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25. Die Mission von Uguha.

Es war nur eine kurze Überfahrt, die heute zu machen war; dann erfolgte die Landung an der Küste von Uguha.

Die Waguha zeigten sich als ein friedliebender Stamm und man merkte ihnen schon den Einfluß der unter ihnen wirksamen Mission an. Die Leute fielen besonders auf durch den wahrhaft künstlerischen Aufbau ihrer mannigfaltigen Haartrachten.

Diese Haarbauten erinnerten Schulze an die Haarhelme der Latukas, von denen Samuel Baker berichtet: die Latukas durchflechten ihr krauses Haar mit feinem Garn aus Baumrinde, bis dieses ein dichtes, filziges Netzwerk bildet. Sowie das Haar dies Geflecht durchwachsen hat, wird das gleiche Verfahren wiederholt, bis im Laufe der Jahre ein undurchdringlicher, hoher Helm entsteht, dessen unteres Ende mit Zwirn zu einem festen, wulstigen Rand vernäht wird. Ein Stück polierten Kupfers wird von vorn angebracht, bunte Perlen von Erbsengröße in künstlerischer Anordnung geben diesem Naturhelm ein schönes Ansehen und seinem Rand wird durch angenähte Kaurimuscheln eine feste Kante gegeben.

Die Felsenküste des Tanganjika am Westrand war von vielen Schluchten durchschnitten und im Hintergrunde türmten sich die Hochalpen von Goma auf. Wälder von Riesenbäumen erfüllten die Seitentäler, aus denen schäumende Flüsse brausten.

Hellgrüne Streifen von Wasserrohr säumten die Buchten, und Hunderte gelbbrüstiger Vögel hängten dort ihre Nester auf, sich, mit dem Kopf nach unten, an die Zweige der Bäume klammernd oder mit hellem Gezwitscher umherfliegend.

Weiter im Norden sah man ganze Waldungen von Obstbäumen.

Ölpalmen, Zuckerrohr, Kartoffeln, Bohnen, Erbsen, Erdnüsse, Maniok, Sorghum und Eleusine und alle Bananenarten wurden angebaut.

Seit der kleine Uledi nicht mehr Ziegenhirt sein konnte, weil seine ganze Herde zu seinem größten Leidwesen nach und nach dem Appetit der Karawane verfallen war, begleitete er mit Vorliebe den Professor auf seinen botanischen Ausflügen.

Dabei konnte sich Schulze nicht genug wundern, welche genaue Kenntnis dieses Naturkind von allen einheimischen Pflanzen- und Tierarten hatte, so daß Uledi ihm wirklich für seine wissenschaftliche Ausbeute ein unschätzbarer Gehilfe wurde.

Seine Kenntnisse brachten auch manche Abwechslung in die Speisenkarte: durch ihn lernte der Professor zum Beispiel die Schale eines mächtigen Urwaldbaums kennen, die einen kräftigen Zwiebelgeruch ausströmte und, mit Fleisch gekocht, ein richtiges Zwiebelgericht abgab. Ebenso eine Ölfrucht, die der Muskatnuß glich.

Die köstliche, säuerliche Frucht des Amomum bot eine willkommene Erfrischung, da sie hier häufig zu finden war.

Auch eine faustgroße Baumfrucht mit harter, gelber Schale, säuerlich-süßem, braunem Fleisch und vielen Kernen ließen sich die Schwarzen schmecken, trotz Uledis Warnung; denn sie gaben nichts auf das Wissen des Knaben. Sie hatten es jedoch zu bereuen, als ein allgemeines Erbrechen als Folge des Genusses dieser Strychnusart sie kurz darauf befiel.

Die Weißen erstiegen die grüne Höhe über dem Lugumbatal, wo sich die englische Mission von Uguha befindet, von der aus man eine weite, prächtige Aussicht über den See genießt.

Der liebenswürdige Missionar nötigte sie, einige Tage seine Gäste zu sein.

Sie hatten hier den segensreichen Einfluß, den die Mission auf die Neger ausübt, recht vor Augen, und sahen, wie die Zöglinge zu freiwilliger, tüchtiger Arbeit und zu gefestigten, sittlichen Charakteren erzogen wurden.

Leusohn sagte später: »Es ist ja sehr begreiflich, daß Erfolge unter wilden, ganz unzivilisierten Völkern nicht von heute auf morgen zu erzielen sind, und daß es oft jahrelanger, treuer, fleißiger und geduldiger Vorarbeit bedarf, bis nur erst ein kleiner Fruchtansatz sich zeigt; wenn ich aber bedenke, wie viele schiefe und gehässige Urteile ich in Deutschland schon über die evangelischen Missionen hörte, und sehe dann diese aufopfernde und so segensreiche Arbeit an Ort und Stelle, dann empört sich alles in mir gegen diejenigen, die ein solches Werk zu verlästern wagen.«

»Ich will Ihnen etwas sagen,« erwiderte Schulze. »Es ist sehr bequem für Leute, die ein sattes, behagliches Leben führen, zu schimpfen über andere, die ihr Leben einem edlen Ziele opfern; solche Philister schelten deshalb, weil sie sich selbst damit über die Beschämung erheben wollen, die sie solchen uneigennützigen und unermüdlichen Arbeitern gegenüber empfinden müßten, da ihr eigenes Leben und Streben nur von Kleinlichkeit und Selbstsucht beherrscht wird.

»Außerdem gibt es noch solche, die deshalb auf die Missionen schlecht zu sprechen sind, weil es ihnen durchaus nicht paßt, daß der Wilde sittlich und geistig gehoben wird, da sie ihn dann nicht mehr so leicht für ihre schlechten Zwecke ausbeuten können. Deshalb findet man häufig derartige hämische und wütende Lästerer unter den gewissenlosen Handelsherren, die in schmählichem Eigennutz nur an die rücksichtslose Ausbeutung der Schwarzen denken.«

Helene bemerkte hiezu: »Ich glaube, die meisten, die verächtlich oder gehässig von der Mission reden, haben sich nie Mühe gegeben, sie auch genauer kennen zu lernen. Allerdings ist es dann auch eines Menschen, der gebildet und anständig sein will, höchst unwürdig, über etwas abzusprechen, von dem er nichts oder nicht viel versteht.«

Und Sannah fügte bei: »Eines kann jedermann wissen: nämlich, daß die Missionare ihre Arbeitskraft, ihre Gesundheit, ihr Leben, ihre Familie in schwerer, opferwilliger Arbeit aufreiben, beziehungsweise den größten Gefahren und Entbehrungen aussetzen, und das alles nicht aus Ehrgeiz oder Goldgier und anderen selbstsüchtigen Beweggründen, die oft die schlechtesten Menschen dazu treiben, alles zu wagen, sondern nur um die Heiden zu heben und zu wahrhaft glücklichen Menschen zu machen. Nun, wenn einer das weiß, und kläfft wie ein Hund solche echte Helden an, so ist er, meines Erachtens, ein elender Feigling, ein verächtlicher Tropf.«

Ihre ehrliche Empörung gab dem Burenmädchen eine Schärfe der Ausdrücke ein, die ihr sonst völlig fremd war.

»Ihre schneidigen aber nicht unberechtigten Worte, Fräulein Sannah,« nahm der Professor wieder das Wort, »erinnern mich an die hohe Bewunderung, die der Portugiese Serpa Pinto trotz seines katholischen Bekenntnisses für die evangelischen Missionare empfand, als er bei seiner Durchquerung Afrikas längere Zeit der Gast und Reisegefährte eines solchen sein durfte. Der Missionar erzählte ihm, wie er mit seinen Dienern unter den Wilden in eine lebensgefährliche Lage kam, so daß er sich und die Seinigen schon verloren gegeben habe.

»Serpa Pinto hielt ihm entgegen, sie seien ja alle gut bewaffnet gewesen, so daß sie sich der Wilden leicht erwehren konnten.

»Hierauf erklärte der Missionar: dann hätte er Blut vergießen müssen, um diesen Preis hätte er niemals sein Leben und das seiner Diener retten wollen.

»Serpa Pinto war völlig überrascht: eine solche Mannhaftigkeit, sagt er, sei ihm durchaus neu gewesen, und diesen eisigen Mut habe er mit seinem heißen, südländischen Blut nicht begreifen können. Aber es ging ihm ein Licht auf, daß es einen höheren Mut gebe, als den des blutvergießenden Kämpfers und Kriegshelden, den Mut der Missionare, der dem der alten Märtyrer entspricht, und er bekannte, daß er selber einen so hohen Mut leider nicht besitze.

»Sehen Sie, das ist ein edles und mannhaftes Urteil und Bekenntnis. Weniger edle Seelen aber, die ihre eigene Minderwertigkeit weder sich noch anderen eingestehen wollen, helfen sich durch billigen Hohn oder gehässiges Schimpfen.«

»Wir Engländer,« sagte nun noch Flitmore, »denken nicht daran, die Mission zu mißachten, zu höhnen oder zu beschimpfen; denn wir kennen sie und wissen ihre Arbeit und ihre Hoheit zu schätzen. Samuel Backer und Stanley machen hierin freilich unrühmliche Ausnahmen; der letztere ist aber auch kein echter Engländer, sondern ein Amerikaner.«

Den Aufenthalt in Uguha benutzten unsere Freunde, um den Lukuga zu besuchen, jenen merkwürdigen Fluß, der so berühmt wurde durch den leidenschaftlichen Streit der Afrikaforscher; die einen erklärten ihn nämlich für einen Zufluß, die anderen für einen Abfluß des Tanganjika, bis sich herausstellte, daß er abwechselnd beides ist, je nachdem der Seespiegel steigt oder fällt.

Zur Zeit strömten die Wasser des Sees zweifellos durch das Bett des Lukuga dem Kongo zu.

Die Ufer des Flusses waren von einem Wald von Papyrusstauden eingefaßt.

Das Tierleben entfaltete hier einen außerordentlichen Reichtum: außer den Möwen, die allerorten über den See hinstreichen, fanden sich am Ausfluß des Lukuga zahlreiche Süßwasservögel und eine Menge gefiederter Sänger. Der Fluß wimmelte von Flußpferden und Krokodilen; Antilopen und Büffel kamen häufig ans Wasser, nebst vielem anderen Wild, wie die zahlreichen Spuren erwiesen.

Leusohn schoß ein Nilpferd, das den Kopf schnaubend aus dem Wasser erhob. Ein freches Krokodil jedoch schien das verendende Tier als seine rechtmäßige Beute zu betrachten; denn es erstieg gemächlich den Rücken des langsam dahintreibenden Dickhäuters.

Eine Kugel aus Hendriks Büchse bestrafte es für seine Anmaßung.

Den schweren Körper des Nilpferds ans Ufer zu schaffen, dazu waren die nötigen Kräfte nicht zur Stelle; hingegen gelang es, das tote Krokodil zu holen. Es wurde der besten Stücke seines zarten Fleisches beraubt, die zum Nachtmahl ein herrliches Krokodilsgulasch lieferten; denn das Amphibium war ein ganz junges Exemplar, und sein Fleisch hielt im Geschmack die Mitte zwischen Fisch- und Hühnerfleisch.

Sehr unangenehm bemerkbar machte sich eine kleine, glücklicherweise stachellose Biene, die mit unheimlicher Hartnäckigkeit in Ohren, Augen und Nasenlöcher hineinflog.

Schulze zerdrückte einige dieser Insekten mit einem Schlag seiner Hand in seinem Gesicht. Dadurch kam er jedoch vom Regen in die Traufe; denn der Honiggeruch, der nun von ihm ausströmte, machte ihn erst recht zum Ziel der kleinen Plagegeister.

»Ach, was muß man leiden für die Wissenschaft!« rief er in komischer Verzweiflung aus.

»Na!« meinte Leusohn, »diesmal leiden Sie nicht für die Wissenschaft, sondern infolge Ihres blinden Eifers. Eine Biene zu Brei zerquetschen, das ist doch keine wissenschaftliche Untersuchungsmethode. Kein Wunder, wenn sich die empörten Insekten für so unwissenschaftliche Behandlung rächen.«

»Ein Büffel! Ein Büffel!« rief in diesem Augenblick Helene. Und wirklich brach ein großes Tier krachend aus dem Gebüsch, durch das der Heimweg ging.

Allerdings erreichte es nicht die gewöhnliche Größe des Bos Kaffir, der hier zu Hause ist, und bei näherem Zusehen erkannte der Professor einen mächtigen Keiler des Warzenschweins.

» Phacochoerus africanus!« rief er aus. Doch war keine Zeit zu wissenschaftlichen Erörterungen; denn das gewaltige Tier rannte blindlings geradewegs auf Sannah los, die von dem wuchtigen Anprall zu Boden geworfen wurde.

Der Keiler hatte sich mit seinen Hauern in ihrem Kleide verfangen, und stieß und wühlte mit dem unförmlichen Kopfe in einer Weise, daß jeden Augenblick zu befürchten stand, er werde dem armen Mädchen den Leib aufschlitzen.

Es war keine Sekunde zu verlieren, sollte das Leben der Bedrohten gerettet werden, und doch durfte man einen Schuß nicht wagen.

Sannah erkannte die ganze Gefahr, empfand aber, wie es in solchen Augenblicken häufig der Fall ist, keinerlei Todesangst.

»Schießt nur, wenn ihr auch mich trefft!« rief sie aus.

Aber schon hatte sich Leusohn mit Todesverachtung auf den grimmigen Eber geworfen und stieß ihm sein langes Jagdmesser in Hals und Rücken, wo er ihn treffen konnte.

Da wich das Tier zurück und riß sich los; der Doktor kollerte zu Boden, und das Warzenschwein, das nun wieder die Augen frei hatte, machte Miene, ihm seine Hauer in den Leib zu bohren, als eine wohlgezielte Kugel es in den Kopf traf, so daß es mit ihm zu Ende ging.

Hendrik hatte den Schuß abgegeben; denn Schulze wagte es nicht, seine »niefehlende« Büchse sprechen zu lassen, wo zwei Menschen von ihr ebensogut hätten getroffen werden können, wie das gefährliche Tier.

Sannah hatte merkwürdigerweise keinen Schaden davongetragen, als daß ihre Röcke gründlich zerfetzt waren; doch die ließen sich leicht wieder ersetzen.

Als die Gesellschaft nun wieder ans Ufer des Sees hinaustrat, hatte sie Gelegenheit, ein echt afrikanisches Idyll zu beobachten.

Auf einem großen Felsblock, dessen Fuß vom Wasser umspült wurde, stand eine ganze Leopardenfamilie: Vater, Mutter und zwei Kinder.

Die schauten mit neugierigem Interesse nach einem Segelboot, das da vorüberfuhr, und wandten unsern Freunden den Rücken.

So harmlos sah dabei die Raubtierfamilie aus, daß keiner der Weißen daran denken mochte, diesen Frieden grausam zu stören. Sie betrachteten lange das seltene Schauspiel, bis der alte Leopard ihre Anwesenheit wittern mochte. Er wandte den Kopf zurück und ließ ein mürrisches Knurren ertönen, worauf die ganze Familie mit ein paar Sätzen ans Ufer sprang, um im Dickicht zu verschwinden.


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