Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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15.

Helgestad's Rückkehr aus Bergen brachte den Gaard in Bewegung. Die Freude war groß, als der alte Speculant an's Land sprang und von Kindern und Freunden empfangen wurde. Rüstiger und kräftiger hatte er niemals ausgesehen. In seinem Gesicht war seine Zufriedenheit ausgedrückt, denn er brachte seine reich beladene Yacht heim, hinter ihm lagen glücklich abgemachte, gewinnreiche Geschäfte und vor ihm eine Zukunft, die Alles erfüllte, was er calculirt hatte.

Er umarmte Einen nach dem Andern, sogar Hornemann war nicht davon ausgeschlossen. – Ist Gottes Wink, daß Ihr hier seid, Klaus, schrie er lustig auf, sollt mir nicht eher aus dem Hause, bis Euer Werk an Denen vollbracht ist, die einen Priester nöthiger haben wie das tägliche Brod. Alles abgemacht, Hannah. Bringe deinen Taufschein mit mir, Mädchen, und ein dickes Attest von Niels Fandrem, daß die Hochzeit am Lyngenfjord vor sich gehen soll. Hatte ihn auch beinahe herum, mit mir zu fahren, aber dein Bruder Christi reist im Lande umher auf große Holzkäufe. Läßt sich von Tag zu Tag erwarten, konnte der alte Niels deswegen nicht aus seiner Klause auf der deutschen Brücke kriechen. Nun, müssen sehen, wie wir fertig werden ohne ihn. Sage ja. Ist's nicht so? Habt darum die Freude doppelt zu erwarten; denn ist mein Wort ein Wort. Sollst nach Bergen fahren, wenn Alles hier vorüber ist; Björnarne mit dir, und soll eine Nachfeier da gehalten werden, wie Niels geschworen hat, daß Bergen ein Jahr davon redet.

344 Er schlug seinem Sohn auf die Schulter und grinste ihn an. – Gefällt dir die Sache, Björnarne? He, du Fant! siehst gerade aus, der Nase nach, wie ein Dorsch, der in den Westfjord schwimmt und sein Weibchen wittert. Bist blaß geworden und mager, mein Junge; hast Ringe um die Augen, sind Sehnsuchtsringe, du Taugenichts. Ist dir die Zeit lang geworden. Haha! Denke, ja! Ist's nicht so?

Björnarne lachte und faßte Hannah's Hand. Es steht gut mit uns, Vater, sagte er, denke, die längste Zeit soll vorüber sein.

Nuh! rief Helgestad, Zeiten gehen und Zeiten kommen, ist der am Weisesten, dem keine Zeit was anhaben kann. Sieh deine Schwester an, Björnarne, ist ein Musterbild für Alle. Nirgend zu viel und nirgend zu wenig, weder heute blaß noch morgen roth, weder traurig noch übermüthig, aber immer sorgsam und immer verständig. Während wir schwatzen und müßig stehen, hat sie Augen und Hände überall. Läßt Paul Petersen für sich sorgen und schafft uns Allen Speise und Trank.

Er setzte sich behaglich in den großen Lederstuhl, mischte sein Glas und ließ sich erzählen und erzählte, sprach mit Allen und hatte für Alle ein lustiges Wort, nur mit Marstrand mochte er kein genaueres Gespräch anknüpfen. Er begnügte sich mit allgemeinen Fragen, hörte kopfnickend, daß Olaf am Balsfjord sei und nahm die Versicherung des dänischen Herrn wohlgefällig auf, daß mit aller Kraft und allem Fleiß an dem Gedeihen seines Werkes gearbeitet werde.

Bis tief am Abend blieb die Familie froh beisammen, aber am andern Morgen hielt es Marstrand für Zeit, die erste Gelegenheit zu benutzen, um Helgestad mit seinen Forderungen bekannt zu machen. Der Kaufmann war schon früh aufgewesen und hatte seine gewohnte Thätigkeit begonnen. In seiner kleinen Stube am Kramladen war er seit dem Morgengrauen beschäftigt, alle Bücher durchzustöbern, um sich von seinen Geschäften zu überzeugen; dann hatte er seine Waarenbestände durchmustert, hierauf seinen Meyer aus Loppen rufen lassen und ein langes Gespräch mit ihm gehalten, und als Marstrand aufwachte, sah er ihn schon bei der Yacht mit zwanzig Leuten beschäftigt, um an den Rockentauen der großen Raa die Ballen und Kisten aus dem Raum zu hissen.

345 Es waren so viele Geschäfte und Arbeiten mit Helgestad gekommen, daß der stille Gaard ein ganz anderes Kleid angezogen hatte. Da war nicht mehr die Rede davon, in dem Gärtchen zu sitzen, um behaglich zu lesen und zu plaudern. Alles was Hände hatte, fand auch Thätigkeit dafür; Helgestad konnte Niemand müßig sehen und seine Gegenwart schien ganz von selbst Jedermann zu treiben, frisch an's Werk zu gehen und nicht zu rasten. Ein Blick seiner langen, scharfen Augen, oder ein Grinsen seines lederharten Gesichtes reichten hin, alle lässige Gedanken auszutreiben.

So geschah es denn, daß der Mittag kam und der Abend heranrückte, ohne daß Marstrand im Stande gewesen wäre, sein Anliegen vorzubringen. Helgestad war auch bei weitem nicht mehr so heiter gestimmt, wie bei seiner Ankunft, und zuweilen kam es seinem Gaste vor, als ruhten seine Blicke mit einem durchbohrenden Ausdrucke auf ihm. Ein ängstliches Gefühl ergriff dann den jungen Mann, das er vergebens ganz zu bewältigen suchte, denn sein Gewissen flüsterte ihm allerlei Vorwürfe zu, die er nicht ganz von sich abweisen konnte. Er erinnerte sich auch immer wieder, daß Helgestad ihn ganz in Händen habe und als er endlich am Abend zögernd und doch getrieben von der Nothwendigkeit den Entschluß faßte, den Kaufmann in seiner Rechenstube zu überfallen, wurde er noch bestürzter, als er Paul Petersen bei ihm fand. Er öffnete die angelehnte Thür ein wenig und blieb stehen, indem er nicht wußte, wofür er sich entscheiden sollte. Auf dem alten Schreibtisch lehnte Helgestad zwischen allerlei Papieren und Geräthschaften und vor ihm stand Paul, der eben ein helles Gelächter ausschlug. – Ihr wollt es nicht glauben, sagte er, aber es ist so; ich sage Euch, dieser Narr muß fortgeschafft werden. Macht es so, wie ich Euch rieth, und Alles wird glatt und gut in kurzer Zeit abgemacht sein.

Nuh, brummte Helgestad, wollen's bedenken, und indem er seinen Kopf seitwärts wandte, entdeckte er den Junker zwischen der Thür. – Kommt herein, Herr, kommt herein! rief er, stört uns nicht; bin bereit, meinen Faden mit Euch zu spinnen. Schlage die Bücher zusammen, Paul, und suche dein Schätzchen. Wird dich Ilda lange schon erwarten. Ist eine eigene Sache um verliebte Leute, Herr Marstrand, sehen Alles doppelt. Ist eine sonderbare Welt, die Welt der 346 Verliebten, wird der Pfiffigste zuweilen dumm darin, und fürchtet sich der Klügste vor seinem eignen Schatten.

Geschieht es nicht oft so, antwortete Johann lächelnd, daß ohne verliebt zu sein, die Klügsten sich verrechnen?

Helgestad schlug mit der Faust auf das Handelsbuch, daß der Staub herausflog. Ist falsch, was Ihr sagt! rief er aus. Wer ordentlich rechnet, kann sich nicht verrechnen. Wer es thut, hat kein Recht darauf, klug zu heißen. Ist mit der Liebe allein ein seltsam Ding. Sie verwirrt das festeste Gehirn, schüttet flüssiges Feuer hinein, das den ganzen Kasten ausbrennt.

Paul war während dieser Zeit hinausgegangen und Helgestad sah ihm mit einem spitzbübischen Augenzwinken nach, indem er seinen Finger über die Nase zog. Wißt Ihr, was Eifersucht heißt, Herr Marstrand? fragte er sich zu ihm beugend.

Nein, sagte der junge Mann, ich kenne diese Leidenschaft nicht, die meines Erachtens nichts ist, als ein selbstsüchtiger Neid.

Nuh! rief Helgestad, ist wiederum ein richtiges Wort aus Eurem Munde. So ein eifersüchtiger Bursch wittert überall einen Neider und sagt ihm Schlimmes nach. Wann wollt Ihr an den Balsfjord zurück?

Ich denke morgen, wenn ich kann.

Helgestad unterbrach ihn. Seid Zeuge gewesen, was richtiges Rechnen heißt, fuhr er fort. Hat mehr wie Einer gesagt, ist kein Paar, wie es sein soll, Hannah Fandrem und Björnarne und seht da, wie sie nun einig beisammen stehen; wie er dem Mädchen nachläuft und ihr die Spindel trägt! Gesteht mir zu, Herr Marstrand, habt es selbst nicht geglaubt, habt den Kopf darüber geschüttelt.

Ich möchte es noch thun, murmelte dieser vor sich hin.

Nuh! rief Helgestad, kenne die Weiber besser wie Ihr. War da in Bergen ein junger Herr, weiß nichts von ihm und will nichts wissen, wäre aber ein helles Unglück gewesen, wenn Fandrem mir das Mädchen nicht mitgegeben hätte. Schande kommt über ein Haus, wie eine Wolke am Mittag, aber sie geht vorüber, wenn man den rechten Wind ruft. Ist Alles vorübergegangen, Kummer und Traurigkeit; springt Hannah lachend am Lyngenfjord umher und in Bergen weiß Niemand davon, wo der Gelbschnabel hingekommen ist, der sich auf 347 Fandrem's Dach setzte. – Er lachte, indem er Marstrand mit Blicken voll Hohn ansah, als wolle er bis in seine Seele schauen.

Herr Helgestad, sagte der junge Mann düster, indem er sein Auge zu dem falschen Gesicht aufhob, rufen Sie die Rache der Todten nicht aus ihrem Grabe, daß sie die Gewissen der Lebendigen wach schreit.

Ist es Euer Gewissen, Herr, das sich rührt? fragte der Kaufmann, oder was meint Ihr damit? – Bin der Mann, der zu seinen Thaten steht. Seht mich an mit Blicken wie Messer, ist aber kein Fleisch hier, worin sie schneiden könnten. Hoho, Herr Marstrand, bin darauf gefaßt von Euch zu hören, was mir nicht gefällt, obwohl ich meinen sollte, hättet Ursach' mit mir zufrieden zu sein.

Es kam Marstrand vor, als suchte sein bisheriger Gönner einen Streit anzufangen, auf den er aus vielerlei Gründen nicht eingehen mochte. Er bezwang seinen Unmuth und sein finsteres Gesicht und sagte mit überlegener Ruhe: Es fällt mir nicht ein, mit Ihnen zu rechten. Sie haben mir des Guten so viel erzeigt, daß ich es niemals mit Bösem vergelten könnte, selbst wenn ich es vermöchte. Wenn Hannah Fandrem fröhlich auf den Hochzeitstag wartet, so ist das ihre Sache.

Ei ja, brummte Helgestad, Ihr habt nichts dazu gethan.

Nein, erwiderte der Junker stolz, und niemals würde ich etwas dazu thun, denn ein gutes Werk wird nicht ausgeführt mit einer blutigen Hand.

Helgestad streckte seinen gelben harten Finger aus und grinste ihn an, ohne ein Wort zu sagen.

Seht Euch vor, Herr, fuhr Johann mit gedämpfter Stimme fort. Glaubt Ihr, ein Mädchen wie dieses könnte so leichten Sinnes sein? Ihr prahlt mit Euerm Glück, es kann an einem Tage zerbrochen werden. Ihr pocht auf Eure kluge Rechenkunst, sie kann zu Schanden kommen, wenn Ihr es am Wenigsten denkt. Ich sehe einen Schatten neben Euch, einen schwarzen Schatten, und wird Euer Herz nicht kalt von der Hand, die darauf liegt, könnt Ihr immer ruhig schlafen, wenn die Nacht schwarz ist und der Wind heult?

Helgestad hatte einen halbscheuen Blick zur Seite geworfen, dann aber stand er von seinem Platz auf und nickte mit seiner gewohnten 348 pfiffigen Sicherheit. – Laßt es gut sein, sprach er, kümmere sich Jeder um das, was ihn angeht. Ich habe ein langes Leben gelebt, Herr Marstrand, und denke, noch ein gutes Stück darin auszuhalten. Niemand kann sagen, daß Niels Helgestad jemals gethan hätte, was ihn gereut. Wünsche Euch das von meiner Seite, Herr, und will's glauben. Seid hierher gekommen in mein Haus, als ein blinder Mann, wünsche, daß Eure Augen den richtigen Weg finden. Sorgt nicht um mich, sorgt für Euch selbst. Ist meine Sache nicht, zu warnen und leichtsinnig in den Wind zu schlagen, muß Jedermann zusehen, wie sein Dach dicht wird. – Denkt wie Ihr wollt von mir, wird mein Fuß darum nicht wanken, der Hut nicht von meinem Kopf fallen, aber seht Euch vor und hütet Euch vor übler Nachrede. – Ilda, fuhr er mit scharfem Nachdruck fort, ist eine Jungfrau, die anders von Gott geschaffen ist und in anderer Zucht und Ehre wandelt, wie eine halb heidnisch verkrüppelte Dirne. In wenigen Tagen wird sie nach Tromsöe ziehen in ihres Mannes Haus und hier in Oerenäesgaard wird Hannah bei Björnarne wohnen. Wird eine frohe doppelte Hochzeit sein, Herr Marstrand, hoffe, sollt tanzen darauf und nun setzt Euch und sagt mir, was Ihr wollt und womit ich Euch helfen und dienen kann.

Marstrand folgte dieser Einladung. Helgestad's Andeutungen hatte er wohl verstanden, er konnte sich denken, was Paul von ihm berichtet hatte und jetzt mochte er weder läugnen noch die Wahrheit sagen. Er erzählte ausführlich, wie es am Balsfjord stand, rühmte seinen Fleiß und den Erfolg, konnte aber nicht verschweigen, daß sein Geld auf die Neige gehe und daß seine Vorräthe einer mächtigen Verstärkung bedurften.

Helgestad hörte ohne Einwand oder Vorwurf zu. Es schien ihm sogar Freude zu machen, als er fand, daß die Sägemühle im Bau sei, der schwierige Weg beinahe fertig stehe und zu einer gewaltigen Holzrutsche alle Vorbereitungen getroffen würden, mittelst welcher die größten Stämme von der Höhe der schroffen Felsränder bis an den Strom geleitet werden sollten.

Nuh, rief er endlich, kann's mir denken, wie sie die Mäuler aufsperren und in die Fäuste schlagen. Habe allerlei davon vernommen, will aber das Wunder selbst sehen und an den Balsfjord 349 kommen, sobald ich in den nächsten Tagen mit meinen Arbeiten hier fertig bin. – Calculire ist keine leichte Sache; habe Euch aber immer für einen Kopf gehalten, der auch ein schweres Ding in Ordnung zu bringen weiß. – Mit einem genugthuenden Grinsen reichte er ihm die Hand, die er schüttelte und fuhr dann bedächtig fort: Müssen es überlegen und wollen es thun, wenn wir am Balsfjord sind. Kommt jetzt und laßt uns einen frohen Abend halten, damit Ihr morgen gestärkt über das hohe Fjeld kommt, wo die Lappen schon ihre fetten Thiere sondern, Felle und Hörner sammeln und Komager und Decken machen, um auf dem Markte an der Lyngenkirche mit gefüllten Säcken herunter zu kommen. – Werdet doch auch den Markt beziehen? fragte er dann.

Ich glaube nicht, sagte Marstrand.

Glaubt es nicht? rief Helgestad. Ist der Lyngenherbstmarkt der größte von Allen. Bringt blankes Geld ein und im Tausch viele Häute, Federn, Hörner sammt Rennthierfleisch für den Winter, Bärenschinken und andere Leckerbissen. Ist kein Kaufmann weit und breit, der davon fort bleiben möchte.

Aber Ihr wißt meine Geschäfte, erwiderte der junge Gaardherr verlegen, und überdies sind meine Waaren, da ich ganz allein bin wenig noch geordnet.

Nuh, sagte Helgestad kopfschüttelnd, muß seltsam damit aussehen, ist Ordnung mehr werth, wie Brod. Dürft den Markt nicht versäumen, kann in vier Wochen noch Manches geschehen. Fragt den Priester, fuhr er zum Fenster hinausblickend fort, er wird Euch dasselbe sagen, oder den dickhaarigen Quäner dort, der mit ihm kommt, er wird um keinen Preis eher nach Loppen wollen, ehe er nicht auf dem Lyngenmarkt seinen letzten Pfennig verthan hat. – Kommen dahin die Männer und Weiber bis von den Außeninseln und lassen Alles da, was sie das ganze Jahr gespart haben.

So fuhr er fort mit Marstrand zu plaudern, und wenn dieser auf seine Niederlassung und was er eigentlich bezweckte, zurückkommen wollte, lenkte er das Gespräch immer wieder auf andere Dinge, indem er kurzweg wiederholte, daß er selbst kommen, selbst sehen und helfen werde. Das Beste was der junge Ansiedler erfuhr, war eine genaue Schilderung des diesmaligen Fischmarktes in Bergen und die 350 Gewißheit, daß er sehr wohl gethan habe nicht sofort zu verkaufen. Der Preis war bis über vier Species hinaufgegangen und Fandrem hatte in seinen Büchern eine hübsche Summe auf Marstrand's Conto abgeschrieben.

Ist ein glückliches Jahr! rief Helgestad, habt es erprobt und möchte eine Handvoll Silberthaler daran setzen, daß es glücklich endet. Sperrte Niels Fandrem seine runden Augen weit auf, als ich ihm den höchsten Preis für Euch abzwang. – Will meine Freundschaft nicht etwa damit rühmen, Herr Marstrand, fuhr er fort als er den abweisenden Zug im Gesichte seines Gastes beobachtet hatte, sage es Euch offen, ist auch mein Vortheil, daß Eure Rechnung, für die ich Bürgschaft geleistet habe, herunter kommt, so weit es angeht. Kennt Handel und Wandel; gilt keine Freundschaft dabei, muß jeder nehmen was er bekommen kann, wär's auch vom Bruder oder Vater. – Er lachte vergnügt und rieb sich seine Nase mit vieler Heftigkeit, als Zeichen, daß er durch Das, was er sagte und dachte, sehr erfreut war. Dann bedauerte er, daß er den dicken Burschen nicht an den Lyngenfjord hätte lootsen können, endlich aber grinzte er kopfschüttelnd, indem er mit allerlei Seitenblicken auf Marstrand, diesem einige launige Bemerkungen über seinen Verwandten in Bergen mittheilte.

Nuh, habt ihn kennen lernen! rief er aus, hat einen klaren Blick, der Gildemeister, für viele Dinge. Hält auch ein großes Stück auf Euch, meint, wäret ein Mann, wie er gedeihen müßte in den Finnmarken, unter Sturm und Wetter, und was den Handel betrifft, ist er hart und fest wie ein Haifischzahn. Ist aber bei alledem Niels ein Vater, der wie Bartmoos sich biegt, wenn die Wellen darüber hingehen.

Hab's zu seinem Glück mit der Hannah so weit gebracht, daß er kein Sühnegeld zu geben braucht, fuhr er dann mit erneuter Lustigkeit fort, wäre ihm an's Leben gegangen, die große Summe, aber hört zu, was sein Sohn, Christi, ihm für Freude macht. Hat sich verliebt in Hamburg und bringt ihm eine Schwiegertochter in's Haus, ohne Kisten und Kasten und ohne einen Beutel voll Pfandbriefe und Papiere. Hat nichts wie ihr Herz voll Liebe und Güte und ihre Tugenden, wie der Christi schreibt und wie ich es selbst gelesen habe. Ist schmal und hungrig wie ein Lämmling im Frühjahr. Ist eine arme 351 Dirne ohne Eltern, die in eines Kaufherrn Hause lebt, der Kinder genug hat und nicht einmal zu den Ersten gehört. Was meint Ihr, was Niels zu der Geschichte sagt?

Ich muß glauben, antwortete Marstrand, daß nach dem, was ich höre, er seines einzigen Sohnes Liebe billigt.

Mit einem Gesicht wie eine Katze, die Essig eingenommen hat, schrie Helgestad: Ist zu klar in seinem Kopfe um nicht Einsicht zu haben. Hat um dreißig Pfund abgenommen in wenigen Wochen, besitzt aber nicht den Muth nein zu sagen, weil er sich fürchtet, der alte Narr!

Er wird seinen Sohn kennen und Unglück besorgen.

Nuh! sprach Helgestad, ist Christi freilich ein anderer Mann wie sein Vater. Ist nordländisches Blut von seiner Mutter in ihm, ein stolzer Wille, eine breite Stirn und dazu allerlei sündhafter Leichtsinn. Achtet nicht alte Sitte und altes Gesetz. Hält sich für berechtigt für sich selbst zu denken und sein Weib zu wählen. Schreibt in dem Briefe mit dürren Worten, daß er lieber nicht in seines Vaters Haus wiederkehren will und auf Alles Verzicht leiste, wenn Fandrem kein freundlich Gesicht zu seinem Unsinn macht.

Und Sie haben nichts dagegen ausgerichtet?

Nichts, sagte der Kaufmann. Laßt ihn das Püppchen haben, meine Thür soll sich nicht vor ihr aufthun. Wäre er mein Sohn, möchte er laufen bis an's Ende der Welt, nur nicht in meine Arme. Kennt meine Grundsätze, Herr, danke Gott für meine Kinder! Ist Ilda mein Augapfel, könnte aber eher sehen, daß sie in Elend unterginge, ehe ein Mann in ihre Kammer träte, der mir nicht behagte. Nuh! sind eitle Worte, fallen eher dort die alten Lyngenberge in den Fjord, ehe es einem falschen Schelm gelänge, sie in sein Garn zu locken. Bin meiner Sache gewiß, Herr Marstrand, kenne auch meine Kinder. Sagte ich zu Ilda: Der schieläugige Quäner da soll als sein Weib dich nach Loppen mitnehmen, sie würde sich neigen und sprechen: Ja, danke Vater! Und wenn ich Björnarne hinaufschickte in Afraja's Gamme, um Gula als seine Braut herunterzuholen, er würde antworten: Du willst es, Vater, deine Wille soll geschehen!

Seine Blicke beobachteten Marstrand, der ohne Empfindung zu bleiben schien und mit einem leisen Lächeln endlich antwortete: Ich 352 zweifle nicht, Herr Helgestad, daß Björnarne sich auch darin fügen würde, obwohl es die Frage wäre, ob Afraja und Gula damit übereinstimmten.

Wollen nicht streiten um des Kaisers Bart! fiel Helgestad ein, mag Jeder behalten was er hat. Werde auch Ilda nicht an den Wechselbalg da nach Loppen bringen, obwohl das häßliche Geschöpf, das treu und anhänglich ist wie ein Hund, mir immer noch als Schwiegersohn lieber wäre, wie ein Mensch, der wie ein Schneeflocken über die Erde fliegt, bis er in irgend einem Winkel zertreten wird. – Der da, fuhr er lustig fort, ist der beste Vogelfänger weit und breit und ist ein Schatz für Einen, der ihn zu benutzen versteht. Bringt Loppen mir eine wackre Zahl Species mehr ein, als früher, wo es Keiner zu schätzen wußte. War ein wilder Felsen mitten in wüthender See, kamen Afraja und seine spitzbübischen Gesellen dahin, Jahr aus Jahr ein, nannten es auch ihr altes Eigenthum von Jubinal's Zeiten her. – Hoho! Ist Wingeborg fertig mit ihnen geworden. Hat sie aus dem Neste geworfen, wie junge Alken und abgerupft, daß keine Feder ihnen blieb. Seht, Herr Marstrand, das ist die Sache. Hat Mancher ein gutes Nest, weiß aber nicht wie er es mit Dunen futtert, damit er warm und fest sitzt, bis endlich Einer kommt, der es besser zu nutzen versteht. Ist dem elenden Volke so gegangen, das sich viel damit weiß, Alles Land habe ihm einst gehört. Wär's tüchtig und strebsam, würde es noch sein Eigenthum sein und bleiben in alle Ewigkeit.

Damit und mit seinem vertraulichen Zunicken und Augenzwicken, in welchem ein solches Gemisch von Offenheit, rauher Wahrheit, Schelmerei und spitzbübischer Beobachtung lag, daß Marstrand niemals sicher war, was er davon zumeist glauben sollte, warf er seine Bücher in den Kasten und forderte den Gast auf, mit ihm ein frisches Glas zu mischen.

Am nächsten Tage trat der junge Gaardherr beschwerten Herzens seine Rückreise an den Balsfjord an. Kein einziger Augenblick hatte sich ihm geboten, um Ilda auch nur ein vertrautes Wort des Abschiedes zu sagen, und wenn dieser sich geboten hätte, welchen Wunsch, welche Bitte konnte er ihr noch zurücklassen? – Es war ein trüber, dunkler Morgen, als sein klimmendes Pferd das hohe Fjeld erreichte. Alle die einzelnen, narbig runden Felsenkegel, welche 353 auf dieser trümmervollen Ebene, wie Buckeln aus einem spaltigen Schilde stiegen, waren mit grauen, schweren Nebelkappen umhüllt. In der Ferne wälzten sich gewaltige Massen über die Berggruppen hin und alle die heidnischen Götter und Hexen schienen darin umherzuwühlen und Nebel, Wolken, Luft, Regen und Sonnenschein durch einander zu mischen. – Es stand eine Wetteränderung bevor. Die Sonnenkugel konnte nicht mehr durch die Dünste dringen, die kalt und naß den einsamen Reiter anfielen.

Ein erfahrener Mann würde nicht ohne Besorgniß alle diese Zeichen bemerkt und, so viel er vermochte, geeilt haben, Marstrand aber kümmerte sich wenig um das Wetter, nur dann und wann sah er nach Merkzeichen und Richtung umher. Auf sein heißes Gesicht fielen sänftigend die eisigen Schauer nieder und sein banges Herz beruhigte sich darunter. – Niemals, sagte er zu sich selbst, will ich antasten, was mir verwehrt ist; niemals will ich mehr den Frieden dieses Mädchens stören, die mich mit Recht verwirft, weil die Stimme der Pflicht stärker in ihr ist, als die Stimme ihres Herzens. – Und weiß ich denn, ob sie mich liebt? fuhr er fort; hat ihre Lippe jemals ein Wort gesprochen? Hat sie mich nicht zurückgestoßen und heut' noch, heut', als sie mir Lebewohl sagte, ist ihr Gesicht nicht wie dieser harte, empfindungslose Stein geblieben? – Und dennoch, rief er plötzlich so laut, daß das Pferd davor erschrak, dennoch liebt sie mich! Ich weiß es, ein Blick in ihre tiefe Augen und diese welken Blumen sagen es mir.

Er zog den Strauß hervor, den Ilda ihm geschenkt hatte, und betrachtete ihn, plötzlich aber verbarg er ihn wieder, denn es kam ihm vor, als höre er hinter sich in der Ferne einen Schrei. Als er sein Roß anhielt, glaubte er im Nebel an einer Felsenreihe eine Gestalt zu erkennen, die ihm winkte, und zu seiner Verwunderung erkannte er bald den greisen Priester, der rüstig schreitend näher kam.

Klaus Hornemann in seinem schwarzen Ueberwurf, dem grauen, breitgekrämpten Hut, den Riemenschuhen und mit dem langen Pilgerstocke war das Bild eines Predigers in der Wüste. Auf seiner Schulter trug er einen Lederranzen und freudig lächelte der muthige Greis, als Marstrand ihn tadelte, bei so drohendem Wetter Oerenäesgaard verlassen zu haben.

354 Mein lieber Freund, sagte er, wir müssen Alle fort, wenn der Herr uns ruft und sind Sie denn nicht selbst ausgezogen, um Ihre Pflicht zu erfüllen? – Ihre Gegenwart hatte mich bewogen, bis heute in der ersten Frühe dort unten auszuhalten, wo ich jetzt nicht gern lange verweile, nun aber denke ich einige Tage bei denen zuzubringen, die mich mit Jubel empfangen und welchen ich Trost zu bringen vermag.

Marstrand war abgestiegen und bot dem alten Pilger sein Pferd an, allein Hornemann schlug es aus. – Setzen Sie sich auf, sagte er, weit werden wir nicht zusammen ziehen. Ich muß mich bald zur Rechten wenden, wenn ich zu den vier Familien gelangen will, die am Ulvsfjord ihre Thiere weiden, Sie dagegen müssen zur Linken hinauf, um mitten über den hohen Sattel des Fjelds zu gehen, damit Sie Ihr Haus bei guter Zeit erreichen. – Er drückte das Wasser aus seinen langen weißen Haaren und fuhr dann in seiner milden Weise fort: Seit vierzig Jahren wandle ich nun hier umher und die Kraft hat mich nie verlassen. Der Herr hat mich erhalten unter vielen Stürmen. Mit diesem Stabe in der Hand bin ich weiter gekommen, als ein Roß mich tragen könnte, darum will ich ihm auch jetzt vertrauen, und nun zögern Sie nicht, denn wir dürfen Beide nicht länger säumen.

So sprechend, ging er voran und zeigte Marstrand, daß seine Rüstigkeit nicht abgenommen hatte; ja, er kam oft rascher vorwärts, als sein berittener Gefährte und konnte seine Schritte mäßigen, wenn das Pferd vorsichtig und langsam über die Steinmassen treten mußte. Beim Gehen erzählte er Mancherlei, und einige Zeit verweilte er mit Vorliebe bei seinen armen Pflegekindern, die jetzt in der Herbstnähe damit beschäftigt waren, sich für die Märkte und für den Winter vorzubereiten. Was er Marstrand davon mittheilte, ward nicht ohne Theilnahme von diesem gehört. Der alte Mann entrollte vor ihm mit Lebendigkeit ein Bild des Hirtenlebens in dieser Wüste, dann fügte er hinzu: Das Alles werden Sie selbst noch oft mit eigenen Augen sehen. Wenn der alte Klaus nichts mehr zum Schutze der Verlassenen thun kann, werden Sie seine Stelle annehmen und Eine wenigstens wird Sie dafür segnen und im Geiste bei Ihnen sein.

355 Diese Eine, antwortete Marstrand, erregt von dieser Erinnerung, bedarf mehr des Schutzes vor ihren Verderbern, wie alle Anderen.

Nein, sagte der alte Mann, mit ihr ist der Herr, ihre Seele ist rein, ihre Feinde werden nichts vermögen. Ich habe heute noch, ehe ich ging, sie gesehen. Ihr ganzes Denken und Wesen lag vor mir wie ein klarer Bach, der bis zum tiefsten Grunde durchsichtig ist. Ilda wird niemals unglücklich sein, denn ihr Herz ist stark und ihr Muth ist ein Felsen; was ihr Schmerzen macht, ist der Kummer, daß ein Mann, der ihr theuer ist, nicht so standhaft sein könnte, wie sie selbst.

Sie dachte an mich und sprach von mir? fragte Johann.

Glauben Sie, daß es anders sein könnte? antwortete der Greis. Sie werden in Ilda's Gedanken leben, so lange sie auf dieser Erde athmet.

Sagte sie das? Bekannten es ihre Lippen?

Mit einem wehmüthigen Lächeln nickte ihm Klaus Hornemann die Antwort zu. – Warum soll ich Ihnen den edlen, liebevollen Antheil verhehlen, den Ilda an Ihnen und Ihrem Lebensgeschick nimmt? sagte er dann. Ja, es ist gut, wenn Sie erfahren, daß Sie eine Freundin besitzen, die mit ihres Herzens heiligsten und reinsten Empfindungen immerdar Ihnen anhängen wird, wenn auch die Gewalt der Verhältnisse ihr nichts weiter gestattet, als dies treue Ausharren. Sie kennen Helgestad, Sie haben von ihm selbst gehört, wie er eher seine Kinder unter seinen Sohlen zertreten würde, ehe er ihnen erlaubte, von seinem Willen zu weichen. Er fürchtet Paul Petersen weit mehr, wie er ihn liebt, aber er ist in dessen Gewalt und kann nicht los, zudem braucht er den Voigt und seinen schlauen Neffen, endlich aber hat er sie versprochen vor allem Volk und Unehre käme über ihn, wollte er selbst thun, was er niemals will. – Mein lieber Sohn, ich sage und wiederhole Ihnen dies Alles, um Ihnen Ilda's Kraft zu geben, die Kraft zum Ueberwinden. Sie hat in dem Buche Ihres Kummers gelesen, wenn Sie Ihre Augen zu ihr aufhoben, und ihr armes Herz wollte brechen, daß kein Lächeln, kein freundliches Zeichen Sie trösten durfte. Niemals wird es anders werden; um ihres Friedens willen darf die harte Schale nicht brechen, und als ein gerechter Mann werden Sie handeln, wie Sie müssen.

356 Haben Sie Dank für allen Ihren Trost und Ihre Ermahnungen, erwiderte Marstrand. Doch sagen Sie ihr, daß ich annehme, was sie mir bietet. Wer weiß denn, fügte er hinzu, wie lange ich überhaupt noch in ihrer Nähe sein werde? Ob es mir gelingen wird, in den Drangsalen mich zu behaupten, die meiner warten. Wo ich aber sein mag und wenn ich je sie wiedersehe, niemals soll ein Blick sie betrüben, kein Wort ihr verrathen, was vielleicht mein Herz nicht zu wünschen lassen kann.

Der Priester blieb stehen, seine sanfte und ehrwürdige Miene strahlte von theilnehmender Güte. – Gottes Wille wird sich erfüllen, sagte er, seine strenge Hand heilt auch die Wunden, die sie schlägt. Wunderthätig ist die Zeit, mein armer Freund, Alles, Alles wird wieder hell, wenn wir stark bleiben im Vertrauen und unsere ungestümen Leidenschaften bändigen. Selbst diese Wüste hier, über welche der Wind die kalten Nebelgeister jagt, ist sie nicht ein Bild, das unsere Hoffnungen aufrichten kann? Gestern noch prangte sie mit hellem Licht und Sonnenschein, mit farbigen Blumen und bunten Moosen. Heute liegen diese geknickt am Boden und bald verschwinden sie unter Eis und Nacht. Aber wo die Wurzeln gut sind, kann das Mißgeschick ihnen nichts anhaben und wenn Tag und Sonnenstrahl wiederkehren, finden sie junge, kräftige Triebe, die kein Stein zerschmettert hat.

Amen, mein Vater, Amen! rief Marstrand; jedes Menschenleben hat sein Leid, ich werde das meine tragen.

So hören Sie noch eine Warnung, die von guter Hand kommt – nicht von Ilda, fuhr er lächelnd fort, sie ist zu sehr ein gehorsames Kind, um gegen ihren Vater zu warnen. Paul Petersen ist Ihr Feind und wendet seinen ganzen Einfluß an, um Helgestad zu bewegen, Sie zu verderben. Es wird dagegen gearbeitet, doch müssen Sie selbst thun, was an Ihnen ist, um Helgestad nicht noch mehr zu erzürnen. In dieser Welt, mein Sohn, müssen auch die Guten nach den Worten des Apostels klug sein, wie die Schlangen, wenn sie die List der Bösen zu Schanden bringen wollen.

Ich bin auf Alles gefaßt, sagte Johann. Helgestad soll mich finden, wie es recht ist. Doch wenn er meint, mir seine Schlingen 357 über den Kopf zu werfen, soll er erfahren, daß ich darauf mich vorbereitet habe.

So lassen Sie uns scheiden! erwiderte Klaus. Ich finde den Kämpfer wach und gerüstet und meine Seele freut sich an dieser jungen unverzagten Kraft. Mit Gottes Hülfe denn vorwärts, Herr Marstrand! O, hätte er doch gewollt, daß ich an seinem Altare, am Michaelisfeste, diese Hand in Ilda's gesegnete Hand legen könnte, wie ich es mit einem falschen und treulosen Mann thun soll, aber gelobt sei sein Name! Und nun, da wir uns trennen, reich an Liebe und an Entsagung, so nehmen Sie dies noch als ein letztes Angedenken.

Bei diesen Worten zog er aus seinem Ueberwurf ein Papier in Briefform, legte es in Marstrand's Hand und begann seinen Weg, indem er mit fast jugendlicher Schnelle seitwärts forteilte. Einige Augenblicke starrte Marstrand auf das Papier, das ohne Aufschrift war, dann öffnete er es und erkannte Ilda's Schriftzüge. Er blickte auf und sah sich nach dem Priester um, den die dunkeln Wellen des Nebels schon verschlungen hatten. Allein in dieser Einöde, zwischen den düsteren, wankenden Mauern eines unermeßlichen Gefängnisses begann er zu lesen, indem er seinen Mantel schützend über die Schrift hielt, welche der Sturm ihm entreißen, der feine Regen verderben wollte.

»Johann Marstrand,« las er, »laß mich dir einige Worte sagen, die du verwahren sollst, wenn du willst, denn es sind Abschiedsworte, obwohl ich hoffe, dich bald und oft wiederzusehen. Du bist ein fremder Mann mit fremden Sitten, aber du verstehest mich dennoch, denn zwischen uns hat Gott einen Bund errichtet, der überall auf Erden sichtbar wird, wo sich Menschen treffen, die in ihrem Herzen sehnsüchtig sind, sich die Hände zu reichen und in ihr Angesicht zu sehen, oder wenn sie getrennt sind, der Eine an den Anderen denken muß. Dies Bündniß haben wir Beide empfunden. Du hast ihm Sprache geben wollen, ich wies es von mir, weil ich es nicht hören durfte. Ich habe deinen bitteren Schmerz wohl erkannt, deine Augen, die mich vorwurfsvoll anschauten, deinen Zorn, der mich verwerfen wollte, und ich neigte demüthig meinen Sinn, aber ändern konnte ich es nicht. Hätte ich mein Ohr zu dir gewandt, meine Hand nach dir ausgestreckt, eine Stimme des Fluches und der Schande würde dich 358 und mich verfolgt haben. Darum sage ich mich los von dir. Wisse, daß ich aus meinem Herzen Alles gerissen habe, was nicht darin sein durfte, und daß es Frevel und Unglück wäre, wolltest du nicht das Gleiche thun. Von ganzer Seele bitte ich dich darum, weil ich dein Glück und deinen Frieden wünsche. Glaube nicht von mir, daß ich denken möchte, du solltest mich vergessen, aber glaube auch nicht, daß ich jemals aufhören werde, deine Freundin zu sein. Meine Hochzeit wird am Michaelstage gefeiert, komm' und sei der liebste Gast dabei. An meinem Ehrentage will ich dich sehen und du, sei gut gegen meinen Gatten, dem ich anhänge und den ich ehren will. Sei vorsichtig und klug gegen meinen Vater, du bedarfst es wahrlich; von mir aber sei gewiß, daß ich froh meiner Zukunft in Paul Petersen's Haus entgegensehe und nun sei Gottes reicher Segen immerdar mit dir.«

Marstrand hielt diesen Brief lange in seiner Hand und starrte auf die festen Buchstaben, während sein Pferd mit ihm weiter ging. Kein Zittern ihrer Hand hatte verrathen, was sie empfand, kein Wort war schief gesetzt, kein Satz in Unordnung. Der ganze Abschied so ruhig und so kalt, als sei es ein gleichgültiges Werk. Kein warmer Schlag des Herzens ist darin, murmelte er, das nasse Papier zusammenschlagend und plötzlich ergriff ihn eine solche Bitterkeit, daß er es an den Enden faßte, zerriß und wieder zerriß und die zahllosen Stückchen in den Sturm warf, der sie weit flatternd zerstreute.

Nein, ich habe Recht gethan! rief er dann, die Stimme des Vorwurfs übertäubend. Wie der Wind diese Fetzen fortführt und der Wüstenregen sie vernichtet, so will ich diese Narrheit endlich von mir abthun. Sie sagt sich los von mir, hat mich aus ihrem Herzen gestoßen, als ob ich jemals darin gewesen wäre! Sie sieht freudig ihrer Zukunft entgegen? Sie heuchelt, sie will mich heilen, indem sie mich betrügt. – Er lachte laut auf und warf den Mantel fester um seinen Körper. Dann blickte er in die Nebel, welche jetzt so dicht und schwer um ihn wirbelten, daß auf zwanzig Schritte das Fjeld nicht zu erkennen war. Nur zu! schrie er in den nassen Braus, ich will auf deiner Hochzeit tanzen, Paul Petersen soll seine Freude an mir haben.

Es war, als habe ein anderes Gelächter sein Lachen beantwortet, oder war es ein Echo, das hier sein Wesen trieb? Marstrand fragte 359 nicht darnach, er ritt lange Zeit fort, indem er es dem Pferde überließ, sich den Weg zu suchen, den er nicht mehr auffinden konnte, aber er schreckte doch empor, als der Regen sich mit Schneeflocken mischte und vor ihm eine tiefe Senkung lag, an der sein Thier schnaubend stillstand. Daß er dort nicht hinunter durfte, war ihm gewiß, aber wohin sollte er? Er prüfte den Wind und glaubte in der Richtung zu sein, nach allen Seiten schickte er seine Augen aus, aber Nichts war zu entdecken. Der Nebel schien dünner zu werden und doch hielt er ihn eng eingefangen; Wolken und Wirbel von seinem Schnee trieben über ihn hin, drangen erstarrend bis auf seine Haut, stäubten in Millionen feiner blitzender Nadeln vom Boden auf, sanken zurück und wurden von einem hohlen Winde fortgerissen, der immer eisiger und gewaltiger tobte. Er hatte von dem Fana-Rauk gehört, von den Schneestürmen, die alles Leben tödten, und ein unheimliches Gefühl überkam ihn. In den wenigen Minuten, wo er am Rande der Schlucht hielt, war er mit Schnee bedeckt, der sich fest an seine nassen Kleider schmiegte und dort fror; sein Pferd war weiß geworden und so weit er um sich blicken konnte, war Alles dicht von der fallenden, weichen, seinen Masse eingehüllt, die so seltsam plötzlich auf ihn herunter rieselte. Da war kein Stehenbleiben und kein Bedenken, da galt es einen Schutz zu finden und auszudauern, ohne den Muth zu verlieren. Hülfe war hier nirgend zu erwarten, kein Schreien und keine Umkehr konnte sie herbeiführen. Marstrand wußte, daß er Nichts von Anderen zu hoffen hatte, daß des Mannes Kraft und Geduld hier allein die Schrecken der Elemente bekämpfen konnte, und rasch entschlossen sprang er vom Pferde, faßte dessen Zügel und bemühte sich eine Stelle zu entdecken, wo er in die tiefe Höhlung der Schlucht sein Thier hinableiten mochte, als plötzlich mitten in den Schneewirbeln vor ihm eine Gestalt auftauchte, die ihn einen Augenblick erschreckte, dann aber mit Freude erfüllte.

Anfangs schien es ein erstarrtes Wesen zu sein, das auf einem aus dem Schnee hervorragenden Steine stand. Eine spitze Mütze war über seinen Kopf gezogen, seinen Leib umflatterte ein braunes Hemd von Fell, in seinem Arm lag ein langer Hirtenstock und über seine Schulter ragte ein Gewehr. Es war ein Lappe, der sich nicht rührte, bis Marstrand ihn erreicht hatte und Mortuno erkannte.

360 Holla, Freund! rief er ihm zu, hast du Lust eine Schneepuppe zu werden? Steh' mir bei in meiner Noth und wenn du ein Mittel weißt, aus dem Sturm an ein geschütztes Plätzchen zu kommen, so sprich und laß mich hören.

Möchtest du dort hinunter, Väterchen? fragte Mortuno mit seiner Stange nach der Schlucht deutend.

Es scheint mir das Beste zu sein, wenn du nichts Besseres kennst?

So thu's, wenn's glückt ist's gut! schrie der Lappe. Bist jung und es glückt dir Vieles! – Er lachte nach Lappenart.

Höre, Mortuno, sagte der Verirrte, vor einer Stunde oder zwei hat mich ein Mann verlassen, Klaus Hornemann, der Priester, der mich versicherte, du seist ein verständiger, gutgearteter Mensch. Ich danke dem Zufall, daß ich dich finde, es wäre aber gewiß ein Unrecht, wolltest du mir deine Dienste versagen, die ich belohnen will so gut ich kann.

Der Lappe schien anfangs seine Possenreißernatur nicht ablegen zu wollen, er grinste und schnitt Gesichter, bald aber wurde er ernsthafter und endlich sprang er von dem Stein und nahm die Zügel des Pferdes.

Was wollt Ihr dort unten thun, Herr? fragte er. Ihr würdet schwerlich gesund ankommen, und wenn es geschähe, nützte es Euch nichts; denn es ist ein jähes, enges Gesenke, das in Klippen und Klüften endet, durch welche eine wilde Elf dem Ulvsfjord zustürzt. Kein Mensch kann darin fortkommen, selbst ich möchte es nicht versuchen, setzte er mit Stolz hinzu, und wenn das Schneestürmen anhält, könnte das Loch halb zugeweht werden. Folgt mir nach, ich will Euch ein anderes Plätzchen verschaffen, wo es uns besser behagen soll.

Er überließ es seinem Begleiter darüber nachzudenken, wie es geschehen konnte, daß er jetzt plötzlich ganz vernünftig und im leidlichen Norwegisch sich ausdrückte, und zog das erschöpfte Pferd so gut es ging über die verborgenen Steine und Trümmer, bis nach einer Viertelstunde, die mühsam genug war, aus dem nebelnden Schneewetter ein Fels aufstieg, der wie ein Horn sich überbog und mit einem tiefen Spalt gleichsam sein Eingeweide öffnete.

Dies mußte ein Platz sein, wo die Lappen auf ihren Wanderungen wohl öfter mit ihren Heerden rasteten oder Schutz suchten. 361 Große Steine lagen dicht an der Felswand im Halbkreis und zwischen ihnen bewiesen Asche und Ruß, daß manches Feuer hier gebrannt hatte. Mortuno warf seinen Rock von Rennthierfell ab, wälzte ein Steinstück zur Seite und zog aus einer Vertiefung trockenes Moos, Birkenzweige, Blätter und Gras hervor. Im nächsten Augenblick loderte seine Zunderbüchse und ein behagliches Gefühl kam über Marstrand, als er sich auf den Rand der Feuerstelle setzen und die belebende Wärme an seinem Körper fühlen konnte. Ueber dem Sattel seines Pferdes, dem es hier auch besser zu gefallen schien als draußen, hing ein Bündel, das in Oerenäes mit Brod und Fleisch und einer Flasche guten holländischen Genever gefüllt war, und was konnte der Reisende Besseres thun, als diese Schätze auszubreiten und sie mit Mortuno zu theilen, der sich nicht lange nöthigen ließ, sondern tapfer zulangte. Dann zog Johann seinen Reisebecher hervor, wie sie in Bergen aus dem festen Maser der nordischen Birken gefertigt werden, allein zu seinem Erstaunen war dieser Lappe kaum zu bewegen, ein Getränk zu kosten, das mit der größten Leidenschaft von allen seinen Brüdern begehrt und genossen wird. Mortuno nippte daran wie ein Mädchen, und kein Auffordern konnte ihn ungenügsamer machen.

Ihr könnt es, Herr, sagte er, als Marstrand einen langen Zug that, ich darf es nicht. Mein Volk hat nicht den kalten Kopf und das langsame Blut, die Euch gegeben sind, wenigstens glaube ich, daß es daran liegt. Denn woher sollte es kommen, daß wenn ein Normann trinkt, es mehr als ein Maaß voll sein kann, ehe seine Eingeweide brennen. Mag aber auch sein Kopf hin und her wackeln, und mögen seine Beine links und rechts laufen, er weiß doch noch immer, was er thun und lassen soll. Bei den Samojeden, fuhr er fort, ist der Kopf heiß und ihr Blut rollt schnell. Wenn sie trinken, fallen sie nieder und wälzen sich wie Schweine. Ein Normann braucht das Feuerwasser, um warm zu werden, wenn es kalt ist, ein Samojede braucht nichts als sein Rennthier und seine Decke. Mag der Hauch an seinem Munde Eis werden, er fühlt es nicht, und wenn er sich verirrt im Fana-Rauk, kriecht er nicht in eine Schlucht, wo er umkommen muß.

Er lachte über seinen Spott und Marstrand stimmte ihm bei. Du hast ganz recht, Freund Mortuno, erwiderte er, aber jetzt sage mir, was wir beginnen sollen, wenn das Wetter so bleibt?

362 Der Lappe zuckte die Achseln und sah ihn mit den kleinen, runden Augen listig an. Weiß es nicht, mein guter Herr, sprach er bedächtig. Schneestürme dauern oft eine Woche und fällt der weiße Sand hoch genug, so gräbt man ein Loch und schläft bis es aufhört.

Was? fragte Marstrand entsetzt, das könnte geschehen?

Das ist oft geschehen, erwiderte Mortuno. Ich habe selbst einmal neun Tage lang in meiner Schneehöhle gelegen, und meinen halben Pelz vor Hunger verzehrt. Wohin wollt Ihr? fuhr er fort, als Marstrand aufstand und zu seinem Pferde ging.

Wenn es so steht, sagte dieser, ist es besser, wir brechen jetzt auf und machen, daß wir fortkommen.

Ich nicht, lachte der Lappe. Ich bin kein Narr, Väterchen, will meinen Hals und meine Beine ganz behalten. Sieh hinaus, du siehst nicht ein Dutzend Schritte weit; lange währt es nicht, so liegst du, kollerst in eine Grube, fällst in einen Spalt und dein steifbeiniges Pferd kann nicht weiter. Ja, wenn das ein Rennthier wäre, kämst du leicht davon. Wenn du ein Samojede wärest, trügst du deinen Kopf in die Luft und könntest sehen. Haha! du bist ein stolzer Herr, ein Normann, ein Meister, und möchtest jetzt ein Samojede sein? Ist es nicht so? Sprich, Väterchen, sprich zu mir, möchtest du nicht gern ein Samojede sein? – Er streckte sich auf den erwärmten Steinen aus und lachte was er konnte, während Marstrand ärgerlich und überlegend in das Wetter hinaussah, das wilder schien als je.

Warum kommt Ihr zu uns herauf? fuhr Mortuno fort. Was wollt Ihr in unsrem Lande, wo Ihr wie Kinder seid, die nicht wissen, was sie thun sollen. Setz' dich her zu mir, Väterchen, setze dich und sei geduldig. Du kannst Nichts thun, denn was willst du thun?

Wenn ich Olaf wäre oder Helgestad, sagte Marstrand, so würde ich dir deinen Uebermuth gedenken und würde dich zwingen, mich zu führen.

Wenn du Helgestad wärst, erwiderte der Lappe sorglos lustig, so hätte ich dich in der Elf ersaufen lassen und wenn du Olaf wärst, der zwei Löcher in seinem Hut hat, so hätte ich dir ein drittes dazu gemacht, mitten in dein schlechtes Herz.

Hüte dich, Mortuno, antwortete der Gaardherr, du hast eine üble Rechnung zu bezahlen. Wenn Olaf dich trifft, wäre es besser, du lägst 363 in der Elf, wenn der Sorenskriver dich greift, läßt er dich in Tromsöe bis aufs Blut am Pfahle peitschen und fällst du in Helgestad's Hände, so kömmst du schwerlich besser fort. Wingeborg's Hund hast du getödtet, der Quäner hat dir den Tod geschworen.

Hat er, der giftige Wolf, hat er Mortuno schon beim Ohr? schrie dieser in die Hände klatschend. Hierher laß ihn kommen, laß sie Alle kommen, Väterchen, wir haben Schlingen genug, um sie an den Hörnern zu fangen.

In dem Augenblick, wo er dies sagte, schlug dicht draußen am Felsen ein Hund an, und die sonderbare, lange und schmale Gestalt des Mannes, von dem die Rede war, zeigte sich am Eingange. Es war Egede Wingeborg, der Quäner. Sein schmaler Körper steckte in einem Lederkragen, sein Glanzhut, von Schnee bedeckt, zeigte darunter das rothe, breite Gesicht mit den verkehrt stehenden Augen. Wie ein Schatten flog er bei Marstrand vorbei und mit einem Griff seiner langen Arme hatte er Mortuno an der Gurgel, ehe dieser auf die Beine kommen konnte.

Der ganze Vorgang war so schnell, so überraschend und so lautlos, daß Marstrand erst zur Besinnung kam, als Wingeborg ein langes Messer aus seinem Gürtel riß, das in der nächsten Minute wahrscheinlich in der Kehle des Lappen gesessen hätte, die so fest zugeschnürt war, daß dieser keinen Ton hören ließ. Marstrand faßte zur rechten Zeit Egede's Arm, und ihn mit aller Kraft zurückstoßend, riß er ihn von seinem Opfer los. Eben so schnell benutzte Mortuno die Hülfe. Er rollte von den Steinen, sprang auf, und seine kurze Büchse in der Hand, stieß er einen Schrei der Wuth, der Rache und des Entsetzens aus.

So standen sich die beiden Feinde gegenüber; Marstrand zwischen ihnen; der kleine, langgestreckte Hund laut heulend und bellend vor seinem Herrn. – Warum hindert Ihr mich? schrie Egede. Was faßt Ihr mich an und stoßt meinen Hund? Ein schöner Dank für einen Mann, der sich erbot, Euch in dem Wetter aufzusuchen, da die Jungfrauen in Oerenäes in Sorge um Euch waren!

Einen Mord sollst du nicht begehen, so lange ich es hindern kann, antwortete Marstrand. Hast du Klage gegen den Lappen, so erhebe sie. Er ist ein Mensch wie du, die Gesetze sind für Alle da.

364 Ein Mensch! rief der Quäner. Es ist ein Lappe, ein Thier, kein Mensch! Hervor aus deinem Winkel, du Dieb, ich will dich kerben wie einen Fisch, ich will dich salzen wie einen Häring!

Es war natürlich, daß Mortuno dieser liebevollen Aufforderung keine Folge leistete. Er duckte sich noch tiefer hinter den Steinen und legte seinen Finger an den Drücker seines Gewehrs, ohne eine Silbe zu erwidern.

Er wäre ein Narr, wenn er dir gehorchte, lachte Marstrand.

Gut, so soll er mit mir gehen, wir wollen Alle gehen, sagte Wingeborg. Ich will ihn vor den Sorenskriver stellen, wie Ihr es recht findet. Nehmt dem feigen Hund die Flinte ab, dann wollen wir ihm die Hände binden.

Ich fürchte, mein Freund Wingeborg, antwortete Johann, er wird sich auch dies nicht gefallen lassen, und was mich betrifft, so habe ich keine Lust nach dem Lyngenfjord umzukehren.

Ha! schrie Egede grimmig, Ihr habt keine Lust, mir zu helfen, wo es gilt einen Schelm zu fangen, den meine Herren haben wollen, der so viel Schimpf an uns Allen gethan hat?

Mir hat er Gutes gethan, antwortete Marstrand. Ohne ihn irrte ich noch im Sturm umher und hätte wohl Schaden genommen. Ich habe mein Brod mit ihm gebrochen, habe meinen Trunk mit ihm getheilt und so gebt Euch zufrieden, Egede Wingeborg. Wir sitzen hier beisammen in einem Freihafen; macht's aus mit ihm, wie es Euch gefällt, wenn Ihr den Burschen wieder findet, heut' aber laßt Frieden sein. Kommt, Egede, fuhr er fort, setzt Euch auf diese Seite des Gastfeuers. Du, Mortuno, lege deine Waffe ab und nimm deinen Platz auf dem andern Rand. Zwischen Euch sei die Flamme und hier steht die Flasche. Trink' ein volles Glas, Beherrscher von Loppen, und vergiß deinen Schmerz in dem Trost, den ich dir bringe.

Er hielt dem Quäner seinen Becher hin, aber dieser trat mit Abscheu zurück. Verflucht sei meine Hand, wenn ich ihn anrühre! schrie er. Hat nicht ein Lappe daraus getrunken? Ist es nicht eine Schande, daß Ihr mir das bieten dürft?

Habe ich nicht selbst daraus getrunken, du Narr?

Habt Ihr? fuhr Egede mit Verachtung fort. – Pfui Teufel! schrie er ausspuckend, ich würde es Niemanden sagen. – Wollt Ihr ein 365 Normann sein, ein Mann von gutem Blut, und trinkt mit einem garstigen Lümmel, einem Rennthiertreiber, schlechter, boshafter, dümmer wie ein Schwein. – Hoho! rief er, seinen Hut schwenkend und triumphirend, Gott sei Dank! Ihr seid ein Däne! Will's melden in dem Gaard, wo ich Euch getroffen habe. Möchte lieber zehn Fuß tief im Schnee liegen, als eine Stunde in solcher Gesellschaft sein. Du Dieb! Du Mörder! Hüte dich vor dem Egede! Er findet dich doch wieder und so wahr ich mehr als einen Lappen gekerbt und gezapft habe, so wahr will ich dich zeichnen und kerben, du Hund, daß Alle, die dich sehen, davor geiken und heulen sollen!

Mit dieser fürchterlichen Drohung ging er fort und keine Stimme rief ihn zurück. – Marstrand war empört und ärgerlich, wenn er daran dachte, was dieser elende Kerl von ihm berichten werde; Mortuno stand eine Weile noch immer mit seiner gespannten Büchse, als fürchte er, Egede könnte wieder kommen, endlich aber legte er sie nieder und näherte sich Marstrand, der auf dem Steine saß und in's Weite schaute.

Der Lappe warf sich auf seine Kniee nieder und plötzlich ergriff er die Hand seines Beschützers und zog diese an seine Lippen.

Was soll das sein? rief der Junker rauh.

Laß mich, Herr, laß mich! sagte Mortuno, dessen dunkle Augen von einer Dankbarkeit strahlten, die selbst die Züge seines Gesichts weich und freundlich machte. Du bist gut und treu, du bist viel besser wie ich. Was Mortuno je für dich thun kann, wird er thun.

Wenn du nur Eines thun könntest, mein armer Mortuno, sagte Marstrand wohlwollend, wenn du uns gutes Wetter schaffen könntest, daß wir nicht einschneien.

Sei ohne Sorge, Herr, antwortete Mortuno indem er aufsprang, es wird nicht lange schneien, und wenn du willst, können wir sogleich fort, ich will dich sicher führen. Schneewolken ziehen auf den Fjeldern hin, in die Thäler dringen sie nicht. In einigen Tagen ist Alles wieder Wasser, oft schmilzt es schon in wenigen Stunden. Du sollst sehen, daß am grünen Balsfjord Niemand etwas davon weiß.

So hast du mich eigentlich ohne Noth hierher gebracht?

Mortuno war verlegen. Ich habe dich hierher gebracht, sagte er demüthig, weil ich die Männer von den Fjorden nicht leiden mag. Sie verspotten und verachten uns, was sollen wir thun? Wir verspotten sie auch, wenn wir es können. Strafe mich, wenn du willst.

Du wolltest also deinen Spaß mit mir treiben, erwiderte Marstrand, und verfuhrst immer noch glimpflicher, wie du mit Olaf verfahren bist. Hüte dich, Mortuno, du hast eben gesehen, was dir bevorsteht.

Der Lappe rollte listig die kleinen Augen. – Mögen sie zu mir heraufkommen, rief er, ich werde sie nicht aufsuchen. Der Quäner ist ein böser Kerl und sein Hund ein Teufel, aber einen habe ich zu seinem Vater in die heiße Hölle geschickt und wenn er wieder suchen geht, – er schlug an den Schaft seines kurzen Gewehrs und ließ ein Gelächter hören, indem er einen Sprung in die Luft machte. – Rasch lief er dann zu dem Pferde, legte den Sattel fest, packte den Vorrath wieder auf, warf seine Büchse und Tasche um und hatte in wenigen Minuten Alles zur Reise bereit. Als er seine häßliche Mütze abgelegt hatte, und sein glänzend dunkles Haar zusammenschlug und festband, sah sein jugendliches Gesicht gar nicht übel aus. Ein Schimmer von Frohsinn und Uebermuth lag darin, er schien sich über das was er gethan, zu freuen und lebenslustig, unverzagt an seine mächtigen Feinde zu denken.

Sonderbar! sprach Marstrand halblaut vor sich hin, als er das gelenkige, aufgeweckte Wesen betrachtete. Mancher hat gute Anlagen und Verstand, dennoch aber sind sie selbst einem solchen Scheusal wie dieser Quäner zu schlecht.

Mortuno hatte es gehört. Das macht, Väterchen, sagte er, indem er an das Gebiß des Pferdes eine lange Lederschleife knüpfte, weil wir bis jetzt Alles ertrugen, was diese stolzen Männer uns anthun mochten. Es war kein Unrecht und keine Gewalt so groß, die nicht geduldige Nacken fanden. Wie können sie uns achten, wenn sie sehen, daß wir elende Weiber sind? Achten wir den Hund, den wir mit Füßen stoßen und der dafür auf dem Bauch kriecht und unsere Hände leckt? – Er warf den Kopf in die Höhe und seine Augen funkelten. – Männer achten Männer! rief er, und sind gerecht, wenn sie wissen, daß Unrecht vergolten wird.

Steht es so mit eurer Erkenntniß, sagte Marstrand nachdenkend, so fürchte ich, die Reisen über die Fjelder werden bald unsicher werden.

367 Reise du so viel du willst, antwortete der Lappe, überall wirst du willkommen sein. Afraja beschützt dich.

Und dieser hohe Schutz bewirkte wohl auch, mein lieber Mortuno, daß du mich nicht in das gefürchtete Loch schicktest, sondern einen weniger halsbrechenden Spaß mit mir triebst?

Mortuno lachte ausgelassen. Du hast das rechte Auge, Herr, rief er, hätte der Schreiber oder Helgestad dort gestanden, ich würde sie hineingestoßen haben. Ich hasse sie Alle, denn sie verdienen es.

Er zog jetzt das Pferd an der langen Leine aus dem Schutzorte und obwohl es noch immer stark schneite und stürmte, begann der Marsch in einer etwas andern Richtung, als Marstrand sie eingeschlagen hatte. Mortuno behauptete, daß es bald aufhören würde, und diese Prophezeihung traf ein. Eine halbe Stunde später wurde der Himmel heller, der Wind schlug südlich um und wehte milder, der Lappe führte den Reisenden sorgsam und vorsichtig, prüfte mit seinem langen Stocke, wo es unsicher schien und war unermüdlich zur Hülfe und zur Unterstützung des Pferdes bereit, während er neben her und vorauf lief, erzählte, fragte und lachte.

Sein Begleiter ergötzte sich oft an seinen Bemerkungen, die zuweilen scharfsinnig und drollig waren, und wo es galt, Helgestad und die Kaufleute zu schildern, den Nagel auf den Kopf trafen. Ueber sein eigenes Leben und die Verhältnisse seines Stammes aber war er dagegen schweigsam und über Gula sagte er kein Wort. Als ihn Marstrand endlich nach ihr fragte, behauptete er, nichts von ihr zu wissen, und lief eine Zeit lang voraus, um allen ferneren Fragen zu entgehen. Als er dann zurückkehrte, hatte er sich auf eine Antwort besonnen.

Die Birke senkt ihr Haupt, sagte er, es ist keine Zeit, an ein Mädchen zu denken. Wenn die Blätter wieder grün werden, streckt Ayra, die Liebesgöttin, ihre rothen Hände aus. Dann wird meine Gamme schön aussehen, junges Gras und Blumen sind dann darin ausgestreut und Gula wird an dem Heerdstein sitzen und mir die Schale mit frischer Milch reichen. Wolken heben sich von den Bergen und die Sonne glänzt daran. So glänzt Gula's Stirn, wenn ich kommen werde.

368 Er fing ein Liedchen zu pfeifen an, sang dazwischen, blickte mit sonderbarem Lachen zu Marstrand auf und schrie, das sei ein Hochzeitslied, das er selbst gemacht habe; dann deutete er plötzlich durch den Nebel, der flatternd über die Haide zog. Seht Ihr den Balsfjord! rief er, da liegt er; das ist Euer Land, Herr, da könnt Ihr sitzen und Fische fangen. Laßt uns hier oben unsere Thiere in Ruhe weiden.

Marstrand sah hinunter in die Tiefe, welche sich vor ihm öffnete und wirklich, er erblickte den grünen Fjord. Nicht gar fern erkannte er auch sein Haus, das eben von einem Sonnenblitz beleuchtet wurde, der durch das Gewölk brach.

Ich danke dir, guter Mortuno, sagte er, und in Allem hast du Recht. Wir müssen dort unten bleiben mit unsern Ansprüchen und Plagen, Euch gehört dies Felsenreich mit Allem was es hegt. Begleite mich und ruhe aus bei mir.

Der Lappe schüttelte den Kopf. Danke, Herr! rief er, du hast es gesprochen; wir bleiben in unserm Lande.

Fürchte dich nicht vor Olaf, fuhr Marstrand fort. Ich will ihn mit dir aussöhnen.

Du kannst nicht machen, daß er mir die Hand reicht, wie du es thust, sagte Mortuno, und ich möchte sie nicht. – Wenn du absteigst und dein Pferd laufen läßt, kannst du hier hinunter klimmen, das Thier wird seinen Weg suchen. Lebe wohl, Mortuno wird dich nicht vergessen. – Mit diesen Worten sprang er in die Nebelschicht zurück und kehrte sich an keinen Nachruf.


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