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39. Der Tropenkoller.

Dem Lauf des Luapula folgend, den Flitmore für Kongo und Nil »in einer Person« erklärte, sahen unsere Freunde in der Ferne schon die gewaltigen Massen des Lokinga- oder Muchingagebirges gen Himmel ragen.

Im Schatten der Raphiapalmen wandelte es sich kühl; dann aber säumte ein gluterfüllter Dumpalmenhain das Ufer und nur die apfelgroßen hellbraunen Früchte dieser Palmen, deren faserig-holzige Kernhülle nach Johannisbrot schmeckt, söhnten einigermaßen aus mit diesem schattenarmen Wald.

In den Fächerwipfeln der Dumpalmen saßen Dutzende von Pavianen truppweise und schmausten mit gefüllten Backentaschen.

Der Palmenwald nahm ein Ende und eine grasige Steppe nahm die Karawane auf. Hier gab es überhaupt keine Früchte und Pflanzenkost mehr, so daß man ganz auf Fleischkost angewiesen war und Uledis Herde zu dessen größtem Bedauern nach und nach dem Schlachtmesser Hamissis verfiel.

Zuletzt mußte auch die treue Ziege daran glauben, die den Suahelikoch wie ein Hündlein begleitete. Es fiel ihm sehr schwer, das Tier zu opfern, aber der Wunsch, seine weißen Herren mit gutem Braten zu versorgen, ließ ihn alle andern Rücksichten beiseite setzen.

Die Träger, die, wenn es irgend möglich war, sich bloß von Pflanzenkost nährten und nur im Notfall Fleisch genossen, litten sehr unter der ausschließlichen Fleischkost.

Das hohe Gras, das morgens vom nächtlichen Tau oder Regen triefte, durchnäßte die Träger und die Weißen, deren Kleider oft bis auf die Haut durchtränkt waren, bis die höher steigende Sonne sie trocknete.

Da fror man denn empfindlich und verwünschte diese Feuchtigkeit der Gräser noch mehr als ihre Schärfe, die den Negern häufig Schnittwunden an den nackten Füßen und Beinen eintrug.

Die Nässe, verbunden mit dem Mangel an Pflanzennahrung, erzeugte zahlreiche Ruhranfälle.

Leusohn verfiel darauf, den Kranken Brennesselspinat verabreichen zu lassen, das einzige Gemüse, das die Steppe lieferte, und sie durften nur noch gekochtes Wasser trinken.

Durch diese einfachen Mittel heilte er sich selbst und alle andern Erkrankten in kürzester Zeit.

Aber viele der Leute begannen sich immer widerspenstiger zu zeigen, wobei die ihnen nicht zusagende Fleischernährung mitwirken mochte.

Eines Morgens warfen sich während des Marsches einige Träger ins Gras und erklärten, nicht mehr weiter zu gehen.

Da weder Versprechungen noch Drohungen, weder Überredung noch Vorstellungen etwas fruchteten, entschloß sich Schulze aus Mitleid mit den verblendeten Toren, die hier unbedingt verhungert wären, Hendriks Rat zu folgen und ihnen ein paar Peitschenhiebe verabreichen zu lassen, was sie denn auch bewog, aufzuspringen und ihre Lasten wieder aufzunehmen.

Auch die beiden Reitstiere zeigten aufrührerische Gelüste; der Nacht begannen sie einen so wilden Kampf, daß ihre Hörner aufeinanderkrachten. Brüllend und tobend stießen sie einander im Lager umher und rannten einige der Lagerhütten um, so daß die in ihrem Schlafe gestörten Insassen sich kaum retten konnten.

Mit Steinwürfen, Wassergüssen und Feuerbränden brachte man endlich die Wütenden auseinander.

Am andern Morgen schienen die Träger überhaupt nicht zum Aufbruch geneigt zu sein. Vergebens rief Schulze sein Kommando, vergebens rüttelte er die Ungehorsamen und redete auf sie ein; sie glotzten ihn dumm an, als ob sie kein Wort verstünden. Das war offenbar Verabredung.

Dem Doktor, der dabei stand, riß der Geduldsfaden, er packte die Peitsche, die der Knabe Uledi als Hirte in den Händen hielt, und bearbeitete damit einen baumlangen Träger, der schreiend um Gnade bat.

Und siehe da! Schon war das ganze Lager auf den Beinen und es konnte sofort abmarschiert werden.

Aber es sollte noch schlimmer kommen.

Selbst Hassan, der treue Somali, begann sich mürrisch und unbotmäßig zu zeigen.

Als Hamissi ihm Vorstellungen machte, gab es einen Streit. Im Verlauf desselben riß Hassan in sinnloser Wut sein Messer aus dem Gürtel und stieß zu.

Der Koch deckte noch rechtzeitig seine Brust mit dem Arm und erhielt einen tiefen Stich in diesen.

Hassan war zerknirscht, und als er nun eine Tracht Prügel empfing, die unumgänglich notwendig war, wenn sein böses Beispiel keine Nachahmung finden sollte, erklärte er: »O, Bwana Bawessa, es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich geschlagen werde; aber ich habe es verdient.«

Als Leusohn Hamissis Wunde verband, wunderte er sich über dessen Gelassenheit.

»Hast du keinen großen Groll gegen Hassan,« fragte er, »der dich so grundlos und heimtückisch gestochen hat?«

»O nein, Bwana!« entgegnete der Suaheli. »Siehe, dieser Arm hat das Messer geführt, um die Ziege zu treffen, die mir nachlief wie ein Kind; nun hat Hassans Messer diesen Arm getroffen, das ist ganz recht!«

Immer näher rückte das Lokingagebirge und immer unwilliger schritten die Askaris und Träger voran. Schon Tschitambo hatte mit allen Zeichen des Entsetzens seine warnende Stimme erhoben, den Bergen ja nicht zu nahe zu kommen, und überall wußten die Eingeborenen schreckliche Dinge zu erzählen von dem Verschwinden der kühnen Besteiger des Djebel el Gumr. Allerdings waren dies lauter alte Überlieferungen; denn seit Menschengedenken hatte es niemand mehr gewagt, das verderbliche Abenteuer zu bestehen.

Dies war der Hauptgrund, warum die Leute nicht weiter wollten, und nicht etwa die mangelhafte Verpflegung und sonstige Strapazen.

Weil nun aber niemand gern seine Feigheit eingesteht, machten es die Neger, wie es der zivilisierte Mensch in ähnlichen Fällen zu machen pflegt, sie suchten und fanden Gründe, die weniger schimpflich erschienen.

Den äußeren Anlaß gab ein kalter Regentag, der die tropische Hitze unliebsam unterbrach.

»Wir Askaris sind doch recht dumm,« hub einer an. »Warum lassen wir uns von den Weißen beschwatzen, weit fort zu wandern in fremde, böse Länder? Sowie nur der Fremde marschieren will, müssen wir gleich hinterdrein. Sind wir nicht wie die Affen? Sind wir nicht wie die Hunde, die allemal hinterdreintrotteln, sowie der Herr die Hütte verläßt? O, wenn wir doch zu Hause geblieben wären, so könnten wir trocken und warm sitzen und schwatzen, und die Weiber brächten uns Maisbrei, Fleisch, saure Milch und viel Pombe. Hier aber sitzen wir gerade so trocken wie mitten im Fluß und ich bin hungrig, und wo ist Pombe?«

Hassan erwiderte empört: »Höret, ihr Askaris, was ich euch sage. Ihr sprecht: wir sind Männer, wir sind Krieger; aber ihr habt nicht einmal so viel Mut wie im Somalilande die kleinen Jungen! Wißt ihr nicht, wie ihr gesagt habt: wir wollen mit dem weißen Mann ziehen, sein Fleisch essen, sein Geld verdienen und so viel Neues sehen, daß wir zu Hause ein Jahr lang davon erzählen können? Wenn ihr trocken sitzt und genug zu essen und zu trinken habt, dann brüllt ihr wie die Löwen; jetzt aber könnt ihr nur winseln wie die Hyänen. O, ihr seid armselige Menschen; eure Mütter gaben euch nicht genug Milch zu trinken.«

Hierauf erhob sich ein Sturm des Widerspruchs gegen den Somali, und die Askaris steigerten sich dabei so sehr hinein, daß sie erklärten, sie würden keinen Schritt weitergehen und sämtlich auszukneifen.

Dieser Erklärung schlossen sich auch die meisten Träger an.

Als Schulze durch Hassan erfuhr, daß die Askaris größtenteils beschlossen hätten, durchzubrennen, fragte er Hendrik, was da zu tun sei.

Hendrik gab den Rat, den Leuten vor allem die Gewehre abzunehmen, da sie ohne Waffe kaum einen Fluchtversuch durch Länder voller wilder Tiere und Menschen wagen würden.

Diese weise Maßregel wurde sofort befolgt, und die Schutztruppe machte lange Gesichter, als sie sich entwaffnet sah.

Hendrik versäumte nicht, während er sich die Gewehre ausliefern ließ, die Askaris zu verspotten, daß sie das Hasenpanier ergreifen wollten, und hatte den Erfolg, daß auch die Träger größtenteils in das Gelächter und den Hohn einstimmten, der sich nun von seiten der Treugebliebenen über die Fluchtsüchtigen ergoß.

Doch auch das hatte keine nachhaltige Wirkung.

Die meuterische Stimmung der Karawane blieb den Weißen ein Rätsel, bis endlich Hassan, scharf ins Gebet genommen, den wahren Grund angab, nämlich die unüberwindliche Furcht vor der Annäherung an das Lokingagebirge, den unheimlichen Geisterberg.

Schulze lachte, als er diese Erklärung hörte. »Also elender, kindischer Aberglaube!« rief er. »Na, wenn's weiter nichts ist, passen Sie einmal auf, Hendrik, wie ich den Sturm beschwören werde, den Leuten die Flausen ausrede und sie für unsre Sache begeistre.«

Er ließ die Träger und Askaris versammeln und hielt folgende großartige Ansprache an sie: »Steinkohlenfarbige Söhne der Wildnis,« hub er an, »Helden mit der nachtglänzenden Haut! In eurem muskelreichen Zellengewebe thront eine bildungsfähige Seele. Zu Großem ist sie berufen! Von Lobisa bis Uganda, von Urundi bis Sansibar, aber auch in den fernen Ländern der Weißen gegen Mitternacht wird man das Lob singen der furchtlosen Askaris und Träger, die mit uns bis zu den Kupferbergen vordrangen. Wunder werdet ihr schauen und eure Brüder am Mutansige werden sich auf ihren lockigen Kopf stellen, wenn ihr davon erzählet. Reis und Bananen werdet ihr erhalten in Fülle, und Pombe, euer geliebtes Hirsebier, soll in Strömen eure unersättlichen Kehlen hinabfließen gleich den Quellen des Nils, die wir entdecken werden. Perlen und viele Mikono sind euer Lohn, und wie Fürsten werdet ihr leben. Hanf, euern Leibknaster, den jedenfalls die Teufel in der Hölle zu rauchen verdammt sind, sollt ihr paffen, bis eure holden Angesichter so weiß sind wie die Milch eurer Ziegen; denn unsere eigenen Antlitze kann ich zum Vergleich nicht heranziehen, sintemal die Sonne eurer Heimat sie so braun geröstet hat wie Kaffee. Und nun frage ich euch, wollt ihr mit uns ziehen als weltberühmte Helden, oder seid ihr Weiber, die vor nicht vorhandenen Dämonen zittern und schnöde ihre Herren im Stich lassen?«

Hatte Schulze auf dieses Meisterwerk zündender Beredsamkeit den einstimmigen begeisterten Ruf erwartet: »Bis an das Ende der Welt ziehen wir mit unseren weißen Bwanas!« so täuschte er sich gewaltig. Auf diese stumpfen Gemüter machte seine rednerische Leistung nicht den geringsten Eindruck. Schwer enttäuscht und völlig geknickt mußte er vernehmen, daß die große Mehrzahl entschlossen blieb, keinen Schritt weiter zu marschieren, vielmehr umzukehren.

»Es hilft nichts, Professor,« sagte Hendrik, »so leid es mir selber tut, diese verblendeten Kinder zu züchtigen, die nicht aus Böswilligkeit, sondern aus abergläubischer Furcht den Gehorsam verweigern, es ist nicht länger zu umgehen: wir müssen ein abschreckendes Beispiel ausrichten und sämtliche Meuterer durchprügeln, bis sie ihre Meinung ändern.«

Schulze sah ein, daß hier nicht viel anderes zu machen sein werde und rief mit möglichst donnernder Stimme: »Wer mit uns gehen will, trete vor!«

Sofort traten Hamissi und Hassan, der seine Prügel schon weg hatte, vor, und zu des Professors freudiger Überraschung folgte nahezu die Hälfte der Schwarzen diesem mutigen Beispiel, unter ihnen auch Kaschwalla und Juku.

»Gut!« sagte Schulze. »Jeder von euch Getreuen schneide sich einen Stecken und haue die elenden Feiglinge durch, die ihre Herren verlassen wollen, um töricht in ihr eigenes Verderben zu rennen.«

Nie wurde ein Befehl so rasch und freudig ausgeführt wie dieser.

Nach zehn Minuten schon sausten die Stecken auf die Rücken der Empörer, deren Schmerzgeheul das Lager erfüllte.

Der Neger kennt nicht die stolze Ruhe des Indianers im Ertragen von körperlichen Schmerzen; er brüllt, wie ein Kind, schon vor dem Streich, und viel ärger, als es die tatsächliche Schmerzempfindung rechtfertigen könnte.

Schulze wunderte sich am meisten darüber, daß die Gezüchtigten dabei keinerlei Versuch machten, sich zu wehren, zu entfliehen oder auch nur den Streichen auszuweichen; sie schrien Zeter Mordio, aber sie hielten still, als ob es so sein müßte.

Nach einer Weile gebot der Professor, den Strafvollzug einzustellen und fragte mit erhobener Stimme: »Meine Kinder, wie denkt ihr jetzt über die Sache? Wollt ihr immer noch umkehren?«

»O nein, Bwana Msuri!« erscholl die mit freundlichem Grinsen gegebene Antwort. »Wir haben jetzt unsere Prügel, das genügt uns; wir wollen euch weiter folgen, so weit ihr geht.«

Also »Bwana Msuri«, das heißt »guter Herr«, nannten ihn jetzt diese großen Kinder, nachdem er sie hatte prügeln lassen.

Befriedigt entließ Schulze die Schwarzen und versammelte sich mit seinen Genossen und Gefährtinnen um das bescheidene Nachtessen.

»Ich muß gestehen,« sagte er zu Hendrik, »Sie verstehen sich auf Negererziehung, und ich glaube nun selber, ein paar kräftige Hiebe zur rechten Zeit können für diese merkwürdigen Charaktere der größte Segen sein.«

»Gewiß!« erwiderte Hendrik. »So töricht und grausam es ist, für die Neger nichts übrig zu haben, als Prügel, so muß man diese, wenn sie notwendig werden, unbedingt in Anwendung bringen. Die Leute haben einen außerordentlich feinen Sinn für Recht und Unrecht. Durch ungerechte Züchtigung und unnötige Gewalttat reizt man sie; verdiente Strafe aber empfinden sie als etwas Gerechtes und werden sie ihren Herren nie nachtragen; unterbleibt aber die fühlbare Strafe, wo sie am Platze wäre, dann werden die Schwarzen frech und unbotmäßig und es kann großes Unheil und Blutvergießen daraus entstehen; wollen Sie den Schwarzen nicht schlagen, so werden Sie ihn unter Umständen in der Notwehr niederschießen müssen. So kommen im Kapland Hunderte von Negern ins Zuchthaus und an den Galgen, weil eine dumme Gefühlsduselei die Prügelstrafe für diese Kinder abgeschafft hat. Der Bure huldigt dem Grundsatz: mäßige Züchtigung erspart dem Neger den Galgen.«

»Und was sagen Sie dazu, Fräulein Sannah?« wandte sich Leusohn an Hendriks Schwester.

»Ich kann nur bestätigen, was mein Bruder sagt; die Buren sagen: die Neger sind unsre Kinder, und wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es. Freilich, man muß sie dabei als Kinder lieben; denn sie grausam behandeln und ungerecht, wie so mancher weiße Wüterich es tut, das ist Niedertracht.«

»Das kommt vom Tropenkoller,« behauptete der Doktor.

»Was verstehen Sie unter Tropenkoller?« fragte Flitmore ernst.

»Nun, eine ausschließlich afrikanische Krankheit, die den Weißen zum grausamen Tyrannen macht, so feinfühlig und sanft er in Europa war.«

»Ausschließlich afrikanisch nennst du diese Krankheit, Otto?« wendete Helene ein. »Franz Pizarro hat, meine ich, in Amerika genau so gewütet, und zahllose andere Weiße auch. In Australien und anderwärts ging es um kein Haar besser.«

»Ich will Ihnen diesen sogenannten Tropenkoller erklären,« sagte Flitmore. »Hat es Sie nie Wunder genommen, daß noch kein Missionar je von der vermeintlichen Krankheit ergriffen wurde? Es ist eben keine Krankheit, sondern ein Mangel an sittlicher Selbstzucht.

»Jeder Mensch hat seine grausamen Triebe. Erziehung, Sitte und Gesetze halten diese bei uns in Europa in Schranken, und sie äußern sich höchstens darin, daß man mit wahrer Gier schauerliche und grausame Geschichten verschlingt, in den Zeitungen mit Vorliebe die Berichte über Unglücksfälle und Verbrechen liest, in Wachsfigurenkabinetten, kinematographischen Vorstellungen und dergleichen mit wollüstigem Schaudern das Gräßliche betrachtet, und wo ein gräßlicher Unfall eintrat, ein Brand oder ein Eisenbahnunglück zum Beispiel, in Scharen herzuströmt, um die Verheerungen neugierig zu besichtigen, und womöglich am Anblick entstellter Leichen oder verstümmelter Menschen sich ein wollüstiges Gruseln zu verschaffen.

»Fallen die Schranken der Ordnung, wie etwa bei der französischen Revolution, ja, da werden Weiber zu Hyänen, wie Ihr großer Schiller sagt. Ich sage Ihnen, die meisten Menschen wissen nicht, was in ihnen steckt und zu was sie fähig wären, wenn keine heilsamen Schranken sie im Zaum hielten. Mancher hält sich für den gutmütigsten Kerl der Welt, der keiner Mücke etwas zuleide tun könnte; geben Sie ihm aber die Freiheit, seinen Leidenschaften ungehinderten Lauf zu lassen, so entwickelt er sich bald zum grausamen Wüterich.«

»In der Tat,« bestätigte Schulze. »Nero war ein edler Jüngling; als er jedoch zu unumschränkter Herrschaft gelangte, gab er sich bald seinen blutdürstigen Trieben hin.«

»Es ist wahr,« meinte Leusohn, »es darf einen nicht Wunder nehmen, daß unumschränkte Gewalthaber so oft eine teuflische Grausamkeit entwickelten nur das ist zu verwundern, daß so viele, die die Macht der Willkür besaßen, sie nicht mißbrauchten und sich selber derart zu bändigen verstanden, daß sie wirklich edle Herrscher und Väter ihrer Untertanen wurden.«

»Ein Nero,« fuhr Flitmore fort, »war auch der bekannte Hauptmann Lothaire; als er den Kongostaat betrat, war er der sanftmütigste, liebenswürdigste Mensch der Welt, allmählich aber entwickelte er sich so schlimm, daß er die gräßlichen Schandtaten beging, die so großes Aufsehen erregten.

»Sehen Sie, hier in Afrika ist jeder Karawanenführer unumschränkter Herr seiner Leute und noch dazu aller Eingeborenen, denen er mit seiner Macht gewachsen ist; Sie können Ihren Askaris befehlen zu erschießen, zu hängen, zu rauben, zu morden, sie werden Ihnen gehorchen, Professor. Sie können auch jeden Askari oder Träger nach Belieben erschießen, hängen oder zu Tode prügeln lassen.

»Allerdings werden Sie dadurch noch mehr Fahnenflucht veranlassen und noch mehr Not mit Ihrer Karawane haben, als wenn Sie gerecht und milde sind; aber wirkliche Gefahr laufen Sie nicht; denn die Neger sind nicht rachsüchtig noch heimtückisch. Höchstens können Sie in der Heimat zur Rechenschaft gezogen werden, und das ist meist ziemlich ungefährlich. Und diese Macht ist es, dieses Gefühl der Freiheit von hindernden Gesetzen und der Unwahrscheinlichkeit, für Ausschreitungen bestraft werden zu können, die so vielen zu Kopfe steigen und ihre grausamen Triebe entfesseln.

»Mein eigener Landsmann Stanley, der ja, wenngleich Amerikaner, doch geborener Engländer ist, hat seine tyrannischen Gelüste in Afrika nicht zu zügeln gewußt. Er redet zwar in seinen Werken mit Vorliebe und vielen Worten von seiner eigenen Sanftmut, Milde und Lammesgeduld; aber nicht bloß erscheint er in ganz anderem Licht, wenn wir seine Ausführung nach den übereinstimmenden Berichten Casatis, Vita Hassans, Stuhlmanns, Peters und anderer lesen, sondern er selbst berichtet uns gelegentlich ganz harmlos von Ausschreitungen, die wahrhaft haarsträubend sind.«

»Stimmt!« bestätigte der Professor. »So erinnere ich mich, wie Stanley mit Hochgenuß einen Knüppelkampf schildert, den er zwischen einigen seiner Leute veranstaltete, weil sie Streit miteinander hatten, und wobei er mit Seelenruhe zusah, wie der Stärkere den Schwächeren einem um den anderen die Schädel spaltete. Waren die Träger erschöpft durch anstrengende Märsche im Sumpfland, so fand er, daß die Nilpferdpeitsche das beste Mittel sei, sie zum Weitermarschieren zu bewegen. Die Zusammenbrechenden ließ er einfach am Wege liegen, wo sie verhungerten oder den wilden Tieren zur Beute fielen. Die Kranken erklärte er allemal für Heuchler und ließ sie peitschen, bis sie sich aufrafften. Nicht einmal seinen weißen Begleiter Shaw auf seiner ersten Reise zur Auffindung Livingstones behandelte er besser.

»Während Stanley selber alle Augenblicke vom Fieber gepackt wurde und erzählt, er sei am Rande des Grabes gelegen, wobei dann natürlich gerastet werden mußte, bis er sich wieder wohl fühlte, erklärte er Shaw stets für einen Heuchler, wenn dieser sich erlaubte, ebenfalls fieberkrank zu sein; und als der arme Mann es wagte, sich über die schlechte Behandlung zu beklagen, die Stanley ihm und den andern zuteil werden ließ, streckte ihn der Wüterich einfach durch einen Faustschlag zu Boden und fragte: ›Ist es nötig, daß ich noch weitergehen muß, um Sie zu lehren?‹ Shaw starb schließlich an dem Fieber, das jedenfalls durch Stanleys Rücksichtslosigkeit sich so verschlimmert hatte. Bis zum letzten Augenblick aber erklärte Stanley seine Krankheit für erheuchelt, obgleich ihr tödlicher Ausgang ihm hätte sagen können, wie schwer er sich durch dieses Urteil blamiere und belaste. Nun wurde Stanley weich, soweit dies aus seiner letzten Bemerkung über den Verstorbenen geschlossen werden kann, die da lautet: ›Armer Shaw! Er war zwar ein schlechter Mensch, aber trotzdem dauert er mich sehr!‹ Hätte dieser ›schlechte Mensch‹, von dem übrigens Stanley auch nicht eine Schlechtigkeit zu berichten weiß, abgesehen von der angeblichen Erheuchelung des Krankseins, den rohen Herrn nur früher gedauert, so lange ihn gute Pflege noch hätte retten können!

»Wie Stanley völlig grundlos gegen die Eingeborenen wütete, dafür nur ein Beispiel: er erzählt uns ganz trocken, daß er kaltblütig die Dörfer der Eingeborenen anzündete, die ihm rein nichts zuleide getan hatten, nur um einem anderen Negerstamme zu beweisen, daß er nicht der Freund jener Leute sei!«

»Sehen Sie,« sagte Flitmore, »wenn Sie solche unwillkürliche Selbstbekenntnisse lesen, so wird es Sie nicht wundern, daß Stanley mit seiner großen Karawane so viele feindselige und angriffslustige Stämme fand, über die er sich bitter beklagt, während zum Beispiel Wißmann mit ganz wenigen Leuten die gleichen Gegenden völlig unangefochten durchreiste. Natürlich berichtet uns der edle Henry Morton nicht, durch welche Greueltaten er die Leute zur Notwehr reizte.«

»Ja, Wißmann!« sagte Schulze mit Wärme. »Das ist der Mann, von dem Bismarck gesagt hat: ›Der hat zweimal Afrika durchquert und niemals eine Dummheit gemacht, und ist mit fleckenlos weißer Weste zurückgekommen.‹ Übrigens hat Samuel Baker sich in ähnlich roher Weise aufgeführt wie Stanley.«

Noch eine Weile lauschten die Weißen den lustigen Stegreifgesängen der Neger, die stets unterhaltend und belehrend waren; heute witzelten sie besonders mit gutem Humor über die Fluchtgelüste und deren rasche Beseitigung durch die brühheiße Prügelsuppe.

Die Leute, einschließlich der Geprügelten, ja besonders diese letzteren, schienen heute so gut aufgelegt, wie schon lange nicht mehr.

Endlich zogen sich die Weißen in ihre Zelte zurück.

Mitten in der Nacht erwachte Schulze. Mit Verwunderung vernahm er Geplauder hart vor seinem Zelt.

Da saßen drei Träger und zwei Askaris, alle fünf solche, die heute abgestraft worden waren.

»Was tut ihr hier?« herrschte sie der Professor an.

»O, Bwana Msuri,« lautete die Antwort, »der Askari Selim hat gedroht, er wolle sich für die Prügel an dir rächen, da haben wir beschlossen, eine Wache vor dein Zelt zu setzen heute nacht; morgen hat er es gewiß vergessen.«

Ganz gerührt über diesen Beweis treuer Anhänglichkeit legte sich Schulze wieder.

Das waren also die Leute, die heute auf seinen Befehl geprügelt worden waren!

Selim hatte seine Drohung auch nicht ernst gemeint, er war bloß ein Prahler und zeigte sich seither stets zahm.


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