das bildet Euch nicht ein, mein lieber Papa.

Helgestad antwortete nicht, er beugte sich vor der Ueberlegenheit des Schreibers.

Denke doch nicht, alter Papa, fuhr dieser lachend fort, daß du mit Björnarne einen besseren Faden spinnst, im Gegentheil, er kann dir den Hals zuschnüren. Björnarne fühlt den tiefsten Widerwillen gegen die Braut, die du ihm aufgedrungen hast und ist nicht so klug wie ich, seinen Verstand allein zu Rathe zu ziehen. Sieh dich vor, Vater Niels, dein Sohn ist von anderem Stoffe, wie du und ich, er hat wenig Gehirn aber viel Blut, und damit dir nicht etwa der Trost bleibt, du könntest doch einen glücklichen Menschen machen, so gib dich auch nicht dem Wahne hin, Hannah Fandrem könnte dir dankbar sein. Sie haßt und verachtet Björnarnen ebenso wie er sie, aber sie ist schlauer wie ihr Alle, sie weiß zu heucheln und sich darüber zu freuen.

Bist ein Teufel, Paul! murmelte Helgestad. Kannst du beweisen was du sagst?

Beweisen? Denkt nach, so beweist sich die Sache von selbst. Er tippte auf Helgestad's Brust und sagte spottend: Du bist so klug, calculirst bis auf den Grund und hast doch da innen noch immer etwas was dir Blendwerk vormacht. Ich will dir sagen, wie das zugeht. Du hast dem Mädchen mit deiner blutigen Faust die Liebe aus dem Herzen gerissen, hast ihr genommen, was ihres Lebens Seligkeit war und möchtest nun gar zu gerne ihr dafür eine andere geben, die nach deinem Geschmack ist, so dein Gewissen möglichst heilen und wahre Liebe erwerben wo du Haß säetest. Frage dich aufrichtig, ob das möglich ist! Sie haßt dich und verabscheut dich, es kann nicht 415 anders sein. Täusche dich also nicht selbst, ich warne dich nochmals. Er hielt einen Augenblick inne, – streckte seine Hand aus, und sagte leise: Wollt Ihr mir Loppen geben, so will ich thun was ich kann, um Euch beizustehen, alles Unglück abzuwenden.

Nichts will ich geben! rief Helgestad die Hand zurückstoßend. Behalte deine Weisheit für Andere, denke kennen uns Beide, wollte aber – er hob den Arm wie zu einem Schwure auf und sein Auge stierte den Schreiber wild an.

Halt! sagte dieser, begeht keine Thorheit, wir kommen doch nicht von einander los. Ueberlegt und laßt uns friedlich beisammenstehen, mögen wir auch sonst uns fürchten oder wenn Ihr wollt hassen. Kluge Leute wissen Freunde zu sein und sich zu hüten. Behaltet Loppen, ich sage nichts mehr. Morgen brechen wir zu unserer Jagd auf; wir werden sehen, was wir fangen können. Und nun zieht Eure Stirne glatt und laßt mich wissen, was ich vielleicht in Euren Rechenbüchern noch helfen und rathen kann.

Während dies auf der einen Seite des Hauses vorging, hatte auf der anderen Seite Ilda mit Olaf ein einsames Gespräch gehalten. – Die Jungfrau saß und nähte am Hochzeitslinnen, als ihr Verehrer hereintrat, ihr die Hand bot und sich zu ihr setzte.

Du wunderst dich, sagte er nach den ersten Anfängen eines Gespräches, als dies stockte, daß ich mit Paul Petersen zurückgekommen bin?

Ich wundere mich nicht darüber, erwiderte sie, aber ich freue mich, denn ich meinte beinahe, du könntest uns ohne Abschied verlassen.

Olaf schwieg. Wenn ich dich verlassen könnte, murmelte er endlich vor sich hin, müßte es längst geschehen sein. Hast du von der Geschichte gehört, die einmal in alter Zeit passirt ist, als Hakon Jarl Herrscher in Trondhjem war? Er hatte eine Geliebte, Thora wurde sie genannt, die verstieß er um eines andern Weibes Gunst. Thora aber ließ nicht von ihm. Demüthig saß sie an seiner Schwelle, der wilde Jarl jagte sie fort, doch immer kam sie wieder. Ich will nichts als dein Angesicht sehen, sagte sie, Gottes Segen über dich, wenn ich das darf. Und als Alle den schrecklichen Mann verließen, da war es Thora, die ihn verbarg; als hundert Schwerter ihr den Tod drohten, 416 wenn sie nicht bekenne wo er sei, und Olaf Trygveson ihr Gold versprach, so viel sie tragen möge, blieb sie standhaft und wählte den Tod.

Mein treuer lieber Olaf, sagte Ilda seine Hand drückend. O! laß nicht ab mein Freund zu sein.

In allen Nöthen, antwortete er. Ich bin ein Mann, weiß was ich muß. Ich gönne auch Paul Petersen sein Glück, hoffe er wird sich würdig zeigen. Wo aber dir ein Leid droht, komme es woher es wolle, da laß mich bei dir stehen, lege was dich plagt auf mich.

Ilda versprach es ihm und nach einiger Zeit lenkte sie das Gespräch auf Marstrand. Ich habe gehört, sagte sie, daß du von ihm in Unfrieden geschieden bist, das bekümmert mich, Olaf. Was hat er dir gethan, daß du so voller Zorn sein Haus verlassen konntest?

Der Nordländer wußte Anfangs keine passende Antwort. Er richtete die Augen auf die Dielen, plötzlich aber hob er sie wieder auf und sagte heftig: Mich hat er verrathen, der falsche Däne! Verrathen und verspottet, dir aber hat er noch viel mehr gethan. Laß ihn seine Zunge wahren, mein Messer könnte sie ihm ausschneiden.

Und was, Olaf, was hat seine Zunge mir so Schreckliches gethan?

Er hat dich verläumdet, antwortete er, hat mit giftiger eitler Thorheit von dir gesprochen.

That er das? flüsterte sie, indem ihre Arbeit ihr in den Schooß fiel und ihre Hände sich falteten. Was sagte er von mir?

Daß du ihn liebtest – ihn, keinen Anderen, ihn allein! sprach Olaf zornvoll, und daß er dich liebt ohne Aufhören, bis in alle Ewigkeit! Er sah sie an und hielt inne.

Ein sonderbares Lächeln war in ihren Zügen. Ihr Gesicht war bleich, aber wie verklärt sah es aus und aus den weit geöffneten Augen rollten große Thränen.

Eine Minute lang starrte Olaf dies seltsame Beginnen an. Dann kam ihm Etwas in den Sinn, was sein Blut in Aufruhr brachte und sein Herz zusammenzog. Er sprang auf, seine Lippen zitterten. Er wollte eine Frage thun, aber sie kam nicht heraus. Plötzlich stieß er den Stuhl von sich, daß dieser umstürzte und rasch war er aus der Thür.

Am nächsten Morgen verließ die Jagdpartie den Gaard. Paul Petersen, Olaf und Björnarne wohl bewaffnet, der Quäner Egede 417 mit seinem Hunde, auch zwei Packpferde, die allerlei Vorräthe für mehrere Tage trugen.


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